Vorwort
Dieses Buch ist im Rahmen meiner Sprechstundentätigkeit gedanklich entstanden und gereift. Viele Informationen können heute nach einer ersten Diagnose mit Arztkontakt bereits über die neuen Medien gewonnen werden. Diese sind jedoch sehr unterschiedlich und von verschiedenen Interessengruppen beeinflusst. Außerdem ist die Diagnose oft nicht ärztlich gestellt. Dieses Buch ist aus der Sicht des operativ tätigen Chirurgen bei Knieproblemen verfasst und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder allgemeine Gültigkeit. In meine Sprechstunde kommen Patienten aller Altersgruppen mit Knieproblemen unterschiedlichster Art. Ganz allgemein liegt damit bereits eine Störung vor, die mit einer bleibenden Schädigung verbunden ist. Diese Information ist für Patienten oft niederschmetternd. Allerdings gibt es auch viele Veränderungen, die dauerhaft so beeinflusst werden können, dass sie keine Probleme mehr bereiten oder über Jahre unbemerkt bleiben. Menschen wünschen sich natürlich den Jungbrunnen, der alles zurückdreht und ein perfektes Knie wieder herstellt. Dies ist verständlich, nur schulmedizinisch nicht herbeiführbar. Gleiches gilt eigentlich auch für alle anderen Methoden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert den Zustand Krankheit nicht. Stattdessen wird Gesundheit als Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens beschrieben und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. Vorteil dieser Definition ist der ganzheitliche Ansatz, Kritiker monieren den schwer zu verwirklichenden hohen Anspruch dieser Aussage. Allein diese drei Sätze spiegeln das Dilemma auch in der Kniesprechstunde wider.
In diesem Dilemma will dieses Buch helfen einige Knieprobleme aus Sicht der Chirurgen, der das Beste für den Patienten rausholen will, aufklären. Dabei sind Sie als Patient aber am stärksten gefordert! Ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre.
Prof. Dr. med. Carl Haasper, M.Sc.
Chirurg, Orthopäde und Unfallchirurg
In diesem Kapitel wird kurz und knapp auf die Grundlagen des Knies und seiner Probleme eingegangen.
Das Knie ist das größte Gelenk unseres Körpers. Es bietet uns ein sehr großes Bewegungsausmaß: Wir können das Bein durchstrecken, die Ferse bis zum Po ziehen oder auch den Unterschenkel ein- und ausdrehen. Das wird durch einen sehr komplizierten Aufbau des Gelenks gewährleistet. Das Kniegelenk bildet die funktionelle Verbindung zwischen Oberschenkel und Unterschenkel. Die passive Stabilisierung erfolgt durch die Seitenbänder und die Kreuzbänder. Als funktionell fünftes Band wird der Musculus popliteus mit seiner Sehne betrachtet. Die Streckung erfolgt über den vierköpfigen Oberschenkelstreckmuskel, dessen Ansatz das Kniegelenk vorne überbrückt und die Kniescheibe (Patella) als Umlenkrolle in der Sehne hat. Die Beugemuskeln an der Oberschenkelrückseite überbrücken das Kniegelenk und sind teilweise auch noch über das Hüft- bzw. Sprunggelenk ziehend. Die wichtigen Gefäße und Nerven verlaufen in der Kniekehle. Die Knochen des Ober- und Unterschenkels passen nicht ineinander, wie es zum Beispiel bei dem Kugelgelenk Hüfte der Fall ist. So finden im Knie sehr komplizierte Dreh-, Roll- und Gleitbewegungen statt, die verschiedene Bewegungen ermöglichen. Andererseits muss ein solch kompliziertes Gebilde immense Lasten tragen. Im Alltag sind bestimmte Bereiche des Knies dem 4-8fachen unseres Körpergewichts ausgesetzt. Der komplexe Aufbau und die hohe Belastung machen das Knie sehr anfällig für Störungen im Bewegungsablauf.
Gemäß einer großen Datenbank (EPI database: epidemiology database) sind die Kniegelenke mit 61% am häufigsten von Arthrose betroffen gefolgt von den Füßen (30%), den Händen (23%) und den Hüften (17%). Rein rechnerisch ergibt sich dabei eine Summe von mehr als 100%. Dies erklärt sich dadurch, dass bei Arthrose Patienten auch unterschiedliche Gelenke befallen sein können.
Unter Gonarthrose sind alle degenerativen Erkrankungen des Kniegelenks zu verstehen, die durch eine zunehmende Zerstörung des Gelenkknorpels unter Mitbeteiligung der Gelenkstrukturen wie Knochen, Meniskus, Gelenkkapsel sowie gelenknaher Muskulatur gekennzeichnet sind. Diese sind unter dem Oberbegriff Verschleiss einzusortieren. Als Ursachen werden vor allem Achsabweichungen (Varus-/Valgusdeformitäten, also O- und X-Beine), Verletzungen des Kniegelenks oder kniegelenksnaher Knochen sowie systemische Erkrankungen wie Rheuma diskutiert. Als seltenere Ursachen sind Systemerkrankungen wie Hämophilie (Bluter) mit Spontaneinblutung in das Gelenk und Stoffwechselerkrankungen (z.B. Gicht) zu diskutieren. Ausserdem sind eine bakterielle Arthritis, Fehlbildungen der Patella, muskuläre Dysbalancen, Osteochondrosis dissecans, Dysplasien des Gelenks, sowie Osteonekrosen und Chondromatosen als Induktoren diskutiert. Relativ häufig scheint es sich ‚nur’ um eine altersbedingte Erscheinung zu handeln. Wesentliche Beschleuniger der Erkrankungen sind Übergewicht, Fehlbelastungen, endokrine Faktoren (Stoffwechselstörungen) und Unfälle mit Kniebinnenschäden wie Kreuzbandrisse oder Meniskusschädigungen sowie Voroperationen. Jegliche Vorschädigung des Gelenks, auch chirurgische Interventionen, also Operation, bedingt in aller Regel eine Beschleunigung des Gelenkverschleißes.
Ganz allgemein muss man aber sagen, dass nicht jeder Knieschmerz besorgniserregend sein sollte. Gerade weil das Knie großer Beanspruchung ausgesetzt ist, treten in diesem Bereich immer mal wieder kleine Wehwehchen auf. Dann reicht es meist aus, abzuwarten und das Knie zu schonen. Nach ein paar Tagen sollten sich die Beschwerden gegeben haben. Hält der Schmerz aber an oder tritt bei Belastung immer wieder auf, empfiehlt es sich, einen Arzt aufzusuchen. Einfache, fassbare Diagnosen sind im Bereich des Knies schnell und gut gemacht. Ein Riss im Kreuzband ist relativ einfach festzustellen: Der Patient beschreibt eine Instabilität im Gelenk, bildgebende Untersuchungen wie das MRT liefern den eindeutigen Beweis. Dann gibt es aber auch Krankheitsbilder, die schwerer zu fassen sind, wie der Schmerz im vorderen Kniebereich. Diese Schmerzen können verschiedene, versteckte Ursachen haben, zum Beispiel eine zu große Schleimhautfalte. Es kann aber auch eine Funktionsstörung vorliegen ohne das im Gelenk strukturell etwas verändert ist. Da diese eben nicht so leicht zu erkennen ist, stellt der Arzt eine Verdachtsdiagnose, die auch etwas ganz anderes sein und sich von dem Befund des Kollegen unterscheiden kann.
Strategien zur Verzögerung von Arthrose
Wenn bei Ihnen ein Knorpelschaden diagnostiziert wurde, gibt es gute Chancen, dass Sie angewiesen wurden, sich auszuruhen und zu pausieren in sportlichen Aktivitäten. Dies kann falsch sein. Nach den Grundlagen aus dem einleitenden Kapitel folgt nun etwas provokant die Betrachtung der therapeutischen Optionen. Die Symptome des Knorpelschadens oder der Arthrose sind in der Regel Schmerzen und Entzündung lokal. Diese mittels Ausruhen oder nur Medikamenten zu bekämpfen kann der falsche Ansatz sein.
Behandlungsfehler 1: Ausruhen
Ruhe im geschädigten Gelenk lindert für den Patienten zwar subjektiv die Beschwerden und Schmerzen, aber zu viel Ruhe führt auch dazu, dass ein Gelenk steif wird und die Beweglichkeit verliert. Ist das Bewegungsausmaß eines Gelenkes erst einmal verloren, bedeutet dies für das Gelenk auch, dass die Last auf einer kleineren relativen Fläche verteilt werden muss und so es zu einer viel schnelleren Abnutzung kommt. Ein guter Vergleich ist hier immer das Auto und seine Reifen: ist die Spur eines Reifens nicht gut eingestellt oder aber auch das Profil oder der Druck auf dem Reifen nicht gut, kommt es zu einer beschleunigten Abnutzung. Ruhe oder Schonung führen auch dazu, dass sich Muskeln abbauen. Muskeln sind aber die aktiven Stabilisatoren des Gelenkes und absolvieren die Kraft um die Gelenke. Selbst wenn sie sehr schwach sind, sind sie in der Lage, Last von der Gelenkfläche zu nehmen und um das Gelenk herumzuleiten. Dies bedeutet, dass Übungen, die die Muskulatur um die Gelenke stärken, zur Schutzfunktion beitragen können und gleichzeitig auch eine Überlastung vermeiden können. Ein weiterer Effekt eines Trainings führt auch dazu, dass sie ein gutes und gesundes Gewicht halten können. Weniger Gewicht bedeutet weniger Last auf ihrem Gelenk. Im Kniegelenk kann es bei Spitzendrücken das vier- bis achtfache Körpergewicht im Gelenk bedeuten. Weiterhin führt Bewegung und niedriges Gewicht dazu, dass sie sich selber gut pflegen und bei guter Laune bleiben. Andersherum führt eine Schonung mit erhöhter Ruhe auch dazu, dass das Risiko für Depressionen steigt. Die Stimmung oder auch depressive Verstimmungen sind beim Menschen von ganz zentraler Rolle. Eine depressive Grundhaltung und eine echte Depression können dazu führen, dass sich andere Krankheitsbilder erheblich verstärken. Übungen oder regelmäßiges Training stimulieren die natürlichen Endorphine, Adrenalin, Testosteron und Pheromone werden vermehrt ausgeschüttet. Diese sind gut bekannt, dass sie die Heilung und das Wohlbefinden fördern. Daher mein ganz eindeutiger Rat: Versuchen Sie zu schwimmen, Fahrrad zu fahren, Gymnastik, Pilates, Yoga zu betreiben oder auch ins Fitnessstudio zu gehen. Nehmen Sie aktiv an gesellschaftlichen Veranstaltungen teil. Doch andersrum: Dieses Training darf nicht so intensiv sein, dass Sie ihre Gelenke übermäßig abnutzen. Hier ist es immens wichtig, dass darauf geschaut wird, ob zum Beispiel eine Fehlstellung
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Carl Haasper
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5708-0
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