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Leseprobe

 

 

 

 

MAX ULRICH

 

 

RAUB IN DER MÜNCHNER LOMBARD-BANK

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

RAUB IN DER MÜNCHNER LOMBARD-BANK 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Das Buch

 

Schlurfende Schritte näherten sich. Der Geldbote der Münchner Lombard-Bank!

An jedem Monatsletzten nimmt er denselben Weg durch einen Verbindungsgang... vorbei an einer Tür... mit 96.000 DM für Gehaltszahlungen!

Das kann nicht gutgehen. Zwei Männer bleiben auf der Strecke...

Hat der Freund der schönen Dora die Hände im Spiel?

 

Der Roman Raub in der Münchner Lombard-Bank des deutschen Kriminalschriftstellers Max Ulrich (* 6. März 1923 in München; † 21. November 1994 ebenda) erschien erstmals im Jahr 1965 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.  

  RAUB IN DER MÜNCHNER LOMBARD-BANK

 

 

 

 

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Inspektor Amberg: Kriminalbeamter. 

Dr. Plaut: Direktor der Lombard-Bank. 

Alfons Lenk: Bankangestellter. 

Aloys Fichtl: Chauffeur. 

Max Freisker: Bankbote. 

Gregorius Perkogel: Bankangestellter. 

Gerda Körber: Bankangestellte. 

Dora Ellwang: Bildhauerin. 

Oskar Engerer, Eduard Bodstein: beides Studenten. 

 

 

Dieser Roman spielt in München.

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Direktor Plaut von der Lombard-Bank in München, Volljurist und doctor utrimque, ist Vorstandsmitglied sowie Finanz- und Personalchef. Seine monatlichen Einkünfte belaufen sich auf zirka sechstausend Mark, Gewinnbeteiligung und Rückstellungen für den Pensionsfonds nicht mitgerechnet. Er ist ein Meter achtzig groß, achtundfünfzig Jahre alt und von einer breiten, ungeschlachten Wohlbeleibtheit, die sich aber bei seiner Größe nicht nachteilig ausnimmt. Sein weißes Haar ist dicht und kurzgeschnitten. Die Zähne sind gelb und noch nicht auswechselbar.

Das mittlere Bankmanagement fürchtet ihn wegen seiner Härte, mit der er Termine durchzudrücken weiß, und wegen seines kehligen Pathos, das unbezahlte Überstunden zu selbstverständlichen Bagatellen schrumpfen lässt. Die Vorstandskollegen bewundern seine Energie und die Fähigkeit, gemeinsame Beschlüsse durch vorherige Massage der Stimmberechtigten stets zu seinen Gunsten oder wenigstens in seinem Sinne ausfallen zu lassen. Der Vorstands Vorsitzende Steinebach ist der einzige im Hause, der ihm manchmal Widerstand zu leisten vermag.

Am Morgen des 30. Juni – es ist ein Freitag – betritt Direktor Plaut das modern eingerichtete Büro des Vorstandsvorsitzenden. Der Grund für diesen seltenen Besuch muss ziemlich wichtig sein, weil Plaut auf eine telefonische Anmeldung verzichtet und die beschwörenden Hände der Vorzimmerdame ignoriert hat. Vor allem lässt sein Gesicht die wohltrainierte Jovialität vermissen, die er gewöhnlich für Gleichgestellte und den primus inter pares bereithält.

»Guten Morgen, Herr Steinebach. Entschuldigen Sie den Überfall, und behalten Sie bitte Platz.«

»Nicht wiederzuerkennen, Herr Plaut. Sie haben wohl eine Frischzellenkur hinter sich, dass Sie hier so hereinstürmen.« Steinebach gibt seinem Kollegen die Hand und deutet auf einen

Sessel vor seinem Schreibtisch. Seine Stimme knarzt wie trockenes Leder und erinnert entfernt an einen Ziegenbock. Sonst ist der Mann nichts wie alt. Plaut bleibt stehen und sagt: »Lassen Sie mich erst einmal zu Wort kommen, dann rühren Sie Ihre Anregungsmittel vier Wochen nicht mehr an.«

»Sie machen mich direkt neugierig, Herr Plaut. Brauereiaktien werden doch nicht gefallen sein?«

»Das nicht, aber man hat uns soeben hunderttausend Mark geklaut!«

»Was? Hat Virch & Co, Konkurs angemeldet? Dann hängen wir mit mehr drin.«

»Nichts da, Virch & Co. Hier in der Bank! Man hat uns überfallen. In fünf Minuten ist die Polizei da.«

»Aber Herr Plaut! Das gibt es doch nicht. Bei unserer Sicherungsanlage.«

»Wenn ich es Ihnen sage! Der alte Freisker und Ihr Fahrer Fichtl liegen zusammengeschlagen unten in der Herrentoilette. Sechsundneunzigtausend Mark Löhne und Gehälter sind beim Teufel. Von den Tätern keine Spur. Ich komme gerade von unten. Kriminalpolizei und Sanitäter sind benachrichtigt.«

»Wie konnte denn das passieren? Hier kommt doch niemand ungesehen herein. Oder sollte es jemand von unserem Personal sein? Wir müssen alles absperren, damit niemand hinauskann.«

»Heute ist Auszahlungstag. Freisker holt immer die Kuverts mit den Gehältern bei mir im Vorzimmer ab und trägt sie zu den einzelnen Abteilungen. Bevor er im Effektenbüro ankam, muss man ihn überfallen und in die Toilette gezerrt haben.«

»Ja, aber Fichtl? Was hat er damit zu tun?«

»Das weiß ich auch noch nicht. Vielleicht hat er die Täter überrascht. Von den beiden ist bis jetzt keiner bei Bewusstsein.«

»Wird das ein Geschrei bei den Aktionären geben! Wir werden uns schwertun, Ihre archaische Gehaltszahlungsmethode dem Aufsichtsrat plausibel zu machen.«

»Archaisch? Vielleicht. Aber auch altbewährt. Hundertfünfzehn Jahre ist nichts passiert, Herr Steinebach.«

»Natürlich, Herr Plaut. Ich bin weit davon entfernt, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Aber ich will ja auch nicht auf meinen Sessel. Ich sitze bereits darauf. Sie wollen doch! Für Ihre bisher so ungefährdete Anwartschaft sehe ich jetzt schwarz. Die Versicherung wird sich ganz sicher drücken wollen, wenn sie die näheren Umstände erfährt. Und wenn wir dann bis zur Hauptversammlung das Geld nicht wiederhaben, wird man Sie zum Sündenbock machen. Das ist immer so. Und das wissen Sie auch, dass ein nochmaliger Wechsel auf dem Vorsitzerstuhl bis zu Ihrer Pensionierung nicht mehr zur Debatte steht. Dann sitzt nämlich Kälterer darauf, und der ist drei Jahre jünger als Sie. Ihr Pech, dass meine Zeit gerade jetzt abgelaufen ist.«

»Ich bin sicher, dass wir das Geld bis dahin herbeigeschafft haben.«

»Sollte das nicht der Fall sein, Herr Plaut, werden Sie gut daran tun, sich mit bewährtem Verhandlungsgeschick für die Verlängerung meiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender um mindestens drei Jahre einzusetzen. Danach wird dann wohl Gras über den Geschäftsverlust gewachsen sein.«

Plaut bekommt einen roten Hals vor unterdrücktem Ärger. Drei Jahre – das könnte dir so passen, denkt er. Schon fünf Jahre überfällig und sich immer noch am Polster festkrallen! Aber nicht bei mir, mein Lieber. Die Torpedos sind schon abgeschossen, die dich zu deiner wohlverdienten Ruhe befördern. Plauts Gedanken sind nicht die sanftesten, als er seinem Kollegen antwortet: »Lieber Kollege Steinebach, so etwas würde ich Ihnen nicht antun, selbst wenn man uns um die zehnfache Summe erleichtert hätte. Jahr für Jahr quälen Sie sich nun mit der ganzen Schwere der Verantwortung herum. Wenn jemand seine Ruhe verdient hat, dann sind Sie es. Und ich werde nichts unversucht lassen, damit Sie Ihre Pension noch ein paar Jährchen genießen können. Zum Opferbringen sind wir Jungen da.« Hinter Plauts gelben Pferdezähnen quillt der blanke Hohn hervor. Aber Steinebach ist durch jahrelange Zusammenarbeit auf seinen Kollegen geeicht.

»He, he, wir Jungen! Fünfundzwanzig Jahre haben Sie gebraucht, um in den Vorstand zu kommen. Und das ist schon fünf Jahre her. Ihre Parole von den Jungen, die noch ihre ganze Energie in die Waagschale zu werfen hätten, das war einmal ganz nett, als Sie noch vierzig waren. Aber heute stehen Sie selber schon als alter Knacker unter Beschuss. Das wissen Sie auch ganz genau. Wer hat den forschen Hubertus rausgebissen, nur weil er in den Vorstand wollte und die Sklavenarbeit für Sie satthatte. Das war doch einer von Ihren Jungen! Nein, nein, mein lieber Plaut. Am besten stecken Sie Ihre Ambitionen auf den Vorsitzerstuhl noch um drei Jahre zurück.«

»Wenn Sie gesagt hätten, ein Jahr, hätten wir vielleicht zusammenkommen können. Aber auch nur nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten. Ich werde erst einmal zehntausend Mark als Belohnung für die Wiederbeschaffung des geraubten Geldes aussetzen.«

»Dem werde ich mich schärfstens widersetzen, Herr Plaut.«

»Dass Ihnen der Geschäftsverlust gelegen kommt, will ich ja nicht bezweifeln. Aber dass Sie das offen zeigen, grenzt an bodenlosen Zynismus. Die Vorstandskollegen werden darüber ein Wort mitzureden haben.«

»Langsam, langsam, Herr Plaut. Ehe wir uns auf unsere alten Tage gegenseitig ärgern – hier mein Vorschlag: Die Bank verspricht eine Belohnung von fünftausend Mark für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen. Fünftausend Mark sind auch ganz schön. Außerdem können wir den Überfall auf unsere Angestellten und den Verlust des Geldes nicht getrennt behandeln. Sonst schreiben morgen die Zeitungen, dass wir nur auf unser Geld erpicht seien, während es uns egal sei, ob man unsere Leute massakriert.«

»So ungern ich es zugebe, Herr Steinebach, Ihr Vorschlag ist der bessere.«

»Na, sehen Sie. Aber nützen wird er doch nichts. Wie Sie mir die Sache geschildert haben, fürchte ich, dass hier Intelligenz-Verbrecher am Werk waren.«

»Dann kann es keiner vom Personal gewesen sein. Unsere Intelligenzler sind an einer Hand herzuzählen. Dazu würde ein Mann wie Fichtl jeden von ihnen mit dem kleinen Finger erledigen.«

»Haben Sie den Eindruck, dass die beiden schwer verletzt sind, Herr Plaut?«

»Bei Kopfverletzungen ist das nicht einfach festzustellen. Freiskers Wunde sieht jedenfalls bös aus.«

»Ist Ihnen schon klar geworden, dass der Fall auch eine soziale Seite hat? Fichtl hatte mich vor einiger Zeit im Wagen auf ein Darlehen hin angesprochen. Ich hatte ihm gesagt, er solle gefälligst den Dienstweg einhalten und sich an Sie wenden. Wir werden es ihm wohl bewilligen müssen, nachdem er jetzt für die Bank den Kopf hingehalten hat.«

»Der Meinung bin ich auch, Herr Steinebach. Hoffentlich werden die Schadenersatzansprüche nicht zu hoch.«

»Im Falle Freisker bestimmt nicht. Bei seinem Alter fiele selbst eine Rente nicht sehr ins Gewicht. Und bei Fichtl vertraue ich auf seinen Quadratschädel.«

Ein leises Summen auf dem Schreibtisch und das Aufleuchten einer kleinen Signallampe an der Sprechanlage zeigen an, dass die Sekretärin im Vorzimmer etwas mitzuteilen hat. Steinebach drückt eine Taste und fragt: »Ja bitte?«

»Herr Direktor, Herr Inspektor Amberg von der Kriminalpolizei möchte Herrn Doktor Plaut sprechen.«

»Lassen Sie ihn bitte hereinkommen.«

Die Tür des Vorzimmers öffnet sich, und ein breitschultriger, mittelgroßer Mann von vielleicht fünfundvierzig Jahren betritt mit festen Schritten das Zimmer. Er hat rotblondes Haar, das in der Mitte nur noch spärlich steht. Die rechteckige Nase sieht aus, als stammte sie aus einer Stellmacherei. Die rote Gesichtsfarbe kündet von gutem Essen, vollen Krügen und künftigen Schlaganfällen. Er geht auf Steinebach zu, der sich aus seinem Sessel erhoben hat, und drückt ihm die entgegengehaltene Hand,

»Amberg.«

»Steinebach. Das ist mein Kollege, Herr Doktor Plaut.«

Amberg macht eine Verbeugung in Richtung Plaut und fragt: »Bevor ich mir den Tatort ansehe, möchte ich wissen, ob Sie mir irgendwelche Hinweise geben können, die ein bisschen Licht in die Sache bringen. Nach Ihrem Bericht – ich glaube, ich habe mit Ihnen gesprochen, Herr Doktor Plaut – wurden zwei Männer ohne Bewusstsein in einem Toilettenraum gefunden, von denen der eine kurz vorher hunderttausend Mark bei sich trug. Haben Sie einen Verdacht, wer die Tat ausgeführt haben könnte oder damit in Zusammenhang steht? Vielleicht ein Angehöriger Ihres Hauses?«

»Nein, Herr Amberg«, übernimmt Plaut die Verhandlung, »Sie können von uns jede Unterstützung erwarten, aber die Täter müssen Sie schon selber finden. Mit dem Personal eines so alteingesessenen Bankhauses hat es seine eigene Bewandtnis. Das sind nicht irgendwelche Leute, die man aus dem Anzeigenteil einer Zeitung zusammenklaubt. Hier ist jeder vertrauenswürdig. Schon die Eltern oder die nächsten Verwandten unseres jetzigen Personalbestandes haben für unser Haus gearbeitet. Wenn wirklich mal ein ganz neuer eingestellt wird, ist er uns von mehreren Seiten als in jeder Hinsicht zuverlässig empfehlen.«

»Nun, meine Herren, das alles werden die weiteren Untersuchungen bestätigen oder widerlegen. Wie kommt es, dass bei Ihnen ein Mann mit hunderttausend Mark aufs Klosett geht?«

»Er war auf dem Weg ins Effektenbüro. Heute werden die Gehälter ausbezahlt. Freisker ist einer unserer Bankboten. Er verteilt die Kuverts mit den Monatsgehältern auf die einzelnen Büros.«

»Nanu? Wir lassen uns die Gehälter immer auf Bankkonten überweisen. Sind die Bankbeamten schlauer?«

»Zweifellos wäre das auch für Bankbeamte zu empfehlen. Aber was sollen wir machen? Zu Konkurrenzunternehmen gehen – loyale Angestellte nur ungern. Und den lieben Kollegen von der eigenen Kontenabteilung gewährt man nicht gern Einblick in sein Allerheiligstes.«

»Ja, Sie haben recht. Als Außenstehender erkennt man das nicht gleich. Und der andere Mann? War das so eine Art Begleitmannschaft oder Beschützer?«

»Leider nein. Er ist Herrn Steinebachs Chauffeur, und wir nehmen an, dass er die Täter überrascht hat und deshalb auch was abbekam.«

»Dann möchte ich mir jetzt gleich die Stelle ansehen, wo es passiert ist.«

»Ich werde Sie begleiten«, sagt Direktor Plaut.

»Auf Wiedersehen, meine Herren, und berichten Sie mir, falls Sie etwas feststellen sollten.« Steinebach winkt den beiden Männern zu, die sein Büro nicht durch das Vorzimmer, sondern durch die Tür, die auf den teppichbelegten Korridor führt, verlassen.

Plaut dirigiert Amberg zu einem Lift, mit dem sie ins Parterre fahren. In der Halle schließen sich ihnen mehrere Männer in unauffälligem Habitus an.

»Diese Herren gehören zu mir«, sagt Amberg. Sie gehen einen schmalen Gang entlang, der von Bankkunden nicht betreten werden kann, weil man dazu in der Schalterhalle eine Holzbarriere passieren muss. Hier liegen auch keine Teppiche mehr. Die Wände sind auf beiden Seiten mit Spinden verstellt. Die Männer biegen um eine Ecke und sehen sich mehreren Bankangestellten gegenüber, die um einige Stühle herumstehen.

Es sind sechs einfache Bürostühle aus Holz, die zu je dreien so zusammen gestellt sind, dass ein Mensch sich darauf ausstrecken kann. Man hat die beiden Opfer des Raubüberfalls daraufgelegt. Sie rühren sich nicht und halten ihre Augen geschlossen. Mitleidige Buchhalterinnen haben jedem von ihnen einen Aktenordner unter den Kopf geschoben. Die Mienen der Umstehenden zeigen den vorgetäuschten Ernst, den alle Sensationsgierigen für erforderlich halten. Folgerichtig wird auch nur leise gesprochen. Beim Näherkommen Plauts spielt sich auf ihren Gesichtern ein Kampf ab. Davonlaufen wäre das Nächstliegende. Aber was man da alles versäumt?!

»Der sicherste Weg, die heutigen Verluste in Grenzen zu halten, wird sein, dass Sie diese Leute wieder an ihre Arbeit schicken«, sagt Amberg zu Plaut.

»Ich glaube nicht, dass wir Ihre Dienste hier brauchen«, wendet sich dieser umgehend an seine Untergebenen. »Sie, Lenk, bleiben einmal hier.«

»Moment noch«, sagt Amberg, »hat einer der beiden Verletzten etwas gesprochen?«

Eine der Damen sagt: »Freisker hat mehrmals gemurmelt: Jacke, braune Jacke, so wie man im Schlaf spricht.«

»Danke«, sagt Amberg, »das wär’s im Augenblick.«

Die beiden Damen mittleren Alters und die drei jungen Männer verschwinden in einem nahegelegenen Büroraum, durch dessen offene Tür Amberg ein solches Gewirr von Schränken und Schreibtischen sieht, dass er sich unwillkürlich überlegt, wo da die fünf Menschen noch Platz finden.

»Was ist mit dem da?«, fragt er Plaut und zeigt auf einen jungen Mann mit glattem, dunklem Haar.

»Das ist Herr Lenk. Er hat die beiden gefunden.« Plaut klopft dem jungen Mann aufmunternd auf die Schulter, weil er so grün im Gesicht ist.

Alfons Lenk ist vierundzwanzig Jahre alt. Ein Meter fünfundachtzig groß, überragt er Amberg fast um einen Kopf. Die Schultern sind breit, hängen aber etwas nach vorn. Lenk trägt einen dunkelgrauen Schneideranzug, der zweifellos ein Monatsgehalt gekostet hat. Auch seine sauber geputzten Schuhe und das weiße Hemd zeigen, dass er auf gutes Aussehen Wert legt. Das schmale Gesicht verrät Intelligenz, wenn es im Augenblick auch etwas verstört wirkt. Direktor Plaut hält große Stücke auf ihn, was er allerdings zu verbergen weiß, um Forderungen nach Gehaltserhöhung aus dem Wege zu gehen. Seit einem Jahr schleust er Lenk durch alle Abteilungen der Bank, um ihn bei Gelegenheit als Direktionsassistent verwenden zu können.

»Mit wem ist denn der verwandt?«, fragt Amberg. Plaut schaut ihn verständnislos an. »Nun, Sie haben doch gesagt, dass bei Ihnen alles verwandt oder verschwägert ist.«

»Ach so, daran habe ich gar nicht gedacht. Fichtl ist Ihr Onkel, nicht wahr, Herr Lenk?«

»Ja, Herr Direktor.«

»Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Es wird schon alles wieder gut mit ihm werden.«

Inspektor Amberg tritt an die Stühle heran und betrachtet die beiden Männer, die regungslos darauf liegen. Freisker ist ein grauhaariger Mann, der kurz vor seiner Pensionierung stehen muss. Sein Gesicht ist eingefallen und weist um Mund und Nase die tiefen Falten von Magenkranken auf. Er trägt zweierlei Schuhe. Es sind schwarze Schnürstiefel, von denen der eine mit dickerer Sohle und einem höheren Absatz versehen ist. Er muss hinken, denkt Amberg. Man hat dem Mann die Jacke ausgezogen und unter das Genick geschoben, damit der Hinterkopf nicht auf dem Aktenordner liegt. Ober dem Haarwirbel erhebt sich eine gewaltige Beule, die über und über mit Blut verkrustet ist.

Der andere Mann, der Chauffeur Fichtl, ist ein Hüne. Seine Füße stecken in Schaftstiefeln und hängen ein ganzes Stück über den untersten Stuhl hinweg in der Luft. Neben ihm auf dem Boden liegt eine Schirmmütze. Auf dem Revers seiner Jacke ist ein großer Blutfleck. Ihn muss der Schlag von vorn erwischt haben. Über der rechten Augenbraue, kurz unter dem Haaransatz, ist die Haut etwas aufgeplatzt. In dem dichten roten Haar darüber sieht man deutlich eine Wölbung.

»Ist ein Krankenwagen bestellt?«, fragt Inspektor Amberg.

»Ja«, sagt Plaut. »Ich weiß auch nicht, warum die noch nicht hier sind. Vielleicht hat es eine Verkehrsstockung gegeben.«

»Wann haben Sie die Leute gefunden?« Amberg wendet sich an Alfons Lenk.

Dieser fährt zusammen, nimmt die rechte Hand aus der Hosentasche und stottert: »Ja... das war so... ja... ich kam gerade hier entlang... und da wollte ich...«

»Ich meine, wissen Sie die Uhrzeit?«

»Ja. Es war ungefähr Viertel vor elf.«

»Zeigen Sie uns mal genau, wie die beiden lagen, als Sie kamen.«

»Hier drin waren sie«, sagt der junge Mann und hält hinter seinem Rücken die Tür zu einer Herrentoilette auf, die aus einem Vorraum mit Waschbecken und einem dahinter liegenden Toilettenraum mit drei Kabinen besteht. Amberg geht durch beide Räume hindurch zu einem Fenster mit Mattglasscheiben und öffnet es. Er sieht durch ein schweres Eisengitter in einen langgestreckten Hof mit zwei Ahornbäumen.

»Jetzt, Herr Lenk, legen Sie sich bitte nacheinander so hin, wie die beiden gelegen haben«, sagt Amberg. »Wenn Sie Angst haben, Ihre Kleider schmutzig zu machen, schieben Sie meine Jacke unter.« Er fängt an, seinen Rock auszuziehen, und zwar ziemlich umständlich in der Hoffnung, dass der junge Mann darauf verzichtet. Doch dieser steht abwartend vor ihm, nimmt die Jacke ohne viel Federlesens entgegen und verschwindet damit in der ersten der drei Kabinen. Der Inspektor ist ihm gefolgt und kann gerade noch »Halt! Halt!« rufen, wie er sieht, dass seine Jacke zur Trockenlegung einer Lache vor der Klosettschüssel benutzt werden soll.

»Ich glaube, wir begnügen uns damit, dass Sie uns erklären, wie Sie sie gefunden haben.« Amberg greift schnell nach seinem Rock und zieht ihn wieder an.

»Herr Freisker lag hier drin. Das heißt, er saß. Mit dem Rücken lehnte er am Klosett. Sein Kopf hing vornüber. Der Holzkasten lag dort, wo er jetzt ist. Ich habe ihn nicht angerührt.« Lenk zeigt auf einen länglichen Kasten, der umgestülpt auf dem Boden liegt.

Plaut, der hinter ihm steht, sagt: »Den muss er unter dem Arm getragen haben. Darin werden jeden Monat die Gehälter von Büro zu Büro gebracht.«

»Und der andere? Wo lag der?«, fragt Amberg wieder den jungen Mann.

»Mein Onkel? Hier, vor der Kabine. Er lag auf dem Rücken, mit dem Kopf dort an der Wand.«

»War die Tür der Kabine, in der Freisker lag, offen oder geschlossen?«

»Sie stand offen.«

»Nun, dann wird es so gewesen sein: Der Täter kennt das Haus und weiß über die Art der Gehaltsauszahlung Bescheid. Er hat sich heute Vormittag hier in der Toilette versteckt. Freisker kommt den Gang entlang. Der Täter passt ihn ab und schlägt ihn von hinten nieder. Er zieht ihn hier in den Lokus, um in aller Ruhe den Kasten ausleeren zu können. Dabei wird er überrascht. Fichtl ist wahrscheinlich zufällig in die Toilette gekommen. Dabei wird ihm irgendetwas aufgefallen sein. Vielleicht hat der Alte gestöhnt. Fichtl rüttelt an der Kabinentür. Sie ist verschlossen. Er klettert daran hoch, um von oben hineinzuschauen. Der Täter drinnen sieht seine Hände, die sich über die Türkante legen, steigt schnell auf die Klosettbrille und schlägt zu. – So könnte es gewesen sein.« Amberg hat wie zu sich selber gesprochen. Sein Gefolge, das aus drei Männern besteht, hat sich ebenfalls in den Toilettenraum gedrängt und hört ihm andächtig zu. Amberg sieht plötzlich auf und stellt fest, dass noch ein vierter Mann, den er nicht kennt, ebenfalls seinen Worten lauscht.

»Wer ist dieser Mann?«, fragt er Plaut.

»Ich denke, der gehört zu Ihnen.«

»Nein. Wer sind Sie?«, wendet der Inspektor sich jetzt an den Unbekannten.

»Oh, guten Tag, Herr Amberg. Ich heiße Landmayr.« Er ist ein jüngerer Mann mit Bürstenhaarschnitt und vorwitziger Stupsnase. Er hält eine leere Tabakspfeife in der Hand, mit deren Stiel er beim Reden herumdeutet.

»Fein, und was machen Sie hier?«

»Ich lasse mir eben Ihre Theorie durch den Kopf gehen. Wenn sich alles so zugetragen hat, wie Sie sagen, sollte man vielleicht darauf achten, eventuelle Fußspuren zu sichern. Was meinen Sie?«

»Ich meine, dass Sie vergessen haben, mir zu sagen, weshalb Sie hier sind.«

»Bestimmt nicht mit Absicht, Herr Amberg, bestimmt nicht. Ich bin der neue Kriminalreporter vom Mittagsblatt.«

»Das hat mir noch gefehlt! Wie haben Sie denn hierhergefunden?«

»Das war ganz einfach. Ich bin Ihnen immer nachgefahren. Ich habe meinen Stammplatz in der Löwengrube, gegenüber der Ausfahrt vom Präsidium. Wenn ich da jemand schnell herauskommen sehe, fahre ich einfach hinterher.«

»Und wie sind Sie in die Bank gekommen?«

»Nun, durchs Portal. Ich habe mich dann Ihren Herren zugesellt.«

»Ja, das stimmt«, sagt einer von Ambergs Leuten, »wir dachten, er sei ein Bankangestellter.«

»So, dann mal alle raus. Und Sie, meine Herren, sehen sich hier ein bisschen um. Den Kasten bringen Sie mit ins Präsidium. Ich bin in der nächsten halben Stunde bei Herrn Doktor Plaut zu erreichen. Sie kommen auch mit uns, Herr Lenk. Und Sie, Herr Kriminalreporter, werden wohl bei Ihrer Zeitung zu tun haben.«

»Eine Frage habe ich noch, Herr Inspektor. Wieviel Geld genau ist geraubt worden?«

»Das müssen Sie Herrn Doktor Plaut fragen.«

»Es sind sechsundneunzigtausend und etwas. Aber wollen Sie das denn alles schreiben?«

»Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information, Herr Direktor.«

»Den Quatsch verzapfen Sie mal jemand anderem.«

»Die Veröffentlichungen in der Presse haben aber schon oft zur Aufklärung von Verbrechen beigetragen.«

»Das geht mir schon eher ein. Dann machen Sie man los, Herr Landmayr, und schaffen Sie uns die Täter herbei.«

»Sie sagen, die Täter, Herr Doktor Plaut. Herr Amberg sprach nur von einem.«

»Der weiß auch nicht mehr als ich. Sie können noch dazuschreiben, dass die Bank fünftausend Mark demjenigen zahlt, der Hinweise geben kann, die zur Ergreifung der Täter führen. Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, Herr Direktor.«

Amberg schaut noch einmal nach den Verletzten. Am Ende des Gangs tauchen vier Sanitäter mit zwei Tragbahren auf.

»Wo fahren Sie sie hin?«, fragt der Inspektor, als die vier heran sind.

»In die Klauser’sche Klinik.«

»Danke«, sagt Amberg und gellt mit Plaut und Lenk den Flur zurück. An der ersten Biegung begegnen sie einer jungen Dame mit ernsten, grauen Augen. Sie grüßt und geht vorbei.

»Guten Tag, Fräulein Korber«, beantwortet Plaut den Gruß and dreht sich nach ihr um.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Gregorius Perkogel steht hinter seinem Schalter in der Halle der Lombard-Bank und bündelt Geldscheine. Mehr als neun Scheine von jeder Sorte kann er nicht lose in seiner Kasse herumliegen sehen. Das macht ihn nervös wie Löcher in den Strümpfen oder schmutzige Unterwäsche. Wie er immer darauf vorbereitet ist, einen Verkehrsunfall, beziehungsweise die anschließende Entkleidung im Krankenhaus in Anstand und Würde zu überstehen, so muss auch seine Kasse jeder unvorhergesehenen Revision standhalten können.

Er ist fünfundvierzig Jahre alt, hat sanftes, braunes Haar, das aber an mehreren Stellen schon recht kopfscheinig ist, und eine gerade, schmale Nase, wie gemacht für die nüchterne Goldrandbrille, hinter der müde Augen mit grüner Iris und gelblichen Augäpfeln hervorsehen; Die Abwesenheit während des Krieges mitgerechnet, ist Perkogel bereits im siebenundzwanzigsten Jahr bei der Lombard-Bank beschäftigt. Davon die letzten fünfzehn Jahre auf seinem jetzigen Arbeitsplatz. Auch seine Frau hat er m der Bank kennengelernt. Sie saß in der Hypothekenabteilung und errechnete Annuitäten, bis die Kinder kamen. Sie sind als einzige nie mit der Bank in Berührung gekommen und sollen es auch weiterhin nicht. Sie sollen es einmal besser haben. Sie sollen studieren. Nicht, dass Perkogel mit seiner Tätigkeit unzufrieden wäre. Nein, er hat sich im Laufe der Jahre mit seinem mittelmäßigen Gehalt abgefunden und mit der Tatsache, dass es bis zur Pensionierung nicht mehr wesentlich ansteigt. Aber er gehört ja auch zu den Sanften. Er braucht Geborgenheit, Sicherheit, einen ruhigen Arbeitsplatz mit gepflegtem Umgangston und nach außen hin die Gediegenheit der Branche. Seine beiden Söhne, ja – das sind Erfolgsmenschen, selbst wenn sie keine Einser aus der Schule mit heimbringen. Die setzen sich durch. Bei den Eltern und bei den Lehrern. Die werden sich ihr Leben anders einrichten als die Alten. Die wissen genau, worauf es ankommt. Geld – und mit dem Geld nach oben. Und wie das gemacht wird, dafür haben sie schon eine Menge Rezepte. Vor allem, bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr nicht länger als zwei Jahre bei der gleichen Firma arbeiten. Und bei jedem Stellungswechsel muss das Gehalt um zwanzig Prozent steigen, sonst hätte die Vollbeschäftigung ja keinen Vorteil für die Arbeitnehmer. Perkogel wird es jedes Mal schwindelig, wenn er sich ausrechnet, was sein Ältester, der kurz vor dem Abitur steht, in seinem Alter verdienen wird. Man müsste auch so sein wie die Jungen.

Er seufzt und macht die Glasflügel seines Schalters auf. Draußen hat jemand mit den Fingernägeln dagegen getrommelt. Das ist Linsenspring.

»Wenn das Geld nicht sicher versteckt wird, ist der Plan nicht bis zum Ende durchführbar«, flüstert dieser und kneift ein Auge zu. »Mein Bruder hat eine ganz einfache Idee gehabt.«

Xaver Linsenspring ist ein Fünfziger mit verwachsener Schulter. Die Augen stehen etwas zu nah beieinander, und die Augenbrauen stoßen über der Nasenwurzel zusammen. Die knorpeligen Ohren stehen weit vom Kopf ab. Er ist nicht schön, aber in der Bank findet man, dass er nützlich ist. Er ist Bote und tut das, was man ihm sagt. Wenn er darüber mault, dann nur in einer Entfernung, in der man ihn nicht mehr versteht.

»Das Geld wird einfach nach und nach bei einer Bank eingezahlt.«

»Das ist doch Unsinn, Linsenspring. Wenn man ihn aus irgendeinem Grund verdächtigt, wird das Bankkonto gegen ihn zeugen.«

»Das Konto darf ja auch nicht auf seinen Namen lauten. Er eröffnet es für seine Freundin oder sonst eine Bekannte. Dazu braucht er nur ihren Personalausweis. Die Unterschriftsprobe macht er selber. Benachrichtigungen über den Kontostand belässt er ausdrücklich bei der Bank. Damit ist der Fall völlig unlösbar geworden. Das Unternehmen Ultimo ist perfekt. Wo ist denn die Körberin? Die wird Augen machen. An der Nuss kann sie sich die Zähne ausbeißen.«

»Ich weiß auch nicht. Sie ist jetzt schon eine Viertelstunde unterwegs. Sie wollte draußen nur ein paar Bananen holen.« Perkogel schiebt seine Brille zurecht, die überhaupt nicht verrutscht ist. Er sieht mehrmals zu dem Glaskasten hinüber, in dem der Abteilungschef sitzt. Er heißt bei allen nur der Kullerpfirsich wegen seiner weitsichtigen Stielaugen. Perkogel hat stets ein schlechtes Gewissen, wenn er während der Arbeitszeit mit Linsenspring spricht. »Ich habe über unser Unternehmen Ultimo einen Bericht gemacht«, sagt er. »Die Geschäftsleitung soll die Gehaltsauszahlung abändern, damit nicht eines Tages ein Unglück passiert. Heute Morgen habe ich ihn in den Kasten für Verbesserungsvorschläge geworfen. Wenn einer meiner Vorschläge honoriert wird, bekommen Sie und Fräulein Korber jeder ein Drittel ab.«

»Wieso denn die Körberin? Die bat doch nur ab und zu Opposition gemacht.«

»Wenn die Geschäftsleitung eine Belohnung bewilligt, Linsenspring, dann tut sie es nicht, weil wir einen todsicheren Tipp wissen, wie man die Lohngelder stehlen kann. Nur wenn wir vernünftige Vorschläge machen, wie man das Geld ohne Mehraufwand auf sichere Art verteilen kann, werden sie etwas herausrücken. Einer der Vorschläge, die ich eingereicht habe, stammt von Fräulein Korber. Sie hat ihn zwar ohne Absicht und nur so nebenbei gemacht, aber deshalb möchte ich sie trotzdem beteiligen.«

»Na, von mir aus. Die werden sowieso nichts zahlen. Wenn wir vorschlagen, das Geld auf Zimmer 19 auszuzahlen, verteilen sie es nachher auf Zimmer 20 und sagen, unser Vorschlag sei nicht geeignet. Ich kenn doch den Laden. Aber für die Schlafstunden im Aufsichtsrat, da schmeißen sie mit den Tausendern nur so rum.«

»Wenn Sie einer hört, Linsenspring! Man hält Sie glatt für einen Anarchisten. Sie tun genauso, als seien Sie erst seit gestern im Bankgeschäft. Die Vergütungen, die die Mitglieder des Aufsichtsrats beziehen, stellen doch meistens nur eine Honorierung ihrer Beziehungen dar. Für niedrige Vergütungen kann sich eine Bank auch immer nur unbedeutende Beziehungen einhandeln. Aber die Teilnahme an lukrativen Konsortien, Tipps über bevorstehende Großverkäufe von Beteiligungen oder über drohende Konkurse und was nicht alles mehr, die muss man sich etwas kosten lassen.«

In diesem Augenblick kommt Gerda Körber durch die Glastür, hebt die Holzbarriere hoch, durch die man hinter die Schalter gelangt, und stellt sich dicht neben Perkogel. Sie ist ein schlankes Mädchen mit braunen, halblangen Haaren, die frisch gewaschen aussehen. Dabei ist sie hübsch, gut gewachsen und adrett angezogen. Hinter ihren grauen Augen ruht eine Intensität, die auf Energie schließen lässt.

»Hat es keine Bananen mehr gegeben?«, fragt Perkogel und schaut Gerda genauer an. »Sie sind ja käseweiß.«

»Eben haben die Sanitäter Freisker und Fichtl hinausgetragen.« Gerda spricht so leise, dass nur Perkogel und Linsenspring sie verstehen können. »Die Polizei ist auch im Haus. Jemand hat Freisker auf dem Gang zum Effektenbüro niedergeschlagen und in die Toilette gezerrt. Den leeren Holzkasten haben sie auch mit herausgebracht. Alles genau, wie ihr es ausgeklügelt habt. Ich hatte richtig Angst, als ich ihnen begegnet bin.«

Die beiden Männer schauen sich an. Perkogel sagt ziemlich laut und sinnlos: »Das müssen wir sofort melden.«

»Was?«, fragt Linsenspring.

»Ja, alles – von Anfang an... sonst kommen wir noch in Verdacht.»

»Hören wir doch zuerst, was passiert ist. Los, Körberin, erzähl mal der Reihe nach.«

»Da ist nichts zu erzählen. Ich gehe vorn durch die Eingangshalle, um draußen Bananen zu kaufen. An der Tür muss ich beiseitetreten, weil vier Sanitäter mit Tragbahren hereinkommen. Ich denke noch, was ist denn da los, als ich sie zur Effektenabteilung gehen sehe. Plötzlich fällt mir ein, dass heute der Dreißigste ist. Ich schaue auf die Uhr. Elf Uhr fünf. Mir fällt euer Unternehmen Ultimo ein, und ich laufe hinterher. Im Gang sehe ich die Bescherung. Fichtl, der Chauffeur vom Chef, liegt neben Freisker im Gang auf Stühlen. Herr Lenk, der junge Mann, der drüben im Urkundenbüro aushilft, hat alles entdeckt. Er ist jetzt oben beim Alten zusammen mit der Polizei. Die Kimmlerin von der Rechenstelle sitzt doch in dem Zimmer schräg gegenüber von der Toilette. Sie hat mit Lenk gesprochen. Er kam in das Klosett und sieht den Fichtl vor einer der Kabinen liegen. Er läuft gleich hinüber zur Kimmlerin, die Hilfe holt. Dann haben sie Freisker in einer der Kabinen entdeckt. Der Holzkasten lag ausgeleert daneben. Als ich dazukam, haben die Sanitäter sie auf die Bahren gelegt und hinausgetragen.se

»Die Kimmlerin?«, fragt Perkogel gedankenlos.

»Unsinn, Freisker und Fichtl.«

»Leben sie denn?«, fragt Linsenspring.

»Freisker bestimmt.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Max Ulrich/Signum-Verlag. Published by arrangement with the Estate of Max Ulrich.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Korrektorat: Mina Dörge.
Satz: Signum-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2022
ISBN: 978-3-7554-2689-9

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