Oftmals sind es die kleinen Dinge ... die Großes bewirken.
Letzte Nacht, in einem Literaturforum, las ich eine Frage bezüglich unserer Einstellung zur Romantik. Ich hatte schon den Finger auf der Antworttaste und ließ es dann doch mit einem kleinen spöttischen Lächeln bleiben. Romantik!
Romantik? Bin ICH romantisch? Kleines, fast unmerkliches Kopfschütteln. WAR ich jemals romantisch?!
Nein.
Oder vielleicht doch?
Irgendwann?
Aber natürlich! Und WIE romantisch ich war, es ist nur so lange her, dass ich es beinahe selbst vergessen hätte.
Himmel nein!
Ich war doch gerade noch ein Kind, mit der blühendsten aller Fantasien und vor noch kürzerer Zeit ein Teenager, dessen Eingeweide sich vor lauter romantischen Gefühlen oft genug fast schmerzhaft zusammenzogen. Meine Traumwelt war randvoll von Romantik und Poesie.
Sie war meine Festung ... mein Schutz vor der Welt. Manchmal zog ich mich so tief in diese erträumte Zuflucht zurück, fühlte mich so unendlich geborgen und wohl, dass ich am liebsten alle Türen von innen verriegeln wollte ... um nie mehr aus ihr auftauchen zu müssen.
Ist DAS etwa der Weg, den all die Autisten dieser Welt gehen?
Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie erfahren, denn irgendwann fielen meine Türen ins Schloss. Doch ich ... stand auf der falschen Seite, war ausgeschlossen. Die Realität hatte mich in ihren Fängen. Sie machte mich stärker und härter. Ich vergaß im Laufe der Zeit meine Welt ... mit ihr verschwanden die Romantik, die Fantasie und damit meine Poesie.
Vor drei Tagen schlenderte ich über einen Musikbasar, auf der Jagd nach Schnäppchen-CD´s und neben einigen Anderen fiel mir eine besonders ins Auge. Sonderangebot 5,00 Euro, das Cover Nostalgie pur. Die Liedtitel absolut neu für mich, die Interpreten zum Teil recht bekannte deutsche Sänger. Bunt durcheinander gewürfelt ... Ok, ich nehme dich mit.
Heute Morgen packte mich der Putzfimmel. Bezüglich meiner hausfraulichen Qualitäten stellt solch ein Anfall den absoluten Ausnahmezustand dar und hält (dem Himmel sei Dank!), nur begrenzt an. Gegen Mittag war es soweit. Noch lange nicht fertig, wollte sich mein üblicher Antihaushalts-Normalzustand wieder einstellen. 'Da hilft nur Musik', dachte ich ... mir fiel die CD ein.
Entgegen allen bösen Befürchtungen, fand ich sie in weniger als Zehn Minuten. Als ich die Folie aufriss, kam ein kleines Büchlein zum Vorschein.
Ich wollte nur einen flüchtigen Blick hinein werfen und stand plötzlich, mit dem Putzlappen in der einen und dem kleinen Buch in der anderen Hand ... weit ab von der Welt.
Nie zuvor hatte ich von ihr gehört. Einem jungen Mädchen ... ein Kind noch und als solches auch gestorben.
Gestorben am 16.Dezember 1942
im deutschen Arbeitslager Michailowska.
SELMA MEERBAUM-EISINGER
18 Jahre, Jüdin
Alles um mich herum vergessend, stand ich und las ihre Gedichte. Eine Mischung aus Verzweiflung, Sehnsucht, unendlicher Liebe, Verehrung der Natur und allen Lebens. Ich las aus diesen Zeilen ein Kind heraus, das keines mehr war, ich las eine ohnmächtige Erkenntnis heraus, dass ihre Hoffnung auf Leben nicht in Erfüllung gehen wird. Und dennoch! Bei allem Leid sind die Gedichte dieses Mädchens voller Licht und Wärme, sind sanft und hüllen dich ein ... in einen Mantel, gewoben aus Poesie.
Heute, nach 65 Jahren, hat diese kleine Poetin ein großes Wunder bewirkt. Ich habe ein Knarren gehört, das Knarren einer uralten Tür, welche sich nur schwer öffnen lassen will. Ich habe ein Kreischen gehört, das Kreischen von rostigen Angeln, in welchen diese Tür hängt. Und ich habe einen hauchdünnen Lichtstrahl gesehen. Er drang durch den Spalt und war wie ein Gruß. Ein Gruß aus meiner eigenen, verloren geglaubten Welt.
Wenn dies dein Vermächtnis ist, liebe Selma, dann werde ich es achten und ehren. Ich verspreche, einen Fuß in die Tür zu stellen ... damit sie nie wieder zufällt.
Denn wie ich Eingangs schon erwähnte, manchmal sind es die kleinen Dinge, welche Großes bewirken. Und in meinem Fall war es die lichte Fantasie, eines längst verstorbenen Mädchens.
Ich schenke allen Lesern ein kleines Lächeln
Fabiana
Texte: Copyright: Fabiana
Tag der Veröffentlichung: 09.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Im Andenken an Selma Meerbaum-Eisinger