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Hell. Dunkel. Hell. Dunkel.
Dieses Verschwinden und Erscheinen von Licht ist das erste, was er spürt.
Nach und nach erscheinen mehr Details.
Zuerst nur Schatten, sie werden deutlicher, und Menschen lassen sich daraus erahnen.
Er scheint in Bewegung zu sein, zumindest fühlt es sich so an.
Das jähe Ertönen einer Stimme zerreißt die Stille: "Machen sie den OP fertig, der Patient hat einen Schlüssel verschluckt, wir müssen operieren."
"Ich bin nicht tot", ist sein erster Gedanke und sein zweiter ist "Scheiße."
Langsam öffnet er die Augen und erkennt, dass das Abwechseln von hell zu dunkel von der Deckenbeleuchtung besorgt wird, unter der er in einem Bett hergeschoben wird.
Um ihn herum sind mehrere Personen, ein paar mit weißer Kleidung, ein paar mit roter Kleidung.
Krankenhaus.
Eine der Krankenschwestern blickt ihn an und verlautet: "Der Patient ist wieder bei Bewusstsein."
Er holt Luft um sie zu kommentieren, doch sofort wird er von einem irren Schmerz durchschüttelt und der kurz darauf einsetzende Brechreiz führt dazu, dass er seinen sowieso schon leeren Magen nochmals um etwas sauer schmeckender Magensäure erleichtert.
"Ich Idiot habe es nicht geschafft mich umzubringen, nichteinmal das schaffe ich. Und jetzt habe ich riesige Probleme."
Diese Erkenntnis durch den Schmerz hindurch erfassend wird sein Bett über die Schwelle in den Operationssaal geschoben, der Ruck dabei bewegt auch ihn ein Stück und der Schlüssel bohrt sich weiter von innen in seinen Rachen.
Doch er bleibt bei Bewusstsein, jetzt gilt es jedes Detail mitzubekommen, was den Fortgang seiner Geschichte betrifft.
Das Bett steht still im Raum und um ihn herum werden Gerätschaften vorbereitet und Operationsinstrumente geputzt.
Er verspürt einen leicht metalischen Geschmack im Hals, "vielleicht ist es ja doch zu spät und ich sterbe diesen Hunden einfach unter den Händen weg," denkt er und wartet auf das Ende.
Eine junge Frau mit einer Atemmaske nähert sich ihm.
Er reißt die Augen auf und schaut sie angsterfüllt an.
Sie bemerkt seinen ängstlichen Blick und sagt mit zarter Stimme, die sich für ihn gespielt anhört: "Ich werde ihnen jetzt eine Atemmaske anlegen, sie werden dann einschlafen und wenn sie wieder aufwachen, dann ist die Operation schon längst vorbei."
Mit diesen Worten legt sie ihm die Maske an, kurz darauf verspürt er einen süßlichen Geschmack im Mund und seine Augen schließen sich langsam.
Als er sie zum nächsten mal öffnet, befindet er sich in einem neuen Raum.
Sein Hals fühlt sich übergroß an und schmerzt, ein ekelhafter Geschmack von Blut umspielt seine Kehle und ihm ist zum kotzen zumute.
Er fühlt sich ausgelaugt und kraftlos, die Nachwirkung der Narkose wummert in ihm.
"Ich bin nicht tot. Es ist doch eine Schande, nicht einmal das Recht zu sterben hat man als Mensch," denkt er sich und blickt langsam und vorsichtig umher.
Beinahe hätte er das Zimmer für ein normales Krankenzimmer gehalten, aber ein paar Elemente störten ihn in dieser Annahme.
Zunächst fiel auf, dass die Fenster von Innen mit dünnen Eisenstangen versperrt waren, man konnte sie weder öffnen, noch anfassen. Außerdem fehlte es gänzlich an jeder Möglichkeit zur Unterhaltung im Zimmer, es gab weder einen Fernseher, noch Zeitschriften, oder zumindest ein Replikat eines bekannten Bildes an der Wand.
Das Zimmer war völlig steril.
Blumen oder "gute Besserung" Karten vermisst er nicht, so einen Kram hatte er niemals bekommen.
Seine Stirn juckt, er will seine Hand heben um sich zu kratzen, doch es geht nicht.
Erst jetzt bemerkt er, dass seine Hände mit gut verankerten Ledergurten an seinem Bett festgemacht sind.
"Also haben sie mich doch. Ich wusste es. Das ist der Anfang des Endes. Sie holen dich und dann glauben sie dir kein Wort mehr, wenn du ihnen sagst, dass du eigentlich völlig normal bist, dass du nur mal einen Ausraster hattest, dass du eigentlich nur ein wenig Zeit brauchst um zu rehabilitieren.
Oder ich bin wirklich verrückt geworden und weiß es nur noch nicht so recht.
Völliger Quatsch. So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen.
Und wenn doch?
Das kann ich nur auf einen Weg herausfinden."
Er atmet ein um Luft zum sprechen zu haben, allein das bereitet ihm schon unvorstellbare Schmerzen. Sein Versuch jemanden zu rufen hört sich eher nach einem kläglichen Gurgeln an, er merkt wie die Wunde in seinem Rachen wieder aufplatzt und anfängt zu bluten.
"Dieser Schmerz. Ich hatte auch wirklich schon bessere Ideen, als mir das Leben mit einem Schlüssel zu nehmen," denkt er und in diesem Moment schließt jemand die Tür auf und öffnet sie.
Ein Mann in einem weißen Kittel tritt herein und mustert ihn eingehend, er hat dabei ein Lächeln auf den Lippen, welches unschwer zu erkennen gibt, dass er ihn mehr bemitleidet als nett anlächelt.
Und noch irgendwas anderes liegt in seinem Blick.
"Na, wie gehts unserem Patienten? Sie sehen unwohl aus, haben sie etwa versucht zu sprechen? Davon würde ich ihnen abraten, die Nähte könnten aufplatzen und die offenen Wunden verursachen großen Schmerz, aber keine Sorge, daran sterben würden sie nicht. Aber darüber wären sie wohl eher erfreut als besorgt, was?"
Blanker Hohn.
"Was will der Spinner von mir?" Denkt er sich.
"Wie sie vielleicht bereits bemerkt haben, ist dies hier kein normales Krankenhauszimmer. Sie befinden sich hier in einem speziell ausgestatteten Raum für Menschen, bei denen akkute Fluchtgefahr, beziehungsweise der Drang zu Autoaggression besteht. Da wir noch nicht genau wissen, wie es um ihren geistigen Zustand bestellt ist, behalten wir sie für die nächsten Tage hier bei uns. Danach werden sie höchstwahrscheinlich eine therapeutische Behandlung in einer Heilanstalt bekommen. Da ihre Wunden sowieso ausheilen müssen und wir den Heilvorgang hier besser beobachten können, sollte das in ihrem Interesse liegen.
Kann ganz schön weh tun durchzudrehen, was?" Sein Lächeln wird noch breiter, er sieht jetzt selber eher wie ein Patient, als wie ein Arzt aus.
"Ich wusste es ja, hier komme ich nicht wieder raus. Dieser Verrückte wird schon dafür sorgen, dass ich eine lange Zeit hier bleibe, damit sie irgendeinen Dreck mit mir machen können. In ein paar Jahren scheiße ich mich voll und bringe nurnoch schwachsinnige Sätze zustande. Sobald ich zumindest wieder sprechen kann muss ich hier raus."
Er versucht erste Ideen für einen Ausbruchsplan zu sammeln und legt dabei die Stirn in Falten, der Arzt scheint dies zu bemerken, denn er sagt:
"Was überlegen sie? Ob sie vielleicht nicht doch lieber jemanden umbringen sollten? Wissen sie, Patienten wie sie haben wir hier sehr gerne. Durchschnittsmenschen, denen die Drähte durchbrennen und deren Uhren danach nicht mehr richtig ticken. Würde mich wirklich interessieren, wie sie dazu kamen. Vielleicht haben sie ja Schulden, oder hatten schon seit längerem eine Psychose. Das wird sich alles im Laufe der Therapie zeigen."
Kurzes Schweigen.
"Achja, bevor ich es vergesse, wenn der Heilungsprozess in ihrer Kehle vorrangeschritten ist, werden wir ihnen Beruhigungstabletten verabreichen, damit sie keinen erneuten Ausraster bekommen und uns am Ende noch das Krankenzimmer zerlegen."
"Gefügigmacher. Das könnte denen so gefallen, keine einzige von ihren Pillen werde ich zu mir nehmen und wenn ich verhungern muss, zum Zombie werde ich mich nicht machen lassen."
Der Arzt bewegt sich mit langsamen Schritten zur Tür, zum Abschied lässt er ein noch breiteres, verhöhnenderes Grinsen sehen. Er verschwindet, die Tür fällt hinter ihm ins Schloss und wird wieder abgesperrt.
Lange Zeit fliegen die Gedanken und nichts außer gedämpfte Schritte und Stimmen von draußen sind zu hören.
"Sieh Menschheit. Sieh was du aus mir gemacht hast. Sieh was das Ergebnis ist, von Werbeleuchten, Education trough television, sozialen Internetnetzwerken, erlebnisorientierten Gesellschaftsgefügen. Hier liege ich, von dir niedergebunden und dazu verdammt zu experimentellen Zwecken missbraucht zu werden. Vergiftet von Fast food, Cola und gentechnisch verändertem Gemüse. Verblendet von Neonröhren, Autoleuchten und Flutstrahlern. Ins ungewisse fallen gelassen von gekauften Medien, verlogenen Politikern und den neusten Trends.
Ich habe das alles nicht mehr ausgehalten, bin ausgebrochen und dafür werde ich bestraft.
Der lange Arm der Ordnung reicht bis in jeden Winkel der noch so schmierigsten Sozialwohnung die es gibt.
Das Atmen fällt mir schwer, wenn ich daran denke, in welcher Situation die Menschheit steckt. Viel zu sehr verstrickt in all dem, was sie ausmacht. Es ist, als wenn man sich selbst ein Bein stellt.
Längst seid ihr im Fall.
Zu lange habe ich mich zu euch gezählt, so unglaublich lange habe ich nicht erkannt, dass man nur die Augen öffnen muss.
Ich war verrannt in so viele Dinge, aber jetzt habe ich Klarheit erlangt. Aber was bringt mir die Klarheit wenn ich, gefesselt an ein Bett, darauf warte, dass ihr euch über mich hermacht.
Ihr seid wie Ameisen, die einen Kadaver Stück für Stück auseinandernehmen. Teil für Teil wollt ihr mich zerreißen und in eure Mitte tragen, sodass nichts ganzes, kein kompletter Gedanke mehr von mir übrig bleibt, der jemand anderen anstecken könnte und ihn ebenso dazu verleiten, die Augen zu öffnen.
So schützt ihr euch vor euresgleichen. Auf diesen Weg wird auch morgen noch jemand eine Spam mail öffnen und die angefügte Datei herunterladen. Und genauso wird sich auch morgen ein kleiner Junge mit der Waffe seines Vaters ausversehen ein riesiges qualmendes Loch in seinen Kopf schiessen.
Es wird nicht mehr besser, es geht nurnoch bergab.
Widerlich.
Es ist zuviel, es ist zu komplex, es ist nicht mehr greifbar, nicht analysierbar, nicht aufhaltbar.
Das Ende steht unmittelbar bevor, es fehlt nurnoch der richtige Auslöser.
Und voller Vorfreude warte ich darauf. Am liebsten möchte ich selber mitwirken.
Aber ich bin hier gefesselt, doch ich schwöre dir Menschheit, ich schwöre, ich werde zusehen und lachen. Noch hast du mich nicht gestoppt, ein paar Fesseln halten mich nicht auf.
Ich bin neugeboren, ich habe die Wahrheit erkannt und ich werde dir gefährlich werden."
Langsam löst sich eine Träne von seiner Wimper und rollt die Wange entlang, sie trifft auf den Speichel, der sich in den Mundwinkeln seiner, zu einem Lächeln hochgezogenen, Lippen gesammelt hat.

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Tag der Veröffentlichung: 20.06.2011

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