Fassungslos schmettert er das Whiskyglas auf den verkratzten Bartisch.
"Wie kannst du sowas sagen? Wie kannst du behaupten, dass deine Eltern einen Scheißdreck wert sind, immerhin haben sie dich großgezogen!"
"Klar das haben sie und dabei haben sie mich direkt zum halben Soziopathen gemacht, herzlichen Glückwunsch!"
Natürlich war ich wütend. Wenn ich mich mit meinem Onkel treffe werde ich immer wütend.
Er ist ein ekelhafter Typ.
Einer von der Sorte, die sich abends mit billigen Fusel vollaufen lassen und dann gröhlend durch die Straßen ziehen. Und auch einer von der Sorte, die im Frühling nach Thailand fliegen um billige Nutten zu ficken, dabei interessieren sie sich nichteinmal für das Alter der Frauen, oder besser gesagt Kinder, die sie missbrauchen.
Aber ich war abhängig von ihm und dafür hasste ich ihn am meisten.
Seit meine Eltern gestorben waren, hatte er mich monatlich mit 100 ¤ versorgt und ab und an hatte er mal einen guten Rat parat, wenn ich mal einen Schrank zusammenbauen wollte oder so einen Quatsch.
Vielleicht wäre es leichter gewesen auf die 100 Euro zu scheißen, aber ich brauchte das Geld zum leben, alles in allem war der Preis für meine 2-Zimmer Wohnung viel zu überzogen und mehr Zeit zum arbeiten hatte ich nicht.
Der einzige Lichtblick, den ich noch hatte, war einmal mit meiner Freundin zusammenzuziehen, dann würde ich wenigstens eine größere, schönere Bude haben.
Nagut, vielleicht würde mein Alltag dann nurnoch aus arbeiten und fernsehen bestehen, aber was solls.
Zu träumen habe ich mir schon früh abgewöhnt.
"Dein Vater war ein guter Mann, er war immer darum bemüht das es dir gut geht, du solltest dich schämen so über ihn zu sprechen. Ober, ich will noch nen doppelten!"
Von seiner Stimme wird mir übel, nicht nur das ein ekelhafter Whiskygeruch mit jedem Wort hinüberweht, er hört sich an wie mein Vater, die Logik eines besoffenen Bastards, der sich selbst für zu wichtig hält. Und weil er nie mit sich ins Reine kommen wird, muss er seine guten Ratschläge auf andere abwälzen, damit er sich weiterhin erhaben fühlt.
So sitzt er da mit seinen blutunterlaufenen Augen, der braunen, behaarten Haut und einem kurzärmligen weißen Hemd, der Inbegriff eines menschlichen Häufchens Elend.
Wie gerne würde ich ihm sagen, was mein Vater für ein Mensch war, wie sehr er es verdient hätte die Wahrheit zu wissen.
Doch auf der anderen Seite habe ich keine Lust mehr Wörter mit diesem Typen zu wechseln, als ich schon muss.
Gerade holt er wieder Luft um mit seinem Geschwätz anzufangen, als mein Handy klingelt und mir damit ein paar Sekunden zum aufatmen verschafft.
Ich gehe dran, meine Freundin.
"Hey ich komme später so gegen 14 Uhr bei dir vorbei, okay?"
"Ja klar, aber wir waren doch eigentlich für heute Abend verabredet, wie kommt der Wandel?"
"Ach, es gibt da ein paar Sachen zu bereden."
"Ähm, ja okay, bis nachher dann."
"Ade."
Komisches Gespräch, sie war zwar nie die herzlichste, aber ein paar nette Worte hatte sie doch bei Telefonaten für mich übrig, normalerweise.
Ein Blick auf meine Handyuhr, 12:38.
Also noch genug Zeit, der alte hasst es, wenn ich ihn abwürge, während er mit mir sprechen will.
Bedächtig trinke ich meinen eigenen Whisky, er soll nicht sehen, dass ich das Zeug mittlerweile auch wie Wasser runterkippen kann. Wahrscheinlich würde er sich darüber sogar freuen.
"Deine Freundin, oder? Nettes Mädchen, kümmert sich ziemlich gut um dich. Aber was ist da los? Hat sich nach Stress im Paradies angehört?!"
"Nein, alles okay, keine Ahnung was mit ihr ist, aber wird schon nichts schlimmes sein."
"Lass sie dir bloß nicht weglaufen, du bist ja bekanntlich spitze darin alles ins negative zu wenden!"
Widerlicher Penner.
"Ich pass schon auf."
"Und was hast du jetzt so vor? Du erzählst mir ja nie was, hälst du dich noch immer mit Nebenjobs über Wasser?"
Immer die gleichen Fragen, wie mir das zum Hals raushängt.
Vielleicht sollte ich mal mit einem Tonbandgerät ein paar Antworten aufnehmen und diese dann immer im richtigen Moment abspielen, das würde reichen.
"Ich weiß es nicht so recht, am liebsten würde ich was künstlerisches machen, es dauert nur seine Zeit Fuß zu fassen. Auf eine Ausbildung habe ich einfach keine Lust, verstehst du? Handwerksjobs sind so, so langweilig."
Das hätte ich nicht sagen dürfen.
"Langweilig also, ja? Du willst also lieber einen Job für schwule machen? Was künstlerisches?! Hört sich ja super an, willst mir also noch mit 40 auf der Tasche liegen. Bürschen, denk mal scharf drüber nach, was das richtige im Leben ist. Schau mich an, ich habe einen sicheren Job, verdiene genug Geld um verreisen zu können und kann mir ab und an auch noch einen Schluck genehmigen." Jetzt wird er sauer.
Nein.
Jetzt werde ich sauer.
"Hör mal zu, du fetter alter Sack! Dir mag es ja vielleicht reichen einen Job zu haben, für den man keine Gehirnzellen braucht. Geschweige denn, dass du was anderes kriegen würdest.
Aber ich wünsche mir mehr im Leben, als nach Thailand zu fahren und dort Weiber zu knallen, die meine Töchter sein könnten und mich dabei noch fürchten zu müssen, dass ich die Krätze oder schlimmeres kriegen würde, wenn mal das Kondom reißt.
Ich habe das Leben geschmeckt, du schmeckst nur die Existenz.
Und irgendwann, wenn mein Durchbruch kommt, dann stelle ich dich in den Schatten, dann stelle ich die ganze Familie in den Schatten, dann reicht es mir nämlich und ich bin ein für alle mal weg."
Wenn ich das doch nur selber glauben würde. Der goldene Glanz, der mit meinen Worten mitschwingt, schmeckt ziemlich metallisch, wenn ich an die Realität denke, die mich vor der Tür dieser billigen Kneipe erwartet. Draußen wird einem nichts geschenkt, entweder man steht auf und tut etwas, oder man bleibt so lange an einer Stelle stehen, bis man schließlich erschöpft umfällt und stirbt.
Und mit diesen Aussichten als Ausgangspunkt fällt es schon schwer genug überhaupt aufstehen zu können.
Sein Kopf wird hochrot, gleich wird er explodieren. Das schlimmste was man so einem Menschen antuen kann, ist ihn in seiner Existenz zu verletzten, das was er repräsentieren will einfach in Schutt und Asche zu legen und genau das habe ich gerade getan.
"Was hast du da gerade gesagt? Du freches kleines Mistbalg, ich sollte dir deine verdammten Zähne ausschlagen und deine Nase brechen, damit du wieder einen klaren Gedanken fassen kannst. Wie wagst du es mit mir zu reden?! Ich gebe dir jetzt schon so lange freiwillig Geld und das nur, weil du der Sohn meines Bruders bist. Ich bin nicht verpflichtet dir etwas zu geben, ich mache das aus reiner Großherzigkeit. Und du wilst meine Großherzigkeit einfach mit Füßen treten, du freche kleine Missgeburt!"
"Schau dich doch an, ich habe Recht. Du bist eine gescheiterte Existenz, der Punkt an dem du alles hättest drehen können ist schon lange vorbei, deshalb wartest du nurnoch auf den Tod und tust so, als würdest du ein richtiges Leben führen."
Ich habe viel zu viel gesagt, merklich zerspringt in diesem Moment ein Zahnrad, dass vorher alles am laufen gehalten hat.
Er springt auf und packt mich am Kragen.
"Dir werde ich zeigen, dass man so nicht mit mir redet. Du kommst jetzt sofort mit mir raus."
"Traust du dich etwa nicht, mir vor den anderen Existierenden eine Abreibung zu verpassen?"
Die Leute drehen sich uns zu. Und es stimmt, hier sind nur Menschen, die nicht mehr in ihrem Leben erreicht haben als mal ab und an über die Hälfte ihres Monatslohns für das Saufen ausgegeben zu haben.
Sie sitzen an den einarmigen Banditen und hoffen auf das große Geld, wissen aber ganz genau, dass sie niemals aus dieser verdammten Kneipe rauskommen werden. Andere haben noch mehr resigniert, sie sitzen an der Bar und lassen sich nurnoch volllaufen, um zu vergessen, wie beschissen es ihnen geht.
Und ich bin auf dem besten Weg dahin, genauso zu werden wie sie.
Genau so ein verkorkster Mensch, der nur darauf wartet zu sterben und sich die Zeit mit trinken vertreibt.
Dabei habe ich Potenzial, ich hätte es vielleicht schaffen können.
Wäre meine Jungend nicht so beschissen gewesen und mein ganzes Umfeld fürn Arsch, dann hätte ich es vielleicht wirklich schaffen können.
Wäre mein Onkel nicht so ein verdammter Penner, dann hätte ich es vielleicht wirklich ganz ehrlich schaffen können.
Gerade will er mich hinausschleppen, da nehme ich mein Whiskyglas, welches auf dem Tisch steht.
Ich sammle all meine Kraft und donnere es ihm ins Gesicht.
Deutlich ist zu hören wie seine Nase bricht und im zweiten Moment lässt er mich los und taumelt nach hinten.
Seine Nase fängt an zu bluten, er umfasst sie mit seinen Händen und nach kurzer Zeit tropft das Blut zwischen seinen Händen hindurch.
Ich stehe einfach nur da und schaue mir das Schauspiel an, in der Kneipe herrscht absolute Ruhe.
Er schaut mich mit einem verstörten Blick an, damit hätte er wohl nicht gerechnet.
"Du..." flüstert er böse und kommt auf mich zu.
Ich nehme sein Glas, welches unberührt auf dem Tisch steht und schütte es ihm ins Gesicht.
Er schreit, weil der Alkohol in seinen Augen brennt.
Diesen Moment sollte ich nutzen.
Schnell greife ich mein Handy und verlasse die Kneipe.
Mir ist klar, dass ab jetzt nichts mehr so sein wird wie vorher, dass garnichts mehr so sein kann wie vorher.
Verärgert muss ich feststellen, dass er mir das Geld für diesen Monat noch nicht gegeben hat. Scheiße.
Zumindest habe ich das Glas mitgehen lassen.
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2011
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