Cover

Prolog

Die junge Frau saß in einem kühlen, tristen Raum und wartete auf die Entscheidung der Beamten. Der Raum gehörte zum hiesigen Polizeipräsidium und sollte ihr momentan Schutz bieten. Dicht neben ihr das einzige, was sie im Leben noch hatte, die einzige, der sie im Leben noch vertrauen konnte. Fest, die kleine Hand in ihrer, hielt sie ihre Tochter bei sich. Zitternd vor Angst aber auch vor Unsicherheit.

Wie sollte es weitergehen? Würden sie überleben? Tat sie das richtige? Hatte sie überhaupt eine Wahl?

Weitergehen würde es immer. Überleben ist so eine Sache, um die sich die Polizei kümmern musste. Das Richtige, bestimmt, aber eine Wahl? Nein, die hatte sie definitiv nicht!

Was blieb einem schon übrig? Sie sollte gegen die sogenannte „Familie“ aussagen, als Kronzeugin. Was dies hieß, war ihr allemal bekannt und das ließ ihr wieder mal einen Schauer über den Rücken laufen.

Sie zuckte bei jedem Geräusch zusammen, war ja auch kein Wunder, nachdem, was sie alles durchmachen musste und jetzt? Vielleicht ein Lichtblick am Horizont? Sie hatte ein Jahr lang alles mitangesehen und geschwiegen. Warum? Weil sie an ihre Tochter dachte, an ihre Sicherheit. Sie war verstrickt in einem Sumpf der Machenschaften und das gerade mal mit neunundzwanzig Jahren. Sie war Witwe und alleinerziehend. Sie hatte Freunde, nur leider waren es die falschen. Den Kontakt zu den damaligen Freunden hatte sie abgebrochen.

Sie drehte sich zu dem kleinem zehn jährigen Mädchen und versuchte, aufmunternd zu lächeln. Ja, ihre Tochter war das einzige was sie noch hatte. Ihr Leben geriet aus den Fugen, ohne dass sie es wollte. Betrug, Erpressung, Kidnapping und sogar Mord waren nur einige Dinge auf der Liste. Sie selber hatte damit nichts zu tun, nur war sie da hinein geraten und badete es nun aus. Gedanklich schüttelte sie ihren Kopf, hätte sie einst anders entschieden, wäre es wahrscheinlich nie so weit gekommen. War es ihr Fehler? Ja, sie hatte sich in den Sumpf aus Lügen und Kriminalität reinziehen lassen und steckte nun tief mit drin. Was war nur mit ihr passiert? Sie griff sich an den Hals, an die Kette mit dem schlichten Ring. Die einzige materielle Erinnerung an schöne, glückliche Tage.

Verschiede Geräusche waren von draußen zu hören. Stimmen, Getippe, Funkgeräte und Türen, die ab und zu auf und zugingen. Wieder zuckte sie zusammen und presste sich noch mehr an ihre Tochter, die nicht verstand, was passiert war. Warum sie vom Internat geholt wurde und nun hier in diesem Raum saß. Wenigstens war ihre Mutter bei ihr, was der Kleinen Sicherheit gab. Klar spürte sie die Angst und Panik der älteren Frau, aber im Innersten wirkte die Anwesenheit ihrer Mutter beruhigend.

Die junge Frau dachte kurz an ihre Vergangenheit, an die Zeit, wo sie glücklich war. Glücklich mit ihrer Frau. Sie lebte ein ganz anderes Leben, zusammen mit Beiden. Weit entfernt von diesem ganzen Chaos hier. Zwar hatten sie auch schwere Zeiten, doch zusammen schafften sie alles, bis ihr eines Tages die Frau, die sie über alles liebte, genommen wurde. Eine einzelne Träne bahnte sich aus ihrem Augenwinkel einen Weg und mit einer unauffälligen Bewegung wischte sie diese weg. Sollte ihre Tochter doch nicht sehen, dass sie nicht stark war, wie sie immer vorgab.

Das Warten ging an ihre Substanz und sie wackelte mit ihrem Bein, welches sie über das andere geschlagen hatte. Wie würden die Beamten entscheiden? Wo würde sie versteckt werden bis zum Prozess? Was wäre danach? So viele Fragen und doch keine Antworten.

 

Plötzlich öffnete sich die Tür und ein braunhaariger Mann erschien im Raum. Es war der nette Kripobeamte, der sie schon den ganzen Tag betreute. Er war nett, aber konnte man ihm vertrauen? Die junge Frau hatte keine Wahl, sie musste ihm Vertrauen, auch wenn sie skeptisch war. Aber war sie nicht bei jedem und allem skeptisch? Ja, denn das hatte sie gelernt. Vorsicht und Skepsis.

Er lächelte sie aufmunternd an, hatte diverse Unterlagen in der einen Hand und mit der anderen deutete er zur Tür: „Wie wären dann soweit, Frau Müller!“

Teil 1

 

 <zwei Monate vorher>

 

Jeden Tag dass gleiche, jeden beschissenen Tag der gleiche Trott. Wenn doch wieder mal was Spannendes passieren würde? Aber nein, nichts. Jedenfalls nichts Weltbewegendes.

Gestriges Highlight, Friseurtermin, um meine blonden Haare auf Vordermann bringen zu lassen, danach shoppen, wobei shoppen war ja nicht, nur angucken, da Ebbe im Geldbeutel herrschte und am Abend dann früh zu Bett gehen. Tolles Wochenende.

Jetzt hatten wir Montag, drei Minuten nach neun Uhr morgens, ich saß hier am Schreibtisch und hatte nichts zu tun. Da hatte ja meine Sekretärin mehr zu arbeiten, als ich und schon war der Neid da. Ich konnte ja mal rüber gehen und fragen, ob sie wenigstens einen Kaffee für mich hatte, denn meine Maschine hatte den Geist aufgegeben.

Ich wollte mich gerade vom Stuhl erheben, da wurde auch schon die Tür aufgerissen. Wenn man vom Teufel sprach, erschien er ja auch meistens.

„Was gibt’s?“, fragte ich direkt, da ich an ihrem Blick erkennen konnte, dass sie ein Anliegen hatte.

„Erstens, Guten Morgen… Zweitens, besorgen Sie sich endlich mal eine neue Kaffeemaschine, Sie sehen furchtbar aus ohne ihren morgendlichen Kaffeeschub. Drittens, nein, ich habe keinen Kaffee fertig und viertens, Bruce ist in der Leitung.“

Ja, sie konnte sehr direkt sein, das liebte ich an ihr.

„Erstens, ebenfalls guten Morgen. Zweitens, Kaffeemaschinen sind teuer. Drittens, vielen Dank auch und viertens, nicht schon wieder.“

Das viertens kam ziemlich genervt rüber, denn wenn Bruce anrief, hieß es nichts Gutes. War es jetzt schon das siebte Mal in den vergangenen zwei Monaten. Mein Blick fiel auf den Kalender an der Wand und ich überlegte.

„Sie brauchen nicht überlegen. Hochzeitstag!“, antwortete sie mir und war auch schon wieder verschwunden.

„Fuck!“, murmelte ich vor mich hin und blies Luft aus.

„Hab‘ ich gehört! Ich stelle durch!“

„Jaahaaaaa!“

Meine Güte, diese Frau hatte Ohren wie ein Luchs. Kaum gedacht, klingelte auch schon das Telefon, dessen Hörer ich sofort abnahm: „Hi Bruce.“

„Hi.“

„Ist Sie mal wieder bei dir gelandet?“

„Yes, holst du sie bitte ab?“

„Bekomme ich irgendwann Rabatt? Das wird nämlich langsam zu kostspielig!“

„Na da musst du meinen Chef fragen.“

„Okay, aber ich komme erst mal vorbei. Bis gleich.“

„Okay, bye!“

Irgendwann brachte sie mich ins Grab und wenn es so weitergehen würde, konnte ich mir nicht mal dieses leisten. Ständig musste ich Kaution hinterlassen, nur weil sie mal wieder zu tief ins Glas geschaut hatte. Okay, Ihre Situation war doof, aber sie musste langsam wieder auf die Beine kommen.

Ich nahm meine Tasche, meine Jacke und machte mich auf den Weg zum Auto.

„Ich bin dann mal.“

„Haben Sie Ihre Kreditkarte mit?“

„Jaja, hoffe nur, dass sie noch gedeckt ist! Sonst wasche ich demnächst in der Polizeikantine das Geschirr!“

Ich verabschiedete mich von meiner Sekretärin und fuhr mit dem Wagen nach Calico.

Dies war eine kleine Stadt, etwas außerhalb der Großstadt und sowas von gar nicht mein Fall, aber was tut man nicht alles für Freunde. Eine halbe Stunde später hielt ich meinen Wagen vor dem hiesigen Sheriff Büro und betrat dieses auch kurze Zeit später.

Sofort wurde ich von Bruce begrüßt. Ein junger, sehr netter Cop, der hier in der Einöde für Recht und Ordnung sorgen sollte.

„Hi Bruce. Wo ist Sie?“

„Sie ist noch hinten in der Ausnüchterungszelle.“

„Was war nun wieder?“

„Das übliche. Viel getrunken, gepöbelt und am Ende wollte sie nicht zahlen.“

„Wie denn auch, sie hat ja nichts. Wie viel?“

„Dreihundertfünfzig Dollar“

„Autsch! Was hat die wieder alles gesoffen?“

Ich zückte meine Kreditkarte und erleichterte eben mal schnell mein Konto um dreihundertfünfzig Dollar. Bye-bye neue Kaffeemaschine.

„Eine Menge. Das ist ja nicht nur die Rechnung, die Kaution ist inbegriffen. Ach und wegen Rabatt, da musst du dich an meinen Chef wenden!“

„Und wo finde ich den?“

„Washington D.C. Police Departement oder du fragst den Präsidenten.“

„Haha, sehr witzig Bruce. Jetzt lass sie endlich raus!“

Er lachte und ging in den hinteren Teil der Wache, wo er kurze Zeit später nach mir rief.

Ich ging zu ihm und sah, wie er Mühe hatte, einer ziemlich fertig aussehenden Person hoch zu helfen. Ihre Haare standen in alle Richtungen und ihre Augen wirkten leer.

Ich schmunzelte bei dem Versuch von Bruce, ihr aufzuhelfen, doch nur kurz, denn dafür war dies hier einfach zu traurig.

„Lass mich mal Bruce. Frauen haben da ein besseres Gespür für.“

Er ließ von Ihr ab und ich trat an seine Stelle. Vorsichtig beugte ich mich zu Ihr runter und tätschelte Ihre Wangen. Es roch ziemlich streng nach Alkohol und Qualm.

„Aufwachen Saufbold, es geht nach Hause.“

„Was? Wo bin ich?“

„Na endlich, du lebst ja doch noch. Komm hoch, ich will hier nicht ewig bleiben. Was hast du nur wieder gemacht?“

„Sorry, ich hab‘ nur ein bisschen getrunken und gefeiert. Weißt du, heute ist mein Hochzeitstag.“

„Ich weiß, ich weiß.“

Ich hievte sie hoch, legte einen Arm um Ihre Taille, mit dem anderen Arm hielt ich Ihren Arm um meine Schulter. Zusammen verließen wir das Sheriff Büro und ich bedankte mich nochmal bei Bruce.

„Bis bald“, grüßte er noch.

„Ich hoffe nicht“, antwortete ich, dass dies nicht wieder vorkommen würde, brauchte ich nicht zu erwähnen, denn das glaubte er mir sowieso nicht.

Am Auto angekommen, gab es die nächste Hürde, das Einsteigeprozedere.

Ich lehnte sie gegen das Auto, Beifahrertür schnell geöffnet, sie hineingesetzt und Tür wieder zu. Geschafft!

 

So fuhren wir zusammen zu ihrer kleinen Hütte, ohne kaum ein Wort zu sagen. Sie blickte aus dem Seitenfenster, während sie nervös mit ihrem Ehering am Finger spielte und ich konzentrierte mich auf die Straße.

„Wir wären heute ein Jahr verheiratet!“, flüsterte sie mir traurig zu und ich wusste, dass heute wieder einer dieser Tage war, wo das Loch, in dem sie steckte, noch tiefer als sonst war.

„Ich weiß. Willst du zu ihr fahren?“

Sie lehnte Ihren Kopf an die Scheibe, schloss die Augen und atmete hörbar aus.

„Nein, was soll ich da auch? Ist doch eh alles leer!“

Sie kramte in ihrer Hosentasche, holte plötzlich eine Schachtel Kippen hervor, nahm sich eine der Stängel und zündete sie an.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst? Mach das Ding aus oder willst du dich umbringen?“

„Das ist immer noch meine Sache.“

„Kann ja sein, aber es ist mein Auto, in dem dein Arsch sitzt, also aus mit dem Teil.“

Sie öffnete das Fenster ein Stück und warf den Glimmstängel hinaus. Ich erkannte sie nicht mehr wieder. Nie hatte sie Kippen auch nur angerührt, geschweige denn Alkohol in dem Ausmaß.

 

Wir hielten vor ihrer Hütte, die etwas außerhalb dieser kleinen Stadt lag und in der sie jetzt schon fast sechs Monate hauste.

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich dich mit zu mir nehme“, machte ich ihr den Vorschlag, da sie ziemlich fertig war und ich wollte einfach nur meine Freundin zurück.

„Ich brauche keinen Aufpasser.“

„Das weiß ich, aber vielleicht wäre ein neuer Auftrag gut für dich? Damit du mal wieder unter Menschen kommst.“

Es war nur ein weiterer Vorschlag zur Güte, doch sie rastete jetzt komplett aus, sprang aus dem Wagen und schrie mich an: „Meinst du nicht, ich hatte genug Action für das ganze Leben? Meinst du nicht, es gab schon genug Tote? LASS MICH EINFACH IN RUHE, CJ!“

Teil 2

 

<CJs Sichtweise>

 

Ihre Worte hallten noch lange in meinen Ohren. Dies war nicht mehr die El, die ich noch vor sechs Monaten kannte. Sie hatte sich verändert und das nicht gerade zum Positiven. Ständig trank sie hochprozentigen Alkohol, rauchte und legte sich im Suff mit irgendwelchen Typen an. Das Ende war meist die Ausnüchterungszelle beim örtlichen Sheriff und eine saftige Geldstrafe. Zu verübeln war Els Laune nicht, hatte sie doch alles verloren, was ihr etwas bedeutete. Ihre Schwester, ihre Tochter und ihre große Liebe Vicky. Auch, wenn man die Leichen nie gefunden hatte, wurden alle für tot erklärt und es wurde sogar ein Begräbnis veranlasst, auf dem El natürlich nicht anwesend war. Es war nur ein leeres Grab, zwei leere Särge. Man erklärte uns, da das Flugzeug über dem Ozean abstürzte, wäre es normal, dass man die Leichen des Öfteren nicht finden würde, da auch der Jet in mehrere Teile zerbrochen war und man gerade mal den Piloten und Miris Überreste fand. Man suchte noch zwei Monate weiter, doch dann gaben die Behörden auf.

 

El hatte zu der Zeit schon alle Hoffnungen aufgegeben und sich in den Alkohol geflüchtet. Eigentlich eine Ironie, da ihr Vater und ihre Schwester dem Suff verfallen waren und nun auch El. Sie hätte es besser wissen müssen, dass dies keine Lösung war, doch keiner kam mehr an sie ran. El verschloss sich total.

 

Ich sah ihr noch nach, wie sie den kleinen Hund begrüßte, der ihr freudig entgegensprang und er war auch das einzige, was ihr noch übrig blieb von ihrer Familie. Dann verschwand sie in der Hütte. Ich seufzte resigniert und wusste, heute würde ich nicht mehr an sie ran kommen. Ich startete den Wagen und fuhr zurück nach LA ins Büro, wo mich auch schon Frederike erwartete.

 

„Und? Wie viel war es diesmal?“, fragte sie mich direkt und hielt mir freundlich, eine Tasse Kaffee entgegen.

„Danke, genau das, was ich jetzt brauchen kann. Dreihundertfünfzig Dollar!“

„Ui, da hat Frau Müller ja wieder kräftig zugeschlagen.“

„Das können sie laut sagen.“

Mit der Tasse bewaffnet, ging ich in mein Büro, welches eigentlich Els Büro war und ließ mich am Schreibtisch nieder. Doch kaum hatte ich die Tasse zum Trinken angesetzt, stürmte Thorsten herein: „CJ, das geht so nicht weiter! Entweder sie oder ich!“

„Boa, beruhige dich doch erst mal, atme durch, setz dich und wenn ich endlich mal von meinem Kaffee genippt habe, darfst du mir erzählen, was eigentlich los ist“, entgegnete ich ihm sofort und wollte wiederrum meine Tasse ansetzen, was mir aber wohl nicht vergönnt war.

„Ich will mich aber nicht beruhigen. Die macht mich krank! Wenn ich noch einen Tag länger mit ihr arbeiten muss, dann erschieße ich sie!“

„Mach mal halb lang. Wenn einer sie erschießen darf, dann ja wohl ich.“

„CJ, mach jetzt keine Witze, ich meine es ernst!“

Dass Thorsten dies ernst meinte, war mir bewusst. Er hatte mit Ralf einen kleinen Auftrag angenommen, der eigentlich nicht schwer war. Sie sollten zu dritt eine Sternverleihung am Walk of Fame vorbereiten und dort für Sicherheit sorgen, doch schien es wohl nicht so leicht zu sein, wie ich dachte. Was hatte sich Frederike auch dabei gedacht, als sie die Leitung der Agentur von El bekam und somit Lydia einstellte?

„Ok, ok. Ich ziehe Lydia von dem Auftrag ab, dafür müsst ihr Beide aber auch ihren Part mitübernehmen.“

Thorsten nickte zufrieden: „Gut, dann schick sie mir ins Büro, ich werde mich um sie kümmern.“

Er verließ lächelnd mein Büro und ich rieb mir genervt meine Nase. Was sollte ich mit Lydia machen? Sie war absolut nicht für diesen Job geeignet. Egal für was ich sie einsetzte, es ging schief. Einmal sollte sie nur am Empfangsbereich einer Galaveranstaltung die geladenen Gäste auf einer Liste abhaken. Aber was machte Miss Rotschopf? Sie ließ sich von einigen Pressefritzen umgarnen, die ihr erzählten, sie seien auf der Suche nach einer neuen weiblichen Hauptrolle und Schwups, Lydia ließ sie hinein. Das war ein Chaos.

Dann setzte ich sie bei einem simplen Dreh einer Werbung am Wohnwagen des Caterings ein. Sie sollte nur aufpassen, dass sich keine Fremden am Essen vergreifen und was machte sie? Sie bediente sich selber! Das muss man sich mal vorstellen. Da stand Lydia, als die Pause war, am Catering Buffet und stopfte sich sämtliche Donuts in den Mund, die da waren. Peinlich, sag‘ ich nur.

Und das Allerbeste war, dass sie am nächsten Tag, als ich sie am Requisitenwagen einsetzte, auch noch die Toilette benutzte, obwohl diese auch nur eine Requisite war. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, als die Toilette gebraucht wurde und Madame da drauf saß und ihr Häufchen machte. Lydia konnte nicht mal doof rumstehen und gar nichts machen, ohne einen Eklat herauf zu beschwören.

 

Nun hatte ich wohl keine andere Wahl, als sie in meiner Nähe zu behalten, da sie wohl auch bei Thorsten nur Unfug anstellte. Dann soll sie halt Bleistifte hier im Büro anspitzen, dachte ich mir gerade und wollte endlich am Kaffee nippen, als mit Schwung die Tür abermals aufsprang und ich mich dermaßen erschrak, dass ich meinen Kaffee quer über meine Bluse kippte.

„Carola! Was soll das?“

Lydia kam wütend in mein Büro gestürmt und brüllte mich an. Ich hatte jetzt endgültig die Faxen dicke und erhob mich mit hochrotem Kopf: „Lydia, kannst du nicht einmal normal in mein Büro kommen? Einmal? Ist das zu viel verlangt, dass ich meinen Kaffee in Ruhe trinken will?“

„Dein Kaffee ist mir scheißegal. Ich will wissen, warum du mich vom Auftrag abgezogen hast? Hat Thorsten etwa rumgeheult? Die olle Petze!“

„Thorsten ist keine Petze, nur du scheinst nicht zu wissen, was dein Job ist?“

„Ich? Ich hab nichts gemacht!“

„Nein? Und warum sind dann alle genervt von dir? Du schaffst es ja noch nicht mal, eine Liste zu lesen?“

„Hey, ich bin nicht doof. Natürlich kann ich eine Liste lesen.“

„Haha, du und nicht doof. Du bist so dämlich, du wirst noch vom parkendem Auto überfahren.“

„Okay, es reicht. Halt mal lieber den Ball flach, Frau Klampf. Ich sag‘ nur Anschnallgurt! Oder sollte ich besser sagen, du bist zu doof, um einen Kaffee zu trinken?“

Lydia zeigte beim letzten Satz auf meine kaffeebefleckte Bluse und grinste. Ich kochte nun über vor Wut und wollte gerade zu einem Konter ansetzen, als Frederike das Büro betrat: „Ich möchte Ihre amüsante Unterhaltung ja nicht stören, aber Herr Reibach hat angerufen. Sie möchten sich bitte bei Ihm melden.“

„Danke, ach und noch eins, Frau Maljewski? Geben Sie Lydia doch bitte all Ihre Bleistifte.“

Beide Augenpaare waren verdutzt auf mich gerichtet und blickten fragend: „Bleistifte?“, kam es von beiden synchron und ich setzte ein freundliches Lächeln auf. Dabei kramte ich in der Schublade nach sämtlichen Bleistiften, die ich finde konnte und reichte sie Lydia.

„Ja Bleistifte. Und hier, liebe Lydia, hast du meine. Die müssen alle mal so richtig angespitzt werden. Dann hast du ja jetzt eine Aufgabe, bei der du nichts falsch machen kannst.“

„Warte ab, das bekommst du wieder zurück. Freu dich nicht zu früh, wenn ich dich ungespitzt in den Boden ramme“, zischte sie mir zu, nahm mir beleidigt die Stifte aus der Hand und verließ schnaubend, mit einer lachenden Frederike, das Büro. Ja, ich liebte meine Macht!

Teil 3

 

<Ellens Sichtweise>

 

Ich ging wutentbrannt in meine Hütte, in mein mittlerweile einsam gewordenes Leben. Alles was ich liebte, wurde mir innerhalb von Stunden genommen. Der einzige, der mir geblieben war, war Easy, Pattys Hund. Er gab mir keine Ratschläge, versuchte nicht, mich aufzumuntern oder nervte, er war einfach nur an meiner Seite.

Ich knallte die Tür hinter mir zu und ging schnurstracks in die Küche an den Kühlschrank, angelte mir eine Flasche Bier raus, öffnete sie und ließ mir den kühlen Gerstensaft die Kehle runterlaufen.

Mir war bewusst, dass dies nicht unbedingt die Lösung war, aber weiter darüber nachdenken wollte ich nicht. Vielleicht war es ja in meiner Familie so vorbestimmt, im Alkohol zu versinken?! Ich seufzte und ging zurück ins Wohnzimmer, direkt auf ein Regal zu. Ich sah mir die dort aufgestellten Fotos an und wieder setzte ich die Flasche zum Trinken an.

Ich betrachtete die Fotos, schöne Erinnerungen. Ganz rechts ein Bild von Dad, Jana und mir aus Kinderzeiten. Dann ein altes Foto meiner Mutter und ganz links ein Foto von Vicky, Patty und mir.

Wieder ein kräftiger Schluck aus der Flasche und ich nahm das linke Bild in die Hand. Vorsichtig strich ich über Vickys Gesicht. Sie schaute auf diesem, als wenn sie mich anlächelte.

 

Flashback:

 

Es war ein Foto aus dem Kurzurlaub, den wir gemacht hatten, bevor der Auftrag bei Rio anfing.

Wir waren mit Patty den Pazific Coast Highway entlang gefahren, stets den Strand im Blick, weiter zum Yosemitiy National Park. Dort hatten wir das Wochenende verbracht und gezeltet. Patty hatte so viel Spaß und das erkannte man an ihrem strahlenden Gesicht auf dem Bild.

All diese Erinnerungen kamen wieder in mir hoch, als wenn es gestern gewesen wäre.

Wir hatten auf dem Rückweg Halt gemacht, auf den Malibu Hills. Von dort hatte man einen wunderschönen Blick auf den Strand und einem atemberaubenden, romantischem Sonnenuntergang. Patty war mit Easy beschäftigt, der von der langen Fahrt Auslauf brauchte und ich hielt, direkt an den Klippen, meine Vicky fest im Arm. Zusammen betrachteten wir das rote Farbenspiel der untergehenden Sonne. Ich hatte sie von hinten umarmt. Da es ziemlich windig war dort oben, wurde mir kalt und ich wollte zum Auto, doch Vicky hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sie war so in ihren Gedanken versunken, dass sie erst nicht mitbekam, wie ich zurück zum Wagen gehen wollte, doch dann reagierte sie.

Vicky griff nach meiner Hand, zog mich in ihre Arme und küsste mich zärtlich.

Den restlichen nächsten Tag verbrachten wir am Strand und während wir verliebt im Sand lagen, betrachteten wir unsere Tochter beim Spielen. Es waren schöne Tage, unvergessliche Tage.

 

Flashback Ende

 

Ich merkte, wie mir die Tränen liefen, stellte das Bild zurück und leerte die Flasche in einem Zug. Mit dem Unterarm wischte ich mir die Feuchtigkeit aus den Augen und schmiss vor Wut die Flasche gegen die Wand. Diese zersprang in tausend Stücke, während ich nur den Kopf schütteln konnte. Warum musste mich dieses Schicksal ereilen? Warum hatte man mir die Familie genommen? Was hatte ich getan, dass gerade ich so leiden musste? Hätte es nicht mich treffen können, anstatt meine beiden Liebsten? Patty war noch so jung, sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich. Und Vicky? Vicky war so voller Freude und Liebe, sie hätte noch viel erleben können. Ich selbst war schon in so vielen gefährlichen Situationen, dass mein Schutzengel eigentlich hätte aufgeben müssen. Ich sah auf das Bild und ließ die Erinnerung immer wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen.

Ich blickte mich um und entdeckte Easy, der sich auf das Sofa gelegt hatte. Ich nahm mir eine Flasche Wodka, setzte mich zu ihm und streichelte ihm gedankenverloren übers Fell. So saßen wir zwei da, wie fast jeden Tag. Immer wieder das Warum in meinem Kopf!

Wäre ich doch schneller am Flughafen gewesen. Hätte ich ihr am Handy doch gleich gesagt, was passiert war. Hätte dieser Arzt Vicky nicht zu Jana gebracht. Hätte, hätte, hätte! Aber was änderte dies alles? Nichts, rein gar nichts! Vicky war in dieses verdammte Flugzeug gestiegen und mit ihm abgestürzt. Sie war nicht mehr hier, nicht mehr in meinem Leben! Sie war tot und das einzige, was mir blieb, war ein leeres Grab und die Gewissheit, dass sie und Patty irgendwo über dem Atlantik starben!

Teil 4

 

<eineinhalb Monate später>

 

<CJs Sichtweise>

 

Jeden Tag der gleiche Trott. Seit El sich zurückgezogen hatte, saß ich im Büro und übte mich in lästiger Schreibarbeit. Mal davon abgesehen, dass ich Ruhe vor Lydia hatte, bevor sie mich wieder zur Weißglut brachte. Lydia hatte es nämlich geschafft, ihre Aufgaben mittlerweile so gewissenhaft zu erfüllen, dass ich platzen könnte. Da hatte sie doch sämtliche Bleistifte bis zum Ansatz runtergespitzt, dass man diese nicht mehr gebrauchen konnte. Ein paar kleinere Botengänge, die sie für die Agentur machen sollte, endeten in verzweifelten Anrufen. Lydia hatte sich hoffnungslos verfahren und landete stets woanders. So konnten die dringend benötigten Unterlagen auch nie pünktlich ankommen. Momentan war sie auf einer Schulung, wo sie etwas über den Beruf eines Bodyguards lernen sollte.

Somit hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Lydia war aus meinem Umfeld verschwunden und nebenbei konnte sie den Ausbildern dort das Leben zur Hölle machen.

Ich kritzelte gerade gedankenlos in einer Akte rum, als das Telefon mich hochschrecken ließ „Ja, Frau Maljewski?“

„Guten Morgen Frau Klampf. Ich hab‘ ein Telefongespräch auf Leitung eins für sie.“

„Wer denn?“

„Ähm, naja….“

Frederike und stottern? Das konnte nur eins bedeuten. Ich seufzte lautstark in den Hörer und antwortete direkt, „Sagen Sie Bruce, ich bin unterwegs!“

Ich legte auf und vergrub meinen Kopf in den Händen. Da hatte man gedacht, man hätte das Problem Lydia gelöst und schon kam das nächste auf einen zu. El! Bestimmt hatte sie wieder Mist gebaut im betrunkenen Zustand und das jetzt schon das siebte Mal innerhalb eines Monats. Es wurde immer schlimmer mit ihr und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. An sie ran kam ich nicht, nicht mal Claire oder jemand anderes. Sogar Astrid war kurz zu Besuch hier und hatte probiert, mit El zu reden, aber das ging voll in die Hose. Ben hatte sie begleitet und irgendwie eskalierte die ganze Situation.

 

Flashback:

 

Ich war mit Astrid und Ben bei Els Hütte vorgefahren und wir wollten sie spontan besuchen. Gerade Astrid wollte wissen, wie es ihr ging und sie überraschen, nur konnten sie nicht ahnen, dass dies ein Fehler sein sollte. Erst klopfte ich an der Tür von Els Hütte und als niemand antwortete, öffnete ich sie und wir traten ein. Es traf mich wie ein Schlag als ich sah, wie es in der Hütte aussah. Überall lagen leere Flaschen von Wodka, Bier und anderen alkoholischen Getränken. Dazu noch einige Pizzaschachteln und Klamotten. In einer Ecke lagen Scherben und Easy zusammengekrümmt auf dem Sofa. Daneben eine schlafende El.

„Oh mein Gott, Ellen!“, hörte ich Astrid rufen, die inzwischen zu ihr geeilt war. El hatte sich erschrocken aufgesetzt und blickte uns entgeistert an.

„Was macht ihr hier?“, fragte sie verschlafen und blinzelte.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und Carola gebeten, uns hier her zu fahren“, antwortete ihr Astrid besorgt, die sich neben El gesetzt hatte.

„Ihr?“, fragte El nun irritiert und blickte zwischen Astrid und mir hin und her. Ich konnte ihre Alkoholfahne bis zur anderen Seite des Zimmers riechen und so voll wie der Aschenbecher aussah, hatte El ihre Lunge mächtig in Trab gehalten.

„Wo soll die Kiste hin?“, fragte in diesem Moment Ben, der mit einem Karton im Türrahmen erschien und sich ebenfalls geschockt umsah. Wir wussten ja, dass El sich etwas hängen ließ und hatten ihr einige Einkäufe mitgebracht. Als sie Ben sah, verfinsterte sich ihr Blick plötzlich und sie sprang vom Sofa.

„Was macht der hier?“, schrie sie auf einmal und deutete mit dem Finger auf Ben.

„Er ist mit mir hier. Er macht sich ebenfalls Sorgen um dich“, erklärte Astrid in ruhigem Ton, doch das schien El nicht zu interessieren. Sie ging langsam auf Ben zu, der inzwischen den Karton abgestellt hatte und funkelte ihn zornig an.

„Hau ab! Verschwinde!“, zischte sie ihn an.

„Ellen? Was hast du denn?“, fragte Ben, während El weiter auf ihn zuging: „Was ich habe? Das fragst du allen Ernstes noch? War es nicht dein verdammtes Flugzeug, in das Vicky gestiegen war? Wärst du nie nach LA geflogen, dann wären sie nicht in deinen verfluchten Jet gestiegen und wären dann auch nicht abgestürzt!“

El stand nun ganz dicht vor Ben, der sie überfordert ansah. Niemand hatte mit solch einer Reaktion gerechnet. Klar versucht man immer einen Schuldigen zu finden, doch was El da gerade gesagt hatte, war absolut nicht fair und so kannte ich sie auch nicht.

„Ellen, ich habe Vicky nie gesagt, sie soll in den Jet steigen. Außerdem gehörte der Jet nicht mir, sondern meinem Vater. Er hat ihn ihr angeboten. Ich wusste nichts davon. Erst, als ich sie gesehen habe im Terminal“, versuchte Ben die Situation zu erklären, aber El ließ dies kalt. Plötzlich schubste sie ihn aus der Tür.

„Du hättest Vicky aufhalten können! Du warst der letzte, der sie gesehen hat! Warum hast du sie nicht davon abgehalten? WARUM?“, schrie El nun lauter. Astrid und ich konnten gar nicht so schnell reagieren, wie sie ihn zur Tür hinausgeschubst hatte. Ben landete vor der Tür im Dreck und blickte mit einem Tränenschleier zu El, die ebenfalls Tränen der Wut in den Augen hatte. Astrid war zu ihm gelaufen und ich hielt El davon ab, weiter auf Ben loszugehen.

„Astrid, es ist besser, ihr fahrt wieder zurück in die Stadt“, sagte ich zu ihnen und Astrid nickte zustimmend. Dann half sie Ben hoch und sie gingen zum Wagen, während ich mich zu El drehte: „Meinst du nicht, dass du unfair zu Ben bist? Wie sollte er jemals ahnen, was damals alles passieren würde? Meinst du, er kann hellsehen? Und warum sollte er dann Vicky aufhalten?“

Sie sah mich entgeistert an und ich erkannte die blanke Wut in ihren leeren Augen. Dann stieß sie mich von sich weg und beförderte mich ebenfalls nach draußen.

„Verschwinde CJ….. Verschwindet alle! Ich will niemanden sehen und ich brauche keine Hilfe! Und schon gar nicht von Ben!“

Dann krachte die Tür der Hütte zu.

 

Flashback Ende

 

Astrid und Ben waren nach dem Vorfall zwei Tage später wieder abgereist. Über das Ereignis in Els Hütte hatten wir keinen Ton mehr fallen lassen. Ich wusste, dass es Ben schmerzte, hatte er mit Vicky seine beste Freundin verloren und ich konnte ungefähr erahnen, wie es ihm dabei ging. Ich hatte schließlich auch meine beste Freundin verloren oder fast verloren, denn El war nicht mehr sie selbst.

Seit diesem Zeitpunkt hatte Bruce nun schon neun Mal angerufen und neun Mal hatte ich El aus seiner Ausnüchterungszelle geholt. Jedes Mal war sie betrunken und hatte randaliert. Jedes Mal brachte ich sie zu ihrer Hütte und sie fuhr mich zornig an, dann fuhr ich resigniert wieder zur Agentur.

Aber was sollte ich machen? El einfach im Stich lassen? Die Hoffnung aufgeben, sie würde wieder die alte El werden? Nein, das konnte ich nicht und somit wollte ich mich mal wieder auf den Weg nach Calico machen, als das Telefon erneut klingelte.

Genervt hob ich ab, „Ja, was gibt es noch Frau Maljewski?“

„Telefongespräch aus Deutschland, auf Leitung zwei.“

„Okay.“

Ich hörte ein leises Knacken. Wenigstens aus Deutschland, somit brauchte ich mich nicht auf Englisch abmühen.

„Agentur Müller.“

„Guten Tag, ich hätte gerne Frau Müller in einer wichtigen Angelegenheit gesprochen.“

„Tut mir leid, aber Frau Müller ist zurzeit nicht zu sprechen, sie ist im Urlaub, aber vielleicht kann ich Ihnen helfen.“

„Ja, Sie könnten Ihr etwas ausrichten. Sie soll mich dringend zurückrufen. Es geht um einen Auftrag, der interessant für sie sein könnte.“

„Okay, und mit wem hab‘ ich das Vergnügen?“

„Halmer, Jens Halmer…“

Teil 5

 

Wo ich eben noch lässig am Schreibtisch saß, versteifte sich sofort mein ganzer Körper und ich riss erschrocken die Augen auf. Wie konnte dieser Mistkerl es wagen, hier anzurufen und gerade El sprechen wollen? Was wollte dieser Arsch?

„Was willst du von El?“, fragte ich ihn mit zorniger Stimme.

„Carola?“, kam die unsichere Gegenfrage, denn er musste mich nun erkannt haben.

„Ja genau, Carola, also? Ich höre?“

„Pass mal auf Carola, ich rufe nicht aus Spaß an und was ich von Ellen will, ist eine rein geschäftliche Sache.“

„Jetzt pass du gefälligst mal auf, du Mistkerl. Wenn du was von El willst, musst du erst an mir vorbei. Du hast ihr schon genug angetan und außerdem glaube ich nicht, dass sie mit dir reden wird, nachdem was mit Lydia war!“

„Carola, es ist wichtig, also bitte ich dich, Ellen auszurichten, mich anzurufen.“

„Wenn es so wichtig ist, dann sag mir, um was für einen Auftrag es sich handelt. El ist zurzeit nicht erreichbar und ich führe die Agentur.“

 

<Ellens Sichtweise>

 

Ich blinzelte mit den Augen und versuchte zu erkennen, wo ich mich befand. Es war hell, zu hell für meine Augen. Ich spürte wieder diese weiche Unterlage unter mir und bemerkte, dass ich meine Hände und Füße nicht bewegen konnte. Ich kniff fest die Augen zusammen und wieder blinzelte ich, um besser sehen zu können. Ich gewöhnte mich an die Helligkeit, doch sofort schmerzte mein Kopf tierisch und ich stöhnte auf. Wo war ich? Wie war ich hierhergekommen?

Ich überlegte angestrengt, was gestern passiert war. Ich war in einer Bar und hatte getrunken, viel getrunken. Dann diese Frau, sie war hübsch und ich hatte sie angesprochen. Wir redeten und tranken, bis so ein Typ aufgetaucht war. Er baggerte sie plump an und wollte mit ihr tanzen, doch sie wollte nicht. Ich griff ein und stellte mich zwischen die beiden und schon passierte alles ganz schnell. Ein Wort ergab das andere und alles endete in einer wilden Prügelei.

Er lag unter mir, während ich auf ihn einschlug. Dann weiß ich nichts mehr, keine Erinnerungen. Ich blickte langsam an mir runter. Wer hatte mir diesen weißen Kittel angezogen? Meine Hände? Warum waren sie an diese Liege gefesselt, genau wie meine Füße? War ich wieder in dieser Klinik? Panik machte sich in mir breit und mein Körper fing an zu zittern. Ich blickte nach rechts oben, entdeckte die Kamera und fühlte mich beobachtet. Ich schrie auf, wand mich auf dieser Liege, als plötzlich die Tür aufging und zwei Pfleger eintraten. Sie grinsten mich an. Angst erfüllte mich, was war hier los? Warum war ich wieder hier? Dann spürte ich, wie mein Ärmel hochgezogen, ein Gummiband drumgebunden wurde und ich verkrampfte. Panik, Angst, Verzweiflung, alles ging durch meinen Kopf und meinen ganzen Körper.

„Warum? Ich… ich… bin nicht… Jana!“, wisperte ich einem der Pfleger zu, doch er schüttelte nur grinsend den Kopf. Ich wand mich weiter, ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen die Fesseln an. Schnitt mir mit jeder Bewegung die Fesseln tiefer in die Haut und meine Fäuste waren schon ganz weiß, doch es half nichts. Ich war ihnen hilflos ausgeliefert, wieder einmal. Warum war ich wieder hier? Das konnte mir CJ doch nicht antun? Dann ging die Tür wieder auf und meine Beste kam herein. Ich blickte sie bittend an und CJ schaute besorgt zurück.

„Hilf mir CJ. Hilf mir bitte!“, flüsterte ich ihr verzweifelt zu und Tränen liefen mir über die Wange. CJ kam zu mir und strich mir behutsam über die Stirn.

„El… Ganz ruhig… Wir wissen doch, dass du nicht Jana bist“, sprach sie leise auf mich ein, doch ich konnte mich nicht beruhigen. Noch immer war das Gummiband um meinen Arm gebunden und einer der Pfleger zog eine Spritze auf.

„Lass es nicht zu, bitte. Lass nicht zu, dass dies passiert!“, wieder bettelte ich meine Beste an, doch sie strich nun über meine Schulter und versuchte mich weiter zu beruhigen. Ich warf meinen Kopf hektisch hin und her und CJ versuchte, ihn festzuhalten. Ich versuchte zu strampeln, als die Spritze in die Nähe meines Armes gebracht wurde. CJ hielt mich mit aller Kraft fest und ich blickte ihr in die Augen, verstand das alles nicht. Wieso war ich hier? Wieso half meine Beste dabei, dass man mich wieder quälte? Wurde ich nicht schon genug gequält? War dies mein Schicksal?

„El, du musst dich beruhigen!“, sagte CJ nochmal zu mir, aber es funktionierte nicht, mein Körper war angespannt und ich hatte das Gefühl, meine Muskeln würden reißen. Immer mehr Tränen liefen über meine Wangen.

Dann sah ich, wie einer dieser Pfleger lachend zu CJ nickte und sie sich von mir entfernte. Ich schüttelte ängstlich den Kopf und blickte erst zu meiner Besten, dann zu diesem Pfleger. Er bewegte seine Hand mit der Spritze zu meinen Arm und ich sah die Spritze langsam meiner Armbeuge immer näher kommen. Kurz darauf spürte ich einen kurzen Stich und ich schrie noch mal auf, ehe es dunkel um mich herum wurde.

„NEIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNN!“

Teil 6

 

<CJs Sichtweise>

 

Nach dem Telefonat mit Jens fuhr ich direkt nach Calico und schlenderte ins Sheriff Büro, wo mich Bruce schon erwartete.

„Moin, sag nichts“, begrüßte ich ihn und wiegelte gleich mit einer Handbewegung, jeglichen Kommentar von ihm ab. In einer weiteren, fließenden Bewegung zückte ich meine Kreditkarte und legte sie ihm auf den Tresen.

„Dir auch einen schönen guten Morgen“, antwortete er mir und schnappte sich die Karte. Ich wartete brav die Zahlungsformalitäten ab und wollte gerade die mir vorliegenden Formulare unterschreiben, da sah ich hinter ihm einen kleinen Monitor und erschrak. Es war ein Monitor, dessen Kamera in der Ausnüchterungszelle hing und diese überwachte.

Ich konnte in dem kleinen Fernseher eine Person erkennen, die sich auf der kläglichen Pritsche hektisch hin und her bewegte und es sah aus wie ein Anfall.

„Bruce, gib mir schnell den Schlüssel für die Zelle!“, schrie ich ihn an, doch er schaute mich nur verwirrt an. Dann folgte er meinem Blick zum Monitor und erkannte sofort die Lage. Hastig griff er nach einem großen, einzelnen Schlüssel an einem Band, sprintete hinterm Tresen hervor und rannte mit mir zusammen zur Ausnüchterungszelle. Kaum aufgeschlossen, sah ich das ganze Ausmaß. El lag auf der Pritsche, schweißgebadet, wand sich in alle Richtungen und schrie, „Warum? Ich… ich… bin nicht… Jana!“

Ich ging sofort zu ihr und versuchte, meine Beste zu beruhigen, aber El schrie weiter, „Hilf mir CJ Hilf mir bitte!“

Ich redete beruhigend auf sie ein, aber es nützte nichts. Sofort wandte ich mich zu Bruce, „Ruf einen Arzt, schnell!“, bat ich ihn. Er reagierte prompt und rannte zum Telefon. Ich kümmerte mich derweil weiter um El, die immer noch um sich schlug und was mir jetzt erst auffiel, sie hatte ihre Augen dabei weit geöffnet. Ihre Augen waren so voller Panik und Angst, dass es mir kalt den Rücken runterlief. Ich bekam es jetzt ebenfalls mit der Angst zu tun, wusste ich ja nicht, was mit ihr los war. Es kam mir endlos lange vor, bis endlich Bruce mit einem Arzt und einem Sanitäter in die Zelle zurückkam. Ohne weitere Untersuchungen schien der Arzt zu wissen, was los war, öffnete seinen Koffer und fummelte an irgendwas herum. Ein kurzes Nicken zum Sanitäter, dieser krempelte den Ärmel meiner Besten hoch und legte ein Gummiband darum. Bruce und ich versuchten weiterhin, El festzuhalten und zu beruhigen, aber vergebens. Ich redete immer wieder auf sie ein, aber sie schien mich nicht zu hören oder zu verstehen. Erst als der Arzt ihr eine Spritze gab und sie ein letztes Mal aufschrie, erschlaffte ihr Körper.

Ich strich ihr besorgt einige Strähnen aus dem Gesicht und wandte mich dann an Bruce.

„Was hat sie? Was ist mit ihr?“, fragte ich ihn verzweifelt und Bruce fragte den Arzt daraufhin. War sein Englisch ja besser als meins und ich konnte nur auf die übersetzte Antwort warten: „CJ, sie hatte einen Anfall und ist im Delirium. Wahrscheinlich hervor gerufen von dem übermäßigen Alkoholkonsum, dazu noch jede Menge an Nikotin, der Stress der letzten Zeit und sie scheint eine Panikattacke gehabt zu haben. Sie muss irgendeine schlimme Erinnerung gehabt haben und dann kann so was schon mal passieren. Er hat ihr jetzt ein Beruhigungsmittel gespritzt und sie muss mit ins Krankenhaus. Dort wird sie weiter untersucht und man kann dann mehr sagen.“

Ich blickte wieder zu meiner Besten und ließ das gehörte sacken. Klar hatte sie eine schwere Zeit und natürlich hatte sie schlimme Erfahrungen gemacht, aber welche davon es genau war, konnte nur El beantworten. Der Sanitäter kam mit der Bahre in die Zelle und meine Beste wurde behutsam dort drauf gelegt.

Ich fuhr hinter dem Krankenwagen her und kramte derweil zitternd, vor Sorge, mein Handy aus der Tasche, um mir Hilfe für die Übersetzung in der Klinik zu holen.

 

Ich wartete nun schon eine geschlagene Stunde vor diesem dämlichen Untersuchungszimmer im Krankenhaus. Ich hatte keine Ahnung, wie es El ging, außerdem hätte ich eh keinen verstanden. Frederike hatte mir versichert, einen Übersetzer zu besorgen, aber der war noch nicht eingetroffen. Jedes Mal, wenn diese blöde Tür vom Zimmer aufging, zuckte ich kurz zusammen und schreckte hoch, doch immer wieder falscher Alarm. Langsam wurde ich nervös und tippte ungeduldig mit meinen Füßen auf den Boden.

Dann endlich hörte ich meinen Namen, aber wie?!

„Misses Krampf?“

„Yes, ähm Klampf“, verbesserte ich den Mann im weißen Kittel und wäre die Situation nicht sowieso schon ernst gewesen, hätte ich ihm für seine neue Namensgebung mir gegenüber schon längst die Nase gebrochen.

„My name is Doctor Prettin.”

„What is with Ellen?”, fuhr ich ihm direkt über den Mund. Was interessierte mich sein Name?

„Misses Miller…”

„Müller!”

Okay, gleich hat der Typ es hinter sich und kann sich selber verarzten.

„Okay, Müller. She had a panic attack, and alcohol poisoning!”

„What?”

Super Carola, mal wieder nichts verstanden, kann der nicht langsam reden?

(*)As the single panic attack sudden and usually continued only a few minutes occurrence of physical and mental alarm response without objective external event is called. And Alcohol intoxication is a poisoning of the human body by ethyl alcohol, which impairs awareness and other bodily functions difficult…”

„STOPPPPPPP!”, schrie ich ihn an. Spinnt der Idiot? Nicht nur, dass die Ärzte in Deutschland schon Kauderwelsch sprechen und das in ihrer eigenen Sprache, nein. Hier sind die auch so und dazu noch in keiner lebendigen Sprache! Der Doktor verstummte sofort und blickte mich irritiert an.

„Misses Krampf…“

„Boah!!!! Jetzt ist der Vollhorst dran. Der hat doch ein Ei am Wandern?!“

Ich war jetzt richtig wütend. Wie konnte dieser Depp meinen Namen so verunstalten? Und so was hat studiert? Wenn das jemand mitbekommen würde, dass er meinen Nachnamen so ausspricht, dann… Ich schüttelte meinen Kopf und wollte an ihm vorbei zu El, als hinter mir jemand lachte: „KRAMPF, ich kann nimmer!“

 

 

(*)Als Panikattacke wird das einzelne plötzliche und in der Regel nur einige Minuten anhaltende Auftreten einer körperlichen und psychischen Alarmreaktion ohne objektiven äußeren Anlass bezeichnet. Und die Alkoholvergiftung ist eine Vergiftung des menschlichen Körpers durch Ethylalkohol , welche das Bewusstsein und andere Körperfunktionen schwer beeinträchtigt…..

 

Teil 7

 

Ich hielt inne und mein Körper spannte sich aufs Höchste an. Das war mein persönlicher Untergang und ich meine es, wie ich es sage. Die Titanic wäre in diesem Moment gar nichts gegen mich, denn ich hatte nicht mal die Chance auf ein Rettungsboot. Das Lachen dieser Person hallte in meinen Ohren wie das Echo in einer Höhle.

Langsam drehte ich mich zu diesem Lachen und dachte mir nur so nebenbei, dass Frederike dafür büßen würde, mir niemand anderen als Lydia zum Übersetzen zu schicken.

„Ist jetzt gut?“, fragte ich sie zornig und Lydia versuchte sich zu beruhigen, aber ihre Nasenflügel zitterten verdächtigt und sie nickte.

„Gut, dann tu mir und dir einen Gefallen, sprich mit dem Arzt darüber, was Ellen fehlt. Ich geh‘ inzwischen zu ihr“, gab ich Lydia die Anweisung und sie nickte abermals, doch ihre Mundwinkel zuckten auf und ab. Dann wandte sie sich dem Arzt zu und ich ging in Els Zimmer. Leise trat ich ein und sah meine Beste im Bett friedlich schlafen. Sie hatte eine Kanüle im Arm, an der ein Tropf hing und an ihrer Nase einen Schlauch, der ihr zusätzlich Sauerstoff gab. Ich nahm mir einen Stuhl, setzte mich zu El, stützte meine Ellenbogen auf das Bett und faltete meine Hände.

„Was machst du nur für einen Scheiß?“, flüsterte ich ihr zu und sah sie einfach nur an.

 

<Ellens Sichtweise>

 

Ich erwachte und als ich die Augen öffnete, erkannte ich, dass ich am Strand lag. Es war warm und Vögel zwitscherten. Ich richtete mich etwas auf und vor mir erstreckte sich der große Ozean mit mächtigen Wellen und am Horizont ging langsam die Sonne auf. Es war ein herrliches Schauspiel. Wo Vicky jetzt wohl war? Ob sie ein Engel war? Kurz ging mein Blick zum Himmel, wo noch vereinzelte Sterne aufleuchteten und sich gegen den Tag wehrten.

Ich richtete mich weiter auf und betrachtete einige Zeit das Wasser und den Sonnenaufgang und dachte dabei an Vicky, als ich plötzlich ihre Stimme hörte: „Schau nur hin und du fühlst, immer werde ich bei dir sein!“

Ich sah mich erschrocken um, aber fand sie nicht.

„Vicky?“

Ich rief sie, aber es kam keine Antwort.

Enttäuscht setzte ich mich in den Sand und dachte, dass meine Sinne sich getäuscht hatten. Verträumt blickte ich wieder aufs Wasser, dann wieder ihre Stimme. Doch dieses Mal sagte sie nichts, sondern sie sang. Ich hätte ihre Stimme aus tausenden wiedererkannt, so sinnlich, so sanft.

Ihre Stimme verstummte und ich bemerkte, wie mir eine vereinzelte Träne über die Wange lief, doch ich lächelte. Ich war mir jetzt sicher, dass Vicky immer bei mir sein würde, auch wenn sie nicht leibhaftig hier war. Vicky würde immer in meinem Herzen sein und dort weiterleben. Ich ließ mich mit einem Lächeln in den Sand zurückfallen und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Wieder ging mein Blick in den Himmel und suchte absurderweise nach meinem Engel, doch dann schloss ich die Augen und schlief glücklich ein.

 

<CJs Sichtweise>

 

Meinen Blick starr auf El gerichtet bemerkte ich, wie ihre Augenlider anfingen zu flackern. Ich wusste, dass El jeden Moment aufwachen würde, doch wusste ich nicht, was mich erwartete.

Ganz langsam erwachte sie und blickte sich mit halb geöffneten Augen um, bis ihr Blick auf mich traf: „Hey du Saufkopp. Wie geht’s der Kugel einen halben Meter über deinem Arsch?“

Ich lächelte sie an in der Hoffnung, die ganze Situation damit etwas aufzulockern, doch dies war wohl nicht im Sinne meiner Besten, denn ihr Blick war weiterhin leer.

„CJ, bitte keine Scherze. Wo bin ich eigentlich?“, fragte sie mich, setzte sich leicht auf und blickte sich nun mit komplett geöffneten Augen um.

„Du bist im Krankenhaus. Hattest wohl ein bisschen viel letzte Nacht“, antwortete ich ihr und bei der Erwähnung des Wortes Krankenhaus schnellte ihr Kopf direkt zu mir: „Krankenhaus? Wie bin ich hierhergekommen? Was ist denn passiert?“

Ich wusste ja, wie El auf Krankenhäuser mittlerweile reagierte, besonders nach den Vorfällen in dieser Psychoklinik, doch was sollte ich tun? Ich hatte keine andere Wahl. Meinen besten Hundeblick aufgesetzt versuchte ich, mich zu erklären: „Ähm, also… Eigentlich war ich es, die dafür gesorgt hat, dass du hierher kamst. Du hattest so eine Art Anfall und da blieb mir keine andere Wahl. Und was jetzt genau mit dir los ist… Ähm, weiß ich auch noch nicht.“

Ich versuchte mein Bestes, doch ihr Blick verfinsterte sich erheblich. Jeden Moment würde die Atombombe platzen, so wie sie aussah.

„Du? Du hast mich hierher gebracht? Obwohl du genau wusstest, dass ich nicht…“

„Moment mal. Ich hab‘ dich nicht hierher gebracht. Ich hab‘ lediglich dafür gesorgt, dass ein Arzt dir hilft, nachdem du fast die gesamte Zelle zu Kleinholz verarbeitet hattest. Also mal ganz geschmeidig bleiben“, fuhr ich ihr über den Mund, da sie mittlerweile angefangen hatte, mich anzuschreien. Es schien zu helfen, denn El beruhigte sich ein wenig.

„Wann darf ich hier raus?“, fragte El nun etwas leiser und ich wollte ihr gerade antworten, als jemand anderes diesen Job übernahm: „Ich denke, so schnell wird das nichts.“

Teil 8

 

Sagte Lydia, die ins Zimmer getreten war, ohne, dass wir es bemerkten und somit war die nächste Krise im Anmarsch. Ich konnte es förmlich an Els Gesichtsausdruck sehen, nachdem Lydia den Satz in den Raum schmiss.

„Was soll das heißen? Ich kann doch wohl selbst entscheiden, wann ich das Krankenhaus verlassen kann und wann nicht?“, war Els aufgebrachte Antwort und dabei fummelte sie sich an der Kanüle, die in ihrem Arm steckte, rum. Ich hielt sie sofort davon ab, diese herauszuziehen, indem ich ihre Hand festhielt: „Jetzt warte doch erst mal ab, was Lydia vom Arzt erfahren hat.“

„Das ist mir schnurzegal. Ich will hier raus.“

El versuchte, ihre Hand aus meiner zu befreien, doch ich griff fester zu und sah sie eindringlich an.

„EL! Ich kann auch anders!“, drohte ich ihr und sie wusste, ich würde ernst machen, wenn es sein müsste. Sie ließ von der Kanüle ab und sank zurück ins Bett. Ich war fürs erste zufrieden, obwohl mir bewusst war, dass sich meine Beste noch längst nicht beruhigt hatte und so wand ich mich nun an Lydia: „Was hat der Arzt gesagt?“

„Tja, so wie ich den verstanden habe, was schon ziemlich schwierig war, da Ärzte immer erst um den heißen Brei reden müssen, hat El wohl eine Art Panikattacke gehabt und das in Verbindung mit dem übermäßigen Alkohol in letzter Zeit ergibt eine brisante Mischung.“

„Ich hab‘ was? Spinnt der Quacksalber?“

Wieder setzte sich El im Bett auf, doch ich reagierte schnell und drückte sie zurück: „Das soll nun was heißen, Lydia?“

„Na ganz einfach. Ellen muss sich schonen. Heißt, kein Alkohol mehr, brav hier bleiben und ähm… Therapie!“

„THERAPIE!“, und wieder die wütende Reaktion meiner Besten, doch diesmal setzte sie sich nicht nur auf, sondern sprang förmlich aus dem Bett. Dabei riss sie sich nun endgültig die Kanüle aus dem Arm, woraufhin auch schon das Blut herausquoll. El hatte einen solchen Schwung drauf, dass sie, als sie kaum stand, auch schon gefährlich schwankte und zu Boden fiel. Da schien der Kreislauf doch noch nicht ganz in Schwung gekommen zu sein. Sofort ging ich zu ihr und half ihr wieder aufs Bett, während das Blut aus ihrer Hand zu Boden tropfte.

„El, bitte. Wir wollen alle nur dein Bestes“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch kaum lag sie wieder auf dem Bett, wollte sie auch schon wieder aufspringen.

„CJ, lass mich. Ich will weder hier bleiben, noch mache ich irgendeine Therapie bei so einem Typen auf der Liege“, schrie sie mich an. Ich dachte mir schon, dass El bei dem Thema Therapie so ausrasten würde, doch war es wohl das Beste für sie.

„Du musst doch auf keine Liege. Das ist doch nur ein Klischee. Die haben inzwischen nette, bequeme Sofas.“

„Danke Lydia, du bist echt hilfreich. Könntest du uns und dir einen Gefallen tun und bitte die Klappe halten? Such lieber mal eine Krankenschwester, damit sie Els Hand verbinden kann“, schnauzte ich Lydia an, da ihre Bemerkungen mal wieder absolut unangebracht waren und zeigte dabei auf die immer noch blutende Hand meiner Besten. Lydia schwirrte ab und ich drehte mich wieder zu El, die sich unter meinen Händen stets versuchte herauszuwinden, doch war es ihr nicht möglich, da sie noch relativ schwach war. Zu meinem Glück!

„Lass mich endlich los, CJ! Ich werde nicht hier bleiben!“

„El, versteh doch endlich, dass es besser für dich ist. Lauf nicht wieder davon und schluck alles mit Alkohol runter.“

„Ich renne weder weg, noch hab‘ ich ein Alkoholproblem.“

„Doch, du rennst weg. Du schluckst die Trauer runter mit Alk. Mal davon abgesehen, dass du dann aggressiv reagierst und ich dich ständig aus der Scheiße holen muss.“

„Es hat keiner von dir verlangt, mich ständig aus der Scheiße zu holen. Ich hab‘ dir schon mal gesagt, ich brauche keinen Babysitter!“

„Nein, den brauchst du nicht, aber sieh dich doch mal an? Du trinkst, du prügelst dich rum und stößt alle vor den Kopf, die dir helfen wollen. Sogar deine Freunden! Meinst du, Vicky hätte das gewollt und wäre jetzt stolz auf dich? Meinst du, deine Schwester hat sich für dich geopfert, damit du so wirst wie sie?“

Wir wurden beide immer lauter und eigentlich wollte ich das Letzte nicht sagen, doch El hatte mich so auf die Palme gebracht, da rutschten mir die Worte nur so aus dem Mund. Im selben Moment, wie ich dies sagte, tat es mir auch schon wieder leid, da ich nun in das entsetzte Gesicht meiner Besten blickte und dort Tränen sah: „Es… es tut mir leid El, das habe ich so nicht…“

„Geh bitte…“, wisperte El traurig und drehte mir den Rücken zu. Meine Worte hatten sie hart getroffen und ich legte eine Hand auf ihre Schulter: „Es tut mir wirklich leid. Ich wollte dich nicht mit deiner Schwester vergleichen.“

„Bitte Carola, geh.“

Ich merkte, dass ich jetzt nicht mehr weiter kam. Noch nie hatte mich meine Beste Carola genannt, außer sie war sauer, aber dann nannte sie mich beim vollen Vornamen, aber nur Carola?! Ich löste meine Hand von ihrer Schulter und trat vom Bett. In diesem Moment kam die Schwester und bat mich aus dem Zimmer.

 

Ich stand im Flur, ließ mich an der Wand zu Boden gleiten und vergrub meinen Kopf in meinen Händen. Das hatte ich nicht gewollt und doch hatte ich El verletzt. Ich war mir nicht sicher, was meine Worte bei ihr ausgelöst hatten, aber ich hoffte, dass sie mir verzeihen würde. Plötzlich stand Lydia vor mir und nervte: „Ellen und Therapie, das ist ja wie eine Balletttänzerin beim Schlammcatchen. Aber da fällt mir ein Witz ein, kommt eine Frau zum Psychiater und sagt, ich bin so traurig, weil mich jeder übersieht! Da sagt der Psychiater, der nächste bitte! Ist der nicht geil?“

Ich stand ganz langsam auf und blickte bedrohlich zu der rothaarigen Hexe vor mir: „Lydia, in dir wird gleich was Gutes stecken und zwar das nächste Skalpell, was ich hier finde!“

Lydias Lachen verstummte sofort und sie wollte gerade zum Konter ansetzen, als es in Els Zimmer hektisch wurde.

Teil 9

 

Gebannt verfolgten wir das Treiben vor Els Zimmer. Krankenschwestern, die immer hektisch rein und raus liefen, sowie der Arzt, der herbeieilte und ebenfalls im Zimmer verschwand. Eigentlich wollte ich sofort wissen, was los war und hätte mich am liebsten mit ins Zimmer gequetscht, aber eine innere Stimme sagte mir, ich würde nur im Weg stehen. Minuten verstrichen und es kam mir so vor, als würden es schon Stunden sein. Dann endlich kehrte Ruhe ein und der Arzt kam auf mich zu, wandte sich aber an Lydia. Kurz erklärte er, was passierte war, wovon ich natürlich nichts verstand, er nickte noch kurz in meine Richtung und verschwand.

„Lydia, was ist passiert? Was hat er gesagt?“, fragte ich sofort den Rotschopf, den ich vor wenigen Minuten noch umbringen wollte und jetzt doch froh war, sie dabei zu haben.

„Ellen hatte wieder eine Panikattacke, nur diesmal schlimmer als der vorherige. Scheinbar ausgelöst durch die Krankenschwester. Sie wollte Ellen eine neue Kanüle legen und da ging das Theater auch schon los. Sie haben ihr ein weiteres Beruhigungsmittel gegeben und sie schläft jetzt.“

Lydia beendete ihren Vortrag und ich musste erst mal schlucken. Was war nur mit meiner Besten passiert? So kannte ich El nicht und hoffte nur, dass sie bald wieder die alte werden würde. Ich war fest entschlossen, El zu helfen, nur wie? Dann kam mir die Idee, der neue Auftrag! Vielleicht würde das El auf andere Gedanken bringen und ihr eine neue Aufgabe in ihrem Leben geben. Nur erst mal müsste sie wieder gesund werden und das schwierigste war, sie davon zu überzeugen, mit zu kommen.

 

<zwei Wochen später>

 

Ich hatte noch öfters mit Jens telefoniert, um einige Details über den Auftrag zu klären. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass er zwar nicht direkt mit El sprechen konnte, aber dass ich mich derweilen um alles kümmerte. Dass El im Krankenhaus lag, verschwieg ich ihm. Es musste ja nicht jeder wissen, was mit meiner Besten war und schon gar nicht Jens.

 

Ich saß im Büro und erledigte noch einige Sachen, um später El im Krankenhaus zu besuchen. Meine Beste lag jetzt schon zwei Wochen dort. Sie hatte immer mal wieder diese Panikattacken, was einerseits an dem Erlebten lag, aber andererseits auch etwas am Entzug. Sie bekam im Krankenhaus keinen Alkohol, was ihr ziemlich zusetzte, aber sie kämpfte. Das sah ich jedes Mal, wenn ich sie besuchte. El versuchte, stark zu sein, doch ich konnte hinter ihre Fassade blicken. Dort herrschte immer noch Trauer und Wut zugleich, doch sie wollte so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus. Was die Therapie anging, davon ließ sie sich aber nicht überzeugen.

Aber war dies nicht erst mal egal? Ich meine, es war doch schon ein Fortschritt, wenn diese Attacken aufhörten und El sich wieder lebendig fühlte. Ganz in Gedanken versunken, dachte ich an früher. An die Schulzeit mit El, immer wenn eine von uns Kummer hatte, egal in welcher Hinsicht, waren wir füreinander da. Wir waren dann immer zusammen in die Aula gegangen, hatten uns mit Liedern wieder aufgebaut und konnten am Ende sogar lachen.

 

Plötzlich klopfte es an der Tür und Frederike trat ein und riss mich damit aus meinen Gedanken.

„Frau Klampf, wie viel Flugtickets soll ich denn jetzt buchen?“, fragte sie mich und ich grübelte. Hatte ich El noch nichts vom neuen Auftrag erzählt, geschweige denn, dass dieser von Jens kam und dass wir dafür nach Europa fliegen würden. Doch war ich fest entschlossen, meine Beste mitzunehmen und ihr immer beizustehen. Nur wer sollte noch mit? Bo war im wohlverdienten Urlaub und Thorsten und Ralf hatten einen kleineren Auftrag zu erledigen, der noch nicht beendet war. Für den neuen Auftrag brauchte ich aber dringend noch jemand, da ich mir nicht sicher war, ob ich auf El zählen konnte, also was blieb mir übrig? Die Frage war ja auch, bekam ich El dazu, mir zu helfen und wenn, stieg sie in ein Flugzeug? Ich seufzte vor mich hin und deutete Frederike mit meinem Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger eine drei!

„Okay, und auf welche Namen?“

„Klampf, Müller und…“

Teil 10

 

Weiter kam ich nicht, als die Tür zum Büro aufgestoßen wurde und eine sichtlich wütende Lydia hereinstürmte.

„Carola! Ich bringe ihn um! Das gibt es nicht! Dieser verdammte kleine Giftzwerg!“, wetterte Lydia, schrie durch das ganze Büro und hielt in einer Hand einen Gegenstand, der wohl mal ein Schuh gewesen sein sollte.

„Ähm, was gibt’s denn?“, fragte ich ruhig und schmunzelte, da ich mir schon denken konnte, was passiert war. Frederike war ebenfalls leicht amüsiert über den Auftritt der Rothaarigen.

„Das ist!“, dabei hielt sie mir den Schuh ähnlichen Gegenstand vor die Nase und ihr Gesicht war rot vor Zorn. Ich musste mir mit meiner Hand, indem ich sie vor meinen Mund hielt, ein Lachen unterdrücken, während Frederike die Augenbrauen hochzog und Lydia anstarrte.

„Und was soll das sein?“, fragte ich nochmals und deutete auf ihre Hand, doch damit hatte ich Lydia komplett zur Weißglut gebracht.

„Was das sein soll? Ich glaub‘ es nicht! Dass sind oder eher waren meine teuren Manolo Blahnik Schuhe. Die haben mich vierhundert Dollar das Paar gekostet und jetzt? Sieh sie dir an, kaputt! Einfach kaputt gebissen von diesem Ungeheuer!“

Wieder fuchtelte sie mir mit dem kaputt gebissenen Schuh unter der Nase rum und ich kämpfte mit meinem Lachen. Von dem teuren Schuh war aber auch wirklich nicht mehr viel zu erkennen, da hatte Easy ganze Arbeit geleistet. Da El zurzeit im Krankenhaus war, hatte ich Lydia gebeten, auf Easy aufzupassen, aber dass der Hund auf meiner Wellenlänge lag, konnte ich ja nicht ahnen. Memo an mich, großen Knochen für Easy besorgen und mich bei ihm bedanken.

„Das ist nicht zum Lachen, Carola. Entweder du holst diesen blöden verflohten Giftzwerg sofort bei mir ab oder ich setze ihn an der nächsten Raststätte aus, bevor er sich noch an anderen Dingen von mir vergreift! Letzte Woche war es ein teurer Tanga und jetzt meine Schuhe. Ich hab‘ echt keinen Bock darauf, dass ich jeden Tag Angst haben muss, dass er sich irgendwann an meinen teuren BHs verbeißt“, schrie sie mich an und wollte gerade wieder gehen, als ich sie aufhielt.

„Würdest du dir Schuhe kaufen, wenn du keine Füße hättest?“, fragte ich sie und Lydia blickte mich verdattert an.

„Nein, natürlich nicht! Wieso fragst du?“

„Warum hast du dann einen BH?“

Ich grinste sie überlegen an, während Frederike nun los prustete und Lydia hochrot keinen Ton mehr von sich gab.

„Ähm Frau Klampf, wie lautete nun der dritte Name für die Buchung?“, räusperte sich Frederike nun und besann sich wieder auf ihr eigentliches Anliegen.

Ich schaute zu ihr, deutete mit einer kleinen Kopfbewegung zu Lydia und Frederike verstand.

„Okay, also Klampf, Müller und Horsch! Na das kann ja nur eine Katastrophe geben!“

Frederike verdrehte bei ihrer Aussage die Augen und als Lydia ihren Namen hörte, zuckte sie kurz und starrte mich irritiert an: „Was für eine Buchung? Mit Ellen? Wohin?“, fragte sie völlig erstaunt, doch ich setzte mich ganz lässig an den Schreibtisch und ohne sie anzuschauen, antwortete ich ihr, „Das wirst du noch früh genug erfahren, jedenfalls ist es die Lösung deines Problems mit Easy und jetzt darfst du gehen. Und Frau Maljewski, sie wissen doch, auch Naturkatastrophen stehen unter Naturschutz!“

Dabei machte ich beiden mit einer Handbewegung Richtung Tür klar, dass sie verschwinden sollten.

 

Am späten Nachmittag ging ich ins Krankenhaus, um El zu besuchen. Ihr Gesundheitszustand wurde von Tag zu Tag besser, doch ihre Sturheit, was die Therapie anging, war immer noch da, sowie auch die Wunden auf ihrer Seele. Obwohl sie versuchte, es so gut es ging zu verbergen, ich kannte sie und sah es ihr an.

Ich klopfte an ihre Tür und trat auch sogleich ein. El saß auf ihrem Bett und blickte starr aus dem Fenster.

„Hi Große, wie geht’s?“, begrüßte ich sie und ging zu ihr, doch El starrte weiter aus dem Fenster.

„Wie soll es mir schon gehen?“, antwortete sie mir fast schon flüsternd, ohne mich anzuschauen. Ja, die Wunden auf der Seele waren und werden wahrscheinlich nie heilen.

„Sorry, doofe Frage. Gehen wir einen Kaffee trinken?“, fragte ich vorsichtig, um El auf andere Gedanken zu bringen und es wurde auch langsam Zeit, ihr von dem neuen Auftrag zu erzählen.

„Weißt du CJ, ich flirte seit zwei Wochen mit dem Krankenhausbett, spreche mit dem Fernseher und frühstücke mit dem Telefon auf dem Tisch. Bevor ich noch ein Verhältnis mit der Bettpfanne anfange, ertrage ich es lieber, mit dir einen Kaffee trinken zu gehen“, antwortete sie mir, stand auf, ging zur Tür und deutete mir, endlich mit ihr zur Kantine zu gehen. Ja, mit Koffein war El schon immer zu ködern. Mit einem kleinen, zufriedenen Lächeln folgte ich ihr und zusammen mit zwei Becher Kaffee vor der Nase setzten wir uns an einen kleinen Tisch in die Kantine.

„Wie läuft‘s so hier im Krankenhaus?“, fragte ich meine Beste belanglos, da ich einfach mal anfangen wollte, die Konversation zu starten.

„Wie soll es denn laufen? Der Arzt meinte, ich darf wahrscheinlich übermorgen schon raus.“

„Oh, übermorgen schon? Das ist ja cool. Und wie sieht‘s sonst so aus?“

„Was soll wie aussehen?“

„Na allgemein, sind ja schon hübsche Schwestern hier.“

„CJ, mich interessieren die Schwestern nicht.“

„Klar, deswegen hat dich die eine eben so angezwinkert. Erzähl mir nichts, also?“

„Nichts CJ, absolut nichts. Kein Interesse! Also hör auf.“

„Okay, zurück mit dir in die Abstinenz!“

„CJ… Das hat nichts mit Abstinenz zu tun, okay? Ich hab‘ einfach kein Interesse!“

„Verstehe. Ist ja auch nicht gerade toll, wenn du dich mal wieder mit einer Frau verabredest und dann nur eine kommt!“

Wir beide schmunzelten uns an bei meiner zweideutigen Aussage und ich erkannte in der Frau vor mir ein klein bisschen von der alten El wieder, was mich erfreute. Wie lange hatten wir schon nicht mehr so geschäkert und uns über Frauen ausgelassen. Ich war zwar immer noch vorsichtig und bedachte genau, was ich sagte, aber langsam ging es aufwärts. Wir unterhielten uns noch etwas über die Schwestern hier und auch über einige Ärzte, die ich meiner Meinung nach nicht von der Bettkante stoßen würde, doch da hätte Rio definitiv was dagegen.

„Du El, es gibt da noch etwas, das ich dir erzählen muss.“

Ich wurde ernst und blickte meine Beste an, die mich genau musterte.

„Wenn es mit der Agentur zu tun hat, will ich es nicht wissen. Klär es mit Frederike, ich bin raus!“

„El, hör dir doch erst mal an, was ich zu sagen hab‘.“

El atmete sichtlich tief aus, starrte ihren Becher an und nickte leicht.

„Okay, also. Es geht um einen neuen Auftrag. Ich hab‘ einen Anruf bekommen und der Auftraggeber bestand darauf, dass du dabei bist.“

„CJ, nochmal langsam für dich! Ich bin raus! Kein Interesse! Verstanden?“

„Du weißt aber schon, dass wir auf diesen Auftrag angewiesen sind? Wir brauchen das Geld, da es finanziell nicht gerade rosig aussieht. Denk doch bitte einmal an die anderen!“

„Ich soll an die anderen denken? Warum? Sind doch alle glücklich! Und du wirst diesen Auftrag auch ohne mich durchziehen können.“

„Öhm, nein. Sie wollen dich und ich hab‘… Ähm… ja… Also…“

„Was?“

Wie erwartet wurde El nun aufbrausend.

„Ich hab‘ denen schon zugesagt!“, nuschelte ich vor mich hin und traute mich nicht, in Els Gesicht zu blicken, denn jetzt würde es ein riesen Donnerwetter geben.

„Du hast was? Du kannst doch nicht einfach hinter meinem Rücken zusagen, wenn du genau weißt, dass ich das nicht machen werde! Ich dachte, gerade du verstehst mich?“

„Ich verstehe dich auch, aber es wird langsam Zeit, dass du wieder die alte wirst. Du fehlst mir El, meine Beste fehlt mir, verstehst du das?“

Meine Antwort war schon eher ein Flehen und ich traute mich jetzt auch, in Els Gesicht zu blicken. Ich sah, dass sie mit sich kämpfte und dass meine Worte sie zum Grübeln brachten, doch wieder schüttelte sie nur ihren Kopf: „Tut mir leid CJ, ich kann nicht.“

El ließ ihren Kopf sinken.

„Okay, ich mach‘ dir einen Vorschlag. Keine Therapie, dafür kommst du mit. Du brauchst auch nicht viel machen bei dem Auftrag. Ich kümmere mich um alles. Du musst nur anwesend sein.“

Jetzt blickte El auf und starrte mich entgeistert an.

„Keine Therapie?“, fragte sie und ich nickte, während meine Mundwinkel leicht nach oben gingen.

„Ich muss nichts machen?“, wieder ein Nicken meinerseits und auch ihre Mundwinkel gingen nach oben.

„Und ich hab‘ mit der ganzen Sache nichts am Hut und du benutzt nur meinen Namen?“, ein erneutes Nicken von mir und schon hatte ich meine Beste im Sack.

„Okay, ich bin dabei. Wann geht’s los, wohin und wer kommt noch mit?“

Sie reichte mir ihre Hand und ich schlug drauf ein.

„In drei Tagen. Wohin und mit wem… also… naja…“

Teil 11

 

<Ellens Sichtweise>

 

Ich hatte es endlich geschafft, heute konnte ich dieses Krankenhaus verlassen. Lang genug lag ich hier, musste mich schonen und unangenehme Behandlungen über mich ergehen lassen. Ich wusste, ich hatte mich in letzter Zeit nicht gerade fair gegenüber CJ und meinen Freunden verhalten, doch ich konnte nicht aus meiner Haut. Im Nachhinein tat mir Ben am meisten leid. Es war unfair, ihm die Schuld an Vickys Tod zu geben, hatte er doch auch seine beste Freundin verloren. Zwar war ich dabei, immer mehr in meiner Trauer zu versinken, aber CJ hatte Recht, vielleicht würde mir ein Tapetenwechsel gut tun und ich sagte ihr zu, sie bei dem neuen Auftrag zu begleiten. Ich hätte ja selber nicht viel damit zu tun, was auch gut war, aber dafür war es eine willkommene Abwechslung und ich entkam der Therapie.

 

Jetzt saß ich hier, die Tasche gepackt, fertig angezogen auf meinem Bett und wartete auf meine Beste, die mich abholen wollte. Ich wollte nicht länger warten und begab mich nach draußen vor die Tür. Die Tasche geschultert, stand ich vor dem Krankenhaus und setzte mich auf eine Bank. Trotz der Zeit im Krankenhaus hielt ich dem Druck, das Rauchen aufzugeben, nicht stand und da ich eh warten musste, zündete ich mir erst mal eine Kippe an. Ich zog genüsslich an dem Glimmstängel und suchte in meiner Tasche nach etwas Trinkbarem. Schnell

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.12.2016
ISBN: 978-3-7396-8960-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich danke allen, die mir Motivation zum Schreiben gegeben haben. Danke Silberrücken. Und besonderen Dank an meine Ehefrau, die als Lektor herhalten musste.

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