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Selten hatte ich mit solch einem Übereifer die Koffer gepackt.

Ganz zu schweigen von dem Eifer, mit welchem ich das ganze letzte Jahr gespart hatte. Ich begann exakt an jenem Tag, an welchem mein Mann das erste Mal über seine Urlaubspläne sprach.
Mit einem eigenen Geschäft in der DDR zu Geld zu kommen, das war kein Problem ... aber unbemerkt DIE Menge, das war schon eine Leistung.

Dann war es soweit. Eine Woche Budapest. Ein nobles Hotel in der Innenstadt. 5.000,00 Mark hatte der Trip gekostet. Verrückt? Klar, aber der Zweck heiligt bekanntlich nicht nur die Mittel, sondern auch den Preis. Also zahlte ich mit verträumtem Lächeln.

Meine Flugangst wurde von zappeliger Vorfreude in Schach gehalten, der Alkoholverbrauch meines Mannes von der Stewardess.

Das Zimmer im Hotel war, ... naja, eben ein Hotelzimmer. Der Ausblick überwältigend, so lange man gewaltige Straßenkreuzungen mochte. Die Geräuschkulisse gaukelte vor, man befände sich mitten drin. Ich stand am Fenster und schmunzelte. Noch immer verträumt.

Die erste Nacht war ein wenig schlaflos, was meiner glücksgeschwängerten Energie keinen Abbruch tat. Der Frühstückssalon ließ mich staunen. Die Tische bogen sich unter westlichen Köstlichkeiten. Ein elegant livrierter Ungar geleitete uns nachsichtig in den ostdeutschen Hotelsektor und in ungetrübter Laune genoss ich meine zwei Scheiben Käse und etwas Marmelade. Die beiden Jagdwurstscheiben überließ ich meinem enttäuschten Gatten.
Es war ein wundervoller Tag.
Glücklich erkundeten wir Buda und Pest.

Am Abend tuschelten wir (ich an- und mein Mann aufgeregt) über den Ablauf des nächsten Tages. Es sollte ein besonderer Tag werden. Vor allem für mich.


Der Tag aller Tage brach an und ich musste mich sputen. Ein Reisebus sollte uns durch Ungarns idyllische Landschaft kutschieren, Mittags in einem billigen Touri-Restaurant kurzzeitig abladen, um dann den Höhepunkt des Ausflugs anzusteuern. Ein uralter Gewölbekeller, in welchem ein Teil der Reisenden einer Weinverkostung buchstäblich zum Opfer fiel. Weinselig fragte mich ein älterer Mann nach dem Verbleib meines Mannes und ich antwortete (so traurig ich vor Glück konnte), dass ihn eine schreckliche Übelkeit an der Teilnahme gehindert hätte.
Dann wurde ein Spiel gespielt. "Aus welcher Region stammt welcher Wein". Hinter mir stand ein verklemmtes altes Pärchen, und während ich (nichts wissend) in die Runde grinste, murmelte der Alte hinter mir den Namen einer Region. Fröhlich und frei von jeglicher Scham rief ich das Gehörte laut, erntete bewundernde Blicke und hielt nach der sechsten Verkostung eine Urkunde in Händen, welche mich zum geprüften Weinkenner erhob. Die giftgetränkten Pfeile, welche aus den Augen der Holden des Weinkenners schossen, flogen mir links und rechts sonst wo vorbei und konnten mein Glück nicht trüben.

An die Rückfahrt kann ich mich noch besonders gut erinnern. Ich fühlte eine Leichtigkeit, dass ich Bedenken hatte aus meinem Sitz zu schweben. Eine jahrelange Last war von mir abgefallen. Ich dachte an die 10.000,00 Mark, welche ich (zusätzlich!) heimlich gespart hatte und sah mich als erfolgreiche Geschäftsinhaberin. Ohne Klotz am Bein. Ohne ständige Wut im Bauch, die manche Ehefrau ständig begleitet. Ohne den Hauch einer Verachtung, welche seit Jahren jedes andere Gefühl erstickte. Das Leben konnte so wundervoll sein.

Ich schwebte an die Rezeption, verlangte übermütig flirtend meinen Zimmerschlüssel. Er war nicht da. Der junge Mann erklärte mir in englisch, weshalb mein Schlüssel nicht da sei, nicht wissend, dass ich kein einziges Wort verstand. 'Die Putzfrau', dachte ich verständnisvoll und lief beschwingt in den ersten Stock, dieses wundervolle Bild vor Augen.

Das Bild, wie ich im ersten Morgengrauen meinen idiotischen Ehemann zum Budapester Bahnhof begleitete hatte, um nicht zu verpassen wie er in den Zug steigt, welcher ihn weit von mir weg bringen würde.
Naja, bis zur Grenze eben.
Die Grenze von Österreich.
Ein Blick zu Uhr sagte mir, dass er schon lange in "Freiheit" war und mir somit die meine geschenkt hatte.

Ich drückte die Klinke.
Die Tür schwang auf.
Ich trat einen Schritt ins Zimmer und glaubte ... mich tritt ein Pferd.
Da lag er.
Auf dem Bett.
Dämlich grinsend.
Schwafelte von zu hohem Stacheldraht.
Von panischer Angst.
Vom Glück, wieder bei mir zu sein.

Und ich?

Brach in Tränen aus.
Er hielt sie für Freudentränen und nahm mich tröstend in die Arme.
Trost brauchte ich eine ganze Menge.
Weil meine Freiheit zusammenbrach.
Und ich bitterlich schluchzend begriff:

Weil der Stacheldraht HÖHER

war als er dachte, hatte ich ihn SCHNELLER

zurück, als ich jemals gedacht hätte und ihn somit WEITER

am Hals.



Impressum

Texte: © Fabiana
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nicht all zu ernst gemeinter Wettbewerbsbeitrag zum Thema: "Höher ... schneller ... weiter"

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