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Leseprobe

 

 

 

 

ELVIRA HENNING

 

 

TAWAMAYA

1.2.: HERMON

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

TAWAMAYA 1.2: HERMON 

TAWAMAYA, Oktober 1867 

TATEWIN, März 1868 

NUR EIN TRAUM, Winter 1868 - 69 

BIG HORN CANYON, Januar 1869 

DIE JÄGER, Mai 1869 

WIYANNA, Oktober 1869 

DAS WUNDER, April 1872 

HEIMKEHR, Juni 1873 

DER WEG NACH COULSON, August 1873 

DIE REISE NACH CHEYENNE, August 1873 

DAS GROSSE FEST, April 1874 

Liste der Lakota-Worte 

Das Buch

 

Nach dem langen Weg durch die Wildnis an Alex’ Seite hat sich Hermons Welt verändert. Sie muss sich nun nicht mehr als Mann tarnen, sondern darf wieder eine Frau sein.

Und obwohl Alex ihr nichts versprochen hat, hofft sie auf eine Zukunft an seiner Seite auf der Ranch seiner Familie in Montana.

Aber Alex hat ihr nie erzählt, warum er lange vor dem Bürgerkrieg sein Elternhaus verlassen musste und selbst nicht nach Tawamaya zurückkehren kann.

Und so sieht er nur eine Möglichkeit, Hermon das Zuhause zu geben, nach dem sie sich so sehr sehnt.

Er muss sie allein das letzte Stück des Weges durch die Wildnis Montanas nach Tawamaya schicken, ohne sein Geheimnis preiszugeben und darauf vertrauen, dass sie den Weg finden wird... 

 

Tawamaya 1.2: Hermon ist der zweite Teil des Auftaktbandes einer epischen historischen Familien-Saga aus der Feder von Elvira Henning (Jahrgang 1955). 

  TAWAMAYA 1.2: HERMON

 

 

 

 

 

 

   TAWAMAYA, Oktober 1867

 

 

 

   Hermon hatte in seinen Armen geschlafen. Doch als sie aufwachte, war der Platz an ihrer Seite leer. Alex hatte schon Feuer gemacht und Kaffee gekocht.

Der Fluss tief unten im Canyon lag noch im trüben Licht der Morgendämmerung. Sie genoss noch einen Moment das Gefühl der Geborgenheit der letzten Nacht, dann befreite sie sich aus den Decken und legte von hinten voller Erwartung ihre Arme um Alex. Er zuckte zusammen, drehte sich zu ihr um und befreite sich in der Bewegung. Hermon sah erschrocken diesen Schimmer von Eis in seinen Augen. Alle Nähe und Wärme der vergangenen Stunden war dahin. Er reichte ihr wortlos einen gefüllten Kaffeebecher.

   Warum? Was war geschehen? Sie starrte ihn an. Er senkte den Blick und sie wusste, dass sie auf ihre Fragen keine Antwort bekommen würde. Sie aß von dem übrig gebliebenen Fleisch nur wenige Bissen, während Alex schon packte. Bis sie das Feuer zugeschüttet hatte, waren die Pferde bereit.

   Er wollte schon aufsitzen, aber sie hielt ihn fest. »Alex – so sag doch etwas!«

   »Was willst du hören?«

   »Es war so schön.«

   »Ja, es war schön.« Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Für einen Moment hatte sie die Hoffnung, er würde sie in die Arme nehmen.

…»Wir müssen los, Chey.« Er wandte sich ab und saß auf. Hermon konnte nichts anderes tun, als ihm zu folgen. Was zum Teufel hatte sie erwartet? Es war nur eine Illusion!

  Um sich von ihrer Enttäuschung abzulenken, sah sie sich in dieser eigenwilligen Wunderwelt um. Alex ritt lange Zeit schweigend voraus und Hermon blieb nichts übrig, als es hinzunehmen. Schließlich trieb sie Mooney an Tecs Seite, und sah Alex an. Er wich ihrem Blick nicht aus, aber er wirkte seltsam verstört. Da entdeckte sie die steinerne Mauer zwischen den Wachholderbüschen. »Sieh nur, Alex, da drüben zwischen den Sträuchern steht eine steinerne Hütte. Wer mag dort in dieser Einsamkeit wohnen?«

»Dort wohnt niemand«, entgegnete er, »sie wird im Winter manchmal von Pelztierjägern benutzt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fällt und das Gesicht der Berge verändert. Auch der Fluss friert zu und es ist, als ob die Zeit still steht und die Welt den Atem anhält.« Immerhin, er redete wenigstens mit ihr.

   »Bist du im Winter schon einmal hier gewesen?«

»Ja.« Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er sagte nichts mehr.

»Alex, warum vertraust du mir nicht? Warum redest du nicht über dein Zuhause, deine Familie, das, was dort geschehen ist? Ich habe dir doch auch alles erzählt.« Alex sah sie mit dem gequälten Blick eines verwundeten Tieres an.

»Hermon, das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Ich würde dir vorbehaltlos mein Leben anvertrauen, aber ich kann nicht darüber reden!« Er trieb Tec an und ritt wieder voraus

Am Abend fand Alex zum Übernachten eine Felsnische. Er briet ein Rebhuhn, das er auf dem Weg geschossen hatte. Dann saßen sie still beieinander und sahen zu, wie die Dunkelheit hereinbrach.

Am nächsten Morgen verließen sie den Flusslauf und setzten ihren Weg in nordwestlicher Richtung durch die Berge fort.

Alex ritt die meiste Zeit ein Stück voraus. Zwischen ihnen war wieder eine gläserne Wand. Hermon fror. Aber die Kälte war tief in ihr drinnen. Und sie kannte die Ursache. Doch so lange sie den Gedanken nicht zuließ, war es nicht Wirklichkeit. Noch nicht!

Sie zählte die Tage nicht, akzeptierte sein Schweigen, war zufrieden, in seiner Nähe zu sein. Immer wieder erwischte sie sich dabei, dass sie ihn anstarrte. Sie wollte sich sein Bild für immer einprägen, jeden Zug in seinem Gesicht, jede Geste, die Art, wie er im Sattel saß und sein Lächeln. Bis ans Ende ihres Lebens.

Aber er lächelte nicht mehr. Er war ernst und wachsam. Hermon erkannte hinter seiner verschlossenen Miene eine unendliche Traurigkeit.

 

Der Himmel war strahlend blau bis zum Horizont, die Sonne schien noch einmal warm, und es war einer der seltenen windstillen Tage. Sie waren stundenlang geritten, ohne ein einziges Wort zu wechseln und suchten früh einen Rastplatz. Alex briet einen Hasen und sie warteten gemeinsam, bis er gar war. Dann aßen sie ebenso schweigend. Danach schnitt Alex Zweige und bereitete das Nachtlager. Alles war wie immer, und gleichzeitig war nichts mehr wie immer.

Als es dämmerte, legten sie sich schlafen. Schon neben ihr unter der Decke richtete er sich noch einmal auf und blickte hinüber zu den Berggipfeln.

»Hermon!«

»Ja!«

»Siehst du da drüben den hohen, schneebedeckten Berg?«

»Ja.«

»Wenn man immer geradeaus darauf zureitet, kommt man an den Yellowstone River. Auf der anderen Flussseite in der Ebene liegt Tawamaya.«

Dann legte er sich zurück und zu ihrer Verwunderung nahm er sie an diesem Abend wieder in den Arm. Sie spürte, wie angespannt er war. Doch sie sagte nichts, weil sie wusste, dass es sinnlos war, kuschelte sich einfach an ihn und schlief ein.

In der Nacht wachte sie auf, weil Alex aufstand. Sie beobachtete ihn, wie er eine ganze Weile herumlief. Aber sie hörte kein Geräusch, nichts, was ihn aufgeschreckt haben konnte.

Erst als er wieder bei ihr lag, schloss sie die Augen. Doch Alex war die ganze Nacht unruhig. Erst gegen Morgen schlief sie noch einmal fest ein.

Als sie erwachte, ging die Sonne auf. Das Feuer brannte schon, und Alex hatte aus dem letzten Rest Maismehl in der Pfanne Brot gebacken.

Sie stand auf und verschwand erst einmal in die Büsche. Als sie zurückkam, hatte er sein Bettzeug schon eingerollt. Sie aßen schweigend. Er hielt den Blick gesenkt, bis sie mit dem Essen fertig waren.

Wollen wir los, wollte sie gerade fragen, als er sich zu ihr umdrehte. Sein Blick ließ ihr die Worte auf den Lippen ersterben. Er nahm sie in den Arm, zog sie an sich und flüsterte heiser: »Ayor anoshi ni, meine Chey.« Und sie begriff plötzlich, was diese Worte bedeuteten.

Im selben Moment sprach er es aus: »Ich liebe dich, meine tapfere, mutige Hermon! Ich liebe dich so sehr, ich will, dass du es weißt. Vergiss es nie! Ich liebe dich!«

Er sah sie mit seinen samtbraunen Augen an und sie fühlte, wie Feuer durch ihre Adern schoss. Dann küsste er sie, erst vorsichtig, zärtlich, dann wild und fordernd, dass sie glaubte, zu ersticken. Sie überließ sich ihm und ertrank in einem feurigen Meer aus Glück.

Sie hatte nicht gewusst, dass Küssen so sein konnte.

Ganz von allein schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken, schloss sie die Augen und wollte, dass die Zeit stillstand.

Doch da ließ er sie los und flüsterte noch einmal: »Ich liebe dich, Chey.«

Mit feuchten, halb geöffneten Lippen sah sie ihn an und brachte keinen Ton hervor.

Er griff in die Tasche und holte ein zusammengefaltetes Papier heraus. Bevor sie begriff, was geschah, schob er es in den Ausschnitt ihres Flanellhemdes, und sie spürte etwas Kaltes auf ihrer Haut. »Gib den Brief dem Rancher. Und pass auf dich auf, Chey!«

Dann stand er auf und war mit wenigen Schritten bei Tec.

»Alex!« Hermon sprang auf die Füße und sah erst jetzt, dass der Hengst gesattelt und fertig bepackt war.

Alex sah sich nicht mehr um, war mit einem Satz im Sattel, und Tec schoss aus dem Stand wie der Blitz davon. »Alex! Alex, nein! Du kannst doch jetzt nicht einfach davonrennen! ALEX!!!

Aber sie wusste, dass er sie schon nicht mehr hören konnte. Ebenso wusste sie, dass es sinnlos war, ihm zu folgen. Sie würde ihn niemals einholen, wenn er es nicht wollte. Und sie hatte gewusst, dass er gehen würde. Aber warum so?

»Du verdammter Idiot!«, schrie sie, »warum zum Teufel hast du mir erst gesagt, dass du mich liebst und mich geküsst bis zum Irrewerden, und dann, dann rennst du einfach weg, lässt mich hier stehen! Warum bist du nicht gleich abgehauen. Warum soll ich dir das glauben? Es ist ja auch ganz egal! Du bist weg!«

Sie weinte, warf sich auf den Boden, hämmerte mit den Fäusten auf die Erde, schrie so lange, bis sie keine Kraft mehr hatte und hörte erst auf zu schlagen, als ihre Arme kraftlos und ihre Fäuste blutig waren. Dann blieb sie einfach liegen und spürte, wie die Kälte langsam durch ihren Körper kroch. Am besten wäre es, einfach zu sterben. Was sollte sie noch auf der Welt, ihr Leben war vorbei. Das bisschen Glück, das der Himmel für sie übrig hatte, war aufgebraucht. Alex war fort.

 

Sie wusste, er würde nicht zurückkommen. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen.

In der Nacht am Big Horn Canyon hatte sie an ein Wunder geglaubt.

Du musst es nur ganz stark wollen, dann bekommst du es auch!

Kate hatte sich getäuscht. Sie schloss die Augen und wollte nicht mehr denken. Sie wollte schlafen und nie mehr aufwachen. Doch Mooney war anderer Ansicht. Trotz der gefesselten Vorderläufe stand er plötzlich neben ihr und schubste sie mit seiner Nase energisch an.

»Ach Mooney! Du bist alles, was mir geblieben ist«, sie richtete sich auf, streichelte seinen Hals und lehnte ihr Gesicht an sein Fell. »Du hast recht, ich kann dich nicht auch im Stich lassen, aber was machen wir bloß jetzt, wir beiden?«

Das Papier knisterte in ihrem Hemd und sie zog es heraus. Einen Moment zögerte sie, dann faltete sie es auseinander. Die Schrift, die das ganze Blatt füllte, war klein, eigenartig und unleserlich. Sie konnte kein Wort entziffern, faltete es wieder zusammen und schob es in die Hosentasche.

»Wir müssen wohl zu dieser Ranch reiten, Mooney. Wohin sollen wir sonst hier draußen mitten in der Wildnis. Es ist kaum noch was zu essen da und es wird Winter. Also bleibt uns gar nichts anderes übrig. Und das hat dieser verflixte Mistkerl genau gewusst, als er abgehauen ist.«

Mit müden Bewegungen packte sie ihre Sachen zusammen und stülpte den Schlapphut auf. Dann wischte sie sich mit schmutzigen Fingern die Tränen vom Gesicht, stieg in den Sattel und machte sich auf den Weg. Immer auf die weiße Bergspitze zu.

Jetzt wusste sie, warum er ihr das gesagt hatte. Jetzt wusste sie, warum er in der Nacht herumgelaufen war, anstatt zu schlafen.

Aber warum, warum nur hatte er sie verlassen? Sie wäre doch an jeden Ort der Welt mit ihm gegangen. Sie begriff es einfach nicht. Es gab so viele Fragen, auf die sie nie eine Antwort bekommen würde.

Er war fort. Es war vorbei! Auf ihren Lippen brannte noch sein Kuss. Sie wollte ihn mitnehmen. Es war alles, was ihr von ihm blieb, und Mooney.

Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir Mooney weggenommen hätte  

 

Sie ritt den ganzen Tag ohne Rast. Der Pfad war oft unwegsam und steil, und sie kam nur langsam voran. Am Nachmittag erreichte sie das Ufer des Yellowstone Rivers.

Er floss ruhig in seinem Bett, aber er war zu tief, um trocken hinüberzukommen. Da sie nicht die geringste Lust auf nasse Hosen hatte, ritt sie ein ganzes Stück am Ufer entlang und dann fand sie eine Felsenbarriere. Hier war der Fluss schmäler und das Wasser ergoss sich in einer silbernen Kaskade über die steinernen Stufen. Hier konnte sie trocken auf die andere Seite gelangen. Aber es war nicht ungefährlich. Auf den glitschigen Steinen fanden Mooneys abgewetzte Hufe kaum Halt. Er rutschte und strauchelte mehrmals, und sie hatte Angst, doch noch im Wasser zu landen. Doch Mooney brachte sie trocken hinüber.

Als sie den Baumgürtel am Ufer durchquert hatte, sah sie die Weiden mit tausenden von Rindern im weiten Flusstal und in den sanft ansteigenden Hügeln. Das musste Tawamaya sein. Sie folgte dem Flusslauf nach Westen, bis sie am Horizont die Silhouette von Gebäuden erkennen konnte. »Also los, Mooney, gehen wir in die Höhle des Löwen!«

Sie hatte es nicht eilig. Wer weiß was sie auf der Ranch erwartete? Vielleicht warf man sie ja gleich wieder hinaus. Obwohl Mooney Schritt ging, kamen sie schließlich doch an.

Es gab eine Reihe Gebäude, die alle solide und ordentlich aussahen. Hermon erkannte die offenen Stallungen, die Paddocks und das Bunkhaus. Es waren Holzhäuser, nur die Bunkhausküche war gemauert. Das Wohnhaus hatte ein steinernes Fundament. Es war zweistöckig und weiß getüncht mit einem ausladenden Vorbau aus massiven Balken. Ein wohl später errichteter Anbau hatte einen Giebel, der alles überragte.

Vor einem Schuppen waren zwei Männer beschäftigt. Sie ritt auf den Stall zu, als ein Mann aus dem Bunkhaus kam. Er war groß, hatte kurz geschnittenes Blondhaar, ein eckiges Kinn und eine Hakennase. Seine Schultern waren breit, und seine Haltung hatte etwas Herrisches.

Er ging mit langen Schritten auf das Wohnhaus zu, dann bemerkte er sie und wandte sich zu ihr um. »Hombre, wo soll’s hingehen?«, fragte er und kam auf sie zu.

»Sind Sie der Rancher von Tawamaya?«, fragte sie. »Nein, ich bin der Vormann«, entgegnete er kühl. »Ich habe einen Brief für ihn!«

»In Ordnung, ich gebe ihn dem Boss. Bring deinen Gaul zur Tränke und geh in die Bunkhausküche, dort bekommst du etwas zu essen.«

»Nein, ich muss den Brief persönlich abgeben.«

Der Vormann sah sie abschätzend an, schob das Kinn ein wenig vor, dann nickte er und ging zum Wohnhaus. Hermon saß ab, brachte Mooney zur Tränke und trödelte ebenfalls zum Haus. Es dauerte nicht lange, bis der Vormann wieder aus der Tür trat und sie heranwinkte. Sie drückte sich den Hut tief in die Stirn und folgte ihm ins Haus. Der Raum, den sie betraten, war groß und hell. In der Mitte standen ein schwerer Tisch und Stühle mit hohen Lehnen. Es gab mehrere Türen und eine Treppe nach oben.

Der Vormann öffnete eine Tür gegenüber dem Eingang und forderte sie mit einer Geste auf, einzutreten. Mit forschem Schritt ging sie hinein und nahm noch wahr, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Dann blieb sie wie vom Donner gerührt stehen. ALEX!

Sie starrte den Mann, der an dem schweren Sekretär saß, mit offenem Mund an.

Es dauerte drei Herzschläge lang, bis sie erkannte, dass dieser Mann nicht Alex war. Er hatte sein Gesicht, seine Augen, seine Haltung. Aber es war nicht Alex!

Seine Haut war blass, sein Gesicht schmäler, die schwarzen Haare kurz geschnitten. Seine Schultern wirkten müde, hatten nicht die stählernen Muskeln. Und – Hermon erkannte es erschrocken und klappte endlich ihren Mund zu, der Stuhl, in dem er saß, hatte Räder.

»Entschuldigung«, murmelte sie verstört, »...ich... ich dachte...«

Ein winziges Lächeln zuckte über sein Gesicht: »Sie dachten, ich bin Jad?«

»Jad?« Hermon verstand gar nichts mehr.

»Jared Alexander Mehegan, mein Zwillingsbruder. Ich vergesse immer wieder, dass er seinen Rufnahmen gewechselt hat.«

»Zw... illing«, stotterte Hermon, »ich wusste nicht... entschuldigen Sie, Mister Mehegan, ich bin eine unhöfliche Gans. – Ich kenne ihn nur als Alex.«

Sie nahm ihren Hut ab, und nun war es der Rancher, der sie anstarrte: »Mein Vormann hat von einem jungen Mann gesprochen, er hat sich offensichtlich geirrt.«

Hermon grinste: »Darauf sind vor ihm schon eine Menge Leute hereingefallen. Die haben es monatelang nicht gemerkt, dass ich eine Frau bin. Alex auch nicht. Mein Name ist Hermon Brinkfield.«

Etwas zögernd reichte sie ihm ihre schmutzige Hand, doch er ergriff sie sofort: »Ich bin Jam Mehegan. Da Sie meinen Bruder kennen, nehme ich an, der Brief, den Sie mir bringen ist von ihm.«

»Ja.« Sie sah das Aufleuchten in seinen Augen. »Ich habe so lange nichts mehr von ihm gehört. Bitte setzen Sie sich doch, Miss Brinkfield!« Er wies auf einen Stuhl.

»Hermon! Einfach nur Hermon. Ich bin nicht an so viel Förmlichkeit gewöhnt.« Sie kam der Aufforderung nach, merkte, wie ihre Knie zitterten. »Gut, einfach nur Hermon! Kann ich Ihnen etwas anbieten?«

Sie schielte zu dem Flaschensortiment, das auf einem kleinen Tischchen stand: »Wenn Sie so fragen, es ist zwar unanständig für eine Frau, aber auf den Schock könnte ich einen Whiskey vertragen.« Er schenkte kommentarlos ein und reichte ihr das Glas.

Hermon hatte inzwischen den zerknitterten Brief aus der Hosentasche gezogen und legte ihn auf den Sekretär. Jam Mehegan faltete ihn auseinander, und nun trat ein warmes Leuchten in seine samtbraunen Augen. Er schien kein Problem mit dieser unleserlichen Schrift zu haben. Während er las, trank sie von dem Whiskey. Dabei fiel ihr ein, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Sie würde gleich betrunken sein! Aber es war ihr egal. Vielleicht war es genau das, was sie jetzt brauchte.

Er schien den Brief zwei oder drei Mal zu lesen. Als er sie wieder ansah, hatte sich etwas in seinem Blick verändert. Forschend, neugierig musterte er sie. Dann sagte er einfach: »Willkommen auf Tawamaya! Wenn du bleiben möchtest, Hermon, hast du ab heute hier eine Arbeit und ein Zuhause.«

Hermon starrte ihn sprachlos an. Wie war das möglich, wie konnte plötzlich alles so einfach sein? Keine Fragen, keine Diskussion! Einfach nur willkommen auf Tawamaya.

Eine Träne lief ihr übers Gesicht und hinterließ eine helle Spur auf ihrer schmutzigen Wange. »Ja, Mister Mehegan, ich möchte... ich...«, sie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und verschmierte es nur noch mehr.

»Du bist Jad... ich meine, Alex auf dem Oregon Trail begegnet.«

Sie nickte, und plötzlich fühlte sie sich unendlich erschöpft, aber irgendwie auch erleichtert. Alex hatte sie trotz allem wieder einmal aufgefangen!

Der lange Tag mit all seinen Ereignissen und die Wirkung des Whiskeys machten ihre Glieder schwer.

»Du musst mir viel von ihm erzählen. – Nein, nicht jetzt. Ich glaube du brauchst etwas Ruhe und warmes Wasser.«

Es war Alex’ Stimme, die sie hörte. Und er begann für sie zu sorgen. Es war, als nähme er seinen Platz ein. Hermon mochte ihn, weil er war wie Alex. Und sie hasste ihn, weil er nicht Alex war. Verdammt, gleich heule ich los! Hermon, reiß dich zusammen!  

Sie stand mit etwas Mühe auf und griff nach ihrem Hut: »Ich muss mich um mein Pferd kümmern.«

»Das kann der Stallbursche machen.«

»Nein, das mache ich selbst. Ich kann Mooney nicht einfach da stehen lassen und abhauen. Und außerdem, Mooney beißt.«

Jam nickte: »In Ordnung.«

Hermon ging zurück durch den Salon. Er strahlte trotz seiner Größe Behaglichkeit aus. Sie registrierte den Kamin und ein Gemälde der blühenden Prärie. Mit großen Schritten lief sie über den Hof zum Stall und sattelte den geduldig warteten Mooney erst einmal ab. Ein sommersprossiger, rothaariger junger Mann, der nicht älter sein mochte, als sie selbst, kam neugierig hinter einem Haufen Stroh hervor.

»Hallo, kann ich helfen?«, fragte er. »Ja, wo kann ich mit Pferd und Sattel hin?«

»Bleibst du länger?«

»Ja, sieht so aus.«

Gib mir den Sattel, ich bringe ihn in die Kammer. Den Gaul kannst du raus ins zweite Paddock bringen.«

»Er verträgt sich nicht mit anderen Pferden.«

»Dann bring ihn hinten in die kleine Box, die ist frei.« Er musterte sie neugierig.

»Ich heiße Hermon. Und um das gleich klarzustellen, ich bin ein Mädchen.«

»Oh!«, er blickte ein zweites Mal hin, »da wird sich Miss Lilian freuen, wenn sie Hilfe bekommt.«

»Ich werde bei den Pferden arbeiten.«

»Was! – Verstehst du denn was von Gäulen?«

»Ja.«

»Wer ist Miss Lilian?«

»Die Cousine vom Boss.«

»Und du, hast du auch einen Namen?«

»Helmer Sicks.«

»Hallo Helmer«, sie reichte ihm die Hand. Dann schnappte sie sich Mooney, brachte ihn nach hinten in die Box. Helmer folgte ihr: »Das kann ich machen.«

»Nein, besser nicht, Mooney beißt.« Als sie den Stall verließ, bemerkte Helmer: »Leck mich am Arsch!«

 

Als Hermon mit ihren Sachen zurück in Jams Arbeitszimmer kam, war er nicht mehr allein. Die junge Frau mochte etwa so alt sein, wie er. Ihr langes, blondes Haar war zu einem Zopf geflochten. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und leuchtend blaue Augen.

Sie reichte ihr mit einem Lächeln die Hand: »Hallo, ich bin Lil Mehegan. Du bist also Hermon. Schön, dass wir Frauen hier etwas Verstärkung bekommen.« »Hallo, Lil«, entgegnete Hermon etwas schüchtern.

»Bist du im Stall zurechtgekommen?«, fragte Jam. »Ja, ich habe Helmer draußen getroffen. »Gut, Lil wird dir jetzt dein Zimmer zeigen. Wir sehen uns zum Essen.«

»Aber ich brauche kein Zimmer. Ich kann draußen im Stall schlafen, ich...«

Lil legte ihr den Arm um die Schultern: »Komm einfach mit!« Hermon warf Jam noch einen Blick zu, dann folgte sie ihr. Sie gingen durch den Salon die Treppe hinauf bis unters Dach. Der Gedanke an eine enge Dachkammer rief unangenehme Erinnerungen hervor, doch als Lil die Tür öffnete, blickte sie in einen freundlichen, weiß getünchten Raum mit einem recht großen Gaubenfenster. Auf dem Boden lag ein bunter Flickenteppich. Unter der Schräge stand ein breites Bett, an der geraden Wand ein Schrank und eine Kommode mit einem ovalen Spiegel. Unter dem Fenster standen ein kleiner, Tisch mit einer Häkeldecke und daneben ein bunt gepolsterter Sessel. Außerdem gab es einen eisernen Ofen.

»Gefällt es dir?«, fragte Lil. »Ja, aber ich kann doch hier nicht...«

»Du kannst nicht im Stall schlafen. Du würdest erfrieren.« Sie öffnete den Schrank, »schau, hier ist Bettwäsche, soll ich dir helfen?« Sie nahm Bezüge heraus.

»Das kann ich schon selbst, Lil.«

»In Ordnung. Aber du willst dich sicher erst einmal waschen? Oder magst du baden?«

»Baden?«, fragte Hermon verwundert und ließ ihr Gepäck neben dem Sessel auf die Erde fallen. »Ja, unten neben der Küche gibt es eine Badestube. Lil betrachtete ihr Gepäck, das sie auf den Boden gelegt hatte.

»Du warst lange unterwegs, du hast sicher keine frischen Kleider mehr. Ich werde dir etwas aushelfen.«

Bevor Hermon etwas erwidern konnte, war Lil verschwunden. Sie stand einfach nur in der Stube und blickte sich sprachlos um. Das war alles so unwirklich. Diese fremde Frau behandelte sie wie eine Schwester. Und Jam Mehegan – was hatte Alex nur in diesen Brief geschrieben?

Lil kam mit einem Arm voll Kleider zurück: »Schau her, denkst du, das wird gehen?«

Sie breitete Unterwäsche, Strümpfe und ein einfaches, blaues Baumwollkleid auf dem Bett aus. »Das Kleid ist mir zu eng geworden, aber dir müsste es passen.«

»Danke, Lil.«

»Ich gehe nach unten und richte das Bad. Wenn du ausgepackt hast, komm herunter. Die Küche findest du gegenüber der Treppe und von dort führt die linke Tür in die Badestube. Ich nehme die Kleider schon mit.« Sie verschwand mit fliegendem Zopf. Hermon ließ sich auf das Bett fallen. War das ein Traum? Wirre Gedanken geisterten durch ihren Kopf. Sie gähnte, hätte am liebsten geschlafen. Doch Lil warteten mit einer Wanne Wasser in der Badestube.

Sie rappelte sich mühsam auf und ging nach unten. Es erschien ihr eigenartig, allein durch das fremde Haus zu gehen. Nach all den Monaten unter freiem Himmel kam es ihr unwirklich vor. Sie fand die Tür zur Küche und klopfte an.

»Komm herein!«, antwortete Lil. Die Küche war geräumig, blitzsauber und gut ausgestattet. Auf dem Herd standen zwei große, dampfende Töpfe, und es war herrlich warm.

»Komm mit!« Lil schob sie durch eine schmale Tür und sie betraten einen kleinen Raum mit einem winzigen Fenster. In der Mitte stand ein riesiger Zuber mit dampfendem Wasser. An der Wand gab es einen langen Tisch und auf der anderen Seite eine Bank, auf der Handtücher und die frischen Kleider lagen. An der dritten Wand lehnten ein Waschbrett, zwei Zinkwannen und zwei Körbe neben einem gemauerten Waschtrog.

»Steig ins Wasser, bevor es kalt wird. Hier ist Seife, und wenn du noch heißes Wasser brauchst, rufe einfach, ich bin in der Küche!« Dann ließ sie Hermon allein.

Sie sah sich erst noch einmal um und hatte erneut das Gefühl, in einem Traum zu sein. Doch dann begann sie sich auszukleiden. Als sie die Hose auszog, fiel etwas auf den Boden. Vor ihren Füßen lag Alex’ silbernes Navajoamulett. Sie erinnerte sich, etwas Kaltes auf der Haut gespürt zu haben, als er ihr den Brief ins Hemd steckte. Sie hob es auf und presste es an ihre Wange. Alex hatte ihr etwas zurückgelassen, das ein Teil von ihm gewesen war.

Einen Augenblick überließ sie sich der Erinnerung. Dann legte sie es zu ihren Kleidern und stieg ins heiße Wasser. Es war wundervoll. Sie schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken. Es gelang ihr nicht. Alex’ Gesicht tauchte wieder auf. Sie dachte an das Bad im Thermalsee, ihre nackten Körper. Da kamen erneut die Tränen, doch sie wehrte sich nicht mehr dagegen.

Lange saß sie regungslos im heißen Wasser. Ihr Körper entspannte sich und ihr Kopf wurde frei. Als das Wasser abkühlte, griff sie nach der Seife, tauchte den Kopf unter, wusch ihre Haare und schrubbte sich von oben bis unten ab.

»Hermon! Ist alles in Ordnung?« Lil rief sie in die Wirklichkeit zurück. »Ja!«

»Brauchst du noch heißes Wasser?«

»Nein, ist alles gut.« Sie stieg aus dem Bottich, rieb ihren Körper ab und rubbelte ihre Haare. Ihre Haut war nun weich und sauber. Aber sie war schrecklich dünn und ihre Hüften eckig.

Sie zog die frischen Sachen an, Wäsche, Unterrock und Kleid. Es war aus weicher, taubenblauer Wolle mit einer Knopfleiste an der Vorderseite und es passte, ohne sie einzuengen. Hermon fand es hübsch, obwohl es sehr einfach war. Oder vielleicht gerade deshalb. Doch es fühlte sich fremd an. Wie lange hatte sie kein Kleid getragen?

Zuletzt legte sie das Amulett um ihren Hals und schob es unter das Kleid, rollte ihre schmutzigen Kleider zusammen und ging zurück in die Küche.

»Lil, wie bekommt man das Wasser aus dem Zuber?«

»Oh, mach dir keine Gedanken, man muss nur einen Stöpsel herausziehen, es gibt eine Abflussrinne. Und deine schmutzigen Sachen lass einfach da drinnen. Die werden gewaschen.« Sie nahm ihr die Kleider aus der Hand. »Jetzt lass dich anschauen! Hübsch siehst du aus. Das Kleid passt dir gut.«

»Kann ich... kann ich dir etwas helfen?«

»Nein, geh nach oben und ruh dich aus. Ich sage dir Bescheid, wenn es Essen gibt.«

»Wer gehört außer dir und Jam noch zur Familie?«, wollte Hermon wissen.

»Nur meine Mutter, Augusta Mehegan. Sie ist die Schwester von Jams Vater.«

»Lil, ich kann doch auf meinem Zimmer essen.«

»Oh, meine Mutter ist schon ganz neugierig auf dich, und Jam wäre enttäuscht, wenn du nicht zum Essen herunter kämst. Chuck Heesley, der Vormann nimmt auch die Mahlzeit mit uns ein. Er ist schon sehr lange auf der Ranch und gehört praktisch zur Familie.«

»Also gut, dann bis nachher.«

»Warte! Du bist sicher sehr hungrig!« Lil nahm einen Teller, legte Kekse und einen Apfel darauf und drückte ihn ihr in die Hand.

 

Hermon hockte auf dem großen, weichen Bett, aß den Apfel und knabberte die Kekse. Sie konnte das alles noch nicht fassen. Als sie den letzten Bissen verzehrt hatte, stellte sie den Teller auf die Kommode. Ihr Blick fiel in den Spiegel.

Das Mädchen mit dem sonnenbraunen, sommersprossigen Gesicht, den wilden Locken und dem blauen Kleid, das sie da anblickte, gefiel ihr. Sie wunderte sich darüber, wie hübsch sie aussah. Aber Alex war weg. Es war nicht mehr wichtig.

Sie ließ sich aufs Bett fallen und wäre fast eingeschlafen. Da schaute Lil herein, um sie zum Essen zu holen. Hermon stand auf, strich das Kleid glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die inzwischen getrockneten Locken, dann folgte sie Lil nach unten. Ihr war dabei etwas mulmig zu Mute.

Vom oberen Treppenabsatz aus sah sie den gedeckten Tisch. Jam hatte bereits seinen Platz am Ende eingenommen. An der rechten Längsseite saß eine propere ältere Dame mit einem grauen Haarknoten und einem sehr faltigen, aber freundlichen Gesicht. Über dem schmucklosen, braunen Kleid trug sie eine bunte Schürze. Als Hermon die letzten Stufen hinunterging, sprang sie erstaunlich beweglich auf: »Da ist ja die junge Dame. Sie reichte ihr die Hand: »Du bist also Hermon! Herzlich willkommen auf Tawamaya!«

»Danke!«, entgegnete Hermon und hielt der kritischen Musterung stand.

»Ein bisschen dünn bist du. Aber dagegen kann man ja was tun. Ach richtig, ich bin Augusta Mehegan! Komm, setz dich, Mädchen.« Sie schob Hermon zu dem Stuhl neben dem eigenen. Hermons Blick wanderte zu Jam. Er hatte die Szene aufmerksam verfolgt. »Jetzt wird dich niemand mehr für einen Mann halten!«

In diesem Moment wurde nach kurzem Klopfen die Tür geöffnet, und der Vormann trat mit einem Nicken ein. Auch sein Blick blieb sofort an Hermon hängen: »Ich bitte um Verzeihung, Miss, dass ich Sie für einen Mann gehalten habe, aber...«

»Das ist kein Problem«, sagte sie nur. Er setzte sich an das Gedeck und warf Jam einen fragenden Blick zu. Der erwiderte ihn mit einem kurzen Nicken.

Augusta sah die Männer mit einem ungeduldig mahnenden Blick an, dann senkte sie das Haupt über den Teller und sprach ein Tischgebet. Hermon warf einen Blick in die verlockend dampfenden Schüsseln. In einer schwammen Fleischstücke in einer dicken Soße, in der anderen waren gekochte Rüben. Dazu gab es duftendes, frisch gebackenes Brot. Und bevor sie begriff, wie ihr geschah, hatte Augusta schon eine ordentliche Portion Fleisch und Rüben auf ihren Teller geladen und reichte ihr den Korb mit dem Brot.

Hermon machte sich mit Heißhunger über die Mahlzeit her. Sie war die erste, die den Teller geleert hatte. Augusta gab ihr geschwind nach.

Während Jam und der Vormann sich über irgendwelche Viehverkäufe unterhielten, aß sie auch die zweite Portion auf und hatte das Gefühl, gleich zu platzen. Als sich Augusta Mehegan erhob und die Mahlzeit beendete, sagte Jam zu Hermon: »Chuck wird dir morgen die Ranch zeigen.« Dann verschwand er mit seinem Vormann im Arbeitszimmer. Die Bodendielen knarrten unter den metallischen Rädern.

Hermon wollte beim Abräumen helfen, doch Lil hielt sie zurück: »Geh ruhig in dein Zimmer, du bist sicher todmüde.« Doch Hermon ging noch einmal auf den Hof, atmete die kühle Abendluft ein und fragte sich, wo Alex nun war.

Als sie zurück ins Haus kam, war Lil noch im Salon beschäftigt. Hermon verharrte einen Moment an der Tür. Ihr kam das Wort Zuhause in den Sinn.

»Gute Nacht, Lil. Und danke für alles!«

 

Chuck Heesley machte die Tür hinter sich zu. »Also was ist mit diesem Mädchen? Warum soll ich ihr die Ranch zeigen?«

»Jad hat sie hergeschickt. Sie wird auf der Ranch arbeiten.«

»Schön für Lilian«, bemerkte er trocken.

»Sie wird sich um die Pferde kümmern, als Saddlegirl.«

»Das ist nicht dein Ernst, Jam!«

»Doch, ist es!«

»Wie stellst du dir das vor? Ein Mädchen und eine hübsches noch dazu, unter lauter Männern! Ich bin Vormann, kein Kindermädchen, Jam!« Heesley war wütend. Ein Mädchen in seiner Mannschaft, das war einfach absurd.

»Hermon Brinkfield ist mit Jad als Treckbegleiter den Oregon Trail heraufgekommen, und sie kennt sich gut mit Pferden aus.«

»Als Treckbegleiter? Wie meinst du das?«

»Du hast sie doch auch für einen Jungen gehalten. Die Leute des Trecks haben monatelang nicht gemerkt, dass sie ein Mädchen ist. Jad übrigens auch nicht.«

Chuck schüttelte den Kopf und rannte ungeduldig in dem kleinen Raum herum.

»Jam, ich weiß nicht, was deinem Bruder das Hirn vernebelt hat, aber das Mädchen gehört nicht in die Mannschaft, ich will sie hier nicht haben!« Er hieb mit der Faust auf den Sekretär, »das ist die idiotischste Idee, von der ich je gehört habe!«

»Chuck, du weißt, wie viel ich auf deine Meinung gebe. Aber diesmal diskutier ich nicht!«

Der Vormann zog die Brauen hoch und schwieg. Er kannte Jam lange genug, um zu wissen, dass es in diesem Moment sinnlos war, ihm weiter zu widersprechen.

»Morgen früh nimmst du sie mit und zeigst ihr die Ranch.«

»Na schön! Aber ich garantiere nicht für das Benehmen meiner Männer. Gute Nacht!« Er ging und schlug die Tür ziemlich unsanft hinter sich zu. Jam sah ihm nach und seine Selbstsicherheit war verschwunden.

Er mochte dieses Mädchen, aber ob es sich in einer Welt von Männern behaupten konnte, ohne dass es Ärger gab? Hatte Jad das bedacht? Bei diesem Treck, von dem er berichtet hatte, wussten die Leute nicht, dass sie ein Mädchen ist. Das war etwas anderes. Aber Jad hatte sie ihm anvertraut. Es war das erste Mal in all den Jahren, die er von zu Hause fort war, dass er ihn um etwas bat. Und er würde seine Bitte verdammt nochmal auf irgendeine Weise erfüllen!

 

Hermon lag warm und entspannt in einem Flanellnachthemd unter dem Federbett und weinte. Es war gut, wieder in einem Bett zu liegen. Doch sie hätte es ohne zu überlegen gegen jedes harte, kalte Nachtlager im Freien getauscht, wenn sie dafür in Alex’ Arm hätte liegen können. Alex – Jad! Jared Alexander Mehegan! Sie erinnerte sich, dass er von einem Freund Namens Jad erzählt hatte. Plötzlich wurde ihr klar, er hatte von sich selbst, seinem Leben auf Tawamaya gesprochen, seinem verlorenen Leben! Aber was war geschehen? Hatte es etwas mit Jam zu tun, damit, dass er in diesem Stuhl mit Rädern saß?

Sie dachte wieder an diese eigenartigen Worte: Ayor anoshi ni. Er hatte es oft zu ihr gesagt, aber erst jetzt war ihr die Bedeutung klar geworden. Warum nur hatte er das getan, ihr seine Liebe gestanden und sie dann verlassen? –

Sie hatte gewusst, dass er gehen würde, die ganze Zeit. Warum so! – Doch hätte es einen Unterschied gemacht, hätte er sich anders verabschiedet?

Vielleicht war es für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, zu gehen. Schließlich hätte er schon in Sweatwater gehen können, mit einem mach’s gut und alles Gute.

Er hatte es nicht getan, hatte sie bis hierher gebracht und ihr das gegeben, was sie am meisten brauchte, einen Platz an dem sie bleiben konnte, wo sie nichts mehr verbergen musste. Ein Zuhause.

Ich darf nicht undankbar sein, ich könnte jetzt allein in Salt Lake sitzen. Stattdessen liege ich unter einem warmen Federbett und weiß, dass ich die Chance hab, ein neues Leben zu beginnen. Alex war gegangen, aber er hatte für sie gesorgt.

Am Morgen erst hatten sie Abschied genommen, doch es erschien ihr bereits wie in einem anderen Leben. Sie dachte an Jam, sah sein Gesicht vor sich, oder war es Alex’ Gesicht? Bevor sie es entschieden hatte, war sie eingeschlafen.

 

Sie erwachte vor dem ersten Tagelicht. Für einen Moment hatte sie unter dem warmen Federbett die Illusion, in Alex’ Armen zu liegen. Doch als sie sich bewegte und weder seinen Geruch noch seine Nähe wahrnahm, kam schlagartig die Erinnerung zurück.

Augenblicklich sprang sie aus dem Bett und stand etwas hilflos im Zimmer. Alex war fort! Am liebsten hätte sie laut geschrien oder auf etwas eingeschlagen.

»Reiß dich zusammen, verdammt!«, sagte sie laut. In der Dunkelheit suchte sie nach ihren Kleidern, die Lil noch nicht in die Wäsche befördert hatte. Sie zog Hosen, Stiefel und das einzige Hemd an, das sie fand, schlüpfte in Pullover und Felljacke und stülpte sich den Hut auf den Kopf. Dann verließ sie ihr Zimmer und tastete sich durch das dunkle Haus. Als sie den Hof betrat, erhellte der erste Schimmer des neuen Tages die Nacht. Sie lief zum Stall, um nach Mooney zu sehen, der sie freudig begrüßte. Als es langsam hell wurde, ging sie an den Boxen entlang und zu den Paddocks und unterhielt sich mit den Pferden. Hier ging es ihr gut, hier fühlte sie sich zu Hause.

Inzwischen war es auch im Ranchhaus lebendig geworden. Augusta und Lil richteten das Frühstück. Der Tisch war in der Küche gedeckt, und der Kaffee dampfte in der Kanne auf dem Herd. Jam kam hereingerollt und nahm seinen Platz ein. Augusta stellte Haferbrei und eine Pfanne mit Eiern auf den Tisch. Es klopfte kurz, und dann trat Chuck Heesley mit stürmischem Schritt ein, nickte zum Gruß und sah sich suchend um. »Die junge Dame schläft wohl noch!«, bemerkte er sarkastisch.

»Nein«, entgegnete Lil, »ich weiß nicht, wo sie ist, aber im Bett liegt sie nicht mehr.«

Sie hatten eben zu essen begonnen, als Hermon mit fragendem Blick eintrat. »Guten Morgen, ich bin schon mal im Stall gewesen«, erklärte sie.

»Dann setz dich und iss«, forderte Augusta sie auf und tat Eier auf ihren Teller. Hermon nahm den Hut ab, zog die Jacke aus und setzte sich neben Lil, die ihr Kaffee eingoss und Brot und Butter hinschob. Als sie aufsah, begegnete sie dem abschätzenden Blick des Vormanns. Der mag mich nicht, stellte sie fest. Trotzdem ließ sie sich den Appetit nicht verderben. Augusta sorgte dafür, dass ihr Teller nicht so schnell leer wurde. Der Vormann stand als erster auf und blickte Hermon auffordernd an: »Gehen wir!«

»Ja.« Sie nahm Jacke und Hut und folgte ihm nach draußen.

Chuck Heesley lief mit großen Schritten vor ihr her, führte sie durch Vorratsschuppen, Geräteschuppen, Scheune, Stall, Paddocks und Sattelkammer und gab mit kühler Stimme kurze Erklärungen. Und er machte einige Bemerkungen zu den Eigenarten der Pferde. Als letztes zeigte er ihr die Remise und die Schmiede, die etwas abseits hinter der Reihe der Gebäude lag. Dort befanden sich auch der Abort der Männer, das Windrad und der Brunnen.

Heesley forderte Hermon auf, ihr Pferd zu satteln. Sie legte Mooney den abgewetzten Sattel auf, zog den Riemen mit flinken Fingern durch die Metallringe, schloss die Schnalle und wartete schon draußen, als Heesley mit seinem riesigen Wallach herauskam. Er gab ihm die Sporen und legte ein ziemliches Tempo vor. Hermon hielt mit.

Sie ritten nach Süden Richtung Flussufer. Als die Sonne aufging, hatten sie den Yellowstone River erreicht. Im hohen Gras sah Hermon die Pferde stehen.

»Die Cavvy«, bemerkte Chuck knapp, »das sind alle Tiere, die im Augenblick nicht zum Arbeiten benutzt werden.«

Die Talsenke war grüner als die höher gelegenen Weiden in den Hügeln und wohl deshalb für die Pferde ausgewählt. Es gab keine Zäune, und sie waren weit verstreut. Hermons Augen leuchteten. Es waren prachtvolle Tiere.

Der Vormann beobachtete sie. Er musste zugeben, dass sie perfekt im Sattel saß. Ihr Körper und der dieses gefleckten Gauls mit der grotesken Zeichnung waren eine Einheit. An dem tückischen Blick erkannte er, dass Mooney kein braver Schaukelgaul war.

Hermon war völlig in den Anblick der Pferde vertieft. Auch das fiel Chuck Heesley auf. »Eine Menge Quarterhorses«, bemerkte sie und der Vormann nickte. »Sind widerstandsfähige Tiere, am besten geeignet für das harte Klima und die Arbeit«, brummte er, »und sie sind gehorsam.«

Sie ritten in die Talsenke hinein und Hermon konnte sich die Pferde näher ansehen. »Es sind einige Jährlinge dabei«, stellte sie fest, »gibt es Zureiter in der Crew?«

»Ja.«

Obwohl der Vormann nur einsilbig und unwillig antwortete, stellte sie weitere Fragen. Schließlich bemerkte er: »Du verstehst also tatsächlich etwas von Gäulen!«

»Ja!«

»Wo hast du das gelernt? Du kommst doch aus den Südstaaten! Dort können die Ladys gewöhnlich einen Gaul nicht von einem Maulesel unterscheiden.«

»Das ist nicht wahr!«, entgegnete Hermon gereizt, »die Leute im Süden sind nicht blöd, auch wenn sie den Krieg verloren haben!«

»Also, wo hast du es gelernt?«, überging er ihre Bemerkung. »Ich habe auf einer Pferderanch in Kentucky gearbeitet!«

»So, gearbeitet«, bemerkte er herablassend, »hast du dort einen reichen Onkel, der es sich leisten kann, ein Mädchen sein Unwesen zwischen den Kerlen treiben zu lassen? Und warum bist du nicht dort geblieben?«

»Ich habe dort als ganz gewöhnlicher Stallbursche gearbeitet!« Das Schimpfwort, das ihr auf der Zunge lag, verschluckte sie.

»Aha, Stallbursche!«

»Ja, niemand hat gemerkt, dass ich ein Mädchen bin. Aber Sie brauchen mir ja nicht zu glauben!« Sie trieb Mooney an und ließ Heesley ein Stück hinter sich zurück. Der Vormann verkniff sich ein Grinsen und stellte fest: Die Kleine scheint eine harte Nuss zu sein! Dann tauchten die ersten Kühe am Horizont auf. »Hier beginnen die Weidegründe der Rinder«, erklärte Chuck, »der Viehtrieb ist vorbei, deshalb ist die Herde klein, etwa zehntausend. »Wie groß sind die Weidegründe der Ranch?«, wollte Hermon wissen.

»Hier gibt es keine Zäune und keine Grenzen. Das Land ist weit und offen. Und es ist leer. Die wenigen Anwesen, die es gibt, liegen hunderte von Meilen voneinander entfernt«, beantwortete er ihre Frage, dann schlug er den Rückweg ein. Sie ritten nun nicht mehr am Fluss entlang, sondern durch die Hügel. Hermon hörte das Pfeifen der Präriehunde, die das Gelände bevölkerten und hin und wieder erschien ein Kopf in einem der unzähligen Erdlöcher. Als sie die Hügel hinter sich ließen und wieder an der Pferdeweide vorbeikamen, wies Heesley auf ein abseits stehendes Tier mit rötlich verwaschenem Fell: »Der Fuchs da drüben ist Gap. Am besten gehst du ihm aus dem Weg, er ist ein miserables, hinterlistiges Mistvieh. Die Leute machen sich einen Spaß daraus, jeden Neuen darauf zu setzen und lachen sich tot, wenn er im Dreck landet. Und der Gaul macht sich einen Spaß daraus, dann auch noch zu treten und zu beißen.«

Hermon sagte nichts, sie fragte sich nur, was sie mit dem armen Pferd angestellt hatten. Aber sie erwähnte nicht, dass sie mit solchen Mistviechern so ihre Erfahrung hatte.

Es war später Nachmittag, als sie auf die Ranch zurückkamen. Hermon knurrte der Magen. Doch sie beklagte sich nicht über die ausgefallene Mahlzeit. Darauf wartete Heesley wahrscheinlich nur!

»So, Schluss für heute«, bemerkte er gnädig, morgen kannst du dich im Stall betätigen.« Er wendete sein Pferd und galoppierte davon. Die Ranch schien verlassen, die Männer waren wohl alle irgendwo draußen, und so entschied sie sich, noch einmal auszureiten.

Es war nicht schwer, die Pferdeweide wiederzufinden. Sie sah sich nun etwas genauer um und entdeckte im Schutz einer Hecke die Corrals zum Zureiten der Pferde. Und sie fand auch sofort den zerzausten, blassroten Gaul mit dem Namen Gap wieder. Sie saß ab und ließ Mooney grasen. »Naja, eine Schönheit bist du wahrhaftig nicht«, redete sie mit ihm, »bist wohl das Gespött von Tawamaya.« Langsam ging sie näher heran und redete weiter. Gap beobachtete sie, legte die Ohren an und sein Blick war nicht freundlich. Dann widmete er sich wieder dem Gras unter seiner Nase. Hermon blieb eine Weile regungslos vor sich hin summend stehen. Dann ging sie zurück zu Mooney und machte sich auf den Rückweg. Im Stall traf sie auf Helmer. Sie sagte: »Hallo!« und nahm den Pinto den Sattel ab.

Der Stalljunge verdrehte sich den Hals nach ihr. Er war dabei, Heu und Hafer für die Arbeitstiere zu verteilen. Hermon räumte den Sattel weg, gab Mooney auch eine Portion Hafer, dann machte sie sich wortlos daran, ihm zu helfen. Er grinste sie etwas irritiert an, sagte aber nichts. Als sie sah, dass die Viehtreiber auf den Hof ritten, verschwand sie lautlos. Sie wusste nicht, was der Vormann ihnen gesagt hatte, und sie wollte keinen Aufruhr verursachen.

Beim Betreten des Hauses überkam sie ein eigenartiges Gefühl. Es war erst ihr zweiter Tag auf Tawamaya, doch irgendwie fühlte sie sich bereits zu Hause. Sie wüsste nur zu gerne, was in diesem verflixten Brief stand?

Aus der Küche hörte sie Geräusche und Stimmen. Augusta Mehegan und Lil waren wohl beim Zubereiten der Abendmahlzeit. Im Kamin im Salon prasselte ein Feuer. Lil stürmte aus der Küche: »Da bist du ja endlich! Wo hat Chuck dich nur überall herumgeschleift? Du musst doch halb erfroren und verhungert sein!«

Doch Hermon strahlte: »Es war gar nicht so schlimm. Weißt du, ich habe viele Monate mein ganzes Leben im Freien verbracht.«

»Es gefällt dir hier?«, fragte Lil verwundert. »Ja, es ist ein wundervoller Flecken Erde.«

»Es ist einsam hier. Wir sind von der Welt abgeschnitten. Im Süden, wo du herkommst, gibt es doch eine Menge große Städte, und es war sicher immer etwas los. Hier ist man nur von Männern umgeben. Sicher, meine Mum ist noch da, aber ich habe mir immer eine Schwester oder Freundin gewünscht. Und jetzt habe ich Angst, dass du wieder fortgehst.«

»Ach Lil, ich möchte so gerne bleiben.«

»Ist das wahr?«

Sie kam auf Hermon zu und nahm sie einfach in den Arm. Hermon biss sich auf die Lippen, um nicht loszuheulen. »Komm mit!« Lil schob sie in die Küche.

»Da ist ja das Mädel!«, freute sich Augusta, die mit hochrotem Kopf am Herd stand. Ohne lange zu fragen, schenkte sie ihr einen Becher Kaffee ein. Als Hermon ausgetrunken hatte, gab Lil ihr den Wasserkessel: »Hier, nimm ihn mit in deine Kammer, damit du warmes Wasser zum Waschen hast.«

Hermon machte sich auf den Weg nach oben, doch auf der Treppe blieb sie stehen und sah sich um. Alles erschien ihr so unwirklich. Sie kam in ein Haus, in dem fremde Menschen sie mit einer unglaublichen Herzlichkeit aufnahmen, wo im Kamin ein Feuer brannte, sie ein eigenes Zimmer bewohnte und ein gedeckter Tisch auf sie wartete. Dieses Haus war das Zuhause, das sie sich immer gewünscht hatte. Und Alex hatte das gewusst!

Sie wusch sich mit dem warmen Wasser, dann zog sie das blaue Kleid wieder an und bürstete ihre Locken, die sich über Ohren und Nacken zu ringeln begannen und lächelte ihrem Spiegelbild zu. Dann ging sie nach unten und half Lil beim Tischdecken.

Die Räder von Jams Stuhl verursachten ein mahlendes Geräusch, als er zu Tisch kam. Hermons Blick fiel auf seine Hände, die in die Speichen griffen. Sie waren groß und schlank, wie die seines Bruders, aber sie hatten keine Narben.

»Wie war dein Tag, Hermon?«, fragte er sie, und sie blickte etwas erschrocken auf. Dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht: »Gut!« Sie setzte sich zu Jam und erzählte. Nur Chuck Heesleys unfreundlichen Ton erwähnte sie nicht. Augusta Mehegan kam mit einer großen, dampfenden Schüssel herein: »So, nun lang aber zu, Mädel! Du musst doch hungrig sein wie ein Wolf nach dem langen Tag!«  

Das ließ Hermon sich nicht zweimal sagen. Als sie zu essen begann, bemerkte sie den leeren Platz gegenüber: »Wo ist Mister Heesley? Ist er wegen mir nicht hier?«

»Nein, er nimmt die Mahlzeiten nicht regelmäßig mit uns ein«, entgegnete Jam, »wenn er noch draußen zu tun hat, isst er im Bunkhaus. Hast du Ärger mit ihm gehabt?«

»Nein, er war nur nicht besonders gut gelaunt. Kein Wunder, wenn er nicht begeistert ist, dass plötzlich eine Frau ihr Unwesen in seiner Crew treibt.«

»Er wird sich daran gewöhnen«, entgegnete Jam. Hermon beobachtete ihn und sah Alex. Gewaltsam wandte sie den Blick ab. Nach der Mahlzeit verschwand er wortlos im Arbeitszimmer. Hermon half beim Abwasch. Dann ging sie gemeinsam mit Lil nach oben.

»Bist du sehr müde, Hermon?«

»Nein.«

»Magst du mit in mein Zimmer kommen, wir können noch eine Weile plaudern.« Sie zögerte, doch dann nickte sie: »Einverstanden.«

Das Zimmer lag im ersten Stock. Es war nicht groß, aber behaglich eingerichtet. Das Fenster zeigte zum Hof. Rechts an der Wand stand ein eisernes Bett, auf dem eine bunte Decke lag, auf der linken Seite standen eine zierliche Couch und ein Sessel, davor ein kleiner Tisch. Den Platz am Fußende des Bettes nahm eine Kommode ein. Auf dem Boden stand ein Handarbeitskorb voller bunter Wolle. Als Lil die Tür schloss, sah Hermon den kleinen Ofen dahinter in der Ecke. Die Dielen waren mit einem Flickenteppich bedeckt.

»Mach es dir bequem«, Lil wies auf das Sofa. Sie selbst setzte sich in den Sessel und griff nach ihrem Strickzeug. Hermon sah fasziniert zu, wie sich die Nadeln in Lils Händen flink bewegten. Sie war so ganz anders als ihre Schwestern. Lil war nicht zierlich, eher ein wenig grobknochig und keine Schönheit, aber sie war fröhlich, offen und herzlich. Das einfache, rostbraune Wollkleid passte gut zu ihren blonden Haaren. Der dicke Zopf hing ihr über die Schulter und ringelte sich in ihren Schoß.

Hermon lehnte sich in die Kissen zurück. Es war sehr still in dem großen Haus. Außer dem Klappern der Stricknadeln war nichts zu hören.

»Ich habe dir noch ein paar Sachen herausgesucht«, bemerkte Lil, »hier brauchst du im Winter gute Kleidung, denn es wird bitterkalt. Der erste Schnee wird nicht lange auf sich warten lassen.«

»Aber Lil, du kannst mir doch nicht deine ganzen Kleider geben!«        

»Ach, das sind gar nicht meine. Es sind die Kleider von Jams Mutter. Meine Mum kam auf die Idee, dass sie dir passen müssten. Ich habe sie gewaschen und hergerichtet. Du wirst sie gut gebrauchen können.«

»Lil, ihr seid alle so... so freundlich zu mir? Ihr kennt mich doch gar nicht.«

Lil sah Hermon an und legte den Kopf etwas schräg: »Zum einen ist Gastfreundschaft hier draußen in dem weiten Land eine Selbstverständlichkeit und zum anderen sind wir Jad das schuldig und – wir mögen dich.« Hermon wusste nichts darauf zu sagen.

»Was strickst du?«

»Socken. Die sind hier im Winter unbezahlbar. Kannst du stricken?«

»Nein. Aber ich kann gut nähen und flicken.«

»Jam sagt, du kommst aus Virginia.«

»Ja.«

»Warum bist du fortgegangen?«

»Weil die Yankees über Richmond herfielen.«

»Und deine Familie.«

»Es gibt niemand, der mich vermissen wird«, erwiderte Hermon mit einer Miene, die deutlich machte, dass sie nicht darüber reden wollte.

»Und wo bist du gewesen, die ganze Zeit seit dem?«

»Ist ein weiter Weg bis Montana. Zwischendurch habe ich gearbeitet. Von Irgendwas musste ich ja leben.«

Lil sah sie mit ihren blauen Augen fragend an. Hermon zögerte, doch dann begann sie, von dem Weg nach Independence zu erzählen, nicht in Einzelheiten, nur ein knapper Bericht und sie endete: »Dort bin ich Alex begegnet und mit seinem Treck auf den Oregon Trail gegangen.«

Lil ahnte, wie viel sie verschwiegen hatte. Doch sie fragte nicht nach, überließ es Hermon, was sie erzählen mochte. Sie fragte auch nicht nach Jad, der für Hermon Alex war.

Lange Zeit unterbrachen nur die Stricknadeln die Stille. Hermon hing ihren Gedanken nach.

»War Jam, ich meine, Mister Mehegan, schon immer so... ich meine...«

»Du meinst seine Beine! Nein, nicht immer. Jemand hat auf ihn geschossen.«

Nun war es Hermon, die nicht wagte, weiter zu fragen. Sie hatte die dumpfe Ahnung, dass es irgendetwas mit Alex zu tun hatte, damit, dass er nicht mehr nach Hause kam.

Lil erzählte: »Als sie Kinder waren, Jam und Jad, war Jam immer der Schnellere und Geschicktere. Jad war der Mutigere und Leichtsinnige. Sie waren unzertrennlich und sahen einander so ähnlich, dass nur ihre Mutter sie auf den ersten Blick unterscheiden konnte. Und wo der eine war, da fand man auch den anderen. So war es, bis sie achtzehn wurden.«

»Und dann ging Alex, ich meine, Jad, fort?«

»Ja!«

»Warum? Was ist geschehen? Was ist mit Jam geschehen?«, fragte sie nun doch.

»Jad hat dir nie von seiner Familie erzählt?«

»Nicht viel, nur dass seine Großmutter eine Navajo war und warum sein Vater nach Montana gegangen ist. Aber er hat mir nicht einmal gesagt, dass er einen Zwilling hat.«

»Ich denke, Jam wird deine Fragen selbst beantworten.«

Hermon gab sich zufrieden. »Ich glaube, es ist Zeit zum Schlafen!« Sie stand auf, wünschte Lil eine gute Nacht und ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Als sie wenig später unter dem warmen Federbett lag, konnte sie kaum glauben, dass sie erst zwei Tage in diesem Haus war.

 

Chuck Heesley hatte seinen Männern kurz und bündig erklärt, dass es nun eine Frau, ein sogenanntes Saddlegirl auf der Ranch gab. Erst einmal entstand in der Crew einen mächtiger Aufruhr und es fielen zweideutige Bemerkungen. Aber der Vormann verbat sich jeden Kommentar und gab Anweisung, dass sie sich von der Frau fernzuhalten hatten und ihr Mundwerk beherrschen sollten, da sie andernfalls mächtigen Ärger bekämen.

Natürlich wurde trotzdem geredet, und die Neugier war groß. Die Männer verrenkten sich regelrecht die Hälse. Doch als sie das Saddlegirl dann zum ersten Mal nach der Arbeit im Stall vorfanden, in Männerkleidern selbstverständlich zwischen den Pferden hantierend, wie sie ihnen mit freundlichem Lächeln die Tiere abnahm und an ihre Plätze brachte und bei einem Wallach sofort eine versteckte Scheuerverletzung fand, waren Chuck Heesleys Jungs erst einmal sprachlos. Sie sahen, dass sie zupackte, wie ein Mann, und es fiel auf, dass der Stall und die Paddocks ungewöhnlich sauber waren.

Die warmen Männerkleider und ihre burschikose Art ließen fast vergessen, dass sie eine Frau war. Doch ihre Art flößte den raubeinigen Kerlen einen gewaltigen Respekt ein. Ihnen entging nicht, wie ruhig und sicher sie selbst mit dem widerborstigsten Tier umging. Und sie wusste Rat, wenn einem Tier etwas fehlte.

Was die Männer jedoch nicht mitbekamen, war Hermons heimliche Arbeit draußen auf der Pferdeweide mit dem geradezu bösartigen Gap. Und ihre Geduld wurde belohnt. Der Hengst begann ihr zu vertrauen. Er mochte ihre sanfte Stimme, die Ruhe, die sie ausstrahlte, und die Hände, die ihm unbekannte Leckerbissen brachten. Es dauerte nicht lange, bis er Berührung zuließ, ohne auszukeilen.

Jeden Tag erkundete Hermon ein neues Stück Gelände um die Ranch, und nach kurzer Zeit fand sie sich in der näheren Umgebung gut zurecht.

Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie im Freien. Wenn sie ihre Arbeit im Stall getan hatte, freute sie sich auf das Abendessen in der Wärme des Kaminfeuers und die Abendstunden, die sie oft mit Lil in ihrer kleinen Stube bei Flickarbeiten verbrachte. Sie wunderte sich, wie wenig sie an Alex denken musste. Nur nachts, wenn sie unter ihrem Federbett lag, kam die Sehnsucht zurück und sie weinte oft bittere Tränen.

Jam Mehegan begegnete ihr nur bei den Mahlzeiten, die übrige Zeit verbrachte er in seinen Räumen im Erdgeschoss. Seine Schlafkammer lag neben dem Arbeitszimmer. Zwischen den Räumen gab es eine Verbindungstür.

Eines Abends fragte Hermon Lil: »Verlässt Jam wirklich niemals das Haus?«

»Nein«, entgegnete sie nur. »Auch nicht im Sommer?«

»Auch dann nicht. Seit Jad fort ist und er in diesem Stuhl sitzt, hat ihn niemand mehr dazu gebracht. Er erledigt die Planung und die Schreibarbeiten. Chuck ist seine rechte Hand. Er macht die Arbeit draußen. Die meisten der Viehtreiber kennen ihren Boss kaum, haben ihn nur bei der Einstellung gesehen, manche nicht einmal das.«

Hermon hatte in der kurzen Zeit auf der Ranch Lilian und Augusta ins Herz geschlossen, und an Chuck Heesley hatte sie sich gewöhnt. Jams Gegenwart stürzte sie noch immer in einen eigenartigen Zwiespalt. Die Ähnlichkeit und gleichzeitig die Andersartigkeit waren so groß, dass es sie immer wieder aus der Fassung brachte.

Dem Vormann begegnete sie bei den Mahlzeiten und hin und wieder draußen. Er beachtete sie nur, um ihr irgendwelche Anweisungen zu geben. Doch er musste sich eingestehen, sie machte ihre Arbeit gut, für eine Frau verdammt gut. Und ihr Verhalten forderte die Crew in keiner Weise heraus. Die Männer kamen mit dem burschikosen Saddlegirl zurecht. Oft schienen sie einfach zu vergessen, dass sie ein Mädchen war.

Hermon kannte ihre Pflichten. Sie genoss die Sicherheit dieses neuen Lebens, und sie liebte die Stunden der Ruhe, in denen sie tun und lassen konnte, was sie wollte, ohne Ängste und Zwänge. Das war für sie eine Freiheit, die sie nie gekannt hatte.

An einem dieser Tage, an dem sie spät von der Weide gekommen war, eine nicht sehr erfolgreiche Reitstunde mit Gap hinter sich hatte und es eben noch schaffte, sich vor dem Essen zu waschen und umzukleiden, denn sie kam nie in Hosen zu Tisch, fragte Jam sie nach der Mahlzeit: »Bist du heute sehr müde, Hermon?«

»Nein«, sie schüttelte den Kopf, »ich bin daran gewöhnt, die Tage im Freien zu verbringen.«

»Ja, ich weiß, aber du rutschst so unruhig auf deinem Stuhl hin und her, dass ich dachte, du hast es eilig, auf dein Zimmer zu kommen.«

»Nein, ich bin wirklich nicht müde«, versicherte sie und behielt für sich, dass sie dank Gap einen gewaltigen blauen Flecken am Hinterteil hatte. »Dann komm noch zu mir herein.«

Hermon folgte ihm in sein Zimmer, blieb jedoch an der Tür stehen. Jam rollte nicht an seinen Sekretär sondern zu dem Tisch in der Ecke neben dem Fenster.

»Setz dich, Hermon!« Er wies auf den Stuhl an der anderen Seite des Tisches. Sie kam der Aufforderung etwas zögernd nach. Was wollte er ihr sagen? Hatte Chuck Heesley sich womöglich doch über sie beschwert? Jam fragte: »Magst du einen Sherry?«

»Keine Ahnung! Ich habe noch nie welchen getrunken.«

»Das mag ich an dir, du bist so unverblümt ehrlich.«

»Das stimmt gar nicht«, widersprach sie, »ich habe einen ganzen Siedlertreck samt ihrem Bruder belogen und ihnen weisgemacht, dass ich ein Mann bin.«

»Ich denke, das war keine Lüge, sondern eine Überlebensstrategie.« Er hatte zwei Gläser aus dem Regal geangelt und goss die goldbraune Flüssigkeit ein. Hermon schnupperte, bevor sie trank. »Oh, Himmel, das ist gut«, murmelte sie entzückt und dann fügte sie hinzu, »hier auf Tawamaya ist alles gut, Mister Mehegan.«

»Ich heiße Jam, vergessen? – Es gefällt dir also auf der Ranch?«

»Ja, es gefällt mir sehr.«

»Chuck ist mit deiner Arbeit zufrieden, und er sagt, du kommst gut mit den Männern zurecht.«

»Oh, hat er das gesagt? Das will was heißen! Und was die Männer betrifft, die müssen eher mit mir zurechtkommen. Ich bin es, die zwischen ihnen wildert.«

»Hat Chuck das so ausgedrückt?«

»Ja.«

»Nimm es ihm nicht übel, wenn er etwas rüde ist. Er ist ein guter Mann.«

»Ich weiß, wie Männer sind. Ich habe viele Monate auf einer Ranch in Kentucky gearbeitet, als Mann.«

»Und keiner hat etwas gemerkt?«

»Keiner.«

»Hast du mit ihnen etwa im Bunkhaus geschlafen?«

»Ja, aber da gab es eine etwas abgetrennte Ecke, die im Sommer heiß war, weil die Sonne draufknallte und im Winter kalt und zugig. Da hab ich meine Schlafpritsche gehabt.«

»Bist hart im Nehmen.«

»Ja, das kann man so sagen.«

»Erzähl mir von Jad.«

»Hm... ja, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«

»Ganz von vorne. Wie hast du ihn kennengelernt?«

»Das war in Independence. Dort habe ich in einer Fabrik gearbeitet, in der Conestoga Wagen gebaut wurden.«

»Du hast Wagenbauen gelernt?«, fragte Jam verblüfft.

»Ja. Und im Frühling habe ich dann gesehen, wie die Siedler- und Händlertrecks sich auf den Weg gemacht haben. Weil ich aus Independence weg wollte, habe ich mich Hals über Kopf entschlossen, mit einem Treck zu gehen.

Ich bin Alex zum ersten Mal in einem Saloon in Independence begegnet und habe ihn gefragt, ob ich mitkommen kann. Aber er hat mich abgewimmelt wie ein lästiges Insekt. Ich war enttäuscht und stinkwütend.

Er wusste nicht, dass es meine Arbeit war, mich um die Pferde im Fabrikmietstall zu kümmern. Dort hatte er seine Pferde untergestellt. Kennen Sie Mooney und Tec?«

»Ich kenne Tec.«

»Und Mooney ist nicht viel besser. Er ist ein Indianerpferd, fast genau so verrückt, wie Tec. Er gehört jetzt mir.

Als Alex die Tiere abholen wollte, habe ich Tec für ihn gesattelt. Er war ziemlich sprachlos darüber, und dann hat er mich mitgenommen. Zugegeben, am Anfang hatte ich meine Probleme mit ihm. Er erschien mir arrogant und kaltschnäuzig. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass er Achtung vor Menschen und Tieren hat. Ich hatte mich in ihm getäuscht.

Wir sind Kameraden geworden. Eine solche Freundschaft war für mich etwas Fremdes, Neues. Obwohl der Weg lang und hart war, bin ich in dieser Zeit glücklich gewesen. Die Menschen sind für mich wie eine Familie geworden.

Und Alex... während die anderen nachts in ihren Planwagen schliefen, schlugen wir unser Lager am Feuer auf, und in seiner Nähe habe ich mich immer sicher gefühlt. Dennoch gab es Situationen, in denen ich große Angst hatte. Alex schien niemals Angst zu haben. Er wusste immer, was zu tun war, und er konnte mit den Leuten umgehen. Fast immer jedenfalls.«

»Du hast sein Leben gerettet! Was war geschehen?«

Sie sah Jam verwundert an, machte eine wegwerfende Bewegung: »Ich wäre ertrunken, wenn er mich nicht vor den Stromschnellen aus dem Wasser geholt hätte.«

»Erzähl mir, was ihm geschehen ist«, beharrte er.

»Banditen haben aus dem Hinterhalt auf den Treck geschossen. Der erste Schuss galt Alex. Er hat seinen Kopf getroffen. Es war zum Glück nur ein Streifschuss, und er ist im Sattel geblieben. Ich habe ihn eingeholt, und Tec abgedrängt in den Schutz der Wagen. Das ist alles.«

»Sie hätten dich treffen können!«

»Das hat Alex damals auch gesagt. Haben sie aber nicht.« Jam füllte die Sherrygläser nach, und Hermon trank gedankenverloren.

Er bat: »Erzähl weiter.«

»Wir kamen am Laramie River in ein Unwetter. Es goss wie aus Eimern und der Fluss wurde zum reißenden Strom. Dort bin ich ins Wasser gestürzt, und es hat mir nichts genützt, dass ich schwimmen kann. Alex hat mich gerettet, bevor ich mir an der Felsenbarriere den Schädel zertrümmert habe. Als ich zu mir kam, wusste ich, dass er mein Geheimnis entdeckt hatte! Ich war überzeugt, dass er mich wegschicken würde, weil er jetzt wusste, dass ich nur ein Mädchen bin. Ich war zwar am Leben, aber völlig verzweifelt. Als wir Fort Laramie erreichten, war ich sicher, dort würde er mich zurücklassen. Doch er sagte kein Wort dazu. Ich bin fast verrückt geworden. Er sagte einfach nichts. Dann habe ich ihn darauf angesprochen. Er war völlig überrascht und antwortete: Du wirst deine Arbeit deshalb nicht schlechter machen. Das war das erste Mal, dass... ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Meine Familie hat mich verachtet. Als Mädchen, als Frau war ich nichts wert. Erst in Männerkleidern bekam ich für meine Arbeit Anerkennung.

An diesem Tag habe ich begriffen, dass seine Achtung und Anerkennung nichts mit meinem Geschlecht zu tun hat, sondern einfach nur mit meiner Person.«

Hermon schluckte, bevor sie weitersprach: »Ein paar Wochen später am Sweatwater River hat der Treck sich aufgelöst.«

»Wohin wolltest du?«, fragte Jam. »Ich hatte keine Ahnung. Alex habe ich von einem Onkel in Salt Lake City erzählt. Aber den gab es gar nicht, und er hat es gewusst.

Und dann hat er mich gefragt, ob ich mit nach Montana komme. Die Zeit, die ich mit ihm geritten bin, war die beste in meinem Leben.«

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und starrte auf ihre Hände. In Gedanken war sie weit fort.  

»Wir waren noch einen Tagesritt von der Ranch entfernt. Da hat er mir gesagt, dass er mich liebt, er hat mich geküsst, zum ersten Mal, und dann ist er auf und davon.«

Die Tränen kamen wieder, sie weinte hemmungslos. Doch sie schämte sich nicht.

Jam füllte ihr Glas noch einmal und reichte es ihr. Hermon zitterte so sehr, dass sie es kaum halten konnte und goss es in einem Zug hinunter.

»Habt ihr nie über die Zukunft gesprochen?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf, wischte mit dem Ärmel die Tränen weg. Jam bewegte seinen Stuhl, drehte ihn zu ihr um: »Ich weiß wie das ist, Hermon, wenn man allein gelassen wird. Er hat uns beide verlassen.«

Hermon hob ihr verweintes Gesicht, blickte in seine samtbraunen Augen und dachte an Lils Worte: Sie waren unzertrennlich, bis sie achtzehn waren!

Und ihr wurde bewusst, was es für Jam bedeutete, seinen Zwillingsbruder verloren zu haben und hilflos in diesem Stuhl zu sitzen. Sie presste die Lippen zusammen, um das Schluchzen zu ersticken. Er lehnte sich zu ihr herüber und nahm sie sanft in den Arm, mit einer Geste, die ihr so vertraut erschien, und es war gar nicht schwer, den Kopf an seine Schulter zu lehnen.

Einen Moment lang hatte sie das wunderbare Gefühl, in Alex’ Armen zu sein.

Aber er roch nicht nach Schweiß und Leder, sondern nach Seife und gewaschener Baumwolle. Trotzdem war es gut, eine Schulter zu haben, an die sie sich lehnen konnte und weinen zu dürfen.

Als die Tränen endlich versiegt waren, hob sie den Kopf und löste sich von ihm. Ihr war schwindelig. Sie hatte den Sherry zu schnell getrunken. Für einen Moment schloss sie die Augen, dann fragte sie: »Wirst du mir erzählen, warum er fortgegangen ist?«

»Ja«, Jam nickte, »aber nicht jetzt. Für heute ist genug geweint.«

Hermon stand auf: »Ich gehe jetzt besser schlafen. Gute Nacht, Jam.«

»Hermon!«

»Ja?«

»Ich bin nicht Jad, ich meine Alex! Ich kann ihn dir nicht ersetzen. Aber ich teile deinen Kummer, und ich bin für dich da.«

»Danke, Jam. Danke, dass ich hier sein darf.« Sie beugte sich vor und hauchte einen zarten Kuss auf seine Schläfe. Dann ging sie hinaus und heulte wieder, aber diesmal nicht um Alex, sondern weil sie begriffen hatte, dass Jam noch viel unglücklicher sein musste, als sie selbst. Auf der Treppe kam ihr Lil entgegen.

»Hermon! Was ist geschehen?« Lil nahm sie einfach in den Arm, »um Himmelswillen, warum weinst du denn so? Hat Jam irgendetwas Falsches gesagt?«

»Nein, Lil, es ist alles in Ordnung.«

»Das sieht mir aber ganz und gar nicht so aus. Also was ist los? Du kannst es mir sagen, wir kriegen das schon wieder hin.«

»Ach Lil, du bist so lieb! Aber es ist wirklich nichts. Wir haben nur über Alex geredet. Ich habe Jam von der Zeit mit ihm erzählt und... wie er fort gegangen ist.«

»Ach so.« Sie hielt Hermon fest und strich ihr sanft über den Rücken. »Ich weiß, wie das ist, wenn der Mann, den man liebt, einen verlässt.«

Hermon wischte mit dem Handrücken die Tränen weg und fragte: »Hast du deshalb nicht geheiratet?«

»Ja.«

Lil begleitete sie in ihr Zimmer. Sie setzten sich zusammen aufs Bett und dann erzählte sie: »Ich war siebzehn, den Kopf voller romantischer Träume. Manuel kam mit dem Viehtrieb, als sie die ersten Longhorns von Texas herauftrieben. Er hatte kohlschwarze Augen und ebensolche Locken, und sein Lächeln konnte Steine erweichen. Er war Mexikaner, und eigentlich wollte er zurück nach Mexiko. Doch dann sah er mich. Ich erwiderte sein Lächeln, und er ist geblieben. Am Anfang haben wir uns heimlich getroffen. Aber Jam und Jad sind mir auf die Schliche gekommen, und sie mochten Manuel nicht. Der ist nichts für dich, sagten sie, der ist ein Windhund und Schürzenjäger!

Ich habe sie angeschrien, dass sie noch Kinder sind und keine Ahnung haben und dass sie sich gefälligst heraushalten sollten. Dann habe ich ihn meiner Mutter vorgestellt, und sie ist auch seinem Charme erlegen. Er blieb ein dreiviertel Jahr bis zum Herbstroundup, und er hat mir geschworen, dass ich seine ganz große Liebe bin. Ich habe es ihm geglaubt. Bevor er mit der Crew auf den Viehtrieb ging, hat er mir gesagt, dass er mich heiraten wird, wenn er zurückkommt. Das Wörtchen wenn habe ich überhört. In der letzten gemeinsamen Nacht habe ich ihm meine Unschuld geschenkt. Aber Jam und Jad hatten recht. Er ist nie zurückgekommen.«

»Du denkst noch immer an ihn nach all den Jahren?«

»Nein! Er war ein Dreckskerl, nicht wert, dass ich ihm nachweine. Doch er war der Einzige, den ich haben wollte.«

 

Hermon gewöhnte sich schnell an das Leben auf der Ranch. Häufig durfte sie nun draußen auf den Weiden mit den Wranglern arbeiten. Chuck Heesley hatte sein Misstrauen gegen sie überwunden und gab ihr Gelegenheit, die Männer aus der Crew bei der Arbeit kennenzulernen. Lenard Baker war Zureiter, und Walter Cock wählte die Pferde aus, die für die Cavvy zugeritten werden sollten. In den Sattel ließ Lenard das Saddlegirl bei den Jungtieren nicht. Sie durfte sie beim Satteln halten und beruhigen oder in der Koppel herumführen.

Die Tage waren inzwischen so kalt, dass sie nach ein paar Stunden im Freien völlig durchgefroren war. Trotzdem gefiel ihr die Arbeit draußen auf der Range.

Lenard war ein netter Kerl mit einem trockenen Humor. Und er schien keine Probleme damit zu haben, mit einem Mädchen zu arbeiten, das in Hosen fast wie ein Junge aussah. Er lachte und scherzte ungeniert mit ihr, ohne unverschämt zu werden. Wie die meisten Männer trug er einen sauber geschnittenen Schnurrbart und seine schiefergrauen Augen waren von Lachfältchen umgeben. Er war nicht sehr groß, aber schlank und hatte stählerne Muskeln.

Walter war ein schweigsamer Mann, der sein Handwerk verstand und er konnte meisterhaft mit dem Lasso umgehen. Als Hermon ihn bat, ihr die Handhabung des Lassos beizubringen, war er bereitwillig. Er zeigte es ihr mit viel Geduld, und er freute sich, als er sah, wie geschickt sie sich anstellte.

Als am späten Nachmittag eine Gruppe Männer von der Südweide kam, schlossen Hermon und die Wrangler sich ihnen an. Sie stieg in den Sattel, wickelte Mooneys Zügel locker um den Sattelknopf und schob die eiskalten Hände in die Taschen ihrer Felljacke. An den neugierigen Blicken der Viehtreiber störte sie sich nicht.

»Ihr habt es gut, Lenny!«, bemerkte Donald Kabel, einer der Viehtreiber. Er kaute an seinem Schnurrbart und die Art, wie er Hermon ansah, mochte sie nicht.

»Macht wohl Spaß, in Damengesellschaft zu arbeiten, was!«

»So damenhaft ist sie gar nicht«, entgegnete Lenard, »sie ist schon recht.«

Hermon ritt ein Stück voraus. Sollten sie ruhig hinter ihrem Rücken ein bisschen Spaß auf ihre Kosten haben, es machte ihr nichts aus. Sie wollte nach Hause und freute sich auf das Abendessen im behaglich geheizten Salon, denn sie war durchgefroren, obwohl sie zwei Flanellhemden unter dem grünen Pullover trug. Es machte ihr etwas Kummer, wie sie mit ihren Kleidern über den Winter kommen sollte, denn Lil hatte ihr erzählt, wie kalt es hier in Montana wurde, und sie wollte den Winter nicht hinterm Ofen verbringen.

 

Am nächsten Morgen ritt sie schon früh mit den Männern wieder zu den Pferden hinaus. Ihr fiel auf, dass einige der Cowboys an den Koppeln herumstanden, anstatt weiter zu der Herde zu reiten, und heftig mit Lenard diskutierten. Und sie bemerkte, dass Gap gesattelt im Corral stand, scheinheilig brav, als könne er kein Wässerchen trüben. Hermon ging ein Licht auf, und sie grinste heimlich in sich hinein. Wartet nur, ihr hinterlistige Bande!  

Sie schlenderte mit argloser Miene zum Corral. Walter tauchte neben ihr auf und sagte gewollt beiläufig: »Du könntest dich mal ein bisschen um den alten Gap kümmern, braucht Bewegung! Donald hat ihn schon gesattelt.«

Es war so auffällig, dass Hermon all ihre Selbstbeherrschung brauchte, um nicht laut loszulachen. »Ja, kann ich machen«, stimmte sie zu und dachte: Ihr steht da herum und wartet genüsslich darauf, euch totzulachen, wenn ich in den Dreck fliege! Ihr werdet euch wundern!

Sie ging zu Gap, streichelte ihm den Hals und warf Donald, der an seinem Schnurrbart kaute und sich ein Grinsen verbiss, einen schnellen Blick zu. Sie war sich sicher, dass er das Ganze angezettelt hatte.

Hermons redete leise mit Gap, und beobachtete ihn genau. Dann zog sie den Bauchgurt noch einmal nach und saß leichtfüßig auf. Sie wusste, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren.

Ein bisschen mulmig wurde ihr nun doch. Womöglich fiel Gap bei all den Zuschauern in sein altes Muster zurück. Doch sie würde sich jetzt keine Blöße geben!

Sie summte vor sich hin, sang leise ein Wiegenlied, schnalzte, und Gap setzte sich in Bewegung. Die ersten zehn Schritte lief er gehorsam. Die Männer begannen schon nervös zu werden. Dann begann Gap zu trippeln, warf den Kopf hin und her und schnaubte ärgerlich. Die Männer begannen zu grinsen, nur Lenard beobachtete sie besorgt. Hermon flüsterte. Gap zuckte mit den Ohren, dann buckelte er, aber er tat es nur halbherzig, und Hermon saß fest im Sattel. Entschlossen nahm sie die Zügel kürzer und trieb ihn an: »Na los, gib deine Vorstellung!«

Gap warf die Vorderläufe in die Luft, die Männer begannen zu johlen. Hermon stand sicher in den breiten Steigbügeln saß wie angewachsen.

»Okay, das war’s!«, sagte sie, als er wieder mit allen Hufen auf der Erde war. Sie sang ihr Wiegenlied weiter und Gap fiel in leichten Galopp.

Die Männer wurden ganz still. Hermon ließ ihn einmal die Runde laufen. Dann saß sie ab und warf Donald die Zügel zu. Der starrte Gap an wie einen Geist: »Was ist los mit dir, du Mistvieh! Wirst du alt! Ist einem jetzt nicht einmal mehr ein harmloser Spaß gegönnt!«

Hermon verließ den Corral und die Männer applaudierten.

Donald kaute wütend an seinem Bart. Dann machte er sich am Sattel zu schaffen. Gap schnaubte unwillig. Hermon drehte sich um. Was hatte Donald vor? Sie sah, wie er aufsaß: »Also los, du gottverdammte Schindmähre!« Er zog Gap das Ende der Zügel über das Hinterteil. Hermon verbiss sich das Grinsen. Dieser Idiot! Gleich würde er in seine eigene Grube fallen! Gap machte genau vier zornige Schritte, dann sprang er mit allen vier Hufen zugleich in die Luft und machte den Buckel so rund, dass Donald keine Chance hatte. Es hob ihn rücklings aus dem Sattel. Und nun war das Gelächter groß. Die Leute waren doch noch auf ihre Kosten gekommen. Aber Donald hatte die Zeche bezahlt!

Wutschnaubend kam er auf die Beine. Gap hatte sich mit samt Sattel durch das offene Gatter aus dem Staub gemacht. Die Leute konnten sich noch immer nicht beruhigt, und Hermon bemerkte die Schadenfreude.

Sie sah ihm nach, als er auf seinen langbeinigen Rappen stieg und die Viehtreiber folgten ihm, einer nach dem anderen. Sie blieb mit Lenard, Walter und Helmer allein, die sich erst einmal wortlos ihrer Arbeit zuwandten. Doch dann kam Lenard zu ihr: »Hermon, sattelst du Gap ab. Walter soll ihn dir mit dem Lasso einfangen.«

»Ich mache das ohne Walters Lasso. Gap läuft nicht vor mir weg«, erwiderte sie.

»Und jetzt sag mir, wie du das geschafft hast! Gap lässt sich von niemandem reiten.«

»Naja, ich habe mich ein bisschen mit ihm beschäftigt. Aber er hat mich auch ein paar Mal abgeladen und mir eine Menge blauer Flecken verpasst.«

»Teufel auch! Du hast eine Menge Mum, Mädel!«, bemerkte er bewundernd.

»Danke, Lenard! Ich fürchte bloß, ich kriege nun Ärger mit dem Vormann, der hat nämlich ausdrücklich gesagt, ich soll die Finger von Gap lassen!« Sie schob die Hände in die Taschen und machte sich auf die Suche nach Gap. »Hermon!« Sie drehte sich noch einmal um. »Die Leute hier nennen mich Lenny, und der Vormann wird dich schon nicht fressen!«

 

Als sie am Nachmittag auf die Ranch zurückkam, hatte sich die Sache schon herumgesprochen. Sie sah es an den Blicken der Cowboys, die von der Range zurück waren, vor dem Bunkhaus herumlungerten und rauchten. Sie verdrückte sich in den Stall, sattelte Mooney ab und begann Hafer in die Futtertröge zu verteilen. Als sie Schritte an der Tür hörte, sah sie sich um.

Am Eingang zur Sattelkammer stand Chuck Heesley. Hermon richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf, als er auf sie zukam. »Du hast Gap geritten!«, sagte er in einem Ton, den sie nicht einordnen konnte.

 »Ja! Ich weiß, ich habe Ihre Anweisung missachtet. Ich weiß nicht, welche Strafe darauf steht, aber ich werde es schon aushalten! Es ging nicht anders. Die Männer hätten keine Ruhe gegeben. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Hast du dich bei Jad auf dem Treck auch so benommen?« Hermon sagte nichts.

Er schob das Kinn einen wenig vor und sah sie abschätzend an: »Hast einen verdammten Dickschädel, Mädchen. Aber merke dir, zu viel Mut hat etwas mit Dummheit zu tun. Und ich frage dich nicht, wie du das mit Gap hingekriegt hast.«

Er wandte sich um und ging davon. Hermon atmete erleichtert auf, sie hatte Schlimmeres erwartet.

Als sie am Abend zur Mahlzeit in den Salon kam, saß die Familie bereits am Tisch, bei ihnen auch der Vormann. Sie hörte ihn eben noch sagen: »Ich verstehe es einfach nicht!«

Dann verstummte das Gespräch. Hermon setzte sich schweigend an ihren Platz. Heesley senkte den Kopf über sein Essen. Jam warf ihr einen verstohlenen Blick zu, Augusta griff nach ihrem Teller und tat ihr auf.

Hermon fühlte sich unwohl in ihrer Haut, denn sie wusste natürlich, worüber gerade geredet worden war. Verstohlen schielte sie zu Lil, aber sie hatte ebenfalls den Kopf gesenkt und verbiss sich offensichtlich ein Lachen. So cool Hermon auch am Nachmittag vor den Männern gewesen war, jetzt wünschte sie sich ein Loch, in dem sie verschwinden konnte.

Niemand sprach, nur das Klappern der Bestecke war zu hören. Was hatte er Jam gesagt?

Sie kaute auf einem Stück Fleisch und bereute ihre Vorwitzigkeit.

»Was ist, schmeckt das Essen nicht?«, fragte Augusta, warf einen Blick in die Runde und ersparte ihr die Antwort damit, dass sie sagte: »Ich glaube, wir bekommen bald Schnee.«

»Da kannst du recht haben, ich spüre es in meinem Rücken«, entgegnete Jam und verzog das Gesicht. Lil fragte den Vormann: »Haben Sie Bill Bescheid gesagt, Chuck?« Der Vormann nickte: »Ja, sicher.« Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und stand auf: »Ich habe noch zu tun!«

Mit einem Ruck schob er den Stuhl zurück, ging mit großen Schritten hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Hermon fiel vor Schreck die Gabel aus der Hand, aber Lil strahlte sie an: »Wir reite morgen mit Bill nach Coulson zum Einkaufen. Du musst früh aufstehen, wir brechen um vier Uhr auf, damit wir den Rückweg schaffen.«

»Aber wieso soll ich...«

»Mit den Kleidern, die du hast, kommst du hier nicht über den Winter, du brauchst richtig warme Sachen.«

»Ich werde dir einen Vorschuss auf deinen Lohn geben, und wenn es nicht reicht, kann Lil dir noch etwas vorlegen«, fügte Jam hinzu.

»Oh, ich glaube, das ist nicht nötig, ich habe selbst etwas Geld«, entgegnete Hermon. Dann fragte sie zögernd: »Hat der Vormann etwas gesagt über...«

»Und ob er etwas gesagt hat!«, entgegnete Jam, und dann fing er tatsächlich an zu lachen. Hermon hatte ihn noch nie lachen sehen. »Du hast sein Weltbild völlig durcheinander gebracht! Er ist ein Mann, den nichts aus der Ruhe bringt. Ich habe ihn noch nie so außer sich gesehen, wie heute. Chuck ist der beste Reiter unter den Viehtreibern, er kommt mit jedem noch so verrückten Pferd zurecht. Nur auf Gap ist er keine zwanzig Schritte im Sattel geblieben. Wie du es geschafft hast, ihn zu reiten, ist ihm absolut schleierhaft. Wie zum Teufel hast du das gemacht?«

Hermon warf ihm mit ihren grünen Augen einen triumphierenden Blick zu.

»Ich habe eine Schwäche für Pferde, die angeblich bösartig sind. Kein Pferd wird so geboren, irgendetwas hat man ihnen angetan. Ich habe ein bisschen mit Gap gearbeitet. Warum ich das hinkriege und andere nicht, das weiß ich nicht. Mein Freund, bei dem ich all das gelernt habe, sagte, ich hätte eine Pferdeseele. Ich weiß, was sie fühlen. – Tut mir leid, der Vormann ist jetzt bestimmt stinksauer auf mich.«

»Du solltest ihn besser nicht noch einmal herausfordern. Doch wirklich sauer ist er auf Donald Kabel, der das ganze angezettelt hat.«

Hermon nickte: »Ich will bestimmt keinen Ärger machen, aber jetzt werden die Männer hoffentlich Ruhe geben.«

Jam wollte noch etwas sagen, da griff Augusta energisch ein: »So, Mädels, es ist Zeit! Geht nach oben und legt euch schlafen, ihr müsst morgen früh aufstehen. Ich mache den Abwasch!«

 

Es war noch dunkel und bitterkalt, als sie aufbrachen. Lil war als erste aufgestanden. Als Hermon sie in der Küche traf, sah sie völlig fremd aus in Schafwollpullover, Hosen und Stiefeln. Sie hielten sich mit dem Essen nicht lange auf. Als sie nach draußen kamen, standen zwei Maultiere bereit, und Bill Wilson war beim Satteln. Er tippte zum Gruß an den Hut und setzte seine Arbeit fort. Lil nahm ihre Stute in Empfang. Hermon beeilte sich, Mooney zu satteln. »Alles klar die Damen?«, fragte Bill mit einem kritischen Blick auf ihre Kleidung.

Sie verließen die Ranch im Morgengrauen. Bill schlug ein flottes Tempo an.

Lil war keine schlechte Reiterin, aber nicht daran gewöhnt, die Tage im Sattel zu verbringen. Der Weg war weit und anstrengend. Bill ritt voraus und führte die Maultiere. Am Horizont ging die Sonne auf und tauchte das Land in ihr goldenes Licht, und als sie höher stieg, wurde die Luft angenehm.

Am frühen Nachmittag endlich erreichten sie den kleinen Ort Coulson am Ufer des Yellowstone Rivers im Schutz einer Felswand. Hermon sah sich etwas enttäuscht um: »Das ist alles!« An einer breiten, staubigen Straße standen ein paar armselige Holzhütten.

»Ja, wir sind hier in Montana, nicht in Virginia!«, antwortete Bill sarkastisch, »aber alles, was notwendig ist, bekommen wir hier. Wir bringen die Pferde dort drüben zum Mietstall, damit sie versorgt werden. Dann erledigen wir unsere Einkäufe, treffen uns etwa in einer Stunde wieder hier und machen uns auf den Rückweg.«

Hermon und Lil schlenderten die Straße entlang, vorbei an einer winzige Poststation, einer Tischlerwerkstatt, einem Sägewerk, und dem Sheriffbüro. Von irgendwoher waren Hammerschläge auf Metall zu hören. Lil stöhnte: »Dieser verdammte, weite Ritt! Morgen werde ich mich vor Schmerzen nicht bewegen können. Ich hätte es vorgezogen, mit dem Wagen zu fahren, aber dann schaffen wir es kaum an einem Tag.«

Sie kamen am Saloon vorbei, der auch in der winzigsten Ortschaft nicht fehlen durfte, und daneben, etwas zurückgebaut, entdeckte Hermon die Schmiede. Im selben Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mann trat heraus. Hermon sah, dass Lil zusammenzuckte und schnell den Blick abwandte.

»Wer ist das?«, wollte sie wissen und Lil antwortete, »das ist Jacob Wyeth, der Schmied.« Warum erschreckt er dich, ist irgendetwas mit ihm?«

Lil zögerte einen Moment: »Nein. – Schau, da drüben ist der General Store. Sieht von vorn so klein aus, aber sie haben hinten ein riesengroßes Warenlager. Man bekommt wirklich alles Notwendige. Die Leute kommen aus einem Umkreis von mehr als hundert Meilen hier her.«

Lil plauderte darauf los, aber Hermon war nicht entgangen, wie sie hastig das Thema gewechselt hatte. Irgendetwas war wohl mit dem Schmied, über das sie nicht reden wollte.

Sie betraten den Laden, einen kleinen, vollgestopften Verkaufsraum, in dem es nach Leder, Tabak und irgendwelchen Gewürzen roch. Eine propere Frau an die vierzig sortierte Waren in ein Regal. Als sie Lil erblickte, ging ein Strahlen über ihr Gesicht: »Lilian Mehegan! Welche Überraschung! Muss eine Ewigkeit her sein, dass du das letzte Mal hier gewesen bist! Immer noch ledig, wie ich höre!«

»Ich fürchte, das wird auch so bleiben, Rosalind«, entgegnete Lil.

»Und diese junge Dame ist wohl das Saddlegirl von Tawamaya!«

Lil und Hermon warfen sich einen kurzen Blick zu. »Ja, ganz recht, das bin ich!«

»Und jetzt brauchen wir eine ordentliche Winterausrüstung für unser Saddlegirl«, fügte Lil hinzu. Nun war Rosalind in ihrem Element. Bald häufte sich auf der Theke ein Berg warmer Wäsche, bunte Flanellhemden, eine Schafwollweste, eine lange, pelzgefütterte Jacke, schafwollgefütterte Chaps, zwei dicht gewebte Hosen, Fellmütze und Fellhandschuhe.

»So, und nun brauchen wir noch ein paar gute, warme Stiefel!«, entschied Lil.

»Aber ich habe doch...«

»Hermon, die fallen schon auseinander und sind bestimmt nicht mehr wasserdicht, egal, wie viel Fett du draufschmierst.«

Rosalind brachte die richtigen Stiefel. Dann machte sie die Rechnung. Am Ende hatte Hermon keinen Cent mehr in der Tasche, aber sie konnte alles bezahlen. Bis zum Frühling würde sie kein Geld brauchen, und bis dahin gab es noch ein paar Monatslöhne. Jam hatte sich nicht ausreden lassen, ihr wie jedem Arbeiter auf der Ranch einen Lohn zu zahlen.

Lil kaufte vor allem Sachen für den Haushalt ein.

Hermon zog die neue Jacke und die gefütterten Chaps gleich an. Alles andere würde Rosalind verpacken. Hermon fühlte sich wie erschlagen von dem ganzen Einkauf.

Lil legte ihr den Arm um die Schultern: »Komm, wir gehen jetzt in das sogenannte Hotel. Dort bekommen wir wenigstens etwas Warmes zu essen.«

Die Gaststube war klein und schmuddelig. Lil wurde auch hier freundlich begrüßt. An einem der vier groben Holztische saß Bill.

Sie brauchten nicht lange auf das Essen zu warten. Es schmeckte nicht besonders, aber es war heiß und reichlich. Hermon verschlang es mit Heißhunger.

»Hoffentlich habe ich nichts vergessen«, überlegte Lil. Hermon dachte an den Schmied und Rosalind, und sie bemerkte: »Es ist wirklich unglaublich, was man in diesem Laden alles kaufen kann.«

»Ja, und es ist auch unglaublich, wie neugierig die gute Rosalind ist. Sie kann einem ganz schön auf die Nerven gehen! Jedes Mal, wenn sie mich sieht, wetzt sie sich das Maul darüber, dass ich nicht verheiratet bin.«

»Gibt es unter all den Männern, die du kennst, keinen Einzigen, den du magst«, fragte Hermon. Zu ihrer Verwunderung entgegnete Lil ohne zu zögern: »Doch, den gibt es schon! Aber lassen wir das.«

Es wurde ein harter Rückweg, denn der Himmel hatte sich zugezogen, und ein heftiger Wind fegte über die Prärie. Hermon nahm die Strapazen gelassen hin, doch Lil jammerte.

Bill bemühte sich um sie und überließ es dem Saddlegirl, vorauszureiten. Erst als die Dunkelheit hereinbrach, übernahm er wieder die Führung. Es war tiefe Nacht, als sie die Ranch erreichten. Lil war völlig erledigt, und sie bewunderte Hermon, die absaß, sofort mit dem Absatteln begann und die Pferde versorgte.

»Oh Hermon, wie schaffst du das nur?«, stöhnte sie und lehnte sich gegen die Stallwand.

Bill lud die Maultiere ab. Hermon half ihm, einen Teil der Einkäufe ins Haus zu bringen. In der Küche erwartete Augusta sie noch mitten in der Nacht mit einer warmen Mahlzeit und lud auch Bill ein.

 

Wenige Tage später fiel in der Nacht der erste Schnee. Völlig fasziniert blickte Hermon am Morgen aus dem Fenster auf das weiße Land. Nun war sie froh, dass sie warme Winterkleidung besaß. Lil hatte ihr noch selbstgestrickte Socken geschenkt.

Als die Männer sich auf den Weg zur Range machten, ritt sie mit ihnen hinaus zu den Pferden und trieb mit Lenny und Bill die Herde zu einer geschützten Weide im Windschatten der Hügel. Danach schickte Lenny sie nach Hause. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Bald fielen die Flocken so dicht, dass man kaum noch zehn Schritte weit sehen konnte. Der Schnee verschluckte Farben und Geräusche. Die Welt schien den Atem anzuhalten. Hermon fand es wunderschön, geheimnisvoll und ein bisschen unheimlich.

Als sie nach Hause kam, war sie durchgefroren, trotzdem fühlte sie sich großartig, und als sie eine halbe Stunde später umgekleidet und frisch die Treppe heruntersprang, zauberte sie ein Lächeln auf Jams ernstes Gesicht.

»Dieses Mädchen ist wie ein frischer Wirbelwind«, bemerkte Augusta, und als Hermon an den Tisch kam, stellte sie zufrieden fest, »du hast zugenommen.«

Das Essen war wie immer gut und reichlich und vor allem heiß. Nach einem langen Tag im Schnee erschienen ihr selbst die Geräusche im Haus gedämpft. Im Kamin knisterte ein Feuer und verbreitete behagliche Wärme.

Als Hermon nach der Mahlzeit beim Abräumen half, sah sie, dass auf dem Herd noch etwas dampfte und warf einen Blick in den Topf. Er enthielt eine rote, nach Gewürzen duftende Flüssigkeit.

»Das ist unser Winterpunsch«, erklärte Augusta, »wenn draußen Schnee gefallen ist und die Winterkälte klirrt, dann sitzen wir oft abends noch am Kamin beisammen, denn oben in den Zimmern ist es dann zu kalt.«

Hermon wollte still in ihre Stube verschwinden, aber Lil hielt sie zurück: »Es gibt noch Punsch, und du siehst nicht so aus, als ob du schon vor Müdigkeit umfällst.«

»Hör mal, Lil,« entgegnete sie, obwohl ihr der Duft des Punchs verlockend in die Nase stach, »das ist eine Sache der Familie. Ich gehöre genauso wenig dazu, wie Chuck Heesley. Und er ist auch gegangen.«

»Das ist etwas anderes, du bist Jads Mädchen! Du gehörst zur Familie.«

Hermon sträubte sich nicht länger. Sie wollte ja dazugehören, wollte endlich eine Familie haben. Es hatte nie einen Platz gegeben, wo sie sich so zuhause gefühlt hatte, wie hier. Augusta brachte ein Holztablett herein, auf dem der Topf mit dem Punsch, vier Becher und eine Schale mit Ingwerkeksen standen. Auch Jam kam dazu und rollte seinen Stuhl nahe an den Kamin. Er trank abwesend in die Flammen starrend seinen Punsch und knabberte an einem Ingwerplätzchen. Hermon hatte Gelegenheit, ihn heimlich zu beobachten. Er wirkte auffallend gepflegt. Seine Hände waren schlank und weiß, die Nägel sauber und kurz geschnitten.

Sie dachte an Alex’ Hände. Sie hatten die gleiche Form, waren jedoch von Narben übersät, seine Nägel stets abgebrochen und zersplittert und von sauber konnte nicht die Rede sein. Sie versuchte sich Jam im Sattel vorzustellen und wie es wäre, wenn die Brüder Seite an Seite ritten, und versank in verträumte Wehmut. Aber Alex war nicht da, er würde nicht zurückkommen, und Jam war nicht Alex, doch er weckte in ihr immer wieder einen Hauch von Illusion, und der Punsch, der ihr langsam zu Kopf stieg, versetzte sie in eine Art Schwerelosigkeit. Lil begann zu gähnen und stand schließlich auf: »Zeit für mich, schlafen zu gehen!« Augusta erhob sich ebenfalls. Auch Hermon wollte gute Nacht wünschen, doch Jam fragte: »Bleibst du noch?« Sie zögerte, doch dann nickte sie. »Magst du den Sherry und zwei Gläser holen?«

Als Hermon mit dem Gewünschten zurückkam, war sie mit ihm allein. Er lächelte still vor sich hin, dann sagte er: »Seltsam, wenn ich mit einer anderen Frau allein hier am Kamin sitzen würde, hätte ich das Gefühl, etwas Unanständiges zu tun. Bei dir nicht. Kannst du es aushalten, heute Abend über Jad – ich meine, über Alex zu reden?«

»Ja, Jam, ich glaube schon.« Doch sie spürte, wie ihr Bauch sich verkrampfte.

Jam begann unvermittelt zu reden: »Jad und ich sind hier auf der Ranch aufgewachsen. Hier ist unser Zuhause, unsere Welt. Wir waren zwei glückliche Kinder, die geliebt und umsorgt wurden. Wir hatten niemals Angst, denn wir waren immer zu zweit. Und wir haben uns so gut wie nie getrennt. Doch als wir zehn waren, starb unsere Mutter. Es war der erste Schatten, der auf unser Leben fiel. Aber zu zweit schafften wir auch das.

Wir ritten wie der Teufel, konnten mit Lasso und Schusswaffen umgehen und fürchteten uns vor nichts und niemand. Wir hatten keine Feinde, da wir kaum von der Ranch wegkamen. Der einzige, der uns hasste wie die Pest, war der älteste Sohn des Schmieds in Coulson, Abel Wyeth.«

Hermon schluckte. Sie erinnerte sich an Jacob Wyeth, der nun die Schmiede in Coulson betrieb. Jam redete weiter: »Aber Abel war wohl jedermanns Feind. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, Leute zu verprügeln. Und wenn er gerade niemand fand, verprügelte er seinen jüngeren Bruder. Irgendeinen Ärger machte er ständig, und trotzdem war er der Liebling seines Vaters. Wenn wir von Zeit zu Zeit nach Coulson kamen, legte er sich auch mit uns an. Das Dumme war nur, er traf uns immer zu zweit. Abel Wyeth war zwar ein Großmaul, aber kein wirklicher Kämpfer. Er war einfach nur brutal und kannte eine Menge fauler Tricks. Da wir stets zusammen waren, kam er auch damit nicht weit. Er konnte uns nie besiegen, und deshalb hat er uns gehasst.

Eines Tages im März, wir waren gerade achtzehn geworden, musste ich allein eine Besorgung in Coulson machen, weil Jad gestürzt war und sich den Fuß verstaucht hatte. Und Abel nutzte diese Gelegenheit. Er forderte mich zum Zweikampf heraus. Aber ich hatte nicht die geringste Lust, mich zu prügeln, weil ich wusste, was für ein hinterlistiges Schwein er war, und ging einfach davon. Abel rief mir alle möglichen Schmähungen und Beleidigungen hinterher. Als ich nicht reagierte, forderte er mich auf, die Waffe zu ziehen. Ich machte den Fehler, mich über die Schulter umzuschauen. Meine Hände habe ich nicht bewegt. Aber der Dreckskerl hat geschossen.

Ich wachte drei Tage später auf der Ranch wieder auf. Jad hockte neben mir und heulte.

Er wich nicht von meiner Seite, bis er sicher war, dass ich am Leben bleiben würde. Ich hatte zwar den Kampf gewonnen, aber ich konnte meine Beine nicht mehr bewegen. Und dann ist Jad nach Coulson geritten und hat Abel Wyeth verprügelt. Er hat ihm die Nase gebrochen und die Zähne eingeschlagen. Als sein Vater ihn Stunden später hinter dem Haus fand, war er tot. Doch er ist nicht an Jads Faustschlägen gestorben, sondern an einem Messerstich in den Rücken. Und das war Jad nicht gewesen. Er hatte sein Messer an diesem Tag gar nicht dabei, es lag zu Hause. Mein Vater und ich wussten auch so, dass er uns nie belügen würde. Doch er konnte nicht beweisen, dass er kein Messer hatte, und es gab einen Zeugen, der die Prügelei beobachtet hatte.

Als der Sheriff kam, um Jad zu holen, ist er geflohen, bevor sie ihn erwischten. Seitdem wird er in Montana steckbrieflich als Mörder gesucht. Wenn er gefasst wird, hängen sie ihn auf. Wenn er frei sein will, darf er niemals in seine Heimat zurückkehren.«

Hermon wusste nichts zu sagen. Sie saß nur da und starrte ins Leere.

Beide schwiegen lange, bis sie murmelte: »Deshalb hat er mich allein gelassen. Deshalb war er auf unserem Weg durch Montana unruhig und wachsam wie ein Tier. Trotzdem verstehe ich ihn nicht. Ich wäre doch überall mit ihm hingegangen. Mit ihm hätte ich überall zu Hause sein können. Bei ihm war ich zu Hause, Jam, zum ersten Mal im Leben.«

Dann kamen die Tränen wieder. »Das ist der Unterschied zwischen euch. Sein Zuhause ist hier. Seit er gehen musste, treibt er sich ruhelos in der Welt herum, spielt oft leichtsinnig mit seinem Leben und kann nirgends bleiben. Er will dich mit diesem ruhelosen Leben nicht unglücklich machen.«

»Jam! Er hat mich unglücklich gemacht!«, brauste sie auf.

»Er weiß, dass du hier in Sicherheit bist, dass du hier ein Zuhause hast. Bei ihm hättest du all das nicht. Und wir sind froh, dass du hier bist. Es ist, als hättest du ein Stück von ihm zurückgebracht.«

»Ja, das habe ich wirklich«, sagte sie mit Bitterkeit in der Stimme, griff in ihren Ausschnitt und zog das Medaillon heraus, »eigentlich gehört es dir.«

Jams Augen leuchteten, als er es sah, doch er schüttelte den Kopf: »Nein! – Es ist richtig, dass du es hast! Es zeigt mir, was du Jad bedeutest. Glaube mir Hermon, es ist ihm schwer gefallen, zu gehen.«

»Jam, ich möchte wissen, was er in diesen Brief geschrieben hat?«

»Das Feuer geht aus, legst du noch etwas Holz nach.« Sie stand auf, nahm ein Scheid aus dem Korb. Während sie es ins Feuer legte,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Elvira Henning/Signum-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Signum-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3400-9

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