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Aufgeben gilt nicht



…aber der Duft benebelte seinen Verstand. Es war unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Vorsichtig schob sich der große, sommersprossige, rothaarige Junge durch den schmalen Türspalt in den Wagen. Sein laut knurrender, von hungrigen Krämpfen geplagter Magen war der Katalysator für seinen Mut oder besser, für seine unglaubliche Dummheit, denn aus den Augenwinkeln bemerkte er einen sich nähernden, wohlbeleibten Mann mittleren Alters, bekleidet mit einer fleckigen, hellen Schürze. Doch er konnte sich nicht zurückhalten. Ihm war schlecht vor Verlangen und er war bereit, alles, wirklich alles in Kauf zu nehmen, wenn er nur diesen Hunger stillen konnte. Und so griff er zu, so schnell, wie er mit seinen geübten, schmutzigen Fingern nur sein konnte, nur, um schneller zu sein wie die sich nähernde, wütende Kreatur. „Ja, das ist doch … na warte, Bursche!“ Mit einer Schnellig-keit, die ihm wohl niemand zugetraut hätte, packte der Fleischberg den Jungen am Kragen und hob ihn hoch. „Was fällt dir ein? „Runterlassen, bitte Sir, runterlassen.“ Ungerührt trug der Dicke den zappelnden und noch immer kauenden Rotschopf zu einem niederen Verschlag in einer Ecke des Wohnwagens, stieß ihn unsacht hinein und verriegelte die Türe.
Jamie saß in einer stickigen, dunklen, nach altem Fett riechenden Kammer. Nachdem er den schmierigen Boden und die Wände abgetastet hatte und keine Fluchtmöglich-
keit entdecken konnte, setzte er sich in den Dreck und versuchte seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Nach einer Weile nickte er etwas ein, erwachte wieder und wusste nun nicht mehr, wie lange er schon in dieser Finsternis zugebracht hatte. Er hatte Angst, nie wieder aus diesem Loch herauszukommen. Die eklige, fettige und abgestandene Luft nahm ihm den Atem, er hustete und würgte, griff sich an den Hals. „Sieh´ nur Vater, dein Sohn endet in einem Verschlag. Lesen und Schreiben habe ich nicht gelernt, nur das, was du mir beigebracht hast Vater. Zu Ehre habe ich es nicht gebracht,“ begann er mit sich selbst zu reden, ein Versuch, die innere verzweifelte Stimme nicht mehr hören zu müssen und lauter als die Angst zu sein, mit sarkastischer Verzweiflung und fast trotzig fuhr er fort: „und doch, ich bin nicht hungrig, Vater!“ Immer wieder fiel er in eine Art Dämmerzustand, träumte von seinen Eltern, sah ihr kleines Haus in Irland vor sich, die schönen Pferde, ja, er spürte sogar den Wind. Er erinnerte sich an den Tag, als der Vater über die Wiese heimgekommen war aus der Stadt, anders als sonst, mit gebeugtem Rücken, als hätte er eine schwere Last zu tragen, und ernst hatte er geschaut.
Als er im Haus verschwunden war, beeilte sich Jamie, die Schuppentüre zu schließen und dem Vater zu folgen. Er sah noch die Tränen, die die Mutter schnell mit der Schürze fortwischte, bevor sie ihn, ihren Sohn, in die Arme nahm. Dann hatten sie ihm gesagt, dass sie fortgehen wollten, fort nach England, in eine große Stadt namens London, dorthin, wo alles besser sein würde. Dort würden sie leben und ihr Glück finden. Sie waren voller Hoffnung und Jamie glaubte ihnen, wie auch konnte er ihnen nicht vertrauen. Sie hatten ihn niemals getäuscht, nie allein gelassen…wie sehr er doch seine Eltern liebte.
Auf dem Schiff während der Überfahrt, erkrankte sein Vater an der Cholera und er hörte die Stimme seiner Mutter, wie sie flehte: „Halte durch Tom, lass mich nicht allein.“ Das Letzte, an das sich Jamie erinnern konnte, war, dass der Vater ihm bedeutet hatte, das Ohr an seinem Mund zu halten. „Kümmere dich um deine Mutter, Jamie. Du bist jetzt ein Mann. Das Leben ist hart und du musst sein wie das Leben, um den Kampf zu gewinnen.“ Dann fiel die Hand, die er ihm gerade noch auf die Schulter gelegt hatte, kraftlos herunter. Was immer er hatte ihm noch mitteilen wollen, es blieb ungesagt. Jamie erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, wie er selbst dastand, unfähig zu schreien oder zu weinen, mit trockenem Hals und aufge-
rissenen Augen, die Situation nicht erfassend und doch, als er nicht mehr erwachte, der Vater, nahm er es hin, mit schwerem Herzen, weil er es nicht ändern konnte.
Doch die letzten Worte des Vaters brannten sich unaus-
löschlich in sein Gedächtnis.
Jamie, ein Kind von neun Jahren, versuchte von nun an, ein Mann zu sein. Er musste sich jetzt um seine Mutter kümmern. Und er war fest entschlossen, sie zu beschützen und für sie da zu sein, so dass sein Vater stolz auf ihn gewesen wäre. Doch dann erkrankte auch die Mutter, jeden Tag wurde sie schwächer, konnte zuletzt nur noch flüstern. Stundenlang saß er an ihrem Bett. Sie sah ihn an mit vom Fieber trüben Augen und flüsterte: „Aufgeben gilt nicht Jamie, vergiss das niemals.“ Er hielt ihre Hand und sie schenkte ihm ein Lächeln, so warm, so zärtlich und liebevoll, in ihren letzten Sekunden tief mit dem Sohn verbunden. Dann brach ihr Blick.
Schmerzhaft erinnerte er sich, wie die Mutter früher mit ihm Fangen gespielt hatte, als er noch klein war. Und er sah sie vor sich, als wäre es erst gestern gewesen, wie sie sich, wenn sie nicht mehr konnte, lachend und prustend auf die alte Holzbank am Haus gesetzt hatte, während er rief: „Aufgeben gilt nicht, Mutter!“ Und sie hatte ihm lachend mit dem Zeigefinger gedroht. Und nun war er allein. Er weinte nur dann, wenn niemand es sah. Jetzt musste er für sich selbst sorgen und der Vater hatte immer gesagt, das Leben sei hart. Und bei Gott, das war es.
Er hörte, wie die Türe entriegelt wurde, jemand zerrte ihn heraus, packte ihn an seiner klammen Jacke. „Bist abgehauen, hä?“ Der dicke Mann sah ihn listig an. Jamie konnte sehen und riechen, wie er schwitzte. Seine spärlichen, grauen Haare klebten an seinem Kopf. „Wenn ich dich nicht zur Polizei bringe, was gibst du mir für eine Gegenleistung, hä?“ Er musterte ihn abschätzend. „Vielleicht sollte ich dir einfach eine Tracht Prügel verabreichen und dich dann in die Themse werfen, hä?“ Jamie sah ihn erschrocken an und versuchte sich vergeb-
lich aus dem Griff zu lösen. „So Jungs wie du, die kenn ich, die sind nichts wert und irgendwann,“ seine Stimme senkte sich unangenehm, „landest du dort, wo sie alle landen, am Galgen.“ Und dann machte er eine unmissverständ-liche Handbewegung und lachte laut schallend wie über einen gelungenen Scherz und ließ Jamie so unvermittelt los, dass er auf den Boden fiel. Er rappelte sich auf, so schnell er konnte, schaute gehetzt zur Seite und wollte gerade davonrennen, als die Stimme des Würstchenverkäufers ihn zurückhielt. „Sie werden dich finden, überall. Sie werden dich überall erkennen mit deinen roten Haaren. Glaub nicht, dass du mir so einfach davon kommst.“ Jamie senkte den Kopf. Seine Gedanken rasten und suchten verzweifelt einen Ausweg. „Wenn…wenn ich etwas für sie tun kann, Sir.“ Sein Gegenüber musterte ihn geringschätzig. „Was kann einer wie du schon für mich tun, hä?“ „Ich, ich könnte für sie arbeiten, Sir.. ich lerne schnell.“ Er versuchte, all seine Überzeugungskraft aufzuwenden. Der fette Mann winkte verächtlich ab. Und doch, Jamie durfte schließlich bei ihm im Zirkus bleiben. Auf Probe. Jeden Tag schleppte er schwere Kübel, schrubbte den Boden. Er bestahl die Jahrmarktsbesucher für seinen Herrn und dieser schlug ihn dafür. Und wenn er sie nicht bestahl, schlug er ihn auch.
Eines Tages packte ihn der Budenbesitzer am Ärmel und zog ihn näher. Dann deutete er auf ein augenscheinlich sehr verliebtes Paar. Jamie war schon oft um die Beiden herum geschlichen. Sarah hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der irischen, kühlen Schönheit seiner Mutter und doch erinnerte sie ihn an sie. Und den großen Belzoni bewun-
derte er maßlos. „Siehst du die Tasche dort, die sie am Kleid trägt, Jamie? Siehst du sie?“ "Bring mir diese Tasche! Ich will sie haben!“ Jamie spürte ein merkwürdig flaues Gefühl in der Magengegend, und doch, es war kein Hunger. Jamie hatte das erste Mal in seinem Leben so etwas wie ein Gewissen. Aber .. hatte er ein Wahl?
Es war einer jener Tage, der anfing wie alle anderen, öde und arbeitsreich und ohne Hoffnung und doch war es genau jener Tag, der alles veränderte. Auch heute gab sein Herr Jamie Schuld an allem, was in der begrenzten Welt eines kleinen Würstchenbudenbesitzers so passieren und schiefgehen konnte. „Du glaubst also, ich bezahle einen Nichtsnutz, hä? Du denkst, du könntest einem ehrbaren Mann das Geld aus der Tasche ziehen, hä? Nicht mit mir, Bastard! Das hat man davon, dass man so Einen aufnimmt. So einen…“ Er betonte jedes Wort und mit jedem Wort wurde er lauter. Jamie fühlte sich hilflos. Und doch, er würde überleben und hoffentlich bald, eines Tages, er war sich ganz sicher, würde er endlich erwachsen sein und dann würde ihm niemand mehr etwas anhaben können… Der Würstchenbudenbesitzer schüttelte ihn, so dass sein Kopf hin und her flog. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Und dann bemerkte Jamie es…, erst jetzt. Jetzt, wo der andere dicht vor ihm stand. Es nahm ihm die Luft zum Atmen. Jamie wurde übel, er spürte die Angst, die ihm die Kehle zuschnürte, die an ihm hochkroch. Sein Herr hatte getrunken, wieder einmal hatte er nicht aufhören können. Wie so oft hatte er die Grenze überschritten. Und jenseits dieser Grenze verschwamm die Realität. . Der Andere wurde immer noch lauter, sein Blick fast irr, das Gesicht hochrot und dieser Hass… Jamie versuchte zu entkommen. Irgendwann bringt er mich um

„Sir, bitte Sir.“ „Halt dein dummes, geschwätziges Mundwerk du Streuner… Aus-
reißer…du Bastard!“ Jamie fühlte die Hände seines Herrn an seinen Hals. Er wollte den Tobenden besänftigen, ..er roch den Alkohol, den Schweiß, sah die Augen seines Gegenübers und ihm wurde im Bruchteil einer Sekunde klar, dass er keine Chance hatte. Der Druck wurde stärker. Seine Augen weit aufgerissen, vor Entsetzen wie gelähmt, fühlte er ,wie seine Knie weich wurden, sein Kopf fühlte sich an wie mit Watte gefüllt, die Stimme seines Peinigers wurde leiser und leiser, er sah den Tobenden wie durch einen Filter, das Bild verschwamm, die Worte waren nicht mehr zu verstehen, seine Knie gaben nach.
„Aufwachen Jamie, um Himmels willen, was hat er wieder mit dir gemacht? “ Tany beugte sich über ihn. „ „Es ist gut, Jamie, alles ist gut“, flüsterte sie. Tränen liefen ihr über ihr hübsches, feines Gesicht. Mit ihren dunklen, mandel-
förmigen Augen schaute sie ihn besorgt an. Jamie öffnete die Augen, langsam erkannte er die elfjährige Tany.. Er fasste sich an den schmerzenden Hals und erinnerte sich. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Verwirrt schaute er sich um, gehetzt. Tany flüsterte aufgeregt, „die Belzonis suchen einen Jungen, der ihnen bei der Vorstellung zur Hand geht. Ich habe gehört, wie sie darüber gesprochen haben.. Vielleicht könntest du..“.
„Tany!“ Die Stimme war schneidend. Die Kleine zuckte zusammen. „Sofort gehst du nach Hause! Was hast du hier verloren?“ Nur widersrebend gehorchte Tany...“ Ihre Augen funkelten ihn an. „Zum letzen Mal, lass deine diebischen Finger von meiner Tochter! Wenn du sie nicht endlich in Ruhe lässt..“ Sie baute sich drohend vor Jamie auf, „lasse ich dich der Polizei übergeben. Die werden schon wissen,“ ihre Stimme ließ keinen Zweifel offen, dass sie es ernst meinte, „was sie mit so einem wie dir anstel-
len..“ Jamie öffnet den Mund, doch sie war schneller, „Ich habe gesehen, wie du die Tasche der zukünftigen Miss Belzoni gestohlen hast“. Mit diesen Worten verschwand sie in der Dunkelheit.
Sie hatte es gesehen! Die Belzonis suchten einen Jungen. Und er hatte die Tasche. Es war sinnlos, etwas erklären zu wollen. Sie würde ihm nicht zuhören, sie würde ihn nicht verstehen und .. sie würde es nicht einmal versuchen. Und Tany, er spürte einen merkwürdigen Schmerz in seiner Brust, sie würde es auch nicht verstehen. Sein Herr würde alles abstreiten, da war er sich sicher.
Jamie schaute sich um und…erstarrte, er erkannte seinen Herrn, keine paar Fuß entfernt. font;_italic>Wie lange stand er schon da? „Jamie, Jamie,“ er drohte ihm mit dem Finger, lachte amüsiert, doch es war kein gutes Lachen, „was wollte die Schlampe von dir, hä? Wollte sich wohl an dich ranmachen, hä? Das Drecksweib ist wohl schon zu lange allein. Sie sehnt sich sicher nach einem richtigen Kerl.“ Mit diesen Worten warf er sich in die Brust, neigte sich dann aber wieder zu Jamie hinunter und flüsterte vertraulich kumpelhaft „Und die Tochter,“ er schnalzte mit der Zunge „die ist auch schon reif.“ Seine Stimme zitterte leicht vor Gier, "und sie ist etwas ganz Besonderes. Die Mutter kann froh sein, wenn sich einer ihrer annimmt.“ Er lachte laut und verschwand zwischen den Wohnwägen.
Als Jamie den schäbigen Wohnwagen betrat, war sein Herr nirgendwo zu sehen. Die Türe quietschte, wie sie es immer tat und fiel hinter ihm wieder ins Schloss. Es roch nach dem alten Fett, nach Alkohol und Erbrochenem. Überall lagen Flaschen und schmutzige Wäsche, das Bett lag halb auf dem Boden… Jamie machte sich routiniert an die Arbeit. Er fand Sarahs Tasche und versteckte sie draußen im Werkzeugfach des Wohnwagens. Jetzt war er sicher, es würde sich alles finden. Er würde bald nicht mehr stehlen müssen. Nie wieder.
Die Türe wurde aufgerissen und sein Herr stürzte herein, Wie so oft hochrot im Gesicht. Jamie sah ihn erschrocken an. Hat er schon wieder getrunken?

Nein, er roch nichts. Sein Herr fiel grunzend in sein Bett, ein zufriedenes, schmieriges Grinsen im Gesicht und innerhalb weniger Minuten war er eingeschlafen. Mit der Tasche unter seiner weiten, grün gemusterten Jacke, machte er sich auf den Weg, immer darauf bedacht, dass ihn niemand sah. Er wollte sein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, schon gar nicht jetzt…Die Türe stand offen. Vorsichtig spähte er hinein. Es schien niemand da zu sein. Leichtfüßig sprang er die kleine Treppe hinauf. Im Wohnwagen versteckte er die Tasche schnell unter dem Bett. Geschafft!
Er drehte sich um…und da stand sie, starrte ihn an. „Du hattest die Tasche!“ Sie erfasste die Situation sofort. „Ich..“, aber was sollte er sagen, wie konnte er ihr erklären...Mr. Belzoni stand plötzlich hinter Sarah, „Was hat der hier zu suchen?“ Zu Jamies maßlosem Erstaunen hörte er Sarah sagen: „Er hatte gehört, dass wir einen Jungen suchen und wollte sich bei uns um die Position bewerben.“ Belzoni sah ihn fragend an. Jamie wurde rot, senkte den Blick, damit er Sarah nicht anschauen musste. „Komm morgen wieder. Wir haben jetzt andere Sorgen.“ sagte Belzoni. So schnell Jamie konnte, war er bei der Türe, als Belzoni ihn noch zurückhielt. „Warte, wo warst du in den letzten Stunden vor Tagesanbruch.?“ „Im Wohnwagen meines Herrn, Mr. Belzoni.“ Warum wollte er das wissen?


Als er den Wohnwagen verließ, sah er Tanys Mutter und sie sah ihn, doch sie starrte durch ihn hindurch, obwohl sie direkt vor ihm stand. Er schaute sie an, sah ihre verwein-
ten, geschwollenen Augen. Als sie ihn endlich erkannte, schrie sie plötzlich auf wie ein Tier, stürzte sich auf ihn und schlug auf ihn ein wie eine Besessene. Ihre Stimme überschlug sich. „Du warst es, du Bastard, ich bringe dich um, du warst es, du….“ Er war zu überrascht, um reagieren zu können. Belzoni zog sie gewaltsam von ihm zurück. „Er war es nicht, Donatella, er kann es nicht gewesen sein.“ Donatella Sonaro brach unter heftigsten Weinkrämpfen zu- sammen. „Komm, ich bringe dich zu Sarah. Sie wird sich um dich kümmern, sagte er sanft. Kurze Zeit später war er zurück.
"Du willst wissen, was passiert ist?" Jamie nickte. „Tany ist heute Nacht überfallen und vergewaltigt worden.“ Jamie versuchte, die Worte zu erfassen. Und plötzlich fiel es ihm ein, er erinnerte sich, er sah ihn vor sich, seinen Herrn, wie er heimgekommen war, wie merkwürdig er sich verhalten hatte. Und noch etwas fiel ihm ein, die Worte, die ihn verwirrt hatten, die er nicht verstanden hatte. Jetzt, erst jetzt verstand er sie. „Er schläft.“ flüsterte er. Belzoni nickte, als hätte er es schon gewusst. „Tany ist im Zirkus-
zelt, der Arzt ist bei ihr.“ sagte er. „Die Polizei wird auch gleich hier sein.“ Jamie verbrachte den ganzen restlichen Tag bei Tany und hielt ihre Hand, während ihre Mutter im Wohnwagen versorgt wurde. Sie kommt wieder in Ordnung, zumindest körperlich, hatte der Arzt gesagt. Spät am Abend brachten sie Tany zu ihrer Mutter.
Und Jamie lief einfach los, ziellos, ohne zu wissen, wohin, mit tränenüberströhmten Augen. Planlos, ohne etwas wahrzunehmen. Irgendwann stand er vor dem Wohn-
wagen des Würstchenverkäufers. Die Polizei hatte ihn versiegelt. Verzweifelt überlegte er, wo er hin konnte. Er wollte nicht in seine alte Gang in die Londoner Slums zurück. Und so rollte er sich vor dem Wohnwagen auf dem harten Boden zusammen. Es war kalt, er fror so heftig, dass er sich sicher war, er würde erfrieren, wenn er hier die Nacht verbrachte. Und vielleicht wär das ja das Beste.
Er schloss die Augen, als er ein Geräusch hörte, Schritte, jemand, der leise seinen Namen rief. Sie werden mich auch einsperren, weil ich gestohlen habe. Sie holen mich. Und dann stand er vor ihm. Jamie hatte nicht mehr die Kraft wegzulaufen, er öffnete die Augen.
„Ich habe dich gesucht,“ sagte Belzoni. „Komm!“
„Wohin?,“ fragte Jamie leise, obwohl er es ja wusste.
„Heim“, sagte Belzoni und nahm ihn bei der Hand.
„Nach Hause.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Kinder

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