Cover

Leseprobe

 

 

 

 

DAY KEENE

 

 

Sie waren Todfeinde

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

SIE WAREN TODFEINDE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Das Buch

 

Vor Jahren hatte Cora Royal noch in der erbärmlichen Hütte eines Büffeljägers gehaust, jetzt war sie Besitzerin einer der größten Ranches in Südtexas und die mächtigste Frau in der Stadt. Sie wurde von allen Männern begehrt - und sie machte sie alle zu ihren Werkzeugen.

Revolvermänner sollten ihre Macht ausdehnen, und der skrupellose Plan wäre beinahe aufgegangen.

Doch plötzlich... kehrte Major John Royal zurück.

Cora wusste, keiner ihrer Feinde war gefährlicher als dieser Mann. Sie hatte ihn betrogen, durch sie hatte er alles verloren, was er besaß - Recht, Reichtum und Ehre...

 

Der Western-Roman Sie waren Todfeinde des US-amerikanischen Schriftstellers Day Keene (eigtl. Gunard R. Hjertstedt - * 28. März 1904 in Chicago; † 09. Januar 1969 in Los Angeles) erschien erstmals im Jahr 1967; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1999 (unter dem Titel Todfeinde). 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Western-Literatur.

  SIE WAREN TODFEINDE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Kleine Staubwölkchen wirbelten unter den Hufen seines dahintrottenden Pferdes empor, als Major John Royal, ehemaliger Militärarzt der Sechsten Armee von Texas, nach dreitägiger Abwesenheit nach San Rosaria kam.

Die Nachmittagssonne in Mexiko war noch immer heiß und die Luftfeuchtigkeit drückend. Royal war müde und durstig. Den Patienten, zu dem er hinausgeritten war, hatte er nicht mehr retten können. Als Gentleman konnte er einer Witwe keine Rechnung präsentieren. Deshalb war er jetzt fast ohne Bargeld. Aber das spielte im Augenblick keine große Rolle. Er hatte unbegrenzten Kredit in jeder cantina im Ort.

Schließlich war er el medico, der einzige Arzt im Umkreis von dreihundert Kilometern.

Er schlang die Zügel seines Pferdes um das Geländer vor dem Golden Rooster und schlug den Staub aus seinem Hut, bevor er eintrat. Aus dem dämmerigen Innern der cantina tönten ihm fröhliche Musik und helles Frauengelächter entgegen. Soldaten lehnten an der Bar und saßen an den Tischen. An den Abzeichen an ihren staubigen Uniformen erkannte Royal, dass sie Federales waren – die neue Bewachungsmannschaft für das Gefängnis an der Meeresbucht.

Da er selbst fünf Jahre lang in der Armee gewesen war, hatte er nichts gegen Soldaten. Er stellte seine zerschrammte Arzttasche auf einen Tisch und trat an die Bar. Mit seinen ein Meter fünfundachtzig überragte er die Mexikaner bei weitem.

»Buenas tardes, señores. Willkommen in San Rosario.« 

Feindseliges Schweigen schlug ihm entgegen. Don Jesus, der dicke Kneipenwirt, stellte eine Flasche Branntwein und ein Glas vor Royal. »Norteamericano medico«, erklärte er den Soldaten. Stolz auf sein Englisch fügte er hinzu: »Major John Royal. Von der Südstaaten-Armee.«

Die Soldaten nahmen die Vorstellung nicht zur Kenntnis. Es machte keinen Eindruck auf sie.

Royal verübelte ihnen das nicht. Während der vergangenen Jahre waren ehemalige Soldaten der Südstaaten in verschiedenen mexikanischen Provinzen immer häufiger aufgetaucht und zu einem wichtigen Faktor in der Wirtschaft des Landes geworden. Er kannte zwei ehemalige Obersten, die Cowboys geworden waren, einen Captain, der in Sonora eine Bar leitete, und einen jungen Leutnant aus Memphis, der auf den Straßen von Mexiko-City Lotterielose verkaufte.

Don Jesus legte seine dicken Hände auf die Theke, während Royal sein Glas füllte. »Ein Mann hat nach Ihnen gefragt.«

»Wer?«

Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Seinen Namen hat er mir nicht genannt. Aber er redete und sah so aus wie ein Yankee-Rechtsanwalt.«

Royal leerte sein Glas und schenkte neu ein. Er kannte keinen Yankee-Rechtsanwalt. Falls dieser Mann irgendetwas von ihm wollte, stand das wahrscheinlich mit Cora oder der Ranch in Verbindung.

Diese Angelegenheit war ihm widerwärtig. Er würde es immer bedauern, Cora und ihren Yankee-Oberst nicht im richtigen Augenblick getötet zu haben. Jetzt würde er nie mehr eine Gelegenheit dazu bekommen. Es würde für immer ein Fleck auf seiner Ehre bleiben. Diese Affäre hatte nur eine gute Seite: es waren keine Kinder da.

Royal verdrängte Cora aus seinem Bewusstsein und beschäftigte sich mit der Branntweinflasche. Er spielte auch mit dem Gedanken, die Flasche mitzunehmen und zu seinem eigenen kleinen Haus aus Adobeziegeln am Anfang des Pfades zu reiten, der zum Gefängnis führte. Zumindest würde es dort kühler sein. Er konnte sich in die zwischen zwei Palmenbäumen angebundene Hängematte legen, und wenn die Nacht herniedersank, konnte er zu dem Sternenhimmel emporblicken und so tun, als wäre er noch in Texas.

Schließlich schloss er einen Kompromiss, indem er mit seiner Arzttasche und der Branntweinflasche zu einem leeren Fenstertisch ging. Es war etwas ruhiger hier und auch ein wenig kühler.

Der Abend dämmerte in die Nacht hinüber. Don Jesus brachte Royal eine zweite Flasche Branntwein und zündete die Kerzen in den Wandleuchtern hinter der Bar an. Der Lärm steigerte sich. Einige betrunkene Soldaten zankten sich miteinander und andere tanzten im Hintergrund der cantina mit den Mädchen Fandango. Von Zeit zu Zeit trat eines von den Mädchen mit fragendem Lächeln an Royals Tisch und ging enttäuscht fort, weil er den Kopf schüttelte. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm je wieder nach Liebe zumute gewesen war.

Als er die zweite Flasche schon halb geleert hatte, hörte er die Stimme. Es war eine dünne und atemlos klingende Mädchenstimme.

»Sind Sie el medico?«

Royal musterte das Mädchen mit trunkener Bedächtigkeit. Sie war jung, nicht älter als siebzehn oder achtzehn. Ihr schmales Gesicht war oval geformt und blass. Die schwarze Mantilla, die ihr blondes Haar bedeckte, schien aus teurer Seide zu sein. Er hatte sie nie zuvor gesehen.

»Das stimmt«, bestätigte er. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Catana«, sagte das Mädchen hastig.

»Catana wer?«

»Catana de Sandoval y Olmedo.«

Der Name sagte Royal nichts, aber die Anwesenheit des Mädchens erfreute ihn. Er deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich. Ich lasse uns noch ein Glas bringen, und wir betrinken uns zusammen. Dann... wer weiß?«

Das Mädchen blieb stehen. »Ich fürchte, Sie haben mich missverstanden, Señor. Ich gehöre nicht in dieses Lokal.« Sie warf einen Blick auf die auf dem Tisch stehende Arzttasche. »Aber Sie sind el medico?«

»Das habe ich bereits gesagt.«

»Dann kommen Sie bitte mit mir – schnell. Es ist wegen meiner Mutter. Sie braucht dringend ärztliche Hilfe, und draußen wartet ein Wagen.«

Royal stand sofort auf. Er hätte gleich erkennen müssen, dass dieses Mädchen nicht hierhergehörte. Sie war hergekommen, um ihn zu holen, weil sie einen Arzt brauchte, und er hatte sie beleidigt.

»Es tut mir sehr leid. Nach Ihnen, Señorita.«

»Gracias, Señor.« 

Das Mädchen ging voran, und Royal folgte ihr. Aber auf halbem Wege zur Tür sprang ein schnurrbärtiger Offizier von einem der Tische auf, fasste das Mädchen um die Taille und versuchte, sie zu den Fandangotänzern hinüberzuziehen. Das Mädchen sträubte sich, und er zog sie näher an sich und küsste sie, während die anderen Offiziere am Tisch grölend über diese Szene lachten.

Royal stellte seine Tasche auf den Tisch, tippte dem Mann auf die Schulter und sagte in schnellem Spanisch: »Ich fürchte, das ist ein kleines Missverständnis. Die junge Dame arbeitet nicht in diesem Lokal.«

Die Reaktion darauf kam unerwartet. Die Musikanten hörten zu spielen auf. Das Stimmengewirr erstarb. In der folgenden Stille ließ der Offizier das Mädchen los und wandte sich langsam Royal zu. Er schien mehr neugierig als ärgerlich zu sein.

»Sprechen Sie zu mir, Señor?«

»Sí.«

»Sind Sie sicher, dass Sie keinen Fehler gemacht haben?«

»Nein.«

»Ist sie vielleicht Ihr Mädchen?«

»Nein.«

»Aber Sie sprechen trotzdem so scharf. Wollen Sie mir etwa eine Lektion in gutem Benehmen erteilen?«

Royal wünschte, er hätte nicht soviel getrunken. Die Situation missfiel ihm sehr. Er hatte nichts gegen diesen Mann, aber sein Stolz erforderte es, auf seinem Standpunkt zu verharren. »Sie scheinen eine Lektion in gutem Benehmen zu brauchen.«

Der Offizier lächelte dünn. »Gracias, Señor. Ich fürchtete schon, ich würde mich in San Rosario langweilen.«

Er lächelte noch immer, während er mit der linken Hand seinen Schnurrbart strich und mit der rechten nach dem Revolver griff fasste.

Royal reagierte instinktiv. Er zog seinen Revolver und schoss, noch bevor der Offizier seine Waffe richtig aus dem Halfter gezogen hatte.

Ein Ausdruck von Verwirrung löschte das dünne Lächeln von seinem Gesicht weg. Sein Revolver fiel mit gespanntem Hahn auf den harten Lehmboden und laut dröhnend löste sich der Schuss.

Das Gesicht des Offiziers wurde schlaff, während sich ein roter Fleck auf seinem Uniformrock auszubreiten begann. Er hob die leere Hand, als wollte er Royal damit berühren, dann stieß er einen keuchenden Laut aus und fiel zu Boden.

Die Luft in der cantina erschien Royal mit einem Mal erstickend dünn, und das Atmen fiel ihm schwer. Er schob seine Waffe in den Halfter, kniete sich neben den am Boden liegenden Offizier und griff nach seinem Puls. Es war nichts zu spüren.

Er schaute hoch und sah die Gesichter auf sich herabstarren. Das blonde Mädchen, das diesen Zwischenfall ausgelöst hatte, war verschwunden. Draußen hörte er leiser werdenden Hufschlag und das Knarren ausgetrockneter Wagenräder.

»Muerto?«, fragte Don Jesus.

»Ja«, sagte Royal. »Er ist tot.«

Der fette Kneipenwirt schlug ein Kreuz. »Ausgerechnet das muss in meiner cantina passieren. Wissen Sie, wer dieser Mann ist, den Sie getötet haben?«

»Nein«, sagte Royal.

»Oberst Valasques de León. Der neue Gefängniskommandant. Er sollte morgen sein Amt antreten.«

Zwei Soldaten halfen Royal auf die Füße. Ein Offizier zog ihm die Waffe aus dem Halfter.

»Gestatten Sie, Señor?«

Royal blickte den Mann ausdruckslos an. Er hatte schon einige schlimme Fehler in seinem Leben begangen. Aber einen mexikanischen Obersten in einem Land zu töten, wo das Militär gleich nach Gott kam, würde wahrscheinlich der letzte Fehler in seinem Leben sein.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Wenn er sich auf seine Pritsche stellte und durch die schmalen Gitterstäbe seines Zellenfensters spähte, konnte Royal unter sich die roten Ziegeldächer des Ortes und jenseits davon den weiten Bogen des weißen Strandes und den Ozean sehen.

Es war ein hübscher Anblick und die letzte Landschaft, die er in seinem Leben sehen würde.

Nach einem schmetternden Hornsignal und dumpfem Trommelwirbel – wie es das mexikanische Gesetz erforderte – hatte ihm Hauptmann Dijon, ehemaliger französischer Fremdenlegionär und gegenwärtiger Gefängniskommandant, heute Morgen sein Todesurteil vorgelesen.

Morgen früh würden sie ihn hinausführen, an eine Mauer stellen und erschießen. Und das wäre das Ende des Geschlechts der Royals.

Er schaute düster auf den Pfad hinunter, der sich von San Rosario her steil den Felsen emporwand. Die wöchentliche Besucherstunde war nahe, und der Pfad war bevölkert mit lachenden Mädchen und Frauen, die Körbe mit Essen und Trinken und sich selbst zu ihren Männern brachten.

Royal dachte über diese Sitte nach. Die Mexikaner waren ein praktisches Volk. Laut Gesetz konnte die Frau oder Geliebte jedes Gefangenen einmal pro Woche eine Stunde allein bei ihm in der Zelle verbringen. Falls der Häftling keine Frau oder Geliebte hatte, würde jedes der cantina-Mädchen für wenige Centavos als Ersatz einspringen.

Royal ließ die Gitterstäbe los und setzte sich auf seine Pritsche. Er hatte keine Frau und keine Geliebte und auch keine Centavos. Man hatte ihn jedoch in den Monaten nach seiner Verurteilung nicht schlecht behandelt. Nur die weibliche Bevölkerung von San Rosario hatte ihn ganz vergessen, obwohl er vielen von ihnen ärztliche Hilfe geleistet hatte.

Plötzlich drehte sich der Schlüssel im Schloss, und die schwere Tür seiner Zelle wurde geöffnet. Er blickte verwirrt in die Höhe und stand dann langsam auf. Der Gefängniswärter, der hinter dem Mädchen im Türrahmen stand, schien sich für ihn zu freuen.

»Diese Woche ist auch mal Besuch für Sie gekommen, Señor.«

Royal betrachtete das Mädchen. Sie sah anders aus als bei ihrer ersten Begegnung. Irgendwie hatte sie es fertiggebracht, sich wie eine Dirne anzuziehen. Ihre Lippen waren grell rot bemalt, und ihr schwarz gefärbtes Haar hing nach Indianerinnenart in zwei dicken Zöpfen über die Schultern herab. Ihre billige weiße Baumwollbluse war tief ausgeschnitten, und ihr ebenso billiger schwarzer Rock betonte nur noch die Vollkommenheit ihres zierlichen, wohlgeformten Körpers.

Während er noch wachsam und misstrauisch dastand, kam sie mit dem kleinen Henkelkorb an dem einen nackten Arm auf ihn zu, schlang den freien Arm um ihn und reckte die kussbereiten Lippen zu ihm empor.

»Querido mío. Mein Geliebter.«

Sie war nicht seine Geliebte. Er hatte auch keinen Grund, sie überhaupt gern zu haben. Ihretwegen würde er morgen früh sterben müssen. Royal wollte sie von sich wegstoßen, aber sie presste sich an ihn, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte:

»Nehmen Sie mich in die Arme und küssen Sie mich. Tun Sie so, als freuten Sie sich, mich zu sehen. Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen.«

Während der Wärter beifällig grinsend zuschaute, legte Royal die Arme um sie und küsste sie. Ihre Lippen waren fest und sanft zugleich. Er ließ eine Hand an ihrem Rücken heruntergleiten. Alles an ihr fühlte sich wunderbar an.

Erst als der Wärter die Tür von außen geschlossen hatte, löste sich das Mädchen aus seiner Umarmung. Ihr Blick wirkte jetzt noch verstörter als damals in der cantina. Sie trat einen Schritt zurück, und ihre Stimme klang beschwörend.

»Sie müssen das bitte verstehen, Señor Royal. Ich musste das einfach tun, was es mich auch kosten mochte. Ich bin kein cantina-Mädchen. Aber ich muss Sie wegen einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen, und dies war die einzige Möglichkeit, zu Ihnen zu kommen, ohne Verdacht zu erwecken.«

Royal schüttelte mit einem kühlen Lächeln den Kopf. »Es tut mir leid, Catana. Aber wenn ein Mann am nächsten Morgen vor das Hinrichtungskommando treten muss, sind für ihn nur zwei Dinge wichtig: ein Hinrichtungsaufschub oder eine Begnadigung. Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten einen Gnadenerlass von Präsident Juarez in jenem Korb.«

Catana schüttelte den Kopf. »Nein.«

Royal ließ sich auf seine Pritsche sinken. »Also, gut. Nun reden Sie.«

Das Mädchen setzte sich und stellte den Kob zwischen sie. »Vielleicht möchten Sie zuerst etwas essen?«

Royal war noch nie weniger hungrig gewesen. »Nein, vielen Dank.«

Sie griff in den Korb. »Dann vielleicht etwas zu trinken und eine Zigarre.«

»Das wäre mir lieber.«

Royal trank gleich aus der Flasche, schob dann eine von den schwarzen Zigarren zwischen seine Lippen und zündete sie mit dem Wachsdocht an, den das Mädchen ihm gab. Der Tequila umnebelte sofort sein Gehirn, und der raue Zigarrenrauch schmeckte seltsam.

»Sie hätten zu meinem Prozess kommen können.«

Das Mädchen faltete die Hände im Schoß. »Würde das Urteil dann anders ausgefallen sein?«

»Nein«, gab Royal ehrlich zu. »Ich war so gut wie tot, sobald ich den Oberst erschossen hatte.«

»Weil er mich beleidigt hatte.«

»So ist es passiert.« Royal trank wieder aus der Flasche. »Was haben Sie mir jetzt zu sagen?«

»Sind Sie Major John Royal von der ehemaligen Sechsten Armee von Texas?«, fragte sie.

»Der bin ich.«

»Und gehört Ihnen eine große Ranch in Süd-Texas, nahe bei einem kleinen Ort namens Dry Prairie?«

Royal lächelte freudlos. »Eine Weile lang hat mir die Ranch gehört. Neunundneunzig Quadratmeilen. Mein Vater bekam die Ranch aufgrund einer mexikanischen Schenkungsurkunde, als man das Land in diesem Teil von Texas noch für dreißig Dollar pro Quadratmeile verkaufte.« Er fügte schnell hinzu: »Nicht dass es etwa jetzt viel mehr wert wäre.«

Das Mädchen machte eine ungeduldige Geste. »Und als Sie vor drei Jahren aus dem Krieg heimkehrten, da gab es eine Liebesaffäre wegen einer sehr schönen, aber treulosen Señora, deren Name Cora lautet? Eine Señora, die Sie für tot hält?«

Royal stellte den Korb von der Pritsche zu Boden. »Woher wissen Sie so viel über mich?«

»Ich selbst weiß das alles nicht«, gestand sie. »Ich weiß nur, dass Sie Nordamerikaner und Arzt sind und meinetwegen einen Mann getötet haben. Aber man hat mich angewiesen, Ihnen bestimmte Fragen zu stellen.«

»Wer?«

»Ein anderer Nordamerikaner, der sich Jim Tyler nennt.«

Royal konnte sich dunkel daran erinnern, dass Don Jesus an jenem Tage vor seiner Verhaftung von einem Yankee-Rechtsanwalt gesprochen hatte. Dieser Anwalt hatte angeblich nach Royal gefragt.

»Ist der Mann Rechtsanwalt?«, fragte Royal.

Catana schüttelte den Kopf. »Seinen Beruf kenne ich nicht. Ich weiß nur folgendes: Er will nicht, dass Sie sterben.« Sie senkte den Blick. »Das will ich auch nicht. Deshalb bin ich hier.«

Nach drei Monaten erzwungener Abstinenz spürte Royal die Wirkung des Tequila jetzt schon sehr. Sein Blick glitt zu dem Blusenausschnitt und zu den Beinen des Mädchens hinunter. Sie war ein wunderhübsches Geschöpf, aber je mehr sie sprach, umso weniger Sinn ergaben ihre Worte. Er trank noch einmal aus der Flasche und stellte sie auf den Boden.

»Also reden wir nicht länger um die Sache herum«, sagte er entschlossen. »Ich weiß nicht, was Sie im Sinne haben. Es ist mir auch gleichgültig. Nur eines ist sicher: Morgen früh werde ich erschossen.« Er zog das Mädchen an sich und streichelte es. Dabei spürte er, dass ihr Herz so wild schlug wie sein eigenes. »Na, los«, wiederholte er heiser. »Was haben Sie mir zu sagen? Warum besuchen Sie mich jetzt im letzten Augenblick?«

Ihre Stimme war kaum hörbar. »Gefalle ich Ihnen?«

»Sehr gut.«

Sie schmiegte sich enger an ihn. »Warum zeigen Sie es mir dann nicht?« Ihre Stimme war jetzt ein fast unhörbares Flüstern. »Bitte zeigen Sie mir, dass Sie mich lieben.«

»Wissen Sie, was Sie da sagen?«, fragte Royal heiser.

Sie nickte nur. Alles andere war mit einem Mal unwichtig für Royal. Er lebte – er hatte dieses Mädchen in den Armen – und sie wollte seine Geliebte sein. Warum nicht? Er küsste sie, und der leidenschaftliche Druck ihrer Lippen zeigte ihm, dass sie ihn ebenso begehrte wie er sie.

Die nächste Stunde verging für Royal wie ein Traumerlebnis, auf das er nie mehr zu hoffen gewagt hatte. Als er dann wieder etwas zur Besinnung kam, sah er die großen, schwarzen Mädchenaugen dicht vor sich. Unlogischerweise schämte er sich mit einem Mal.

»Es tut mir leid, Catana. Aber du hättest nicht herkommen sollen, dann wäre das nicht passiert. Nach all der Zeit im Gefängnis konntest du nicht von mir verlangen, dass ich mich wie ein Gentleman benehme.«

Sie berührte seine Wange mit den Fingerspitzen. »Habe ich dich glücklich gemacht?«

»Du weißt das gut genug.«

Ihre Finger streichelten weiter über seine Wange. »Dann bin ich froh.« Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Bitte, hör mir jetzt zu und glaube mir. Vielleicht wirst du morgen früh nicht erschossen. Viel Geld hat den Besitzer gewechselt, und es sind bestimmte Vereinbarungen getroffen worden.«

»Mit wem?«, fragte Royal.

»Mit Hauptmann Dijon, dem augenblicklichen Gefängniskommandanten.«

Royal überlegte. Es war durchaus möglich, dass ein ehemaliger Fremdenlegionär mit dunkler Vergangenheit für Bestechungsgelder zugänglich sein würde.

»Was für eine Vereinbarung?«, fragte er.

»Morgen früh in der Dämmerung wirst du aus dieser Zelle geholt und an die Außenmauer des Gefängnisses gebracht werden«, erklärte Catana. »Hauptmann Dijon wird das Hinrichtungskommando anführen. Er wird den Befehl erteilen, und die Männer werden schießen. Wenn sie es tun, wirst du zu Boden fallen, aber du wirst unverletzt sein.«

»Die Soldaten schießen mit Platzpatronen?«

»Das weiß ich nicht. Die Einzelheiten hat man mir nicht anvertraut, aber du musst ganz still liegen.«

»Und dann?«

»Dijon wird so tun, als gäbe er dir den Gnadenschuss. Wenn er dann die Männer durch das Haupttor des Gefängnisses zurückführt und der Morgennebel noch über dem Boden liegt, musst du zu einer Gruppe von Bäumen am anderen Ende des Exerzierplatzes laufen, wo Pferde und eine bewaffnete Eskorte warten.«

Royal war skeptisch. »Ich will nicht behaupten, dass es nicht möglich wäre, aber eine Tatsache lässt sich nicht übersehen: Keiner in den Vereinigten Staaten und ganz bestimmt keiner in diesem Land will mich so unbedingt am Leben erhalten, dass er die dazu erforderliche Summe ausgeben würde.«

Catana verschloss seine Lippen mit einem Kuss. »Vertrau mir. Glaube mir.«

Lange nachdem das Hornsignal die Besuchsstunde beendet und die lange Reihe von Frauen und Geliebten sich den steilen Pfad nach San Rosario hinunterbewegt hatte, konnte Royal die Geschehnisse noch immer nicht ganz begreifen. Wie nach dem Erwachen aus einem sehr schönen Traum saß er enttäuscht und ernüchtert auf seiner Pritsche und starrte auf die kahle Zellenwand.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Die vom Meer hereinziehenden Nebelschwaden hüllten den Gefängnishof in grauen Dunst. Der frühe Morgen war kühl, fast kalt. Die einzigen Laute waren die Marschschritte des Hinrichtungskommandos und der gedämpfte Trommelwirbel.

Es war ein unheimliches Gefühl, so zum Erschießen hinausgeführt zu werden. Royal versuchte, Dijons Gesicht zu erkennen, aber es war unmöglich. Der Nebel war zu dicht.

Jetzt lag das Haupttor hinter ihm. Trommelwirbel und Marschschritte gingen weiter. Erst als sie die Nordwestecke des Exerzierplatzes erreicht hatten, gab Hauptmann Dijon den Befehl zum Halten.

Das Benehmen des Franzosen war von spöttischer Höflichkeit, als er Royal die wenigen Schritte zu der von Kugeleinschlägen zernarbten Außenmauer führte. »Eine schwere Stunde für Sie, Major. Kann ich noch irgendetwas für Sie tun? Möchten Sie vielleicht einen Zigarillo? Oder eine Binde vor die Augen?«

Royal musterte sein Gesicht. »Nein, vielen Dank.«

Der Franzose zuckte mit den Schultern. »Es ist Ihre Totenfeier.«

Er machte kehrt und schritt zu der Linie von Männern zurück. Dann erteilte er auf Spanisch einen scharfen Befehl, und es war zu hören, wie die Gewehre durchgeladen wurden.

Royal zwang sich dazu, gerade dazustehen. Der Nebel war noch so dicht, dass er die sechs Soldaten kaum sehen konnte. Aber er hörte deutlich Dijons Kommando. »Anlegen! – Zielen! – Feuer!«

Die Salve übertönte den Trommelwirbel. Royal fühlte die Treffer gegen seinen Körper schlagen und wurde halb herumgewirbelt. Er brauchte gar nicht so zu tun, als fiele er hin.

Catana hat gelogen, dachte er einen Moment lang, aber dann spürte er, dass er immer noch bei Bewusstsein war. Er lag am Boden und sah zwei blank polierte Stiefel aus dem Nebel tauchen und dicht vor seinem Kopf stehenbleiben. Der Lauf eines Revolvers wurde gegen sein Ohr gepresst.

Er spürte, wie Dijon sich über ihn beugte. »Nicht schlecht, wie, Major?«, flüsterte er auf Englisch. »Wenn ich jetzt das Kommando zum Gefängnis zurückführe, springen Sie auf und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Gunard R. Hjertstedt/Signum-Verlag. Published by arrangement with the Estate of Gunard R. Hjertstedt.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Werner Gronwald (OT: Guns Along The Brazos).
Satz: Signum-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2023
ISBN: 978-3-7554-3012-4

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /