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'Helfen sie mir. Bitte ... helfen sie doch.'
Ich will es rufen, nein schreien und ich schreie ... doch nur in meinem Kopf. Gedanken, welche sich erst zusammensetzen müssen aus den Splittern, welche durch mein Gehirn rotieren. Was ist das? Wo bin ich? Ich kann nicht sehen, nicht hören ... fühlen? Fühle ich? Nicht wirklich, und dennoch scheine ich zu sein ... irgendwo. Ja, ich bin, muss nur die Augen öffnen. Meine Lider flattern, ich spüre sie, spüre ihre Gegenwehr. Es strengt mich an, aber ich habe ein Recht darauf zu sehen! Da! Sie geben nach! Einen Spalt nur lassen sie sich öffnen ... ahhh, das Bild. Ich erinnere mich, das Belvedere, Wien, Hitze und ... ein Gemälde. Lange sah ich es an, heiß war mir und übel, dunkel wurde es. Eine Ohnmacht und das mir, einem Mann! Ich sollte tief durchatmen ... ich ... ich kann nicht, was soll das, mein Brustkorb ... weder hebt, noch senkt er sich. Jetzt, jetzt öffnen sich meine Augen, ja ... endlich ganz! Gott sei Dank, ich kann sehen, verschwommen, aber ich sehe. Was geschieht hier? Ein Traum? Ja, das muss es sein, ein Traum, ein Lug- und Trugbild. Es ist das Bild. DAS Bild. Was passiert mit mir? Das kann nicht sein ... dreidimensional? Nein, mehr noch ... es scheint zu leben ... es LEBT. Ach bitte helfen sie doch, holt mir denn keiner einen Arzt? Ich sehe, aber atme nicht ... versuche es dennoch. Etwas kitzelt in meiner Nase ... da! Luftbläschen, ganz feine. Zitternd wie kleine Quallen, wabern sie an meinen Augen vorbei. Sie erinnern an Kohlensäure im Wasserglas ... Wasser?! Bin ich also am Ertrinken? Nein, ich bin wohl gestürzt, aber Wasser war da keines, kein Brunnen, nichts. Ich will atmen, bitte ... nein, ruhig bleiben. Ganz ruhig. Reiß dich zusammen, denke nach ... das ist es! Ertrinkende kämpfen einen Todeskampf, ich aber ... denke!
Was war das?
Eine Bewegung?
Sieh hin, sei nicht so feig!
Es ist unheimlich.
Nein ... das ist Irrsinn!
Sie liegen vor mir, wie schlafend, doch ihre Augen sind geöffnet.
Sehen mich an, diese Augen, ... mehr noch, sie nehmen mich wahr!
Die Schöne ganz vorne, ... oh ... wie verführerisch sie sich windet, mit der Geschmeidigkeit einer Schlange ... einer WASSERSCHLANGE! ... Das Werk von Klimt ...

'Endlich'
Ich höre ein Wispern, nein, nicht in mein Ohr dringt dieses Wort, es ist in meinem Kopf.
'Gut erkannt'
Oh wenn ich dich doch anschreien könnte, damit du mir endlich sagst, was hier vor sich geht!
'Das musst du nicht, ich verstehe dich auch so'
Du kannst Gedanken lesen?
'Oh, wie banal. So typisch menschlich ignorant ... langweile mich nicht'
Diese Stimme in meinem Kopf, nein, keine Stimme, ein Zischen ... es quält und verwirrt mich. Wie schrecklich ist doch dieser Alptraum, gibt es denn kein Erwachen?
'Du träumst nicht Menschenmann, du bist in meiner Welt und nunmehr so real in ihr, wie ich es bin'
Warum kann ich nicht reden, mich nicht bewegen, nicht nach dir greifen?
'Wir reden doch'
Oh bitte, NEIN! Nicht dieses Zischen, ist es dein Lachen, was mir solche Pein bereitet? Dann lach nicht!
'Du musst dich frei machen, von deinem erbärmlichen Mensch sein, dann wird es leichter. Akzeptiere die Dinge, wie sie sind. Sieh dich um, sie ist schön, meine Welt'
Ich kann nicht! Lass mich gehen, du lügst, das hier ist nicht real! Oh bitte ... nicht dieses Lachen, es brennt wie Feuer in meinem Kopf!
Schon gut ... ich sehe mich ja um!
Kalt ist sie, deine Welt, wie könnt ihr hier sein wollen, ihr, mit euren weichen, vollendet weiblichen Körpern? Die Ornamente so flächig, die Mosaiken so trostlos und steril ... ? Da nützt kein Gold, kein Silber, euer Meister hat euch geblendet, damit ihr nicht die Widerwärtigkeiten sehen müsst, mit denen er euch umgeben hat. Krakententakel ... welch ekelhafte Bedrohung hat er euch zugedacht, oh ja, ich kenne seine Bilder, wie muss er Frauen hassen, selbst den Fischen gab er tote Augen, damit sie nicht sehen müssen!
'Du Dummer Mann, erkennst du die Allegorie unseres Schöpfers nicht? Sieh her, wie sie mich Kosen, meines Meisters Kraken. Wie zärtlich ihre Tentakel über meine Brüste gleiten und sanft an ihnen saugen ...'
Was seid ihr liederliche Weiber, konnte ich mich so täuschen? Habe ich den Klimt so missverstanden?
'Du und deinesgleichen missverstehen und missverstanden schon immer ... an dir und deinesgleichen ist er zerbrochen!'
Was tust du, ... oh diese Schmerzen, geh aus meinem Kopf, ich halte es nicht aus!
'Du erzürnst mich ... unser Schöpfer war ein Genie! Als Einziger hat er durchschaut, dass ihr Menschen samt eurer kranken Philosophie nichts darstellt, als eine dumpfe, willenlose Masse, die im Dienste der ewigen Forterzeugung, im Glück und im Unglück, dahin getrieben wird, traumhaft, von den ersten Regungen des Seins bis zum kraftlosen Niederfahren in die Gruft.'
Nein, nein ... halte ein Schlangenfrau! Eures Meisters Philosophie war die theatralische eines Kindes. Irrationale Gedanken, fern aller gebotenen Vernunft, haben ihn geleitet!
'Schweig, du jämmerlicher Narr! Willst du ihn irrational nennen, weil ein gesteigertes Verlangen nach Lebensgenuss in ihm loderte?! Weil er nach unverfälschter Liebe und des Künstlers Freiheit strebte?!'
Du bist ein Weib, du wirst es nie verstehen, ihm fehlte eine rationale Sicht der Dinge. Sieh dich doch um in deiner Welt, er schielte, während er seine Geschöpfe kreierte, nach der alten japanischen Kunst, hatte seine eigene unbändige Lüsternheit vor Augen, mixte ein wenig Abscheu vor der Welt mit hinein und bannte euch und alles hier auf Pergament. Seinen Hass auf Frauen stillte er, indem er euch ein Wassergrab schuf. Mir wird angst und bange, ich sah euch all die Jahre als ruhende Schönheiten. Doch in Wahrheit hat Klimt euch während des Malens getötet!
'Du erbärmliche Kreatur weißt NICHTS! Mit uns sprach er, während er uns schuf ... wir wissen alles, kennen sein Denken, sein Fühlen, sein Leiden, sein Hoffen. Er gab uns die Schönheit, welche er selbst unendlich verehrte, er gab uns die Lüsternheit, welche er selbst genoss, er gab uns das Wasser als Symbol unergründlicher Tiefen des Weibes, und mit dem Wasser gab er uns die Freiheit. All das, was er selbst sich ersehnte, projizierte er auf uns!
Die Fische mit den toten Augen, dass bist du, und all jene, welche blind durch ihr klägliches Leben vegetieren."
Dein Kreischen lässt meinen Schädel gleich platzen ... was gibst du für Zeichen? Deine Gefährtinnen, ... sie erheben sich. Lasziv in Blick und Bewegung gleiten sie durchs Wasser, ... oh nein, dieser scheußliche Kraken, er hatte sich hinter ihrem Lager verborgen. Sie schauen mich an ... ihre Augen, was ist mit ihnen ... nein! Nicht näher! Ich flehe dich an, hab Erbarmen! Hilf mir! Sag ihnen sie sollen aufhören!!
'Eines sollst du noch wissen. Zwischen Werden und Vergehen spielt sich das Leben ab, und das Leben selbst, auf seinem Weg von der Geburt bis zum Tode, schafft jenes tiefe Leiden, für das unser Meister sein persönliches, linderndes und heilendes Mittel gefunden hat: Uns ... seine Geliebten, seine Leidensgefährtinnen, sein Sehnen, seine Pein und sein Trost.
Uns ... seine WASSSSSERSSSSSCHLANGEN ...


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WIENER ZEITUNG

Polizeimeldung

Der mysteriöse Tod eines Besuchers im Belvedere konnte noch immer nicht geklärt werden. Wie ein Polizeisprecher berichtete, hat die Obduktion der Leiche Herzversagen ergeben. Die nasse Kleidung des Toten gibt der Polizei jedoch weiterhin Rätsel auf. Bisher unbestätigten Informationen zufolge, gilt als Tatverdächtige die Reinigungskraft Lieselore Wolperdinger. Ein Mitarbeiter des Belvedere hatte die 74-jährige am Tatort, neben der Leiche hockend, gefunden. Neben ihr ein Eimer mit Wasser, welcher zweifelsfrei als ihrer identifiziert werden konnte. Die Tatverdächtige ist flüchtig. Erste Hinweise aus der Bevölkerung legen die Vermutung nahe, dass die Gesuchte sich im Literatenverein BookRix versteckt hält.
Die Fahndung läuft.


Impressum

Texte: Copyright: Fabina
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet meiner immer gut gelaunten Wettbewerbs-Leidensgenossin Chilivonstefax

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