Cover

"Bin einkaufen"

Ich rief es, während ich schon die Treppe runter polterte. Himmel, ich wollte es so gerne einmal nicht eilig haben, aber das war fast unmöglich, wenn man gerade umgezogen war, im neuen Wohnort eine eigene Bäckerei eröffnet, und zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren hatte. Oh, Entschuldigung, hätte ich doch beinahe vergessen ... einen Gatten gab es natürlich auch, und was für ein Prachtexemplar. Zwanzig Stunden Arbeit (täglich), stellten für ihn nicht das geringste Problem dar. Im Gegenteil, sie machten ihn schon fast zum "Ehemann des Jahres". Welche Frau konnte sich schon rühmen, einen Mann an ihrer Seite zu haben, welcher sich nicht ein einziges Mal in all den Ehejahren über das Essen beschwert hätte. Wie auch, während ich noch die Teller meiner geliebten Familie füllte, erfüllte das Schnarchen meines Ehemannes die Küche. Ich weiß bis heute nicht, wo genau er sich ernährt hat, jedenfalls nicht an meinem Tisch. Kennen sie den Spruch, von wegen im Stehen schlafen? Ach, haben sie schon mal gehört? Fein, ich habe es mehrmals täglich gesehen, glauben sie mir ... keine wirkliche Augenweide. Als fürsorgliche Gattin müssen sie nur darauf achten, dass er immer in der Nähe einer Wand steht, dann tut ihm das Aufwachen nicht so weh.
Ja ich weiß, sie fragen sich gerade, wie es da wohl um die ehelichten Pflichten bestellt war. Na wie schon? Was glauben sie denn? Wunderbar war es, wunderbar kurz ... und schmerzlos, nachdem ich ihn, selig grunzend, von mir runtergerollt hatte. Man kann nicht alles im Leben haben. Dafür verdient man(n) eben mit zwanzig Stunden Arbeit eine Menge Geld. Braucht man(n) auch, wenn man(n) darauf zusteuert, mit fünfzig ein Pflegefall zu sein. Das erschreckt sie? Aber nicht doch meine Damen, ein paar ehrenamtliche Einsätze im Altenheim ... und schon war ich für alle Eventualitäten gewappnet. Die kluge Frau baut um vieles weiter vor, als ein Ehemann jemals denken kann. In Memorium lachen können, garantiert ein lustiges Witwendasein.
Ach ich plappere und plappere, dabei wollte ich doch von diesem Einkauf erzählen. Mein Mann sagte immer, wäre ich mit den Händen so schnell wie mit dem Mund, hätte er mehr Schlaf. Ich weiß bis heute nicht, ob er dabei an die Backstube, oder das Ehebett gedacht hat. Also, ich rannte die Treppe runter und hörte gerade noch: "Bring mir Rasierklingen mit!"
In unserem Ort gab es noch so einen richtigen kleinen Kaufladen. Einer von der Sorte, wo jeder jeden kennt und man sogar die kennt, die eigentlich keiner kennen konnte, weil sie noch nie ein Mensch jemals irgendwo gesehen hat, aber einer mal was gehört hatte und dann kannten ihn eben doch alle. Ich rein in den Laden, Einkaufszettel suchen und nicht finden, da dieser wohl noch auf dem Küchentisch lag. Da hieß es: Nerven behalten und konzentrieren. Und wenn ich sage konzentrieren, dann meine ich es auch. Ich flitzte also durch die eng zusammengepferchten Regalreihen und murmelte die in Erinnerung gerufene Einkaufsliste vor mich hin. Ungeachtet der sichtlichen Beunruhigung einer scheinbar recht alten und noch scheinbarer alteingesessenen Kundin, welche, nachdem ich mich ca. das fünfte Mal murmelnd an ihr vorbeiquetschte, einen ziemlich vielsagenden Blick zu der Dame an der Kasse warf. Neben meiner verzweifelten Bemühung, die telepathische Verbindung zur Einkaufsliste auf meinem Küchentisch nicht abreißen zu lassen, brachte mir exakt dieser Blick die wenig erfreuliche Erkenntnis, dass ich ab genau diesem Moment zu jenen gehörte, welche man kennt. Nun denn, seinem Schicksal entgeht keiner, auch wenn man nur eine, ein wenig gestresste, aber harmlose Mutter und Bäckersgattin ist. Nachdem ich nun "gekannt" wurde, konnte ich nur mit Mühe einen Triumphschrei unterdrücken, da schlussendlich der Inhalt meines Einkaufswagens mit dem der Liste auf dem Küchentisch in etwa übereinstimmte. Stellen sie sich doch mal meine bessere Hälfte in dieser Situation vor und nun lassen sie der Fantasie freien Lauf ... bis hin zum Abendbrot. Sehen sie, was ich sehe? Zwei hungrige und dadurch nicht unbedingt besser zu ertragende kleine Nervensägen sitzen am Tisch, jede eine Flasche Bier vor sich, um den Hals eine von Vaters neuen Arbeitssocken und auf den Tellern je einen günstig erstandenen Doppelpack AAA-Batterien, weil man ja so etwas immer zur Genüge im Haus haben sollte. Sollten wir Frauen uns nicht glücklich preisen? Immerhin hat die Natur bei UNS nicht vergessen, einen kleinen Weiterentwicklungsprozessor in die Gene einzubauen. Oh Verzeihung, ich schweife ab, obwohl, das musste jetzt wirklich einmal erwähnt werden.
Also da stand ich nun mit, wie ich hoffte, allem was nötig war, um die Familie für das kommende Wochende bei Laune zu halten und setzte mich erleichtert Richtung Kasse in Bewegung.
Stop!
Die Rasierklingen!
Na Prima. Die waren eins der wenigen Dinge, welche mein Mann sich normalerweise selbst kaufte. Wo, bitteschön, liegen denn in so einem Dorfladen Rasierklingen? Ich schob also den Wagen so weit es ging an die Seite, mit dem Ergebnis, dass er nach wie vor mitten im Gang stand, da dieser nicht breiter war als eben der Wagen. Das wiederum bedeutete, dass ich selbst nicht mehr an ihm vorbei kam, sondern nun Richtung Kassiererin sprinten musste, um dort über den nächsten Gang wieder in das Innere des Ladens zu gelangen. Schokolade, Kekse, Gummitiere ... falsche Abteilung. Nächster Gang, Mehl, Zucker, Nudeln, anschließend Kühltheke und Gefriertruhe. Wieder ums Eck ... Waschpulver und Reinigungsmittel. Dann endlich ein Regal mit Kosmetikartikeln. Aufatmen. Mit zunehmender Gereiztheit studierte ich sorgfältigst die angebotenen Artikel, konnte aber nirgendwo etwas entdecken, was dem Wunsch meines Mannes auch nur nahe kam. Das scheinbar alteingesessenen Mütterchen hatte sich gut positioniert und ließ mich nicht aus den Augen. Selbst auf die Gefahr hin, künftig als "die, die ohne Hilfe ihre Einkäufe nicht erledigen kann", gekannt zu werden, machte ich mich auf die Suche nach einer einrichtungskundigen Person und wurde nach weiteren fünf Minuten fündig ... in der Kaffeeküche. Die pausierende Angestellte warf mir einen empörten Blick zu, zog noch einmal genüsslich an ihrer Zigarette und maulte dann, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen: "Die sinn an de Kasse."
Jubel, Trubel, Heiterkeit begannen in meinem angeschlagenen Gemüt wieder die Oberhand zu gewinnen, als ich mit meinem Wagen auf die Kasse zusteuerte und schon aus einigen Metern Entfernung den Karton entdeckte. So lange ich meinen Mann kannte, benutzte er ein und den selben, ehemals hochwertigen Nassrasierer, da er der Meinung war, ein richtiger Mann müsse sich eben nass rasieren und das "elektrische Zeug" sei Weiberkram. Punkt. In besagtem Karton herrschte ein wenig Chaos. Flüchtig nahm ich einige Qualitätsangaben auf den Packungen wahr, genauer hingegen widmete ich mich den Namen der Hersteller. Meines Gatten bevorzugter Erfolgsfabrikant war nicht darunter. Langsam platzte mir der Kragen. Ich nahm das erst beste Päckchen und ... wurde stutzig. Ich nahm ein weiteres in die Hand, noch eins und noch eins. Aus den Augenwinkeln registrierte ich das aufmerksame und gemeinschaftliche Beobachtetwerden von Frau "Ich kenne dich" und der scheinbar mit ihr im Bündnis stehenden Person hinter der Kasse. Plötzlich fühlte ich mich wieder gestresst, ausgelaugt, noch dazu beobachtet und eine mir nur zu bekannte Leere machte sich in meinem Kopf breit. Ich starrte auf die Rasierklingen in meiner Hand und schaltete für einige Sekunden ganz ab.
"Kann ich ihnen irgendwie helfen?" Die Stimme klang etwas zu schrill und verriet gleichzeitig den leicht genervten Zustand ihrer Besitzerin. Die "ICH kenne dich ab heute auch"- Kassenschnepfe schenkte mir ein falsch-freundliches Lächeln, hinter mir hüstelte jemand sehr künstlich, ich hielt also den Betrieb auf. Immer noch die Rasierklingen in der Hand, deutete ich mit einem Kopfnicken auf diese und fragte, äußerst ungern und verärgert darüber dieses Bauerntrampel überhaupt etwas fragen zu müssen,
"haben sie die vielleicht noch in einer anderen Größe?"
Den darauf folgenden, dümmlichen Blick kann ich ihnen leider nur schwer beschreiben, den hätten sie sehen müssen, um zu verstehen das meine Fassung ein wenig ins Wanken geriet. Unfähig, die Bilder in meinem Kopf den entsprechenden Worten zuzuordnen, kam ich dämlicherweise nicht auf "NASSRASIERER", hatte denselben jedoch deutlich genug vor Augen, um unter Zuhilfenahme von Daumen und Zeigefinger, der Inkompetenten ein verstehendes Lächeln zu entlocken.
"Äh ... ja nun ... das äh Ding von meinem Mann ist ungefähr so lang",
Daumen und Zeigefinger spreitzten sich auf einen Abstand von ca. fünf cm, "und so breit."
Der Abstand verkürzte sich auf ca. drei cm.
"Die hier erscheinen mir irgendwie zu groß."
Die urplötzliche Gesichtsverfärbung der Gefragten, von teigig fahl zu schweinchenrosa, ließ endlich(!) die Einsicht absoluter Inkompetenz erkennen und wurde verstärkt durch die nunmehr ranzige Frage,
"WAS suchen sie eigentlich!?"
Nur mit Mühe dem Verlangen widerstehend, ihr den Hals umzudrehen, fauchte ich zurück,
"Rasierklingen!"
Das Schweinchenrosa veränderte sich, von jetzt auf ziemlich sofort, in einen Purpurton und mit merkwürdig gepresster Stimme, deutlich erkennbar nur krampfhaft die Haltung bewahrend, schleuderte sie mir entgegen:
"Das ist der Karton mit den KONDOMEN!"

Fluchtartig und prustend stürmte sie in die kleine Kaffeeküche. Das kreischende Gelächter, von ihr und ihrer Kollegin, klingt mir noch heute manchmal in den Ohren.


In diesem Laden war ich nie wieder. Kurze Zeit später erfuhr mein Mann "rein zufällig", dass im ganzen Ort darüber spekuliert wurde, ob das Ding vom neuen Bäcker denn nun wirklich fünf mal drei cm hat.
Ob das der Auslöser für unsere Scheidung war, kann ich bis heute nicht genau sagen. Fest steht:
Nie wieder kaufe ich für einen Mann Rasierklingen.

Impressum

Texte: Copyright: Fabiana
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /