Ich sitze hier, freundlos, feindlos ... freudlos.
Es geht mir nicht gut, und das nicht nur emotional. Da ist etwas in meinem Körper. Etwas Fremdes, etwas das beunruhigt, weil bedrohlich in seinem Schmerz. Also sitze ich hier, spüre wie mein Körper sterben will und denke an den Tod.
Merkwürdig.
Die ersten Wochen waren die Hölle, vor allem nachts, wenn die Dunkelheit den Schmerz einlud, sich an mir auszutoben. Und das tat er. Er tobte in mir und ich war außer mir ... vor Angst.
Dann wurde er übermütig und scheute sich nicht, mich auch am Tag heimzusuchen. Rücksichtslos kam und ging er, wann immer es ihm gefiel. An nichts ließ er mich mehr Freude haben. Einnehmend war er. Alles andere ausblendend nahm er mich in Besitz. Ich gab auf und mich ihm hin.
So wurde er zwar nicht mein Freund, doch vertraut. Mit dem Vertrauen kam das klare Denken zurück. Mit dem Denken das Wissen. Ich werde sterben. Sehr bald und keineswegs so, wie ich mir zu sterben wünschte.
Ich nahm ihn an, den Termin mit dem Gevatter. Zornig zuerst. Dann gleichgültig und schließlich fing ich an zu bitten, dass er noch einmal gründlich schaut, ob nicht in Kürze ein Termin in seinem prall gefüllten Kalender für mich frei sei.
Er ist nicht böse, der Gevatter. Über den Schmerz ließ er mir ausrichten, er könne es einrichten. Das nahm ich wieder übel, hätte er mir auch persönlich und somit freundlicher sagen können. Da scheint er jedoch eigen, das hält er, wie er gerade will.
Dann kam die Veränderung. Er war ein unsteter Gesell und merklich auch ein wenig launisch. Nun sprach er mit mir und ließ meinen Körper in Ruhe. Er sprach leise und es strengte sehr an, ihn zu verstehen. So wurde ich schwächer, von Tag zu Tag.
Manchmal weinte ich und steckte mir die Finger in die Ohren. Wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Er lächelte, denn seine Worte nahmen keinen Umweg. Gingen direkt in meinen Verstand. Selbiger fehlte mir zu Lebzeiten, aber jetzt war er wach. Hellwach zu meinem Kummer.
Ich gab ihn auf, den Widerstand. Für Zwecklosigkeiten fehlte mir die Stärke. Der Trotz, leben zu wollen, zerbröselte und stob in alle Winde. Ist wohl so, wenn gute Argumente direkt an den Verstand adressiert werden. Da wuselten sie nun alle, die Für's. Die Wider's waren dem Trotz nachgelaufen.
Jetzt ist es besser, wenn nicht sogar gut, mit dem Gevatter und mir. Es war nichts Gutes, was er mir erzählte, aber schlecht könnte ich es auch nicht nennen. Er lehrte mich, wofür ich nie gelehrig war, so lange ich mich für zu gut hielt, so sang-und klanglos abzutreten. Ich war wie alle ... hielt mich für besonders.
Ich sterbe, und die Welt um mich herum wird sich weiter drehen. Die junge Frau im Nachbarhaus wird ein Kind gebären.
Bald.
Zufall?
Ich wünschte mir, ich würde sterben, wenn ihr Kind den ersten Schrei ausstößt. Dann fände meine Seele ein Zuhause. Mein Leben ginge von vorne los.
Ja, DAS wünschte ich mir. Doch ER hat wieder nur gelächelt und die Hoffnung war dahin. Er ist nicht schlecht. Er tut, was er schon immer tat, seit alles seinen Anfang nahm. Routiniert ist er und kein bisschen sentimental. Sachlich klingt es, was er mitteilt.
Das sehe ich ein. Der wievielte bin ich? Er hat die Zahl vergessen. Es wäre, als würde ich verlangen, er solle Wassertropfen im Nil zählen. Das öffnet mir die Augen und läutert mich. Dafür gönnt er mir, dass ich glaube und hoffe, was immer ich für mein Ende glauben und hoffen will.
Jetzt, in diesem Moment, sitzt er vor mir. Strahlt eine Ruhe aus, die übergeht. Auf mich. Verspricht mir Schlaf in alle Ewigkeit. Traumlos. Seelenlos.
"Du bist endlich", sagt er. "Und das nur ein Mal".
Sagt es und schweigt.
Sitzt und sieht zu.
Hört, was ich höre ... ein Lied aus meiner Kindheit, gesungen von einer Mutter. Meiner Mutter.
Sieht, was ich sehe ...
... das Licht, von dem alle immer erzählten, die glaubten dem Gevatter schon einmal gefolgt zu sein.
... die Hände der Lieben, die vor mir gegangen sind. Sie strecken sich aus dem Licht ... mir entgegen.
Ich betrete den Tunnel. Lächelnd, leicht und froh.
Das Licht erlischt.
Keine Hände.
Keine Lieben.
Nichts mehr.
Doch.
Ein Kichern vom Gevatter.
Ein leises Geräusch.
Ein Atemzug.
Meiner.
Ich ster..
Texte: ©Fabiana
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2009
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