Ich saß in meinem Büro, direkt in Malibu, und bereitete den neuen Auftrag vor. CJ war schon direkt vor Ort und bereitete dort, Gott sei Dank mit Bo, alles vor. Da CJ der englischen Sprache nun nicht direkt verbunden war, konnte Bo ihr wenigstens helfen und übersetzen. Welcher neue Auftrag? Alex McChase, eine bekannte Country Sängerin, die durch den mittleren Westen in einer Woche ihre Tour begann und ich wurde durch ihren deutschen Manager beauftragt. Es gab diesmal keine konkrete Bedrohung, lediglich ein Stalker, der sie belästigte. Im Gegensatz zum letzten Auftrag doch eigentlich harmlos.
Ich stand am Fenster, hielt meinen Kaffee in der Hand und lehnte meine Stirn an die leicht kalte Scheibe. Draußen war es hell und die Sonne schien, war es ja auch schließlich üblich in Kalifornien und dann noch direkt in Malibu. Im Hintergrund lief eine CD, die ich kurz vorm Abflug nach LA zugeschickt bekommen hatte. Ohne Absender, aber ich wusste, von wem sie war.
Seitdem lief ein Lied ohne Unterbrechung rauf und runter und ich war in meinen Gedanken und Erinnerungen gefangen. Ich wusste, sie schrieb und sang es für mich, für uns.
Ich ging vom Fenster zum Stuhl und ließ mich gerade mit einem tiefen Seufzer hineinfallen, als plötzlich eine ziemlich aufgelöste CJ ins Büro gestürmt kam und sich ins Sofa an der Wand fallen ließ: „El, ich kann nimmer!“
„CJ, was machst du hier? Ich dachte, du bist in Clasen City?“
„Das dachte ich auch, aber momentan ist alles erledigt. Nur, El? Mal ganz ehrlich unter uns Klosterschwestern. Wir brauchen dringend Verstärkung. Bo ist ja schön und gut, aber wir brauchen zusätzlich noch jemanden.“
Ich sah sie ungläubig an und lehnte mich nach vorne, mit meinen Armen auf dem Schreibtisch. Wir hatten schon vor zwei Wochen über das Thema gesprochen und auch schon eine Anzeige in der hiesigen Zeitung aufgegeben, aber zaubern konnte ich nun mal nicht. Dann bemerkte sie das Lied im Hintergrund und schaute nun genervt zu mir: „EL! Das hält man mit dir echt nicht mehr aus. Du kannst dich doch nicht ewig im Schneckenhaus vergraben? Komm endlich raus und lebe! Und vor allem liebe wieder, sonst werde ich zum psychischen Wrack bei dir! Wovor hast du eigentlich Angst? Du hast zwei Kugeln, eine Explosion und Lydia überlebt, da wird dir doch eine Beziehung oder einfach nur purer Sex nichts mehr anhaben können?“
„CJ, bitte lass das meine Sorge sein. Außerdem heißt es doch, du sollst deinen Nächsten lieben und nicht die Nächstbeste! Und wegen dem Job, was soll ich deiner Meinung nach machen? Nen Karnickel aus dem Hut zaubern? Du weißt doch, dass sich heute einige vorstellen werden und ich hoffe, dass der oder die richtige Kandidat/in darunter ist.“
Sie nickte mir verständnisvoll zu, grinste leicht und stand dann auf: „Na dann hoffe ich mal, ein gut aussehender Kandidat, weil ich ja auch mal wieder meinen Spaß haben will, da du dich ja eh für ein Leben wie eine Nonne im Kloster entschieden hast!“
„Was soll das denn heißen?“
„Ich hab eigentlich nur Angst, weil… trotzdem du deinen Keuschheitsgürtel bei Vicky abgelegt hast, bist du nicht viel AUFGESCHLOSSENER! Hey, ist ja nicht schlimm, BATWOMAN in Robe, da brauchst du dir wenigstens über das Aussehen keine Gedanken machen! Aber dir ist eh nicht mehr zu helfen!“
Sie zwinkerte mir noch zu und verschwand aus dem Büro. Was sollte das denn heißen? Ich meine, seit der Sache mit Vicky habe ich zwar versucht, Bekanntschaften zu schließen, aber nie wurde was Ernsteres draus, geschweige denn Sex. Zu sehr war ich in Gedanken bei ihr, denn Gefühle ließen sich nicht abstellen. Okay, ich muss aber auch zugeben, dass diese Candy, die bei Mrs. McChase als Backgroundsängerin arbeitete, nicht von schlechten Eltern war und sie mich auch ständig angrub. Dann noch meine Nachbarin Megan, wir hatten vielleicht auch mal ne klitzekleine Knutscherei ausgetauscht und ich fand sie auch ziemlich heiß, aber stets hatte ich in solchen Situationen Vicky vor Augen. Sie hatte ich bei meinem letzten Auftrag in Köln kennen und lieben gelernt, was absolut gegen meine Prinzipien verstieß, aber was sollte ich machen? Gefühle konnte man nicht abstellen und so gab ich mich ihnen hin. Leider mit einem Ende, welches keiner absehen konnte.
Plötzlich meldete sich Frederike über Stentofon und riss mich aus den Gedanken: „Frau Müller, der erste Bewerber ist da.“
„Lassen Sie Ihn rein“, antwortete ich und schon trat der erste rein. Ich deutete ihm, sich auf dem Stuhl vor mich zu setzen und las mir erst mal seine Bewerbungsmappe durch:
…Thomas Bright, zwanzig Jahre alt, keine Erfahrung im Bereich Personenschutz, Sprachen: deutsch und englisch, ledig…
Ich blickte zu ihm hoch und sah in ein Babyface. Er grinste mich nur schief an mit seinen großen Augen. Er hatte rote Haare, jede Menge Sommersprossen im Gesicht und eine ziemlich schiefe Nase. Wäre ja eigentlich gar nicht so schlimm gewesen, nur seine Kleiderwahl!? Karierte Hose, als wenn er zum Golfen wollte, dazu noch Hochwasser und das unpassende Hawaiihemd rundete das Bild meiner Entscheidung ab.
-Abgelehnt-
Und wieder zehn Minuten später saß ein älterer Mann vor mir. Blick in die Akte:
…Dieter Eugene Brock, siebenundvierzig Jahre, Erfahrung im Bereich Personenschutz, Sprachen: deutsch und englisch, verheiratet, neun Kinder…
Was? Ich las nochmal seine Mappe durch. Neun Kinder!? Der scheint ja sonst keine Hobbys zu haben. Puh, fleißiges Kerlchen, aber die Erfahrungen, die er aufweisen konnte, waren nicht von schlechten Eltern. Ich entschied mich diesmal, einige Fragen zu stellen: „Mr. Brock, erzählen Sie mir, was Sie sich genau vorstellen, wenn Sie den Job bekommen würden.“
„Okay, also meine Forderungen: fünf Tage, acht Stunden arbeiten und Wochenende frei. Geregelte Arbeitszeiten. Weihnachtsgeld. Urlaubsgeld. Dreizehntes Monatsgehalt. Vergütung plus Spesen. Verpflegung inklusive. Ach und wann darf ich den Chef von dem Laden kennenlernen? Bin nämlich schon etwas verwundert, dass ich mit seiner kleinen Tochter hier das Bewerbungsgespräch halten muss!“
-Abgelehnt-
Nächste bitte, dachte ich mir nur noch.
…Jennifer O‘Neill, siebenundzwanzig Jahre, Polizeiausbildung in den USA, Sprachen: deutsch und englisch, ledig, Waffenschein…
Auch sie blickte ich mir nach dem Studieren ihrer Bewerbung an und WOW! Blaue Augen, markantes, aber weiches Gesicht, lange braune Haare und dann blieben meine Augen, ich würde diesmal eher sagen, meine Glubscher auf ihrer Oberweite hängen. Ja eindeutig, dafür brauchte man einen Waffenschein! Irgendwie erinnerte sie mich an jemanden. Sie musste dies bemerkt haben und räusperte sich mit einem Schmunzeln. Schnell wandte ich meinen Blick in ihr Gesicht und versuchte meine Tomaten-Farbe wieder unter Kontrolle zu bringen. Gott Müller, du bist halt auch nur Frau! Tief eingeatmet, suchte ich nach meinem Sprachzentrum, da kam sie mir aber schon zuvor. Galant stand sie von dem Stuhl auf, schwang ihren ziemlich knackigen Arsch auf meinen Tisch und schon hatte ich einen ihrer Finger im Gesicht. Nein, nicht nur im Gesicht, als ich leicht nach hinten ausweichen wollte, indem ich mich mit meinem Stuhl nach hinten lehnte, schüttelte sie den Kopf und kam mir immer näher.
„Ich würde alles für diesen Job tun", sagte sie lasziv zu mir und ihr Schmunzeln ging über zu einem Grinsen. CJ würde jetzt sagen, ich hätte es ja nötig, aber so nötig nun auch wieder nicht. Ihr Finger wanderte nun von meiner Wange hinunter, über meinen Hals zu meinem Dekolleté,
Mit einem lauten Geräusch flog ich im Stuhl, an dem ich mich immer mehr nach hinten gelehnt hatte, soweit es ging.
-Abgelehnt-
Nach nur zehn Minuten war der Nächste da, oder besser die Nächste. Wieder das gleiche Spiel, vor mich hingesetzt, von mir gemustert und dann der Blick in die Mappe:
…Olga Kaischinski, achtundzwanzig Jahre, Erfahrung im Bereich Kampfsport, Sprachen: deutsch, englisch und russisch, ledig…
Auch zu ihr ging mein Blick nach dem Erkunden der Mappe. Sie hatte kurze, ziemlich kurze blonde Haare und ihre Glubscher waren straight auf mich gerichtet. Ich schluckte innerlich und betrachtete ihr Äußerliches. Kurzes gelbes Top, Jeans und Oberarme, wie meine Oberschenkel, mit entsprechendem Ring Tattoo. Und wie sie glubschte, als hätte ich was im Gesicht. Das erste, was mir einfiel, KGB, Agentin und verdammt, bei der bist du schneller ans Kreuz genagelt, als dir lieb ist. Schnell wich ich ihrem Blick aus und schüttelte mit dem Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Welche Gedanken? Kein Kommentar!
-Abgelehnt-
Ich musste zugeben, die nächsten sechs Bewerber waren auf keinen Fall besser und innerlich gab ich schon auf. Ich saß auf meinem Stuhl, eine kalte Tasse Kaffee vor mir, meinen Kopf seitlich auf der Tuschplatte und die Arme nach unten hängend. Konnte es denn so schwer sein, einen oder eine passende Kandidatin zu finden? Ja, es konnte. Es war nur noch eine Bewerbung übrig, aber Lust hatte ich definitiv keine mehr und man konnte mir das auch deutlich am Gesicht anmerken. Ich hatte sogar schon aus Verzweiflung mein Pfefferspray auf den Tisch gestellt, falls mich wieder jemand vom Stuhl schmeißen wollen würde. Ich bemerkte zwar, dass die Tür zum Büro geöffnet wurde, aber reagieren wollte ich nicht.
„Frau Müller? Die letzte Bewerberin wartet draußen. Wollen sie noch einen Moment ihre Ruhe?“ fragte Frederike mit einer bemitleidenden Stimme zu mir und ich merkte, wie sie mir eine frische heiße Tasse Kaffee vorsetzte. Ich bewegte meinen Kopf nicht, aber gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie die letzte Dame reinschicken konnte. In meiner Fantasie ging mir schon durch den Kopf, was für eine Baywatch-Nixe jetzt kommen würde und schon hörte ich, wie sich jemand vor mir auf den Stuhl setzte.
Okay Müller, aufrichten, Blick in die Mappe und schon konnte die letzte Runde gestartet werden.
…Toni Heart, neunundzwanzig Jahre, Erfahrung im Bereich Personenschutz, Sprachen: deutsch, englisch, spanisch und französisch, ledig…
Interessant, dachte ich mir. Vielleicht hatte ich ja doch noch Glück und schaute erwartungsvoll auf. Oh mein Gott, doch kein Glück! Vor mir saß ein Gemisch aus Hippie und Emo. Dunkle lange Haare, wie ich in etwa erkennen konnte, da sie eine komische Wollmütze aufhatte, dickes Makeup, schwarze überdimensionale Sonnenbrille, schwarzes Shirt mit der Aufschrift „FUCK YOU“, schwarze kurze Hose, darunter eine schwarze kaputte Netzstrumpfhose und schwarze Stiefel. Dazu kam noch dieses metallische Dingsda in der Mitte ihrer Lippe und ein riesiges Tattoo auf dem Oberarm in Form eines Kreuzes, während sie mir zulächelte. Was für ein Erscheinungsbild.
Ich schaute sie nur an und…
-Abgelehnt-
Ich hatte gerade ihre Mappe zugeschlagen und reichte sie ihr mit einem Kopfschütteln, da erstarrte ihr Lächeln.
„Tut mir leid, aber wir suchen was anderes“, gab ich ihr so schonend wie irgend möglich zu verstehen und stand auf, um mich zu verabschieden. Da sprang sie plötzlich ebenfalls auf und ihre Mundwickel gingen mit einem Schlag nach unten.
„Mrs. Miller…"
„MÜLLER!"
„Oh ja, sorry. Mrs. Müller, bitte geben Sie mir doch eine Chance. Sie kennen mich doch gar nicht“, flehte sie mich schon regelrecht mit Akzent an und sie konnte einem schon richtig leidtun, aber wie sollte ich ihr klar machen, dass ihr äußeres Erscheinungsbild nun gerade nicht unbedingt ins Profil eines Bodyguards passte? Ich wollte ihr ja auch nicht gleich vor den Kopf stoßen, also probierte ich es zu Umschreiben: „Mrs. Heart, wie soll ich Ihnen das erklären? Nun ja, ihr Erscheinungsbild…“
„Mein Erscheinungsbild? Sie gehen nur von meinem Äußeren aus? So hätte ich Sie nicht eingeschätzt. Ich dachte, hier geht’s um Qualität und nicht ums Aussehen? Ich bewerbe mich als Bodyguard und nicht als Heidis Next Topmodel. Stupid prejudiced cow! Damn you!“, schimpfte die Frau vor mir auf einmal. Ich hatte es ja versucht, ihr schonend beizubringen, aber Feingefühl war wohl was anderes. Ich ging zur Tür und wollte sie nun höflichst bitten, mein Büro zu verlassen, aber ich konnte die Tür nicht öffnen. Ich rüttelte mehrmals, aber sie ließ sich nicht öffnen. Ich klopfte und rief nach Frederike: „Frau Maljewski? Frau Maljewski? FREEEEDEEERIIKKEEEE?“ aber nichts tat sich. Ich werde sie umbringen, wenn ich sie erwische. Sie konnte doch nicht einfach die Tür zusperren!
„Mrs. Miller…“
„MÜLLER…!“ verbesserte ich sie nochmals und war schon ziemlich genervt.
„Mrs. Müller, geben Sie mir doch bitte eine Chance. Ich habe Erfahrungen und ich kann auch…“, sie unterbrach sich selber und blickte sich im Büro um und fand wohl, was sie gesucht hatte. Ich folgte ihrem starren Blick und, Oh Nein…!
„Ich kann auch damit umgehen…!“
Ich stürmte auf sie los, als sie das Objekt ihrer Begierde von meinem Tisch nahm und damit rumfuchtelte.
„FINGER WEG!!!“, brüllte ich sie noch an und sie drückte vor Schreck…
<KLATSCH>
PFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFF…
Es war zu spät. Vor lauter Schreck hatte diese unmögliche und tollpatschige Frau mein Pfefferspray vom Tisch genommen, damit rumhantiert und als ich auf sie losstürmte, stolperte ich über die Teppichkante und schon hatte sie auch noch den Abzug gedrückt. Nun lagen wir da, ich auf ihr, zugekniffene Augen und es brannte schrecklich. Müller, mal wieder zu schwungvoll eine Frau flachgelegt. Irgendwie kam mir das alles so bekannt vor, also diese ganze Situation. Was sollte das werden? Wieder mal ein Blind Date?
Die kann jetzt was erleben, dachte ich mir, rollte mich von ihr runter, rieb mir schmerzverzerrt die Augen und legte los.
„Du hast doch echt nen Schaden!“, ranzte ich sie neben bei an, als ich auch schon den Schlüssel in der Bürotür hörte und diese sich sofort, mit einem lauten Knall, öffnete.
„El, alles in Ordnung? Was ist pass… OH!“, schrie meine Beste, um mir zu Hilfe zu kommen, verstummte aber mitten im Satz.
„Das ist passiert. Diese dämliche Kuh hat gedacht, sich einfach mal mit meinem Pfefferspray einzusprühen! Boah ey, wo ist diese Kuh? Schaff mir die bloß aus den Augen, sonst mach ich sie kalt“, entgegnete ich CJs Frage wütend und deutete auf meine brennenden und zugekniffenen Augen.
„Ähm… ja… also… erstens, ich kann sie dir nicht aus den Augen schaffen, du bist blind, mal wieder. Zweitens, kalt machst du bei dem schönen Wetter niemanden und drittens, sie ist direkt neben dir und hat ähnliche Probleme wie du", antwortete mir CJ in einem Ton, wo ich genau wusste, dass sie gleich anfangen würde, laut loszulachen. Nur machte mich das noch wütender und ich suchte verzweifelt, wie ein kleines Kind, neben mir nach diesem Pfeffermonster.
„El, mehr links, noch mehr links. Nein, jetzt rechts… Ellen, FRAUENRECHTS!“, gab mir meine Beste lachend Anweisungen und schon hatte ich sie. Tatsch auf die Wange, tatsch auf die Nase, tatsch auf die Lippen. Moment mal, Lippen? Ich betatschte diese Frau immer intensiver und plötzlich erschrak ich und zog meine Hände zurück. Meine Wut verblasste sofort und wenn ich jetzt nicht unbedingt sehbehindert gewesen wäre, ich wäre mir sicher gewesen, nicht richtig zu gucken. Im Hintergrund hörte ich meine Beste immer heftiger lachen, bis sie nicht mehr einhalten konnte und unter lautem Gelächter einen Satz bildete: „El, meinst du nicht, das es langsam langweilig wird, sie immer in der gleichen Situation so flachzulegen? Naja, heißt, ihr versteht euch blind.“
Das konnte doch nicht möglich sein? CJ gab mir somit aber die Bestätigung, dass mein Tastsinn sich nicht getäuscht hatte.
„Vickkyyyy?“, gluckste ich zehn Oktaven höher und wollte nicht glauben, was ich eben gesehen, ähm meine gefühlt hatte. Völlig überfordert von der ganzen Situation, dass meine Augen brannten, tränten, ich nichts sehen konnte, meine Beste sich weglachte und ich so was von Nichts verstand, was hier abging, versuchte ich mich am Schreibtisch hochzuangeln.
„Ellen, es tut mir leid, aber ich wollte dich wiedersehen“, antwortete mir Vicky mit schluchzender Stimme.
„Ist dir ja super gelungen. Besonders das WiederSEHEN!“
Nachdem CJ ihr Lachen etwas in den Griff bekommen hatte, half sie Vicky auf das Sofa, mir auf den Stuhl und versorgte uns beide mit einem feuchten Tuch, um die Augen zu kühlen. Ich selber hatte Schwierigkeiten zu verstehen, warum Vicky hier war und dann in solcher Verkleidung. Seit wann hatte sie ein Tattoo? Ein Piercing? Sie hatte es verstanden, mich an der Nase rumzuführen, indem sie auch noch ihre Stimme mit Akzent verstellte und ein wahrlich unangenehmes Parfum auflegte. Nach einigen Minuten der Schweigenummer, hatte ich die Schnauze voll.
„Vicky, was machst du hier? Wo sind Thorsten und Ralf und weiß deine Tante Bescheid, dass du hier bist?“, fragte ich sie und versuchte meinen Kopf in ihre Richtung zu drehen, doch ihre Antwort ließ auf sich warten. Ihre Tante hatte damals eindeutig etwas gegen Vickys Lebensstil und auch gegen mich. Schließlich gehörte ich nicht zur High Society und somit nicht in Vickys Klasse. Dazu war ich auch noch eine Frau.
Thorsten und Ralf waren ihre persönlichen Schoßhündchen oder besser gesagt, Leibwächter.
„Vicky?“
„Jaahaa, ich hab‘ dich gehört. Mensch, Ellen, ich bin abgehauen. Paulette weiß nicht, dass ich hier bin und Thorsten und Ralf auch nicht.“
Ihre Stimme wurde am Ende leiser und ich konnte nur noch laut ausatmen. Vicky war tatsächlich ausgebüxt und das ohne ihre beiden Bodyguards. Ganz davon abgesehen wie sie es geschafft hatte, ihnen zu entkommen.
„Na super. Ich denke mal, du hast nicht mal eine Bleibe, oder?“
„Nein…“, antwortete sie mir mit leiser Stimme und genau das hatte ich mir gedacht. Typisch Vicky, erst agieren, dann denken.
„El? Ich denke, ich werde euch beide jetzt erst mal zu dir fahren“, schlug meine Beste vor und bevor ich noch etwas sagen konnte, saßen wir auch schon mit Führungshilfe in CJs rotem Chevrolet. Es blieb ja momentan eh keine andere Lösung, als Vicky erst mal bei mir zu lassen, aber ich wusste, sie musste wieder zurück und wenn ich sie zwingen musste. Kaum waren wir bei mir in dem kleinem Trailer, der direkt am Strand in Venice lag, angekommen , führte CJ uns zwei blinden Hühner auf mein kleines Sofa und wollte sich gerade verabschieden. Ich konnte zwar nichts sehen, aber ich war mir sicher, sie hatte ein blödes Grinsen im Gesicht.
„Meint ihr, ich kann euch jetzt alleine lassen, ohne dass ihr euch gleich auch noch mit anderen Gewürzen einpöfft?“
„Hau ab, CJ, wir kommen klar", kaum hatte ich dies ausgesprochen, war meine Beste mit einem weiteren Lachen zur Tür verschwunden. Und wieder herrschte Stille. Ich bemerkte Vickys Nähe, bemerkte meine innerliche Unruhe und ihre Hand, die auf dem Sofa nach meiner suchte und sie fand. Kurze Berührung, Gänsehaut und ich wurde hibbelig. Schnell sprang ich überfordert auf und versuchte angestrengt eine Lösung zu finden. Aber es gab nur eine Lösung.
„Vicky? Ich werde dich morgen früh zum Flughafen fahren und du wirst zurückfliegen. Frederike wird dir noch heute einen Flug buchen.“
Ich hatte mich schon zu meinem Telefon vorgetastet, als Vickys Wiederstand zu hören war.
„Ellen, ich möchte nicht zurück. Ich möchte bei dir bleiben und um uns kämpfen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten ohne dich. Nicht mehr ausgehalten bei meiner Tante. Ich habe dich verdammt nochmal vermisst!“, redete sie sich in Rage und wurde am Ende abermals leiser. Ich wusste, dass sie jedes einzelne Wort ernst meinte, aber was sollte ich tun? Ich hatte schließlich einen neuen Auftrag und musste in einer Woche für längere Zeit weg. Trotz alledem erwärmte es mein Herz, denn auch ich hatte sie vermisst und das nicht zu knapp. Ich hörte, wie Vicky aufstand und nach einem: „Autsch, fucking table!“ war sie neben mich getreten und tastete nach meinem Gesicht. Wehren konnte ich mich nicht, als sie dieses gefunden hatte und ich ihre Hände an meinen Lippen fühlte. Dann spürte ich ihren Atem ganz nah an meinem Ohr und auch wenn ich gerade nichts sehen konnte, hätte ich spätestens jetzt meine Augen geschlossen, um dies zu genießen.
„Ellen, bitte…“, flehte sie mir flüsternd ins Ohr und wanderte mit ihren Lippen zu meinen. Ich wusste, sie war mir sehr nah und auch, was nun unweigerlich passieren würde, nur wollte ich das? Wollte ich ihr Hoffnungen machen? Hoffnungen auf eine Zukunft, die wir nicht zusammen hatten? Vielleicht auch mir selber Hoffnungen? Aber einen Kuss konnte Frau ja riskieren und mit diesem Gedanken war ich mir sicher, ihre Lippen spüren zu wollen. Also Verstand aus, Herz angeschaltet und langsam nähern.
<KAWÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄMMMMMMMMMMM>
Ich beugte mich gerade weiter zu Vicky, jedenfalls in die Richtung, in der ich ihren Atem eben noch spürte und plötzlich hörte ich ein unbekanntes Geräusch. Ihr Atem war nicht mehr da, nicht mehr in der Nähe meiner Lippen zu spüren und in meiner Bewegung nach vorne musste ich einen Schritt machen, da Vicky wohl nicht mehr vor mir stand. Was war passiert? Ich bemerkte lautes Hecheln und eine winselnde Vicky.
„Vicky?“
„Igitt… geh weg… ahhhh… hilf mir Ellen…!“
Ich kniete mich nieder und tastete mich nach vorne. Meine Hand fand nach wenigen Sekunden Fell und nun wusste ich, was wohl passiert war. Laut lachte ich los und vergrub meine Hand in dem Fellknäuel vor mir.
„Vicky, keine Angst. Das ist Mitch, der will dich nur begrüßen“, versuchte ich sie zu beruhigen, während der Hund weiter an ihr rumschleckte. Ich konnte mir schon denken, dass Mitch in seiner überschwänglichen Art und Weise Vicky begrüßt haben musste und zwar mit einem großen Satz. Tja, diesmal hatte nicht ich sie flachgelegt, sondern ein Golden Retriever. Mitch bestand auf seine tägliche Portion Schmuseeinheiten, was ja nicht schlimm war, nur diesmal holte er sich diese von Vicky. Nach einiger Zeit, vielem abschlabbern, häufigen Jammerns seitens Vicky, saßen wir wieder auf meinem Sofa und Mitch vor meinen Füßen.
Der magische Moment von eben war verflogen und ich war mir ziemlich sicher, Vickys Mund und Gesicht nicht unbedingt nahe kommen zu wollen, nachdem der Hund diese Stellen mit seiner Zunge ausgiebig erkundet hatte. Ich hatte in der Zwischenzeit des Überfalles von Mitch auf sein neues Opfer Frederike angerufen und Vickys Flug buchen lassen. Ihr Flug würde um neun Uhr morgen früh nach Paris gehen, nur war Vicky davon überhaupt nicht begeistert. Schmollmund, Grübchen-Lächeln und Hundeblick, ja Vicky hatte alles ausgespielt, nur ich ließ mich nicht erweichen, was auch vielleicht daran lag, dass ich sie nur schemenhaft sah und nun schien sie beleidigt.
„Vicky, bitte, versteh mich doch. Du kannst nicht hier bleiben, außerdem sucht dich deine Tante bestimmt schon.“
Keine Antwort ist ja nun mal auch eine Antwort oder wie sagt man? Ich versuchte es mit einem Themawechsel, da mir diese Schweigenummer doch etwas auf die Nerven ging. Ich drehte mich leicht zu ihr und blinzelte mit meinen Augen, um sie besser erkennen zu können.
„Vicky? Seit wann hast du eigentlich dieses Piercing in der Lippe und ein komisches Tattoo?“
Es wäre egal gewesen, was ich noch gesagt hätte, Vicky hätte nicht reagiert, zu sehr schmollte sie. Irgendwann gab ich auf und langsam nahm ich auch wieder Umrisse meiner Wohnung deutlicher wahr, als Vicky dann doch noch die Schweigenummer mit einer Gegenfrage unterbrach.
„Seit wann hast du einen Hund?“
„Ähm… ich habe keinen Hund…! Er gehört nicht mir", antwortete ich ihr und war schon mal froh, dass sie wenigstens irgendwas sagte und mit mir redete.
Doch dann spürte ich ihre Hand auf meiner, wieder versuchte sie ihre Reize einzusetzen, um mich davon zu überzeugen, hier zu bleiben. Nun hieß es hart bleiben, Müller!
„Und wem gehört er?“, flüsterte sie mir zu, strich mit ihrem Daumen über meinen Handrücken und ich ergriff schnellstens die Flucht. Verstand an, Herz aus! War nicht leicht, Vickys Reizen diesmal zu widerstehen und ich stellte mich an meine offene Terrassentür. Ich atmete tief aus, drehte mich zu ihr und suchte die Umrisse ihrer Person, mit einem noch leicht getrübten Pfefferblick. Ich fand sie nicht, sie musste ebenfalls vom Sofa aufgestanden sein, doch hörte ich ihre Stimme: „Ellen, ich habe dich in den ganzen drei Monaten nie vergessen. Ich habe immer an dich denken müssen, weil ich dich liebe, weil dir mein Herz gehört und ich würde alles darum geben, um bei dir zu bleiben, mit dir zusammen. Ich weiß mittlerweile, wo ich hin will und mir bedeutet diese ganze Desmond Sache nichts mehr. Du bist es, die mir wichtig ist und mir am meisten bedeutet. Du und nichts anderes, kapier das doch endlich“, sagte sie leise und ich merkte ihre Traurigkeit und Enttäuschung. Gerade, was mein Verhalten ihr gegenüber anging, musste sie verletzt sein. Aber mir ging es doch nicht anders, auch ich hatte sie in der Zeit nie vergessen, im Gegenteil. Ich hatte sie schrecklich vermisst und ihr würde auch immer mein Herz gehören.
Ich blinzelte mit meinen Augen durch das ganze Zimmer, um zu ihr zu gehen, um sie zu trösten. Sie musste noch im Wohnzimmer gewesen sein, aber wo? Dann hörte ich nur, wie sich eine Tür schloss.
„Vicky?“
Ich rief sie, aber bekam keine Antwort. War sie gegangen? Ich wusste doch, dass sie mich liebte und ich liebte sie doch auch, aber was blieb mir übrig? Ich konnte sie ja wirklich schlecht mitnehmen. Wer weiß, wie lange wir mit dieser McChase auf Tour waren?
„Es ist doch nur zu deiner eigenen Sicherheit!“, versuchte ich es erneut und als ich immer noch keine Antwort bekam und sie mit meinem benebelten Blick nicht entdecken konnte, wurde ich traurig. Aber was sollte mir übrig bleiben? Ich war in der Zwickmühle, einerseits hatte ich sie vermisst, aber andererseits konnte sie nicht hier bleiben. Wie sollte ich es am besten anstellen, ihr die Situation so schonend wie möglich beizubringen?
„Ich hab‘ dich auch vermisst… und wie gerne hätte ich dich wieder geküsst…“, murmelte ich leise vor mich hin und wusste, dass es mir auch schwer fallen würde, sie wieder gehen zu lassen, doch es ihr direkt sagen, wollte und konnte ich nicht.
Plötzlich spürte ich, wie sie ihre Arme von hinten um meine Hüften legte, mich zu sich zog und meinen Nacken sanft küsste. Ich schloss meine Augen genüsslich und wusste, jetzt würde sie alles auf eine Karte setzen. Sie musste mein Gemurmel gehört haben und mit „Hart bleiben“ ging da nun gar nichts mehr. Ich legte meinen Kopf schief, damit ich meinen Hals besser anbieten konnte und sie nahm das Angebot an. Nachdem ich noch einige Liebkosungen auf meinen Hals bekam, wollte ich sie endlich auf meinen Lippen spüren und drehte meinen Kopf soweit, dass sich unsere Lippen berühren konnten. Immer noch mit geschlossenen Augen, spürte ich die Nähe von sanften Lippen auf meinen. Bevor es aber zu einer näheren Berührung kam, hörte ich ihre gehauchte Stimme: „I missed you, Darling…“
Vickys Sichtweise:
Es waren jetzt schon drei Monate vergangen, seit ich Ellen das letzte Mal gesehen hatte. In den ersten Tagen hatte ich ihre Entscheidung versucht zu verstehen und zu akzeptieren, aber je länger die Zeit verging, desto mehr vermisste ich sie. Ich schrieb das Lied, was meine ganzen Gefühle zu ihr beschrieb, um damit fertig zu werden, aber so ganz gelingen wollte mir das nicht. Immer wieder war ich in meinen Gedanken zu ihr gefangen und immer mehr fühlte ich mich unwohl in meiner Welt. Meine Welt, die ich, bevor ich Ellen kennenlernte, liebte. Doch nun erdrückte sie mich, erdrückte meine Gefühle.
Mir wurde bewusst, dass meine Tante eine Ahnung hatte, warum ich in letzter Zeit so in mich gekehrt war und warum ich mich so distanzierte, aber gesagt hatte sie nie was. Sie würde es auch nie aussprechen, war es für sie doch nicht normal und würde auch nicht zu meinem Prestige passen, eine Frau zu lieben. Dazu auch noch einen oder meinen ehemaligen Bodyguard, der wiederrum eine Frau war.
Ja, mein Bodyguard Ellen. Wo sie jetzt wohl sein mag? Ob sie mittlerweile wieder eine Freundin hatte? Ob ihr neuer Auftrag attraktiv und auch eine Frau war? All diese Fragen schwirrten in meinem Kopf umher und es machte mich von Zeit zu Zeit wahnsinnig. Des Öfteren sprach ich mit Ben und ich wusste, er könnte mir sagen, wo Ellen jetzt steckte. Nur zu fragen, wagte ich mich nicht. Schließlich war er mit Astrid zusammen, die er durch Ellen kennengelernt hatte und sie hatte wiederrum Kontakt zu Ellen. Ich könnte natürlich auch Caro anrufen, aber auch hier traute ich mich nicht.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und gab mir einen Ruck. Ich fragte Ben, der mich nur anlächelte.
Er erzählte mir, dass Ellen tatsächlich Köln verlassen hatte und nach LA gegangen war. Dort hatte sie ein neues Büro eröffnet und ein neues Leben begonnen. Als ich das hörte, war ich ziemlich traurig. Sie hatte zwar gesagt, dass sie Köln verlassen würde, aber ich hatte die Hoffnung, dass sie es nicht tat. Nach einigen Wochen war ich dann entschlossen, zu ihr zu fahren. Ich wollte sie wiedersehen, wollte um unsere Liebe kämpfen und ich hatte schon einen Plan. Dafür musste ich nur Thorsten und Ralf, die ständig an meinen Fersen hingen, loswerden und ich wusste auch schon wie.
Ich rief nach langer Überlegung Caro doch noch an und erzählte ihr alles. Alles, was in den drei Monaten vorgefallen war. Wie mich meine Tante zu allem zwang und ich es langsam aber sicher nicht mehr aushielt. Caro sicherte mir ihre Unterstützung zu, da sie zugab, Ellen würde es nicht besser gehen.
Lange rede, kurzer Sinn, mit Hilfe von Ben und Astrid konnte der Plan in die Realität umgesetzt werden.
Über Astrid buchten wir einen Flug, der mich abends nach LA bringen würde, da ich nicht selber buchen konnte. Das wäre meiner Tante sofort aufgefallen. An dem besagten Abend überredete ich Thorsten und Ralf, Astrid im Club einen Besuch abzustatten, natürlich ohne aufzufallen und so betraten wir das Drabble. Dann ging alles sehr schnell. Thorsten wurde abgefüllt, da ihm Ralf versicherte, auf mich aufzupassen und er mal Spaß haben sollte. Ralf hingegen folgte mir dann auf die Toilette, wo Ben auf mich wartete, während Ralf draußen von Klara abgelenkt wurde. Klara war eine der Bedienungen von Astrid und von dem Plan regelrecht begeistert. So bekam Ralf gar nicht mit, dass ich inzwischen aus der Toilette und dem Hinterausgang den Club verlassen hatte. Ben fuhr mich schnellstmöglich zum Flughafen und nach einigen Stunden hatte ich amerikanischen Boden unter den Füßen. Hier war es aufgrund der Zeitverschiebung später Vormittag und ich schaute mich nach Caro um.
Ich stand hilflos am Ausgang des Flughafens, als mich schon eine überschwängliche Caro umarmte.
„Hi Baby… endlich peace in heaven!“, schrie mir Caro während der Umarmung euphorisch ins Ohr und ich ließ mich erstmal fast erwürgen.
„Baby? Peace? Heaven? Auch schön dich wiederzusehen, Caro“, gab ich ihr mein Unverständnis zu verstehen. Sie löste sich von mir und musterte mich.
„Sorry, blöder Versuch. Naja, ich versuche gerade mich mit dieser Sprache zu einigen… aber schön dass du da bist. Peace in heaven? Sieh dich um, wir sind in LA, nur der Frieden fehlt noch. Aber jetzt bist du ja da, nur müssen wir für den Plan noch etwas an dir verändern“, antwortete sie mir und zog mich direkt in ihren tollen neuen, roten Chevi. Verändern? Wie hatte sie das gemeint? Ich wollte doch einfach nur Ellen wiedersehen, das konnte doch nicht so schwer sein? Einfach ins Büro gehen, Ellen küssen und schon wäre alles wieder in Ordnung?! Nun brausten wir über den Highway und ich wusste nicht, wohin oder überhaupt, was Caro vorhatte. Als wir nach einer halben Stunde vor einem Haus irgendwo in Santa Monica standen, ging Caro mit mir anschließend ins Haus und schon standen wir in ihrer kleinen Wohnung.
„Hübsch hast du es hier. Aber was machen wir hier? Ich wollte doch zu Ellen?“, fragte ich sie und zog eine Augenbraue hoch. Caro sagte nichts, sie zog mich in ihr Schlafzimmer und deutete mir, mich aufs Bett zu setzen. Okay, das ist jetzt nicht was ich denke.
„Ähm, Caro? Was soll das? Ich meine, ich mag dich ja, aber ähm, naja, ich, wie soll ich sagen? Seit wann…“
„Hey, Vicky. Der Weiberheld hier ist immer noch Ellen und ich steh auch immer noch auf Bartstoppel, hartes Getriebe und… ähm, egal. Jedenfalls, in diesem Aufzug kannst du nicht einfach bei Ellen reinplatzen. Die würde dich direkt retour schicken. Verstehst du? Briefmarke auf den Arsch geklatscht und postwendend zurück nach Paris gesendet“, unterbrach sie mich direkt. Ich atmete auf und musste über meine ersten Gedanken innerlich lachen. Wie konnte ich auch nur denken, dass Caro mich hier…nein!
Sie ging zum Kleiderschrank und fummelte wie eine Irre darin rum, bis sie endlich das gefunden hatte, was sie wohl suchte. Sie gab mir die gefundenen Klamotten und ich zwängte mich hinein. Nur was ich dann sah, verschlug mir die Sprache.
Ich stand vor einem großen Spiegel und musterte mich, als Caro mir noch eine Art Wollmütze in grün über den Kopf stülpte.
„So, das geht, perfekt! So wird dich Ellen erst mal nicht wiedererkennen. Aber es fehlt noch was… warte, ich hab’s!“, begutachtete Caro mich und war auch schon wieder verschwunden. So stand ich da, mit einem schwarzen Shirt mit komischem Aufdruck, schwarzer zerrissenen Netzstrumpfhose, einer ziemlich kurzen Hose darüber und schwarzen Stiefeln. Eigentlich wollte ich ja nur Ellen zurückgewinnen und nicht an irgendeiner Häuserwand rumstehen, um Geld zu verdienen.
Ungläubig starrte ich mein Spiegelbild weiter an, als Caro wieder neben mich trat. Sie fummelte mit Flüssigkeit an meinem Oberarm rum und dann verpasste sie mir einen Stecker an die Lippe.
„Wow… also wenn ich nicht wüsste, dass du es bist Vicky, würde ich denken…“
„WAS?“
„Nichts. Jedenfalls sind wir fertig und können die Mission Ellen starten.“
Ich war froh, dass Caro es nicht ausgesprochen hatte, denn ich fühlte mich wirklich wie eine Professionelle in den Klamotten. Und dieser Piercingstecker zwickte ganz schön. Ehe ich mich versah, saßen wir schon wieder in ihrem Chevi und sie drückte mir eine Mappe in die Hand.
„Hier, schön lesen und auswendig lernen.“
Ich nahm die Mappe und setzte neugierig einen Blick rein.
„Wer bitte schön ist Toni Heart? Was soll das ganze, Caro?“
„Du bist Toni Heart. Toni für Antonia und Heart für Herz. Ist ja auch ne Herzensangelegenheit. Ich erkläre es dir. Ellen hat heute Bewerbungsgespräche, weil sie einen neuen Mitarbeiter sucht und das ist deine Chance. Mal sehen, wie gut du schauspielern kannst. Gottchen, wird das lustig.“
„Ich soll was? Ich bin doch kein Bodyguard und schon gar keine Tippse!“
„Naja, Erfahrungen hast du ja eigentlich schon. Du hast ja schließlich Ellen und mir nen paar Wochen zugucken dürfen. Und keine Angst, eine Tippse sucht sie nicht, dafür ist ja Frederike noch da und die weiß Bescheid“, zwinkerte sie mir zu, nur so ganz überzeugt von dem Plan war ich nicht. Wie sollte ich Ellen von meinen Qualitäten als Bodyguard überzeugen, wenn ich in dem Bereich gar keine habe? Ja, Caro hatte Recht, das konnte lustig werden, also ran an die Mappe und auswendig lernen. Nach einer weiteren halben Stunde parkte Caro den Wagen und führte mich zu Ellens Agentur, wo mich auch gleich Frederike begrüßte. Ich setzte mich zu ihr in den Raum, wo auch schon einige Kandidaten warteten. Und was für welche!
Nacheinander wurden sie aufgerufen und kamen nach wenigen Minuten mit gesenkter Miene wieder aus dem Büro, was für mich hieß, noch standen meine Chancen gut. Immer wieder las ich mir meine Mappe durch, bis ich auf einmal einen lauten RUMS aus Ellens Büro hörte und diese aufgetakelte braunhaarige Tussi mit ziemlich enttäuschtem Blick herausstürmte. Caro war inzwischen kurz verschwunden und nun war ich dran. Frederike nahm meine Mappe, zwinkerte mir aufmunternd mit einem Lächeln zu und schob mich in Ellens Büro.
Nun hieß es Schauspieltalent, Maurice und schwups, hatte ich meine teure Versace Sonnenbrille auf. Ich betrat das Büro und sah sie endlich, meine Ellen. Sie hatte sich kaum verändert und mein Herz sprang vor Freude ein paar Sätze in meiner Brust, vom Bauchkribbeln ganz zu schweigen. Am liebsten wäre ich ihr direkt um den Hals gefallen und hätte sie geküsst, aber ich musste mich echt beherrschen.
Ellen blickte nicht zu mir auf, als ich mich vor ihr auf dem Stuhl niederließ. Sie las erst meine Mappe, nickte zufrieden und endlich sah ich in ihre wunderschönen braunen Augen. Nur dass diese sich bei meinem Anblick verfinsterten. Hatte sie mich erkannt? Was war los?
Ellen schüttelte ihren Kopf, stand auf und gab mir die Mappe mit Andeutungen über mein Aussehen zurück. Aber seit wann geht Ellen nach dem Aussehen? So vorurteilend und arrogant kannte ich sie nicht. Sie wollte mich gerade dazu veranlassen, ihr Büro zu verlassen, da versuchte ich sie von mir zu überzeugen. Nur gut, dass Frederike das Büro abgeschlossen hatte, damit Ellen nicht flüchten konnte, denn das machte sie zu gerne. Caro meinte, ich habe ja einiges damals mitbekommen von dem Job und dann sah ich das Pfefferspray auf dem Tisch. Schnell griff ich danach und wollte Ellen zeigen, dass ich mich damit auskenne, nur kannte ich mich ja nicht aus. Das Unwiderrufliche passierte, Ellen auf mir und Pfeffer Marsch.
Autsch Maurice, so hatte ich mir das Wiedersehen definitiv nicht vorgestellt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, erkannte mich Ellen irgendwann und war ziemlich wütend. Nach einer kurzen Diskussion mit Caro fand ich mich auch schon bei Ellen zu Hause. Ich hätte gerne gesehen, wie sie jetzt lebte, nur haperte es an meinem Sehvermögen, was ganz nebenbei ziemlich schmerzte.
Anfangs war ich so glücklich, wieder bei Ellen zu sein, doch Caro hatte Recht. Ellen wollte mich direkt wieder nach Paris schicken und ich verstand es nicht. Liebte sie mich nicht mehr? Hatte sie mich in all der Zeit nicht vermisst? Ich wollte nicht einfach kampflos aufgeben und näherte mich ihr. Wir standen im Wohnzimmer und waren kurz davor uns zu küssen, als ich mal wieder plötzlich von meinen Beinen gerissen wurde.
Warum musste dieser blöde Hund eigentlich gerade jetzt hier erscheinen und meinen, er müsste die Aufgabe von Ellen erledigen? Während Ellen lachte, versuchte ich unter dem Koloss und seinen Abschleckereien zu entkommen und nun saßen wir wie am Anfang wieder auf dem Sofa. Ich hatte mitbekommen, dass Ellen in der Zwischenzeit einen Flug für mich gebucht hatte, doch ich wollte nicht weg. Ich wurde sauer, wütend, war enttäuscht. Alle diese Gefühle brachen in mir auf und ich verließ das Wohnzimmer, da meine Augen inzwischen leichte Umrisse erkannten. Ich saß einige Minuten im Bad und überlegte, wie ich Ellen davon überzeugen konnte, dass ich bei ihr bleiben könne. Ich wollte kämpfen, nicht klein beigeben und so stand ich mit erhobenem Haupt auf, spülte mir nochmal meine Augen mit klarem Wasser aus, nahm dieses blöde Metallteil aus meiner Lippe und betrat wieder das Wohnzimmer. Ich wusste, sie musste mich auch noch lieben, sonst hätten wir uns eben nicht fast geküsst und ich wollte meinen ganzen Charme einsetzen, doch ich stockte, als ich Ellen an der Terrassentür schemenhaft sah. Nur gefiel mir nicht was ich sah und mein Herz zog sich krampfhaft zusammen.
„ELLEN!?“
Ellens Sichtweise:
„I missed you, Darling…“
Ich riss meine rotunterlaufenen Augen soweit auf wie es nur ging und blickte schwach in braune Augen. Vickys gehauchte Stimme war das definitiv nicht und auch die Augenfarbe passte nicht zu ihr. Schnell löste ich mich aus dieser Nähe und erkannte Megan, die sich mal wieder über meine Terrasse ins Haus geschlichen hatte.
„ELLEN!?“, hörte ich plötzlich Vicky, die mittlerweile vor mir stand und nicht wie gedacht hinter mir, meinen Namen sagen. Dann fragte auch noch Megan irritiert, worauf Vicky ebenfalls fragte: „Who is this Lady?“
„Wer ist diese Frau Ellen?“
Ups. Eine Situation, in der man oder eher Frau jetzt nicht stecken möchte. Eine Frau hinter mir, eine Frau vor mir und beide funkelten mich teils böse, teils irritiert an. Was tun? Flüchten? Wäre eine Option, nur wie? Ich sah mit blinzelnden Augen zum Sofa, wo Mitch es sich gemütlich gemacht hatte und wie wild mit seinem Schwanz wedelte. Wie schön es doch jetzt wäre, ein Hund zu sein. Doch dann kam mir die Idee.
Ich wusste, Megan versteht kein Deutsch und deswegen dachte ich mir, das wäre die Lösung und Vicky würde morgen bestimmt wieder zurückfliegen wollen.
„Ähm, Vicky… das ist Megan, meine Nachbarin. Ihr gehört auch Mitch und sie ist… meine Freundin!“, kaum hatte ich das ausgesprochen, sah ich, wie sich Vickys Gesichtsausdruck veränderte. Von verwirrt in traurig, aber was blieb mir übrig? Sie starrte zu mir und der dunkelblonden Frau mit halb langen Haaren, die mich immer noch von hinten umarmte. Zwar hatte ich Vicky jetzt bestimmt sehr verletzt, aber irgendwie musste ich ihr doch verständlich machen, dass sie nicht hier bleiben konnte, durfte. Ich biss mir hart auf den Kiefer und blickte zu Boden, sonst hätte sie in meinen Augen meine eigene Traurigkeit erkannt und dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Ich drehte mich zu Megan, gab ihr zu verstehen, dass sie gehen sollte und drückte ihr noch einen kleinen Kuss auf die Wange. Sie rief Mitch zu sich und verschwand auf dem gleichen Weg, wie sie gekommen war. Schnell schloss ich die Terrassentür und schaute zu Vicky. Sie stand immer noch im Wohnzimmer und schien enttäuscht zu sein.
„Das ging ja schnell. Du musst mich ja ziemlich schnell vergessen haben. Da kann deine Liebe zu mir ja nicht groß gewesen sein“, sagte Vicky leise und setzte sich mit einem Seufzer aufs Sofa. Ich fuhr mir mit meinen Händen unsicher durch die Haare und begab mich ebenfalls zum Sofa, natürlich mit einem kleinen Sicherheitsabstand zu ihr. Ihre Worte schmerzten in meinem Herzen, sowie ihr Anblick, so wie sie auf dem Sofa saß. Ich bemerkte ihre glitzernden Augen. Was sollte ich nun machen? Ich hatte sie belogen, aber jetzt in den Arm nehmen, wäre zu gefährlich. Also versuchte ich einfach einen Smalltalk, um die Zeit bis zu ihrem Abflug irgendwie zu überbrücken.
„Hat dich CJ so zugerichtet? Ähm… meine hergerichtet?“
Vicky nickte nur.
„Na warte, Frau Klampf, wenn ich dich in die Finger bekomme, dann brauchst du dir keine Gedanken mehr um dein Styling machen! Und Frederike bekommt auch noch ihr Fett ab.“
„Lass das. Du tust gar nichts. Schließlich war es auch meine Idee. Caro und Frau Maljewski wollten nur helfen, aber wie es ja scheint, hatte Caro Recht.“
Ich war ziemlich sauer auf Frederike, dass sie das Büro abgeschlossen hatte und auf CJ, weil sie Vicky geholfen hatte. Wer sonst hätte Vicky so eine Verkleidung verpassen können, wenn nicht meine Beste?
Und nun wollte Vicky die ganze Schuld auf sich nehmen? Ne, ganz bestimmt nicht, aber was meinte sie mit „Caro hatte Recht“?
„Wie, Caro hatte Recht?“
Vicky sprang auf einmal auf und deutete auf meine Schlafzimmertür.
„Ist das dein Schlafzimmer? Ich würde mich nämlich jetzt sehr gerne hinlegen. Wird morgen ja ein anstrengender Flug.“
Ich nickte ihr erschrocken zu. Dass sie so dermaßen sauer und verletzt war, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Wenn Vicky wüsste, wie sehr mein Herz sich zusammen zog, wie sehr ich sie doch jetzt berühren und küssen wollen würde. Die Nacht wird der Horror! Vicky setzte sich in Bewegung und wollte gerade mein Schlafzimmer stürmen, da sprang ich ebenfalls auf, denn sie hatte meine Frage noch nicht beantwortet.
„Womit hatte Caro Recht?“
„Dass du ein echter Weiberheld bist!“, antwortete sie mir fast flüsternd und schloss die Schlafzimmertür hinter sich. CJ hat was? Spinnt die jetzt total? Na warte Fräulein, der werde ich was erzählen. Wie war das?
Diplomatie ist, jemanden so zur Hölle zu schicken, dass er sich auf die Reise freut? Oh ja, und wie ich diplomatisch vorgehen werde bei meiner Besten. Ich und Weiberheld?!
Ich legte mich flach aufs Sofa, da mir ja nichts anderes übrig blieb. Vicky hatte mal wieder mein Schlafzimmer in Beschlag genommen und so musste ich mich mit dem einfachsten zufrieden geben. Ich wickelte mich in meine Wolldecke, diesmal nicht mit Löwenmuster, und versuchte meine Gedanken an Vicky zu verdrängen, gelang mir aber nicht. Wieso gab Vicky so einfach auf? Sie kämpfte nicht mal. Eigentlich müsste sie wissen, wie sehr ich sie liebte, aber woher auch. Dann plötzlich, nach zwei Stunden des Rumdenkens, fiel mir etwas ein. Hatte Vicky etwa vor…? Gut möglich wäre es ja. Ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen und stand auf, kramte in einer Schublade im Wohnzimmer umher und suchte. Verdammt, er musste hier doch irgendwo sein? Ja, ja, CJ würde jetzt wieder sagen, wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen und letztendlich fand ich was ich gesuchte hatte.
Vorsichtig und leise ging ich zur Schlafzimmertür…
…schob leise den gefundenen Schlüssel ins Schloss und zack, abgeschlossen. Ich wollte sichergehen, dass mir der süße Singvogel nicht abhaut und somit seinen Flug verpassen würde. Zuzutrauen wäre es Vicky nämlich mit Sicherheit. Ich legte mich wieder zurück aufs Sofa und bemerkte, wie sich die Türklinke am Schlafzimmer langsam nach unten bewegte. Ich wusste es, Vicky wollte ausbüchsen, aber nicht mit mir. Ich bin ja schließlich auch irgendwie für ihre Sicherheit zuständig. So schlief ich kurze Zeit später auch mit dem Wissen ein, dass ich mir morgen früh das Gezicke von Vicky anhören dürfte. Dass aber etwas passieren würde, womit ich nicht gerechnet hatte, sollte ich noch erfahren.
Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich aus meinen Träumen gerissen. Ich hörte Vicky aus dem Schlafzimmer singen und das war ganz und gar kein heiteres Lied.
Sie sang mit so viel Gefühl und Traurigkeit, dass ich versuchte, nicht mehr hinzuhören. Ich legte mir sogar ein Kissen ins Gesicht und zog es mir fest über die Ohren, aber es nützte nichts. Das Lied hörte sich herzzerreißend an und genau das war es, was in mir passierte. Es zerriss mein Herz. Aber andererseits ging es nicht. Es war so schön, ihre Stimme wieder zu hören, sie so ganz nah bei mir zu haben, aber andererseits, es ging nicht. Sie konnte nicht hier bleiben.
Ich war kurz davor, ins Schlafzimmer zu ihr zu gehen, aber ich musste mich zurückhalten und als Vicky fertig war, konnte ich eh nicht mehr schlafen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon fünf Uhr war und somit konnte ich auch gleich aufstehen. Ich ging in die Küche und setzte erstmal nen starken Kaffee auf, denn den hatte ich dringend nötig. Nachdem dieser fertig war, trottete ich zur Schlafzimmertür, drehte den Schlüssel um und öffnete behutsam die Tür einen Spalt.
<WUMS>
So langsam, wie ich sie öffnete, so schnell schloss ich sie auch wieder, denn mich hätte beinahe mein allseits beliebter Wecker getroffen, der nun wahrscheinlich an der Tür gelandet und in sämtliche Schräubchen und Rädchen zersprungen war. Ja, Vicky hatte keine gute Laune, definitiv. Wieder ein Knall und ich ahnte, dass es meine Tischlampe gewesen sein musste, dem folgte anscheinend meine kleine Statue aus Porzellan nach und bevor sie meine ganze Einrichtung an der Tür zerstörte, musste ich ihr irgendwie ein Friedensangebot unterbreiten. Ich hatte auch schon eine Ahnung, wie. Ich ging ein paar Schritte von der Tür auf Abstand und rief ihr vorsichtig zu: „Vicky? Kaffee?“
Und schon flog die Tür auf und ein wütend schnaubendes Löwenbaby stand vor mir. Vor Schreck wich ich noch ein paar Zentimeter nach hinten und hoffte, dass sie keine weiteren Wurfgeschosse gefunden hatte. Als ich keinerlei Gegenstände weiter in ihren Händen entdecken konnte, hielt ich ihr einen Becher der schwarzen, dampfenden Friedenspfeife entgegen und schenkte ihr mein schönstes Lächeln.
„Hast du eigentlich einen Schaden? Du hast doch nicht mehr alle Murmeln im Gehirn!“, brüllte sie mich an, setzte einen Sprint an, war im Bad verschwunden und ließ mich mit zwei Kaffeebechern stehen. Was war denn nun? Ich hörte nur die Toilettenspülung, dann stand Vicky schon wieder vor mir und grapschte nach einem Becher, während ich mich nicht traute, etwas zu sagen: „Verdammt Ellen, was sollte das? Wieso hast du mich eingesperrt? Du allzu kluge Frau kommst ja nicht auf die Idee, dass ich vielleicht mal aufs Örtchen muss? Ich könnte dich echt…!“
Ups… War wohl doch keine so gute Idee, Müller. So wütend wie Vicky gerade drauf war, wusste ich wirklich nicht, was ich sagen sollte, aber bestimmt nicht, dass ich dachte, sie wollte abhauen. Das wäre nur Salz in der Wunde oder besser gesagt, Wasser in der Blase gewesen. Okay, entschuldigender Blick und hoffen, dass sie dir verzeiht.
„Ne Ellen, so nicht. Erst reiß ich mir den Arsch auf, um zu dir zu kommen, weil ich dich vermisse. Dann werde ich als Grufti verkleidet, bekomme wieder ne Ladung Pfeffer von dir ab, erfahre, dass du eine Freundin hast, soll zurückfliegen und zum krönenden Abschluss schließt du mich im Zimmer ein wie ne Zwölfjährige und ich muss die halbe Nacht einhalten! So was hab ich echt noch nie erlebt!“
Nun wurde Vicky echt laut vor Wut. Mein Hundeblick würde hier nicht mehr reichen, also musste ich wohl noch meine Sprache mit dazu nehmen: „Vicky, es tut mir leid. Ich meine, die Sache mit der Tür war nur, weil ich dachte…“
„WAS DACHTEST DU, ELLEN MÜLLER?“, unterbrach sie mich ziemlich laut und ich sank auf den Küchenstuhl.
„Nichts, schon gut“, gab ich kleinlaut bei und nippte am Kaffee. Irgendwann würde sie sich schon wieder beruhigen, dachte ich.
„Ach und Ellen? Bevor ich vergesse, zu fragen. Was hat eigentlich dieser Pokal bei dir im Zimmer zu bedeuten?“
Sie fragte mich nach meinem Pokal und grinste dabei auch schon wieder, aber ihr Grinsen hatte etwas Komisches.
„Er ist meine erste Auszeichnung, die ich als Personenschützer bekommen hab. Ich hoffe, du hast ihn nicht auch an der Tür enden lassen, der bedeutet mir nämlich sehr viel! Da versteh‘ ich echt keinen Spaß mehr!“, antwortete ich ihr nun in ernstem Ton, denn an diesem Pokal hing mein Herz und nun hatte ich schon etwas Angst vor ihrer Antwort. Bitte lieber Gott, lass sie ihn nicht zerstört haben und ich funkelte sie böse an. Plötzlich stand Vicky vor mir, beugte sich zu mir, so dass wir frontal ganz nah gegenüber standen und hauchte ihre Antwort nur: „Keine Angst, Frau BODYGUARD, ich habe ihn nicht an die Wand geschmissen. Denn dafür war er mir zu voll!“
Nachdem sie mir das sagte, den Abstand wieder vergrößerte und mich auch noch anzwinkerte, weiteten sich meine Augen. Das konnte sie nicht gemacht haben? Das würde sie nicht wagen, nicht Frau Eitelkeit persönlich. Ich stellte meinen Becher ab und rannte ins Schlafzimmer zum Pokal, der zwar immer noch auf dem Regal stand, doch als ich ihn näher betrachtete, wurden meine schlimmsten Erwartungen wahr.
Ganz cool bleiben, Ellen, ganz cool und ruhig. Da war ich ja auch selber schuld, was musste ich sie auch einsperren.
Ich setzte mich auf mein Bett und schüttelte nur meinen Kopf, als Vicky amüsiert im Türrahmen stand.
„Ellen, ich würde gerne duschen. Bekomm ich bitte diesmal vorher ein Handtuch? Ich möchte ja nicht, dass deine FREUNDIN nachher noch eifersüchtig wird!“
Ich nickte ihr zu, wühlte in der Kommode und schmiss ihr ein Handtuch zu, welches sie direkt im Gesicht traf.
„Tja Ellen, du wirst über den Verlust bestimmt hinwegkommen. Bist ja auch selbst schuld.“
Gerade als Vicky sich umdrehte und sich ins Bad begeben wollte, rief ich ihr noch was hinterher: „Denk bitte daran, wir müssen pünktlich am Flughafen sein. Also beeil dich, sonst bring‘ ich dich nackt dahin!“
„Ja, ja… ich sage dir Bescheid, wenn ich fertig bin. Dann kannst du die Briefmarke anlecken und sie mir dann auf den Arsch klatschen!“
Was meinte sie denn damit jetzt wieder? Diese Frau machte mich echt wahnsinnig.
Vicky schaffte es nach meiner ernstzunehmenden Androhung doch noch, schnell fertig zu werden, damit ich auch noch duschen konnte. Meinen Pokal hatte ich in der Zwischenzeit entsorgt und fertig zu Abfahrt standen wir nun im Flur. Vicky sah auch wieder vernünftig aus, ohne Metallstecker in der Lippe, Bravo-Klebebildchen auf dem Arm und Emo/Grufti Klamotten. Nun hieß es Abmarsch zum Flughafen, nur dass sich Vickys Begeisterung in Grenzen hielt. Mit meinem Land Rover, den ich nur selten benutzte, fuhren wir los. Vicky blickte die meiste Zeit starr aus dem Fenster, während ich versuchte, öfters mal einen Blick auf sie zu erhaschen. Ich wollte nicht, dass sie merkte, wie weh es mir tat, sie wieder zurückzuschicken.
Irgendwann hielt ich die Stille nicht mehr aus, ich wollte nicht, dass Vicky weiter traurig war.
„Vicky? Es tut mir wirklich leid, aber…“
„Was aber? Kann ja sein, dass es dir leid tut, aber was? Dass du mich nicht mehr liebst? Dass ich dir gleichgültig bin? Meine Gefühle für dich? Was Ellen?“, fiel sie mir direkt ins Wort und ich schluckte bei ihren Worten schwer. Wie konnte sie nur denken, dass sie mir gleichgültig war? Dass ich sie nicht mehr lieben würde? Und wie ich sie liebte, von ganzem Herzen, aber es ging hier nicht um mich, nicht um das, was ich wollte. Wieder schwiegen wir eine ganze Zeit und ich hoffte innerlich, dass der Weg zum Flughafen noch lange dauern würde, da ich sie so sehr vermissen würde, aber ich hatte es schon einmal geschafft und ich würde es bestimmt noch mal schaffen. Die Stille machte mich verrückt und ich schaltete das Radio ein.
…the new Hit of Country singer Alex McChase here on KIIS FM…
Ich hörte die einzelnen Strophen des Liedes und dachte nach.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Vicky wieder aus dem Fenster blickte und ihr Tränen über die Wangen liefen.
Nein, mein Herz würde sie nie vergessen und nie könnte ich jemand anderen in mein Leben lassen, geschweige denn in mein Herz.
Ja, das ist richtig. Monate oder gar Jahre können vergehen, aber meine Liebe bleibt. Meine Liebe zu Vicky.
Ich merkte auch langsam, wie die Feuchtigkeit in meinen Augen hochkam, aber ich versuchte sie nicht aufkommen zu lassen. Ich wollte es Vicky nicht schwerer machen, als es eh schon war.
Ich atmete tief ein und ließ mir das Lied noch mal durch den Kopf gehen, als Vicky sich plötzlich zu mir drehte: „Ist diese Alex McChase dein neuer Auftrag?“
Ich nickte ihr zu, schaute sie aber nicht an. Ich wollte ihre Tränen nicht sehen und ich wollte auch nicht, dass sie eventuell meine feuchten Augen erkannte. Sie drehte sich wieder zum Fenster, sprach aber weiter: „Sie ist gut, wirklich gut und auch sehr attraktiv. Ich hab' sie mal auf so einem Event live gesehen. Hübsche Frau, da könntest du ja mal wieder nen richtig guten Fang machen!“
„Man Vicky, was soll das? Ich will keinen Fang machen. Ich bin nur ihr Bodyguard, soll für Sicherheit sorgen, mehr nicht!“
„Ja klar. Hab' schon verstanden. Ich weiß was deine Aufgabe ist. Hast bei mir ja nichts anderes gemacht. Ich frag mich nur, deine Freundin ist doch keine Berühmtheit, also warum ist sie dann deine Freundin?“
„Was bitte soll das heißen? Dass ich mit jeder berühmten Frau ins Bett steige, nur weil ich auf sie aufpasse? Vicky, du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt.“
„Ich? Ich weiß gar nichts. Ich habe lediglich Fakten aufgeführt. Was weiß ich, mit wem du es schon getrieben hast oder von wem du welche Nachhilfe bekommen hast von deinen AUFTRÄGEN!“
Langsam wurde es mir zu bunt. Vickys Unterstellungen waren völlig dämlich, aber ich wusste, dass sie es nicht ernst meinte. Sie war einfach nur verletzt. Nur auf mir sitzen lassen wollte ich es nicht. Vicky war die einzige, auf die ich mich eingelassen hatte und auch nur, weil ich sie liebte.
„Hör auf mit dem Scheiß. Du weißt ganz genau, dass ich mit dir geschlafen habe, weil ich dich… AHHHHHH!“
<KNALL>
<QUIETSCH>
Schnell riss ich das Lenkrad zur Seite und konnte mein Auto gerade noch abfangen, bevor wir in die Leitplanke gerast wären. Ein Ruck ging durch unsere Körper und nun standen wir am Standstreifen. Ich musste mich erstmal von dem Schock erholen. Meine Atmung war so was von erhöht und schnell blickte ich zu Vicky rüber, ob sie in Ordnung war. Diese starrte erschrocken zu mir und auch ihre Atmung war deutlich zu hören. Ich zog sie beruhigend, ganz automatisch in meine Arme und war besorgt um sie.
„Vicky, alles in Ordnung?“
„J… ja… was… wa… war… dass…?“
„Ich weiß es nicht, wahrscheinlich haben wir einen Platten. Ich guck mal und du bewegst dich nicht aus dem Auto, verstanden?“
Sie löste sich von mir, nickte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2015
ISBN: 978-3-7368-8523-3
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...einen großen Dank an meine
geliebte Freundin und Lektorin...