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Leseprobe

Blaze

Helldogs

Elena MacKenzie

Inhalt

Vorwort

Über dieses Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Nachwort

Bücher von Elena MacKenzie

Über den Autor

Lektorat/Korrektorat: Sandra Latoscynski

Copyright © 2018 by Latos Verlag, Schloßstraße 25a, 39240 Calbe/Saale

Lektorat und Korrektorat: Latos Verlag

Coverfoto: © adobe photostock SFIO Cracho

Umschlaggestaltung: Elena MacKenzie

1. Auflage 01/2019

www.latos-verlag.de

www.wildbooks.de

Vorwort

Liebe Leser,

in diesem Buch trefft ihr auf Rocker, diese benutzen gern Fäkalsprache und führen ein anderes Leben, als ihr es vielleicht gewohnt seid. An verschiedenen Stellen nehme ich mir als Autorin raus, nicht explizit zu erwähnen, dass die handelnden Figuren verhüten oder eben auch nicht. In den meisten Filmen werden Liebesszenen auch nicht unterbrochen, um mal schnell noch ein Kondom überzuziehen, außer es wäre wichtig für die Handlung, und den Zuschauer stört es auch nicht. Da sich in Rezensionen aber gern über das „vergessene Kondom“ brüskiert wird, dachte ich, ich weise zu Anfang darauf hin, dass ich mir die schriftstellerische Freiheit herausnehme, meine Liebesszenen nicht zu unterbrechen. Wenn ihr als Leser damit nicht klarkommt, solltet ihr dieses Buch nicht lesen. Wenn euch das nicht stört, dann wünsche ich euch viel Spaß mit meinen Bikern.

Über dieses Buch

Silver Jennings ist gerade einmal 18, als sie sich allein um ihren vierzehn Jahre alten Bruder kümmern muss. Da die Geschwister aus kaputten Verhältnissen kommen und einfach nichts so läuft, wie Silver sich das vorgestellt hat, bleibt ihr bald nur noch eins, um sich und Josh über die Runden zu bringen: sie bricht für reiche Geldgeber in Villen ein und klaut Kunstgegenstände. Doch dann wird sie von einem Polizisten erwischt und dieser hat eigene Pläne. Er will sich am Präsidenten einer Outlaw Motorradgang rächen und verlangt von Silver, undercover für ihn zu ermitteln. Er weiß, dass die Rocker einige Leichen im Vorgarten der kleinen Gemeinde vergraben haben, was er jetzt noch braucht, sind Beweise. Und für seine Rache schwebt ihm nicht etwa der Präsident persönlich vor, sondern dessen Sohn Blaze, der jeden Befehl seines Vaters blind ausführt.

Kapitel Eins

»Susan, er ist weg. Hast du verstanden? Josh ist weg«, schrie Silver ihre Stiefmutter an, aber sie hob nicht einmal den Kopf. Sie befand sich irgendwo gefangen im Heroinnebel und dort würde sie auch noch eine Weile bleiben. Silver wusste nicht einmal, ob sie überhaupt jemals verstehen würde, was sie getan hatte. Wenn das Heroin erstmal aus ihrem Körper verschwunden war, dann war es der Alkohol, der ihr den Verstand raubte.

Silver ließ sich mitten auf den Boden des Trailers sinken, irgendwo zwischen leeren Verpackungen, schmutzigem Geschirr und dreckiger Wäsche, und vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen. Sie musste sich etwas einfallen lassen, aber sie hatte kaum Kraft, sich zusammenzuhalten. Wie sollte sie dann nachdenken können, um einen Weg zu finden, Josh wiederzubekommen? Sie hatte das Gefühl, explodieren zu müssen vor Wut und Verzweiflung. Sie wollte irgendetwas zerschlagen. Vorzugsweise wollte sie Susan umbringen, denn sie war an alldem hier schuld.

Warum fühlte sie sich dann schuldig? Vielleicht, weil Silver nicht genug getan hatte, um das Jugendamt zu überzeugen. Weil sie Susan vertraut hatte, ihn wenigstens unter der Woche versorgen zu können, während sie versuchte, mit billiger Schwarzarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das war falsch. Silver hätte wissen müssen, dass Susan es nicht schaffte, auf einen Vierzehnjährigen aufzupassen. Sie hätte wissen müssen, dass es nichts brachte, durch halb Europa zu fliehen mit einem Kind, das eigentlich in die Schule gehen müsste. Es war von Anfang an klar, irgendwann würde das Jugendamt auf sie aufmerksam werden, egal in welchem Land ihr Trailer gerade Halt machte.

Susan bewegte sich auf dem alten Sofa, brabbelte irgendetwas, dann rutschte sie auf den dreckigen Boden und blieb liegen. In diesem Zustand war sie auch gewesen, als das Jugendamt hier war, um nach Josh zu sehen. Nachbarn hatten sich wiederholt beschwert, obwohl in diesem Trailerpark so ziemlich niemand wirklich ein leuchtendes Beispiel für ein normales Leben war. Trotzdem war ihnen aufgefallen, dass es Josh nicht gut ging, dass es hier einen Jugendlichen gab, der die Schule nicht besuchte. Mel hatte Silver angerufen, sobald Kelly ihr davon erzählt hatte, dass das Amt hier war, und Silver war so schnell wie möglich hergefahren, aber es war zu spät. Die Mitarbeiterin des Jugendamts und der Polizist, mit denen sie gesprochen hatte, wollten überzeugt werden, dass Silver in der Lage wäre, besser auf Josh aufzupassen als ihre Stiefmutter.

»Was willst du jetzt machen?«, wollte Kelly wissen. Sie stand hilflos im Trailer und sah sich angewidert um. Direkt vor ihren Füßen lag eine benutzte Spritze.

»Ich muss ihn dort wegholen«, sagte Silver und sah seufzend zu ihr auf. »Ich kann nicht zulassen, dass er wieder in eine Pflegefamilie kommt, das überlebt er nicht noch einmal.«

Kelly sah Silver verstehend an. »Nein, das kannst du nicht.«

Kelly kannte Silvers Geschichte, auch die von Josh. Vor ein paar Jahren hatte Silver auch in einer Pflegefamilie bleiben müssen, in der waren die Zustände kaum besser als hier bei ihrer Stiefmutter. Damals gab es nur Silver und ihren Vater. Er hatte Susan erst kurz nach seiner ersten Haftstrafe kennengelernt und geheiratet. Nur weil es Susan gab, durfte Silver damals nach Hause. Josh stammte aus Susans erster Ehe, ihr Mann starb bei einem Arbeitsunfall. Ein Stromschlag auf einer der Ölplattformen in der Nordsee. Als Dad wegen Raubüberfällen zurück ins Gefängnis kam, rutschte Susan wieder ab, sie hatte sich nach dem Verlust ihres ersten Mannes zu sehr auf Silvers Dad verlassen. Damals lernte auch Josh seine erste und bisher einzige Pflegefamilie kennen.

Damals hatte Silver geschworen, alles zu tun, um nie wieder zuzulassen, dass Josh in eine Pflegefamilie musste. Also hatte sie beschlossen, mit Josh und ihrer Mutter unterzutauchen. Unter dem Radar zu bleiben. Niemals irgendwo lange zu rasten, um dem Jugendamt entkommen zu können. Sie hatte alles verkauft, was die Wohnung hergab, und davon einen klapprigen Trailer gekauft. Ihre Freundin Kelly, schon volljährig, begleitete sie seitdem. Wofür Silver ihr ewig dankbar sein würde, ohne eine Erwachsene mit gültigem Führerschein wären sie nie so weit gekommen. Von England bis nach Spanien, mit Aufenthalten in Frankreich, Österreich und Deutschland. Sie waren immer dann weitergereist, wenn ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war. Diesmal hatten sie alle wohl zu dicke Schuhsohlen, keiner von ihnen hatte die Hitze gespürt.

»Die Beamtin meinte, ich müsste nachweisen, dass ich Josh ein sicheres Zuhause bieten kann und über ein regelmäßiges Einkommen verfüge, dann würden sie es sich überlegen.«

»Ich könnte auch einen Antrag stellen«, schlug Kelly vor, aber Silver schüttelte den Kopf. »Du bist nicht mit ihm verwandt, es würde Wochen, vielleicht Monate dauern, bis es eine Entscheidung geben würde.« Das hatte die Frau vom Amt Silver erklärt, weil Silver schon die gleiche Idee hatte.

»Das heißt, du brauchst einen Job.«

»Und einen festen Wohnsitz, ein eigenes Zimmer für ihn, alles, was man eben so braucht, um normal zu sein.«

»Das ist unfair«, warf Kelly traurig ein. »Ohne eine Wohnung bekommst du keinen Job.«

»Und ohne Job keine Wohnung«, warf Silver resigniert ein. »Niemand wird mir etwas vermieten.«

»Kaufen kannst du dir auch nicht leisten. Ich würde dir ja mein Apartment anbieten, aber damit wäre das Amt auch nicht zufrieden.« Vor ein paar Wochen hatten sie beschlossen, hier in dieser Kleinstadt eine Weile bleiben zu können, weil sie sicher waren, dass in einer so winzigen Stadt sich keiner für sie interessieren würde, deswegen hatte Kelly sich eine winzige Wohnung gemietet. Was für ein Trugschluss.

Silver lachte frustriert auf. »Ich könnte mir nicht mal ein Rattenloch leisten, mein Geld reicht höchstens noch für ein Brötchen.« Silver zuckte mit den Schultern. »Mein Dad wüsste, wie ich schnell an Geld kommen könnte.«

Kelly schüttelte grinsend den Kopf. »Einbrüche? Das wird dem Amt erst recht nicht gefallen. Außerdem, das hast du schon versucht, es hat uns ernährt, aber das Risiko war zu groß.«

»Und besonders gut bin ich darin auch nicht.« Silver dachte kurz darüber nach. Als sie kleiner war, hatte ihr Vater sie auf seine Einbrüche immer mitgenommen, wenn er im Auftrag von irgendwelchen Kunstsammlern oder Wirtschaftsspionen in Villen eingebrochen war. Er hatte ihr gezeigt, wie man die Alarmanlagen ausschaltete, man das Sicherheitssystem vor einem Einbruch genau unter die Lupe nahm und auch schon mal die Räumlichkeiten erkunden konnte. Sogar im Beisein der Bewohner. »Du hast recht, das ist keine Option.« Aber mit nur ein oder zwei gezielten Aufträgen könnte Silver sich ein kleines Häuschen irgendwo am Stadtrand kaufen. Natürlich nichts Besonderes, aber es wäre ein Anfang. Und Josh wäre in Sicherheit.

Wenn Silver nur daran dachte, welche Ängste ihr Bruder gerade ausstehen musste, wenn sie ihn in eine Pflegefamilie brachten, wahrscheinlich würde er eine Dummheit begehen. Das durfte Silver nicht zulassen. Sie waren nicht die letzten beiden Jahre vor dem Jugendamt geflohen, nur um jetzt zu verlieren. Silver war jetzt 18 Jahre alt, sie müssten nicht mehr weiter fliehen. Sie könnte das hinbekommen, wenn sie dem Amt beweisen konnte, dass sie ein normales Leben führen konnte. Dass sie sich vernünftig um Josh kümmern konnte.

»Scheiß auf, Susan«, flüsterte Silver und warf ihrer Stiefmutter einen hasserfüllten Blick zu. Sie hatte sie ohnehin nur mitgenommen, damit niemand Verdacht schöpfte, wenn zwei Minderjährige allein durch Europa reisten.

»Ich bin seit heute 18«, sagte Silver. »Ich brauche sie nicht mehr. Ich schaffe das irgendwie.«

»Bist du dir sicher, dass das so geht?«, wollte Silver von Kelly wissen und sah unsicher an sich runter. Kelly hatte ihr eine ihrer engen Lederhosen geliehen, dazu trug sie ein rückenfreies Top. Kelly musterte sie, dann nickte sie zufrieden. »Genau richtig.«

»Und da bist du dir sicher, weil du ein einziges Mal auf einer Party im Haus warst?« Silver war noch immer skeptisch, was wahrscheinlich daran lag, dass sie sich in der Lederhose einfach nicht wohl fühlte. Sie war eher der Typ für bequeme Jeans und abgetragene Shirts. Was anderes hatte sie auch nie besessen.

Kelly zupfte am Träger ihres dünnen Hemdchens und nickte zur anderen Straßenseite. »Siehst du? Hauptsache schwarz, eng und schlampig. Dann brauchst du keine Einladung.«

Silver vorzog das Gesicht, als sie gegenüber eine Frau sah, die noch freizügiger gekleidet war als sie. Als das dunkelhaarige Kurvenwunder vor dem großen Tor mit dem Logo des MCs stehenblieb, wurde sie grölend begrüßt, dann öffnete sich das Tor und die Frau verschwand im Innenhof. Obwohl es noch nicht einmal 21 Uhr war, schien die Party schon in vollem Gange.

»Hatte ich schon erwähnt, dass ich Biker hasse? Sie sind schmutzig und saufen«, warf Silver ein und rümpfte die Nase, als ein dröhnendes Motorrad an ihnen vorbeifuhr, vor dem Tor hupte und eingelassen wurde.

»Ja, und saufen findest du am allerschlimmsten«, fügte Kelly an und lächelte bedauernd. »Ich weiß.«

Ja, wusste sie, immerhin war Kelly Silvers beste Freundin und das schon sehr lange. Sie hatte Susans beste und schlimmste Zeiten miterlebt. Sie hatte auch Silvers schlimmste Zeiten erlebt.

»Wenn du nicht auffallen willst, wirst du etwas trinken müssen«, meinte Kelly, legte eine Hand in Silvers Rücken und schob sie unnachgiebig auf das breite Tor zu.

Silver schluckte heftig, wahrscheinlich mehr aus Nervosität, weil sie sich gleich einer Horde trinkender, verschwitzter, tätowierter Männer stellen musste, als wegen des Gedankens, gezwungen zu sein, Alkohol zu trinken. Sie war sich sicher, dass sie mit dem Alkohol umgehen konnte. Ob sie mit den Männern umgehen konnte, wusste sie dagegen gar nicht. »Ja, ich werd es überleben. Wahrscheinlich.«

Kelly grinste. »Wahrscheinlich. Zumindest das Trinken, beim Rest bin ich mir nicht sicher.« Kelly blieb ein paar Schritte vom Zaun entfernt stehen. »Die Regeln!«

»So tun, als hätte ich Spaß dabei, wenn fremde Kerle mich begrapschen. So tun, als wäre ich für alles zu haben. So tun, als hätte ich Spaß.«

»Richtig. Und tu nichts, was ich nicht auch tun würde.«

»Das heißt, tu alles.«

»Du hast es verstanden.« Kellys Augen strahlten sie an, dann atmete sie tief ein. »Also los, ich hab Lust auf einen richtigen Kerl.«

»Ich bin mir sicher, damit hast du heute Glück«, sagte Silver lustlos und seufzte. Sie ließ sich von Kelly über die Straße schieben und versuchte, jedes warnende Flattern in ihrem Magen zu ignorieren. Das hier war nichts Besonderes. Nur eine Party. Nur ein Job.

Als sie vor dem Tor mit dem Logo stehenblieben, raste Silvers Puls wie verrückt. Als sie das letzte Mal mit ihrem Vater auf einer Party war, war sie 14 Jahre alt gewesen, sie trug ein dunkelblaues Satinkleid und er einen dunklen Anzug. Es war eine Gala in einer vornehmen Wohngegend von London gewesen. Der Auftrag war damals der gleiche wie heute. Nur besaßen die Gäste auf der Gala keine Waffen, zumindest trugen sie wohl keine unter ihren Anzügen und Kleidern. Heute wurden Kelly und Silver schon am Eingang von Waffen begrüßt. Die zwei Männer, die sie mit breit grinsenden Gesichtern begrüßten, trugen ihre Waffen offen an ihren Hüften. Sie wollten, dass jeder sie sah, als deutliche Botschaft an alle, die sich mit ihnen anlegen wollten.

»Kelly, eine Weile nicht gesehen«, begrüßte einer der Männer ihre Freundin.

»Rider«, sagte Kelly mit einem nur angedeuteten Lächeln.

»Wer ist deine Freundin«, wollte er wissen und lugte sie noch immer durch das Tor hindurch an.

»Meine Freundin Silver. Ich hatte Angst allein herzukommen.« Kelly zwinkerte ihm zu.

Die beiden Männer musterten Silver abschätzig, dann nickten sie. »Kommt rein und lasst mir was übrig«, verlangte Rider, dessen langes Haar offen über seinen Rücken fiel. Lange Haare bei einem Mann, Silver wusste nicht so richtig, was sie davon halten sollte. Wahrscheinlich gab es Männer, denen lange Haare gar nicht stehen würden, aber Rider wirkte fast schon indianisch.

Silver folgte Kelly auf das Clubgelände. Ihr Herz trommelte noch immer in ihrer Brust. Die Party schien auf dem Hof stattzufinden, denn hier standen wirklich viele Gäste herum. Und nicht auf jeder Kutte war das Logo der Helldogs zu sehen. Manche Rücken zierte gar kein Logo, manche kleine Teufel oder Schädel. Silver entdeckte ein paar Tonnen, in denen Feuer brannten, eine Menge Motorräder, eine Werkstatt und viele halbnackte Frauen. Kelly hatte sie vorgewarnt, auch davor, dass die Biker und die Frauen im Club sehr freizügig wären, aber mit dem, was sie hier sah, hatte sie nicht gerechnet. Sie fühlte sich plötzlich, als wäre sie in einem Swingerclub gelandet. Wahrscheinlich würde sie sich genauso fühlen wie jetzt, wenn sie mal in einem Swingerclub wäre, was sie noch nicht war.

»O mein Gott«, entfuhr es Silver fassungslos, als ihr Blick auf einem Paar landete, das nur wenige Schritte entfernt auf einer Bank saß, sie auf seinem Schoß. Er hatte seine Hände unter ihrem nackten Hintern und feuerte sie laut brüllend an, sich schneller zu bewegen.

»Versuch es einfach zu ignorieren«, murmelte Kelly nah an Silvers Ohr.

»O ja, Babys, eine Show. Fasst euch an«, brüllte ein Kerl, der höchstens so alt war wie Silver und torkelnd und stolpernd auf sie zukam und dann einfach vor ihnen zusammensackte und liegen blieb.

»Hat der uns gemeint?«, hakte Silver erstaunt nach, dann schüttelte sie den Kopf und sah sich weiter um. »Konzentrier dich«, ermahnte sie sich. Sie ignorierte, was um sie herum passierte, und ließ ihren Blick möglichst unauffällig über die Gebäude gleiten. Vier Kameras, eine in jeder Ecke, auf den Innenhof gerichtet. Zwei Kameras auf dem Tor, auf die Straße gerichtet. Die Gebäude standen u-förmig. In den Innenhof kam man nur durch das Tor. Sie wandte sich zum Tor um, wo Rider und sein Kumpel noch immer standen und Gäste reinließen. Mit zusammengekniffenen Augen ließ sie ihren Blick über das Stahltor gleiten. Sie war sich nicht sicher, aber wahrscheinlich wurde es an normalen Tagen unter Strom gesetzt, es gab ein dickes Kabel, das vom Dach der Werkstatt zum Tor führte. Das wurde bestimmt nicht nur für die Kameras benötigt. Eine Party wäre wahrscheinlich der einfachste Weg in den Club.

»Was denkst du, wo sie die heißen Sachen verstecken?«, hauchte Silver ihrer Freundin zu. »Kelly?« Verwundert sah Silver sich nach ihrer Freundin um, die gerade von einem älteren Mann mit dicken, muskulösen Armen an seine Brust gezerrt wurde. »So ein Mist«, fluchte Silver leise und ballte zornig die Hände zu Fäusten.

»Du bist eine Süße«, grunzte der Mann lachend. »Kenn dich noch gar nicht.«

»Ich dich auch nicht«, gab Kelly zurück und versuchte, sich aus der Umarmung zu befreien, aber der Mann war eindeutig stärker als sie, also ging Silver auf die beiden zu, packte die fleischige Hand des Mannes, die auf Kellys Rücken lag, verdrehte sie in einer plötzlichen Bewegung und drückte sie in seinem Rücken zwischen seinen Schulterblättern nach oben. Auch das hatte sie von ihrem Vater gelernt, dem immer wichtig war, dass sie sich als Mädchen verteidigen konnte.

Der Mann ächzte und löste seinen anderen Arm von Kellys Körper, begann dann aber sofort, sich zu wehren. Und da er deutlich kräftiger als Silver war und ihr eben nur das Überraschungsmoment geholfen hatte, verlor sie sofort die Kontrolle über den Mann, der sich lachend nach ihr umdrehte. »Ganz schön mutig, Kleine, muss man dir lassen«, sagte er, fuhr sich mit einer Hand durch seinen langen grauen Bart und musterte Silver bewundernd. Wer Silver sah, glaubte nicht, dass sie dazu in der Lage war, sich gegen einen Mann zu wehren. Sie war recht klein, sehr dünn und hatte eher den Körper einer Sechzehnjährigen, statt den einer Achtzehnjährigen.

»Fass sie noch einmal an und ich schwöre dir, dein Schwanz bleibt die nächsten Wochen in deiner Hose, weil du ihn nicht nutzen werden kannst.« Silver sah von unten in das Gesicht des Mannes hoch, ohne die geringste Angst zu zeigen. Aber sie hatte Angst, nur würde sie sich das niemals anmerken lassen. Wenn man die Dinge erlebt hatte, die sie erlebt hatte, dann lernte man, sich immer stark zu geben.

»Schon gut, Silver«, versuchte Kelly sie zu beruhigen und zog sie ein Stück weiter weg. »So ist das hier. Die Männer versuchen auf jeden Fall, bei den Frauen zu landen. Und die meisten Frauen hier lassen es auch zu. Deswegen kommen sie hierher.«

»Sie zwingen sich den Frauen also auf, weil sie so dreist waren, auf ihre Party zu kommen?«

»So ist das nicht«, sagte eine dunkle Stimme neben ihnen.

Silver sah auf, neben ihnen stand ein Mann mit mittelblondem Haar, das bis auf seine Schulter reichte. Unter seiner Kutte trug er nichts außer zahlloser Tattoos, die sich um seine Muskeln schmiegten. Der Rest von ihm steckte in einer Lederhose und Boots.

»Wir haben Spaß, wir sind keine Vergewaltiger«, sagte er und ließ seinen Blick über Silver gleiten. »Fuck Mädchen, ich hoffe, du weißt, wie heiß du bist.«

Silver runzelte die Stirn. Noch nie hatte sie jemand heiß genannt. Ihr Vater nannte sie seine hübsche Kleine, Susan nannte sie gern Schlampe oder Miststück und in der Schule war sie als Freak bekannt. Heiß war definitiv neu.

»Du bist das erste Mal hier, oder?«, wollte der Kerl wissen und setzte seine Musterung fort, dann warf er einen flüchtigen Blick auf Kelly. »Dich hab ich schon gesehen.«

»Ich geh mir was zu trinken holen«, warf Kelly sichtlich nervös ein, was ungewöhnlich für sie war. Ohne Silvers Reaktion abzuwarten, verschwand sie, nicht ohne einen letzten unsicheren Blick auf den Kerl vor Silver zu werfen. Silver betrachtete ihn genauer. Mit seinen Tattoos, der Lederweste und dieser Größe, die Silver dazu zwang, noch weiter nach oben zu sehen als gewöhnlich, war er wirklich beeindruckend und auch ein wenig furchteinflößend.

»Hast du auch einen Namen?«, wollte der Biker jetzt wissen und trat einen Schritt auf Silver zu, deren sämtliche Nerven sich sträubten und zurückweichen wollten, aber sie rührte sich nicht. Das war der Plan, versuchte sie sich in Erinnerung zu rufen. Geh auf die Party, such dir einen Biker, trink mit ihm, bis er seinen Namen vergessen hat, und lass dir von ihm erzählen, wo sie ihre schmutzigen Geheimnisse verstecken. Rette deinen Bruder. Warum also nicht den erstbesten benutzen. Silver unterdrückte den Schauder, der sich durch ihren Körper rollen wollte, beim Gedanken, zuzulassen, dass dieser Mann sie auf eine Art berührte, wie sie sich noch nie hatte berühren lassen.

»Wie ist denn dein Name«, hakte Silver nervös nach und setzte ein freundliches Lächeln auf. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und legte eine Hand auf seine nackte Brust. Er fühlte sich verschwitzt an, klebrig und hart. Auch wenn sie sich vor sich selbst ekelte und eigentlich keine Ahnung hatte, was sie hier tat, sie musste das hier tun. Welche Wahl hatte sie schon? Sie musste tun, was getan werden musste, auch wenn das bedeutete, dass sie heute Nacht ihre Jungfräulichkeit an einen verschwitzten Biker verlor.

»Race. Und jetzt verrätst du mir deinen Namen.«

Blaze

»Mach schon fester«, stöhnte Blaze, krallte seine Fäuste tiefer in das Haar der Clubschlampe, die heute nur für ihn da war. Sie saugte an seinem Schwanz, machte dabei schmatzende Geräusche, und eigentlich sollte alles perfekt sein heute am Jahrestag seiner Kuttentaufe, aber er fühlte sich kaum anders als sonst. Für seine Brüder hatte er ein strahlendes Gesicht aufgesetzt, sie sollten glauben, dass dieser Tag der beste seines Lebens war. Aber das war er nicht. Manchmal glaubte er, er würde nie wieder gute Tage haben.

Er war stolz darauf, endlich ein Vollmitglied zu sein, das Logo der Helldogs auf seinem Rücken tragen zu dürfen, aber den bitteren Beigeschmack, den das alles hatte, konnte er nicht wegschieben. Er war da. Er war immer da. Selbst in den Augenblicken, in denen er sich seinem Vater so nahe fühlte, wie es nur ging. Blaze seufzte, weil die Frau, die vor ihm kniete, sich wirklich Mühe gab, aber er einfach nicht auf Touren kam. Nicht, dass er nicht hart wäre, das war er. Aber er war kaum bei der Sache und fühlte nicht diese alles verschlingende Lust, die er früher gefühlt hatte, wenn er sich mit einer der Clubhuren vergnügt hatte. Sex konnte die frostige Leere in ihm früher für Minuten verdrängen. Mittlerweile funktionierte das nicht mehr. Die Leere breitete sich in ihm immer weiter aus.

»Fuck«, fluchte Blaze, schloss die Augen und versuchte sich verzweifelt auf den Mund zu konzentrieren, der sich an ihm abarbeitete, aber es brachte nichts. Er schlug die Augen wieder auf und sah sich unter den Gästen um, die im Innenhof feierten. Es gab immer Gründe zum Feiern im Club, selbst wenn es nur der Jahrestag einer Kuttenweihe war. Manchmal glaubte er, dass sein Vater so versuchte, die Vergangenheit aus den Köpfen von ihnen allen zu halten. Vielleicht funktionierte das für die meisten hier auch, aber nicht für Blaze.

Blaze suchte den Innenhof nach einem Pärchen ab, dass es in seiner Nähe zur Sache gehen ließ. Vielleicht würde es ihm den letzten Kick geben, wenn er einem seiner Brüder dabei zusehen konnte, wie er einer Schlampe das Hirn rausvögelte. Sein Blick blieb an Race hängen, der sich mit einer Frau unterhielt, die ihm gerade bis zur Brust ging. Sie war sehr schlank und selbst in dieser engen Hose hatte sie kaum Kurven, aber was sie hatte, waren ein paar richtig heiße Titten, die sich gegen das enge dünne Top drückten und nur darauf warteten, dass sie berührt wurden. Das Mädchen hob den Blick und starrte ihn an, als hätte sie gemerkt, dass er sie beobachtete. Ihr Blick versenkte sich regelrecht in seinen und ihre Lippen öffneten sich, als wäre sie schockiert über das, was er hier tat. Diese weit aufgerissenen verunsicherten Augen, die sich auf ihn geheftet hatten, waren so hell wie Silber. Selbst auf mehrere Meter Entfernung konnte er sie leuchten sehen.

»Fuck«, stöhnte Blaze auf und explodierte in den Mund der Clubschlampe. Er kam so schnell, dass er keine Chance hatte, sie vorzuwarnen, aber darüber machte er sich keine Gedanken. Er machte sich viel mehr darüber einen Kopf, dass nur ein Blick aus diesen Augen geschafft hatte, was er seit Monaten nicht mehr erlebt hatte. Er war so heftig gekommen wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr.

»Verschwinde«, sagte er zu der Frau, die vor ihm kniete, und schloss seine Hose. Er griff nach der Flasche Whisky, die er sich vorhin mitgenommen hatte, und nahm einen großen Schluck. Sie starrte ihn noch immer an, während sie weiter mit Race redete, der jetzt einen Arm um ihre Taille schlang und sie gegen seinen Körper zog.

Blaze konnte sich nicht erklären warum, aber zum ersten Mal überhaupt fiel ihm auf, dass viele der Mädchen hier viel zu jung für seine Brüder waren. Dieses Mädchen war es definitiv. Und sie war viel zu heiß für Race. Trotzdem löste sie jetzt ihren Blick von ihm und wandte sich Race zu, schlang ihre Arme um seinen Nacken und ihre Beine um seine Taille, und Race ging mit ihr so in das Clubhaus. Wahrscheinlich wollte er mit ihr in eins der Zimmer verschwinden, wollte sie ganz für sich allein. Blaze war wirklich nahe dran, den beiden zu folgen. Um ihnen zuzusehen. Oder Race zu helfen? Er hielt nichts davon, eine Frau mit einem seiner Brüder zu teilen, obwohl das im Club ständig passierte, aber wenn er sie nur mit Race zusammen haben konnte, dann klang teilen plötzlich verlockend.

Es musste an diesem düsteren, tief verletzten und traurigen Blick liegen, der in ihren Augen gewesen war, aber Blaze empfand eine Verbindung zu ihr, die er sonst nur zu seiner Schwester empfand. Nur wenige Menschen kannten diese Art Schmerz, den er kennengelernt hatte. Sie kannte ihn ganz offensichtlich.

Blaze fuhr sich durch die Haare, warf einen Blick auf die halbleere Flasche in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte er einfach nur zu viel getrunken. Er stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und ging quer über den Innenhof auf seinen Vater zu, der mit seiner Old Lady Zugange war. Sie saß vor ihm auf einem Tisch, die Beine gespreizt und um seine Taille geschlungen. Daria und er konnten die Finger kaum voneinander lassen, was weder für Blaze noch für den Rest des Clubs ein schöner Anblick war, denn die beiden schoben sich, wo immer sie aufeinanderstießen, ihre Zungen in den Rachen und rieben sich aneinander. Blaze konnte sich besseres vorstellen, als den Anblick seines Vaters, wenn der in seine Hosen ejakulierte.

»Wie gefällt dir deine Party?«, wollte Rogue wissen und Daria leckte sich über ihre geschwollenen Lippen, nahm die Beine von der Taille seines Vaters und versuchte, nicht zu verlegen zu wirken. Sie wurde tatsächlich noch immer rot, wenn Blaze sie beim Herummachen erwischte. Als ob das nicht seit einem Jahr täglich passierte.

»Tolle Party«, murmelte Blaze und mühte sich nicht mit einem Lächeln ab. Alle im Club fanden toll, was mit Rogue und Daria passierte, nur er nicht. Er konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass sein Vater eine andere Frau als seine Mutter liebte. Natürlich war er nach seiner Mutter auch noch mit einer anderen Frau verheiratet gewesen, aber das hatte rein praktische Gründe. Sie hatten geheiratet, damit er und seine Schwester ein Zuhause hatten, in dem sie bleiben konnten, während er im Knast saß. Mit dieser Frau hatte Rogue nichts am Laufen. Er wollte seinen Vater dafür hassen, dass er seine Mutter durch eine andere ersetzt hatte, aber das konnte er nicht, weil er zu stolz auf ihn war. Aber Daria, die konnte er hassen.

Rogue löste sich von seiner Frau, nahm Blaze am Oberarm und trat mit ihm ein paar Schritte vom Tisch weg. »Was ist los?«, wollte er mit zornigem Unterton wissen.

Blaze verspannte sich. »Nichts, ich fühl mich nur etwas unruhig«, entschuldigte er sich und senkte den Blick. Rogue war nicht nur sein Vater, er war auch sein Präsident. Und als solchen respektierte er ihn sehr. Nicht so sehr als Vater. Sein Vater grinste. »Du bist erst einen Tag wieder zurück und willst schon wieder los?«

Blaze zuckte mit den Schultern. Thorne und er waren letzte Woche in Deutschland gewesen und hatten ein privates Treffen mit einem Arschloch von den Chinesen. Blaze liebte die Art, wie Thorne die Dinge regelte: blutig, dreckig und … interessant. Der Chinese hatte einen ihrer Waffendeals vereitelt. Eins der wenigen illegalen Geschäfte, denen der Club überhaupt noch nachging. Blaze ballte die Faust, als er darüber nachdachte, wie es sich angefühlt hatte, auf den Kerl einzuschlagen, ihn zu foltern und ihn verbluten zu lassen. Seine aufgestauten Gefühle an einem Drecksack auszulassen, waren in den letzten Monaten die wenigen Augenblicke gewesen, in denen er sich nicht vollkommen leer gefühlt hatte.

»Ich brauche etwas zu tun«, sagte er gelassen, innerlich zog sich jeder Muskel zusammen bei der Vorstellung, bald wieder diesen Kick fühlen zu können, der ihn überwältigte, wenn er jemanden seine Fäuste in die Eingeweide rammte.

Rogue musterte ihn. »Also gut. Kümmer dich um das Problem mit dem Arschloch, das meint, in unserer Stadt Frauen auf den Strich schicken zu können«, meinte er und kniff die Lippen fest aufeinander. Sein Alter hatte mit Prostitution keine Probleme, aber er hasste es, wenn die Frauen dazu gezwungen wurden. Blaze hatte damals nicht viel davon mitbekommen, aber als der Club noch in Glasgow lebte, sind da eine Menge unschöner Sachen passiert, die irgendwann mit dem Tod seiner Mutter geendet hatten. Sein Vater würde also nicht zulassen, dass die Geschichte sich wiederholte. Blaze auch nicht.

Er nickte lächelnd und wollte sich gerade auf den Weg zu seiner Maschine machen, als Rogue ihn nochmal zurückhielt. »Nicht heute, morgen. Du findest raus, wer dieses Arschloch ist, was er sich dabei gedacht hat, sich über unsere Regeln hinwegzusetzen und bringst ihn unter die Erde.«

Blaze ließ die Schultern sinken. »Morgen«, bestätigte er missmutig, auch wenn er es lieber sofort erledigt hätte. Aber als Präsident hatte Rogue das Sagen, das hieß, Blaze würde sich daran halten, egal, was er persönlich darüber dachte. So lief das im Club, und da Blaze einen Großteil seines Lebens im Club verbracht hatte und das hier sein Zuhause war, würde er einen Befehl niemals missachten. Besonders nicht, da sein Vater in den letzten Monaten dazu übergegangen war, ihm und Thorne die schwierigen Aufgaben zu überlassen. Er schonte den Rest des Clubs immer mehr, weil sie alle nach Tolosa gegangen waren, um von dem ganzen Mist der letzten Jahre wegzukommen. Nur kam ein MC nicht einfach so weg von dem Mist, er folgte ihm. Es gab also noch immer Dreck, der erledigt werden musste. Und Blaze erledigte den Dreck nur zu gern, um die Leere mit irgendetwas zu füllen, selbst wenn es nur Gewalt oder Schmerz war.

Enttäuscht beschloss Blaze, sich im Clubhaus eine Flasche Whisky zu gönnen, ein paar Dartpfeile zu werfen und sich dann vielleicht noch einmal einen blasen zu lassen. Oder er würde sich einfach so sehr volllaufen lassen, bis ihn der Alkohol ins Vergessen schickte und er an nichts mehr denken musste. Auch nicht daran, dass er nur zugesehen hatte, als seine Mutter vor seinen Augen verblutet war.

Einer der Hangarounds saß neben Thorne auf dem Sofa, als er in das Clubhaus kam. Die beiden beobachteten eher gelangweilt die Show, die zwei Clubschlampen vor ihnen abzogen. Von hinter der Theke kam ein lautes Stöhnen und die raue Aufforderung irgendeines Kerls, schneller zu machen. Blaze ging um die Theke rum, um nachzusehen, wer sich dahinter vergnügte. Es war nicht die Kleine, von der er gehofft hatte, sie vielleicht hier drin mit Race zu erwischen. Nicht dass er besonders scharf darauf war, Race dabei zuzusehen, wie er eine Frau fickte. Aber der Gedanke gefiel ihm, ihr dabei zuzusehen, wie sie gefickt wurde und dabei vielleicht die Dunkelheit in ihrem Blick durch pure Lust ersetzt wurde.

»Hast du Race gesehen?«, wollte er von Andrew wissen, der eine zweistöckige Torte auf seinen Knien hielt und seine Old Lady ungeduldig dazu drängte, die Kerzen auf der Torte anzuzünden. »Wer hat denn Geburtstag?«

»Niemand, Vera und Bear hatten gestern ihren 25. Hochzeitstag. Wir haben die beiden vorhin belauscht«, meinte Phoebe grinsend.

»Wenn die gedacht haben, dass sie ohne eine Party davonkommen, haben sie sich geirrt«, fügte Andrew hinzu.

Blaze zuckte mit den Schultern, weil ihn das eigentlich nicht interessierte. Dafür interessierte sich ein Teil von ihm für die Kleine von vorhin. Vielleicht schaffte sie es, diese Leere in ihm für ein paar Minuten zu verdrängen. Sie hatte auf ihn nicht gewirkt, als würde sie hierher gehören. Und das sprach etwas in ihm an, mehr als es sollte. Und es machte ihn neugierig auf sie. Er traf nicht oft Frauen, deren Unschuld ihnen so sehr aus jeder Pore tropfte, dass man es ihnen in den großen unsicheren Augen ansehen konnte. Sie hatte von dem, was in so einem Club abging, keine Ahnung, das hatte ihm ihr erschrockener Blick gezeigt. Und genau das brachte etwas in ihm zum Schwingen, denn er würde sie zu gern in das Leben im Clubhaus einführen.

Blaze schnappte sich eine Flasche Glenfiddich und ging wieder zurück um die Theke herum und rüber zur Dartscheibe, wo er die Flasche öffnete, einen großen Schluck nahm und dann lustlos ein paar Pfeile auf die Scheibe warf. Es interessierte ihn nicht einmal, wo sie stecken blieben. Diese innere Unruhe, die ihn seit dem Tod seiner Mutter quälte, ließ nicht zu, dass er sich auf irgendetwas konzentrierte. Das konnte er nur, wenn er einen Auftrag für den Club erledigte, der möglichst brutal war und ihn endlich wieder etwas fühlen ließ. Und wenn es nur ursprüngliche, alles verzehrende Wut war, mit der er den Schmerz loslassen konnte.

Blaze warf den letzten Pfeil nach vorne, dann beschloss er, sich zusammen mit der Flasche Glenfiddich in den Trainingsraum zurückzuziehen und einem der Sandsäcke die Seele aus dem Leib zu prügeln. Er wollte gerade in den dunklen Flur abbiegen, der auch zu den Gästezimmern führte, als sich eine der Türen öffnete und die Kleine von vorhin ihren Kopf vorsichtig herausstreckte. Blaze wich schnell in die Schatten zurück und versteckte sich so, dass sie ihn nicht sehen konnte. Irgendwas an ihrem Verhalten kam ihn merkwürdig vor. Sie hatte erst den Kopf in den Flur gesteckt, sich umgesehen und dann noch einmal zurück in das Zimmer geblickt, bevor sie leise die Tür geschlossen hatte. Sie schlich auf die Tür zum Büro seines Vaters zu, zog am Griff und stöhnte dann leise auf, dann sah sie sich wieder um und entdeckte mit einem leisen Aufkeuchen Blaze.

»Suchst du etwas?«, hakte er nach und trat aus seinem Versteck, die Flasche Glenfiddich noch immer in den Händen und ein merkwürdiges Gefühl in der Brust, bei dem Gesichtsausdruck, den sie ihm zuwarf. Sie fühlte sich eindeutig ertappt. Und das gefiel ihm nicht. Oder vielleicht doch?

Silver

Silver wollte laut aufschreien vor Frustration. Es hatte sie so viel Mühe gekostet, diesen verschwitzten Biker so betrunken zu machen, dass er ohnmächtig wurde, bevor er in ihr Höschen kam, und jetzt stand ihr der nächste von diesen Kerlen gegenüber. Sie war ihrem Ziel noch keinen Schritt näher gekommen. Egal, wie betrunken sie Race gemacht hatte, wie vorsichtig sie mit ihren Fragen vorgegangen war, er hatte nicht eine einzige beantwortet. Weder wusste sie, wie das Sicherheitssystem im Clubhaus funktionierte, noch welchen Raum sie am meisten schützten. Außer der Videoüberwachung draußen und einer Tür mit einem lächerlich altmodischen Tastenfeld hatte sie nichts gefunden. So wenig sie sich vorstellen konnte, dass jemand etwas Wichtiges auf diese Weise schützen würde, das Zimmer hinter dieser Tür war im Moment ihre beste Option. Und die ihres Bruders, denn an irgendwelche schriftlichen Beweise zu gelangen, würde Josh schneller helfen, als langwierig zu versuchen, einen Fuß in diesen Club zu bekommen und darauf zu hoffen, dass man ihr etwas Nützliches verraten würde.

Race hatte es ihr gezeigt, er konnte noch so betrunken sein, er hatte ihr nichts gesagt. Er hatte ihr nicht einmal Drogen angeboten, als sie danach gefragt hatte. Im Gegenteil, er hatte wütend gewirkt, also hatte sie das Thema sofort wieder fallenlassen. Aber irgendetwas musste sie dem Polizisten liefern, der sie vor einer Woche bei einem Einbruch erwischt hatte und sie jetzt damit erpresste, ihr jede Chance darauf, ihren Bruder zurückzubekommen, zu verbauen, wenn sie ihm nicht half, den Club auszuschalten.

Silver sah dem anderen Biker trotzig ins Gesicht. »Ich suche die Toilette«, sagte sie.

Der junge Biker zog eine Augenbraue hoch. Er war etwa so alt wie Silver, wirkte nicht ganz so gefährlich wie mancher von den älteren im Club, aber noch immer deutlich gefährlicher als jeder andere Mann in seinem Alter, dem Silver jemals begegnet war. Er kam ein paar Schritte näher, legte langsam den Kopf schief und musterte Silver in aller Ruhe, bevor er mit einem gierigen Lächeln wieder nach oben sah. »Wie kommst du darauf, wir könnten die Toilette mit einem Zahlencode sichern?«, wollte er wissen und nickte zum Tastenfeld hin, auf dem Silver eben noch ihre Finger hatte. Silver schluckte und spürte, wie Hitze in ihrem Körper aufstieg. Sie unterdrückte die Versuchung, ihre Hände an ihrer Kleidung abzuwischen, stattdessen schwankte sie etwas hin und her und tat so, als wäre sie betrunken.

»Du meinst, das ist nicht die Toilette?«, sagte sie lallend und trippelte jetzt von einem Fuß auf den anderen, als müsste sie ganz dringend.

»Nein, ist es nicht.« Der Biker wies mit dem Kinn zum Ende des Gangs. »Dort ist die Toilette.« Dann warf er einen Blick über die Schulter zurück. »Und dort hinten rechts vom Eingang gibt es noch eine Toilette.«

»Dann hab ich mich wohl verlaufen«, gab Silver zurück und hatte Mühe, ihre Frustration aus ihrer Stimme zu halten. Das lief überhaupt nicht so, wie es geplant war. Und darüber ärgerte Silver sich sehr, denn jede Minute, die Josh nicht in Sicherheit war, würde ihn vor Angst wahnsinnig machen. Und sie auch.

Als sie versuchte, an dem Biker vorbeizukommen, packte er sie am Unterarm und sah sie unter zusammengekniffenen Lidern hervor an. Silver unterdrückte einen Schauder. Diese Biker machten ihr irgendwie Angst, sie konnte sie nicht einschätzen. Jeder einzelne von ihnen hatte etwas Furchterregendes an sich. Und diesen grimmigen, harten Blick schienen sie alle gemeinsam vor einem Spiegel zu üben, anders konnte sie es sich nicht erklären, dass wirklich jeder Mann hier es schaffte, Silvers Puls zum Rasen zu bringen, nur indem er sie ansah.

»Wie heißt du?«, wollte der junge Biker wissen, leckte sich mit der Zunge über seine volle Unterlippe und trat dann noch einen Schritt näher auf sie zu. So nahe, dass sie jetzt sein herbes Aftershave riechen konnte und den ledrigen Geruch seiner Kutte. Silver versuchte sich loszumachen und zog an ihrem Arm. »Hast du keinen Namen?«

»Ich habe einen, aber ich wüsste nicht, warum ich ihn dir sagen sollte.«

»Weil man sich vorstellt, wenn man jemandes Zuhause betritt«, sagte er düster und sein Griff um ihren Unterarm wurde fester.

Silver holte zitternd Luft. Am liebsten hätte sie diesem Typen an seinen langen dunkelblonden Haaren gezerrt, aber da sie kein trotziges kleines Mädchen mehr war, verzichtete sie lieber darauf, diesem Impuls nachzugeben. »Silver«, sagte sie knapp, riss noch einmal an ihrem Arm und diesmal ließ er sie los. So abrupt, dass sie rückwärts stolperte und sich erst nach zwei Schritten wieder fangen konnte.

»Ich bin Blaze«, sagte er. »Und da wir uns jetzt kennen, kannst du mir sagen, wonach du gesucht hast.« Sein Blick hatte sich noch immer nicht aufgehellt, aber mittlerweile beeindruckte das Silver nicht mehr so sehr. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte provozierend.

»Ganz einfach, ich habe eine gut gesicherte Tür gesehen und bin neugierig geworden.«

»Also versuchst du immer, wenn du eine geschlossene Tür siehst, sie aufzubrechen?«

Silver hielt seinem herausfordernden Blick stand und nickte. »So bin ich nun mal.« Sie nutzte die deutliche Verwirrung in Blazes Gesicht und schob sich einfach an ihm vorbei, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. Was ihr nicht leicht fiel, denn dieser Typ hatte etwas an sich, dem selbst sie sich nur schwer entziehen konnte. Aber irgendwie traf das auf alle Männer hier zu. Das musste an diesem Bad Boy-Ding liegen. Dem konnte sich wohl keine Frau wirklich entziehen. Es machte ihr Angst, aber es zog sie auch an. Obwohl jede Frau wusste, dass sie diesem Gefühl nicht nachgeben sollte, konnte keine sich lange dagegen wehren, weil es aufregend war, beängstigend und deswegen spannend.

Selbst Silver, die es besser wissen müsste, hatte es schwer gehabt, Race nur betrunken zu machen und sich ihm nicht hinzugeben. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass, wäre sie mit Blaze in dieses Zimmer gegangen, sie nicht hätte widerstehen können. Obwohl er nur halb so hart wie Race wirkte auf den ersten Blick, hatte er etwas extrem Finsteres in seinem Gesichtsausdruck. So als käme diese Dunkelheit direkt aus seiner Seele. Silver rieb sich über die fröstelnden Arme und beeilte sich, aus dem Clubhaus zu kommen, denn sie fühlte seinen bohrenden Blick noch immer in ihrem Rücken. Zumindest wusste sie jetzt, diese Biker waren misstrauisch. Sehr sogar, was hieß, sie hatten tatsächlich etwas zu verbergen. Jetzt musste sie nur noch herausfinden was, um Josh aus den Fängen der Behörden befreien zu können.

»Hast du was?«, wollte Kelly wissen und runzelte die Stirn, als sie Silvers Gesichtsausdruck bemerkte. »Ist was passiert?« Besorgt legte sie eine Hand auf Silvers Arm.

Silver atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Nein, nichts herausgefunden und beinahe erwischt worden.«

»So ein Mist«, fluchte Kelly. »Vielleicht war es nicht die beste Idee, etwas zu versuchen, solange hier so viele Biker rumlaufen. Du wolltest dich doch nur umsehen.«

Silver presste die Lippen aufeinander. Sie wusste ja selbst, wie dumm es war, sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen, statt sich genau vorzubereiten, aber eigentlich hatte sie nicht die Zeit für lange Vorbereitungen und Recherchen. »Ich will Josh doch nur helfen«, antwortete sie seufzend. Sie sah auf, als jubelnde Rufe laut wurden. Ein paar Biker feuerten zwei Männer an, die sich in der Mitte des Hofs prügelten. Immer mehr umringten die Kämpfenden, bis sie inmitten der Körper verschwunden waren und Silver nur noch eng beieinander stehende Rücken sehen konnte, die zu einer harten Front aus Lederkutten wurden. »Ich kann nicht zulassen, dass er das alles noch einmal durchstehen muss. Er muss panische Angst haben.«

Kelly schlang die Arme um Silver und zog sie an sich. »Nicht alle Pflegefamilien sind so«, sagte sie leise. Das wusste Silver auch, aber ihre Angst war davon nicht zu überzeugen. Sie war einfach da und versorgte sie mit den schlimmsten Bildern überhaupt. Und das alles waren keine Fantasiebilder. Sie waren in ihrem Kopf, weil sie sie wirklich gesehen hatte. »Hast du alles, was du brauchst?«, fragte Kelly und löste sich von Silver.

»Ich denke schon. Ich werde es versuchen, wenn hier mal nicht so viele Menschen sind.«

Kelly grinste. »Dann hab ich vielleicht gute Neuigkeiten für dich. Am nächsten Wochenende befindet sich der ganze Club auf einer Ausfahrt. Sie fahren nach Edinburgh zu T in the Park.«

»Was ist das?«

»Ein Rockfestival, das einmal im Jahr für ein Wochenende stattfindet. Hier wird also niemand sein. Ein ganzes Wochenende lang nicht.«

Silver schlang Kelly die Arme um den Körper und hob sie hoch. »Du bist die Beste!«

»Ich weiß.«

»Darf ich vielleicht mitmachen?«, wollte jemand wissen.

Silver ließ ihre Freundin los und wandte sich zu der Stimme um. Es war der junge Biker von vorhin, der mit in die Taschen geschobenen Händen ein paar Schritte entfernt stand, scheinbar völlig unberührt von dem Tumult hinter ihm, und Silver angrinste.

»Du schon wieder«, gab Silver zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er legte den Kopf schief, fuhr sich über seine Lippen - seine Unterlippe war viel voller als seine Oberlippe, irgendwie gefiel Silver das. »Solange du hier bist, bin ich dein Schatten.«

»Warum?«, wollte Kelly wissen, während Silver sich noch unbehaglich wand. Kelly machte einen Schritt vor und stellte sich schützend vor Silver. Ihre Freundin konnte wie eine Löwin sein, wenn es um Silver oder Josh ging.

»Weil ich ihr nicht traue«, antwortete Blaze, ohne den Blick von Silver zu nehmen.

Silver trat hinter Kelly hervor. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie würde sich vor ihm verstecken, weil sie feige war. »Das ist nett, ohne einen Bodyguard kann man sich hier schon ziemlich unsicher fühlen. Zu viel Testosteron«, sagte sie und ließ ihren Blick abfällig über seine zur Schau gestellten Tattoos und Muskeln gleiten. Es war offensichtlich, dass er versuchte, unter all den viel älteren Männern hier im Club nicht als der Schwächste zu gelten. Er gab sich Mühe, sich zu integrieren und doch bemerkte Silver sofort, dass er nicht wirklich ein Teil von ihnen war. Er wirkte wie ein Außenseiter inmitten von Außenseitern.

Blazes Blick strich über Silvers Körper, dann trat ein selbstzufriedenes Lächeln auf seine Lippen. »Es gibt eben Bodys, die es wert sind, beschützt zu werden. Und es gibt Bodys, die es nicht sind. Deiner sollte unbedingt beschützt werden.«

Silver schnaubte abfällig.

»Ich lass euch dann mal allein«, warf Kelly eilig ein und lächelte unsicher. »Ihr versteht euch so gut, ihr schafft das auch ohne mich.«

»Du hast Race ganz schön fertiggemacht«, sagte Blaze und musterte Silver noch neugieriger. Er fuhr sich über seinen scharf geschnittenen Kiefer und schüttelte eine dunkelblonde Strähne aus seinem Gesicht. Seine Haare fielen in weichen Wellen bis unter sein Kinn und unter sein Auge hatte er sich eine einzelne Träne tätowieren lassen. Es verstörte Silver, wie merkwürdig sie sich unter seinen Blicken fühlte. Für gewöhnlich war sie viel lockerer in der Nähe von Männern, aber Blaze löste diese Hitze in ihr aus, die sich in ihrem Gesicht niederschlug und bewirkte, dass sie nervös auf ihrer Unterlippe herumkaute. Sie hasste es, wenn sie sich so peinlich berührt fühlte, so als müsse sie sich einer strengen Prüfung unterziehen.

»Ich habe gar nichts getan«, verteidigte sie sich. »Er war so betrunken, dass er schon auf dem Bett lag und eingeschlafen war, noch bevor ich die Tür hinter uns zugezogen hatte.«

Blaze lachte. »Dann hast du also noch nicht bekommen, weswegen du gekommen bist?«

Silver spannte sich an. »Wie meinst du das?« Wusste er wirklich, weswegen sie hier war? Woher? Hatte Mendez sie verraten und wollte gar nicht, dass sie Erfolg hatte? War es nie darum gegangen, ihm die Helldogs auszuliefern, sondern Silver an den MC auszuliefern? Silver rieb sich über ihr Brustbein, als ihr Herz anfing zu rasen.

»Du bist noch nicht gefickt worden.« Blaze grinste breit und kam einen Schritt näher, dann beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte: »Ich kann dir geben, was du brauchst.«

Silver wich erschrocken zurück und riss die Augen auf. »Deswegen bin ich nicht hier«, empörte sie sich. Für wen hielt dieser Kerl sie?

»Alle sind deswegen hier«, warf Blaze grinsend ein.

Silver sah sich auf dem Innenhof um, aber sie wusste auch vorher schon, dass Blaze recht hatte. Überall waren Frauen mit Bikern zugange. Knieten vor ihnen, saßen auf ihnen oder hatten ihre Beine um ihre Taillen geschlungen. »Deswegen bin ich bestimmt nicht hier.«

Blaze kam wieder näher, legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an seinen Körper. »Dann hättest du nicht herkommen dürfen«, flüsterte er.

Silver erstarrte, als sie seinen heißen Atem auf ihrer Wange spürte und dann seine feuchte Zunge über ihren Hals strich. Ihr Puls begann zu rasen und ihr Magen zog sich panisch zusammen. Aber da war noch eine viel verstörendere Reaktion ihres Körpers: zwischen ihren Beinen zuckte es verlangend. Hastig löste Silver sich aus der Umarmung und stießt Blaze grob von sich. »Das wird ganz bestimmt nicht passieren.«

Blaze grinste. »Vielleicht nicht heute.« Er wandte sich von ihr ab und ließ sie stehen, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. Silver war so verwirrt, dass sie ihm atemlos nachstarrte. Sie würde bestimmt nicht warm werden mit diesen Bikern. Sie waren auf eine faszinierende Weise abstoßend direkt und zugleich anziehend. Und einschüchternd. Und Silver hasste es, sich nicht stark zu fühlen. Sie brauchte das Gefühl, über alles die Kontrolle zu haben. Leider hatte sie dieses Gefühl in der letzten Zeit nicht oft. Vielmehr entglitt ihr alles. Ganz besonders Josh. Und das gab ihr eher das Gefühl, völlig hilflos zu sein. Sie musste die Kontrolle zurückgewinnen und das konnte sie nur, indem sie diesen Auftrag irgendwie hinter sich brachte.

Kapitel Zwei

Silver

Kelly rümpfte die Nase, als sie den Trailer betraten. Entschuldigend sah Silver sie an, klemmte einen von ihren Schuhen, die neben der Tür lagen, in den Rahmen und sorgte so dafür, dass die Tür offen blieb. Dann eilte sie zum Fenster über der kleinen Küchenzeile und schob es nach oben.

Silver sah sich im Wohnbereich des Trailers um und entdeckte den Fleck mit Erbrochenem direkt vor dem Sofa. Susan lag davor auf dem Boden, ihr Haar in der Pfütze und die Augen geschlossen. Jedes Mal, wenn Silver sie so fand, hoffte ein Teil von ihr, dass sie tot wäre, und gleich darauf hatte sie wegen dieser Gedanken ein schlechtes Gewissen, denn sie wusste auch, wie schlecht eine Mutter vielleicht auch sein mochte, es war besser eine zu haben, als keine zu haben.

»Hilfst du mir, sie auf das Sofa zu legen?«, bat Silver Kelly und wusste, dass das viel verlangt war, denn ihre Freundin hielt mittlerweile überhaupt nichts mehr von Susan. Trotzdem packte Kelly sie an den Fußknöcheln und gemeinsam legten sie Joshs Mutter auf das ausgeklappte Sofa.

Mit einer Schüssel und einem feuchten Lappen reinigte Silver zuerst Susans Gesicht und Haare, bevor sie den Boden wischte. Es vergingen mehrere Minuten, bis Susan das erste leise Stöhnen von sich gab und dann die Augen öffnete.

»Du bist schon zurück?«, murmelte sie undeutlich. »Wo ist Josh?«, fügte sie noch an, dann war sie schon wieder weggetreten.

»Du solltest wirklich mit zu mir kommen. Du könntest erstmal bei mir wohnen«, schlug Kelly vor. Das hatte sie ihr in den letzten Tagen, seit Josh abgeholt worden war, immer wieder vorgeschlagen. Und Silver hatte es immer wieder abgelehnt.

»Du hast eine winzige Einraumwohnung. Ich will dir nicht zur Last fallen.«

»Du bist meine beste Freundin, du fällst mir nicht zur Last«, entrüstete Kelly sich und begann, die herumliegende Kleidung von Susan aufzusammeln und in den Wäschesack zu werfen, mit dem Silver einmal in der Woche zu Kelly ging.

»Ich muss mich um sie kümmern, wer soll es sonst tun?«

»Niemand«, zischte Kelly, dann lächelte sie Silver entschuldigend an. »Tut mir leid.«

Silver seufzte. »Sie ist Joshs Mutter, er braucht sie.«

»Er braucht dich. Sie ist unbrauchbar«, schnappte Kelly und wies mit dem Kinn auf die bewusstlose Frau, deren strähnige Haare ihr Gesicht bedeckten.

Silver zog eine Braue hoch. »Trotzdem liebt er sie.«

»Ich weiß«, gab Kelly stöhnend zu. »Ich kann nur nicht ertragen, dass du so leben musst. Ich hatte so gehofft, dass das endlich alles vorbei wäre, jetzt wo du volljährig bist.«

Silver nickte, weil sie das auch gehofft hatte. Der Plan war, so lange vor dem Jugendamt zu fliehen, bis sie das Sorgerecht für Josh beantragen konnte und dann das Leben auf der Straße, in ständiger Angst, zu beenden und Josh ein richtiges Leben zu ermöglichen. Und dann, ausgerechnet an dem Tag, wo alles hätte ein Ende haben können, holte die Realität sie alle wieder ein. »Vielleicht bekomme ich die Stelle als Kellnerin«, sagte Silver leise.

»In einer Stripbar!«, betonte Kelly und schüttelte den Kopf. »Das Jugendamt wird begeistert sein. Es könnten noch Wochen vergehen, bis du einen guten Job und eine Wohnung gefunden hast. Der Einbruch war die beste Option«, warf Kelly ein.

»Bis ich erwischt und von einem Gesetzeshüter erpresst worden bin.« Silver räumte das Geschirr in die Spüle, ließ Wasser in den Wasserkocher ein und gab Spülmittel über das Geschirr. »Jetzt muss ich ihm helfen, diese Biker zu überführen, um nicht im Gefängnis zu landen, denn dann hätte Josh überhaupt keine Chance mehr.«

Kelly lachte leise. »Das mit den Bikern hat auch nicht so gut geklappt. Du musst zugeben, dein Vater wäre im Moment ziemlich hilfreich.«

Silver fiel in Kellys Lachen ein. »Wäre er, aber um ihn aus dem Gefängnis zu bekommen, müssten wir erst in ein Gefängnis einbrechen. Und du siehst ja, wie gut ich das mit dem Einbrechen ohne seine Hilfe hinbekomme.«

Kelly nahm sich seufzend das Geschirrtuch und begann, das Geschirr abzutrocknen, das Silver gespült hatte. »Ich wette, diese Biker würden das hinbekommen.«

Silver lachte wieder. Langsam fühlte sie sich wieder besser. Ihre Stimmung war nach dem Reinfall im Club im Keller gewesen, sie hatte sämtliche Hoffnungen verloren und innerlich schon aufgegeben gehabt. Aber aufgeben konnte sie sich nicht leisten. Josh war das Wichtigste in ihrem Leben. »Es war dumm von mir, es sofort heute zu versuchen. Ohne Vorbereitung.«

»Du wolltest Josh eben so schnell wie möglich dort rausbekommen.«

Silver lehnte sich an die Küchenzeile und sah Kelly traurig an. »Und wenn der Polizist mir gar nicht helfen will? Wenn er nur seine Beweise will und dann damit verschwindet? Ich habe noch immer kein vernünftiges Zuhause.« Silver verdrehte die Augen. »Und der Job in der Stripbar … ich denke, du hast recht. Das ist hoffnungslos.«

Kelly stellte einen Teller in den Schrank. »Du schaffst das und alles wird gut«, sagte sie und klang sich ihrer Sache sicher. »Du schaffst immer alles.«

Silver seufzte leise. »Diesmal vielleicht nicht.«

Susan stöhnte auf dem Sofa schmerzerfüllt auf, dann rumste es dumpf, als sie vom Sofa fiel und fluchend aufbrüllte. »Warum ist Josh noch immer nicht hier?«, wollte sie stöhnend wissen, richtete sich ächzend in eine annähernd sitzende Position auf und rieb sich über das Gesicht.

»Weil Josh in einer Pflegefamilie ist«, antwortete Kelly gefrustet. Sie verdrehte die Augen in meine Richtung. »Ich glaube, sie kommt zu sich.«

»Ja, wenn man das so nennen kann«, fügte Silver angespannt an. Gerade konnte sie sich nicht entscheiden, womit sie sich besser fühlen würde: Mit einer im Kopf einigermaßen klaren Susan, die verstand, was mit Josh gerade geschah. Oder mit einer Susan, die zu benebelt war, um es zu verstehen und damit auch nicht in der Lage, den ganzen Wohnwagen kurz und klein zu schlagen vor Wut. Auch Susan war nur allzu bewusst, was in der letzten Pflegefamilie mit Josh geschehen war. Das war ein Grund, warum es mit ihr immer schlimmer geworden war und sie sich jetzt in dieser Situation befanden. Susan kannte nur einen Weg, um mit Schuld, Schmerz und Verlust umzugehen: sie ertränkte die Erinnerungen und Gefühle, statt sie zu verarbeiten.

Susans Blick richtete sich auf Silver, dann verengten sich ihre Augen zu wütenden Schlitzen. »Du hast sie ihn mitnehmen lassen«, schrie sie auf. Es würde also die wütende Susan sein. Sie war die, die Silver am meisten fürchtete.

»Ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.04.2019
ISBN: 978-3-7487-0271-9

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