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Leseprobe

 

 

 

 

FERDINAND GAUGL

 

 

Granus I

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

GRANUS I 

Prolog 

Erstes Kapitel: Seeds 

Zweites Kapitel: Ankunft 

Drittes Kapitel: Eine sonderbare Entdeckung 

Viertes Kapitel: Wächter 

Fünftes Kapitel: Hand in Hand 

Sechstes Kapitel: Occidus 

Siebtes Kapitel: Eine neue Bedrohung 

Achtes Kapitel: Erwachen 

Neuntes Kapitel: Wintereinbruch 

Zehntes Kapitel: Vorbereitungen 

Elftes Kapitel: Folgenschweres Aufeinandertreffen 

Zwölftes Kapitel: Aufbruch ins Ungewisse 

Dreizehntes Kapitel: Der Krieg kann beginnen... 

Vierzehntes Kapitel: Belagerung 

Fünfzehntes Kapitel: Die Erstürmung des Berges 

Sechzehntes Kapitel: Die Schlacht um Mount Seraid 

Siebzehntes Kapitel: Politeia 

Achtzehntes Kapitel: Herzlicher Empfang 

Neunzehntes Kapitel: Innere Konflikte 

Zwanzigstes Kapitel: Arksanium 

Einundzwanzigstes Kapitel: Aufrüstung 

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Aufklärung 

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Der Rat der Häuptlinge 

Vierundzwanzigstes Kapitel: Aufbruch 

Fünfundzwanzigstes Kapitel: Fatale Verluste 

Sechsundzwanzigstes Kapitel: Unsicherheit 

Siebenundzwanzigstes Kapitel: Blutbad 

Achtundzwanzigstes Kapitel: Vergeltungsschlag 

Neunundzwanzigstes Kapitel: Erklärungsbedarf 

Dreißigstes Kapitel: Gut und Böse 

Einunddreißigstes Kapitel: Verteidigung 

Zweiunddreißigstes Kapitel: Neue Verbündete 

Dreiunddreißigstes Kapitel: Duell der Elite 

Vierunddreißigstes Kapitel: Die Schule des Lebens 

Fünfunddreißigstes Kapitel: Haekwato 

Sechsunddreißigstes Kapitel: Probleme 

Siebenundzwanzigstes Kapitel: Letzte Versammlung 

Achtunddreißigstes Kapitel: Die Ruhe vor dem Sturm 

Neununddreißigstes Kapitel: Die letzte Schlacht 

Vierzigstes Kapitel: Der letzte Streich 

Einundvierzigstes Kapitel: Enthüllung 

Das Buch

 

Im Jahr 2503 gelingt der Menschheit nach Jahrhunderten erfolgloser Versuche schließlich der Kontakt mit außerirdischem Leben. Angesichts der Möglichkeit, eine völlig fremde Spezies kennenzulernen und die Erde, die in ihren letzten Zügen liegt, zu verlassen, formt sich eine internationale Bewegung, die im Superstaat Pangäa mündet. Ziel ist der Planet FL-25, der den Menschen einen Neuanfang ermöglichen soll. Dort treffen sie nach einer langen Reise auf die Narthaner, welche sich durch ihre hohe Intelligenz und einen damit verbundenen Wissensdurst auszeichnen. Nach einem ersten kulturellen Austausch und teils fatalen Begegnungen mit der heimischen Tierwelt wird mit dem bald einbrechenden Winter schnell klar, dass eine weitere Spezies von menschenähnlicher Intelligenz den Planeten bewohnt. Diese wirkt zunächst primitiv, stellt sich jedoch als äußerst mächtig heraus und scheint kein Freund der Neuankömmlinge zu sein, da sie fürchtet, diese würden wie zuvor die Erde nun auch ihre Heimat zerstören.  

Ist ein Konflikt unvermeidbar?  

Können die Narthaner in dieser Angelegenheit vermitteln oder gießen sie nur Öl ins Feuer?  

Kann man ihnen überhaupt vertrauen?  

Als sich schließlich herausstellt, dass auch in den Reihen der Menschen nicht alle an einem Strang ziehen, überschlagen sich die Ereignisse, und die Anführer der Menschheit stehen vor der Frage, ob sich der vermeintliche Neuanfang nicht als der sichere Untergang herausstellen wird... 

 

Der Science-Fiction-Roman Granus I von Ferdinand Gaugl (Jahrgang 1998) ist der erste Band einer ebenso spannenden wie epischen Space Opera. 

  GRANUS I

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch widme ich meiner Mutter, meinem Bruder, Franz Simschitz, ohne dessen naturwissenschaftliche Kenntnisse dieses Buch völlig anders aussehen würde und nicht zu vergessen Philipp Mischak, dem ich es zu verdanken habe, dass ich mit dem Schreiben begonnen habe.

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Über Milliarden von Jahren hinweg war die Evolution die treibende Kraft, die es den Lebewesen der Erde erlaubt hat, sich stets weiterzuentwickeln. So entstanden die verschiedensten Lebensformen, die mit einer Vielzahl an Fähigkeiten und Eigenschaften ausgestattet waren, dank derer sie überleben konnten. Aus einzelligem entwickelte sich vielzelliges Leben, manche Wesen ernährten sich autotroph, andere heterotroph. Was in den Weltmeeren begann, bevölkerte schließlich das Festland. Reptilien und Vögel mit hartschaligen Eiern und Säugetiere in Form von Beutel- und Plazentatieren waren nicht mehr auf eine Fortpflanzung im Wasser angewiesen und eroberten die Kontinente mit ihren verschiedenen Biomen. Mit der Zeit entwickelten mehrere Tiere eine gewisse höhere Intelligenz, deren Krönung schließlich der Mensch war. Dank ihr konnte der Homo sapiens die dominante Spezies der Erde werden und beinahe jeden Lebensraum bevölkern. Es entstand eine Gesellschaftsordnung, deren Komplexität die aller anderen Lebewesen bei Weitem übertraf. Einige tausend Jahre später hatte der Mensch als einziges Tier einen noch nie dagewesenen technologischen Stand erreicht. Immer neue Maschinen wurden erfunden, die leichter, schneller und besser als ihre Vorgänger waren. Computer, die in ihren Anfängen noch einen ganzen Raum ausfüllten, passten schließlich in eine Hosentasche und die Digitalisierung revolutionierte die Gesellschaft in all ihren positiven und negativen Aspekten. Und wie kein Tier vor ihm machte sich der Mensch Gedanken über die Welt, über Gut und Böse, richtig und falsch. Was soll man mit der Zeit, die man auf Erden wandelt, anstellen? Wie soll man sein Leben gestalten? Welche Rolle spielen die Mitmenschen dabei? Warum sind wir hier? Sind wir allein? Unzählige Ideologien mit ebenso vielen unterschiedlichen Ansichten entstanden und sie sollten den Verlauf der Menschheitsgeschichte prägen. Manche verschwanden mit der Zeit, andere betraten die Bühne.

Mit der Frage, ob es auch andere intelligente Lebewesen im Weltall gibt, wird sich ein besonnener Mensch auch fragen, ob diese sich die oben genannten Fragen auch stellen, oder ihr Denken in eine völlig andere Richtung geht. Gibt es gar Ähnlichkeiten? Beten sie zu Göttern? Gedenken sie ihrer Ahnen? Ist es bei ihnen verboten, Artgenossen zu töten? Sind manche Werte universell und gelten, wie die Naturgesetze, überall? Wäre bei ethischen Gemeinsamkeiten gar ein Zusammenleben denkbar? Oder beschreiten die Wesen aus dem All einen Pfad, bei dem ihnen der Homo sapiens nur im Weg steht? Als die Menschheit eines Tages mit genau jenen Fragen konfrontiert wird, sieht sie sich dazu gezwungen, ihre eigenen Ansichten noch einmal zu hinterfragen...

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Seeds

 

 

Die Erde, die dem Menschen Jahrtausende als Heimat gedient hatte, war durch Kriege, der Ausbeutung von Rohstoffen und der Verschmutzung von Wäldern, Meeren und anderen wichtigen Biomen beinahe unbewohnbar geworden. Zudem litt die Menschheit an Überbevölkerung, die durch die zunehmend schwindenden Wohngebiete ein weiteres unlösbares Problem darstellte. Es herrschte weltweiter Unmut und die verbliebenen Regierungen mussten tagtäglich um ihre Stabilität fürchten. Doch am ersten Oktober 2503 sollte sich alles verändern. Jahrzehnte zuvor hatte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Hideki Watanabe ein neues Projekt mit dem Ziel, intelligentes Leben im Weltall zu finden, ins Leben gerufen. Hunderte Satelliten, sogenannte Seeds, wurden auf eine Reise geschickt, die das Schicksal der Menschheit verändern und die große, viel diskutierte Frage, ob der Homo sapiens die einzige derartig intelligente Spezies war, beantworten sollte. In ihrem Inneren bargen sie eine Kiste, die mittels Aufschlagzünder bei der Landung auf einem Planeten ausgeworfen werden sollte und diverse Informationen über Aussehen, Sprache und Kultur des Menschen beinhaltete. Diese waren auf Papier, elektronischen Bildschirmen und sogar Marmorplatten dargestellt. Man hatte sich die größte Mühe gegeben, alles verständlich aufzuzeichnen. Auf dem Zweitgenannten war auch ein Rätsel, dessen Lösung ein Signal aussenden sollte. Ein solches erreichte an jenem zuvor erwähnten Herbsttag die Erde, was großes Aufsehen erregte. Die Medien liefen über, Nachrichtensender berichteten rund um die Uhr von der großen Entdeckung und die Mitglieder des Forschungsteams wurden von ambitionierten Journalisten, die das Interview ihres Lebens führen wollten, nahezu belagert. Es war, als wäre ein Film zur Realität geworden.

Schließlich betrat eine Organisation, die nach dem Urkontinent Pangäa benannt war, die Bühne. Diese politische Bewegung, die vor allem in den wohlhabenden westlichen, aber auch in asiatischen Ländern enorm populär war, vereinte die Staaten unter ihrem Namen mit dem Ziel, das Signal zurückzuverfolgen und mit vereinten Kräften und Ressourcen jenen Planeten zu besiedeln. Mehrere gigantischen Raumschiffe wurden gebaut, diverse Vorbereitungen wurden getroffen und schließlich war man bereit, die Reise ins Unbekannte anzutreten.

Schon sehr bald stellte sich die Frage, wer die Ehre hatte, an diesem doch sehr riskanten Projekt teilzunehmen. Die Plätze waren begrenzt und die Köpfe hinter Pangäa wollten sichergehen, dass sie von den besten Leuten umgeben waren. Ein Aufnahmeverfahren, bei dem unter anderem Intelligenz, körperliche Fitness und die berufliche Ausbildung eine Rolle spielten, wurde entwickelt, wobei sehr hohe Ansprüche gestellt wurden. Viele, die nicht angenommen wurden, rebellierten und es kam zu Ausschreitungen, die in einem Krieg mündeten. Letzten Endes konnten sich die Aufständischen jedoch nicht durchsetzen und wurden auf der Erde zurückgelassen. Am zwanzigsten April 2560 brach die Menschheit schließlich zu ihrer Reise auf, die sie zu völlig neuen Herausforderungen und Gefahren führen sollte.

Nach vierzig Jahren hatte das erste Raumschiff, Gaia genannt, den Orbit des neuen Planeten, der vorerst den Namen FL 25 erhalten hatte, erreicht. Es hatte mehrere Decks, die den Wissenschaftlern, Soldaten und der übrigen Bevölkerung separat Unterkunft bot. Auf Erstgenanntem saßen gerade Frank Schützer, ein anerkannter Astronom, der an der Entdeckung der neuen Heimat beteiligt war, und Will Bennington, ein Biologe, der sich auf die Anpassung von Lebewesen spezialisiert hatte, bei einem Kaffee zusammen und diskutierten darüber, wie ihre zukünftige Heimat wohl aussehen würde.

»Welche Umweltbedingungen finden wir denn vor? Sollte es nicht eigentlich Jahreszeiten, so wie auf der Erde, geben?«, fragte Bennington neugierig.

»Theoretisch schon, da haben Sie nicht Unrecht, doch ganz so einfach ist es nicht. Auch dieser Planet dreht sich in einer Ellipse um seine Sonne, doch aufgepasst! Wenn Sie sich das in einem Koordinatensystem vorstellen, so ist FL 25 im Gegensatz zu unserem Heimatplaneten auf der X-Achse verschoben«, erklärte Schützer nach kurzem Überlegen.

Der Biologe dachte kurz nach, während er angestrengt in seine Tasse starrte, als könnte diese ihm den Sachverhalt verständlicher erklären. Gerade als Schützer dazu ansetzte, ihm das Gesagte noch einmal verständlicher darzulegen, sagte er: »Also ist der Planet zum einen Zeitpunkt näher an seiner Sonne, dann im circa gleichen Abstand wie die Erde und schließlich weiter entfernt. Daraus schließe ich, dass es auf FL 25 einmal brennend heiß, dann gemäßigt und am Ende kalt ist. Liege ich da richtig?«

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Es überrascht mich, dass ein Biologe das so schnell verstanden hat. Um zu ihrer ursprünglichen Frage zurückzukommen, die geographischen Verhältnisse sind viel extremer. Im Prinzip hat auch FL 25 vier Jahreszeiten, die man durchaus mit unseren vergleichen kann. Frühling und Herbst sind in diesem Fall gleich, doch der Sommer verwandelt den Planeten in eine Wüste und der Winter in eine Art polare Zone. Wie Fauna und Flora darauf reagieren, obliegt eigentlich ihrem Forschungsbereich, den Rest sollten Sie mir erklären können«, antwortete Schützer schmunzelnd.

Bennington ignorierte die Beleidigung und sagte: »Auf diesem Planeten zu forschen dürfte außerordentlich interessant werden. Botanik ist nicht gerade meine Stärke, doch die ortsansässige Fauna kommt sicher mit einigen bemerkenswerten Eigenheiten. Die Tiere in den Tropen dürften unseren Reptilien oder eher den Insekten ähneln, Stichwort Außenskelett und eher geringe Größe, kaltblütig, jene aus dem gemäßigten Bereich könnten Säugetieren und Vögeln gleichkommen, also warmblütig und mit Fell oder Federn. Insgesamt halte ich es aber für unwahrscheinlich, dass es eine große Vielfalt geben wird, da selbst die Tiere in der gemäßigten Zone sowohl extreme Kälte- als auch Hitzeperioden überstehen müssen.«

»Wie würden jene Wesen, die im Winter zum Vorschein kommen, aussehen, wenn wir schon bei dem Thema sind?«, wollte diesmal Schützer wissen.

»In den polaren Zonen, die vermutlich sogar um einiges kälter sind als die der Erde, könnten, wenn überhaupt, nur sehr große Tiere leben. Pflanzen wären, wenn es überhaupt welche geben würde, sehr rar gesät, was ein großes Wachstum für Herbivoren erschweren würde. Falls Sie also hofften, dass wir hier auf Wesen in der Dimension von Dinosauriern stoßen würden, dann muss ich Sie enttäuschen«, antwortete Bennington lächelnd.

Sein Kollege ignorierte ihn und warf einen Blick aus dem Fenster, von wo aus ihre zukünftige Heimat zu sehen war. FL 25 war ein Planet mit nur drei riesigen Kontinenten, erinnerte davon abgesehen aber zumindest optisch an die Erde.

 »Endlich haben wir ein Ziel erreicht, von dem die Menschen seit Jahrhunderten träumen. Ist dieser Planet nicht wunderschön? Bereits von hier aus erweckt er ein überwältigendes Gefühl der Ehrfurcht in mir. Ich frage mich, ob sich Kolumbus damals auch so gefühlt hat, als er Amerika entdeckte«, dachte er laut.

»Major e longinquo reverentia«, lautete die schlichte Antwort.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel: Ankunft

 

 

Im Orbit von FL 25 angekommen, wurde ein Erkundungsschiff unter dem Codenamen Hermes ausgeschickt, um erste Proben von Boden und Pflanzen zu entnehmen sowie Kontakt zu den heimischen Wesen herzustellen, weshalb eine der bedeutendsten Persönlichkeiten von Pangäa persönlich an Bord war. Das Shuttle landete an dem Strand, der dem Ursprungsort des Signals am nächsten war, da dieses aus dem angrenzenden Ozean stammte. An Bord des Erkundungsschiffes waren Wissenschaftler, Ingenieure, die ein provisorisches Basislager errichten sollten, sowie zweihundert Soldaten, für den Fall, dass ihre zukünftigen Gastgeber feindlich gesinnt waren oder eine andere Gefahr auftauchen sollte.

Colonel Holden Montconnor, der künftige Oberbefehlshaber der Truppen auf FL 25, bereitete sich gerade geistig darauf vor, den neuen Planeten zu betreten und möglicherweise sogar als erster Mensch Kontakt mit Außerirdischen aufzunehmen, da das Raumschiff mit Sicherheit nicht unbemerkt geblieben war. Er bildete mit fünfzig Mann und einigen Wissenschaftlern das erste Expeditionsteam, das ihre neue Heimat zum ersten Mal betreten durfte. Entsprechend groß war die Vorfreude, unter die sich auch ein Funken Nervosität gemischt hatte. Niemand wusste, was sie erwarten würde. Die Wesen, mit denen die Pangäer Kontakt aufgenommen hatten, konnten freundlich gesinnt sein, das genaue Gegenteil war jedoch genauso gut möglich. Auch die übrigen Bewohner des Planeten stellten bisher ein Mysterium dar. Unzählige Geheimnisse warteten nur darauf, gelüftet zu werden. Das Unbekannte hatte seit jeher einen großen Reiz auf die Menschheit, weckte aber gleichzeitig tiefe Urängste, die auch noch in den letzten Vertretern ihrer Art stecken würden.

Nach einer harten Landung öffnete sich schließlich die Lucke des Raumschiffes und vor den Soldaten erstreckte sich eine Wiese voller Blumen mit seltsam spitz zulaufenden, fleischigen Blättern und Blüten mit fremden, bunten Mustern. Die Farbpalette enthielt hauptsächlich grelle Rot- und Blautöne, die gelb gesprenkelt waren. Der Colonel gab seinen Männern ein Zeichen und die Besatzung von Hermes begann damit, ihre neue Heimat zu erkunden. Viele von ihnen spürten zum ersten Mal weiche Erde unter ihren Füßen und eine leichte Brise, die ihnen ins Gesicht wehte, und verschiedene, fremdartige Gerüche mit sich trug. Einige der olfaktorischen Reize entstammten den Blumen, die auf die Bestäubung durch Säugetiere spezialisiert waren. Dieser erste, durchaus positive erste Eindruck erhielt jedoch sogleich einen Dämpfer, als die Erdlinge merkten, dass es um sie herum totenstill war. Bis auf die Pflanzen war kein Anzeichen von Leben zu erkennen, kein Rascheln im Gebüsch, kein Gesang von Vögeln, nicht einmal Exkremente waren auf dem Boden zu finden. Während die Wissenschaftler sogleich ihrer Arbeit nachgingen und Proben der Blumen und Erde nahmen, marschierten die Soldaten geradewegs in Richtung des Strandes, der einen Blick auf ein endlos scheinendes Meer bot, das jedoch ebenfalls ohne Leben zu sein schien. Weder zogen Seevögel ihre Kreise in der Luft, noch waren die Silhouetten von Fischen zu sehen und auch von Krebsen oder Muscheln war keine Spur.

»Seht euch das an, Männer! Dies ist ein historischer Augenblick, in diesem Moment schreiben wir Geschichte«, rief Montconnor seinen Untergebenen zu, während er seinen Blick über den Horizont schweifen ließ.

Plötzlich tauchten Luftblasen an der Meeresoberfläche auf, als ob jeden Moment etwas aus dem Wasser schießen würde. Der Colonel richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf das Phänomen, befahl seinen Männern jedoch Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Man hatte ihm gesagt, dass die Lebewesen, die das Rätsel der Seeds gelöst hatten, mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wasser lebten und man nur über Unterwasserdrohnen Kontakt mit ihnen aufnehmen konnte. Umso größer war seine Überraschung, als nun vier Wesen aus den Fluten stiegen, die einem Menschen auf den ersten Blick sehr ähnlich sahen. Diese Ersteinschätzung erwies sich jedoch als falsch, da die Außerirdischen zwar aufrecht gingen und keine absurden Merkmale wie überproportionale Köpfe oder eine Vielzahl an Extremitäten, meist anzutreffen in schlechten Science-Fiction Geschichten, aufwiesen, jedoch im Vergleich längere Arme hatten und allesamt knapp zwei Meter groß waren. Die Gestalten waren in eine Art Rüstung gehüllt, die einem Taucheranzug ähnelte, welche ihren ganzen Körper bedeckte und man somit über Haar- und Hautfarbe nur spekulieren konnte. Auch ihre Gesichter blieben den Menschen vorerst verborgen. Den Soldaten stockte der Atem und sie waren unsicher, wie sie reagieren sollten, doch der Außerirdische, der den kleinen Trupp anführte, stellte sich sogleich vor: »Willkommen, Menschen! Es freut uns, dass ihr nach dieser langen Zeit endlich unsere Heimat erreicht habt. Wir sind die Narthaner und mich könnt ihr Zerriko nennen.«

Montconnor antwortete unerschrocken, während seine Kameraden aufgrund der kalten, monotonen Stimme und dem Faktum, das der Außerirdische ihre Sprache, wenn auch recht gebrochen, beherrschte, erschauderten: »Habt vielen Dank, verehrte Narthaner! Ich heiße Holden Montconnor. Ihr fragt euch sicher, mit welchen Absichten und Mitteln wir euren Planeten erreicht haben, ich kann euch jedoch versichern, dass von uns keine Gefahr ausgeht.«

Zerriko schwieg einen Augenblick, den der Colonel nutzte, um das Gesicht seines Gegenübers genauer zu betrachten. Durch eine Atemmaske waren nur die großen, rotbraunen Augen und seine schwarze, glatte Haut zu sehen, Mund und Nase waren verdeckt. Sein außerirdisches Gegenüber warf ebenfalls einen prüfenden Blick auf den Menschen. Der Colonel war knapp einhundertachtzig Zentimeter groß, besaß eine drahtige Figur, trug eine simple, schwarze Uniform und ein rotes Barrett auf dem Kopf. Sein gepflegter, weißer Vollbart und seine lederartige Haut verrieten, dass er bereits deutlich älter als seine Untergebenen war.

»Ihr seid sicher müde, auf dieser Lichtung solltet ihr ungestört nächtigen können. Wir werden nach Sonnenuntergang eine Zeremonie veranstalten, mit der wir euch offiziell willkommen heißen wollen. Bis dahin werden wir uns wieder zurückziehen«, verabschiedete sich der Narthaner sofort wieder und kehrte mitsamt seinen Kameraden wieder ins Meer zurück, die verwirrten Blicke der Menschen vollkommen ignorierend.

Als Zerriko Montconnor den Rücken zuwandte, fiel diesem ein runder Kanister mit einem Ventil an der Seite auf, in dem Wasser zirkulierte. Er schloss daraus, dass dieser wohl ein Äquivalent zu der menschlichen Sauerstoffflasche sein musste und wandte sich an den gerade herbeieilenden Biologen Hansam Chang: »Seltsame Typen, dieser Auftritt war mir dann doch ein wenig suspekt, oder was meinen Sie, Herr Doktor?«

»Für mich ist es in erster Linie enttäuschend, dass sie sofort wieder gegangen sind. Ich habe die letzten zwei Nächte nicht geschlafen und mir die ganze Zeit Fragen überlegt, und nun verschwinden sie sofort wieder«, lautete die Antwort des sichtlich frustrierten Wissenschaftlers.

»Sie werden schon noch genug Zeit haben, um mit denen zu plaudern, ich muss mich derweil um Wichtigeres kümmern, den Aufbau des Lagers und die Sicherung der Umgebung zum Beispiel«, erwiderte Montconnor ernst.

 

Als sich die Sonne langsam senkte und die Menschen zahlreiche Zelte auf der Lichtung platziert sowie erste Patrouillen entsandt hatten, kehrten die Narthaner zurück. Diesmal waren es rund zwanzig, an ihrer Spitze war erneut Zerriko, der sogleich auf den Colonel zusteuerte, während sein augenscheinliches Gefolge am Ufer wartete.

»Ihr wart sehr geduldig, doch nun wollen wir uns und unsere Kultur offiziell vorstellen. Bereitet euch auf eine Demonstration unserer körperlichen sowie technischen Fähigkeiten vor«, sagte der Außerirdische, bevor er sich wieder an seine Untertanen wandte und ihnen einige Befehle gab. Fragen von Seiten der Menschen schienen ihn vorerst nicht zu interessieren. Die Narthaner errichteten nun einen Halbkreis aus Fackeln, die auf langen Stielen thronten und platzierten in der Mitte eine riesige und zwei kleine Kugeln, die anscheinend aus Glas bestanden. Sie waren mit einer durchsichtigen, gelartigen Flüssigkeit gefüllt, die mit roten Schlieren durchsetzt war. Zwei Narthaner nahmen nun je eine Fackel, erhitzten die kleinen Kugeln eine Weile, bis sie ihre Farbe veränderten und schütteten den Inhalt in das große Gefäß in der Mitte. Anschließend wurde der Inhalt durch einen Stab per Hand in Rotation versetzt. Das Ergebnis war ein Wirbel aus leuchtendenden roten, grünen und gelben Streifen, der von hellblauen Punkten durchsetzt war. Es war ein prächtiges Schauspiel, das in Kombination mit der untergehenden Sonne und dem flackernden Licht der Fackeln ein einzigartiges Erlebnis bot, das die Menschen in Erstaunen versetzte.

»Das ist sehr beeindruckend, wenn auch ein wenig primitiv«, sagte Alice Tenk, eine Spezialistin für Ökologie zu Chang, der neben ihr die Vorführung genoss.

»Dass die Narthaner nicht auf demselben technologischen Stand wie wir sind, war vorauszusehen. Wer weiß, was diese Wesen noch auf Lager haben, immerhin haben sie das Rätsel der Seeds gelöst. Ich würde sie nicht unterschätzen«, erwiderte dieser ein wenig gereizt von Tenks mangelndem Respekt.

Als die Lichter in der Kugel allmählich erloschen, sagte Zerriko zu den Menschen: »Nun sollt ihr unsere körperlichen Fähigkeiten sehen.«

Noch ehe seine Gäste etwas erwidern konnten, befahl er erneut etwas in seiner Sprache, die aus scharfen, abgehackten Lauten bestand. Vier Narthaner nahmen nun in der Mitte des Halbkreises aus Fackeln Platz und stellten sich zu zweit gegenüber. Dann zückten sie Schwerter, die über eine sechzig Zentimeter lange, schmale Klinge verfügten und richteten sie auf ihr Gegenüber. Die Waffen hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gladius des antiken Roms, auch wenn der Knauf recht klein und eindeutig nicht für einen Schlag geeignet war. Unter einem wilden Geschrei, das im Widerspruch zu den ansonsten stoischen Gesten der Narthaner stand, begann nun ein Kampf, der der Choreographie nach einem theatralischen Zweck erfüllen sollte. So wichen die Außerirdischen den Schwertern des Gegners teilweise mit einem Rückwärtssalto aus oder vollführten beeindruckende Lufttritte, die in einer echten Auseinandersetzung nicht durchführbar wären. Zum Entsetzen der Menschen fügten sie sich jedoch echte Verletzungen zu und bald waren die scheinbaren Schausteller mit Wunden übersät.

»Habt ihr keine Angst um eure Sicherheit? Eine falsche Bewegung und dein Kamerad ist tot!«, wandte sich Chang in einem vorwurfsvollen Ton an Zerriko, der neben Montconnor stand.

Der Narthaner antwortete, ohne den Menschen anzublicken: »Hier geht es um absolute mentale wie physische Kontrolle. Auf ihr beruht unser ganzes Handeln und Denken, deshalb zeigen wir euch das in dieser Form. So gewähren wir euch einen Einblick in unsere Kultur. Sieh’ außerdem noch einmal genauer hin und beobachte den Kampf! Keine Wunde ist tief, man hört weder Schmerzensschreie noch schreckt auch nur einer der Krieger zurück. Ein Paradebeispiel der narthanischen Willenskraft!«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet! Was ist, wenn einer deiner Krieger eine tödliche Wunde erleidet?«, fragte Chang erneut.

»Unsere Krieger werden von klein an ausgebildet, diese Präzision ist das Werk von Jahren an Übung. Ich habe vollstes Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Kollegen, sowas würde nie passieren«, wich der Narthaner erneut aus.

Chang gab es auf den Narthaner über dieses Thema zu befragen, doch eine Frage wollte er dem Außerirdischen schon stellen, seit er von der Existenz intelligenten Lebens auf FL 25 erfahren hatte: »Verfügt ihr über so etwas wie Moral?«

»Dieses Wort ist mir unbekannt«, lautete die knappe Antwort.

»Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Lebt ihr nach bestimmten Regeln, die euer Verhalten bestimmen?«, fragte der Wissenschaftler.

»Ja, sowas ist uns bekannt. Alle Narthaner folgen einer solchen Vorgabe. Wie ist das bei dem Menschen?«, erwiderte Zerriko die Frage.

»Auch wir haben sowas, doch bei uns haben sich im Laufe der Zeit viele entwickelt, es würde ewig dauern, sie alle aufzuzählen. Alle Menschen, die du hier jetzt siehst und in Zukunft sehen wirst, sind Bürger von Pangäa, die alle nach den gleichen Regeln leben. Darüber können wir aber ein anderes Mal reden«, Chang hatte bemerkt, dass eines der Oberhäupter des neuen Staates direkt auf den Außerirdischen zusteuerte. Es war Roy Miller, ein korpulenter Mann von einhundertzehn Kilo bei knapp einhundertfünfundsiebzig Zentimetern Körpergröße. Sein rundliches Gesicht, die Halbglatze und der dichte, schwarze Vollbart ließen ihn auf den ersten Blick nicht wie einen wichtigen Mann aussehen. Sein edler grauer Anzug und seine Eloquenz, der er seinen wichtigen Posten zu verdanken hatte, änderten diesen Eindruck für gewöhnlich.

»Zerriko, ist das richtig? Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen. Ihre Zeremonie hat mich sehr beeindruckt, ich kann es kaum erwarten, mehr über Ihr Volk zu lernen. Mein Name ist übrigens Roy Miller und ich bin hier sowas wie der Anführer der Menschen«, begrüßte der Politiker den Narthaner mit einem freundlichen Lächeln.

»Was sind die Ziele deiner Spezies?«, fragte Zerriko lakonisch, dessen Stimme immer noch gleich gefühllos wie zuvor war.

»Ein friedliches Zusammenleben mit Ihrem Volk. Unser Heimatplanet war nur noch sehr schwer bewohnbar und wir hoffen darauf, dass uns hier ein Neustart gelingt«, erklärte Miller, der mit so einer Frage nicht gerechnet hatte, seine Verwunderung jedoch gut überspielen konnte.

»Auch die Narthaner wollen keinen Kampf. Ich wollte jedoch etwas anderes wissen, meine Kenntnisse eurer Sprache sind anscheinend noch nicht ausreichend. Welche Leistungen wollt ihr vollbringen? Welchem Ziel widmet ihr eurem Leben?«, wollte der Außerirdische nach kurzem Überlegen wissen. Er war diesem Thema einem Anführer gegenüber deutlich offener.

»Das kann man nicht so allgemein sagen. Es ist von Person zu Person unterschiedlich, jeder darf frei entscheiden, was er mit der Zeit, die ihm gegeben wird, anstellen will. Beantwortet das deine Frage?«, sagte der Mensch.

»Nein. Willst du damit sagen, dass ihr keinem gemeinsamen Ziel folgt und der Einzelne völlig frei agieren darf?« Zerriko schien von diesem Konzept verwirrt zu sein.

»Naja, wir alle folgen dem Ziel, die Menschheit zu neuer Größe zu führen. Wie genau, ist jedem selbst überlassen«, versuchte Miller es seinem Gegenüber näherzubringen.

»Was ist Größe für euch?«, fragte der Narthaner. Obwohl er interessiert zu sein schien, änderte sich weder sein Tonfall noch seine Mimik. Er starrte weiterhin das Schauspiel an, das seine Artgenossen ihnen boten.

»Das ist für jeden Menschen ein bisschen anders definiert, wir haben in Zukunft mit Sicherheit noch genug Gelegenheiten, um uns darüber genauer zu unterhalten. Daher will ich dir eine andere Frage stellen: Seid ihr die dominante Spezies auf diesem Planeten?« Diesmal schien der Außerirdische zusammenzuzucken, das erste Mal, dass er eine sichtbare Reaktion in einem Gespräch zeigte.

»Nein, bedauerlicherweise nicht«, lautete die mysteriöse Antwort.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel: Eine sonderbare Entdeckung

 

 

Zwei Wochen waren vergangen, seit die Menschen auf FL 25 gelandet waren. Zerriko und einige andere Narthaner hatten ihre Gäste in dieser Zeit oft besucht und ihnen vor allem über die anderen Tiere und Pflanzen des Planeten erzählt. Allgemein wurde in dieser Zeit eher über wissenschaftliche Kenntnisse gesprochen. So erfuhren die Menschen, dass ihre außerirdischen Gastgeber vor allem in der Physik recht fortschrittlich waren. Mit ihrem Wissen über Mechanik, Wärmelehre und die verschiedenen Kräfte der Natur konnten sie die Wissenschaftler beeindrucken und auch von Biologie schienen sie mehr zu wissen, als die Menschen ihnen zugetraut hätten. So wussten sie etwa von der Genetik, wenn auch nur sehr oberflächlich und kannten den Aufbau und die Funktion einer Zelle, auch wenn ihnen die Aufgaben der einzelnen Zellorganellen unbekannt waren. Im Bereich der Ökologie glichen ihre Erkenntnisse über die Populationen von Räubern und Beutetieren denen von Lotka und Voltera, was ebenfalls für Erstaunen sorgte. In anderen Bereichen waren die Narthaner allerdings kaum bis gar nicht gebildet. Atome und Moleküle waren ihnen völlig unbekannt, auch von Elektrizität schienen sie nicht viel zu verstehen, von deren Nutzung ganz zu schweigen. Für Langstreckenkommunikation mussten sie auf Boten zurückgreifen, die anscheinend zu Fuß liefen, da sie keine domestizierten Tiere hatten. Dafür konnten sie, wie man an den Taucheranzügen sah, Kunststoffe herstellen und verarbeiten, auch ihre Schwerter waren aus hochwertigem Stahl. Auf die Menschen machten die Außerirdischen keinen primitiven Eindruck, ihnen war aber auch klar, dass ihre Vorfahren bereits im zwanzigsten Jahrhundert technologisch deutlich weiter fortgeschritten waren.

Körperlich waren die Narthaner den Menschen allerdings ohne Zweifel überlegen. Ihre Durchschnittsgröße schien bei einhundertfünfundneunzig Zentimetern zu liegen, die meisten der Außerirdischen, die sich bisher aufs Festland gewagt hatten, waren jedoch größer. Ihr Körperbau war eher ektomorph und obwohl sie eindeutig allesamt durchtrainiert waren, hatten sie keine dicken Muskeln oder breite Schultern. Die Narthaner beeindruckten eher durch ihre Agilität, Schnelligkeit und überraschende Stärke und Körperkontrolle. So war der 90 Degree Push-Up, eine Übung, von deren Existenz nur wenige Menschen überhaupt wissen, bei ihnen keine Seltenheit.

Die Pangäaer erzählten ihnen ihrerseits viel über die vergangenen Kulturen der Erde und zeigten ihnen auch das Spiel Schach. Die Außerirdischen lernten sehr schnell, besonders Zerriko stellte bald selbst für erfahrene Spieler eine Herausforderung dar. Er führte das darauf zurück, dass strategisches Denken neben der Kampfkunst zu den Grundlagen der narthanischen Kultur zählte. Die Außerirdischen bestätigten damit die Vermutung vieler Menschen, dass sie ein Kriegervolk waren. Als echte Bedrohung wurden sie allerdings nicht empfunden, da sie nur Schwerter bei sich trugen und Gewehre ihnen völlig fremd waren. Das anfängliche Misstrauen, das in so einer Situation wohl normal war, hatte sich jedoch vor allem bei den Soldaten noch nicht gelegt. Die Außerirdischen schienen neben ihren beeindruckenden körperlichen Fähigkeiten auch über eine sehr hohe Intelligenz zu verfügen. Das in Verbindung mit ihren kalten, gefühllosen Umgangsformen hätte bereits bei einem Menschen keinen vertrauenserweckenden Eindruck hinterlassen, geschweige denn bei einem Außerirdischen, über den man nichts wusste.

Dennoch konnten sich sowohl Soldaten als auch Wissenschaftler nicht davor wehren, eine gewisse Faszination für die Narthaner zu empfinden. Vor allem Hansam Chang und Zerriko verbrachten viel Zeit damit, in Begleitung der Biologin Alice Tenk, durch die Wälder Seraids, so hieß der Kontinent, auf dem sie gelandet waren, zu spazieren und die örtliche Fauna zu bewundern. Die Landschaft ähnelte mit ihren saftigen Wiesen und sanften Hügeln denen in der gemäßigten Zone der Erde. Allein die Anzahl und Vielfalt der Bäume war um einiges geringer, was den härteren Bedingungen des Planeten zuzuschreiben war. Chang, der sich auf der Raumstation Gaia der Erforschung intelligenter Lebewesen gewidmet und selbst hauptsächlich mit Oktopoden gearbeitet hatte, war besonders begeistert. Der bereits sechzig Jahre alte Koreaner empfand es als eine große Ehre, mit einer derartig hoch entwickelten Spezies zu kommunizieren.

»Warum zeigst du uns eigentlich nie dein Gesicht? Ich verlange nicht von dir, dass du deine Maske abnimmst, doch sie zeigt nur deine Augen und ich würde gerne wissen, wie du ansonsten aussiehst«, fragte Tenk eines Tages den Narthaner, als ihnen dieser gerade ein Tier zeigen wollte, das sich in einem unterirdischen Tunnel versteckt hatte.

»Inwiefern würde irgendwer von uns davon profitieren?«, lautete die lakonische Antwort in Form einer Gegenfrage.

»Wir würden dich damit besser kennenlernen. Außerdem ist es für einen Menschen unhöflich, sein Gesicht zu verbergen!«, erwiderte die Biologin in ihrem Versuch, den Außerirdischen umzustimmen.

»Das Konzept der Höflichkeit habe ich noch nicht verstanden. Ich kann keine logische Ursache für derartiges erkennen, es scheint, dass es für die Kommunikation sogar hinderlich ist«, sagte Zerriko.

Chang, der sofort einsah, dass dieses Thema vorerst zu nichts führen würde, fragte deshalb: »Wir haben dir ein paar der Tiere der Erde bereits gezeigt und natürlich kennst du die deines eigenen Planeten. Gibt es hier irgendwelche Analogien? Oder könntest du uns ein Wesen zeigen, das sich ganz von denen meiner Heimat unterscheidet?«

Der Narthaner überlegte eine Weile und ging dann wortlos in Richtung eines Hügels. Als die Wissenschaftler verwirrt stehenblieben, drehte er sich um und rief: »Warum folgt ihr mir nicht?«

»Du hast nie gesagt, dass wir das tun sollen!«, erwiderte Tenk leicht verlegen.

»Wenn ihr mich darum bittet, euch etwas zu zeigen und ich dann in einen bestimmten Weg einschlage, ist es logisch, dass ich zu einem solchen Ort gehe«, erklärte der Narthaner sein Verhalten.

Chang und Tenk wechselten einen verwirrten Blick und folgten dem Außerirdischen wortlos bis zu einem kleinen Höhleneingang.

»Habt ihr eine Lichtquelle?«, fragte Zerriko daraufhin.

»Ja, kleine Taschenlampen. Willst du uns nicht erst einmal sagen, was uns erwartet?«, sprach Chang.

»Ihr werdet gleich ein außergewöhnliches Tier sehen, das keinem der Erde ähnelt. Näheres zu erläutern wäre unlogisch, da ihr es sowieso mit eigenen Augen untersuchen könnt«, belehrte sie der Narthaner und betrat die Höhle. Im Inneren dieser herrschte ein muffiger Geruch, der die Menschen zum Würgen brachte. Als sie ihre Lampen an die Decke richteten, sprang ihnen sofort ein Wesen, das in etwa die Größe eines Truthahns hatte, ins Auge. Es hing kopfüber und ähnelte mit den langen, klauenbewehrten Zehen, die am Fels Halt suchten und den Flügeln mit Flughäuten, die sich um den Körper geschlungen hatten, stark an eine Fledermaus. Doch die kahle, gummiartige Haut und der schmale, erstaunlich lange Rumpf zerstörten dieses Bild sofort wieder. Am meisten entsetzte, die Menschen jedoch der Kopf der Kreatur. Der Hals war lang und dünn, wie der eines Schwans, die spitzen Ohren waren riesig und standen seitlich ab. Der Schädel an sich war lang und schmal, der Kiefer war wie der einer Ratte und verfügte über kleine scharfe Zähne. Die Augen hatten eine beinahe überdimensionale Größe und spiegelten das Licht der Taschenlampen wie die einer Katze. Am außergewöhnlichsten waren jedoch die bläulichen Photophoren, oder auch Leuchtkörper, die wie große Sommersprossen auf der Schnauze des Tieres saßen.

»Ihr seid beide Biologen. Erlaubt mir, eure Fähigkeiten im schlussfolgernden Denken zu testen und sagt mir, was ihr vom Äußeren dieser Kreatur über seine Lebensweise ableiten könnt«, richtete sich Zerriko nun in einem beinahe neugierigen Ton an seine Begleiter.

»Dieses Tier ist ganz eindeutig nachtaktiv, ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, wovon es sich ernährt. Was meinst du, Alice?«, fragte Chang nachdenklich.

»Das Licht dient dazu, nachtaktive Tiere anzulocken, vielleicht dient es aber auch zur Balz. Ich glaube, dass es sich von kleineren flugfähigen Tieren ernährt, die unseren Fledermäusen ähneln. Groß genug wäre es jedenfalls dafür«, meinte die Biologin und sah Zerriko erwartungsvoll an.

»Eure Denkweise ist richtig, doch dieses Wesen ernährt sich nicht von anderen flugfähigen Tieren. Auf diesem Planeten haben bisher nur wenige Wesen, abgesehen von der Klasse, die ihr als Insekten bezeichnet, gelernt zu fliegen und keines davon ist auf diesem Kontinent heimisch. Auch dieses Tier stammt nicht von hier, es fliegt nur über den Sommer hierher und zieht sich dann wieder in den Süden zurück. Es ernährt sich hauptsächlich von Insekten, da man solche um diese Jahreszeit allerdings nicht findet, begnügt es sich mit kleineren Säugetieren. Dieses Exemplar hier hätte schon längst in seine Heimat zurückkehren sollen, da bereits Ende Herbst ist. Es wird in den nächsten Tagen mit Sicherheit bereits verschwunden sein, wir hatten Glück, dass es immer noch hier ist«, erklärte der Narthaner und zum ersten Mal war wirkliche Begeisterung in seiner Stimme herauszuhören.

»Und wo kommt es her?«, fragte Tenk.

»Von dem Kontinent im Süden, mein Volk nennt ihn Mearrsaar«, antwortete Zerriko.

»Auf diesem Planeten werden uns wohl noch einige Überraschungen erwarten«, meldete sich Chang wieder zu Wort. »Doch ich denke es ist Zeit, wieder ins Lager zurückzukehren und dieser abscheulichen Kreatur ihre Ruhe zu lassen.«

Kurz vor besagtem Ort kamen ihnen einige aufgebrachte Kollegen entgegen, die sich sogleich an Zerriko wandten.

»Narthaner, ich habe eine schlechte Nachricht für dich. Meine Artgenossen planen einen großen Teil des Waldes, in dem wir hier gerade stehen, zu fällen. Es tut mir so leid, aber wir können dagegen nichts tun«, berichtete einer von ihnen.

»Miller hat das mit mir besprochen und ich habe zugestimmt. Wo liegt das Problem?« Der Außerirdische schien verärgert zu sein.

»Dieser wunderschöne Wald mit all den interessanten Lebewesen, die dann entweder ihr Leben oder ihr Zuhause verlieren, soll abgeholzt werden. Stört dich das denn nicht?«, fragte Tenk verblüfft.

»Warum fragt ihr mich, ob ihr das dürft, wenn ihr dann doch dagegen seid? Wie soll man so ein Verhalten erklären?« Zerriko schien nicht zu verstehen, dass die Wissenschaftler von den Plänen ihres Anführers nichts wussten.

»Miller hat uns darüber nicht informiert. Ist es für dich wirklich kein Problem, wenn wir hier alles zerstören?«, wollte auch Chang wissen.

»Nein, euer Anführer hat mir gesagt, dass in Zukunft sehr viele Menschen hierherkommen werden und ihr deshalb mehr Platz braucht. Er hat mir öfter als nötig versichert, dass ihr nur einen Teil des Waldes nutzen werdet und das Ökosystem nicht beschädigen wird. Das stellt für mein Volk aber sowieso kein Problem dar, weil wir im Meer leben«, antwortete Zerriko.

»Findest du es denn nicht schade, wenn all der unberührte Wald unwiederbringlich abgeholzt wird?« Tenk wirkte enttäuscht von dem Narthaner.

»Nein. Außerdem gibt es keine andere Möglichkeit. Wir werden nicht verlangen, dass ihr andere Menschen auf den Raumstationen zurücklasst, nur um ein Stück Wald zu beschützen. Seraid ist außerdem ein großer Kontinent und durch eure Besiedelung wird keine Art aussterben«, erklärte der Außerirdische.

»Das ist sehr großzügig und verständnisvoll, uns einen Teil deines Landes zur Verfügung zu stellen. Und immerhin hat Miller vorher gefragt, ob dein Volk damit einverstanden ist, man kann ihm wohl keinen Vorwurf machen. Schade ist es trotzdem, vor allem wird der Lärm die Tiere vertreiben. Aber so kommt es zumindest nicht zu Begegnungen mit irgendwelchen gefährlichen Biestern«, merkte die Biologin grinsend an. Sie sollte sich mit dieser Aussage irren, doch das war ihr im Moment noch nicht klar.

 

 

 

 

  Viertes Kapitel: Wächter

 

 

Tausende Sägespäne in der Umgebung verteilend bahnte sich das Sägeblatt seinen Weg durch den Baum. Die großen Pflanzen hatten im Laufe der Evolution eine dicke Rinde entwickelt, um vor den schwankenden Umweltbedingungen geschützt zu sein, zum Unmut der Arbeiter.

»Typisch Befehl von oben. Kein Plan, wie mühselig und zeitaufwendig diese Aufgabe ist, doch hauptsächlich Druck machen. Die Arbeit sollte schnellstmöglich erledigt werden. Eine simple Aufgabe im Vergleich zu den unseren. Vollidioten«, beschwerte sich der bereits ältere Lenker der Baumschneidemaschine.

»Genau. Wer ist überhaupt auf diese bescheuerte Idee gekommen? Ich will mir gar nicht vorstellen, was für Viecher wir hier aufwecken könnten«, stimmte ihm sein Kollege über Funk, der in der Maschine neben ihm saß, missmutig zu.

Mit einem leisen Fluch widmete er sich wieder seiner Arbeit, während er Don’t stop me now im Radio seines Fahrerhäuschens laufen ließ. Gerade als Freddy Mercury zum zweiten Refrain ansetzte, ertönte plötzlich ein dröhnendes Geräusch, gefolgt von einem lauten Krachen. Erschrocken drehte sich der Fahrer um und blickte in ein Paar vor Wut verengter Augen, das ihn anstarrte. Das Fahrerhäuschen befand sich allerdings in vier Metern Höhe, weshalb der Holzarbeiter einen Schreikrampf bekam und anschließend ohnmächtig wurde. Einer seiner Kollegen konnte noch einen panischen Hilferuf per Funk absetzen, bevor ein kolossaler Kopf die Scheibe seines Gefährts durchbrach und ihn zerquetschte.

 

Im Lager der Menschen mobilisierten sich kurze Zeit später sämtliche verfügbare Truppen unter der Führung von Colonel Montconnor, der gerade mit einem Narthaner namens Ferran Kriegsrat hielt.

»Wir haben den Kontakt zu fünfzehn unserer Holzarbeiter verloren. Einer konnte uns noch etwas von monströsen Kreaturen funken, dann ist die Verbindung abgebrochen. Um was könnte es sich hierbei handeln? Wie gefährlich sind die Angreifer? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Biester bis ins Lager vordringen?«, fragte der Offizier sein außerirdisches Gegenüber.

Ferran überlegte kurz und sprach dann, gleich gefühllos wie Zerriko: »Ihr seid mit euren Arbeiten in ein Gebiet eingedrungen, das das Territorium von Tieren namens Malantoiden, in eurer Sprache würde es dem Wort Wächter entsprechen, kreuzt. Ihre Wanderungen sollten sie auf einen anderen Pfad geführt haben, der jenseits eurer Maschinen liegt, doch der Lärm, den diese verursachen, hat sie anscheinend angelockt. Von ihnen geht eine äußerst hohe Gefahr aus und es wäre unvernünftig, sie anzugreifen, da sie bald weiterziehen werden. Die beste Option ist es, die Arbeiten temporär auf einen anderen Teil der Wälder zu fokussieren und zu warten, bis die Mantaloiden weitergezogen sind.«

»Dann würden sie von dem Lärm der dortigen Maschinen ebenso angezogen werden. Nein, hier brauchen wir eine dauerhafte Lösung!«, erwiderte Montconnor.

Im selben Augenblick betrat ein Soldat das Zelt und berichtete: »Colonel, wir haben einen Funkspruch von einem der Arbeiter erhalten. Er konnte anscheinend entkommen, wurde jedoch verletzt und bittet um Hilfe.«

»Anscheinend bietet sich uns nun eine Gelegenheit, vor unseren Gastgebern Eindruck zu schinden. Wir brechen sofort auf!«, verkündete Montconnor, der seinen ersten richtigen Einsatz kaum erwarten konnte.

»Wieso? Eine Jagd auf die Mantaloiden birgt ein großes Risiko für Verluste. Sie leben in großen Herden und sind sehr wahrscheinlich selbst durch eure Gewehre nur sehr schwer aufzuhalten. Sie werden euch allesamt niedertrampeln. Einen ganzen Trupp für einen einzigen Menschen zu opfern ist daher unvernünftig«, warf Ferran ein.

»Ein verletzter Mann, ein Bürger Pangäas, wartet gerade in einer ihm völlig fremden Umgebung darauf, dass wir ihn retten. Er hat Schmerzen und wahrscheinlich auch eine Heidenangst. Versetzen Sie sich doch in seine Lage!«, erwiderte Montconnor aufgebracht.

»Das ist vollkommen sinnlos und hilft uns bei der Beurteilung der Situation nicht«, erneut hatte der Narthaner etwas an der Aussage des Colonels auszusetzen. Dieser beschloss, den Außerirdischen zu ignorieren und seine Männer in der Mitte des Lagers zu versammeln, um einen Rettungstrupp zusammenzustellen.

 

So kam es, dass Montconnor mit dreißig Soldaten und dem Narthaner jenen Sektor aufsuchte, in dem die Arbeiter vermisst wurden. Der Colonel hatte nun zum ersten Mal Gelegenheit, die Wälder von Seraid zu betrachten. Die teils gewaltigen Bäume standen in großen Abständen voneinander, dennoch standen überall dicke Wurzeln aus der Erde. Dornige Sträucher, die wie kleine, grüne Hügel wirkten, erschwerten das Vorankommen zusätzlich. Wie schon bei der Ankunft der Menschen war es vollkommen still und Montconnor hatte manchmal den Eindruck, als ob auf diesem Planeten keine Tiere lebten und Pflanzen die dominante Spezies waren. Der kühle Wind und die tanzenden Schatten, die die Äste über ihnen warfen, verstärkten für den Colonel den Eindruck, dass sie hier nicht willkommen waren.

 Ferran, der an der Seite des Colonels an der Spitze der Soldaten ging, hob plötzlich die Hand und deutete auf tiefe, runde Spuren im Boden. Sie folgten der Fährte und fanden schließlich die mysteriösen Angreifer.

Vor ihnen erstreckte sich eine Lichtung, auf der nicht weit entfernt fünfundzwanzig Kreaturen, die alle zwischen drei und vier Meter groß waren und ein den Menschen bisher unbekanntes Bild darboten. Der massige Körper wurde wie der eines Panzernashorns von einer dicken, lederartigen Hautschicht geschützt und stand auf vier stämmigen Beinen. Der Schwanz war kurz und erinnerte an den eines Elefanten, anders als bei diesem war das ganze Tier von einem dünnen, dunkelbraunen Fell überzogen. Der Kopf war länglich, vierschrötig und wurde von einem kräftigen Nacken getragen. An seiner Oberseite ragten zwei parallele Knochenwülste heraus, die den Großteil des Haupts bedeckten. Bei manchen Exemplaren, die anscheinend männlich waren, waren diese mit mehreren kleinen Hörnern versehen. Das Maul ähnelte mit seinen dicken, spitzen Lippen dem eines Nashorns. Im Inneren von diesem befanden sich breite Mahlzähne. Im Allgemeinen erinnerten die Tiere an Vertreter der Ceratopsidae, es handelte sich bei ihnen jedoch um Säugetiere.

»Wie sollen wir denn diese Kolosse töten? Die zerquetschen uns doch wie Fliegen!«, war der verängstigte Ruf eines Soldaten zu hören. Doch die Worte erreichten nicht nur der Colonel, der sich über die Feigheit des Mannes ärgerte, sondern auch die friedlich grasenden Mantaloiden. Einer richtete seinen Blick auf die Menschen und stieß ein lautes Brüllen aus, woraufhin auch die anderen Tiere sich den Neuankömmlingen zuwandten. Ein Soldat bekam Panik und fing an blindlings zu schießen. Wutentbrannt trampelte nun die ganze Herde auf ihren Angreifer zu, wobei dessen Kugeln die Tiere zwar verletzen, jedoch nicht aufhalten konnten. Binnen Sekunden hatten die ersten Mantaloiden die Menschen erreicht und griffen erbarmungslos an. Montconnor versuchte noch, Befehle zu geben, doch zwanzig Soldaten flohen sofort in Panik. Auch der Rest suchte das Heil in der Flucht, jedoch mit weniger Erfolg. Die gewaltigen Tiere traten die Menschen nieder, als wären sie lästige Insekten. Einer wurde durch einen Kopfstoß wie eine Puppe durch die Luft geschleudert. Die schmerzerfüllten Schreie der Soldaten durchdrangen den Wald und ihre fliehenden Kameraden hielten sich beschämt die Ohren zu.

 Der Colonel musste sich zähneknirschend eingestehen, dass er bereits bei seiner ersten Unternehmung versagt hatte und zog sich ebenfalls zurück. Als er einen Blick zurück über die Schulter warf sah er, wie die Mantaloiden, die ebenfalls Artgenossen verloren und Wunden davongetragen hatten, nervös die fliehenden Angreifer beobachteten, aber nicht weiter vorrückten. Aufmerksam standen sie Schulter an Schulter, die größeren Bullen in der Mitte, und warteten ab. Montconnor musste unwillkürlich an eine Bisonherde denken, die von Wölfen angegriffen wurde, bevor er weiter die Beine in die Hand nahm.

 

Im Lager wurden die Soldaten von einigen Sanitätern und einem übel gelaunten Roy Miller empfangen. Der korpulente Politiker hatte dank seiner rhetorischen Fähigkeiten eine große Rolle bei der Gründung Pangäas gespielt und wollte diese nicht so einfach abgeben. Hier war eindeutig ohne seine Zustimmung gehandelt worden und das wollte er sich nicht bieten lassen.

»Was ist hier passiert? Warum haben Sie eigenmächtig das Leben Ihrer Untergebenen aufs Spiel gesetzt?«, brüllte Miller mit hochrotem Kopf.

»Weil ich Sie nicht um Erlaubnis bitten muss, bevor ich eine militärische Aktion unternehme. Wir wollten einen verletzten Arbeiter retten, doch sein Signal ging verloren, als wir bereits auf halbem Wege waren. In Zukunft sollten wir Ferrans Ratschlag befolgen und die Mantaloiden nicht mehr angreifen. Die Abholzungsarbeiten müssen außerdem verlegt werden«, erklärte Montconnor, was seinem Gegenüber gar nicht gefiel.

»Bilden Sie sich bloß nichts ein! Für diese Aktion kann ich Sie vor das Kriegsgericht schicken lassen, ist Ihnen das bewusst?«, drohte der Politiker.

»Ihnen ist wohl nicht klar, in welcher Situation wir uns hier befinden, also will ich es Ihnen erklären: Hier geht es darum, unser Überleben zu sichern. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass unser Volk auf diesem Planeten gefahrlos leben kann und dafür werde ich mir keine Ratschläge von jemandem anhören, der noch nie ein Gewehr in seinen Händen gehalten hat. Haben Sie Machiavelli gelesen?«, fragte der Offizier.

»Was hat das denn damit zu tun?«, Miller war verwirrt und vergaß ganz plötzlich seinen Zorn.

»In dem Kapitel darüber, inwieweit ein Fürst sein Wort halten muss, schreibt dieser gerissene Italiener, dass es zweierlei Kampfweisen gibt: Die mit den Waffen der Gesetze und die mit bloßer Gewalt. Wer von uns beiden entspricht wohl welchem Teil und welche dieser Vorgehensweisen ist angebracht, bis wir die Basis sicher errichtet haben, was glauben Sie? Also sparen Sie sich Ihr Gerede!«, ohne auf eine Antwort zu warten begab sich Montconnor in sein Büro, um dort über die Ereignisse nachzudenken.

Ich hätte auf Ferran hören sollen, ich Idiot. Natürlich kennt er sich besser aus, warum habe ich seinen Rat nicht beherzigt? War es Misstrauen? Habe ich ihn nicht ernst genommen, weil wir Gewehre haben? Jedenfalls habe ich bei meinem ersten Einsatz auf jeder Ebene versagt. Das darf nicht noch einmal passieren!

Der Oberbefehlshaber wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein aufgebrachter Aufklärer mit panischem Blick den Raum betrat und mit zitternder Stimme berichtete: »Sir, wir haben den Kontakt zu einem unserer Erkundungsteams verloren. Sie haben eine der Höhlen, die in der Nähe sind, erforscht und wurden dabei anscheinend angegriffen. Auf der Helmkamera eines Soldaten sieht man, was passiert ist, ich werde es Ihnen zeigen.«

Er verband das kleine Tablet, das er in der Hand hielt, mit dem Bildschirm im Büro, der normalerweise für Konferenzen gedacht war. Es erschien ein Video, das das Innere einer Höhle zeigte. Taschenlampen durchdrangen notdürftig die Dunkelheit und man hörte die Schritte der Soldaten laut hallen. Plötzlich erklang ein markerschütterndes Jaulen, gefolgt von einem gebückten Wesen, das direkt in die Kamera sprang. Obwohl sich das alles nur im Bruchteil einer Sekunde abgespielt hatte, waren die Aufnahmen dennoch gestochen scharf, was der fortschrittlichen Technologie der Pangäer zu verdanken war.

»Zoomen Sie das heran!«, befahl Montconnor, als sie genau in dem Augenblick anhielten, als der Angreifer zu sehen war. Seine Augen weiteten sich vor Schreck und er fragte sich, ob er gerade träumte. Auf dem Bildschirm war nun ein Wesen abgebildet, das einem Menschen auf dem ersten Blick nicht unähnlich sah, es hätte jedoch auch ein kleiner Narthaner sein können. Als Montconnor jedoch die scharfen Klauen und den abgemagerten Körper sah, wusste er, dass sich ihm soeben ein neuer Gegner offenbart hatte.

Wie es scheint, habe ich soeben die Chance erhalten, meinen Fehler wiedergutzumachen und sowohl bei meinen Vorgesetzten, den Bürgern Pangäas und den Narthanern einen guten Eindruck zu machen, dachte der Colonel, nachdem sich der erste Schock gelegt hatte.  

 

 

 

 

  Fünftes Kapitel: Hand in Hand

 

 

Grüblerisch betrachtete Alice Tenk das Bild des Wesens. Neben ihr standen Will Bennington sowie Hansam Chang und schüttelten den Kopf.

»Das sieht einem Menschen tatsächlich ähnlich, oder zumindest einem frühen Vorfahren. Könnte das eine Art Narthaner sein, vielleicht ein Vorfahre oder ein Schwesterntaxon wie der Neandertaler beim Homo sapiens? Um was es sich auch immer bei dieser Kreatur handeln möge, sie sieht auf jeden Fall furchteinflößend aus und ist offenbar auch gefährlich«, überlegte Bennington laut, wofür er einen spöttischen Blick von seinen Kollegen erntete.

»Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen den Narthanern und diesen Wesen, allein vom optischen Aspekt können wir eine nähere Verwandtschaft ausschließen«, warf Tenk ein.

»Ersparen Sie mir dieses Gerede über Systematik! Wie gefährlich ist dieses Wesen, was glauben Sie?«, meldete sich Sergeant Becker, der den Wissenschaftlern auf Befehl des Colonels das Videomaterial gebracht hatte.

»Sehen Sie es sich doch an! Diese Kreatur ist klapperdürr und schmächtig, allein diese Krallen könnten eventuell zu schweren Verletzungen führen. Anders als bei Schimpansen, die trotz ihrer geringen Größe stärker sind als ein Mensch, dürften diese Wesen keine Gefahr darstellen. Der Erkundungstrupp wurde einfach überwältigt, es waren nur wenige Männer und diese Kreaturen leben vermutlich in Gruppen. Panik ist völlig unangebracht«, erklärte Bennington mit einem leicht spöttischen Lächeln.

»Haben Sie vielen Dank, mit diesem Video haben Sie uns bereits sehr geholfen«, ergänzte Chang, um den Sergeanten nicht zu verärgern.

»Schön, dass ich helfen konnte. Jetzt muss ich aber wieder zurück zum Colonel«, sagte der Soldat lächelnd, verließ das Zelt und begab sich in das Waffenlager. First Sergeant George Becker war der Adjutant Montconnors, der ihn nicht nur wegen seines Kampfgeistes und seiner besonderen Loyalität zu ihm und vor allem Pangäa ausgewählt hatte. Der Soldat war knapp zwei Meter groß, wog hundertfünf Kilo und war somit körperlich der stärkste Mensch auf FL 25. Zusätzlich war er ein ausgezeichneter Nahkämpfer und sogar Panzerfahrer. Äußerlich erinnerte er an den Kyokushin-Karateka und Schauspieler Dolph Lundgren, doch der Sergeant hatte zudem Ringerohren und den typischen Militärhaarschnitt.

Im Waffenlager wartete bereits Ferran auf ihn, in Begleitung einiger anderer Narthaner, welcher fragte: »Was konnten dir die Wissenschaftler über die Angreifer sagen?«

»Nicht viel, diese Biester scheinen eigentlich nicht allzu gefährlich zu sein. Ich finde ja, wir sollten die einfach in Ruhe lassen und vielleicht die Höhle beobachten, damit sie nicht rauskommen, aber ich habe meine Befehle«, meinte Becker seufzend und klopfte dem Außerirdischen freundschaftlich auf die Schulter. Zwischen den beiden Kriegern hatte sich bereits eine Art Freundschaft gebildet, was ungewöhnlich war, da vor allem unter den Soldaten noch ein gewisses Misstrauen den Narthanern gegenüber herrschte.

»Gelten Befehle mehr als eigene Bedenken?« Ferran schien verwundert zu sein.

»Ja, das nennt man Disziplin und bildet die Grundlage jeder menschlichen Armee. Der Colonel ist ein schlauer Mann und weiß, was er tut. Seid ihr bereit?«, fragte der Soldat schließlich.

Diese nickten, doch Becker fragte verwundert: »Seit wann gewinnt man den einen Kampf ohne Waffen? Im Lager gibt es noch einige Gewehre, die stellen wir euch gerne zur Verfügung.«

Potan, der kleinste Narthaner des Trupps, antwortete: »Wir benötigen keine Schusswaffen.«

Ferran deutete auf die Kurzschwerter, die an ihren Hüften hingen und Becker schloss daraus, dass die Außerirdischen wohl über keine Fernkampfwaffen verfügten und freute sich darauf, die Narthaner in Aktion zu sehen.

Dann rief der Sergeant seinen Trupp, der etwa vierzig Mann umfasste, zu sich und gemeinsam steuerten sie ihr Ziel an. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch hatten sie den Fuß eines kleinen Berges erreicht, von wo aus sie bereits den Höhleneingang sehen konnten. Eine kurze Kletterpartie später hatten die Soldaten ihre Destination schließlich erreicht. Der Boden vor der Höhle war vollkommen kahl, es lagen jedoch die abgenagten Überreste von kleinen Tieren davor. Becker meinte auch, blutige Fußspuren und Hautfetzen von den mysteriösen Bewohnern auf dem nackten Fels zu sehen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er in die Dunkelheit vor sich starrte. Es war, als hätte sich ein Schlund in eine Welt aufgetan, in der er nicht sein sollte und die Bilder von den furchterregenden Wesen, die dort auf ihn warteten, verbesserten diesen Eindruck nicht gerade. Dennoch schaltete er pflichtbewusst die Lampe, die am Unterlauf seines Gewehrs angebracht war, ein und betrat mutig die Höhle, gefolgt von seinen Kameraden und den Narthanern.

Langsam pirschten sie sich durch den engen Gang, in dem keine drei Männer nebeneinander gehen konnten, der sie schließlich in einen großen Raum führte. Dieser war überraschenderweise mehrere Meter hoch und hatte mehrere Zugänge verschiedener Größe, die überall verteilt waren. Es war wie die Brutkammer einem Ameisenbau. Als der Trupp einige riesige Stalagmiten umrundet hatte, bot sich ihnen ein Anblick, den keiner von ihnen je vergessen würde. Vor ihnen befanden sich die Überreste des Suchtrupps, der vollkommen massakriert worden war und aussah, als hätten ihn wilde Tiere angefallen. Abgerissene Extremitäten, fehlende Gesichtshälften und offene Bäuche mit herausquellenden, angebissenen Innereien waren zu sehen. Die Kadaver lagen verstreut in einer Blutlache und waren von halb zerkauten, undefinierbaren Fleischbrocken, Nasen, Fingern, Ohren, leeren Patronenhülsen und Gewehren umgeben. Sofort wandten die Soldaten ihren Blick ab, ein paar mussten sich an Ort und Stelle übergeben, selbst die ansonsten so stoischen Narthaner schienen mit dem Anblick überfordert zu sein. Als Sergeant Becker sich ein wenig beruhigt hatte, fiel ihm auf, dass die Stille, die ansonsten so typisch für den Planeten war, diesmal fehlte. Er meinte, zwischen dem verängstigten Atmen seiner Kameraden ein leises Schmatzen zu hören. Also warf er mehrere Leuchtfackeln in die Mitte des Raumes und bei den nun verbesserten Sichtverhältnissen erkannte er, dass sie etwas übersehen hatten.

Zwischen zwei ihrer toten Kollegen saß eine ausgemergelte, blutüberströmte Kreatur, die sich an einem Oberschenkel labte. Die Leuchtfackeln schienen sie nicht zu stören, so sehr war die Gestalt im Fressrausch. Sergeant Becker zielte sofort mit seinem Gewehr auf sie und tötete sie mit einem Kopfschuss. Daraufhin ertönten von überall kratzende Geräusche, wie Nägel auf Fels, das leise Tappen von nackten Füßen und ein seltsames Fauchen. Die Menschen und Narthaner bewegten sich instinktiv zurück in Richtung Ausgang, doch es war bereits zu spät. Eine Vielzahl von gebückten Kreaturen kroch aus den kleineren Zugängen direkt auf die Eindringlinge zu. Ihr Anblick war abscheulich. Vom Körperbau her glichen sie einem Menschen oder Narthaner, doch da hörten die Ähnlichkeiten bereits auf. Ein paar der Wesen humpelten schwerfällig, die meisten krochen jedoch wie Tiere auf allen Vieren. Sie waren allesamt schrecklich mager und unter der aufgeriebenen, von Narben übersäten Haut sah man deutlich die Knochen hervorstehen. Besonders erschreckend waren die eingefallenen Gesichter, die spärlichen, fettigen Haare auf ihren Häuptern und die Hände und Füße, die praktisch nur aus Haut, Knochen und langen Klauen bestanden. Die Augen waren entzündet und glasig und aus ihren Mündern, die spärlich mit bräunlichen, von Karies zerfressenen Zähnen gefüllt waren, strömte ein Geruch, der die Soldaten zum Würgen brachte. Sie waren alle nackt und nur an den verkümmerten Genitalien konnte man einen Unterschied zwischen Männchen und Weibchen erkennen, sekundäre Geschlechtsmerkmale schienen keine zu existieren. Binnen Sekunden waren Becker und sein Trupp von mindestens sechzig der Wesen umzingelt. Diese bildeten einen Kreis, um von allen Seiten gesichert zu sein.

»Sofort Feuer eröffnen!«, befahl Becker und ein wahrer Kugelhagel prasselte auf die Höhlenbewohner ein. Auch im sechsundzwanzigsten Jahrhundert setzten die Menschen noch auf das bewährte System von Treibladung und Patrone, während die Narthaner ihre Schwerter zückten und zum Nahkampf übergingen. Die Außerirdischen deckten erfolgreich die rechte Flanke und wurden dabei von dem Sergeanten gelegentlich beobachtet. Ferran und seine Krieger bewegten sich leichtfüßig, nutzten ihre Reichweite und töteten mit schnellen, präzisen Angriffen.

Der Kampf dauerte nicht lange an, da die mysteriösen Kreaturen zwar in der Überzahl waren, allerdings keinen Angriffsplan hatten und von den Gewehren der Menschen niedergemäht wurden. Die wenigen, die die Narthaner erreichten, hatten ebenfalls keine Chance gegen deren Schwerter. Schon bald zogen sie sich kreischend tiefer in die Höhle zurück und binnen einer Minute war es wieder vollkommen still.

»Was waren das für Viecher? Sind die deiner Spezies bekannt?«, wandte sich Becker an Ferran, als auch das letzte Wesen in einer der Spalten verschwunden war. Verluste waren bis auf den Erkundungstrupp weder bei den Menschen noch den Narthaner zu beklagen.

»Ja, in einigen alten Überlieferungen ist von ihnen die Rede, doch sie gelten eigentlich als ausgestorben. Diese Wesen, Ferch genannt, verlassen normalerweise nie ihre Höhlen, deshalb ist uns leider nur wenig über sie bekannt. Zerriko ist auf dem Gebiet der Biologie sehr bewandert, er weiß vielleicht mehr als ich«, antwortete Ferran, der noch leicht außer Atem war.

»Eure Fähigkeiten im Nahkampf sind wirklich beeindruckend! Es war mir eine Freude, euch zuzusehen«, lobte Becker seine Verbündeten.

»Mit euren Gewehren seid ihr aber jedem Kämpfer überlegen, da kann er noch so gut sein. Ein Meisterwerk eurer Technologie«, erwiderte der Narthaner das Kompliment.

Nachdem die Ferch besiegt waren, packten die Soldaten ihre Toten in Leichensäcke und trugen sie ins Lager. Auf dem Weg dorthin unterhielt sich Becker mit Ferran. Es war die Leidenschaft für Kämpfe, vor allem für Panzerschlachten, die sie gemeinsam hatten und so fragte der Narthaner schließlich: »Wie sieht es mit euren Fähigkeiten im Nahkampf aus? Mir scheint, dass diese im Laufe eurer Geschichte immer weniger relevant geworden ist, aber ganz verschwunden sind sie nicht, oder?«

»Nein, ganz und gar nicht. Gerade im waffenlosen Nahkampf hat sich sogar sehr viel getan. Wie wäre es mit einem kleinen Übungskampf, wenn wir wieder im Lager sind? Dann kannst du es gleich selbst sehen«, forderte der Soldat sein Gegenüber heraus.

»Ich würde dir eher vorschlagen, dass du gegen Potan kämpfst. Er ist ungefähr gleich groß wie du, damit wäre der Kampf ausgeglichener«, meinte Ferran nur.

»Das klingt sogar noch besser«, sagte Becker grinsend.

Im Lager angekommen kümmerte man sich zuerst um die Toten. Ein Begräbnis würde erst am Abend stattfinden, dennoch versammelten sich die Soldaten gleich zu einem gemeinsamen Gebet. Dieses richtete sich an den Gott Occidus, auf dass dieser sie im Himmel als große Krieger willkommen heißen sollte. Die Narthaner beobachteten das Ritual, das in lateinischer Sprache abgehalten wurde, wortlos und schließlich wandte Sergeant Becker sich an Potan, um mit ihm über den Übungskampf zu sprechen.

Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass ein Duell stattfinden würde und schon bald formten die Soldaten einen großen Kreis um die Kontrahenten. Natürlich feuerten sie dabei ihren Sergeanten lauthals an.

»Ich will deine Atemmaske nicht zerstören, einigen wir uns also darauf, dass Angriffe zum Kopf verboten sind. Das gilt auch für Schläge zu den Genitalien, wenn das für dich in Ordnung ist«, meinte der Mensch und nahm eine Kampfhaltung ein. Er hatte seine Stichschutzweste ausgezogen und stand nun nur in Uniform vor seinem Gegner.

»Ja, wie du willst«, sagte Potan und nahm eine seitliche Kampfhaltung ein, wie man sie meist bei Kung-Fu Kämpfern sah. Das Duell konnte beginnen. Becker wollte mit ein paar Schlägen zum Bauch seines Gegners anfangen, doch dieser stieß ihn mit einem Sidekick gegen den Brustkorb von sich. Potan griff den Sergeanten noch während er zurücktaumelte sofort mit einem Wheel Kick an, der mit der Ferse in der Magengrube seines Gegners landete. Der Mensch krümmte sich keuchend zusammen, schaffte es jedoch trotz der Schmerzen auf Abstand zu gehen. Der Narthaner griff mit einer erstaunlichen Explosivität und Kraft an, mit der Becker aufgrund von dessen eher schmächtigen Statur nicht gerechnet hatte. Potan ließ nicht locker, näherte sich schnell und schlug diesmal mit den Fäusten zu. Sein Ziel waren dabei vor allem die Bauchregion und die Flanken. Becker, der solche Angriffe durch sein Kyokushin-Training gewohnt und zudem ein ausgezeichneter Pugilist war, konterte seinerseits mit Hieben auf Solarplexus und die unteren Rippen. Der Narthaner zog sich, nachdem er einige schwere Treffer einstecken musste, schnell zurück und ging wieder dazu über, mit Tritten anzugreifen und auf Abstand zu bleiben. Erneut brachte er seinen Gegner mit Sidekicks aus dem Gleichgewicht und griff dann weiter an. Potan landete einen Roundhouse-Kick gegen Beckers Brust, dessen Aufprall im halben Lager zu hören war. Dem Sergeanten wurde die Luft aus dem Körper gepresst und er musste einige Sekunden um Atem ringen, während denen er auf Abstand blieb.

So wird das nichts, ich muss meine Strategie ändern. Auf Gaia habe ich öfter mit Sanda-Kämpfern trainiert, ich sollte eigentlich wissen, welche Schwächen dieser seitliche Stand hat, dachte der Soldat, während er sich die schmerzende Brust hielt. Vorsichtig näherte der Mensch sich daraufhin seinem Gegner und griff blitzschnell mit einem Lowkick an. Da die seitliche Kampfhaltung die Beine exponierte, war dieser Angriff besonders effektiv. Sehr deutlich zeigte sich das im Jahre 1988, als Changpuek Kiatsongrit den bis dahin ungeschlagenen Rick Rufus mit eben jener Taktik besiegte. Anders als der berühmte Kickboxer wusste Potan jedoch sehr wohl, wie man mit einem Lowkick umging. In diesem Fall sprang er zurück, änderte seine Kampfhaltung und stand nun mehr wie ein Thaiboxer, nur mit aufrechtem Oberkörper und niedrigeren Händen, da.

»Du hast nur darauf gewartet, dass ich deine Beine angreife, oder?«, rief Becker und ergriff die Initiative. Er war sich sicher, in einem direkten Schlagabtausch die Oberhand zu haben, doch erneut überraschte ihn der Narthaner.

Potan täuschte einen rechten Lowkick an, Becker hob sein Schienbein, um diesen abzuwehren, doch der Außerirdische führte stattdessen mit seinem Spielbein einen Lead Leg Kick aus, der den Oberschenkel des Menschen traf. Der Sergeant biss die Zähne zusammen, ignorierte den Schmerz und preschte vor, bis nur noch eine Armeslänge zwischen ihnen war. Erneut folgte ein kurzer Schlagabtausch mit den Fäusten, bei denen der Narthaner unterlegen war. Potan musste schwere Treffer an der rechten Flanke und am Solarplexus einstecken und krümmte sich bereits zur schmerzenden Seite. Becker beendete den Kampf mit zwei Lowkicks die den Außerirdischen zu Boden schickten, von wo er nicht mehr aufstehen konnte.

»Ich denke das genügt für heute«, brachte der Sergeant keuchend hervor, der nicht viel weniger außer Atem war als sein Gegner. Potan saß nach wie vor am Boden und hatte den Blick gesenkt, er schämte sich offenbar sehr wegen seiner Niederlage.

»Gut gekämpft, du hast bewiesen, dass ihr Menschen auch im Nahkampf durchaus ernstzunehmende Gegner seid. Deine Schläge waren äußerst stark und du hast scheinbar gewusst, wie man auch mit Körpertreffern Schaden anrichten kann. Ich möchte auch deine Kampfintelligenz loben, du hast schnell erkannt, dass Potans Tritte dich auf Dauer zermürbt hätten und hast erfolgreich versucht, die Distanz zu überwinden und deine eigene Stärke auszuspielen«, lauteten Ferrans lobende Worte.

»Danke dir, wenn das von dir kommt, bedeutet mir das noch mehr. Aber das war ja eigentlich kein echter Kampf, wer weiß wie es ausgegangen wäre, wenn wir keine Regeln vereinbart hätten. Ich kann mir denken, dass ihr untereinander eher auf den Kopf zielt, oder? Wenn das stimmt, dann hatte Potan ja einen deutlichen Nachteil in diesem Kampf«, fragte Becker grinsend, der sich immer noch die schmerzende Brust rieb.

»Ja, unsere Devise ist es, den Gegner möglichst schnell und effektiv auszuschalten und dafür sind Körpertreffer nun einmal nicht so gut geeignet. Kämpfe sollten nicht zu lange dauern, verstehst du?«, sagte der Außerirdische.

»Natürlich, aber das ist leichter gesagt als getan. Manchmal kann man sein Gegenüber nicht so einfach ausschalten. Einige menschliche Kämpfer halten durch, bis ihr Gegner seine Energie verbraucht hat, und legen dann erst richtig los. Wendet ihr diese Taktik nie an?«, wollte Becker wissen.

»Wir trainieren ausschließlich für den echten Kampf um Leben und Tod. Für euch Menschen ist das größtenteils irrelevant, weil eure Kriegsführung schon seit Jahrhunderten auf Schusswaffen beruht. Dass der Nahkampf bei euch daher die Züge eines Sports angenommen und sich dadurch von dem unseren unterscheidet, liegt für mich auf der Hand. Auf einem Schlachtfeld wirst du deinen Gegner eher selten ermüden lassen, vor allem ist die von dir beschriebene Taktik nicht ideal, wenn man von mehreren Feinden umgeben ist«, erklärte der Narthaner.

»Ich verstehe, das ergibt schon Sinn. Für uns Menschen ist der Nahkampf mit der Zeit tatsächlich zum Sport geworden, daher hat er sich auch so sehr verändert und unterscheidet sich klarerweise von der Kampftechnik, die ihr benutzt. Ich bin aber trotzdem froh, dass wir Gewehre haben. Allein bei dem Gedanken, beim heutigen Kampf mit den Ferch nur ein Schwert zu haben, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Gibt es eigentlich ähnlich unheimliche Wesen auf diesem Planeten?«, wechselte Becker das Thema.

»Ich weiß nicht, was du mit unheimlich meinst, erkläre mir diesen Begriff?«, Ferran beherrschte zwar die menschliche Sprache, doch manche Worte existierten schlicht und einfach nicht im narthanischen Vokabular.

»Wenn du vor etwas Angst hast, dann ist es unheimlich, vielleicht hilft dir das Wort furchterregend, man will dieses etwas dann auf jeden Fall vermeiden«, versuchte der Soldat es zu erklären.

»Interessant. Beziehst du das auf die Gefährlichkeit der Wesen?«, fragte der Außerirdische.

»Ich meinte eigentlich ihr Aussehen, aber das dürfte wohl auch relevant sein. Also, gibt es neben Ferch und Mantaloiden andere gefährliche Tiere?« Becker war gespannt auf die Antwort und schien seinen schmerzenden Körper bereits vergessen zu haben.

»Ja, manche von ihnen sind sogar gefährlicher als Mantaloiden«, lautete Ferrans Antwort, die dem Soldaten klarmachte, dass sie von diesem Planeten noch so gut wie nichts wussten.

 

 

 

 

  Sechstes Kapitel: Occidus

 

 

»Was hat es mit den Ferch auf sich? Bennington meinte, dass sie eventuell mit euch verwandt sind«, fragte Alice Tenk Zerriko, während sie nebeneinander am Strand saßen und die Wellen beobachteten.

»Das lässt sich nur schwer nachvollziehen. Meine Vorfahren hatten nur äußerst selten Kontakt mit ihnen, manche Generationen hielten sie sogar für einen Mythos, so selten waren die Begegnungen. Es ist durchaus möglich, momentan gibt es aber noch keine Beweise, die das belegen und in Zukunft werden wir sie wohl auch nicht weiter erforschen«, erklärte der Narthaner ohne seinen Blick vom Meer abzuwenden. Er schien dafür eine unglaubliche Faszination zu verspüren, die Tenk nicht nachvollziehen konnte. Sie rief sich aber immer wieder ins Gedächtnis, dass Zerriko wusste, welche Wesen sich unter der Wasseroberfläche verbargen und sie selbst nicht.

»Warum denn nicht? Sie scheinen sehr faszinierend zu sein, wenn auch ziemlich hässlich und gruselig.« Die Biologin erschauderte, als sie sich an das Videomaterial erinnerte. Die mageren, verwahrlosten Wesen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Ferdinand Gaugl/Signum-Verlag.
Bildmaterialien: Zasu Menil/Apex-Graphixx.
Cover: Zasu Menil/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Signum-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2023
ISBN: 978-3-7554-3356-9

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