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Straßenraub, prangte es auf der Innenseite der Regionalausgabe des Boulevardblatts. Von der Aufmachung her hätte diese Story auch auf die Titelseite gepasst. Diese war jedoch dem ehebrecherischen Treiben eines Fernsehstars vorbehalten. Der Überfall auf ein Ehepaar war doch eher von regionalem Interesse. Michael Merkhun interessierte dies jedoch weit mehr als die Pseudo-investigativen Enthüllungen der Titelstory.

 

Die Räuber, wenn Michael der Zeitung glaubte hatten ihre Opfer unter einem Trick auf einer einsamen Straße angehalten und aus dem Auto gelockt. Das angeblich begüterte Unternehmer-Ehepaar um die 50 besaß gegen die mehrköpfige Bande keine Chance. Sie wurden ausgeraubt, der Ehemann arg verprügelt und beide im Wald zurückgelassen. Erst am nächsten Vormittag stießen Wanderer auf die beiden hilflos im Wald herumirrenden Eheleute. Beide wurden mit Unterkühlung in eine Klinik eingeliefert. Während ihre Opfer im Dunkeln durch den Wald irrten statteten die Räuber der Villa des Paares einen Besuch ab.

 

„Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Herr Merkhun?“, hörte Michael plötzlich eine Stimme neben sich. Er ließ die Zeitung sinken. Vor ihm stand eine junge Frau. Anfang bis Mitte zwanzig. Mit dichten dunklem Haar. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug. Darunter ein weißes Top. Beides von guter Qualität. Die junge Frau lächelte ihn offen an. Obwohl er sich in diesem Hotel als eine Art Stammgast betrachtete hatte er diese Frau noch nie gesehen. Sie arbeitete sicher nicht im Service. Ihrer Garderobe und Haltung nach gehörte sie eher zum Management.

 

Michael lächelte zurück. „Danke. Ich bin zufrieden. Wie immer, Frau….?“ Er versuchte den Namen auf dem Schild am Revers zu entziffern. Die Frau kam ihm zuvor.

„Einfach Katharina, Herr Merkhun.“

Ihr Blick fiel auf die Zeitung. „Straßenraub? Ich dachte so etwas gibt es gar nicht mehr.“

„Anscheinend doch.“, antwortete Michael.

Die junge Frau wechselte das Thema. „Sie reisen heute ab, Herr Merkhun?“

 

Diese Katharina war offensichtlich gut informiert. Für Michael gab es zurzeit hier nichts mehr zu tun. Er hatte sich mit seinem Kunden getroffen. Die Details ihres Geschäfts waren ausgehandelt. Jetzt musste Michael die Ware beschaffen.

„Leider. Ein dringender Termin.“, erklärte er.

„Wir hoffen Sie bald wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen, Herr Merkhun.“, erwiderte diese Katharina und verabschiedete sich. Ohne einen weiteren Gast anzusprechen durchquerte sie den Raum und strebte dem Ausgang zu.

 

Michael sah ihr nach. Ein schöner runder Po und gutproportionierte Beine. Sie ist verdammt hübsch, dachte er. Ein wenig zu jung um wirklich an ihm interessiert zu sein. Michael kannte seine Wirkung auf Frauen. Groß, durchtrainiert mit vollem von leichtem Grau durchzogenem Haar. Dazu dunkle energisch blickende Augen in einem Gesicht dem man ansah, dass er seine Zeit nicht hinter dem Schreibtisch verbrachte. Der Typ sympathisches Raubein. Die Frauen ab einem bestimmten Alter mochten das. Michael seufzte. Diese Katharina war leider fünf Jahre zu jung oder er zehn Jahre zu alt.

 

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Die Tür wurde aufgerissen. Sebastian zuckte zusammen. Im Rahmen stand Lea, seine Assistentin. Über diese unschöne Angewohnheit musste er mit der jungen Frau noch einmal in einer ruhigen Minute sprechen. Die Tür zu seinem Büro stand meist offen. War sie geschlossen wollte Sebastian nicht gestört werden oder hatte wie jetzt gerade Besuch.

 

„Das Hotel hat die Reservierung bestätigt, Herr Großmann. Eine Anreise nach 18:00 Uhr ist kein Problem.“

Erst jetzt bemerkte die junge Frau seinen Gast. „Hi, Chris.“

„Hi, Lea.“, antwortete Christoph. In der Stimme des 35-jährigen lag das Selbstbewusstsein aller IT-Leute. Ohne sie funktionierte in einer Firma eben nichts. Buchhalter waren dagegen nur ein notwendiges Übel.

 

Lea schloss die Tür. Chris sah ihr nach. „Du nimmst sie mit?“

„Wie kommst du darauf?“, fragte Sebastian verwundert.

„Wegen der Vorabendanreise? Das macht doch sonst keinen Sinn.“

„Ich habe keine Lust um sechs Uhr morgens loszufahren.“, widersprach Sebastian. „Lass auf der Autobahn nur mal ein Stau sein. Abends ist mir das sicherer.“

„Lea kannst du trotzdem mitnehmen?“, blieb Christoph bei dem Thema.

„Das ist ein Seminar für Personalkostenplanung. Was soll Lea dort?“

„Einen guten Eindruck machen und was lernen.“, gab der IT-Leiter trocken zurück. Er grinste. „Du bist geschieden und Lea ist, wenn ich meinen Leuten glauben darf solo.“

„Der Beziehungsstatus meiner Assistentin interessiert mich nicht.“, antwortete Sebastian leicht genervt. „Lea ist 24.“

„Und du 38. Das ist doch perfekt.“, blieb der IT-Leiter bei dem Thema. „Ich würde sie mitnehmen. Aber bei mir muss das der Chef genehmigen. Du Glückspilz hast ja Prokura.“

 

Es klopfte. Eine Frau in den Vierzigern trat ein. Tanja Strauch. Die Personalchefin. Wie immer im schwarzen Rock und einer weißen Bluse über der eine lange Kette baumelte. Die Beine bedeckte eine hautfarbene Strumpfhose. Tanjas Füße steckten in dunklen Büropumps. Auch der Knoten im Haar und die dunkelgraue Strickjacke fehlten nicht. Sebastian hatte sie noch nie ohne gesehen.

Jetzt entdeckte sie Christoph.

„Entschuldigung, Sebastian. Ich wusste nicht das du Besuch hast.“

Chris machte eine großzügige Handbewegung. Tanja ignorierte sie.

„Nur eine Frage. Wann holst du mich ab? Ich muss vorher nochmal nach Hause.“

„Gegen sechs. Ist das in Ordnung?“

„Vollkommen.“, erklärte die Personalchefin.

 

Kaum das die Tür geschlossen war prustete Chris los. „Du fährst mit Tanja?

„Das ist doch das einfachste. Wir müssen beide zu dem Seminar.“

Chris sah ihn erstaunt an. „Tanja hat auch einen Firmenwagen. Warum fahrt ihr zusammen? Läuft zwischen euch was?“

„Nein.“, widersprach Sebastian entschieden. Christophs Gerede nervte ihn. Er mochte Tanja als Kollegin. In Besprechungen bildete sie mit ihrer ruhigen Art einen angenehmen Gegenpol zu ihrem manchmal recht aufbrausenden Geschäftsführer Dr. Tahler und hatte so manche aus dem Ruder gelaufene Diskussion wieder auf das Wesentliche zurückgeführt.

 

„Mal ehrlich, Bastian.“, holte ihn Christophs Stimme ein. „Bei Frauen redet man nicht über das Alter und gleich gar nicht mehr sobald eine Vier davorsteht. Das ist bei unserer Tanja bereits eine ganze Weile der Fall. Wie alt ist sie eigentlich?“

Sebastian reichte es jetzt. „Tanja ist 44 und Lea bleibt hier.“ Chris hob abwehrend die Hände. „Ist ja gut. Ich will dich nicht zu deinem Glück zwingen.“

 

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Dieser Satz ging Sebastian noch durch den Kopf als er seinen Wagen vor Tanja Strauchs Haustür stoppte. Chris mochte das anders sehen, aber Männer in seinem Alter weckten bei Frauen unter dreißig nur Interesse, wenn sie aussahen wie Brad Pitt vor zehn Jahren oder einen Beruf der Prestige und ein hohes Einkommen versprach ausübten. Buchhalter mit Ansatz zum Wohlstandsbauch und Eigentumswohnung besaßen keine Chancen. Das hatten ihn die Erfahrungen auf verschiedenen Datingplattformen eindeutig klar gemacht.

 

„Ich komme, Bastian.“, drang eine erstaunlich fröhliche Stimme aus der Sprechanlage.

Sebastian ging zum Auto zurück und öffnete den Laderaum. Eine Frau trat aus der Haustür. Er musste zweimal hinschauen. Es war tatsächlich Tanja. Das in der Firma stets zu einem Knoten gebundene Haar fiel in weichen dunklen Wellen über die Schulter. Statt Rock und Strickjacke sah er Röhrenjeans und eine kurze rote Jacke. Die weiße Bluse war geblieben. Deren nicht zu übersehenden Ausschnitt bedeckte ein buntes Tuch.

 

Das Highlight dieses Outfits waren jedoch die Stiefel. Ein Wunder, das Tanja damit überhaupt so schnell die Treppe herunter sausen konnte. Die Absätze waren gigantisch. In diesen Dingern wirkten ihre Beine keineswegs stämmig. Das galt auch für den runden Po in der engen Jeans. Dieses Outfit passte überhaupt nicht zu der trockenen langweiligen Personalchefin. Die Kollegen würden überrascht sein. Sebastian war es jedenfalls. Tanja warf ihren Rolli in den Kofferraum.

 

„Mach den Mund zu und steig ein, Bastian.“

Seine Überraschung war offensichtlich nicht zu übersehen. Irgendwie musste er aus dieser Nummer wieder heraus. Nur nicht sofort. Das wäre zu offensichtlich. Die Fahrt zu diesem Tagungshotel dauerte gut zwei Stunden. Genug Zeit eine Strategie zu überlegen mit der er sich nicht vollkommen lächerlich machte.

 

„Ich habe dich im ersten Augenblick überhaupt nicht erkannt.“, erklärte Sebastian als sie die Stadt hinter sich gelassen und die Autobahn erreichten. „Ich hatte ein etwas anderes Outfit erwartet.“

Tanja lachte. „Das war nicht zu übersehen, Bastian.“ Sie sah zu ihm herüber. „Aber was überrascht dich daran? Du trägst doch auch keinen Anzug.“

Das war korrekt. „Warum sollte ich? Es ist Feierabend.“

„Aber bei mir erwartest du dunklen Rock, Strickjacke und das Vogelnest auf dem Kopf.“

Sebastian musste schmunzeln. „Nennt man das so? Das du lange Haare hast wusste ich wirklich nicht.“

„Eigentlich wissen wir privat überhaupt nichts voneinander. Mal ehrlich. Ich weiß, dass du geschieden bist. Das ist aber auch schon alles. Hast du zum Beispiel Kinder?“

„Das müsstest du als Personalchefin eigentlich herausfinden können.“

„Ok.“, gab seine Begleiterin zu. „Aber warum hast du keine.“

„Hast du Kinder?“, drehte Sebastian den Spieß um.

„Eine Tochter.“, antwortete Tanja. „Sie hat studiert und wohnt nicht mehr bei mir.“

 

Sebastian versuchte zu rechnen. Da passte doch etwas nicht. Tanja kam ihm zuvor. „Katharina ist 23. Ich habe mit 20 geheiratet. Übrigens sehr zu Freude meiner Eltern. Nächstes Jahr hätte ich Silberhochzeit.“

Tanja warf ihm einen Blick zu. „Jetzt bist du dran. Warum hast du keine Kinder?“

„Weil meine Frau erst ihre Karriere als Unternehmensberaterin ins Laufen bringen und dann an die Familienplanung gehen wollte.“, erklärte Sebastian. „Ich fand es sogar ganz vernünftig. Das Frauen in den Dreißigern Kinder bekommen ist ja nicht ungewöhnlich.“

 

Sebastian wechselte auf die Überholspur. Rechts kam ein Motorradfahrer auf. Er verlangsamte das Tempo, wartete bis Sebastian den LKW erreicht hatte und ordnete sich hinter ihm ein.

„Warum bist du dann geschieden?“, wollte Tanja wissen.

„Meine Frau fand es auf die Dauer doch zu ermüdend ihren Teil zum Familieneinkommen beizutragen. Sie ließ sich scheiden, heiratete einen ihrer Mandanten und kümmert sich jetzt um dessen Karriere.“

Tanja lachte los. „Das hätte mein Ex sein können.“

 

Die Stimme des Navigationsgerätes unterbrach sie. Sebastian horchte erstaunt auf.

„Warum soll ich hier abfahren?“

Tanja wies auf die Routenplanung. „Am Autobahnkreuz ist Stau. Fahr besser ab.“

 

Von der Autobahn ging es auf die Bundesstraße. Nach einer Weile wies das Navigationsgerät Sebastian an abzubiegen.

„Mach es einfach.“, empfahl Tanja. „Ich kenne die Strecke. Sie führt wirklich zu diesem Hotel.“

Sebastian blinkte. Ein Motorrad schoss an ihnen vorbei.

 

Die Straße war schmal. Die bis an den Rand reichenden Bäume schirmten die letzten Sonnenstrahlen beinahe vollständig ab. Nur gelegentlich leuchtete ein heller Fleck auf die Straße.

„Vorsicht!“, schrie Tanja.

Sebastian hatte es bereits gesehen.

Halb auf der Fahrspur stand eine Frau. Sie wedelte mit den Armen und rannte auf sie zu. Sebastian ließ die Scheibe herunter.

„Gott sei Dank.“, stöhnte die Frau. Sie trug eine Wetterjacke, Jeans und feste Schuhe. Das dunkle Haar quoll in langen Strähnen unter der Mütze hervor. „Mein Mann. Er ist gestürzt.“ Sie wies auf einen Weg. „Sein Bein.“ Die Frau zog ein Mobiltelefon aus der Tasche ihrer Jacke. „Ich hab keinen Empfang. Bitte helfen Sie uns.“

 

Ohne ein weiteres Wort rannte die Frau los. Sebastian legte den Gang ein und folgte ihr. Er hielt den Rücken der Frau in seinem Scheinwerferkegel.

Tanja hatte sich vorgebeugt. „Wo will die denn hin?“ Sie griff ihn ihre Handtasche und zog das Smartphone heraus.

„Ich hab Netz.“ Tanja wies auf die Anzeige im Display seines Wagens. „Du auch.“

Ohne Vorwarnung bog die Frau ab und verschwand im Wald. Sebastian stieg auf die Bremse. Hinter ihnen flammten Scheinwerfer auf. Das Licht traf den Rückspiegel. Sebastian hob schützend seine Hand. Die Fahrertür wurde aufgerissen. Eine Faust schoss in das Innere des Wagens. Rote Punkte kreisten vor Sebastians Augen. Neben ihm schrie Tanja. In was waren sie hier hineingeraten?

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Langsam schlich Michael Merkhun näher an die Lichtung heran. Er konnte nicht glauben was er dort sah. Der Fahrer wurde aus dem Wagen gezogen. Sofort waren zwei Kerle bei ihm. Einer zerrte ihm die Arme nach hinten. Der Zweite schlug zu. Immer wieder. Ein Dritter kümmerte sich um die Frau. Diese stellte keine Gefahr mehr dar. Über ihrem Kopf lag eine dunkle Tüte. Die Hände waren mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Einer der Männer zerrte sie zu einem Auto. Einen SUV. Im Licht der Abendsonne wirkte der Wagen auf eine eigenartige Weise fleckig. Die dunkle Lackierung war unsauber. Improvisiert. Wie selbstgemacht. Die Frau vom Straßenrand war wieder da. In aller Ruhe durchsuchte sie die Handtasche ihre Geschlechtsgenossin.

 

Plötzlich war ein dritter Mann bei dem männlichen Opfer. Wollten sie jetzt zu dritt auf ihn einprügeln? Der arme Kerl hing doch nur noch in den Armen des Mannes hinter ihm. Dieser lockerte seinen Griff. Der Wehrlose sank auf die Knie. Ein Stoß in seinen Rücken beförderte ihn bäuchlings auf die Erde. Während der neu hinzugekommene Mann dessen Jacke durchsuchte und die Brieftasche ans Licht förderte stülpte einer der anderen dem auf dem Boden legenden Opfer eine dunkle Tüte über den Kopf. Dann kamen die Kabelbinder an die Reihe. Zwei der Männer schleppten den Wehrlosen zu dem SUV und beförderten ihn in den Laderaum. Der aus dem nichts aufgetauchte Mann ging mit der Brieftasche zu seiner Komplizin. Diese steckte sie ein. Die beiden stiegen in den Audi ihres Opfers und gaben dem Wagen die Sporen.

 

Michael drückte sich tiefer in den Waldboden. Die Lichtkegel des Wagens erreichten die Straße. Die Heckklappe des SUV schlug zu. Wenn diese hübsche Katharina diese Szene gesehen hätte würde sie nicht mehr fragen, ob es Straßenraub heute noch gäbe. Diese Bande dort hatte es gerade bewiesen. Die beiden Opfer besaßen nicht den Hauch einer Chance. Trotzdem hatten diese Leute einen Fehler gemacht. In diesem Wagen saß kein Ehepaar. Die Frau hieß Tanja Strauch und der arme geprügelte Hund Sebastian Großmann. Die beiden waren noch nicht einmal zusammen. Sie arbeiteten lediglich in derselben Firma.

 

Er war wohl so was wie der Hauptbuchhalter und sie die Personalchefin. Außerdem Michaels Schlüssel zu dieser Firma. In deren Lager gab es alles was sein Kunde wollte. Michaels Plan war einfach wie genial. Die Personalchefin arbeitete oft länger. Michaels Leute würden sich diese Tanja einfach schnappen. In ihrer Position konnte sie den Wachdienst, der die Alarmanlage überwachte erklären warum diese noch nicht aktiv war. Dann hatten sie praktisch die ganze Nacht.

 

Dafür mussten sie die Gewohnheiten ihrer Opfer kennen. Aus diesem Grund stand Tanja Strauch unter Beobachtung von Michael und seinen Partnern. Dass dies ein längerer Ausflug würde war nicht geplant. Schuld war dieser Großmann. Gewöhnlich verbrachte Tanja Strauch ihre Abende allein. Das galt auch für die Wochenenden. Keine Verabredungen. Keine Besuche. Warum tauchte plötzlich dieser Großmann bei ihr auf.

 

Dazu kam die Tatsache, dass Michael Tanja Strauch beinahe nicht erkannt hatte. Bisher trug sie meist unauffällige Kleidung. Doch in den Wagen dieses Großmann stieg eine außergewöhnlich attraktive Frau. Michael blieb keine Wahl. Er hatte an diesem Abend die Beobachtung von Tanja Strauch übernommen also musste er den beiden folgen. Diese Straßenräuber passten Michael überhaupt nicht in das Konzept.

 

Der Motor des SUV startete. Er fuhr tiefer in den Wald. Michael stand auf. Zum Glück hatte er sich ein Motorrad geliehen. Mit einem Auto wäre die Verfolgung jetzt zu Ende gewesen. Michael ging zu dem Motorrad und lies es an. Bei dem Lärm, den ihr eigener Wagen machte waren die Männer im SUV so gut wie taub. Er musste einfach nur den Lichtern folgen.

 

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Tanja wankte. Sie saß mit einem Sack über dem Kopf blind auf der Rückbank eines Wagens. Wenn die beiden Männer rechts und links neben ihr nicht gewesen wären hätte sie bereits auf dem Sitz gelegen. Der Wagen musste über einen Waldweg fahren. Aus dem Laderaum drang gelegentlich ein Stöhnen. Dort lag Sebastian. Die Männer hatten die Autotüren aufgerissen. Sie schlugen sofort auf Sebastian ein. Auch Tanja wurde gepackt und aus dem Wagen gezogen. Das letzte was sie sah war wie einer der Männer seine Faust in Sebastians Unterleib rammte. Seine Beine sackten weg. Nur der Mann, der seine Hände auf den Rücken zwang verhinderte, dass Tanjas Begleiter zusammenbrach.

 

Dann wurde es vor ihren Augen dunkel. Sie wurde in einen Wagen geschoben. Der Höhe des Einstiegs nach musste es kein PKW sein. Von draußen hörte sie Sebastians Stöhnen. Türen klappten. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Mit jeder Minute die sie sich von der Stelle entfernten wuchs die Angst in Tanja. Bilder brannten sich in ihr Gehirn. Sebastian blutend und zusammengeschlagen auf dem Waldboden. Sie den Männern hilflos ausgeliefert.

 

Der Wagen stoppte. Sebastians Körper knallte an die Rückbank. Er stöhnte kurz auf. Tanja flog gegen die Vordersitze. Jemand zog sie zurück.

„Deine PIN.“, forderte eine Männerstimme.

Tanja gab Auskunft. Sie spürte einen Luftzug an ihrer Seite. Die beiden Männer stiegen aus. Die Heckklappe wurde geöffnet. Jetzt war Sebastian an der Reihe. Er quetschte die PIN seiner Karte heraus. Tanja fühlte eine Hand in ihrem Rücken. Es klackte. Die Kabelbinder fielen.

„Zieh deine Stiefel aus.“, forderte eine andere Männerstimme.

Tanja tastete nach den Reißverschlüssen und zog sie herunter. Blind wie sie war dauerte es eine Weile bis sie die Stiefel ausgezogen hatte.

 

„Deine Jacke.“, forderte der Mann. Tanja streifte ihre Jacke ab. Hinter ihr stöhnte Sebastian.

„Hören Sie auf.“, stieß Tanja hervor. „Sie haben ihn doch schon genug geschlagen.“

„Halt die Klappe.“, herrschte sie der Räuber an.

Ohne Vorwarnung wurde ihr der Sack vom Kopf gerissen. Tanja blinzelte. Der Mann vor ihr trug eine Maske. Er packte ihren Arm und zerrte sie aus dem Wagen. Sie standen im Wald. Es war jetzt vollkommen dunkel. Nur die Rücklichter des Wagens erhellten die Szenerie. Sebastian kniete von einem der Männer bewacht neben dem Wagen. Seine Hände waren mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Über seinem Kopf lag noch der Sack. Die Schuhe fehlten.

 

Einer der Männer stand etwas abseits und telefonierte. Ein Zweiter lehnte am Wagen.

„Ausziehen.“ Die Worte des Mannes vor ihr trafen Tanja wie ein Blitz.

Sie schluckte.

„Ausziehen!“, wiederholte der Räuber.

Tanja zog ihr Tuch von der Schulter. Der Räuber riss es ihr aus der Hand. Der Mann am Wagen veränderte die Haltung. Sein Interesse galt jetzt eindeutig ihr.

Der Sack über Sebastians Kopf wurde heruntergezogen. „Dein Kerl wird dir dabei zusehen.“

„Er ist nicht mein Mann.“, klärte Tanja den Räuber auf. „Wir sind nur Freunde.“

 

„Egal.“ stieß einer der Räuber hervor. Er packte Sebastians Kinn. „Ich wette, davon hast du schon ewig geträumt.“

„Sie Schwein.“, stieß Sebastian hervor.

Der Räuber hob seine Faust. „Nein.“, schrie Tanja. „Ich tue es ja.“

 

Tanja knöpfte ihre Bluse auf und streifte sie ab. Zufrieden sah der Räuber ihr zu. Auch die Augen von Sebastians Bewacher leuchteten erwartungsvoll.

„Her damit.“, forderte er. Tanja reichte ihm die Bluse. Er warf sie in den Laderaum.

Wie aus dem Nichts war Sebastian plötzlich auf seinen Beinen. Mit immer noch auf den Rücken gefesselten Händen rannte er auf den Räuber vor Tanja zu. Der war zu überrascht und landete auf dem Waldboden.

Sebastian senkte den Kopf. „Lauf, Tanja. Renn um dein Leben.“ Wie ein Stier ging er auf seinen Bewacher los.

 

Es war zu spät. Die beiden anderen waren bereits über ihm. Eine Faust lies Sebastian herumwirbeln. Er rutschte über den Waldboden. Der zweite Mann hob den Fuß. Tanja warf sich dazwischen. Der Fuß traf ihre Schulter. Es brannte wie Feuer.

„Bitte. Lassen Sie ihn. Ich tue alles was Sie verlangen.“

Damit hatte sie sich den Kerlen ausgeliefert. Tanja zog Sebastian enger an sich. Sie wusste nicht warum. Er konnte ihr nicht helfen. Aber sie würde danach auch nicht allein sein.

 

Plötzlich flammte ein Scheinwerfer auf. Die Männer sahen sich erschrocken um. Im Wald heulte ein Motor.

„Nichts wie weg hier.“, schrie einer der Räuber.

Sie stürzten zum Wagen. Das unbekannte Licht erlosch. Der SUV setzte sich geräuschvoll in Bewegung.

Tanja sah ihnen nach. Sie brauchte ein paar Sekunden bis sie begriff. Es war vorbei.

 

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Im Dunkeln das Motorrad durch die Schneise zu steuern war weit schwieriger als dem SUV zu folgen. Diesmal war der Wagen hinter ihm und Michael hoffte, dass diese Räuber nicht umkehren würden. Falls doch konnte er nichts mehr für Tanja und ihren Begleiter tun.

 

In dem Artikel des Boulevardblatts stand nichts davon, dass die Opfer sich entkleiden mussten. Trotzdem war Michael felsenfest davon überzeugt, dass es sich um diese Bande handelte. Der Hinweis auf eine Unterkühlung des entführten Paares unterstützte diese Vermutung. Ein anderer Gedanke drängte sich geradezu auf. Falls diese Männer die Finger nicht von dieser Unternehmergattin gelassen hatten verschwieg der Artikel noch etwas anderes. Michael wollte kein Risiko eingehen. Er konnte weder eine Tanja Strauch mit Unterkühlung in der Klinik noch eine Frau an der sich diese Räuber vergangen hatten gebrauchen.

 

Seinen Informationen nach hatte Tanja Strauch zwar die Vierzig bereits überschritten. Aber der Hunger kam beim Essen und diese Tanja war mehr als ein Appetithappen. Das mussten auch diese Räuber erkennen. In den Aufnahmen, die Michaels Partner vor der Firma gemacht hatten wirkte diese Frau auf den ersten Blick keineswegs attraktiv. Eher unauffällig und grau. Aber ihre energischen Schritte, mit denen sie den Parkplatz überquerte ließen ahnen, dass sich unter diesem grau mehr verbarg. Seit Tanja Strauch in den Wagen dieses Großmanns stieg, wusste Michael, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.

 

Als sich Tanja Strauch auf ihren Begleiter warf musste Michael handeln. Hielt er diese Kerle nicht auf landete die Frau garantiert im Krankenhaus. Dabei kam ihm der Tumult den dieser Großmann bei dem irrwitzigen Versuch seiner Begleiterin zu helfen verursachte sehr entgegen. Diese Bande war abgelenkt. Michael schaffte es nah genug heran um die Männer in Panik zu versetzen. Dies hatte Tanja und diesen Großmann gerettet. Jetzt musste er dafür sorgen, dass dies so blieb.

 

Die Schneise mündete auf einen Weg. Michael stoppte das Motorrad zwischen den Bäumen. Der SUV kam näher. Die Scheinwerfer huschten über den Weg. Michael sah sich um. Wenn die beiden es bis auf diese Lichtung schafften waren sie gerettet. Der Wagen raste vorbei. Zufrieden gab Michael seinem Motorrad die Sporen. In den nächsten Tagen würde er Tanja und diesen Großmann im Auge behalten müssen.

 

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Die Füße schmerzten. Lange würde Sebastian das nicht mehr durchhalten. Auch seine Leidensgefährtin war am Ende ihrer Kraft. Tanja torkelte mehr an den Bäumen entlang als sie ging. Mitteleuropäische Füße sind nicht zum barfußgehen geeignet. Über die Richtung gab es keinen Zweifel. Nachts durch den Wald zu laufen wäre Wahnsinn. Sie mussten der Schneise folgen die der SUV genommen hatte. Irgendwann trafen sie auf einen Weg. Nur dort bestand eine Chance gefunden zu werden.

 

„Ich kann nicht mehr. Lass mich hier. Geh allein weiter.“ flüsterte Tanja kaum hörbar.

Sie lehnte an einem Baum und zog seine Jacke fester um ihren Körper. Tanja fror. Unter der Jacke trug sie nur ihren BH. Die Befreiung aus den Kabelbindern kostete Tanja zwei Fingernägel und ihn schmerzhafte Schürfwunden an den Gelenken.

 

Die Kälte drang auch unter Sebastians Hemd. Gerade deshalb war es wichtig nicht stehen zu bleiben.

„Du musst weitergehen.“, widersprach er. „Wir bleiben zusammen.“

„Nein.“, antwortete Tanja und sank neben dem Baum zusammen. „Du gehst allein weiter. Mit mir schaffst du es nie aus diesem Wald.“

„Selbst, wenn ich Hilfe holen kann, in diesem Wald finde ich dich nie wieder.“, appellierte Sebastian an ihre Vernunft.

 

Tanja blieb stur. Sie drehte sich einfach weg. Sebastian sah sich um. Die Dunkelheit schien jetzt nicht mehr so undurchdringlich. Es war eine klare Nacht. Das Mondlicht drang durch die Bäume. Allerdings hatten klare Nächte einen Nachteil. Es würde kalt werden. Selbst um diese Jahreszeit. Bis zum Hochsommer waren es noch zwei Monate.

 

„Wir müssen weiter. Die Nacht wird kalt.“, startete Sebastian einen erneuten Versuch.

„Danke, dass du mich daran erinnerst.“, kam prompt Tanjas Antwort. Sebastian antwortete nicht. Das letzte was sie brauchten war ein Streit.

 

Plötzlich stutzte er. Voraus, nicht weit entfernt leuchtete etwas. Ein Feuer? Nein. Dafür war es zu matt. Auch kein Scheinwerfer. Es bewegte sich nicht. Sebastian ging ein paar Schritte zur Seite. Das Licht verschwand. Es musste eine Reflektion sein. Dafür zeichnete sich ein dunkler Schatten deutlich vor dem Hintergrund ab.

 

„Da vorn ist etwas, Tanja.“

Seine Begleiterin hob den Kopf. „Was meinst du mit was?“

„Vielleicht eine Wanderhütte.“

Tanja zog sich am Baumstamm nach oben. Sie machte einen Schritt. Der Schmerz grub sich in ihr Gesicht. Sie schloss die Augen und atmete tief. Bis zu dieser Wanderhütte schaffte sie es nie.

Sebastian trat zu ihr. „Ich trage dich.“

„Schaffst du das?“

Er überhörte die Zweifel. „Bis zu dieser Hütte wird es schon gehen. Also komm.“

Tanja schlang ihre Hände um seine Schultern. Sebastian fasste unter ihre Hüfte und hob sie an. Tanja zog sich näher heran. Sein Gesicht lag vor ihrem Busen. Er schob den Kopf zur Seite.

„Fertig?“

Tanja nickte. „Ja.“

Sebastian peilte den Schatten an. Er verbiss sich den Schmerz und marschierte los.

 

Die vermeintliche Hütte entpuppte sich als Forstanhänger.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du das schaffst.“ Tanjas Lob tat gut. Aber sie war auch leichter als er erwartet hatte.

Sie ließ sich heruntergleiten und griff an die Tür. „Verschlossen. Ich versuche es durch das Fenster.“

„Lass mich das machen.“

„Das ist zu klein für dich.“, widersprach seine Begleiterin. Sie streckte ihm die Hände entgegen. „Du musst mich aber hochheben.“

 

Erneut griffen Sebastians Arme unter ihre Hüfte. Wie von selbst glitt sie nach oben. In der Firma galt es als Fakt, dass die Personalchefin ein Gewichtsproblem hatte. Das war kompletter Unsinn. Tanja löste eine Hand. Die Scharniere der Fensterläden quietschten.

„Dreh dich weg, Basti.“

Sebastian wandte den Kopf ab. Es klirrte. Tanja machte sich lang. Sie hatte die Fensterflügel geöffnet.

„Heb mich etwas höher.“

Sebastian fasste um. Jetzt lagen seine Hände wirklich auf Tanjas Po. In jeder anderen Situation hätte er sich dafür eine Ohrfeige eingefangen. Jetzt spürte er nur ihre weiblichen Rundungen und die Wärme ihrer Haut. Es wäre eine Lüge, wenn Sebastian sagen würde es gefiel ihm nicht. Auch Tanja schienen seine Berührungen nichts auszumachen. Sie schob sich rücklings in den Wagen hinein.

 

„Vorsicht.“, mahnte Sebastian angesichts dieser akrobatischen Übung.

„Du hast deinen Teil getan.“ Tanjas Stimme klang beinahe heiter. Diese Kletterpartie schien ihr nur wenig Mühe zu bereiten. „Jetzt bin ich dran.“ Sie zog ihre Beine an und verschwand im Wagen. Aus dem Fenster drang ein matter Schein.

„Ich habe eine Taschenlampe gefunden.“, rief Tanja erfreut. „Hier gibt es einen Gaskocher, eine Ölfunzel und einen merkwürdigen Ofen.“

Schranktüren klapperten. „Sogar Kaffee. Der Wasserkanister ist auch noch halb voll. Hier sind ein paar Schlüssel. Warte, ich probiere sie aus.“

 

Eine Minute später ging die Tür auf. „Komm rein.“, rief Tanja und streckte ihm eine Hand entgegen. Der Wagen war recht hoch. Eine Stufe gab es nicht. Sebastian ergriff die Hand seiner Begleiterin. Wohl etwas zu fest. Tanja wankte. Sie versuchte sich festzuhalten. Zu spät.

„Vorsicht.“, rief Sebastian. Seine Hände griffen wie von selbst nach der Frau vor ihm und zogen sie an sich. Tanja lies es geschehen. Ihre Arme krallten sich in seinen Rücken. Ihre Lippen glitten suchend über seinen Mund. Sebastian packte Tanjas Hüfte und hob sie hoch. Seine schmerzenden Füße waren vergessen.

Sie gab seine Lippen frei. „Was wir hier machen ist doch Wahnsinn.“

Sebastian konnte ihr nur zustimmen. „Fantastischer Wahnsinn.“

 

- 3 -

Der Kaffee tat gut. Er war heiß und stark. Draußen graute bereits der Morgen. Tanja saß auf der Bank an der Stirnseite des Forstwagens. Ihre wunden Füße lagen auf Sebastians Schenkeln. Dieser hatte sich in die andere Ecke der Bank gequetscht und die Beine auf einen Hocker gelegt. Der kleine Ofen spendete wohlige Wärme. Tanja sog sie in sich auf. Sebastians Augen waren geschlossen. Sein Atem ging tief und ruhig. Das diese Nacht so enden würde hatte wohl keiner von ihnen vermutet.

 

Ein Gedanke ging Tanja nicht mehr aus dem Kopf.

„Warum hast du dich auf die Männer gestürzt, Basti? Du hattest doch keine Chance.“

„Was hätte ich sonst tun sollen?“, fragte Sebastian. „Einfach zuschauen um mir danach ein Leben lang Vorwürfe zu machen?“

„Dieses Auto hat uns gerettet.“, widersprach Tanja.

„Ich vermute es war eher ein Quad oder Motorrad.“

„Egal.“, fuhr Tanja fort. „Wären die Männer nicht gestört worden, hätten sie dich zusammengeschlagen und mich aller Wahrscheinlichkeit nach vergewaltigt.“

 

Sebastian öffnete die Augen. „Warum hast du dich auf mich geworfen?“

„Ich wollte nicht, dass du zusammengeschlagen wirst.“, gestand Tanja.

„Lea hätte das garantiert nicht gemacht.“

„Lea?“ Tanja verstand nicht. „Wie kommst du jetzt auf Lea?“

„Weil Christoph mir empfohlen hat sie mitzunehmen. Warum kannst du dir sicher denken.“

„Vollkommen. Ich kenne mein Image in der Firma. Die dicke Personalchefin.“

 

Sebastian schob seinen Oberkörper gerade. „Du bist eine sehr schöne Frau, Tanja. Auch wenn du es meisterhaft verstehst dies zu verbergen. Warum eigentlich?“

„Das geht dich nichts an.“

Tanja erschrak vor der Härte in ihrer Stimme.

Sebastian sah sie verwundert an. Die Wärme schien plötzlich wie weg geblasen.

„Ich habe meine Gründe.“, fügte sie sanfter hinzu. „Zu Christoph wäre ich nicht in diesem Outfit ins Auto gestiegen. Bei dir hatte ich das Gefühl auch eine andere Seite zeigen zu können.“

Sebastian lehnte sich wieder zurück. „Du siehst ja wohin das geführt hat.“

 

Tanja beugte sich etwas vor. „Es war schön und ich bin froh es mit dir getan zu haben.“

„Warum sind wir eigentlich nicht miteinander befreundet, Tanja?“ Sebastian hatte die Augen wieder geschlossen. „Wir waren oft genug die letzten in der Firma. Was hat mich gehindert, dich einfach mal zum Essen einzuladen?“

„Ich hätte auch den ersten Schritt machen können.“, erwiderte Tanja. „Bei der Scheidung haben sich meine sogenannten Freunde eiskalt auf die Seite meines Mannes geschlagen. Ich stand so ziemlich alleine da. Seitdem bin ich wohl etwas merkwürdig.“

 

„Das haben Scheidungen so an sich.“, bestätigte Sebastian. „Meinen Freundeskreis hat die Scheidung auch mehr oder weniger zerlegt. Deshalb bin ich auch hierher.“

„Was sind wir eigentlich jetzt?“, sinnierte Tanja. „Freunde?“

„Freunde haben keinen Sex miteinander.“, widersprach Sebastian. Er schlug die Augen auf. „Vielleicht zwei Menschen, die sich besser kennenlernen wollen und einfach abwarten was passiert.“

Er hob seine Beine vom Hocker und spähte aus dem Fenster. „Ich glaub da kommt jemand.“

 

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„Das war gefährlich, Micha.“, erklärte Rolf. Er wies in Richtung des Geländes auf der anderen Straßenseite. „Wir hätten eine andere Möglichkeit gefunden dort reinzukommen.“

 

Die Kritik in der Stimme seines Partners war nicht zu überhören. Rolf kümmerte sich, wie er es selbst nannte um das praktische. Konkret bedeutete dies, er und seine Männer verschafften Michael Zugang zu der Ware, die Michaels Kunden brauchten. Der bullige Endfünfziger besaß Schultern wie ein Preisboxer und Hände wie Schaufeln. Allein der Anblick dieses Schranks, lies jeden Gedanken an Widerstand im Keim ersticken. Besonders da ihm gewöhnlich zwei weitere Männer mit ähnlicher Statur folgten.

 

„Welche Möglichkeiten?“, gab Michael zurück. Er hatte nichts weiter getan als Tanja Strauch vor einer Bande Straßenräuber zu beschützen.

„Vielleicht den Kerl der sich um das Lager kümmert.“, schlug Rolf vor. „Das würde uns auch die Sucherei ersparen.“

„Der ist verheiratet und hat Familie. Die Strauch lebt allein.“, erinnerte Michael seinen Partner. „Außerdem kann sie uns den Sicherheitsdienst vom Hals halten. Der Kerl vom Lager nicht.“

„Vielleicht brauchen wir trotzdem eine Alternative. Was ist, wenn sie sich einfach krankschreiben lässt?“

„Das glaub ich nicht.“, erklärte Michael. „Wart ab.“

 

Ein dunkler Audi bog auf das Gelände ein.

„Siehst du.“ Michael warf seinen Partner einen triumphierenden Blick zu. „Ich wusste, dass sie heute noch in die Firma kommt.“

Der Audi stoppte. Aus der Beifahrertür stieg ein Mann.

„Sie ist nicht allein. Dieser Großmann ist bei ihr.“, stellte Rolf fest.

„Das war zu erwarten. Irgendwie muss er in die Firma kommen. Sein Wagen haben diese Räuber.“

 

Rolf sah herüber. „Wir müssen davon ausgehen, dass die beiden jetzt öfter zusammen sind.“

„Ich befürchte es.“, bestätigte Michael. „Siehst du bei diesem Großmann ein Problem?“

Sein Partner schüttelte den Kopf. „Wir müssen die beiden im Auge behalten.“

„Das müssen wir.“, bestätigte Michael. „Fahr los. Wir stehen lange genug hier rum.“

 

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„Danke, Herr Kommissar. Ich werde es Frau Strauch ausrichten.“, erklärte Sebastian. Sein Wagen wurde gefunden. Die Polizei hatte ihn bergen lassen. Derzeit wurde er untersucht. Tanja und er mussten auf die Dienststelle und ihre persönlichen Gegenstände identifizieren. Sebastian griff zum Telefon. Die Tür wurde geöffnet. Christoph schaute herein. Als er sah das Sebastian telefonierte, wollte er die Tür wieder zuziehen.

 

Sebastian legte den Hörer zurück und gab ihm einen Wink. Christoph trat ein und grinste ihn an.

„Ich hab doch gesagt. Nimm Lea mit.“

„Um noch eine Frau dabei zu haben um die ich mir Sorgen machen muss?“

„Dann hättest du wenigstens etwas Nettes zu sehen gekriegt.“, erklärte der IT-Leiter.

In Sebastian stieg Ärger auf.

„Woher weißt du das?“

„Polizei. Presse. Such dir was aus. Ich hab meine Quellen. Wir IT-Leute sind super vernetzt.“, antwortete Christoph unbeeindruckt. „Du hast versucht den Helden zu spielen?“

„Ich habe versucht die Räuber abzulenken damit Tanja flüchten konnte. Es hat leider nicht geklappt.“

„Warum hast du das gemacht?“, wunderte sich Chris.

 

Sebastian warf seinem Besucher einen wütenden Blick zu. Die korrekte Antwort wäre gewesen, weil Tanja eine faszinierende Frau und du ein Idiot bist. Er schluckte seine Wut herunter. „Weil es sich so gehört.“

„Wenn du meinst.“, gab Christoph zurück. „Hättest du statt unserer Pummel-Tanja versucht Lea zu retten wärst du jetzt für den Teil unserer Mitarbeiterinnen, die dich interessieren sollten ein Held.“

Sebastian schluckte seine Wut herunter.

„Du hättest einfach dabei zugesehen, wie diese Kerle über Tanja herfallen?“

„Wenn ich mich verprügeln lasse muss für mich etwas dabei herauskommen. Bei Tanja bin ich mir sicher, nachdem diese Leute einen Blick auf ihre Speckrollen geworfen hätten wäre nichts passiert.“

 

Jetzt reichte es. Sebastian wollte dieses Thema beenden.

„Tanja hatte verdammtes Glück. Nur ein Zufall hat sie gerettet. Aus.“

Christoph setzte erneut zu einer Frage an.

Sebastian fuhr dazwischen. „Kein Wort mehr. Du willst doch nicht, dass sich herumspricht das unser smarter IT-Chef keinen Finger rühren würde, wenn seine Begleiterin von ein paar Typen dumm angemacht wird.“

 

Chris hob abwehrend die Hände. „Das habe ich so nicht gesagt.“

„In meiner Abteilung arbeiten fast nur Frauen. Wie schnell denkst du wäre das Gerücht herum?“

„Ist ja gut.“, lenkte Christoph ein und erhob sich. An der Tür blieb er stehen.

„Du schläfst mit ihr, Basti. Darauf hätte ich eigentlich gleich kommen müssen. Deshalb hast du dich mit den Kerlen angelegt und wolltest Lea nicht mitnehmen.“

„Nein.“, widersprach Sebastian entschieden.

Die Sache letzte Nacht ging Christoph nichts an. Trotzdem hätte Sebastian es gerne wieder getan.

 

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„Ich komme sofort zu dir, Mama.“, hörte Tanja die Stimme ihrer Tochter aus dem Hörer.

„Nein.“, widersprach sie entschieden. Sie wollte ihre Tochter jetzt nicht hier haben.

„Dann komm zu mir. Nimm dir ein paar Tage frei.“

„Das geht nicht so einfach.“, blockte Tanja ab. „Aber wem erzähl ich das.“

Ein Schweigen war die Antwort. Sie plagt das schlechte Gewissen. Nach ihrem Abschluss zog Tanjas Tochter nicht nur zu Hause aus, sondern machte sich auch sonst rar. Tanja hatte dafür Verständnis. Falls ihre Tochter einen Rat brauchte, würde sie sich melden. Aber ihre Tochter kam nach ihr. Sie beide waren gewöhnt ihre Probleme allein zu lösen.

 

„Wenn du Hilfe brauchst., Mama….“

„Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut.“, unterbrach Tanja ihre Tochter. Sie sah auf die Uhr. Es war bereits später Nachmittag und es gab noch einiges zu erledigen. Als erstes musste sie diese Nacht irgendwo schlafen. Ihre Wohnung war durchwühlt. Tanja hatte heute weder die Lust noch die Energie, das Chaos, das die Einbrecherin hinterlassen hatte aufzuräumen. Blieb nur ein Hotel.

 

Es klopfte an der Tür. Sebastian trat ein. Unwillkürlich zog ein Lächeln über Tanjas Gesicht. Sebastian lächelte zurück.

„Mein Wagen wurde gefunden. Wir müssen zur Polizei und unsere persönlichen Sachen identifizieren.“

„Ich muss mir nur noch ein Hotel für diese Nacht suchen. Hast du einen Vorschlag?“

„Ein Hotel?“ Sebastian schaute sie verwundert an.

„Meine Wohnung ist ein Schlachtfeld. Deine doch auch.“

Ihr Besucher schüttelte den Kopf.

„Bei mir war niemand. Sie hatten keinen Schlüssel. Der steckte in der Jacke.“ Sebastian runzelte die Stirn. „Die haben auch nicht danach gesucht. Die wollten nur meine Brieftasche.“

 

Tanja konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Die haben uns für ein Ehepaar gehalten, Bastian. Deshalb haben die Räuber nicht nach deinem Schlüssel gesucht. Meinen hatten sie ja schon.“

„So hat wenigstens einer von uns eine Wohnung.“, antwortete er trocken. „Darf ich dir Asyl anbieten?“

Tanja traute ihren Ohren nicht. „Ich soll bei dir schlafen?“

„Warum nicht. Ich habe ein Gästezimmer aber kein Auto. Du hast keine Bleibe aber einen Wagen. Es wäre das einfachste sich zusammen zu tun.“

 

Irgendwie klang das logisch. Aber Sebastian und sie unter einem Dach? Die Alternative wäre allein in einem Hotelzimmer zu hocken. Aber sie mussten ja nicht den ganzen Abend in seiner Wohnung verbringen.

„Einverstanden.“, entschied Tanja. „Wollen wir zusammen Essen gehen? Dr. Tahler hat uns beiden einen Vorschuss genehmigt.“

„Ich weiß.“, grinste Sebastian. „Mir untersteht die Kasse. Ich warte unten.“

 

Tanja fuhr ihr Notebook herunter, nahm ihre Handtasche und trat auf den Korridor hinaus. Aus der Teeküche schräg gegenüber drangen zwei Frauenstimmen.

„Hast du schon das von Frau Strauch und Sebastian Großmann gehört.“

„Du meinst den Überfall?“, fragte die zweite Stimme.

„Ja auch.“, antwortete die erste. „Aber das Beste ist…“ Die Sprecherin senkte ihre Stimme. Nur noch undeutliches Gemurmel war zu hören.

„Echt?“ Die zweite Stimme schien es nicht glauben zu können. „Sie sollte sich ausziehen und Sebastian hat sich deshalb mit den Räubern angelegt?“

„Ja.“, bestätigte die Erste.

„Meinst du da ist was zwischen den beiden.“

„Bastian und die dicke Strauch? Das glaub ich nicht.“

 

Die Geschichte hatte die Firma erreicht. Tanja zog geräuschvoll ihre Tür zu. Die Stimmen verstummten. Beim vorbei gehen warf sie einen Blick in die Teeküche. Die beiden jungen Frauen zuckten sichtbar zusammen.

„Guten Abend, Frau Strauch.“

„Guten Abend.“, antwortete Tanja.

„Oh, Gott.“, stöhnte jemand. „Jetzt sind wir fällig.“

Seid ihr nicht, dachte Tanja. Warum machte ihr diese Geschichte eigentlich nichts aus?

 

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Die Bedienung kassierte die Rechnung ab.

„Danke, Herr Großmann.“, verabschiedete sie sich.

Tanja hatte zwar gesagt, sie wollte ihn einladen, dann doch aber sofort zugesagt, als er ihr diesen einfachen Italiener vorschlug. Sebastian ging, wenn er aus der Firma kam gerne auf ein schnelles Abendessen in dieses Lokal. Fahren musste heute niemand mehr. Vom Restaurant zu Sebastians Wohnung waren es nur wenige Minuten. Auf seinem Parkplatz stand jetzt Tanjas Auto und im Gästezimmer ihre Tasche.

 

Auf der Straße bot er Tanja den Arm. Sie griff ohne Zögern zu. „Deine Wohnung habe ich mir ganz anders vorgestellt.“

Sebastian lachte. „Du hattest mehr eine Junggesellenbude erwartet?“

Die Frau neben ihm stimmte in das Lachen ein. „Dafür warst du zu lange verheiratet. Aber sie ist recht groß für eine Person.“

„Es sind doch nur vier Zimmer. Außerdem wollte ich sie nicht übermorgen wieder verkaufen.“, erklärte er.

Tanja warf ihm einen fragenden Blick zu. „Warum hast du sie überhaupt gekauft?“

 

Auf diese Frage gab es eine einfache Antwort. Sebastian wollte nach der Scheidung einen Ort der ihm gehörte. Einen Platz an dem er zu Hause war. Außerdem wollte er weit weg von seiner Ex-Frau. Sein jetziger Job und der damit verbundene Umzug kamen ihm sehr gelegen. Diese Wohnung stand damals zum Verkauf und Sebastian griff zu. Die Bank spielte mit. Es gab keine Kinder zu versorgen und seine Ex-Frau strebte im Eiltempo eine neue Ehe an.

 

„Du Glücklicher.“, seufzte Tanja. „Bei meiner Scheidung hatte ich kaum einen Cent auf dem Konto und keinen Job. Dafür eine Tochter und einen Ex-Mann, der versuchte sie mir wegzunehmen.“

 

Bevor Sebastian etwas sagen konnte wechselte Tanja das Thema. „Ich habe zufällig ein Gespräch mitgehört. Unsere Geschichte ist in der Firma angekommen. Die dicke Strauch und du.“

In Sebastian kroch Ärger hoch. „Wenn ich noch einmal höre, dass dich jemand so nennt kriegt er Ärger.“

„Lass es. Ich kann damit leben, Bastian. Vielleicht ist es sogar gut so. Auf jeden Fall besser als das Gerücht wir hätten mit einander geschlafen.“

 

„Das haben wir aber.“, Sebastian fühlte den Trotz in seiner Stimme.

„Das haben wir.“, bestätigte Tanja. „Aber es geht niemanden etwas an.“

„Trotzdem werde ich wütend, wenn dich jemand so nennt, Tanja. Das nicht erst seit letzter Nacht. Ich finde es einfach unfair.“

„Das ist es auch.“, stimmte ihm Tanja zu und warf einen kurzen Blick in seine Richtung. „Schau mich an. Was siehst du?“

 

Was sollte er schon sehen. Tanja sah aus wie immer. Nur trug sie statt des Rocks eine dunkle Hose. Die flachen Schuhe an Stelle der Büropumps waren ihren wunden Füßen geschuldet. Das Vogelnest auf dem Kopf und die graue Strickjacke waren geblieben.

Tanja deutete sein Schweigen richtig. „Genau das was du vor dieser Nacht gesehen hast. Eine Frau Mitte vierzig mit ein paar Pfunden zu viel.“

„Nur leider weiß ich, dass dies nicht stimmt.“, gab Sebastian zurück.

„Der Rest der Firma weiß es nicht und das soll auch so bleiben.“

„Christoph ahnt, dass wir die Nacht nicht platonisch verbracht haben.“

„Oh Gott.“, stöhnte Tanja. „Dann weiß es morgen die ganze Firma.“

„Nicht unbedingt. Er könnte ernsthafte Probleme kriegen. Das weiß er.“

 

„Was für Probleme?“ Tanja schien hell wach.

„Er hat mir gegenüber ein paar dumme Bemerkungen gemacht, von denen er nicht möchte das sie bekannt werden.“

„Bemerkungen?“

„Man könnte auch Frechheiten dazu sagen.“ Näher wollte Sebastian nicht darauf eingehen.

Tanja blieb stehen. Sie legte ihre Hände um seine Taille.

„Ich bin froh dich letzte Nacht bei mir gehabt zu haben.“

Sebastian zog ihren Körper an sich. „Und ich erst.“

Tanjas Arme suchten einen Weg nach oben. Sie legte ihren Kopf in den Nacken. „Tu es“ sagte sie leise. Eine Sekunde später spürte er ihre Lippen auf seinen.

 

- 4 -

 

Tanja zog den Duft des Kaffees in sich auf. Sie fühlte sich wohl. Gegenüber biss

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Ole Altmann
Cover: Canva
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2685-2

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