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Jule ist immer dagegen

Klassisiche Musik erfüllte das Mädchenzimmer, Jules Hund Nelly lag auf dem Bett und der zartrosa Vorhang wurde vom lauwarmen Sommerwind zur Seite geweht. Jule selbst probte für ihren Ballettauftritt, der am kommenden Montag stattfinden sollte, zwei Tage bevor die langersehnten Sommerferien begannen. Im Takt zur Musik drehte sie sich um ihre eigene Achse, streckte ihr rechtes Bein gerade im Neunziggradwinkel von sich weg und breitete ihre Arme theatralisch aus. Noch immer fuchste es sie, dass ausgerechnet ihre Erzrivalin Karina ihr die Hauptrolle weggeschnappt hatte. Im Gegensatz zu ihr hatte Karina langes hellblondes Haar und leuchtende blaue Augen. Ob dies die Begründung war, wieso sie die Rolle als Eisprinzessin bekommen hatte? Jule mochte Karina so und so nicht leiden und zu allem Überfluss ging sie mit ihr in die Klasse 5b des Lindenberg-Gymnasiums. Zusammen mit ihrer Clique, die aus Annabelle, Jessica, Linda, Marie und ihr bestand, machte Karina Jule gerne das Leben schwer. Mit höchster Genauigkeit kontrollierte sie sich im Spiegel. Bis Montag musste jeder kleinste Bewegungsablauf perfekt sitzen. 

 

Ihr Spiegelbild zeigte ein kleines zierliches Mädchen mit langen gewellten dunkelbraunen Haaren und großen ausdrucksvollen fast schwarzen Augen. "Das Aussehen einer Eisprinzessin habe ich wirklich nicht", gestand sie sich selbst. Mit einem Mal flog die Tür auf. "Ich habe eine Überraschung für dich!", gut gelaunt tänzelte ihre Mutter herein. Jule schaute erwartungsvoll zu ihr hoch. "Bevor du fragst, worum es geht", fuhr ihre Mutter fort, "Du wirst zwei Wochen in den Sommerferien bei meiner Schulfreundin Annegret auf dem Sonnenhof verbringen. Das ist ein Reiterhof, der etwa nur sechzig Kilometer entfernt von uns ist. Jedes Ferienkind bekommt ein eigenes Pflegepferd und ganz in der Nähe gibt es einen See, in dem man baden kann" Wie bitte, was hatte sie da gerade gesagt?! Jule glaubte im ersten Moment sich verhört zu haben. "Du willst mich zwei Wochen auf einem Reiterhof in der Pampa absetzen, damit ihr beide unter euch sein könnt", brauste Jule auf. Ihre Mutter machte ein betretendes Gesicht. "Ich dachte, du freust dich darüber. Jedes Mädchen würde sich über einen Reiturlaub freuen", sagte sie kleinlaut. "Ich aber nicht", erwiderte Jule patzig, "Du weißt doch, dass ich mit Pferden wenig anfangen kann und mir diese Tiere nicht geheuer sind" 

 

Selbst beim Abendessen redete Jule aus Protest kein einziges Wort mit ihren Eltern und verschmähte ihre heißgeliebten Kartoffelpuffer mit Apfelmus. "Komm, Julchen, so schlimm werden die zwei Wochen auch nicht werden", versuchte ihre Mutter sie aufzumuntern. "Ihr wollt mich doch nur los werden, gibt es zu", sagte Jule mit erstickter Stimme und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. "Glaub mir, ich habe als Kind oft meine Ferien auf diesem Hof verbracht und es war die schönste Zeit des Jahres", ihre Mutter legte ihr ihre Hand auf die Schulter. "Möchte noch jemand einen Puffer?", fragte der Vater, der die ganze Zeit am Herd stand. "Danke Schatz, ich habe schon drei Stück gegessen", lehnte die Mutter ab. "Jule, willst du gar nichts essen?", hakte der Vater weiter nach. Seine Tochter schüttelte schweigend den Kopf. "Nanu, sonst kannst du dich kaum halten, wenn es um Kartoffelpuffer geht", wunderte er sich. "Sie ist immer noch beleidigt, weil ich sie für zwei Wochen auf Annegrets Reiterhof angemeldet habe. Ich dachte, sie würde sich freuen", seufzte die Mutter. "Da hast du dich gewaltig getäuscht, Mama! Nicht jedes Mädchen ist so pferdeverliebt, wie du glaubst", fauchte Jule und stürmte aus der Küche. Ihre Eltern sahen ihr sprachlos hinterher. Im nächsten Moment knallte im ersten Stock eine Tür. 

 

"Karina und ihren genauso blöden Freundinnen hätte so ein bescheuerter Reiturlaub gut gefallen", dachte sie grimmig und pfefferte ein Kissen in Herzform gegen die Wand ihres Wandschrankes. Die Erzfeindin aus ihrer Ballettgruppe, die in ihre Klasse ging, hatte sogar ein eigenes Pferd. Beinahe jedes Mädchen wollte deswegen mit ihr befreundet sein. Karina erzählte in der Schule stolz, dass bei Turnieren einen Preis nach dem Anderen absahnt. Jule ging ihr Gehabe mächtig auf die Nerven. Was fanden ihre Klassenkameraden an dieser aufgeplusterten Gans? Einen Moment überlegte sie, wie sie den drohenden Reiturlaub abwenden konnte. "Vielleicht könnte ich so tun als ob mir ganz schlecht wäre oder ich könnte mir ein Bein brechen", dachte sie nach. Mama würde sie nie im Leben irgendwo hin schicken, wenn sie krank war und dass man mit einem gebrochenen Bein nicht reiten konnte, sagte allein schon der gesunde Menschenverstand. Jule mochte Sport und Tiere eigentlich sehr gerne. Seit dem sie drei war, tanzte sie Ballett und mit acht trat sie dem Schwimmverein bei. Vor anderthalb Jahren bekam sie Nelly zu Weihnachten. Wie neunzig Prozent auf Pferde und Reitsport stehen konnten, blieb ihr ein Rätsel. Bestimmt liefen auf dem Sonnenhof genauso blöde und arrogangte Ziegen wie in ihrer Klasse rum, die jüngere Mädchen ständig herum kommandierten und durchgehend zickige Bemerkungen von sich gaben. Wie sollte sie es dort nur alleine aushalten? Sie war sich sicher, dass sie jeden Abend vor Heimweh nicht einschlafen werden kann. Viele Freundinnen, die sie fragen konnte, ob sie mitkommen wollen, hatte sie nicht. Jens, der freundliche Nachbarjunge von nebenan, konnte sie nicht fragen. Er würde ihr sicherlich einen Vogel zeigen, wenn sie ihn fragen würde, ob er mit auf den Reiterhof kommt. Daher blieb nur noch Kerstin übrig. 

 

Kerstin war ihre einzige feste Freundin und das seit Kindesbeinen an. Obwohl sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren, hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Kerstin fuhr für ihr Leben gern Skateboard und traf sich mit dem Jungs zum Fußballspielen auf dem Bolzplatz. Jule teilte ihre Interessen nicht, obwohl es Kerstin manchmal schaffte sie zum Bolzen zu überreden. Zu Kindergartenzeiten spielten sie gemeinsam im Sandkasten und rissen für einen Nachmittag von zuhause aus. In der Grundschule saßen sie vier Jahre nebeneinander und bauten zusammen mit Jens eine Budenstadt im Wald. Seit einem Jahr besuchten sie das Lindenberg-Gymnasium. Kerstin könnte die Rettung ihre Sommerferien sein, da war Jule sich zu hundert Prozent sicher. Gleich morgen in der Schule wird sie sie fragen. Schließlich wusste Kerstin selbst noch nicht, was sie in den Ferien machen wird. "Dieses Jahr müssen meine Eltern während der ganzen Sommerferien arbeiten. Sie kriegen keinen Urlaub wegen der Personalknappheit in ihrem Betrieb, daher fällt unser Spanienurlaub in diesem Sommer aus. Wenn ich sechs Wochen lang nur zuhause rumsitze, sterbe ich vor Langweile", jammerte sie Jule vor. "Wir könnten doch zum Baggersee fahren oder im Wald picknicken", versuchte Jule ihre Freundin jedes Mal positiv zu stimmen, wenn es um das elendige Thema Urlaub ging. In diesem Moment war es Jule, die Aufmunterung gut gebrauchen konnte. Bestimmt würde Kerstin freiwillig mit ihr tauschen. 

 

Am nächsten Morgen wartete Jule mit ihrem Fahrrad vor dem Gartentor und schaute beunruhigt auf ihre Uhr. Wo blieb Kerstin bloß? In knapp einer halben Stunde begann die erste Stunde und ihre Klassenlehrerin Frau Erlenmayer legte besonders großen Wert auf Pünktlichkeit. Kerstins wehender rotblonder Haarschopf näherte sich. "Ui, ich habe glatt eine halbe Stunde verschlafen", begrüßte Kerstin sie außer Atem. "Ich dachte, du kommst gar nicht mehr", Jule lächelte als sie in Kerstins hellen grünen Augen schaute. Zu zweit radelte sie in Windeseile die Hauptstraße entlang. "Beeil dich!", rief Kerstin und drehte ihren Kopf nach hinten. Jule trat noch heftiger in die Pedale und bekam fast Seitenstechen. Die sportliche Kerstin schaffte es jedes Mal sie abzuhängen, egal ob zu Fuß oder mit dem Rad. Noch bevor sie den Schulhof erreichten läutete es zur ersten Stunde. "Verdammt!", zischte Jule und kettete ihr Fahrrad fest. "Tja, wir werden um eine Strafpredigt nicht herum kommen", meinte Kerstin. Die Freundinnen sprinteten die Flure entlang. "Ihr schon wieder, wie immer Verspätung im Doppelpack. Setzt euch hin. Marie liest gerade ihre Hausaufgabe vor. Wir sprechen uns nach der Stunde", murmelte Frau Erlenmayer und trug ihre Namen mit einem roten Stift in das Klassenbuch ein. Jule musste es sich verkneifen, ihre Freundin die Frage mit den Reiterferien nicht mitten im Unterricht zu stellen. Sie war nur zu gespannt, was Kerstin zu den Reiterferien sagen würde. Ihre Freundin war ebenfalls eines der wenigen Mädchen aus der Klasse, welches nicht besonders auf Pferde stand. Bereits einige Male hatte ihre Klassenlehrerin ihnen gedroht, sie auseinander zu setzen, sofern sie ihre Privatgespräche im Unterricht nicht einstellten. Weder Jule noch Kerstin wollten den Drachen noch mehr reizen.

Kerstin darf mit

"Na, habt ihr noch eine ordentliche Abreibung bekommen?", fragte Annabelle frech als sie an der Bank vorbei kam, auf der Jule und Kerstin saßen. "Sei still, du dumme Nuss!", fauchte Kerstin und ging nicht weiter auf die Bemerkung der Spottdrossel ein. Die Strafe, die ihnen der Drachen erteilte war, dass sie bis zu den Ferien Tafeldienst hatten. Nun konnte Jule zu ihrer Frage kommen. "Reiterferien, das klingt fantastisch", jubelte ihre Freundin, "Ich kann gar nicht verstehen, wieso du mit mir tauschen willst" "Ich verbringe doch nicht zwei Wochen alleine auf einem Hof, wo es nur von Zicken wimmelt", erwiderte Jule verächtlich und wunderte sich wieso Kerstin auf einmal so viel Begeisterung für Pferde und Reiten zeigte. "Warum verbringen wir die Ferien dort nicht zusammen?", schlug Kerstin mit leuchtenden Augen vor. "Das wäre spitze", zum ersten Mal hellte sich Jules Gesicht auf. "Das wäre es, vielleicht gibt es dort manch so ein spannendes Abenteuer zu erleben", fuhr ihre Freundin begeistert fort. 

 

Kerstins Mutter rief kurz nach dem Mittagessen bei Jule zuhause an und wollte die Telefonnummer von Annegrets Hof haben. Sie war begeistert davon, dass ihre Tochter mit ihrer besten Freundin auf einem Reiterhof verbringen wollte. "Bist du wenigstens jetzt glücklicher, dass Kerstin mitkommen darf?", lächelte Jules Mutter. "Auf alle Fälle", nickte Jule. "Ich hoffe, dass sie dort noch einen Platz frei haben", bremste ihre Mutter die Euphorie. "Ich hoffe doch", entgegnete sie ihrer Mutter. "Würdest du notfalls auch alleine fahren, wenn alle Stricke reißen?", fragte ihre Mutter. "Nicht so gerne", schüttelte Jule den Kopf. "Ich denke, du wirst dort einige nette Mädchen kennen lernen", meinte ihre Mutter. "Es muss einfach klappen, dass Kerstin mitkommt, sonst kann sie an meiner Stelle fahren und ich bleibe hier oder verbringe die Ferien bei Tante Birgit", rief Jule. "Du willst dir doch Tante Birgit nicht im Ernst antun oder?", lachte ihre Mutter. Tante Birgit war Papas ältere und etwas merkwürdige Schwester, die einem mit ihrem stundenlangen Gerede auf die Nerven gehen konnte und ihre Gäste mit ihren nicht so überragenden Kochkünsten verwöhnte. 

 

Am Nachmittag fuhren Jule und ihre Mutter in die Stadt, um die Reitsachen zu kaufen. Jule probierte gleich drei Reithosen hintereinander an. Die in beige gefiel ihr am besten, aber leider war sie viel zu weit. Erst eine karierte Hose passte perfekt, dazu durfte sie sich noch Schuhe und anderes Reitzubehör aussuchen. "Dreh dich mal um!", befahl ihre Mutter. "Sieht gut aus!", meinte eine junge Verkäuferin und nickte ihnen freundlich zu. Jule fand, dass sie in der Reitkleidung ganz anders aussah als sonst. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie eine echte Profireiterin war, die schon einige Preise abgesahnt hatte. In Wirklichkeit hatte sie als kleines Kind nur ein einziges Mal auf der Kirmes auf einem Pony gesessen. Sie kamen mit drei Tüten voll aus dem Laden. Zur Feier des Tages kehrten sie in die Eisdiele "Gelantino" in der Marktpassage ein. "Kerstin wird Augen machen, wenn sie dich in der Reituniform sieht", meinte ihre Mutter und angelte mit ihrer Gabel eine Erdbeere von der Sahnehaube. "Geschweige denn sie kommt mit", sagte Jule. "Notfalls bringt Anngegret sie auch in der Abstellkammer unter oder bei einen ihrer Söhne im Zimmer", scherzte ihre Mutter. "Kerstin wird notfalls auch auf dem Heuboden schlafen. Ihr macht es noch nicht einmal aus, wenn ihr Mäuse oder Siebenschläfer über den Schlafsack laufen", meinte Jule. Sie wusste ganz genau, dass ihre beste Freundin für jedes Abenteuer zu haben war. 

 

Der Auftritt und die Ferien rückten unaufhaltsam näher. Wenige Stunden vor ihrem Auftritt war Jule so übel, dass sie sich beinahe übergeben musste. Wie immer hatte Mama ihr einen Beruhigungstee gekocht, wenn sie aufgeregt war und mit einem Mal ging es ihr besser. "Denk daran, du schaffst das schon!", munterte sie ihre Tochter auf der Autofahrt zur Stadthalle auf. Jule nickte und schaute abwesend auf die andere Straßenseite, wo ihnen eine Straßenbahn entgegen kam. "Gleich wird der Auftritt sein und ich weiß nicht mehr, was ich tun soll", dachte sie und konnte ihr Lampenfieber kaum unterdrücken. Jules Tanzkameradinnen warteten schon am Hintereingang, als Monika sie begrüßte und sie in einen dunklen Korridor führte. Monika war ihre Tanzlehrerin, eine drahtige Dame mitte vierzig, die ihre wilden schwarzen Locken heute mit einem leuchtend grünen Haarband bändigte. Zuerst ging es in eine Umkleidekabine, dort zogen sich die Mädchen ihre Kostüme an. Doch das Schminken und Frisieren kam, nachdem sich die Mädchen in einem Nebenraum warm getanzt hatten. Eine handvoll Mütter und Tanten nahmen sich zwei dutzend Mädchen vor und verwandelten sie innerhalb kurzer Zeit in anmütige Tänzerinnen. Karina konnte es nicht unterlassen Jule durchgehend siegesgewiss anzulächeln. Genervt rollte Jule mit ihren Augen und blendete die arrogante Kuh aus, so gut es auch nur ging. Hinter den Kulissen wurde es nun mucksmäuschenstill. Monika trat auf die Bühne und hielt die Eröffnungsrede. Jule hörte ihre Stimme klar und deutlich. Das Lampenfieber wandelte sich in eine ungeheure Lust um. Endlich war so weit, die gesamte Ballettgruppe rannte auf die Bühne und die Musik begann. Obwohl es nur ein einfacher Gruppentanz war, fühlte sich Jule so stolz wie seit langem nicht mehr. 

 

Nun warteten noch zwei Solotanzeinlagen auf Jule, für die sie beinahe ein halbes Jahr trainiert hatte. Nun mischte sich auch ein wenig Spannung in ihre pure Vorfreude. Würde der Sprung mit der doppelten Drehung diesmal tadellos klappen? Um sich nicht verrückt zu machen, verdrängte sie den Gedanken schnell wieder. Der Akt, in dem sie alleine auftrat, rückte näher. Karina kam von der Bühne, dies war das Signal für Jule, dass sie an der Reihe war. Jule tänzelte auf Zehenspitzen zur Mitte der Bühne, breitete ihre Arme aus und warf ihren Kopf in den Nacken. Zeitgleich mit der Musik setzte sie zu einer Drehung an und spreizte ihr rechtes Bein nach hinten. Im Publikum wurde bereits vereinzelt geklatscht. Jule blendete das Publikum aus und tanzte unbeirrt weiter. Gleich kam das wichtigste ihrer Tanzeinlage: der Sprung! Dabei durfte nichts falsch laufen. Konzentriert bereite sie den Moment vor, in dem sie sich aus einer Drehung heraus vom Boden abrücken musste. Tätsächlich, der Sprung klappte fabelhaft und genauso brilliant landete sie wieder auf dem Boden. Wieder wurde applaudiert. Nach drei Minuten verstummte die Musik wieder und Jule schlich wieder hinter die Kulissen. Ein ohrenbetäubender Zwischenapplaus verabschiedete sie. "Einfach fabelhaft", lobte Monika sie und klopfte ihr auf die Schulter. Auch ihre Tanzkameradinnen fanden gute Worte für sie, nur Karina blieb stumm und schaute Jule grimmig an. "Du hättest doch die Hauptrolle kriegen müssen", flüsterte Nadine Jule zu und hoffte, dass Karina nichts mitbekam, was sie gerade sagte. 

 

Nach ihrem Auftritt mussten sie sich dutzend Male verbeugen. Jule stand ausgerechnet neben Karina, die nur zögerlich ihre Hand hielt. Offenbar war sie neidisch, dass Jule sogar noch ein wenig mehr Applaus bei der Einzelverbeugung bekam als sie selbst, wo sie doch die Hauptrolle tanzte. Wenig später, als sie bereits umgezogen war, traf sie im Foyer der Stadthalle ihre Eltern und ihre Oma. Jens und Kerstin standen ebenfalls bei ihnen. "Du warst großartig!", wurde sie von ihrer Mutter empfangen. "Dem kann ich nur zustimmen", lächelte ihr Vater. "Du warst hundert Mal besser als Karina. Du wärst in der Hauptrolle viel besser gewesen, als diese blöde aufgeblasene Gans", meinte Kerstin. Jule konnte sich vor Lob und Anerkennung kaum mehr retten. "Ich habe noch eine gute Nachricht für dich", begann Kerstin leise. "Raus damit!", Jule konnte sich vor Neugierde kaum noch halten. "Ich darf mit dir auf den Sonnenhof, vorhin habe ich die Zusage bekommen", Kerstins grünen Augen funkelten mit ihren unzähligen Sommersprossen um die Wette. "Das ist fabelhaft!", jubelte Jule. Die Freundinnen nahmen sich an den Händen und hüpften vor Freude auf und ab. "Darf ich fragen, worüber ihr euch so freut?", räusperte sich Jens, der nicht verstand, was bei den beiden Mädchen abging. "Ich darf mit Jule während der Sommerferien auf den Reiterhof", verkündete Kerstin die frohe Botschaft. "leider, ist das Nichts für Jungen wie dich", ergänzte Jule. "Zugegebener Weise ist Reiten mehr für Mädchen, aber ich hätte nichts dagegen, es einmal auszuprobieren", meinte er. "Schade, ich hätte dich auf fragen können", sagte Jule auf einmal. "Egal, ich wäre dort eh nur der einzige Junge zwischen lauter Mädchen", winkte Jens ab. "Warte nur ein paar Jahre ab, dann wärst du froh, wenn du der Hahn im Korb bist", grinste Kerstin. "Stimm auch wieder", nickte Jens. 

 

Die Feier des Tages ging im Garten der Finkenbergers weiter. Jule, ihre Eltern, ihre Oma, die Gerders mit Jens und Kerstins saßen auf der Terasse an einem langen Tisch. Es wurde gegrillt und Frau Finkenberger servierte Baguette, Erdbeerbowle und selbstgemachten Kartoffelsalat. Bei dem Geruch von Würstchen knurrten Jule und Kerstin die Mägen. Als Herr Finkenberger die erste Rutsche Würstchen an alle Anwesenden verteilte, brauchten Jule und Kerstin beinahe eine halbe Stunde, um ihre erste Wurst zu vertilgen. Angeregt unterhielten sie sich über die bevorstehenden Ferien auf dem Sonnenhof. "Du bist nun doch nicht mehr so abgeneigt gegenüber Pferden", stellte Kerstin fest. "Eigentlich sind Pferde sehr schöne und elegangte Tiere, aber sie sind mir eindeutig zu groß", meinte Jule. "Dann musst du mal auf einem Elefanten reiten", lachte Kerstin. "Bist du schon mal auf einem Elefanten geritten?", wollte Jule wissen. "Vor einem Jahr im Zirkus, das war einfach nur grandios und ich würde es auf alle Fälle wieder tun", erwiderte ihre Freundin. "Hey, wollt ihr gar nicht essen? Eure Würstchen werden ganz kalt", unterbrach Jens ihr Gespräch. "Doch natürlich", antwortete Kerstin und stopfte sich prompt ihr halbes Würstchen in den Mund. Jule musste unwillkürlich lachen. Manchmal konnte ihre beste Freundin wirklich ein Scherzkeks sein. Nach dem Essen kletterte Jule mit Kerstin und Jens hinauf auf ihre altes Baumhaus, welches ihr Papa zum sechsten Geburtstag geschenkt hatte. Dort oben konnten die Kinder für sich sein, ohne dass die Erwachsenen ihren vertraulichen Gesprächen lauschten. 

Willkommen auf dem Sonnenhof

Vollbepackt verstauten Jule und Kerstin ihre vielen Taschen im Kofferraum. Jules Vater nahm sich extra einen ganzen Tag frei, um die Mädchen fahren zu können. "Man könnte glatt denken, wir würden auf eine Weltreise gehen", flüsterte Kerstin Jule ins Ohr. Sie mussten beide grinsen. Ihnen war gestern noch viel eingefallen, was sie für vierzehn Tage Reiterferien brauchten: die Abenteuerausrüstung von Kerstin, Badesachen, Taschenlampen, einen Jahresvorrat Süßigkeiten und noch viel mehr! "Die anderen Ferienkinder fallen vor Lachen bestimmt vorneüber, wenn sie euch so vollbepackt sehen", meinte Jules Vater grinsend und rollte mit seinem Wagen vom Hof. "Sonnenhof, wir kommen!", riefen die beiden Freundinnen fröhlich und gaben sich einen Highfive. Noch bevor sie auf die Autobahn fuhren, kamen sie vor der Stadtgrenze in einen heftigen Wolkenbruch. Jules Vater fuhr sicherhaltshalber langsamer, da das Wasser den gesamten Asphalt bedeckte und bei zu schneller Geschwindigkeit Aquaplaning drohte. 

 

Der Regen hüllte die Umgebung in ein nebeliges Kleid. Es ging über Hügel und Wälder. Nach einer Weile wusste Jule nicht mehr, wo sie war. "Vielleicht kommen wir heute doch noch aufs Pferd", bei Kerstin war die Vorfreude ins Unermessliche gestiegen. "Hm, ich denke eher nicht, schließlich müssen wir dort erstmal ankommen", bremste Jule ihren Enthuiasmus. "Gerade kam ein Wegweiser, es sind nur noch zehn Kilometer", meldete sich ihr Vater zu Wort. Kerstin wurde mit jedem Kilometer hibbeliger. Das Auto kämpfte sich einen steilen Abhang hoch und verschwand im Wald. "Wir scheinen wirklich im Niemandsland zu sein", murmelte Jule. "Ach, das ist doch das Schönste überhaupt, endlich mal raus aus der lauten und stickigen Großstadt", hielt Kerstin ihr entgegen. Jules Vater bog links ab und fuhr einen Sandweg entlang. "Wenn ich mich nicht täusche, sind wir hier richtig", sagte er nuschelnd. Die beiden Freundinnen drückten sich an den Fensterscheiben ihre Nasen platt. "So viele Pferde!", kam es von Kerstin. Am Ende der von Bäumen gesäumten Straße tauchten drei alte Gebäude auf. "Das ist es!", raunten sich die beiden Mädchen aufgeregt zu. Jules Vater hielt den Wagen auf dem Hof an. Die Mädchen konnten keinen Moment länger stillsitzen und sprangen aus dem Auto.

 

Ein braunweißer Collie stürmte mit lautem Gebell auf sie zu. "Komm her!", rief Kerstin und wollte gleich als allererstes mit dem Hund spielen. Ein flachsblonder Junge kam nachgelaufen. "Sitz, Lulu!", rief er dem Hund hinterher. Die Mädchen verharrte und sahen den fremden Jungen an. Er musste ein oder zwei Jahre älter als sie sein. Ob er hier auch seine Reiterferien verbrachte. Grinsend drehte er sich zu den beiden Freundinnen um. "Hallo, ihr seid doch die beiden neuen Ferienkinder?", fragte er. Jule und Kerstin nickten gleichzeitig. "Ich bin Per und bin dreizehn Jahre alt. Meinen Eltern gehört der Hof", stellte er sich vor. "Hallo, ich bin Kerstin und das ist meine Freundin Jule", sprach Kerstin für sie beide, die vor Fremden keine Hemmung hatte. Schüchtern gab Jule dem Jungen ihre Hand. "Wo sind eigentlich die Pferde?", wollte Kerstin wissen. "Kommt mit, ich zeige sie euch", rief Per und lief los. Die Mädchen rannten ihm hinterher. Mit ihm Schritt zu halten war gar nicht leicht, da er so lange Beine hatte. Am Zaun machten sie Halt. Jule war nach einem etwa zweihundert Meter langen Sprint fast aus der Puste. Per brauchte nur einmal mit der Zunge schnalzen und da kamen schon drei Pferde. "Das sind Baltasar, Gregor und Romeo. Sie sind die treusten Artgenossen, die man sich vorstellen kann. Baltasar gehört übrigens mir seitdem ich acht bin", stellte der Junge die Pferde vor und gab den beiden Mädchen jeweils eine Möhre.

 

Kerstin hatte kein bisschen Scheu vor den großen Tieren und schlang ihre Arme um den schwarzen Rappen. "Ich sehe, Romeo und du, ihr werdet gute Freunde werden", lachte der Junge. Jule verlor nur langsam ihre Scheu und streckte die Hand mit der Möhre nach dem braunen Pferd aus. "Halt, leg die Möhre auf die flache Handinnenseite und füttere ihn so", gab Per ihr den Tipp. Jule befolgte seinen Rat. Dass sich eine Pferdeschnauze so sanft anfühlte, hätte sie nie und nimmer gedacht. Zaghaft kraulte sie Gregor am Hals. "Na also, du hast nun doch deine Scheu abgelegt", bemerkte der Junge anerkennend. "Kann ich ihn auch reiten?", fragte Jule vorsichtig. "Aber klar doch, aber ihn reiten meist die erfahreneren Reitschüler. Euch werden Frieda und Gustav das Reiten beibringen, sie sind die friedlichsten und geduldigsten Pferde im Stall", meinte Per. "Wann bekommen wir unsere erste Reitstunde?", platzte es aus Kerstin heraus. "Morgen Vormittag", erwiderte Per. "Na, da seid ihr ja!", eine große Frau mitte vierzig kam auf sie zu. "Hallo!", grüßten Jule und Kerstin zurück. "Wie ihr euch schon denken könnt, bin ich Annegret und die Mutter von Per", fuhr sie mit einem freundlichen Lächeln fort. Die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Sohn war nicht zu übersehen. Beide hatten die gleichen hellblonden Jahre und blaugrauen Augen. "Sie haben wunderschöne Pferde", schwärmte Kerstin. "Bitte siezt mich nicht, sonst fühle ich mich so alt", lachte Pers Mutter, "Nennt mich Annegret und meinen Mann könnt ihr ebenfalls Christian nennen" "Ich wollte nur den Mädchen die Pferde zeigen", versuchte Per seiner Mutter zu erklären, wieso sie so schnell verschwunden waren. "Schön, dass es euch so gut gefällt", lächelte Annegret. Sie freute sich jedes Mal, wenn sie die Begeisterung bei den Ferienkindern im Gesicht sah. 

 

Kurz vor dem Abendessen führten Per und Annegret sie überall herum. Nachdem sie das Wohnhaus, den großen Garten, den Hof und den Stall gesehen hatten, führte Annegret die beiden hinauf in den zweiten Stock. "Hier schlaft ihr", sagte sie zu den beiden Mädchen und öffnete die Tür. "Sind wir gar nicht alleine?", fragte Jule. "Ihr teilt euch das Zimmer mit Miriam, Tessa, Franziska und Jaqueline. Die Vier nennen sich die Sunny Girls und sind seit Jahren unsere Stammgäste. Ich kann euch nur sagen, dass sie alle vier liebenswerte und lustige Zeitgenossen sind. Ihr werdet euch mit ihnen bestimmt gut verstehen", prophezeite Annegret. Kerstin und Jule schauten sich neugierig im Zimmer um. An den Wänden rechts und links von ihnen standen unter den Dachschrägen jeweils drei Betten, vor denen jeweils ein blauer oder ein roter Teppich lag. Rechts und links neben der Tür standen zwei riesige Schränke aus hellem Holz und vor dem Fenster entdeckten sie einen Tisch mit zwei Stühlen. "Hier ist es so gemütlich, dass ich nie von hier weg will", sagte Jule leise zu Kerstin. Ihre Freundin stimmte ihr mit einem Nicken zu. An der rechten Wand waren zwei Betten noch nicht besetzt, die die beiden Freundinnen sofort in Beschlag nahmen. "Wo sind unsere Zimmergenossinnen?", fragte Jule. "Sie sind unten im Esszimmer, ihr werdet sie gleich beim Abendessensehen", meinte Annegret. 

 

Im Esszimmer saßen bereits vier Mädchen an einem der beiden Tische. Annegret wandte sich an ein großes Mädchen mit kinnlangen dunkelbraunen Locken, braungebrannter Haut und strahlend blauen Augen. "Jaqueline, das sind unsere beiden neue Gäste Jule und Kerstin, sie sind das erste Mal hier", sagte sie. "Hey, mein Name ist Jaqueline Irrling, ich bin dreizehn Jahre alt und somit die Älteste von uns", stellte sich das fremde Mädchen vor und gab beiden die Hand. "Nett dich kennen zu lernen, Jaqueline", lächelte Kerstin. "Nennt mich bitte nur Jacky", lachte das große Mädchen freundlich. Jules Blick fiel auf ein Mädchen mit langen hellblonden Haaren, die ihr seidig und gewellt den Rücken herunter hingen. "Ich bin Franziska, aber für euch bitte Franzi", lächelte die Blondine mit den sanften blaugrauen Augen. Neben ihr saßen zwei Mädchen, die identisch aussahen. Beide hatten ihre dunkelblonden Haare zu langen Zöpfen geflochten, musterten mit ihren lebhaften grünen Augen die Umgebung und strahlten mit ihren unzähligen Sommersprossen um die Wette. "Sie mussten sehr lustige und fröhliche Mädchen sein", dachte Jule. Damit hatte sie Recht, die Zwillinge sahen sich feixend an und kicherten um die Wette. "Wie heißt ihr eigentlich nochmal?", gluckste die eine. "Wir konnten uns eure Namen nicht merken", ergänzte die andere. "Weil Miri gequasselt hat", fuhr die Erste fort. "Ich bin Kerstin und das neben mir ist Jule", stellte Kerstin sich und ihre Freundin noch einmal vor. "Schön euch kennen zu lernen", sagte der Zwilling, der direkt neben Franzi saß. "Wer war noch einmal wer?", fragte Jule irritiert. "Ich bin Tessa", rief das eine Mädchen laut. "Nein, ich bin Tessa", entgegnete ihr ihre Schwester mit gespielter Empörung. "Na gut, dann bin ich eben Miriam", meinte der erste Zwilling. "So heiße ich schon", erwiderte der andere Zwilling. So ging es einige Male hin und her. Franzi begann leise zu kichern. "Lasst euch von den frechen Zwillingen nicht foppen", beendete Jacky das Spielchen, "Das Mädchen mit dem blauen Pulli ist Tessa und Miri trägt heute ein rotes Sweatshirt" 

 

"Sollen wir euch den Hof zeigen?", boten die Zwillinge den Neuankömmlingen an. "Gerne, das wäre nett", nickte Kerstin. "Macht es euch etwas aus, dass ich nicht mitgehe?", fragte Franzi, "Ich habe tierische Kopfschmerzen" "Leg dich am besten ins Bett, Franzi", meinte Jacky und legte ihrer Freundin den Arm um die Schultern. "Seid ihr bereit!", riefen die Zwillinge und brachten ihre Teller und Gläser weg. "Hey, macht mal halblang, ihr Vollgas-Zwillinge!", musste Jacky die beiden Schwestern zügeln. Nachdem Jacky fertig mit dem Abräumen war, zogen sich die Mädchen ihre Schuhe an. "Wisst ihr, was das Beste hier ist?", eröffnete Miriam das Gespräch. "Was denn?", hakte Jule nach. "Hier gibt es einen Heuboden, auf den man Verstecken spielen kann und einen großen Garten hinter dem Haus mit Schwimmteich", fuhr Tessa mit leuchtenden Augen fort. "Das wird immer genialer!", jubelte Kerstin. Die Zwillinge stemmten eine große schwere Scheunentür auf. "Hier sind die ganzen Geräte, an die wir auf keinen Fall ran gehen dürfen", sagte Jacky. "Kommt mit nach oben!", rief Tessa, die die Sprossenleiter zum Heuboden schon halb hochgeklettert war. Die anderen Mädchen folgten ihr. Oben angekommen warfen sie sich jubelnd in das weiche Stroh und begannen sich daran einzugraben. Plötzlich hörten sie es maunzen. "Kasimir", riefen die Zwillinge. "Wer ist Kasimir?", wollte Kerstin wissen. "Der zahmste und treuste Kater in der ganzen Umgebung", meinte Jacky. Ein graugetigerter Kater huschte zu ihnen herüber und ließ sich von den Mädchen kraulen. "Er lässt sich gerne verwöhnen", flüsterte Tessa Kerstin zu. "Aber dafür ist er ein echter Casanova", meinte Miriam. 

Die erste Reitstunde

In der ersten Nacht schlief Jule erstaunlich gut. Die frische Landluft hatte sie gestern extrem müde gemacht und war rasch eingeschlafen, obwohl sich Kerstin noch eine ganze Weile mit den Zwillingen unterhalten hatte. Nach einem reichhaltigen Frühstück war es endlich so weit. Jule und Kerstin gingen nachdem sie sich ihre Zähne geputzt hatten, in ihr Zimmer um sich reittauglich anzuziehen. "Ich habe so einen Bammel, dass ich gleich vom Pferd rutsche", äußerte Jule ihre Bedenken. "Ach, das glaube ich nicht", entgegnete ihr ihre Freundin. "Wer als erster von uns unten ist!", forderte Tessa ihre neuen Freundinnen zu einem Wettrennen heraus. Zu dritt polterten sie die hölzernen Treppen hinunter. "Hey hey, was ist das für ein Lärm", hörten sie eine männliche Stimme rufen. "Tschuldigung, Christian!", erwiderte Tessa kleinlaut. Sofort mäßigten die mädchen ihr Tempo. "Nimmst du heute auch am Reitunterricht teil?", wandte sich Kerstin an Tessa. "Nein, wir machen gleich einen Ausritt mit Christian", meinte sie. 

 

Draußen schien die Sonne und es war ziemlich warm. Schon nach kurzer Zeit fingen Jule und Kerstin an ihrer Reitkleidung zu schwitzen. "Na, da seid ihr ja", begrüßte Annegret die beiden Mädchen gutgelaunt. Hinter ihr tauchte Per auf. "Guten Morgen", sagte er zu den beiden Freundinnen. An einem Holzbalken waren zwei Pferde festgebunden. "Das sind Gustav und Frieda, sie werden euch das Reiten beibringen", stellte Annegret die beiden beiden Vierbeiner vor. Vorsichtig betasten die beiden Mädchen ihre Hälse und ihre weichen Nüstern. "Bevor wir mit dem Reiten loslegen, müssen wir unsere tierischen Freunde erst putzen und ihnen die Hufe auskratzen. Per wird euch dabei helfen", fuhr Annegret fort und drückte ihnen Bürsten und Striegel in die Hand. Mit fröhlichen Gesichtern machten sich Jule und Kerstin ans Werk. "So schwer ist das doch nicht", meinte Kerstin. "Habt ihr einem Pferd schon einmal die Hufe ausgekratzt?", fragte Per. "Die Mädchen schüttelten die Köpfe. "Dann zeige ich es euch", sagte er und hob Gustavs linken hinteren Huf an. "Wer von euch mag begannen?", warf Per seinen Blick abwechselnd auf Jule und Kerstin. "Ich", meldete sich Kerstin zu Wort, die vor nichts zurück schreckte. Nun war Jule an der Reihe. Ihr Herz schlug ihr heftig gegen die Rippen, als Per ihr den Huf von Frieda und einen Hufauskratzer in die Hand drückte. "Es kann dir nichts passieren, aber du musst den Huf gut festhalten", redete er auf das verängstigte Mädchen ein. Jule war baff, dass Frieda die ganze Zeit ihren Huf ruhig hielt. Erleichtert ließ sie ihren Huf wieder los. 

 

Auf einem kleinen Reitplatz, der direkt neben dem Waldrand lag, machte Annegret Frieda an einer langen Leine fast. "Was ist das denn?", raunte Kerstin Jule zu. "Das ist eine Longe", klärte Per sie auf. "Wer will beginnen?", fragte Annegret. "Diesmal ist Jule zuerst an der Reihe", sagte Kerstin. "Komm dann drehen wir auf Gustav eine Runde durch den Wald", wandte sich Per an Kerstin. Jule scheute vor nichts mehr zurück, nachdem sie dem großen Vierbeiner die Hufe ausgekratzt hatte. Sie kam sogar fast ohne Hilfe in den Sattel. Annegret schnalzte mit der Zunge und Frieda setzte sich langsam in Bewegung. Jule drückte krampfhaft ihre Waden in den Pferdebauch und klammerte sich vorne am Sattel fest. "Hey, du brauchst dich nicht so verkrampfen", meinte Annegret. Jule befolgte ihren Rat und versuchte sich mit dem Schrittrythmus des Pferdes zu bewegen. "Nicht schlecht, das sieht immer besser aus", lobte Annegret nach einigen Minuten, "Nun traben wir kurz an" Jule kam aus dem Rythmus und fühlte sich durchgeschüttelt wie in einer Waschmaschine. Doch der jahrelange Ballettunterricht machte sich auch diesmal bezahlt, nach einer Runde im Trab fand sie ihre Balance wieder und saß kerzengerade im Sattel. "Sehr gut machst du das!", fand Annegret anerkennende Worte. Frieda lief wieder im Schritt, diesmal sollte Jule freihändig reiten. Zuerst nahm sie eine Hand vom Sattel und schließlich auch die andere. Stolz stellte sie fest, dass auch dies ohne Schwierigkeiten gut klaptte. 

 

Nach einer Viertelstunde kamen Kerstin und Per wieder. Jule hob ihr rechtes Bein über den Pferderücken und rutschte an der linken Seite vom Pferd herunter. "Wie war es?", wollte Kerstin wissen. "Fantastisch!", strahlte Jule über das ganze Gesicht. Die beiden Freundinnen tauschten die Pferde. Sofort merkte Jule, wie unterschiedlich Pferde sein konnten. Auf Gustavs Rücken wurde sie längst nicht so durchgeschaukelt, wie auf Frieda. Im Wald war es immer noch erfrischend kühl und feucht. "Heute Nachmittgag könnt ihr sicherlich einen Ausritt in den Wald machen", meinte Per. "Wirklich? Dürfen wir ganz alleine reiten?", fragte Jule aufgeregt. "Ganz alleine nicht. Ihr werdet euch noch führen lassen müssen, da ihr noch nicht genügend Reitstunden gehabt hattet", erwiderte er. "Wann ist es soweit, dass wir alleine ausreiten dürfen?", wurde Jule neugierig. "Normalerweise nach zwanzig bis dreißig Reitstunden", überlegte Per einen Moment lang, "Aber vor zwei Jahren hatten wir ein Mädchen, welches so talentiert war, dass sie nach sechs Reitstunden an ihrem ersten Ausritt teilnehmen konnte" "Vielleicht werde ich in zwei Wochen auch so weit sein", sagte Jule leise. "Überfordere dich bloß nicht", meinte Per, "Du bist hier, um deine Ferien zu genießen, aber nicht um Druck auf dich auszuüben, damit du in Null komma nichts eine Turnierreiterin wirst"

 

Beim Mittagessen mussten sich Jule und Kerstin den Fragen der anderen Mädchen stellen. "Wie war es?", fragte Jacky mit einem freundlichen Lächeln, als sie den Essraum betraten. "Sensationel!", strahlte Kerstin über beide Backen, "Ich durfte gleich in meiner ersten Reitstunde galoppieren" "Das ist wirklich spitze", bemerkte Franzi anerkennend. "Wie hat es dir gefallen?", wandte sich Jacky an Jule. "Es hat unglaublich viel Spaß gemacht. Ich hätte nie gedacht, dass es so ein tolles Gefühl ist, auf einem Pferd zu sitzen. Gleich beim ersten Mal hatte ich keine größeren Probleme das Gleichgewicht zu halten. Vorallem Gustav und Frieda waren ganz lieb, sogar als ich ihnen die Hufe ausgekratzt habe", sprudelte es aus Jule heraus. "Wisst ihr, was mir in meiner ersten Reitstunde passiert ist?", mischte sich Tessa in das Gespräch ein, "Ich habe einen Abgang gemacht und zwar im hohen Bogen, weil Miri das Pferd erschreckt hatte" "Immer gibst du mir die Schuld", nörgelte ihre Zwillingsschwester. "Was haltet ihr davon, wenn wir heute einen Spazierritt zum Waldsee machen?", schlug Franzi vor. "Die Idee ist genial", fand Tessa und fügte in einem skeptischen Ton hinzu, "Aber wir wissen nicht, ob Jule und Kerstin mitkommen dürfen" "Lass uns es doch so machen, dass wir drei Pferd mitnehmen. Drei von uns reiten und die anderen führen die Pferde", schlug Miriam vor. "Genialer Einfall, Miri!", klopfte Franzi ihrer Freundin auf die Schulter. "Genau so machen wir es", sagte Jacky begeistert. 

Ein Ausflug zum Waldsee

Annegret gab den Mädchen ihr Einverständnis, dass die Mädchen zum Waldsee reiten durften, allerdings sollte Per sie begleiten. Eine halbe Stunde nach dem Mittagessen sattelten die Mädchen Rocky, Olga und Gustav. Per führte die Truppe mit seiner Corgihündin Lisa an. Hinter kam Jacky mit Rocky, die Franzi führte. Dann kamen die Zwillinge mit Olga. Das Schlusslicht bildeten Kerstin und Jule mit Gustav. Die beiden Freundinnen hatten sich darauf geeinigt, dass Jule Kerstin auf dem Hinweg führte und Kerstin reiten durfte. Am See wollten sie tauschen. "Immer diese vielen Mücken, mich haben schon mindestens drei gestochen", beklagte sich Franzi. "Gleich im Wald zwischen den Tannen wird es besser", versuchte Per das blonde Mädchen aufzumuntern.

 

Eine Bremse flog um Gustavs Kopf herum und setzte sich anschließend auf seinen Hals. Der sonst so ruhig Wallach riss seinen Kopf hoch. Kerstin kreischte und verlor vor Schreck fast ihr Gleichgewicht. "Habt ihr das gesehen, ich bin fast in den Sand geflogen!", rief Kerstin laut und atmete immer noch heftig. "Aber du hast gut reagiert", meinte Per, "Aber es ist dennoch eine Ausnahme, dass unser guter alter Gustav so ungestüm reagiert" Kerstin kriegte sich schnell wieder ein. "Seht ihr das!", riefen die Zwillinge auf einmal. "Müsst ihr uns mit eurer ungestümen Art so erschrecken", drehte sich Franzi genervt im Sattel zu ihnen um. "Schießt los! Was habt ihr gerade gesehen?", hakte Jacky nach. "Den See", antworteten die Schwestern aus einem Mund. "Hurra, gleich gibt es Abkühlung", rief Kerstin fröhlich. "Ist dir wirklich zu warm?", fragte Jacky, "Ich finde es im Wald richtig angenehm kühl" "Dürfen wir mit den Pferden schwimmen gehen?", wollte Tessa wissen. "Das lasst lieber sein", schüttelte Per den Kopf, "Die Sättel dürfen auf keinen Fall mit Wasser in Berührung kommen, sonst sind sie futsch" "Heißt das übersetzt, dass die Abkühlung für heute ausfällt?", klang Miriam enttäuscht. "Ihr könnt zwar schwimmen gehen, aber in der Zeit müssen wir die Pferde festbinden", sagte Per. Die Mädchen stiegen mit einem erleichterten Lachen von ihren Pferden ab. Per band die Pferde an einem tiefen Ast fest. Die Zwillinge, Kerstin und Jacky rissen sich ihre Kleider vom Leib und stürzten sich in Badekleidung in die Fluten. Franzi und Jule ließen sich mehr Zeit und betraten das kühle Nass nur zögerlich. "Brrr, ist das Wasser kalt", schlotterte Franzi, als im wadentiefen Uferbereich stand. 

 

"Na kommt schon, so eisig ist das Wasser auch nicht!", munterten die Zwillinge die beiden Nachzügler auf und fingen sie an mit Wasser zu bespritzen. "Ich sag euch, mit euch Frechdachsen habe ich noch eine Rechnung offen!", kreischend versuchte sich Franzi aus dem Staub zu machen, allerdings stolperte sie dabei und lag mit einem lauten Platsch im Wasser. Miriam und Tessa kriegten sich kaum ein vor Lachen und mussten sich gegenseitig stützen. Mit hochrotem Kopf tauchte Franzi wieder auf. "Na wartet, ihr Ratten!", hielt sie die beiden kichernden Schwestern an den Armen fest. Jule beobachtete grinsend das Szenario und traute sich immer weiter ins Wasser hinein. Inzwischen war es auch nicht mehr so kalt wie gerade eben. Wieder bekam sie einen Schwall Wasser ins Gesicht, doch diesmal von Kerstin. "Mensch Kerstin, muss das sein?", beschwerte sie sich und warf ihre nassen Haare nach hinten. "Komm, wir veranstalten ein Wettschwimmen!", schlug ihre beste Freundin vor. Jule verdrehte die Augen, jedes Mal wenn Kerstin sich mit ihr messen wollte, stand die Siegerin meistens schon fest. "Auf ein Wettrennen habe ich aber auch keine Lust", kam ihr Jacky zuvor. "Viel interessanter wäre es, wenn wir zu der Insel da vorne schwimmen", warf Tessa ein. "Ob das so eine gute Idee ist?", machte Franzi ein skeptisches Gesicht. 

 

"Schwimmt auf gar keinen Fall zur Insel", kam ihnen Per in Badeshorts hinterher gerannt. "Wieso nicht?", sahen die Zwillinge ihn groß an. "Es ist nicht ganz ungefährlich", begann der Junge, "Vor einigen Jahren sind zwei Jugendliche ertrunken, die zur Insel schwimmen wollten. Wahrscheinlich haben sie ihre Kräfte überschätzt oder das Seegras hat sich um ihre Beine geschlungen und sie unter Wasser gezogen" "Wer glaubt so einen Quatsch?", tippte sich Miriam an die Stirn. "Von wegen gefährliches Seegras, das Menschen unter Wasser zieht", zog ihre Zwillingsschwester spöttisch die Augenbrauen hoch. "Ihr unterschätzt das", meinte Per, "Wenn ihr an den Wasserpflanzen festhängt, kommt ihr nur sehr schwer wieder los" Enttäuscht sahen die abenteuerlustigen Schwestern ein, dass eine Inselerkundung ausgeschlossen war. Lisa kam ihnen mit einem Tennisball in der Schnauze hinterher geflitzt. "Kukuck, jemand will mit uns spielen", rief Jacky. Die Corgihündin sah das Mädchen erwartungsvoll aus ihren dunkelbraunen Hundeaugen an. "Ja, ich bin nicht so, dass ich nicht mit dir spiele", lachte das dunkelhaarige Mädchen. Der Tennisball flog in Franzis Richtung, Lisa hechtete hinterher und ließ ihn direkt vor der zimperlichen Blondine fallen. "Iihhh, der ist total vollgesabbert", kreischte Franzi auch schon los. "Mein Gott, dass du immer so etepete sein musst, Franzi!", verdrehte Miriam die Augen und Tessa nickte heftig. Ihre Freundinnen prusteten wieder los. Kommentarlos hielt Franzi Tessa ihre vollgesabberte Hand vor das Gesicht. "Iiihh, lass das!", schlug ihre Freundin Franzis Hand weg. "Ich muss sagen, du bist genauso etepete wie ich", grinste sie. 

 

Die Freundinnen merkten gar nicht, dass sie über zwei Stunden lang im Wasser tobten und sich mit Freude gegenseitig nass spritzten. "Wir müssen langsam wieder los, in fünf Minuten ist es sechs Uhr", erinnerte Per die Mädchen. "Was schon so spät?", war Kerstin überrascht. "Die Zeit vergeht aber schnell", staunten auch die Zwillinge. Jule war froh, als sie sich in ihr Handtuch wickeln konnte. Inzwischen fröstelte sie auch ein wenig. Jacky und sie waren die Ersten, die wieder komplett angezogen waren. "Langsam kriege ich aber Hunger", stellte Kerstin fest. "Nicht nur du", meinte Tessa. "Tessa und ich zusammen haben immer doppelten Hunger", sprach Miriam weiter. "Oh ja, das merkt man", bestätigte Franzi, "Die Hälfte landet immer auf euren Tellern" "Seid froh, dass ihr so einen schnellen Stoffwechsel habt, sonst werdet ihr so rund, dass wir euch rollen können", setzte Jacky obendrauf. Synchron verschränkten die Zwillinge die Arme vor der Brust und drehten sich gleichzeitig beleidigt von den Freundinnen weg. Die anderen Mädchen begannen laut zu kichern, selbst Jule, die bisher sehr zurückhaltend war. 

 

Um Punkt sieben Uhr gab es Abendbrot, nachdem die Mädchen noch eine halbe Stunde auf dem Hof mitgeholfen haben. Die Freundinnen waren so hungrig, dass sie mehrere Schnitten Brot und mehrere Schüsseln Cornflakes verputzen konnten. "Kommt ihr heute Abend mit?", wandte sich Franzi an Jule und Kerstin. "Wohin?", wollte Kerstin wissen. "Am besten sagen wir es euch, wenn wir auf unserem Zimmer sind", fuhr das blonde Mädchen flüstern fort. "Auf jeden Fall wird es spannend", versicherten ihnen die Zwillinge. "Gleich wollen wir zu Tierrettung schreiten", wisperte Jacky. Jule wusste nicht im Geringsten, was auf sie zukommen wird. Trotzdem war sie genauso gespannt wie Kerstin, die im jeden Augenblick vor Neugier zu platzen drohte. 

Mission Federviehrettung

"Worum geht es bei eurer Aktion?", griff Jule das Thema auf, nachdem die Mädchen sich wieder auf ihr Zimmer verzogen hatten. "Wir wollen die Hühner und Gänse des alten Griesgrams freilassen, die sollen morgen geschlachtet werden", erzählte Miriam. "Woher wisst ihr das?", meldete sich Kerstin zu Wort. "Vorhin war eine Bekannte von Annegret da, die das erzählt hat", antwortete Tessa. "Wen meint ihr mit Griesgram?", fragte Jule. "Ihm gehört der benachbarte Hof", klärte Franzi sie auf. "Er ist ein unfreundlicher alter Mann, der miserabel mit seinen Tieren umgeht und sie quält", fuhr Jacky fort. "Wirklich?", waren Jule und Kerstin entsetzt. "Auf jeden Fall haben wir schon öfter gesehen, dass er seine Hunde schlägt, die Hühner in einem viel zu engem Gehege hält und seine Tiere nicht zum Tierarzt bringt", erzählte Franzi. "Es kommt noch schlimmer, er macht die Ställe nicht sauber, füttert die Tiere unregelmäßig und vor einem Jahr hat er drei Schweine verdursten lassen", setzte Miriam obendrauf. 

 

"So ein fürchterlicher Tierquäler!", schäumte Kerstin vor Wut. "Er hat keine Tiere verdient", fand Jule. "Aus dem Grund wollen wir sein gesamtes Federvieh freilassen", sagte Franzi. "Aber dafür muss es dunkel genug sein", meinte Tessa. "Da können wir noch lange warten", fügte ihre Zwillingsschwester rasch hinzu. "Es wird erst gegen zehn Uhr dunkel", meinte Jacky. "Na toll, bis dahin werden wir uns zu Tode langweilen", nörgelte Miriam. "Nein, müssen wir nicht", rief Kerstin und hielt ein Kartenspiel in die Höhe. Gerade als die Freundinnen sich auf Kerstins Bett bequem gemacht hatten, klopfte es an der Tür. Per stand im Türrahmen. "Darf ich euch ein paar Eishörnchen anbieten?", fragte er. "Eine Stärkung ist immer willkommen", lächelte Jacky. "Wofür braucht noch eine Stärkung, damit ihr nachher noch besser träumen könnt?", lachte Per los. "Nein, wir haben wollen das Federvieh des Griesgrams retten", erzählte ihm Miriam. "Offensichtlich vertrauten sie dem Jungen sehr gut, sonst würden sie ihm auf keinen Fall ihm von der Aktion erzählen", dachte Jule. Die Eispackung war in null Komma nichts leer und die Mädchen vergnügten sich mit Per beim Kartenspielen. "Ich lasse euch gleich raus und nachher mache ich euch wieder die Tür auf, doch dazu müsst ihr mit der Taschenlampe in mein Zimmer leuchten und dreimal blinken", versprach er ihnen. "Vielen Dank", drückte Jacky seine Hand. 

 

Per und die Mädchen schlichen wie alte Indianer die Treppe runter. "Wir haben es geschafft nach zehn Uhr nach draußen zu kommen", flüsterte Jacky den Freundinnen zu. "Hoffentlich lässt uns Per nachher wieder rein", gab Franzi zu bedenken. "Male doch nicht immer gleich schwarz", gab ihr Miriam einen leichten Seitenstoß. Tessa hakte sich gutgelaunt bei Jule und Kerstin unter. Jacky, Franzi und Miriam taten es ihnen gleich. Jule horchte dem Zirpen der Grillen und beobachtete den orangeroten Abendhimmel, während sie die Straße bergab liefen. "Der Hof liegt auf den Weg ins Dorf", flüsterte Jacky, "Dahinten kommt er schon in Sicht" Eine Katze lauerte am Wegesrand Mäusen auf, die sich im Kornfeld super verstecken konnten. "Am besten schleichen wir uns von hinten an", raunte Franzi, "Vorne am Tor ist ein scharfer Hund angekettet" "Okay, wir schleichen durch das Feld", wisperte Tessa. Jacky führte die kleine Gruppe an, während Franzi nach hinten absicherte. Je näher sie dem halbverfallenen Hof kamen, desto weniger redeten die Freundinnen. "Hühner schlafen doch eigentlich nachts", fiel Jule und erschrak sich, dass sie so laut gesprochen hatten. "Notfalls mache ich ein wenig Wirbel im Hühnerstall", grinste Miriam und gickerte leise. "Geht auf eure Positionen", raunte Jacky. Die mutigen Zwillinge brachen fast lautlos durch das Gebüsch. 

 

Angespannt kauerte sich Jule hinter eine halbhohen Tanne nieder und wartete darauf, was im nächsten Augenblick geschah. Tessa und Miriam näherten sich dem Stall machten sich an der Tür zugange. "Kommt!", raunten sie und gaben den Freundinnen ein Handzeichen. "Ich sehe, dass Fedevieh schläft tief und fest", flüsterte Kerstin. Nun war die Tür offen, im Stall regte sich wirklich nichts. Jacky leuchtete die schlafenden Hennen an, während die Zwillinge ein wenig Radau machten. Verschlafen regten sich die ersten Hennen. "Nun, raus mit euch!", zischte Franzi und scheuchte die Hühner aus dem Stall heraus. Jule hielt sich die Nase zu. Der strenge Geruch nach Hühnerkot war nicht mehr zu ertragen. "Bestimmt wurde hier vor zehn Jahren das letzte Mal sauber gemacht", lästerte Miriam. "Nun kümmern wir uns um die Gänse nebenan", beschloss Jacky und schob den Riegel der zweiten Tür auf. Sofort kamen ihnen drei Gänse schnatternd entgegen. Jule und Franzi sorgten dafür, dass keine Gans zurück blieb. "Jetzt haben sie noch ein Leben in Freiheit vor sich", lächelte Tessa zufrieden. Plötzlich hörten die Mädchen es außerhalb des Stalles laut gackern und schnattern. "Was ist das denn?", fragte Jule entsetzt. "Verflixt, wir haben nicht daran gedacht, dass hier eine Katze frei rumläuft. Sie macht gerade Jagd auf das arme Federvieh", kam ihnen Miriam aufgeregt entgegen gelaufen. "So ein Mist!", schimpfte Jacky leise, "Das hat uns unsere Mission völlig verdorben"

 

Nun fing auch der Hofhund an zu bellen. Erschrocken machten die Mädchen ihre Taschenlampen aus. "Raus, wir müssen hier sofort raus!", zischte Jacky aufgeregt. Mit klopfenden Herzen huschten die Mädchen hinter eine dichte Hecke. "Wer auch immer in den Hühnerstall eingebrochen ist, den kriege ich", hörten sie den Griesgram laut schimpfen. "Hoffentlich findet er uns nicht", flüsterte Jule, der das Herz fast in die Hose rutschte. "Ach was, immerhin sind wir gut genug versteckt", drückte Kerstin ihre Hand. Die Hennen und die Gänse machten immer noch einen ohrenbetäubenden Lärm. "Diese blöde Katze kille ich auch. Immerhin hat sie schon zwei meiner Hennen und eine Gans gerissen", fluchte der Bauer, der mit einem Stock hinter der Katze her jagte. "Seht nur, er verdrischt die arme Katze!", wisperte Miriam entsetzt. "Ich wäre dafür, dass wir uns vom Acker machen", sagte Kerstin leise. "Nicht nur du, ich werde langsam ziemlich müde", gähnte Franzi. "Wir laufen den gleichen Weg zurück, wie wir gekommen sind", übernahm Jacky die Führung. Fast lautlos schlichen sie hintereinander her, nur einmal trat Tessa ausversehen auf einen dünnen Ast, sodass es knackte. Erst in einem halben Kilometer wähnten sich die Freundinnen in Sicherheit. "Na toll, unsere Mission ist voll in die Hose gegangen!", klang Franzi enttäuscht. "Diese blöde Katze habe ich nicht bestellt", meinte Miriam. "Hätten wir die Hühner und Gänse ihrem Schicksal überlassen sollen?", klang Franzi gereizt. "Natürlich nicht", tröstend drückte Tessa Franzis Hand. "Trotzdem war es einen Versucht wert", fand Kerstin. "Vielleicht haben ein paar Hühner und Gänse die Flucht geschafft", meldete sich Jule zu Wort. 

 

Die erste Hürde hatten die Mädchen hinter sich, nun mussten sie ins Haus gelangen, ohne dass Annegret davon etwas mitbekam. Erst gestern hatte ihnen Per erzählt, dass seine Mutter gerne Reitverbote 

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Tag der Veröffentlichung: 25.08.2014

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