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Leseprobe

 

 

 

 

CHRISTIAN DÖRGE

 

 

Kandlbinder und die verlorene Tochter

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

KANDLBINDER UND DIE VERLORENE TOCHTER 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Das Buch

 

München, 1962.

Den ebenso berühmten wie wohlhabenden Biochemiker Ferdinand Karlsfeld treiben große Sorgen um: Seine jüngste Tochter Johanna wird augenscheinlich von dem Kasino-Betreiber Rudi Hanussen um erhebliche Geldsummen erpresst.

Karlsfeld wendet sich an Privatdetektiv Jack Kandlbinder - dieser soll Licht ins Dunkel bringen und überdies seine Tochter beschützen. Doch ist Johanna wirklich ein so unbeschriebenes Blatt, wie Ferdinand Karlsfeld glaubt?

Schnell erweist sich: Es gefällt einigen Unterwelt-Gestalten ganz und gar nicht, dass Kandlbinder in dieser Sache ermittelt...

 

Kandlbinder und die verlorene Tochter von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace und Friesland, ist der fünfte Band der Roman-Serie um den Münchner Privatdetektiv Jack Kandlbinder. 

Der Autor

Christian Dörge, Jahrgang 1969.

Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).  

Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung  

eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014). 

1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993). 

Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017). 

Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.  

2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland. 

2023 erscheint sein neues Album Kafkaland. 

 

Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de

  KANDLBINDER UND DIE VERLORENE TOCHTER

 

 

 

 

 

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Ludwig 'Jack' Kandlbinder: Privatdetektiv aus München.

Nora Brecht-Dubois: seine Sekretärin und eine angehende Schriftstellerin.

Korbinian Russenschluck: Jacks Partner in der Detektei Kandlbinder und Russenschluck.

Erik Winterhammer: Hauptkommissar bei der Münchner Kriminalpolizei. 

Ignaz Pfandke: sein Assistent.

Ferdinand Karlsfeld: ein wohlhabender Biochemiker. 

Johanna Karlsfeld: seine jüngere Tochter. 

Luisa Zerlett: seine ältere Tochter. 

Robert Zerlett: ihr Ehemann. 

Josef Riedmann: Johanna Karlsfelds wohlerzogener Verlobter. 

Rudi Hanussen: Besitzer eines Spielkasinos in Bogenhausen. 

Stefan Weiland: ein Playboy. 

Herbert Werner: ein Privatdetektiv.

Cynthia Fitzek: eine wichtige Zeugin.

 

 

Dieser Roman spielt in München im Jahr 1962.

  Erstes Kapitel

 

 

Mein Klient fuhr in einem Taxi vor dem Appartementhaus in Neuhausen vor. Er stieg langsam aus und ließ sich Zeit mit dem Bezahlen des Fahrers. Er sah aus, als ginge er zu einer Hinrichtung. Und zwar zu seiner eigenen.

Auf der anderen Straßenseite schickte ich mich an, aus meinem Giulia Sprint zu klettern.

Man hätte meinen können, mein Klient, Herr Wilhelm Schwendemann, sei nicht der Typ für Liebesabenteuer. Aber das war ein Irrtum. Von Beruf war er Einkäufer für die Spielzeugabteilung eines großen Warenhauses. Er war Anfang Fünfzig, hochgewachsen, sah recht gut aus und passte wunderbar in seine normale Umgebung: Arbeitsplatz, Familie, Freunde, Clubs. Auf der Straße wäre man an ihm vorbeigegangen, ohne zweimal hinzusehen.

Was wieder einmal beweist, dass auch der unscheinbarste Mensch über die Stränge schlagen kann. Daran lassen sich, wenn man will, tiefsinnige moralische Betrachtungen anknüpfen. Ich persönlich... will das nicht. Erstens tendiere ich nicht dazu, und zweitens gewöhnt man sich das als Privatdetektiv ohnehin mit der Zeit ab.

Vor zwei Tagen hatte mir Schwendemann, schwitzend vor Verlegenheit, seine Geschichte erzählt. Er wohnte auswärts, kam jedoch regelmäßig zu Einkaufszwecken nach München und pflegte stets bei dieser Gelegenheit eine bestimmte Spielwarenfirma aufzusuchen. Bei dieser Firma war eine blonde Empfangsdame beschäftigt – ein Prachtexemplar, wie Schwendemann versicherte –, der er normalerweise freundlich zunickte. Eines Tages, vor fünf Monaten, waren mein Klient und die Blondine miteinander ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie beide an dem betreffenden Abend nichts vorhatten. Also lud er sie zum Abendessen ein, es war sehr gesellig, und schließlich landeten sie in ihrer Wohnung, wo es noch geselliger wurde. Und es blieb nicht bei dem einen Mal. Immer, wenn Schwendemann nach München kam, besuchte er die Blondine. Er war zwanzig Jahre älter als sie, aber das schien beiden nichts auszumachen. Er kaufte ihr Geschenke. Er schrieb ihr sogar Briefe – und diese Briefe ließen, das gab er selbst zu, an Leidenschaftlichkeit und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Vor einem Monat hatte er eine Veränderung in ihrem Wesen festgestellt: Als sie ihn um etwas Geld bat, hatte er es ihr gegeben; und dann wurde die Schlinge zugezogen. Während der vergangenen Woche hatte sie ihn zweimal im Warenhaus angerufen und für die Rückgabe der Briefe 2.000 Mark verlangt. Falls er sich weigere, drohte sie, die Hälfte von Wilhelm Schwendemanns gesammelten Werken an seine Frau, die andere Hälfte an seine Arbeitgeber zu schicken. Schwendemann hatte eingewilligt, sich heute Morgen mit dem Geld in ihrer Wohnung einzufinden.

Meine Rolle in dieser Sache war simpel: Ich hatte meine Dienste angeboten, ihn zu begleiten, die Briefe sicherzustellen und Ulrike Heerwagen, der Blondine, eine derartige Abreibung zu verpassen, dass sie meinen Klienten künftig nicht mehr belästigen würde.

Kleinkram. Aber von irgendetwas muss man schließlich die Miete bezahlen.

Trotzdem, als ich aus dem Wagen stieg, tastete ich verstohlen nach meiner Pistole im Schulterhalfter. Die Angelegenheit sah zwar wie ein Kinderspiel aus, aber man konnte nie wissen. Ich bildete mir nicht ein, dass Ulrike Heerwagen bei dem Spielchen ganz allein war. Ich witterte einen Freund, einen unbekannten Dritten dahinter, obwohl ich Schwendemann gegenüber nichts dergleichen hatte verlauten lassen.

Leichtsinn macht sich nicht bezahlt. Man kann dabei das Leben einbüßen – oder seinen guten Ruf. In geschäftlicher Hinsicht läuft das auf dasselbe hinaus.

Ich überquerte die Straße und folgte Schwendemann in die Halle. Er wusste, dass ich da war, aber er drehte sich nicht um, sondern ging so kaltblütig vor, wie ich es ihm eingeschärft hatte. Dass noch jemand auf den Fahrstuhl wartete, machte alles noch unauffälliger.

Sonst befand sich niemand in der Halle. Wir betraten zu dritt den Aufzug, und Schwendemann und ich stiegen im dritten Stock aus. Mein Klient war ein bisschen blass um die Mundwinkel, aber ich machte mir keine Sorgen um ihn. Ehrbarkeit – oder zumindest der Anschein davon – bedeutet solchen Leuten sehr viel. Er wusste sehr genau, was auf dem Spiel stand, und würde die Abwicklung der Dinge nicht gefährden.

Wir schritten den Korridor entlang, ich ein paar Schritte hinter Schwendemann. Wir hatten kein Wort miteinander gewechselt. Dann kamen wir zum Appartement Nr. 312, und Schwendemann hielt inne, während ich noch ein paar Schritte weiterging.

Ich hatte mich mit dem Gebäude vorher vertraut gemacht. Wir hatten Glück: Das Appartement Nr. 312 lag direkt neben der Treppe.

Ich trat unter die Tür zum Treppenaufgang, wo ich von der Person, die meinem Klienten öffnen würde, voraussichtlich nicht gesehen werden konnte. Im Grunde war es mir allerdings egal. Sobald man öffnete, würde ich eintreten. Ich hätte die ganze Angelegenheit auch ohne Schwendemann regeln können, aber es war besser, er war da und kontrollierte, ob etwas fehlte.

Er schaute zu mir herüber, versuchte Zeit zu schinden, und ich bedeutete ihm, zu klingeln. Er drückte auf den Knopf, und ich presste mich flach gegen die Treppentür.

Nach ein paar Sekunden hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde, und eine Frauenstimme sagte: »Du bist ja sogar pünktlich. Komm herein...«

Schwendemann trat ein. Die Blondine hatte ihn eingelassen und wollte schon wieder die Tür schließen, als sie merkte, dass ich mich hinter ihr befand und den Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Sie zuckte zusammen und erbleichte. Dann machte sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Ich trat ein und schob mit dem Fuß die Tür zu.

»Grüß Gott«, grinste ich frohgemut. »Ich gehöre dazu.«

Mein Klient hatte natürlich übertrieben, aber bitte, sie sah nicht übel aus. In dem Moment sah sie zwar aus, als würde ihr gleich übel werden, aber ihre Gesichtszüge waren ansprechend, wenngleich nicht ohne Härte und mit einer Andeutung von Raffgier. Sie hatte eine auffällige Figur, und das enganliegende Kleid brachte diese Pracht voll zur Geltung.

Sie starrte mich eine Sekunde lang an, dann blitzte Hass in ihren Augen auf. Schwendemann stand mittlerweile daneben und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich blickte mich um und gewahrte zwei Türen. Die eine war offen und ließ die Küche sehen, die andere war geschlossen und führte vermutlich ins Schlafzimmer.

»Mike!«, rief sie und drehte sich um. »Komm heraus!«

Die Schlafzimmertür wurde geöffnet, und Mike erschien.

Er war groß, beinahe so groß wie ich, und das will etwas heißen. Aber mit seinen Muskeln stand es nicht zum besten. Das versuchte er durch ein zynisches Grinsen wettzumachen, wodurch er keineswegs sympathischer wirkte. Voraussichtlich brauchte ich nicht einmal die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, um ihn zu erledigen.

Aber vielleicht war er bewaffnet. Um sicherzugehen, war ich, sobald die Tür geöffnet wurde, hinter Fräulein Heerwagen in Deckung gegangen, die jetzt zwischen mir und ihrem Freund stand. Eine der üblichen Routinevorkehrungen.

»Wer sind Sie, zum Teufel?«, fragte er und bemühte sich, möglichst gemein zu sprechen.

»Ich komme wegen der Briefe«, erläuterte ich freundlich. »Damit Sie sie auch wirklich herausrücken.«

»2.000 Piepen.« Er machte drei Schritte vorwärts. »Das ist der Preis.«

»Irrtum.« Ich schüttelte den Kopf. »Kein Geld. Sie geben die Briefe her, und die Sache bleibt unter uns. Wir verzichten auf die Polizei. So machen wir das.«

Die Blondine warf Schwendemann einen wütenden Blick zu. »Du Schuft!«, zischte sie. »Du elender Kerl!« Sie deutete mit dem Daumen auf mich. »Ein Privatdetektiv, Mike, da gehe ich jede Wette ein.«

»Gewonnen.« Ich trat hinter ihr hervor, da ich jetzt überzeugt war, dass Mike, der ziemlich geknickt dreinschaute, seine Spielzeugpistole zu Hause gelassen hatte. »Wie steht's also mit den Briefen?«

Mike räusperte sich. »Und wenn ich sie nicht hergebe?«, schnarrte er.

»Seien Sie kein Dummkopf, Mike. Sie haben es probiert, und es ist schiefgegangen. Herr Schwendemann lässt sich nicht erpressen. Er hat mich engagiert, und wenn Sie nicht spuren, werde ich Ihnen die Hölle heiß machen. Das ist die bittere Wahrheit, Mike. Sie haben ausgespielt. Warum wollen Sie das nicht einsehen und vernünftig sein?«

Ulrike Heerwagen sah, wie er bereit war, umzufallen, und lief zu ihm hin, krallte sich an seinem Arm fest.

»Das lässt du dir bieten?«, schrie sie. »Allen Ernstes?«

»Oh, nein«, quetschte er durch die Zähne.

Völlig unerwartet schüttelte er sie ab und holte zu einem rechten Haken aus. Er hätte mir ebenso gut ein Telegramm schicken können. Ich blockierte den Schlag und traf ihn mit der Faust am Kinn. Er taumelte zurück, stieß mit dem Kopf gegen die Wand und ging langsam zu Boden.

Ich war den beiden fast dankbar für die Gelegenheit, handgreiflich werden zu können. Es war die beste Methode, um kundzutun, dass man nicht mit sich spaßen ließ. Ein gutgezielter Kinnhaken sagte mehr als tausend Worte. Aber ich schlage niemals grundlos zu.

Die Blondine starrte auf ihren Freund. Dann warf sie mir eine nicht wiederholbare Beschimpfung an den Kopf.

»Und jetzt zur Sache«, sagte ich. »Holen Sie bitte die Briefe. Sollte nich noch einmal fragen müssen, sage ich nicht mehr bitte.«

Sie zitterte vor Wut, aber sie verschwand ins Schlafzimmer. Während ihrer Abwesenheit betrachtete ich Mike aus der Nähe. Er würde ein bisschen Kopfschmerzen haben, das war alles. Hinter meinem Rücken hörte ich Schwendemann schnaufen, als habe er die körperliche Arbeit verrichtet, und nicht ich.

Fräulein Heerwagen kam zurück und brachte die acht Briefe mit, die von einem schwarzen Gummiband zusammengehalten wurden – gegenwärtiger Marktpreis 250 Mark das Stück. Sie überreichte mir das Material. Ich nahm sie entgegen und gab sie an meinen Klienten weiter.

»Zählen Sie nach«, riet ich ihm.

»Es – es sind alle.«

»Sehen Sie genau hin. Überzeugen Sie sich, dass nichts fehlt.«

Während er damit beschäftigt war, ließ ich die Blondine nicht aus den Augen. Sie sprach nicht, aber sie machte ein Gesicht, als arbeite sie gerade einen besonders scheußlichen Mordplan aus.

»Ja«, bestätigte Schwendemann schließlich, »ja. Alles in Ordnung.«

»Falls Sie Fotokopien oder dergleichen zurückbehalten haben«, wandte ich mich an Fräulein Heerwagen, »geben Sie sich keinen Illusionen hin. Nichts zu machen. Sie müssen sich dann einen anderen Dummen suchen. Denn ansonsten... komme ich wieder, und vertrauen Sie mir: Das wollen Sie nicht.«

»Sie sind kein Supermann«, fauchte sie mich an. »Sie kriege ich schon noch zu fassen. Ich werde...«

»Sie werden gar nichts«, unterbrach ich sie gelangweilt. »Überhaupt nichts werden Sie. Warum regen Sie sich derart auf? Es schadet Ihrem Aussehen.«

Sie stand in der Mitte des Zimmers, ballte die Hände zu Fäusten und entkrampfte sie wieder.

Schwendemann und ich ließen sie einfach stehen und gingen.

Trotzdem, sie wäre zweifellos imstande gewesen, mir mehr Schwierigkeiten zu bereiten als ihr Freund. Ich konnte mir vorstellen, dass Mike beim Erwachen wohl kaum die Art von Tröstungen zuteilwerden würde, die er sich erhoffte.

Während wir den Korridor entlangschritten, murmelte Schwendemann: »Ich habe nicht gewusst, dass sie so ein Biest ist.«

Darauf gab ich keine Antwort.

Als der Fahrstuhl sich nach unten in Bewegung setzte, sagte Schwendemann: »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Herr Kandlbinder.«

Die Reaktion hatte bei ihm eingesetzt, er zitterte ein wenig. Ich tat, als merkte ich es nicht.

»Keine Ursache«, wehrte ich ab. »Sie werden Ruhe vor ihr haben. Aber die Briefe sollten Sie lieber verbrennen. Übrigens, wie ist das, schicke ich Ihnen eine Rechnung? Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen...«

»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen«, antwortete er in seiner altmodischen Art. »Aber meine Frau liest meine Post niemals.«

Dann errötete er wie ein Teenager. Beziehungsweise so, wie Teenager vor den Zeiten von Elvis Presley zu erröten pflegten.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Ich fuhr zurück in Richtung Schwabing und setzte meinen Klienten unterwegs ab. Ich nahm nicht an, dass er für den Rest seines Lebens gegen raffgierige Blondinen gefeit war, aber wenigstens würde er es sich in Zukunft zweimal überlegen, bevor er eine durch Übersendung seiner literarischen Bemühungen zur Erpressung geradezu herausforderte.

Es war früher Nachmittag. Ich parkte vor meinem Büro in der Schellingstraße. Die Fingerknöchel schmerzten mir ein bisschen von dem Ding, das ich Mike verpasst hatte. Ich fuhr mit dem Aufzug in den sechsten Stock und schritt durch die Tür mit der Aufschrift

 

Kandlbinder und Russenschluck, Private Ermittlungen

 

ins Empfangs- und Wartezimmer.

Nora Brecht-Dubois war bereits zugegen und bearbeitete die Schreibmaschine. Sie kam nur nachmittags, erstens, weil wir sie ganztägig nicht hätten bezahlen können, und zweitens, weil nicht genug Arbeit für sie angefallen wäre, selbst wenn wir sie hätten bezahlen können. Sie war eine hochgewachsene Rothaarige, die in Schwarz phantastisch aussah und auch meistens Schwarz trug, weil sie es wusste. Sie hatte hübsche Augen, ein fast etwas zu rundes Gesicht und eine Figur, die mir das Diktieren erschwerte, weil ich mich bei ihrem Anblick nicht auf den Diktattext konzentrieren konnte. Sie war fünfundzwanzig, betätigte sich nebenher auf schriftstellerischem Gebiet und war tüchtig genug, sich auf einem viel besseren Posten zu behaupten. Dass sie trotzdem bei uns blieb, verdankten wir offenbar unseren ausgeprägten Persönlichkeiten. Und ich gab mir manchmal spezielle Mühe, meine ganze Persönlichkeit in die Waagschale zu werfen, um sie nicht zu enttäuschen. 

Von Zeit zu Zeit unternahm ich einen Annäherungsversuch, den Nora abwehrte, ohne mich indes völlig zu entmutigen. Darauf verstand sie sich großartig. Sie war wirklich eine beeindruckende Frau.

Aus dem Empfangszimmer führten zwei Türen, die eine in Korbinian Russenschlucks Büro, die andere in meines. Wir waren seit fünf Jahren – also seit 1957 –  Geschäftspartner, und wir bereuten es nicht. Zu Millionären würden wir es wohl kaum bringen, aber es reichte zum Leben. Für gewöhnlich arbeiteten wir getrennt, aber gelegentlich vereinten wir auch unsere Kräfte und gaben stets ein perfektes Gespann ab.

Als ich die Tür schloss, merkte ich gleich, dass Frau Löwinger auf mich wartete. Je eher ich das hinter mich brachte, desto besser.

Ich grüßte höflich, winkte Nora zu und ging weiter in mein Büro. Ich repräsentierte die Firma momentan allein, denn Korbinian Russenschluck bearbeitete gerade einen Fall in Nürnberg.

Mein Büro ist zwar einfach, aber keineswegs spartanisch. Es hat einen braunen Teppich aufzuweisen, auf dem der Schmutz nicht auffällt, einen mittelgroßen Schreibtisch mit einer grünen Schreibunterlage und einer ebenfalls grünen Stehlampe, einen Drehstuhl dahinter und einen Aktenschrank, dessen wichtigstes Inventarstück eine zu etwa einem Fünftel volle Flasche Bourbon-Whisky darstellt.

Es ist nicht gerade der Bayerische Hof, aber dafür hält sich die Miete in erträglichen Grenzen.

Nora folgte mir und schloss die Tür.

»Wie war’s?«, fragte sie.

»Ein Sonntagsspaziergang«, gab ich Bescheid. »Blondie brachte einen Beschützer zum Vorschein, aber dessen Handschuhgröße konnte mir nicht imponieren. Also wurden uns die Briefe übergeben, und Schwendemann behielt sein Geld. Ende der Geschichte.«

»Fein. Frau Löwinger ist da, Jack.«

»Glauben Sie, es ist mir entgangen? Ich habe sie unter Aufbietung meines gesamten Charmes begrüßt. Und warum? Weil ich ihr nichts als Unerfreulichkeiten zu berichten habe.«

»So ist das Leben«, bemerkte Nora und lächelte mitleidlos.

»Solange Sie lächeln, Nora, ist es für mich jedenfalls noch erträglich.«

»Vorsicht, sonst verlieren Sie den Kontakt zur Realität!«

»Richtig. Liegt für heute Nachmittag noch etwas vor, oder können wir beide uns ein paar vergnügte Stunden machen, während Ihr Gemahl auf Reisen ist?«

Sie zollte meinem neckischen Humor die ihm gebührende Würdigung und sagte: »Ferdinand Karlsfeld hat einen Termin um 16.30 Uhr. Sie haben Informationen über ihn verlangt. Ich bin gerade mit dem Tippen fertig geworden.«

»Richtig, richtig.« Ich nahm das Blatt Papier, das sie mir reichte, und legte es vor mich auf die Tischplatte.

Überraschenderweise hatte Ferdinand Karlsfeld mich um einen Termin in meinem Büro gebeten. Ansonsten pflegen derart prominente Leute darauf zu bestehen, dass man zu ihnen kommt. Wegen einer Familienangelegenheit, hatte es geheißen. Das konnte alles Mögliche bedeuten, und meistens bedeutet es nichts Gutes.

»Danke«, sagte ich. »Ich werd's mir durchlesen, bevor er uns mit seiner Anwesenheit beehrt. Und jetzt schicken Sie mir Frau Löwinger herein, Nora, ja? Und seien Sie bitte nett zu ihr.«

Nora lächelte und winkte mir beim Hinausgehen zu. In solchen Augenblicken sage ich mir immer, dass es Zeit ist, etwas zu unternehmen. Vielleicht sollte ich sie sogar heiraten, das wäre eine Lösung, mochte es nun so oder so ausgehen.

Frau Löwinger kam herein und nahm im Klientensessel Platz, dem Schreibtisch direkt gegenüber. Sie war eine unscheinbare, triste Person Mitte Vierzig, die mich beauftragt hatte, ihren Mann zu suchen, einen Buchdrucker, der sich aus dem Staub gemacht hatte. Als ich sie so ansah, konnte ich ihn verstehen.

Ich berichtete ihr, was ich herausgefunden hatte – dass er eine neue Stellung gefunden hatte und unter dem Namen Köster in Augsburg lebte. Sie fragte mich, ob er auch ganz bestimmt allein dort wohne, und ich versicherte, so sei es. Einstweilen jedenfalls. Ich glaube, diese Mitteilung erschütterte sie mehr, als es der Hinweis vermocht hätte, er lebe mit einer Sexbombe zusammen. Manche Frauen sind so: Konkurrenz nehmen sie in Kauf, aber dass jemand sie einfach satt hat und sitzenlässt, das begreifen sie nicht.

Frau Löwinger meinte, vielleicht solle sie meine Dienste noch etwas länger in Anspruch nehmen, und dabei sah sie mich an, als müsste mir sogleich etwas einfallen, womit man ihren Ausreißer zur Vernunft bringen könnte.

Ich beschloss, der Unterredung ein Ende zu bereiten.

»Ich glaube nicht, dass ich noch etwas für Sie tun kann, Frau Löwinger«, erklärte ich. »Ihr Gatte lebt und ist kerngesund. Er ist keinem Verbrechen zum Opfer gefallen. Er hat auch kein Verbrechen begangen, auch nicht, indem er seinen Namen geändert hat. Ich habe keine Ahnung, was Sie jetzt vorhaben, aber wenigstens haben Sie seine Adresse für den Fall, dass Sie ihn zur Rede stellen wollen. Falls Sie indes an eine Scheidung denken – solche Sachen bearbeite ich nicht. Da sollten Sie sich lieber an einen Anwalt wenden.«

Ich bekam mein Honorar, ein Trinkgeld nach Abzug der Unkosten, und unter Zuhilfenahme einiger Beruhigungstabletten bugsierte ich Frau Löwinger ins Vorzimmer.

Als sie draußen war, tat sie mir leid. Aber gleichzeitig wurde ich das Gefühl nicht los, dass eigentlich Herr Löwinger es war, der mir hätte leidtun sollen.

Dann gähnte ich. Die Sache war, wie ich von Anfang an vermutet hatte, in den üblichen ausgetretenen Pfaden verlaufen.

Ich kehrte in mein kleines Büro zurück und starrte eine Weile aus dem Fenster auf den Verkehr hinunter. Dann goss ich mir einen Schluck Bourbon ein und trank ihn, hinter dem Schreibtisch sitzend.

Schließlich nahm ich das Papier mit Noras maschinegeschriebenen Notizen und studierte es. Den allgemeinen biographischen Umriss kannte ich bereits, aber diese Anmerkungen gingen mehr ins Detail.

Ferdinand Karlsfeld war Biochemiker – nicht irgendein Biochemiker, sondern einer von den wirklich bedeutenden Wissenschaftlern. Er war jetzt über Sechzig, aber auf seinem Gebiet noch ausgesprochen aktiv. Er arbeitete für die Fenstermacher-Stiftung – falls sich sagen ließ, dass er überhaupt für jemanden arbeitete – und bewohnte, sofern er in München weilte, was gar nicht so häufig der Fall war, eine große Villa in der Echinger Straße. Diese Tatsache war das einzige, was nicht ganz mit dem Bild eines hundertprozentigen Akademikers harmonierte. Sohn reicher Eltern, hatte er in Heidelberg und an der Sorbonne studiert. Er besaß akademische Würden und Ehren in rauen Mengen. Anscheinend fühlte sich jede Universität, die etwas auf sich hielt, sobald Ferdinand Karlsfeld in der Nähe war, verpflichtet, ihm irgendein Ehrendiplom nachzuwerfen. Er schrieb Bücher und Abhandlungen, leitete Forschungen und hielt zahlreiche Vorlesungen. In Anbetracht seiner Position lebte er recht bescheiden. Er war zweimal verheiratet gewesen. Die eine Ehe hatte mit einer von ihm selbst eingereichten Scheidung geendet, die andere durch den Tod der Frau. Aus beiden Ehen hatte er je eine Tochter, von denen die eine jetzt Anfang Dreißig, die andere etwa dreiundzwanzig war. Obwohl in Fachkreisen berühmt, war Karlsfeld der breiteren Öffentlichkeit beinahe unbekannt. Als Hobbys standen da klassische Musik und das Studium des Amerikanischen Bürgerkriegs verzeichnet, aber ich nahm an, dass sein Beruf ihm nicht allzu viel Zeit dafür übrigließ.

Ganz unten hatte Nora vermerkt: Moralisch einwandfrei (?). Das fand ich nun, alles in allem, ausgesprochen zynisch. Nämlich das Fragezeichen.

Jedenfalls war ich darauf gefasst, dass die Angelegenheit, in der Herr Ferdinand Karlsfeld mich zu sprechen wünschte, kaum alltäglich sein würde.

Ich war gerade mit meiner Fleißaufgabe fertig, als Nora meinen Klienten hereingeleitete.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Sie erledigte die Formalitäten der Vorstellung, ich bat ihn, Platz zu nehmen, und Nora ließ uns allein.

Ich muss gestehen, dass Ferdinand Karlsfeld meinen Erwartungen entsprach. Bevor er sich niedersetzte, hatte ich Gelegenheit, festzustellen, dass er trotz leicht gebückter Haltung über einen Meter achtzig groß war, mager, mit scharf profilierten Zügen und durchdringend blauen Augen. Er hatte weißes Haar und trug es, wie ein kleiner Junge, adrett gescheitelt. Sein Anzug sah kostspielig aus, wirkte jedoch sehr unauffällig. Alles in allem machte Herr Karlsfeld einen vornehmen Eindruck, wenn auch längst nicht so würdevoll wie beispielsweise Wilhelm Schwendemann. Aber das... war auch kein Wunder: Wissenschaftliche Koryphäen haben es nicht nötig, sich betont standesgemäß zu kleiden.

Seine Stimme klang klar und deutlich, wenn auch nicht allzu energisch. Er pflegte sein Gegenüber anzusehen, während er mit ihm sprach – eine Eigenschaft, die nicht so weitverbreitet ist, wie man glauben möchte. Ich hatte den Eindruck, dass sein Verstand in keiner Weise unter Alterserscheinungen zu leiden hatte.

»Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«, fragte ich.

»Danke, ich rauche nicht. Aber lassen Sie sich nicht davon abhalten, sich eine anzuzünden, Herr Kandlbinder.« Er lehnte die Fingerkuppen gegeneinander. Seine Hände sahen aus wie die eines Chirurgen. »Ich habe Ihnen sehr viel mitzuteilen, und ich werde Sie nicht unnötig aufhalten. Sie sind mir von Frau Stumph empfohlen worden.«

Ich nickte. Ich hatte Frau Stumph einmal etliche gestohlene Schmuckstücke wiederbeschafft: – eines meiner früheren Ruhmesblätter.

»Ich nehme an, Sie wissen einiges über mich«, fuhr Karlsfeld fort. »Zwar bin ich nicht eigentlich prominent, aber Sie wären nicht der Mann, als den man Sie mir geschildert hat, wenn Sie sich nicht über mich erkundigt hätten. In diesem Fall werden Sie wissen, dass ich ziemlich wohlhabend bin. Ich entstamme einer reichen Familie. Was das Temperament anbetrifft, ähnele ich allerdings kaum meinem Vater, der ein Mann mit geschäftlichen und – nun ja – weltlichen Interessen war. Vermutlich habe ich ihn mit meinen Neigungen und meiner Berufswahl arg enttäuscht. Ich erzähle Ihnen das, um Ihnen klarzumachen, dass ich von Anfang an über viel Geld verfügt und auch noch einiges hinzuverdient habe. Vermögen von der Art, wie ich es geerbt habe, vermehrt sich außerdem wie von Zauberhand.«

Er bemühte sich um eine dramatische Pause, und ich sagte: »Ich vermute auch, dass Sie – verglichen mit dem, was Sie besitzen – relativ wenig ausgegeben haben.«

»Genau. Ich sehe schon, Sie haben mich verstanden. Ich habe viele wohltätige Institutionen unterstützt, und meine Töchter erhalten großzügige Zuwendungen, aber meine eigenen Bedürfnisse sind durchaus bescheiden.«

Auch das leuchtete mir ein. Es verstand sich von selbst, dass er nicht wie ein Trappistenmönch gelebt hatte, aber wie ein Lebemann sah er noch weniger aus.

Er hatte mich aufgefordert, ungeniert zu rauchen, also zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück. Man konnte ihm gut zuhören, jedenfalls vorläufig.

»Meine beiden Töchter würden Sie vermutlich überraschen, Herr Kandlbinder«, sprach er weiter. »Andererseits – vielleicht auch nicht. Ich habe nie die Rolle eines konventionellen Vaters gespielt, beiden Mädchen fehlte – aus jeweils unterschiedlichen Gründen – die Mutter, sie wurden von fremden Leuten erzogen. Die ältere ist Luise – verheiratet mit Robert Zerlett.«

Auf meinen Notizblock kritzelte ich Luise, Robert Zerlett – nicht etwa, weil ich es sonst vergessen hätte, sondern weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Klienten angesichts solcher kleiner Gesten eher das Gefühl haben, für ihr Geld einen Gegenwert an Arbeitsleistung zu erhalten.

»Leute, die diese Dinge studieren«, bemerkte Karlsfeld, »haben oft behauptet, Erbanlagen zeigten die Tendenz, eine Generation zu überspringen. Was Luise anbetrifft, scheint das zweifellos der Wahrheit zu entsprechen. Ihr Charakter ähnelt ganz eindeutig mehr dem meines Vaters als meinem eigenen. Ich liebe jede meiner Töchter, Herr Kandlbinder, obwohl ich als Vater ein Stümper bin. Aber Luise war seit jeher wild und ungebändigt. Einiges davon hat sie vielleicht von ihrer Mutter, von der ich mich habe scheiden lassen und die kurz darauf an den Folgen eines selbstverschuldeten Autounfalls gestorben ist. Wie dem auch sei, Luise war immer... aufsässig.« Er seufzte und schaute mich dann eindringlich an. »Verstehen Sie mich recht, ich habe einen Großteil meines Lebens auf Reisen verbracht. Die beiden Mädchen müssen sich wohl oft wie Waisenkinder vorgekommen sein.«

»Gewiss«, stimmte ich zu. »Ich nehme an, beide besuchten die besten Schulen?«

»Ja, in der Tat. Aber Luise wurde aus zweien davon hinausgeworfen. Jugendsünden, vielleicht, aber es ist bezeichnend. Sie hat einen sehr ausgeprägten Charakter, aber ich bezweifle, ob sie an irgendetwas wirklich glaubt. Auch ist ihr eine gewisse Triebhaftigkeit nicht abzusprechen.«

Ich nickte.

»Sie ist eine sehr kluge Frau«, fuhr Karlsfeld fort. »Aber sie hat mir eine Menge Kopfzerbrechen bereitet. Sie hat etwas unbezähmbar Skeptisches und Desillusioniertes an sich. Johanna ist dagegen die Lieblichkeit in Person. Übrigens, die Ehe von Luise ist eine Katastrophe – wie nicht anders zu erwarten. Ja, Johanna ist ein Engel.« Er stockte, blinzelte, sprach etwas gefühlvoller. »Und doch liegt der Grund meines Hierseins bei Johanna.«

Er hatte eine seltene Begabung, einen erschöpfend mit den Tatsachen vertraut zu machen, ohne dass man zu Gegen- und Zwischenfragen genötigt war. Also hörte ich ihm fasziniert weiter zu.

»Jeder von uns hat ein Konto bei derselben Bank, Herr Kandlbinder. Der Direktor der Bank ist ein alter Freund von mir, und er war es, der mich vor ein paar Wochen auf einige Vorgänge hingewiesen hat, die mir seither Sorgen machen. Bevor ich weiterspreche, sollte ich noch betonen, dass Johanna ein liebes, sanftes Mädchen von dreiundzwanzig Jahren ist. Ähnlich wie Luise führt auch sie ein nicht gerade nützliches Leben, aber damit ist die Ähnlichkeit auch schon zu Ende. Johanna hat keinerlei negative Eigenschaften, aber dafür unbeschreiblich viel Charme. Vor einem halben Jahr hat sie sich mit Josef Riedmann verlobt. Er ist kein großes Geisteslicht, aber ein netter Junge aus einer anständigen Familie. Etwa zur gleichen Zeit wurde Johanna von einer gewissen – wie soll ich sagen – Rastlosigkeit befallen. Zweifellos ein unbewusster Protest gegen das Eingehen einer – jedenfalls dem Vorsatz nach – lebenslänglichen Verpflichtung.«

»Worin äußerte sich diese – diese

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Christian Dörge/Signum-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Signum-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2023
ISBN: 978-3-7554-3337-8

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