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Die Idee

Der Wecker klingelte. Alexander Scheffelbaum blinzelte auf die Anzeige. Halb sieben. Obwohl er früh im Bett gelegen hatte war die Nacht kurz gewesen. Die Ursache dafür lag neben ihm. Andrea Vollborn, seine Freundin. „Morgen Liebling.“, sagte sie. „Guten Morgen, meine Schöne.“, erwiderte er und streichelte über ihr Haar. „Du schamloser Lügner.“, lachte Andrea und schob ihre Beine aus dem Bett. Mit einem Ruck stand sie auf. „Ich lüge nicht, Andrea.“, antwortete Alexander entrüstet. Seine Freundin schüttelte den Kopf. „Verliebte Männer.“, sagte sie und verschwand aus dem Zimmer.

 

Alexander sah ihr nach. Was hatte Andrea denn? Sicher mit Konfektionsgröße 42 war sie weit von den dürren Dingern auf den Laufstegen entfernt. Aber alles an seiner Freundin besaß die richtigen Proportionen. Ihr voller Busen, die schwungvolle Hüfte, die ungemein sexy aussehenden Beine. Alles an ihr stimmte und wurde von einem intelligenten und vor allem hübschen Gesicht gekrönt. Seine Freundin war eben eine Frau, eine leidenschaftliche Geliebte, eine liebevolle Mutter und eine starke Partnerin. Sie sollte sich bloß nicht so haben, dachte Alex während er in die Küche schlürfte. Ihre 35 Lenze sah man seiner Freundin wirklich nicht an.

 

Im Bad rauschte das Wasser. Alex bestückte die Kaffeemaschine und suchte im Kühlschrank nach etwas Essbaren. Suchen war dafür genau der Richtige Ausdruck. Der Kühlschrank sah aus wie seine gesamte Wohnung. Es war die Wohnung eines 31-jährigen alleinstehenden Mannes, der diese vier Wände bis vor einigen Wochen wirklich nur zum schlafen benutzt hatte. Also kurz gesagt eine Junggesellenbude. Aber damit musste Schluss sein. Alexander war zusammen mit seinem Vater Geschäftsführer der Scheffelbaum-Gruppe, eines bundesweit tätigen Fachgroßhandelsunternehmens im Elektrobereich mit Auslieferungslagern im fast jeden Bundesland, diversen Töchtern und Beteiligungen.

 

Das Unternehmen stand gut da. Sein Vater und bis vor kurzem auch seine Mutter hatten die Zügel fest in der Hand und das Unternehmen von einer kleinen Bude bis zur jetzigen Größe aufgebaut. In einigen Bereichen waren sie sogar unangefochtener Marktführer. Das Scheffelbaumschiff lag ruhig im Wasser. Ein Grund dafür war die langsame, aber zielstrebige Expansion, auf die seine Eltern gesetzt hatten. Keine Schnellschüsse auf Pump, sondern mit soliden Mitteln ein Ziel verfolgend. Die Eigenfinanzierung des Unternehmens stimmte. Der Ruf von Scheffelbaum war ausgezeichnet und das sollte auch so bleiben.

 

Das dies so bleiben würde lag hauptsächlich an ihm. Alexander Scheffelbaum hatte dafür zu sorgen, dass es so blieb. Insgesamt war es Zeit für einen Generationswechsel in der Führung. Damit drehte sich die Sache im Kreis. In diese Junggesellenbude konnte man niemanden einladen. Das war aber in Zukunft notwendig. Ein Umzug ließ sich also nicht vermeiden. Noch vor einem halben Jahr hätte sich Alex irgendeine Designer-Wohnung gesucht, die seine Besucher beeindruckte, ihm aber eigentlich egal war. Nur jetzt ging das nicht mehr. Dafür gab es genau zwei Ursachen. Die erste steckte gerade den Kopf durch die Tür und sagte, „Das Bad ist frei, Alex.“ und die zweite war die 14-jährige Tochter der ersten Ursache.

 

Alexander ging ins Bad und schloss die Tür. Andrea war geschieden und hatte eine Tochter aus erster Ehe. Lena hieß das Mädchen und befand sich diese Woche mit einer Jugendfreizeitfahrt in Spanien. Das war auch der Grund für die kurze Nacht. Bei Andrea übernachten ging nicht. Ihre Wohnung war im Prinzip ein liebevoll eingerichtetes Nest für Andrea und ihre Tochter. Dort passte kein Mann hinein. Und da Andrea ihre Tochter prinzipiell nachts nicht allein ließ. Waren die Nächte, die sie in ihrer nun schon fast dreimonatigen Beziehung gemeinsam in einem Bett verbrachten an zwei Händen abzuzählen.

 

Obwohl sie beide sich danach sehnten, blieb Andrea hart. Nachts war sie zu Hause. Bis jetzt hatte es nur eine Ausnahme gegeben. Das war eine Einladung zum Geburtstag eines Kunden. An diesem Wochenende hatte Andrea ihre Tochter bei ihren Eltern sozusagen geparkt. Das würde noch oft genug vorkommen, aber es sollte nicht die Regel werden. Andrea Vollborn war nicht nur Alexander Scheffelbaums Freundin, sondern auch die kaufmännische Leiterin der Scheffelbaum-Gruppe. Sie war es schon bevor sie ein Paar wurden. Auf diesen Posten hatte sie die Aufdeckung der verbrecherischen Taten ihrer Vorgängerin gebracht, deren Assistentin Andrea gewesen war. Was ihr an Erfahrung fehlte, glich sie durch Einsatz aus. Außerdem wurde Andrea zumindest jetzt noch von Ursula Scheffelbaum, Alexanders Mutter unterstützt. Aus der Unterstützung wurde jedoch mehr und mehr ein Coaching. Ursula Scheffelbaum war der Meinung man könnte Andrea jetzt Stück für Stück alleine laufen lassen. So war der Termin morgen bei ihrer Hausbank auch der letzte an dem sie teilnehmen würde.

 

Aber das alles löst unser Problem auch nicht, dachte Alexander als er wieder die Küche betrat. Andrea Vollborn saß am Tisch. In der Hand eine Tasse Kaffee, die Beine übereinander geschlagen. Der blaue Rock lag eine Handbreit über ihren Knien. Das weiße Top gab bei ihrer Haltung einen Streifen ihres Rückens frei. Ganz im Kontrast dazu standen die alten Hauspantoffeln an ihren wippenden Füssen. Andreas Blick glitt über den Tisch und verriet was sie von den Lebensmitteln darauf hielt.

 

„Alex, das geht so nicht weiter. Dieses Nomadendasein muss ein Ende haben.“ Alexander lächelte, wenn Andrea das Problem selbst ansprach umso besser. „Ich such mir eine größere Wohnung.“, fuhr sie fort. Alex Lächeln erstarb. So hatte er sich die Lösung nicht vorgestellt. Ihm schwebte etwas anderes vor. „Andrea, ich dachte mehr an ein Haus.... Ich meine wir beide…“ Seine Freundin schüttelte energisch den Kopf und stand auf. „Alex. Nein. Weißt du mir geht das zu schnell. Ich bin deine Angestellte und wenn ich mit dir zusammenziehe, dann kommt es mir vor als ob ich mein Leben aufgebe.“ Andrea sagte dies mit einem Ernst in der Stimme die Alexander traurig machte. Er wollte eine starke selbständige Partnerin, aber er wollte auch mit ihr zusammenleben.

 

Andrea Vollborn sah Alex wohl an das sie sich falsch ausgedrückt hatte und relativierte. „Ich meine ja nicht für immer. Nur jetzt ist es mir noch ein wenig zu früh.“ „Trotzdem.“ setzte Alex dagegen. „Wenn du umziehst legen wir uns fest. Ich muss aus dieser Bude raus. Was ist, wenn wir in drei oder vier Monaten doch zusammenziehen wollen?“ Alexander sah förmlich das Arbeiten im Kopf seiner Freundin. Das Argument konnte sie nun wirklich nicht von der Hand weisen.

 

Plötzlich sah Andrea auf die Uhr. „Ich muss los, Alex. Tut mir leid. Aber das Problem können wir jetzt nicht klären.“ „Was treibt dich denn so?“, fragte Alex interessiert. „Du! Liebling. Deine Vertriebsleute hatten ihre Planung erst gestern fertig, also darf ich mit meinen Leuten heute Überstunden machen, damit wir bei dem Termin morgen ordentliche Zahlen haben. Also bis heute irgendwann.“ Mit diesen Worten flog Andrea aus dem Raum.

 

Alex sah ihr nach. Er musste auch los. Der Termin war das Bankgespräch morgen Vormittag. Ein Gedanke schoss Alexander Scheffelbaum durch den Kopf. Andrea hatte nur gesagt, sie wolle nicht mit ihm zusammenwohnen. Von nicht unter demselben Dach war keine Rede und Alex wusste wer ihm bei dem Problem helfen konnte.

 

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Der Mercedes stand auf dem Parkplatz eines Low-Budget Hotels. Im Fond saß ein Ehepaar. Auf den Vordersitzen zwei Männer mit Pistolen. Das Ehepaar wusste von den Waffen. Sehen konnte es sie nicht. Ihre Augen bedeckten dunkle Brillen, die kein Licht durchließen. Der Mann war Mitte fünfzig und normal gebaut. Das Grau seiner Haare war mit Hilfe einer Tönung einem Kastanienbraun gewichen, das gut mit der Farbe seines Anzugs harmonierte. Die Frau neben ihm zählte über zehn Jahre weniger. Es war jedoch seine erste Frau. Der Mann, ein Unternehmer hatte lange gewartet bis er die ideale Besetzung für die Rolle seiner Partnerin gefunden hatte. Die Frau, die diese Stelle einnahm, saß jetzt neben ihm. Mit ihren langen blonden Haaren und ihrer sportlichen Figur war sie die ideale Besetzung für diese Stelle.

 

Das Pärchen war den beiden Männern nicht zufällig in die Hände gefallen. Sie waren ihr Ziel. Der große Dunkelhaarige und der kleine Blonde waren Auftragsgangster. Sie beschafften Luxuswagen auf Bestellung. Dies taten sie schon seit Jahren und das sehr erfolgreich. Beide waren jetzt um die dreißig und wollten noch sehr lange erfolgreich im Geschäft bleiben. Sie arbeiteten für verschiedene Auftraggeber. Diese zahlten gut. Außerdem bevorzugten die beiden gewisse Praktiken, bei denen sie sicher sein konnten, dass zwar die Wagen als gestohlen gemeldet wurden, aber die Opfer die näheren Umstände der Tat und damit auch die Anwesenheit der beiden Männer verschwiegen.

 

Die Vorstellungen ihres aktuellen Auftraggebers waren recht genau und passten exakt zu dem Mercedes des Unternehmerehepaares. Der Harndrang des Ehemannes war den beiden zum Verhängnis geworden. Als er die Toilette der Raststätte wieder verlies fand er hinter den getönten Scheiben im Fond die beiden Männer, von denen einer eine Waffe auf seine Frau richtete, während der andere ihn mit einem ähnlichen Modell auf den Fahrersitz dirigierte.

 

Die Fahrt führte sie zunächst von der Autobahn herunter und dann in ein Waldstück. Das Ehepaar wurde aus dem Auto gezerrt und genötigt sich mit erhobenen Händen vor dem Wagen zu postieren. Der Dunkelhaarige erklärte ihr Anliegen. Die Eheleute schienen zunächst erleichtert als sie erfuhren, dass es nur um den Wagen ging. Er war versichert und kein Verlust. Ohne Murren gab der Mann seine Brieftasche heraus. Sie wanderte zu den Sachen in der Handtasche der Frau. Die beiden setzten auch ohne Proteste die dunklen Brillen auf. Während einer der Männer das Ehepaar im Auge behielt buchte der zweite mit dem Smartphone und der Kreditkarte des Mannes ein Zimmer in dem Low-Budget-Hotel. Die Sachen der Opfer wanderten in einen Rucksack. Dann ging die Fahrt weiter.

 

Um diese Zeit war der Parkplatz menschenleer. Der blonde Mann auf dem Beifahrersitz stieg aus. Er holte die Frau von der Rückbank und nahm den Rucksack. Als die Frau spürte das ihr Mann nicht ausstieg wurde sie nervös. Halt die Klappe.“, beendete der Entführer den Protest bereits im Ansatz. Er packte die Frau am Arm und zog sie über den Parkplatz. Das Hotel war menschenleer. Auf dem Weg zum Zimmer begegnete ihnen niemand. Der Blonde tippte den Code ein und schob die Frau ins Zimmer. „Hinlegen. Auf das Bett. Gesicht nach unten.“, lautete sein nächster Befehl. Die Frau gehorchte. Der Blonde schickte seinem Partner eine Nachricht und öffnete den Rucksack.

 

Wenig später klopfte es leise an der Tür. Der Mann öffnete. Sein dunkelhaariger Partner stieß den Ehemann in das Zimmer. Wie seine Frau trug er noch die dunkle Brille. Er konnte nicht sehen, das für seine Ankunft einiges vorbereitet war. Der einzige Stuhl stand mitten im Zimmer. Kabelbinder und Tape lagen bereit. Der Ehemann ließ sich widerstandslos auf den Stuhl drücken. Seine Hände wurden hinter der Lehne mit Kabelbindern zusammengezogen. Diese Teile dienten auch dazu die Fußgelenke an den Stuhlbeinen zu fixieren. Mehrere lagen Tape verklebten seinen Mund zuverlässig. Als letztes wurde der Oberkörper des Mannes mit Tape an der Stuhllehne fixiert.

 

Die beiden Entführer setzten ihre Masken auf. Dem Ehemann wurde die dunkle Brille abgenommen. Geblendete Augen blinzelten in den Raum. Der große dunkelhaarige Mann drückte der auf dem Bett liegenden Frau die Pistole in das Genick. „Ausziehen.“ Die Frau schüttelte den Kopf. Der Ehemann protestierte in den Knebel. Eine Ohrfeige ließ ihn verstummen. Die Frau wurde gepackt und auf die Füße gezogen. „Ausziehen.“, wiederholte der große Mann und riss ihr die dunkle Brille herunter.

 

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„Das ging ja glatt durch.“, sagte Alexander Scheffelbaum zu seiner Mutter. Sie standen im Foyer ihrer Hausbank. Neben Alex suchte Andrea Vollborn in ihrer Aktenmappe. „Dafür haben Andrea und ich auch bis in die Nacht gesessen, Alex. Das nächste Mal machst du deinen Vertriebsleuten mehr Druck.“, erwiderte Ursula Scheffelbaum. Alexander wusste, seine Mutter hatte Recht. Die Zwischenfinanzierung für dieses Geschäft ging deshalb problemlos über die Bühne, weil Andrea und ihre Mitarbeiter ein schlüssiges Konzept geliefert hatten.

 

Andrea bestritt auch wie geplant den Hauptteil des Gespräches. Die Banker brauchten das Gefühl, das die Neue bei Scheffelbaum ihren Job beherrschte. Das schienen sie begriffen zu haben. Andrea schloss ihre Aktenmappe. „Ich fahre zurück, Alex. Ursula. Bis morgen.“ Die Angesprochene nickte nur. Aber Alex sagte „Bis heute Abend, Andrea.“

 

Alexander sah ihr nach. „Es ist gleich Mittag. Wollen wir zusammen essen?“, hörte er die Stimme seiner Mutter. Alex schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Wenn ich schon hier bin, will ich noch mal bei Christoph Wieselbach vorbeischauen.“ Seine Mutter warf ihm einen fragenden Blick zu. „Immobilien? Was hast du vor?“ „Ich muss doch umziehen. In meine Bude kann ich nun wirklich niemanden einladen.“ Alexander spürte, dass diese Antwort seiner Mutter nicht genügte. „Ich würde gern. Aber Andrea will noch nicht.“

 

Das Gesicht seiner Mutter legte sich enttäuscht in Falten. „Schade.“, sagte sie. „Vor ein paar Wochen warst du noch anderer Meinung.“, gab Alexander zurück. „Stimmt, Alex. Aber ich hab das mit deinem Vater besprochen. Du musst dein Leben selbst bestimmen. Scheffelbaum ist keine Dynastie mit Erbfolge. Wenn du Andrea liebst, Alex ist es zweitrangig, ob ich noch Großmutter werde. Außerdem tut sie dir gut, Junge.“ Natürlich tat ihm Andrea gut. Das erste Mal war er mit einer Frau zusammen, die ihn nicht anhimmelte oder auf das Geld schielte. Mit Andrea an seiner Seite fühlte er sich einfach sicher. Dann viel Glück, Alex.“, verabschiedete sich seine Mutter.

 

Der Leiter der Immobilienabteilung sah auf. „Alex? Was treibt dich denn zu mir?“ „Ich hab ein Problem Chris.“, antwortete Alexander Scheffelbaum. „Setz dich und lass es raus?“ Alex setzte sich auf einen der beiden Besuchersessel. Er und Christoph Wieselbach waren in etwa gleichaltrig. Sie kannten sich seit der Schulzeit und waren früher fast jedes Wochenende zusammen durch die Clubs gezogen. Jetzt sahen sie sich weniger, aber ihre Freundschaft hatte darunter nicht gelitten. Der Immobilienfachmann war verheiratet und Alex sein Trauzeuge.

 

Je länger Alexander sein Problem erläuterte desto mehr grinste der Mann hinter dem Schreibtisch. „Jetzt hat es dich also auch erwischt, Alex? Ich gratuliere. Andrea ist eine tolle Frau. Dieses rote Kleid stand ihr fantastisch.“ „Verstehst du mein Problem, Chris?“, fragte Alex. „Vollkommen. Aber Onkel Christoph hat die Lösung. Die heißt ‚Am Stadtgarten 17‘“ „Am Stadtgarten? Die Neubauten von dem insolventen Bauträger?“ Alex konnte nicht glauben, dass dort die Lösung für sein Problem lag.

 

„Genau. Wir haben das Vorhaben vorfinanziert. Dann ging der Kerl pleite und wir standen mit den halbfertigen Häusern da.“, erklärte Chris. „Ich soll also in eine Bauruine ziehen?“ Alex bezweifelte ob, dass eine gute Idee war. „Ganz im Gegenteil, Alex. Fast alle Häuser sind fertig und bezogen. Es stehen nur noch drei leer. Davon sind zwei auch schon weg und das dritte ist jetzt deines.“ Christoph drehte seinen Bildschirm in Alexanders Richtung. „Hier ist das Exposee, Alex.“

 

Die Nummer 17 war ein Mittelhaus und etwas größer als die anderen Häuser. „Die meisten Interessenten wollen lieber Endhäuser.“, erklärte Chris. „Außerdem ist das Haus fast doppelt so groß. Es hat auch noch einen anderen Vorteil.“ Christoph Wieselbachs Finger fuhren über den Bildschirm. „Ideal für Selbständige oder…“ „Für Andrea und mich.“, fiel Alexander seinem Freund ins Wort. Es gab nur ein Problem. „Ich will aber nicht kaufen. Nur mieten.“

 

Christoph winkte ab. „Wenn wir einen Vertrag über fünf Jahre machen vermiete ich es dir sofort.“ „Ich sehe es mir an.“, entschied Alexander, „Aber Andrea muss es auch gefallen.“ „Das ist dein Problem, mein Freund.“, erwiderte Chris. „Aber wenn wir den Fünf-Jahres-Vertrag abschließen ist es in acht Wochen nach euren Wünschen fertig. Ich mach dir einen Termin mit unserem Architekten.“

 

Überraschung am Abend

 

Die beiden Männer saßen in einem dunklen Ford und beobachteten den Eingang eines Geschäftshauses. Dabei handelte es sich um einen neuen Auftrag. Der Mercedes war abgeliefert. Nachdem der kleine Blonde und sein dunkelhaariger Partner mit dem Ehepaar fertig waren lag die Frau heulend auf dem Bett. Sie hatte die Decke über ihren Körper gezogen. Darunter war sie nackt. Ihre Kleidung lag auf dem Boden.

 

Ihr Mann auf dem Stuhl keuchte in den Knebel. Seine Hose stand offen. Im Schritt sah man deutlich die Wirkung der Arbeit seiner Frau. Sie hatte alles gegeben. In den Ehejahren war ihr Repertoire etwas eingerostet, aber durchaus noch vorhanden. Sicher hatte ihr Mann lange kein so erregendes Vorspiel und einen so heißen Ritt auf seinem Schoss erlebt wie in diesem Hotelzimmer. Pech für die beiden, dass der große Dunkelhaarige alles auf seinem Handy festhielt.

 

Der Blonde hatte der Frau die Decke weggezogen. „Aufstehen.“ Die Frau schob sich zitternd auf die Beine. Auch sie war fertig. „Streck deine Hände vor.“, lautete die nächste Anweisung. Die Frau streckte zögernd ihre Hände vor. Die Gelenke wurden mit Tape umwickelt. Gleichzeitig fixierte der blonde Räuber die Arme der Frau an ihren Oberkörper. Er angelte sich ihren Slip vom Fußboden und schob ihn der wehrlosen Frau in den Mund. Ihr Mann artikulierte einen hilflosen Protest. Ein Griff des größeren Räubers in seine Haare ließ ihn verstummen.

 

Eine Minute später hätte er diese Szene nicht mehr sehen können. Die Strumpfhose seiner Frau verschloss die Augen. Der Frau selbst hatte der Blonde ihr Top über den Kopf gezogen. Er drückte sie wieder auf das Bett und fesselte die Fußgelenke mit Tape aneinander. Die beiden Räuber nahmen ihre Masken ab. Das Ehepaar konnte sie nicht mehr sehen. Mit ein wenig Mühe würde sich die Frau selbst befreien können. Die stabile Nagelschere in ihrer Handtasche reichte um die Kabelbinder, die ihren Mann am Stuhl hielten durch zu schneiden. Mehr als eine Anzeige, dass der Wagen gestohlen war würden die beiden nicht machen. Dies auch nur, damit die Versicherung den Schaden regulierte. Die Drohung den Clip auf diversen Sexplattformen zu platzieren war dafür Grund genug.

 

Aber dieser Auftrag war Vergangenheit. Das derzeitige Ziel der beiden Männer war ein Ferrari. Er gehörte einer 36-jährigen Rechtsanwältin, deren Kanzlei sich in dem Gebäude vor ihnen befand. Die Männer warteten schon eine ganze Weile, aber bis jetzt war nichts passiert. Gerade eben trat ein ungefähr zwanzigjähriger Bursche aus dem Haus. Er war großgewachsen, schlank mit einem dichten blonden Schopf. Seine konservative Kleidung stand im Widerspruch zu seinem jugendlichen Auftreten. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd mit dezent gemusterter Krawatte. Dazu kamen schwarze Halbschuhe. Insgesamt ein ganz hübscher Bursche. Dieser Bursche stieg in einen hellen Kleinwagen und setzte diesen in Bewegung.

 

Fünf Minuten später schob sich das Tor des Parkhauses auf. Kaum war es oben schoss, ohne auf den Verkehr zu achten ein Ferrari heraus. Dieser war das Ziel der beiden Männer. Der Große am Steuer startete ihren Wagen und gab ihm die Sporen. Im Stadtverkehr konnte der Sportwagen der Anwältin seine Vorteile nicht ausspielen. Sie blieben gut an ihm dran. Lange brauchten die Männer ihn nicht zu verfolgen. Der Wagen kurvte auf den Parkplatz eines Hotels.

 

Die Fahrerin stieg aus. Schnellen Schrittes überquerte sie die Zufahrt und verschwand im Eingang. Der kleine blonde Mann folgte Ihr. Das war nicht schwer. Die Frau war ohne weiteres in der Menge auszumachen. Sie war schlank und wohl proportioniert. Unter dem kurzen hellen Rock zeigten sich braun gebrannte Beine. Die gleiche Bräune fand sich auch in ihrem, von rabenschwarzen, glatt über die Schultern fallenden Haar eingerahmten Gesicht. Es kontrastierte sich hervorragend mit der zu dem Rock passenden hellen Jacke. Trotz ihrer Absätze war sie flink unterwegs. Ohne den Fahrstuhl auch nur anzusehen, strebte sie dem Treppenhaus zu. Der Blonde folgte ihr.

 

Es waren nur zwei Etagen, ehe die Frau energisch eine Glastür zum Korridor öffnete. Der Mann hielt inne. Seine Augen verfolgten ihren Weg. Jetzt blieb die Frau stehen und klopfte leicht an der Tür. Diese wurde geöffnet und die Frau verschwand darin. Der Blonde schob die Tür des Treppenhauses auf und näherte sich dem Zimmer, in dem die Anwältin verschwunden war. Es war 211. Dann drehte er sich um und verließ den Korridor.

 

An der Rezeption fragte er die dort diensttuende junge Dame so beiläufig wie möglich. „Guten Tag. Eine Frage. Kann es sein das Frau Dr. Scheunemann gerade in 211 verschwunden ist?“ Die Dame hinter dem Tresen sah auf. „Das ist möglich. Ihre Kanzlei hat 211 als Dauerzimmer gebucht. Möchten Sie ihr eine Nachricht hinterlassen.“ „Nein.“, sagte der Mann und setzte hinzu. „Ich habe sowieso einen Termin mit ihr.“

 

Wenige Minuten später saß er bei seinem Partner im Auto und berichtete. „Was meinst du wohl, was sie dort will? Ich hab keine Ahnung.“ Der Große grinste und sagte, „Ich aber.“ Seine Hand wies auf einen hellen Kleinwagen. Genau der, in den der hübsche Bursche eingestiegen war. Der Blonde grinste zurück. Damit hatten sie die Idee, die sie brauchten.

 

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Andrea Vollborn wunderte sich. Alex tat sich sehr geheimnisvoll. Nach dem Termin bei der Bank war er verändert. Richtig fröhlich. Das einzige, das er Andrea verraten hatte, sie sollte ihn heute um fünf erwarten. Das würde sie sowieso. Diese Nacht würde sie noch einmal bei ihm schlafen. Übermorgen kam Lena zurück. Das hieß auch die gemeinsamen Nächte würden der Vergangenheit angehören. So alleine zu schlafen kam Andrea jetzt unwirklich vor. Sie wollte am liebsten jeden Tag mit Alexander zusammen aufwachen. Sie liebte Alex. Nur war er der Richtige für sie und ihre Tochter? Ein bisschen Zeit mit der Entscheidung wollte sich Andrea noch lassen.

 

Genau um fünf steckte jemand den Kopf in Andreas Büro. „Bist du soweit?“, fragte Alexander. „Wofür?“, erwiderte Andrea Vollborn. „Das siehst du gleich. Komm mit.“, sagte ihr Freund und zog sie aus dem Büro. Zuerst wurde Andrea aus der Route die Alex Porsche nahm nicht klug. Doch dann verdichtete sich ein Verdacht. „Alex? Wo willst du hin?“ „Lass dich überraschen, Schatz.“ Andrea war klar Alex würde ihr ein Haus zeigen. Hoffentlich hatte er keine Dummheiten gemacht und eines gekauft. Solche Überraschungen mochte Andrea Vollborn nicht. Sie wollte nicht überfahren und vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Mit Grauen dachte sie an den Streit, der daraus entstehen würde. Es wäre der erste mit Alex.

 

Der Porsche wurde langsamer. Andrea sah ein lang gezogenes Haus. Es war das Mittlere einer Reihe von dreien. Auf einem der beiden PKW-Stellplätze kam Alex Porsche zum Stehen. Das war es also. Andrea stieg aus und betrachtete die Front. Ein Reihenhaus. Keinen Keller, ein Erdgeschoss und im Dach sah man Gauben und Fenster. Das Haus war nur größer als die Häuser daneben.

 

Alex sah auf Andrea und lachte. „Du siehst aus als ob du mich fressen willst.“ Das wollte sie zwar nicht, aber innerlich bereitete sich Andrea auf einen Streit vor. Alexander ignorierte ihr Gesicht und zog sie fröhlich zur Haustür. Ihr Freund zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. „Ladies first.“, sagte er lachend und schob Andrea in das Haus. Sie betraten einen kleinen Vorraum, von dem rechts eine Tür abzweigte. Die ignorierte Alexander vollständig und schob Andrea durch eine Tür an der gegenüberliegenden Seite. Was Andrea hinter der Tür erwartete verschlug ihr beinahe den Atem. Ein riesiger Licht durchfluteter Raum. Die Ursache dafür war die durch eine gigantische Fensterfront einfallende Abendsonne.

 

„Das könnte dein neues Reich werden, Andrea.“ Alexanders Arm flog durch den Raum. „Küche. Wohnzimmer, Essbereich. Oben sind das Bad, dein Schlafzimmer und Lenas Zimmer. Das hätte sogar einen Balkon.“ Andrea starrte immer noch fasziniert auf die Fensterfront. Dahinter lagen eine Terrasse und ein gutes Stück Rasen. Das Grundstück grenzte an den Stadtgarten, ein parkähnliches Waldgebiet. Sie würde hier also wirklich mitten im Grünen wohnen, genauso wie sie es sich für ihre Tochter immer gewünscht hatte.

 

Andrea riss ihren Blick von der Fensterfront los. Sie suchte Alexanders Augen. „Und du?“, fragte sie, „Wo wohnst du?“ „Drüben.“, sagte Alex und wies auf die Tür der anderen Seite des Eingangs. „Ein Wohnzimmer mit Wintergarten und eine offene Küche unten. Das Bad, mein Schlafzimmer und eine kleine Empore oben. Ich hab mit dem Architekten gesprochen. Wir können alles trennen. Jeder hätte sein Reich. Aber wir wären zusammen.“ Alexanders Gesicht glühte vor Begeisterung, aber in Andreas Kopf ging nur eine Frage herum. „Du hast das gekauft?“ „Nein. Andrea, Schatz.“ Alexanders Stimme bekam einen ernsten Unterton. „Ich will und werde dich nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Das hier ist ein Angebot. Wir können es zusammen mieten. Für fünf Jahre. Jeder zahlt die Hälfte. Sollte es mit uns nicht klappen sind wir einfach Nachbarn.“

 

Bei Alexander hörte sich das alles sehr unkompliziert an. Andrea bezweifelte das dies im Fall der Fälle so wäre. Ex-Freunde waren bestimmt keine idealen Nachbarn. Außerdem interessierte sie noch etwas anderes. „Wie hoch ist die Miete?“ Ihr Freund nannte eine Zahl. „Die Hälfte ist dein Anteil.“ Andrea bekam weiche Knie. Vor ein paar Wochen hätte sie diese Summe als puren Wahnsinn bezeichnet. Nun sah die Sache anders aus. Bei ihrem jetzigen Gehalt wäre diese Summe durchaus tragbar. Trotzdem sträubte sich etwas in ihr dagegen.

 

„Nein.“, sagte Andrea. „Das kann ich mir nicht leisten.“ Alexander sah sie irritiert an. „Bei deinem Gehalt?“ Natürlich wusste Alexander was sie verdiente. Er war Geschäftsführer. Aber auch Andrea wusste was ihr Freund an Bezügen und Tantiemen erhielt. Die Abrechnung für die Geschäftsführung ging über ihren Tisch. „Du weißt auch was ich vorher verdient habe.“, erwiderte Andrea. „Außerdem war als ich bei Scheffelbaum anfing mein Konto im Minus und ich hatte Schulden bei meinen Eltern. Wenn etwas passiert hab ich keine Rücklagen.“

 

„Was soll schon passieren?“, fragte Alexander verwundert. „Ganz einfach,“, antwortete Andrea. „Ihr könnt mich entlassen. Ich muss an Lena denken.“ „Wir werden dich nicht entlassen.“, gab Alexander zurück. „Du bist ein Glücksfall für die Firma.“ Er kam auf sie zu und legte seine Arme um sie. „Ich liebe dich, Andrea. Ich brauche dich. Ohne dich bin ich kein Mensch mehr. Ich möchte keinen Tag mehr ohne dich sein.“

 

Andrea musste Schlucken. So etwas hatte noch kein Mann zu ihr gesagt. Es war ihre Entscheidung. Konnte sie das Angebot ablehnen? Sie liebte Alexander und wollte mit ihm zusammen sein. Ihre Tochter war vernarrt in Alex und würde in einer guten Gegend aufwachsen. Es stimmte. Sie musste an Lena denken. Allein ihrer Tochter wegen konnte sie das Angebot nicht ausschlagen. Sie zog Alexander an sich. „Zeig mir doch erstmal den Rest?“, flüsterte sie in sein Ohr. „Komm mit.“, antwortete ihr Freund erleichtert.

 

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Der hübsche Bursche betrat das Büro seiner Chefin. Ohne aufzusehen schob Frau Dr. Birgit Scheunemann einen Umschlag über den Tisch. „Patrick. Ich hab wieder einen Auftrag für Sie. Sie wissen ja Bescheid.“ „Ja, Frau Doktor.“, sagte der junge Mann griff sich den Umschlag und verschwand. Die Anwältin blickte ihm nach. Der Junge war nicht nur hübsch, sondern auch noch intelligent und ganz nebenbei ihr Auszubildender. Außerdem stellte er sich geschickt an und war verschwiegen.

 

Anscheinend genoss er es auch mit seiner Chefin gelegentlich in ihrem Hotelzimmer zu verschwinden. Er war keiner der von Liebe faselte, sondern einfach nahm was eine reifere Frau ihm an Erfahrung geben konnte. Birgit selbst nahm seine Ausdauer und seinen unverbrauchten Körper als Gegenleistung. Trotzdem war es nicht gut, wenn dies herauskam. Auch wenn Patrik schon 20 Jahre zählte, so war er doch ihr Auszubildender. Trotzdem für Birgit war das Verbotene ein Abenteuer und das brauchte sie.

 

Birgit sah auf die Uhr. Sie hatte lange genug gewartet. Die Anwältin griff ihre Handtasche und verließ die Kanzlei. Wie immer stellte sie auf dem Weg zu ihrem Wagen fest, dass sie sich auf das kommende freute. Beschwingt schritt sie durch das Parkhaus. Ein Mann kam ihr entgegen. Seine Augen ruhten auf ihr. Er zieht mich mit den Augen aus, dachte die Anwältin. Aber ihren dunkelblauen Hosenanzug würde sie für ihn nicht fallen lassen. Das tat sie jedoch in zehn Minuten für jemand anderen. In der Lobby schenkte ihr niemand mehr Aufmerksamkeit als sonst üblich. So schnell es die Absätze ihrer Pumps zuließen flog Birgit die Treppe nach oben und klopfte leise an die Tür. Sie wurde wie immer geöffnet und Birgit schlüpfte hinein.

 

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Alexander ließ seiner Freundin auf der Treppe den Vortritt. Er wollte das Andrea mit eigenen Augen sah welche Möglichkeiten das Haus bot. Vielleicht musste er dann seinen letzten Trumpf gar nicht ausspielen. In der oberen Etage versperrten keine Türen die Sicht. „Das ist euer Bad.“, erklärte Alexander. „Dort das Zimmer könnte dein Schlafzimmer werden. Er wollte seine Freundin mit sich ziehen. Doch Andrea hielt ihn zurück. „Wie kommst du eigentlich hier hoch, Liebling. Willst du jeden Abend bei uns klingeln?“ Auf diese Frage war Alexander vorbereitet. Er hatte mit dem Architekten gesprochen. Es war möglich auf der anderen Seite eine zweite Treppe einzubauen.

 

„Nein.“ lachte er und zog Andrea Vollborn mit sich. „Das Haus bekommt eine zweite Treppe.“ „Nicht so schnell, Alex. Ich hab keine Turnschuhe an.“ Das hatte Andrea nun wirklich nicht. Seine Freundin kam direkt von der Arbeit und trug einen weinroten Hosenanzug mit weißen Top und weißen Pumps, auf denen schon eine dichte Staubschicht lag. Stolpernd kam sie zum Stehen. „Genau hier kommt die Treppe hin, Andrea. Was hältst du von meiner Idee?“ Andreas Hände suchten Halt. Sie hing in seinen Armen. „Du bist genial, Alex.“ Er lachte. „Das beste hast du noch nicht gesehen. Komm mit.“

 

„Aber nicht wieder so schnell, Alex.“, warnte seine Freundin. „Dann machen wir es anders.“ Er hob Andrea hoch. Sie protestierte nicht, sondern schlang ihre Arme um seinen Hals.“ Alexander trug sie in ein wunderschönes großes helles Zimmer mit einem Balkon. „Das wäre für Lena. Meinst du es wird ihr gefallen?“ Andrea nickte. „Das heißt wir mieten das Haus?“ Erneut nickte Andrea. Alexander stieß einen Freudenschrei aus und warf Andrea in die Luft. „Alex nicht.“, rief seine Freundin erschrocken. Alexander fing sie wieder auf. „Ich liebe dich. Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt.“

 

Andrea wirbelte einmal um ihn herum. Mit dem Rücken landete sie an einem Stützpfeiler. „Meine Jacke.“, schrie sie auf. „Egal, die kann man reinigen.“, sagte Alex während er seinen Körper an Andrea heran schob. Seine Hände tasteten über ihren Rücken. Er fühlte Andreas Finger in seinem Nacken. Den zum Kuss geöffneten Mund seiner Freundin vor sich konnte Alexander nicht mehr anders. Seine Hände krallten sich in Andreas Rücken und seine Lippen suchten die seiner Freundin. Er zog sie auf den staubigen Boden des Neubaus.

 

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Die beiden Männer verließen das Treppenhaus in der zweiten Etage. Diese Rechtsanwältin pflegte die Zeit mit ihrem Auszubildenden intensiv zu nutzen. Davon hatten sich die beiden Räuber in den letzten Tagen selbst überzeugen können. Ihre im Zimmer angebrachte Kamera lieferte ausgezeichnete Bilder. Für den jungen Mann waren die Treffen mit seiner Chefin sicher interessante Lektionen. Für sie das Ende ihrer Karriere. Seit einige Minuten zeigte das Tablet im Wagen der beiden Räuber in den Hotelzimmer eine Situation, die ihnen sehr entgegen kam. Sie verließen den Wagen, durchquerten die Lobby und verschwanden im Treppenhaus.

 

Die Tür des Zimmers 211 war verschlossen. Für den großen Dunkelhaarigen und den kleinen Blonden kein Hindernis. Bereits seit ihrem ersten Besuch in diesem Hotel waren sie im Besitz einer Kopie der Zimmerkarte. Noch am selben Abend war die Kamera installiert. Die beiden Männer streiften ihre Masken über und zogen die Pistolen. Die Tür klackte. Die beiden Männer traten ein.

 

Die Situation im Zimmer entsprach im Wesentlichen dem Bild auf dem Tablets. Ein mit Handschellen an das Bett gefesselter junger Mann. Auf ihm die Anwältin den Kopf in den Nacken geworfen und die Fingernägel in die Brust des Jungen gekrallt. Der junge Mann setzte zu einem Schrei an. „Schnauze!“, fauchte der Große. Die Frau sah die beiden Männer zwar erstaunt, aber gefasst an. Sie griff nach der Bettdecke. „Hände weg.“, herrschte sie der Blonde an. „Tue dem Jungen den Gefallen und bleib auf ihm sitzen.“

 

Die Frau ließ die Decke sinken und warf einen Blick auf ihren Auszubildenden. „Ich glaub das lohnt sich nicht mehr.“ Den Widerspruch des jungen Mannes erstickte sie im Keim. Sie wandte sich an die Männer. „Was wollen Sie?“ „Deinen Wagen.“, erklärte der Dunkelhaarige. „Die Schlüssel sind in meiner Handtasche.“, antwortete die Anwältin. Der Blonde griff die Handtasche. Sein Partner widmete sich der Lampe über dem Schreibtisch. Eine kleine Webcam kam zum Vorschein. „Du kannst dir vorstellen was wir damit aufgenommen haben?“ Die Anwältin nickte. Der Blonde hatte den Schlüssel gefunden. „Wir sind nie hier gewesen.“ Die Frau im Bett nickte wieder. „Aber dein Auto…“, begehrte der junge Mann unter ihr auf. „Halt die Klappe.“, stieß die Anwältin hervor. Sie sah zu den Räubern. „Sie verschwinden jetzt besser.“

Eine unerwartete Begegnung

 

Andrea schaute auf die Uhr. Sie zeigte gleich sechs. Ihre Idee noch einmal die Wohnung sauber zu machen bevor ihre Tochter morgen wieder vor der Tür stand konnte sie getrost ad acta legen. Ein Glück das die Supermärkte länger geöffnet waren. Zumindest würde sie es schaffen auf dem Weg nach Hause noch einzukaufen. Eigentlich müsste sie Alexander böse sein. Er hielt sie den halben Nachmittag von der Arbeit ab. Dabei hatte Andrea alles genau geplant. Als erstes die Routinearbeiten erledigen. Um neun stand eine Besprechung mit Scheffelbaum Senior an. Danach folgte ein Termin mit ihrem Steuerberater. Der dauerte bis halb zwölf. Andrea hatte schnell im Betriebsrestaurant zu Mittag gegessen und sich an ihren Schreibtisch gesetzt.

 

Zunächst kam sie gut voran. Um kurz vor eins riss ein Anruf von Alexander sie aus ihrer Arbeit. Ob sie schnell mal rüberkommen könnte. Es würde nur ein paar Minuten dauern. Aus dem paar Minuten wurde mehr als eine Stunde. Ein wichtiger Kunde war auf der Durchreise schnell auf eine Tasse Kaffee hereingeschneit. Der Kunde war ein frischer jugendlich Aussehender Mann Mitte dreißig. Für Alex ein alter Bekannter. Auch er hatte seine Firma vom Vater übernommen. Alex und er kannten sich schon seit die Väter miteinander Geschäfte machten. Der Kunde hatte seine Frau dabei. Eine blonde Schönheit um die Dreißig. Alexander hielt es für angebracht zu zeigen, dass er auch nicht mehr solo war.

 

Andrea brauchte eine Weile bis sie zu dem lockeren Ton den Alex und seine Besucher pflegten fand. Doch dann unterhielt sie sich mit der Frau des Geschäftspartners als ob sie sich schon ewig kannten. Auch sie hatte ihren Mann in der Firma kennengelernt und arbeitete noch immer dort. Für Andrea stand fest Alexander wollte ihr zeigen wie normal ihre Beziehung eigentlich war und hatte sie deshalb dazu gebeten. Es wäre eine Lüge, wenn Andrea sagen würde diese Stunde hätte ihr keinen Spaß gemacht. Aber ihre Arbeit war liegen geblieben.

 

Andrea öffnete ihren Maileingang. Er war voll wie immer. Eine Mail fiel ihr sofort ins Auge. Sie kam von ihrer Hausbank. Eine einfache automatische Antwort. Der Empfänger war Alexanders Vater. Sie selbst war nur im Verteiler, weil das bei der Bank so hinterlegt war. Trotzdem ließ der Inhalt der Mail Andrea stutzig werden. Es ging um eine Bürgschaft. Andrea scrollte weiter herunter. Sie traute ihren Augen nicht. Alexanders Vater teilte der Bank mit, dass die Mietbürgschaft für Frau Andrea Vollborn nicht mehr benötigt wurde.

 

„Dieser Schuft.“, fluchte Andrea. Deshalb war Alexander so schnell über das Problem der Miete hinweg gegangen. Die Firma hätte für Andreas Teil gebürgt. Alexander musste geahnt haben, dass ihr bei diesem Thema bedenken kommen würden. Ihr Freund hatte nicht mit offenen Karten gespielt. Eigentlich müsste sie Alexander deshalb böse sein. Aber er hatte sie ja nicht belogen. Nur ihre Reaktionen geahnt. Vielleicht sollte Andrea ihrem Freund zeigen, dass sie nicht so berechenbar war wie er glaubte. Sie checkte kurz die Liste der noch im System angemeldeten User. Außer den IT-Leuten in ihren Katakomben sah Andrea neben sich selbst nur Alexander. Bis die Reinigungsfirma kam dauerte es noch eine Weile. Bis dahin gehörten die oberen Etagen der Firma ihnen allein.

 

Andrea holte einen Schlüssel aus ihrem Schreibtisch. Sie ging auf den Flur und schlich zum Büro ihres Freundes. Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Die davon abgehende Tür zu Alexanders Büro ebenfalls. Andrea hörte ihn telefonieren. Sie schlich zurück und verschwand im Archiv. Wenig später trat sie in Slip, BH und Pumps wieder hinaus. Der Raum wurde verschlossen. Andrea schob den Schlüssel in ihren BH. Ihre Unterwäsche bestand aus einem weißen etwas höher geschnittenen Miderslip und dem dazu passenden BH. Unter Röcken trug Andrea immer etwas stabilere Slips. Der Rock saß dann einfach besser. Hätte sie heute einen Hosenanzug gewählt würde sie jetzt in einem String auf dem Flur stehen.

 

Ihr Freund hatte sein Gespräch beendet. Schnurstracks durchquerte Andrea den Flur und betrat Alexanders Büro. Er sah sie und sprang auf. „Drea?“ „Was sollte das mit der Mietbürgschaft für mich?“ Alexander starrte sie an. „Warum bist du halb nackt.“ „Damit du mir keine Lügen erzählst.“ Andrea wies auf den Flur. „Raus mit der Sprache oder ich renne auf den Parkplatz und schreie um Hilfe.“ Ihr Freund hob abwehrend die Hände. „Es tut mir leid. Das war eine dumme Idee. Ich wusste nicht wie du reagierst.“ „Da hast du deinen Vater sicherheitshalber überredet, die Firma für meinen Teil der Miete bürgen zu lassen.“, erwiderte Andrea

 

„Ich wollte dir eine Brücke bauen.“, versuchte Alexander zu erklären. „Mein Vater hatte damit keine Probleme. Meine Mutter fand aber die Idee wäre eine Beleidigung für dich.“

„Damit hat Sie Recht.“, stimmte Andrea zu. „Deshalb hab ich Vater auch gebeten diese Sache abzublasen.“, erklärte Alexander. „Woher weißt du eigentlich davon? Hat mein Vater irgendetwas gesagt.“ Andrea schüttelte den Kopf. „Nein. Es war reiner Zufall. Bei Mails unserer Hausbank bin ich immer im Verteiler. Der Berater hatte wohl schon Feierabend.“

 

Alexander setzte sich wieder. „Ich dachte du wolltest pünktlich gehen.“ „Nachdem wir uns über eine Stunde mit deinem Freund und seiner Frau unterhalten haben war das nicht mehr drin.“, erklärte Andrea und nahm auf dem Schreibtisch ihres Freundes Platz. Sie schlug die Beine übereinander. Alexander sah sie erstaunt an. „Willst du dich nicht wieder anziehen?“ Andrea grinste. „Stört dich mein Anblick etwa?“ „Nein. Aber wenn nachher die Reinigungsfirma kommt…“ „Das sind Frauen. Die werden wissen wie eine Frau in Slip und BH aussieht.“, unterbrach Andrea ihren Freund. „Trotzdem. Wir beide allein im Büro. Du halb nackt. Wenn sich das rumspricht.“ Alexander fühlte sich sichtlich unwohl. „Dann musst du meine Sachen holen gehen.“, schlug sie vor. Alexander seufzte. „Das muss ich dann wohl.“

 

Ihr Freund stand auf und ging auf den Korridor hinaus. Andrea folgte. Alexander verschwand in ihrem Büro. Wenige Augenblicke später kam er wieder hinaus. „Du hast sie versteckt.“ Andrea nickte. Alexander begann zu suchen. Er brauchte nicht lange, um festzustellen, dass die Tür des Archivs verschlossen war. „Sind sie dort drin?“ „Finde es heraus.“, antwortete Andrea. „Wo ist der Schlüssel?“, wollte Alexander wissen.

 

„Ich weiß es nicht.“ Andrea machte es Spaß ihren Freund an der Nase herumzuführen. Eine kleine Strafe für die verschwiegene Bürgschaft musste sein. Sie drehte sich um. „Ich hab keine Lust zu warten bis du meine Sachen gefunden hast. Vielleicht schau ich mal in der IT vorbei.“ Alexander verstellte ihr den Weg. „Das machst du nicht wirklich?“ „Wieso nicht. Hast du Angst die Mitarbeiter kündigen, nachdem sie deine dicke Freundin in Unterwäsche gesehen haben.“ Sie sah an sich herunter. „Die kennen bestimmt hübschere Frauen als mich.“

 

„Ich wette der männliche Teil der Mitarbeiter träumt davon dich so zu sehen.“ Alexander hatte sich auf ihr Spiel eingelassen. „Das können wir gleich mal ausprobieren.“, konterte Andrea und drängte sich an ihm vorbei. Sie wollte wissen wie Alexander reagierte. Ließ er sie wirklich in Unterwäsche in den Fahrstuhl steigen? Andrea hatte die Tür erreicht und drückte den Knopf. Plötzlich hingen ihre Beine in der Luft. Alexander hatte sie wieder hochgehoben. Es war das zweite Mal und es schien ihm nicht wirklich Mühe zu bereiten.

 

Andrea trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. „Lass mich runter.“ „Du bleibst hier.“ Alexander setzte sie auf seinem Schreibtisch ab. Er zog seine Krawatte herunter und führte sie um Andreas Hände. Sie ließ es geschehen. Es war nur ein Spiel. Wieder wurde Andrea angehoben. Nach ein paar Schritten setzte sie Alexander ab. Andrea fühlte das Regal welches Alexanders Schreibtisch von der Besprechungsecke abtrennte in ihrem Rücken. Ihr Freund schob ihre Hände über den Kopf und verknotete die Krawatte.

 

Erinnerungen kamen in Andrea hoch. Schon einmal stand sie an diesem Raumteiler gefesselt. Sie waren Räubern in die Hände gefallen. Einer der Männer begrapschte sie, während Alexander gefesselt auf dem Fußboden lag. Wie damals lief ein Zittern durch Andreas Körper. Seinerzeit war es pure Angst. Heute zitterte sie vor Erregung. Ihre Wehrlosigkeit trieb es auf die Spitze. Doch Alexander stand da und rührte sich nicht. Er starrte sie nur an. Andrea ahnte was in ihrem Freund vorging. Er dachte an eine gefesselte Andrea am Pfosten. Es war der Augenblick, in dem er sich in sie verliebte.

 

Komm, flehte Andrea innerlich. Was stehst du rum? Ich weiß doch was du willst. Alex hatte den Blick gesenkt. „Worauf wartest du. Nun such schon den Schlüssel.“. flüsterte sie. Ihre Stimme klang brüchig. Alexander trat einen Schritt auf sie zu. In seinen Augen lag Begierde. Seine Hände packten Andreas Taille. Sie schlang ihre Beine um seine Hüfte. Die Finger ihres Freundes schoben den BH nach oben. Der Schlüssel rutschte heraus. Alexander ließ ihn fallen. Seine Hände tasteten nach seiner Hose.

 

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„Dort kommt er.“, sagte der große Dunkelhaarige. Der kleine Blonde fixierte mit seinem Smartphone den durch eine Schranke gesicherten Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Über diesen ging ein Mann. Anfang dreißig, hochgewachsen und breit in den Schultern. Sein Ziel war ein Porsche. Eben dieser Wagen interessierte die beiden Männer. Er entsprach exakt den Vorstellungen ihres Auftraggebers. Der Mann auf dem Parkplatz wurde von einer Frau begleitet. Sie war ein wenig älter und zeigte sehr weibliche Rundungen.

 

Der Mann umarmte die Frau. Es folgte ein Kuss. Dann stieg er in seinen Porsche. „Unsere Informationen sind falsch.“, stellte der Dunkelhaarige in den Raum. „Der Kerl ist nicht solo.“ „Vielleicht doch.“, wiedersprach sein Partner. Er wies auf die Frau. Diese stieg einige Parklücken weiter in ein Audi A5 Coupé. „Vielleicht eine Büroromanze.“, überlegte der Blonde. „Sein Typ ist sie aber nicht.“, gab der Mann neben ihm zu bedenken.

 

„Aber eine Gelegenheit.“, erwiderte der blonde Räuber. Die Frau rangierte aus ihrer Parklücke. Dahinter kam ein Schild mit der Aufschrift „Reserviert“ zum Vorschein. Wie der Mann gehörte die Frau im Audi zum Management der Firma. Die Frau vermittelte nicht den Eindruck eines karrierebesessenen Vamps. Eher die Rolle der Ehefrau und treusorgenden Mutter. „Vielleicht ist sie verheiratet.“, überlegte der Dunkelhaarige. „Das wäre eine Chance für uns. Der Blonde nickte. Sein Partner konnte Gedanken lesen. Sie mussten sich diese Frau genauer anschauen.

 

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Der Bus mit der Jugendgruppe sollte um vier am Freizeitheim eintreffen. So ging es zumindest aus der Nachricht hervor, die Lena ihrer Mutter vor zwei Stunden schickte. Wahrscheinlich wollte ihre Tochter sicher sein, dass sie abgeholt wurde. Erstaunlicherweise hatte sich das Mädchen sehr schnell auf die Arbeitsbelastung ihrer Mutter eingestellt. Zehn vor vier steuerte Andrea Vollborn ihr Audi Coupé auf einen Parkplatz vor dem Heim. Sie war nicht allein. Eine Reihe Eltern warteten auf ihre Sprösslinge. Nur würde vermutlich niemand eine solche Überraschung für sein Kind bereithalten wie Andrea, sie in Form der Schlüssel für das neue Haus in der Tasche trug.

 

Der Mietvertrag würde nächste Woche unterschrieben. Aber das war nur noch Routine. Andrea wusste, sie wollte mit Alexander dort wohnen. Sie wusste es spätestens als sie auf dem staubigen Boden unter ihrem Freund lag. Der Bus bremste vor dem Freizeitheim. Eine Minute später belagerten besorgte Eltern die Ausstiege. So ein Unsinn, dachte Andrea. Bestimmt hatte jeder der jugendlichen Mitfahrer zwecks Abholung schon mit dem Handy zu seinen Eltern Kontakt aufgenommen. Endlich sah sie ihre Tochter. Beinahe als letzte verließ Lena den Bus und kämpfte sich durch die Massen. Wie braungebrannt sie war. Jetzt entdeckte das Mädchen seine Mutter. Fröhlich winkend lief Lena auf Andrea zu.

 

„Hallo, Ma.“, grüßte das Mädchen. Andrea umarmte ihre Tochter. „Na, wie war es in Spanien, meine Große?“ Lena plapperte sofort drauf los, doch ihre Mutter hielt sie zurück. „Wir wollen erst einmal sehen, ob die Hyänen dein Gepäck hiergelassen haben.“ Sie hatten es. Einsam und allein stand Lenas Tasche neben dem Bus. Das Mädchen griff sie und verstaute sie im Auto. Jetzt gab es aber kein halten mehr. Lena legte los. Andrea hörte aufmerksam zu und schmunzelte. Ihre Tochter war so in Fahrt, dass sie überhaupt nicht mitbekam wohin Andrea den Wagen lenkte.

 

Erst als sie von der Hauptstraße abfuhren und der Audi langsam durch die ruhigen Anliegerstraßen glitt, fragte ihre Tochter. „Wo fährst du hin? Ich denke du hast Feierabend?“ Lena war wohl der Meinung, dass ihre Mutter noch beruflich zu tun hatte. „Hab ich auch, Lena. Was hältst du von der Gegend.“ „Was soll ich davon schon halten. Ich war noch nie hier. Nur so eine Zicke, die mit in Spanien war, wohnt hier.“ „Auch wenn du keine Zicke bist, meinst du, du könntest dir vorstellen in dieser Gegend zu wohnen?“ Lena schüttelte den Kopf. „Die Zicke hat damit geprahlt, wie teuer hier alles wäre. Ma, ich will nicht, dass du dich wegen mir übernimmst. Ich brauch das nicht. Mir gefällt es dort wo wir jetzt wohnen.“

 

Die Nummer 17 kam ins Blickfeld. Andrea fuhr ihren Wagen auf einen der Stellplätze. Ihre Tochter hatte also Angst, dass sie sich übernahm. Es hatte zwar eine Nacht gebraucht bis Andrea begriff, dass Alexander nicht übertrieb. Sie konnten sich die Miete für das Haus leisten. Trotzdem freute sie sich über Lenas Reaktion. Sie zeigte, dass das Mädchen auf dem Teppich geblieben war. „Ist es das?“ Die Stimme ihrer Tochter riss Andrea aus ihren Gedanken. „Ja, Lena. Das ist es.“ „Ganz schön groß für uns beide, Ma.“ „Es ist nicht nur für uns beide.“ „Äh?“ „Alex wohnt auch hier.“, sagte Andrea in das unwissend dreinschauende Gesicht ihrer Tochter.

 

Lena schüttelte den Kopf. „Das ging aber schnell, Ma. Alex ist in Ordnung. Aber ich wäre gern gefragt wurden, bevor wir bei deinem Lover einziehen und noch jemand an mir herumerziehen will.“ Jetzt lachte Andrea Lauthals los. „Da bist du aber auf der falschen Fährte, mein Schatz.“ „Ich bin nicht dein Schatz.“, gab ihre Tochter pikiert zurück, „Der heißt Alex.“ Ohne auf die Proteste ihrer Tochter Rücksicht zu nehmen, sagte Andrea. „Komm rein. Ich zeig dir wie wir es uns gedacht haben.“

 

Je mehr Andrea erzählte und je mehr Lena von dem Haus sah, desto leiser wurden die Proteste ihrer Tochter. „Ma. Wenn Alex nebenan wohnt, brauch ich nicht mehr zu Opa und Oma, wenn du weg bist.“ Andrea nickte. „Zumindest, wenn wir nicht zusammen wegmüssen. Und in einem Jahr? Mal sehen. Ich zeig dir aber noch dein Zimmer.“ Bewusst hatte sich Andrea das Balkonzimmer bis zum Ende aufgehoben. Die Reaktion war wie erwartet. Lena war begeistert. Keine Spur mehr von Protest. Vielleicht stellte sich ihre Tochter schon vor, wie ihren Freundinnen Lenas neues Reich gefallen würde. Möglich das nicht nur Freundinnen im Kopf ihrer Tochter umherspukten. Das Mädchen wurde erwachsen. Dies war nicht zu leugnen. Sicher war es gut, dass auch Alexander einen Blick auf die Gewohnheiten ihrer Tochter warf. Andrea vertraute Lena, aber sie vertraute keinen hormongesteuerten männlichen Teenagern.

 

„Frau Scheffelbaum?“, erklang eine Stimme im Untergeschoß. „Frau Scheffelbaum?“, prustete Lena, „Hab ich noch mehr verpasst.“ Mit einer Handbewegung wischte Andrea den Einwurf ihrer Tochter beiseite. „Frau Scheffelbaum! In ihrer Firma sagte man mir das Sie hier sind.“ Andrea war wütend. Wer diese dämliche Auskunft gegeben hatte würde morgen verdammten Ärger bekommen. Einfach solche Gerüchte in die Welt zu setzen. Aber die Stimme des Mannes kam ihr bekannt vor. „Frau Scheffelbaum. Mein Name ist Vollborn. Ich komme wegen der Fliesen.“

 

Ein Abendessen

 

 

Lena Vollborn sah ihre Mutter überrascht an. Das war wirklich die Stimme ihres Vaters. Das Entsetzen in den Augen ihrer Mutter bestätigte dies eindeutig. Wann hatte Lena ihren Vater zum letzten Mal gesehen? Das war wohl schon über drei Jahre her. Auch das Gesicht des Mannes, das jetzt an der Treppe zum Vorschein kam, war nicht das aus ihrer Erinnerung. Müde und eingefallen sah es aus. Aber es war eindeutig ihr Vater.

 

Der Mann auf der Treppe blickte ebenso überrascht. „Andrea…? Lena…?“ „Hallo Hartmuth“, hörte Lena ihre Mutter sagen. „Was machst du hier?“ „Ich arbeite auf dieser Baustelle. Und du?“ „Ich will hier einziehen?“ „Ich wusste gar nicht, dass du geheiratet hast.“ „Hab ich auch nicht. Wie kommst du darauf?“ „Mein Chef sagte, dass Scheffelbaum dieses Haus gemietet hat und der Ausbau eilt. Er hat wohl in der Firma angerufen, da wurde ihm gesagt, die Chefin wollte auf die Baustelle.“ Jetzt lachte Lenas Vater auf. Es war aber kein fröhliches Lachen. Es klang resignierend und müde. „Wen treffe ich hier? Meine Ex-Frau. Aber gut siehst du aus, Andrea. Und Lena, groß bist du geworden. Eine richtige junge Dame.“

 

Lena Vollborn musterte ihren Vater. Plötzlich tat er ihr leid. So wie er aussah schien es ihm nicht gut zugehen. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Sie war gerade aus Spanien zurück, dann überraschte ihre Mutter sie mit den Umzugsplänen und jetzt traf sie hier ihren Vater. Instinktiv bereitete sie sich auf einen Streit zwischen ihren Eltern vor. Lena konnte sich nicht erinnern wann ihre Eltern sich nicht gestritten hatten. Jetzt starrten sie sich nur an und schwiegen. Sie schienen nicht zu wissen was sie tun sollten.

 

Ihre Mutter brach das Schweigen. „Du arbeitest für die Baufirma, Hartmuth.“ Lenas Vater schüttelte den Kopf. „Nicht direkt. Nur als Subunternehmer. Die Baufirma drängelt. Der Auftraggeber rief an, ich sollte mich auf die Baustelle scheren und sehen, dass ich Frau Scheffelbaum erwische. Er muss die Fliesen bestellen.“ Lenas Vater wies nach unten. „Ich hab die Kataloge und Muster im Caddy. Ich gebe sie dir einfach mit. Dann kannst du sie dir am Wochenende in Ruhe ansehen. Oder willst du gleich?“ Ihre Mutter schüttelte den Kopf.

 

Der resignierende Blick ihres Vaters als er wieder herunterstieg, sagte alles. Er würde Ärger bekommen. „Warte, Papa.“, rief Lena. „Dieser Bauunternehmer hat dich doch nicht hergeschickt, damit du Mama die Kataloge gibst?“ Ihr Vater sah auf. „Du warst schon immer schlauer als andere Kinder, Lena.“ „Bin ich nicht.“, gab das Mädchen zurück. „Aber ich hab eine ganze Menge gelernt. Eines ist, dass sich nur Leute, die keine andere Wahl haben Freitagabend auf eine Baustelle scheuchen lassen.“ „Ich will nicht, dass du Ärger kriegst, Hartmuth.“, erklärte Lenas Mutter. „Ärger kriege ich auf jeden Fall. Entweder, wenn ich dir nicht die Fliesen aufschwatze, die mein Auftraggeber von seinem Schwager bezieht oder weil sich Herr Scheffelbaum wegen dieser Billigware beschwert.“

 

Lenas Mutter seufzte. „Also hol deine Muster aus dem Wagen. Ich such mir was aus und spreche morgen mit Alexander. Montag kann die Baufirma die Fliesen bestellen.“ Lenas Vater schüttelte den Kopf. „Dafür ist es eigentlich schon zu dunkel. Bei diesem Licht kannst du Ramsch nicht von Qualität unterscheiden.“ Lena hatte eine Idee. Ihr Blick suchte die Augen ihrer Mutter. „Ma, können wir nicht woanders hin. Vielleicht in die Pizzeria bei uns um die Ecke. Ich hab auch Hunger.“

 

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Der Mann trat aus dem Haus. Die Frau und das Mädchen folgten. Der Blonde deutete auf den Caddy. „Vollborn-Bauhandwerk.“, las er dessen Aufschrift. „Eine nette kleine Familie.“, pflichtete ihm der große dunkelhaarige Räuber bei. „Vater, Mutter und Tochter bauen gerade ein neues Haus.“ Die Frau, mit der dieser Scheffelbaum ein Verhältnis hat, hieß Andrea Vollborn. Dies herauszufinden war nicht sonderlich schwer. Das Gesicht prangte auf der Internetseite der Firma. Die Vollborn war die kaufmännische Leiterin. Sie gehörte zum gehobenen Management. Bei ihrer Vergütung konnte sie sich dieses Reihenhaus problemlos leisten. Zumal ihr Mann vom Fach war und sicher eine ganze Menge selbst machen würde.

 

Die beiden Männer trugen Wanderoutfits. Diese fielen in dieser Gegend kaum auf. Der Stadtgarten war bei Wanderern sehr beliebt. „Ich frag mich wirklich warum dieser Scheffelbaum ausgerechnet mit der schläft.“, wunderte sich der Große. „Mich wundert das überhaupt nicht.“, wiedersprach sein Partner. „Für beide ist das doch sehr praktisch. Sie ist zwar nicht der Typ von diesem Scheffelbaum. Aber greifbar. Ich wette die Vollborn ist frustriert, weil ihr Handwerker-Typ im Bett nichts mehr auf die Reihe kriegt. Da kommt ihr der Scheffelbaum gerade passend. Ab und zu ein paar Überstunden fallen nicht auf.“

 

Der Vollborn stieg in den Caddy. Seine Frau und die Tochter in den Audi. Die beiden Männer beeilten sich zu ihrem Auto zu kommen. Sie wollten die Familie nicht aus den Augen verlieren.

 

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Das italienische Restaurant war am Freitagabend gut besucht. Andrea und seine Tochter schienen hier bekannt zu sein. Zumindest störte es den Wirt nicht als sie einen großem Tisch in einer Nische besetzten an dem doppelt so viele Gäste Platz gefunden hätten. Noch bevor das Essen kam breitete Hartmuth seine Kataloge aus. Sie waren der Grund für den Besuch auf der Baustelle. Aber auch eine Chance peinliche Fragen nach seiner Vergangenheit zu vermeiden.

 

Die Scheidung hatte ihn im Grunde ruiniert. Hin und her gerissen zwischen seinen Verpflichtungen und den Wünschen seiner neuen Freundin, wuchsen die Schulden. Er fing an Schwarz zu arbeiten. Das kam heraus. Der Handwerksmeister Vollborn war plötzlich pleite und seine Freundin weg. Aber vielleicht gab es doch einen Lichtblick. Er hatte sich durchgebissen. Euro für Euro tilgte Hartmuth Vollborn die Schulden. Jeden Job nahm er an. Er gönnte sich nichts. Jetzt war noch ein Rest von 5.000 EUR übrig. Aber den würde er auch noch schaffen. Ab dem nächsten Monat hatte er eine neue Stelle. Als Meister in einem richtigen Betrieb mit guter Bezahlung und nicht als Subunternehmer für einen Ausbeuter. Die fünftausend wären dann kein Problem.

 

Neben seiner Ex-Frau kam Hartmuth sich irgendwie schäbig vor. Andrea schien es gut zu gehen. Das bemerkte er schon auf der Treppe. Die Kleidung, das Make-up, die Frisur, der Audi vor dem Haus. Wäre ihm seine Ex-Frau auf der Straße begegnet, hätte er sie vermutlich im ersten Augenblick nicht erkannt. Da war nichts mehr von der Frau, von der er sich scheiden ließ. Hartmuth Vollborn konnte sich nicht erinnern, dass seine Frau in der Ehe so attraktiv ausgesehen hatte.

 

Ihre Beine waren ihm schon im Haus aufgefallen. Der gerade schwarze Rock umspielte sie leicht oberhalb der Knie und gab den Blick auf kräftige, aber gut proportionierte Schenkel frei. Noch nie hatte Hartmuth Vollborn bemerkt, dass die Beine seiner Ex-Frau so sexy aussahen. Jetzt im Restaurant lag der schwarze Blazer neben ihr auf der Bank und zeigte eine weiße Bluse mit V‑Ausschnitt. Unwillkürlich blieben Hartmuths Blicke daran hängen. Andrea entging es nicht. Sie warf ihm einen stechenden Blick zu. Hartmuth Vollborn senkte die Augen.

 

Die Teller wurden abgeräumt. Andrea bestellte sich noch ein Glas Wein. „Möchtet ihr auch noch etwas?“ Hartmut schüttelte den Kopf. Er hätte gern noch etwas getrunken. Aber wenn er das Geld in seiner Brieftasche zusammenzählte reichte es gerade einmal für das was sie schon bestellt hatten. Lena hörte nicht zu. Seine Tochter hing halb auf dem Tisch und blätterte durch die Kataloge. An manchen Seiten blieb sie länger hängen. Hartmuth genügte ein Blick, um zu wissen, dass es jene mit den hochwertigsten Produkten waren. „Die hier sehen gut aus.“, sagte Lena. Hartmuth sah auf den Katalog. „Das sind aber auch beinahe die teuersten." Er warf seiner Ex-Frau einen Blick zu. „Ich hab ein Budget pro m².“ Andrea verstand. „Wenn die Fliesen zu teuer sind bleibt nichts mehr für dich?“ Hartmut nickte und schwieg. Alles was er jetzt sagen konnte war falsch. Er hatte seine Tochter in eine Zwickmühle gebracht. Lena schlug den Katalog zu.

 

Zum Glück kam der Kellner und servierte Andrea den Wein. Die Stille am Tisch war dadurch nicht ganz so peinlich. Lena brach das Schweigen. Sie schob den Stapel mit den Katalogen zu ihm herüber. „Such du etwas aus, Papa.“ Damit reichte Lena den schwarzen Peter weiter. „Das kann ich nicht. Es ist euer Haus.“ „Aber du weißt wie man das optimale für uns alle aus deinem Budget herausholen kann.“, wiedersprach Andrea.

 

Natürlich hatte er ein paar Ideen. Gute Qualität zu einem günstigen Preis. Hartmuth zog einen Katalog aus dem Stapel. „Was haltet ihr von diesen hier?“. Sein Auftraggeber würde zwar fluchen, dass es nicht um die Ware seines Schwagers handelte, doch das war es Hartmuth wert. Solange er das Budget nicht überschritt konnte der Halsabschneider nichts dagegen tun, das Hartmuth seiner Tochter ein anständiges Bad baute. Die Muster hatte er sogar im Caddy. Der parkte aber hinter dem Audi seiner Ex-Frau. Es machte keinen Sinn sie hier her zu holen. „Dann nehmen wir sie nachher mit nach oben.“, entschied Andrea. Sie trank aus und winkte dem Kellner.

 

Zu Andreas Wohnung war es nicht weit. Hartmuth öffnete den Caddy und holte die beiden Muster-Koffer heraus. „Die sind schwer. Ich trag sie euch gerne in die Wohnung?“ Er spürte, dass seine Ex-Frau wiedersprechen wollte. Auch seine Tochter sagte nichts. Sie schien abgelenkt. Andrea seufzte. Sie öffnete die Haustür und lies ihn vorausgehen. Lena war plötzlich an ihnen vorbei und flitzte die Treppe nach oben. Hartmuth folgte gemächlicher.

 

Seine Tochter hatte die Wohnungstür bereits geöffnet und war verschwunden. Hartmuth trat ein. Von hinten hörte er die Stimme seiner Ex-Frau. „Aber nur zum Abstellen der Musterkoffer.“ Hartmuth nickte und stellte die Koffer in den Flur. Er drehte sich um. „Wenn ihr euch entschieden habt ist trotzdem noch eine ganze Menge zu besprechen. Können wir uns nochmal sehen? Morgen vielleicht?“ „Ich ruf dich an.“, erklärte Andrea. „Hast du ein Handy?“ Hartmuth nickte. Andrea reichte ihm Block und Stift von der Garderobe. Er schrieb die Nummer darauf. In Andreas Hand lag bereits der Knauf der Wohnungstür. Ein deutliches Zeichen. „Kommt Lena zu dem Termin mit?“, fragte er. „Natürlich.“, antwortete Andrea. „Es geht doch um ihr zu Hause.“

 

Zu seiner Überraschung folgte seine Ex-Frau ihm ins Treppenhaus und zog die Tür zu. „Wie hoch ist dein Budget?“ „Warum willst du das wissen?“, fragte er verwundert. „Wie hoch, Hartmuth!“, drängte Andrea. Er nannte eine Zahl. „Oh, Gott.“ Dieser Satz klang ehrlich. Andrea machte während ihrer Ehe die Buchhaltung in der Firma und konnte einschätzen was es bedeutete mit diesem Budget zu arbeiten. „Das ist knapp. Geht es denn überhaupt mit den Fliesen, die du vorgeschlagen hast?“ „Es wird eng, aber es geht.“, erwiderte er. „Eng für dich?“, bohrte Andrea weiter. „Das auch.“, bestätigte Hartmuth. „Ich müsste genau kalkulieren. Außerdem muss ich das Material selbst beschaffen. Der Unternehmer liefert nur den Schund von seinem Schwager.“

 

Seine Ex-Frau sah ihn prüfend an. „Das dein Auftraggeber die minderwertige Ware von seinem Schwager verbaut war nicht nur eine Floskel?“ Hartmut schüttelte den Kopf. „In den anderen Bädern, die ich gemacht habe, ist sie drin. Falls es Reklamationen gibt bin ich der Idiot.“ Andrea reichte ihm die Hand. „Danke für deine Offenheit, Hartmuth. Ich ruf dich morgen an.“

 

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In einer der beiden Wohnungen in der ersten Etage ging das Licht an. Das musste die Wohnung der Vollborns sein. Dieser Name stand auf dem Klingelschild. Von dem Neubaugebiet fuhren die Vollborns direkt hier her. Statt in eines der Häuser zu gehen marschierten sie mit einem Stapel Kataloge zu einem Italiener um die Ecke. Genug Zeit für den Blonden die richtige Wohnung zu finden. Sein Partner beobachtete die Pizzeria. Die Familie aß zu Abend und wälzte Kataloge. Die Frau zahlte. Über die Einkommensverteilung in dieser Familie sagte das eine Menge. Dann ging es zurück zur Wohnung und mit zwei Musterkoffern nach oben.

 

Die Vollborns waren im Nestbaumodus. Vielleicht genau das Druckmittel, welches die beiden Männer brauchten. „Diese Vollborn vögelt ihren Chef. Gleichzeitig baut sie mit ihrem Mann ein Haus. Ich wette die tut alles damit die Affäre nicht heraus kommt.“ Der Dunkelhaarige nickte. „Wir hängen uns an sie dran und warten auf unsere Chance.“ Der Blonde startete ihren Wagen. Hier hatten sie nichts mehr verloren.

 

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„Herr Vollborn.“ Der Ruf seiner Wirtin ließ Hartmuth zusammenfahren. „Ein Brief für Sie.“, erklärte die Wirtin und reichte ihm einen Umschlag. Hartmuth nickte nur und verschwand in seinem Zimmer. Der Brief war von seiner Bank. Früher bekam er bei Briefen wie diesen immer Schweißausbrüche und zittrige Hände. Heute erwartete er keine schlechten Nachrichten. Jede Rate dieses letzten Kredits war pünktlich bezahlt und das Konto im Rahmen des Dispositionslimits. Auch bei der Abbuchung der Leasingraten für den Caddy gab es bis jetzt keine Probleme.

 

Der Inhalt des Schreibens traf ihn wie ein Schlag. Eine Überprüfung seiner Kontobewegungen hätte ergeben, dass sein Konto keine regelmäßigen Eingänge aufwies. Die Bank strich ihm den Dispositionskredit und verlangte sofortigen Ausgleich des offenen Saldos. Hartmut musste sich setzen. Was dachten sich diese Banker? Woher sollten die regelmäßigen Eingänge kommen? Er war selbstständig. Als Ein-Mann-Firma die als Subunternehmer arbeitete war er das letzte Glied in der Kette. Die Auftraggeber zahlten erst, wenn sie das Geld von ihren Kunden hatten. Gab es Abzüge reichten sie diese einfach weiter.

 

Hartmuth hatte lange um diesen Dispositionsrahmen gekämpft. Er brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Ohne diesen konnte er den Ratenkredit nicht mehr abzahlen. Außerdem würde die Leasingrate für seinen Caddy nicht überwiesen werden. Der Wagen würde abgeholt und Hartmut wäre am Ende. Sein neuer Job nützte ihm auch nichts. Sobald jemand erfuhr das er angestellt war kam der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Jede Firma entließ einen Mitarbeiter mit solch einer Hypothek während der Probezeit.

 

Ihm blieb nur eine Chance. Er musste den Bauunternehmer um einen Vorschuss anbetteln. Damit waren seine Pläne für das Bad seiner Tochter gestorben. Das Material konnte er nicht mehr bezahlen. Hartmuth Vollborn würde seine Tochter schon wieder enttäuschen müssen.

Der Plan

 

„Der Fliesenleger ist also dein Ex-Mann.“, stellte Alexander fest. „Ja.“, bestätigte Andrea. Sie saß auf ihrem Bett und telefonierte. Andrea war schon eine Weile wach. Das Frühstück lag bereits hinter ihr. Lena war noch nicht aus ihrem Zimmer gekommen. Normalerweise bestand Andrea am Samstag auf das gemeinsame Frühstück mit ihrer Tochter, aber heute war kein normaler Samstag. Andrea musste eine Entscheidung treffen.

 

Der Betrag, den ihr Hartmuth genannt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Zahlte die Immobilien-Abteilung ihrer Hausbank dem Auftragnehmer wirklich so wenig? Andrea war zwar in der Branche nicht mehr ganz auf dem laufenden, aber diese Preise reichten nicht an jene heran, die sie damals für Hartmuths Firma berechnet hatte. In Andrea keimte der Verdacht, dass der Bauunternehmer einfach einen Teil des Budgets nicht für den dafür vorgesehenen Zweck verwendete.“

 

„Mir wäre es auch lieber, wenn uns Hartmuth nicht über den Weg gelaufen wäre.“, antwortete Andrea. „Aber unter diesem Umständen….“ Sie ließ das Ende des Satzes offen. Alexander wusste selbst was sie meinte. „Du glaubst der Auftragnehmer manipuliert die Rechnungen?“, fasste ihr Freund den Verdacht in Worte. „Genau.“, bestätigte Andrea. „Wäre der Subunternehmer nicht zufällig mein Ex-Mann, wäre die Sache nie aufgefallen.“ „Ich rufe Christoph an.“, entschied Alex. „Falls an deinem Verdacht etwas dran ist, kann er sein Wochenende begraben.“ „Wir sollten aber diskret vorgehen.“, schlug Andrea vor. „Bestimmte Unterlagen könnten einfach verschwinden.“ „Fahr in die Firma.“, schlug ihr Freund vor. „Ich spreche mit Christoph und komme auch hin.“

 

Andrea beendete das Gespräch. Sie trug das Telefon zurück ins Wohnzimmer und klopfte an Lenas Tür. „Ich muss nochmal in die Firma. Frühstück steht in der Küche. Ich versuche gegen Mittag zurück zu sein. Vielleicht können wir uns am Nachmittag mit deinem Vater wegen der Fliesen treffen.“ Lenas Antwort signalisierte, dass ihre Tochter verstanden hatte. Andrea zog die Jacke über und griff ihre Handtasche. Ihr Blick fiel auf den Zettel mit Hartmuts Nummer. Sie steckte ihn ein. Anrufen musste sie ihren Ex-Mann auf jeden Fall.

 

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„Das ist die Vollborn.“, sagte der große Dunkelhaarige auf dem Fahrersitz. „Entweder fährt sie einkaufen oder in die Firma.“ „Sie kann ebenso gut auf die Baustelle fahren.“, gab sein Partner zu bedenken. „Der Caddy ihres Handwerker-Kerls ist nirgends zu sehen. Ich wette der ist schon seit Stunden dort draußen.“ „Für die Baustelle ist sie nicht der Typ.“, widersprach der Große. „Ihr Mann ist vom Fach. Er baut und sie schafft die Kohle ran.“

 

Der Audi bog aus der Parklücke. Der Wagen der beiden Männer folgte. Nach ein paar Minuten war das Rätsel um das Ziel der Frau gelöst. Sie fuhr in die Firma. Eigentlich eine gute Lösung für Scheffelbaum und diese Vollborn. Am Samstag war außer ihnen bestimmt niemand in der Firma. „Hoffentlich kommt Scheffelbaum auch?“, überlegte der Dunkelhaarige. „Ihr Outfit ist ein wenig simpel für ein Date.“ Er sah zu dem Blonden herüber. „Was ist, wenn der Kerl nicht kommt.“

 

„Dann wird sie ihn unter einem Vorwand in die Firma locken.“, erwiderte der Blonde. Die Fragerei seines Partners nervte. Außerdem fand er, dass diese Vollborn in ihrem Outfit eine gute Figur machte. Sie konnte schließlich nicht im Mini und High-Heels in die Firma fahren. Außerdem war Samstag. Die Frau in dem Audi trug Jeans, einem dunklen Rolli und eine kurze Jacke. Ihre Füße steckten in Stiefeln mit beträchtlichem Absatz. Es lag nahe, dass die Vollborn die Outfits, die diesen Scheffelbaum wirklich interessierten darunter trug.

 

Was dies war hätte der kleine Blonde selbst gern gewusst. Vielleicht ergab sich bei ihrem Plan die Gelegenheit diese Frage zu klären. Der Plan war einfach. Sie würden sich diese Vollborn am Personaleingang der Firma schnappen. War Scheffelbaum bereits in der Firma bekam er eins über den Schädel. Die Vollborn würde später bei der Polizei aussagen sie wäre von hinten gepackt und überwältigt wurden. Natürlich konnte sie den Angreifer nicht beschreiben. Der Clip vom Parkplatz war für sie ein guter Grund den Mund zu halten. Ideal wäre es, wenn die Vollborn vor Scheffelbaum in der Firma war. Dann hätten sie leichtes Spiel. Scheffelbaum niederschlagen, ihn verpacken und mit dem Wagen verschwinden. Die Vollborn hätte in diesem Fall nichts sehen müssen und würde ihren Lover nach angemessener Zeit finden.

 

Der Audi fuhr auf den Parkplatz der Firma. Die beiden Männer stoppten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie sprangen aus dem Wagen und nährten sich vorsichtig dem Parkplatz. Hinter einer Hausecke blieben sie stehen. Der Personaleingang lag in ihrem Blickfeld. Der Parkplatz von diesem Scheffelbaum war leer. Perfekte Vorrausetzungen für ihren Plan. Doch die Frau aus dem Audi kam nicht. Der Blonde spähte um die Ecke. Die Vollborn saß in ihrem Wagen. Ihre Lippen bewegten sich. Sie telefonierte.

 

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Andrea war gerade auf den Parkplatz der Firma eingebogen als das Display des Autotelefons Alexanders Nummer zeigte. „Alex, ich fahre gerade auf den Parkplatz.“ „Ich habe mit Christoph gesprochen. Der Betrag, den du mir genannt hast, sagt ihm nichts. Aber Chris ist sich sicher, dass in den letzten Häusern den Abrechnungen nach hochwertige Fliesen verwendet wurden.“ Die Stimme ihres Freundes klang erregt. „Er spricht mit dem Architekten. Wir treffen uns danach bei uns in der Firma. Am besten du rufst deinen Ex-Mann an. Er muss auch kommen.

 

„Ich halte das für keine gute Idee.“, gab Andrea zu bedenken. „Der Bauunternehmer ist vielleicht ein Betrüger, aber Hartmuth braucht diesen Job. Er lebt davon.“ Alexanders Schweigen bewies Andrea, das sich ihr Freund darüber keine Gedanken gemacht hatte. Falls herauskam, dass ihr Ex-Mann den entscheidenden Hinweis gegeben hatte würde der Bauunternehmer seine Wut an ihm auslassen. „Dann sprich zuerst allein mit ihm.“, schlug Alexander vor. „Ich bin sicher Chris hat nichts dagegen, wenn er den Auftrag direkt bekommt.“ Diese Lösung wäre sowieso die beste, dachte Andrea. „Ich spreche mit Hartmuth und melde mich.“ Andrea beendete das Gespräch. Mit einem unguten Gefühl wählte sie die Nummer ihres Ex-Mannes.

 

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Hartmuth fand eine Parklücke vor dem Haus seiner Ex-Frau. Er musste mit seiner Tochter und Andrea reden. Diese Entscheidung kostete ihm eine schlaflose Nacht. Hartmuth wollte seine Frau nicht um Hilfe bitten. Er wollte einfach erklären, warum er die Wünsche seiner Tochter nicht erfüllen konnte. Das war schlimm genug. Aber er war sicher, Andrea würde es verstehen. Es lag nicht an ihm. Die Entscheidung der Bank ließ ihm keine andere Wahl. Einen Vorschuss bekam er nur, wenn er das Material seines Auftraggebers verbaute. Natürlich hätte Hartmuth einfach behaupten können, die ausgesuchten Fliesen wären nicht so schnell lieferbar. Bei jedem anderen wäre ihm diese Lüge egal gewesen, aber nicht bei seiner Tochter.

 

„Hallo.“, drang Lenas Stimme aus der Sprechanlage. Hartmuth wäre es lieber gewesen die seiner Ex-Frau zu hören. „Hallo Lena. Ist deine Mutter da?“ „Sie ist in der Firma. Was willst du, Papa?“ Lena hatte seine Stimme erkannt. „Ich muss mit ihr Reden. Es gibt ein Problem. Hast du eine Nummer, unter der ich sie erreichen kann.“ Der Türöffner summte. „Komm hoch.“ „Ich glaube nicht, dass deiner Mutter das recht wäre.“ „Dann komme ich runter.“, erklärte Lena.

 

In Hartmuths Jacke klingelte das Handy. Die Nummer sagte ihm nichts. Er meldete sich. Der Anruf kam von seiner Ex-Frau. „Kannst du bitte zur Firma kommen, Hartmuth. Es ist wichtig.“ Andreas Stimme klang besorgt. „Geht es um den Bau?“, fragte er. Es war nicht unmöglich, dass Scheffelbaum ihn nicht auf der Baustelle wollte. An seiner Stelle würde er auch kein Interesse daran haben, den Ex-Mann seiner Freundin zu beschäftigen. „Genau genommen schon.“, antwortete Andrea.

 

Die Haustür wurde geöffnet. Lena trat heraus. „Kommst du, Hartmuth?“, fragte Andrea und nannte die Adresse. „Ja. Natürlich.“, erwiderte Hartmuth. Er steckte das Handy ein. Seine Tochter sah ihn fragend an. „Das war deine Mutter.“, erklärte er. „Ich soll in die Firma kommen.“ „Geht es um das Haus?“ „Irgendwie schon.“, gab Hartmuth die Antwort seiner Ex-Frau weiter. „Dann fahren wir.“, entschied Lena. „Wenn es um das Haus geht will ich dabei sein.“

 

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Die Tür des Audi schlug zu. Andrea verschloss den Wagen und überquerte den Parkplatz in Richtung Personaleingang. Hartmuth war ein armer Teufel. Andrea musste aufpassen, dass er bei der ganzen Sache nicht der Leidtragende war. Der Bauunternehmer legte sich kaum mit den Scheffelbaums an. Auch Christoph war für ihn tabu. Hinter diesem stand die Macht der Bank. Hartmuth als Subunternehmer wäre jedoch ein leichtes Opfer. Den Auftrag direkt an ihren Ex-Mann zu vergeben würde ihn aus der Schusslinie holen.

 

Andrea zog den Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloss die Tür des Personaleingangs auf. Der Stoß in ihrem Rücken ließ sie in den Flur taumeln. Die Handtasche landete auf dem Boden. Jemand zerrte ihre Arme auf den Rücken. Eine Hand verschloss ihren Mund. Der Duft von Leder stieg in Andreas Nase. Ein Mann baute sich vor ihr auf. Er war dunkel gekleidet. Das Basecap saß tief im Gesicht. In der Hand des Mannes lag eine Pistole.

 

„Ist noch jemand hier?“, fragte der Mann vor Andrea. Sie schüttelte den Kopf. „Lüg uns nicht an.“, fauchte der Mann, der sie festhielt. „Es ist niemand hier.“, stammelte Andrea in den Handschuh. Sie versuchte ihre Panik zu unterdrücken. „Kommt Scheffelbaum auch?“, wollte der Mann vor Andrea wissen. Sie nickte. Ein zufriedenes Grinsen zog über das Gesicht des Mannes. Die Hand gab ihrem Mund frei. „Was wollen Sie?“, stieß Andrea hervor. „Nur das Auto deines Lovers.“, erklärte der Mann. „Wenn du mitspielst passiert dir nichts.“

 

Der Mann mit der Pistole hob ihre Handtasche auf. Er nahm das Handy heraus und steckte es ein. Er gab seinen Partner einen Wink. Dieser lies Andrea los. Der Mann mit der Pistole drückte ihr die Handtasche in die Arme. „Wo ist dein Büro?“ Andrea deutete auf die Treppe. „Oben.“ Der Mann hinter Andrea gab ihr einen Stoß. „Kümmere du dich um sie. Ich warte auf Scheffelbaum.“

 

Andrea wurde Am Arm gepackt und die Treppe hinaufgeschoben. „Bitte tun Sie Alexander nichts.“, bat Andrea während sie versuchte nicht zu stolpern. „Hast du Angst um deinen Lover?“, feixte der Mann. Andrea ging nicht darauf ein. „Ich bin sicher er wird sich nicht wehren. Der Wagen gehört der Firma.“ „Natürlich wird er sich nicht wehren.“, gab ihr Bewacher zurück. „Bevor er merkt was los ist bekommt er eine über den Schädel. Wenn er aufwacht ist er gefesselt und geknebelt. Du kannst ihn dann befreien.“ „Ich?“ Andrea versuchte nicht ihre Überraschung zu verbergen. Alexander sollte gefesselt werden. Ihr würde dies auch nicht erspart bleiben.

 

Der Mann hielt an. „Du warst in deinem Büro und hast nichts gesehen.“ Er zog sein Handy aus der Jacke. „Wenn wir geschnappt werden, erfährt dein Mann davon.“ Das Display zeigte ein Bild von Alexander und ihr auf dem Parkplatz. Alex gab ihr gerade einen Kuss. „Ich wette deinem Mann gefällt es gar nicht, dass du mit deinem Chef vögelst. Erst recht nicht jetzt, wenn euer Haus bald fertig ist. Eine Scheidung willst du deiner Tochter doch nicht antun?“

 

Ehemann? Scheidung? Hausbau? Andrea starrte ihrem Bewacher verwirrt an. Diese Autoräuber mussten sie beobachtet haben. Aber nicht lange genug, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Sie hielten Hartmuth und sie für ein Ehepaar und vermuteten hinter Alexander eine Affäre. „Das ist für alle die beste Lösung?“, fuhr der Mann fort. „Wir verschwinden einfach und alles bleibt wie es war. Niemand hat uns gesehen.“

 

Andrea stockte der Atem. Eine Katastrophe bahnte sich an. Alex und Hartmuth waren auf dem Weg zur Firma. Ein Zusammentreffen würde die Wahrheit ans Licht bringen. Die Autoräuber mussten erkennen das ihr Plan unerkannt zu entkommen scheiterte. Wie würden sie reagieren? Mit Gewalt? Gab es einen Weg dies zu verhindern? Andrea atmete durch. „Ich mache alles was Sie verlangen.“ „Dann sieh zu, dass du in dein Büro kommst.“, erwiderte der Mann.

 

Sie betraten Andreas Büro durch das Vorzimmer. Ihr Bewacher sah sich um. „Du hast sogar eine eigene Sekretärin. Was sagt eigentlich dein Kerl zu deiner Karriere?“ „Was soll er schon sagen?“, antwortete Andrea betont uninteressiert. „Er ist Handwerker. Sie kennen das Problem mit den ausstehenden Zahlungen der Kunden?“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Sehen Sie.“, fuhr Andrea fort. „Die meisten Handwerker gehen daran pleite. Bei uns ist die Miete trotzdem bezahlt, der Kühlschrank voll und ein Urlaub ist auch drin. Für meinen Mann ist mein Job eine Hängematte und wie er es sieht eine ganz bequeme.“

 

Der Räuber grinste. „Dafür nimmst du dir das Recht heraus mit deinem Boss zu schlafen.“ „Das ist keine Frage, die ich Ihnen beantworten werde.“, gab Andrea zurück. „Wir sind doch aber nicht hier, um über meine Ehe zu sprechen?“ Der blonde Mann zog einen Packen Kabelbinder aus der Jacke. „Ganz bestimmt nicht. Ich werde dich fesseln.“ Andrea schluckte. Gefesselt konnte sie die Katastrophe nicht verhindern. „Sie sagten ich soll Herrn Scheffelbaum finden und befreien. Wie soll das funktionieren, wenn ich gefesselt bin?“ „Bevor wir verschwinden schneide ich dich soweit los, dass du dich selbst befreien kannst. Eine Schere hast du doch?“

 

„Natürlich.“ Andrea stellte ihre Handtasche ab und zog die oberste Schublade ihres Rollcontainers auf. Sie holte eine Schere heraus. Der Räuber hob die Pistole. „Mach keinen Unsinn. Das Ding weg und Hände auf den Rücken.“ Andrea legte die Schere auf den Schreibtisch. „Warum sperren Sie mich nicht einfach ein?“ „Bist du schwer von Begriff? Wir brauchen einen Vorsprung.“ „Dafür hab ich einen besseren Vorschlag.“ Andrea trat auf dem Mann zu. „Ich wette der gefällt Ihnen. Ich ziehe mich aus. Sie sperren mich drüben im Archiv ein. Bevor sie verschwinden schließen Sie einfach die Tür auf. Nackt rufe ich bestimmt nicht die Polizei.“

 

Der Räuber war nicht überzeugt. „Bei deinem Lover spielt es keine Rolle, ob du nackt bist oder nicht.“ „Wie soll ich ihm erklären warum? Soweit das ich nackt im Büro auf ihn warte wird es nie kommen.“ Andrea zog ihrer Jacke aus. „Also?“ In das Gesicht des Räubers schob sich ein breites Grinsen. „Mich würde tatsächlich interessieren was du für deinen Lover trägst.“ „Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht.“, antwortete Andrea. Sie setzte sich auf den Schreibtisch und öffnete die Stiefel. Diese landeten achtlos auf dem Fußboden. Ihre Füße steckten in dunklen Kniestrümpfen. Andrea drehte dem Mann den Rücken zu und schälte sich aus ihren Jeans. Diese legte sie ordentlich zusammen. Der Pullover folgte. Darunter trug sie einen weißen Softschalen-BH. Dieser war für den Räuber sicher weniger interessant als der String. Sollte sich der Slip nicht abzeichnen blieb Andrea unter engen Hosen nichts anderes übrig. Der Pullover wanderte sauber zusammengelegt auf die Jeans.

 

Andrea drehte sich um. Das Grinsen des Mannes wurde noch eine Spur breiter. „Nicht sehr beeindruckend.“ Andrea war wohl bewusst welchen Anblick sie in ihrer Unterwäsche bot. Der Softschalen-BH, ein einfacher String und Kniestrümpfe hatten mit Erotik sicher nichts zu tun. Den Mann zu fragen, ob ihm das reichte machte keinen Sinn. Andrea setzte sich wieder auf den Schreibtisch und zog die Kniestrümpfe aus. Der BH folgte. Das erste Mal lag Interesse in den Augen des Mannes. Er fixierte ihren Busen. Andrea stieg aus dem String und warf ihn zusammen mit dem BH und den Strümpfen auf das Päckchen ihrer Sachen. Sie schob eine Hand darunter. Ihre Finger tasteten nach dem Griff der Schere und hoben es ab.

 

Mit dem Päckchen in beiden Händen trat Andrea an den Mann heran. „Wie Sie sehen stehe ich zu meinem Wort.“ Die Augen des Räubers hingen an ihrem Busen. Er steckte die Pistole weg und griff das Päckchen. Andreas Arm schoss vor. Der Mann sprang zur Seite. Zu spät. Die Schere fuhr unter seine Jacke. Sie durchtrennte das Oberteil. Auf dem dunklen Stoff bildete sich ein feuchter Fleck. Die Sachen fielen auf den Boden. Der Mann schrie. Andrea rannte los.

 

Mehr als ein tiefer Kratzer war die Verletzung sicher nicht. Aber sie reichte, um Andrea einen Vorsprung zu verschaffen. Die Männer kannten sich im Gebäude nicht aus. Das war ihr Vorteil. Andrea rannte über den Korridor. Ihr Ziel war das Treppenhaus, welches zum Haupteingang führte. Hinter ihr schrie der Mann. Sein Partner antwortete von unten. Die Jagd auf Andrea hatte begonnen. So schnell sie konnte lief Andrea die Treppe nach unten. Sie musste vor den Männern im ersten Stock sein. Von Dort konnte sie auf das Dach über dem Haupteingang klettern. Dieser lag an einer vielbefahrenen Straße. Eine nackte Frau würde auffallen. Irgendwer alarmierte sicher die Polizei. Im Notfall konnte sie einfach herunterspringen.

 

Der lang gestreckte Korridor des ersten Stocks lag vor ihr. Andrea schaute sich um. Der zweite Räuber hatte sie entdeckt und sprintete aus Richtung des anderen Treppenhauses auf sie zu. Bis zu dem Fenster würde sie es niemals schaffen. Sie musste in den Keller. Dort konnte sie sich einschließen. Die Fenster waren zwar vergittert. Aber vielleicht hörte jemand auf der Straße ihre Hilferufe. Andrea nahm die nächste Treppe. Ihr Verfolger wechselte die Richtung. Andrea spürte seinen Atem im Genick. Plötzlich schrie der Mann auf. Andrea sah sich um. Ihr Verfolger lag auf der Treppe. Die Pistole war ihm aus der Hand gefallen. Zwischen ihm und Andrea stand mit erhobenen Fäusten ihr Ex-Mann.

 

Plötzlich waren Andreas Beine in der Luft. Sie schrie vor Schreck. „Keine Angst, Schatz.“, sagte eine bekannte Stimme. Alexander hatte sie einfach auf die Arme genommen. Er trug sie in Richtung Haupteingang. Hartmuth mit der Pistole des Räubers in der Hand folgte. Auf der Straße rannte Lena auf sie zu.

 

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Alexanders Jacke war viel zu groß. In ihrer Situation war Andrea das mehr als recht. Ihre Sachen lagen noch in ihrem Büro. Sie saßen im Portal hinter dem Haupteingang. Neben ihr hockte Lena. Auf dem Sessel gegenüber Hartmuth. Die Räuber waren geflohen. Alex wartete vor dem Gebäude auf die Polizei. Es war nur Lenas Aufmerksamkeit zu verdanken, dass Alexander und Hartmuth den Räubern nicht in die Hände fielen. „Am Personaleingang war ein Mann.“, hatte das Mädchen erklärt als die Räuber geflüchtet waren. „Der ist mir schon gestern am Haus und nochmal vor unserer Wohnung aufgefallen. Das kann mir merkwürdig vor. Da haben wir Alex angerufen.“ „Herr Scheffelbaum wollte unbedingt in das Gebäude.“, setzte Hartmuth hinzu. „Ich hielt es für zu gefährlich. Aber er ließ sich nicht davon abbringen.“ „Papa ist dann mit.“, fuhr Lena fort. „Ich hab draußen gewartet. Wenn sie nach zehn Minuten nicht wieder draußen gewesen wären hätte ich die Polizei gerufen.“

 

Andrea zog ihre Tochter an sich. „Warum bist du überhaupt hier?“ Die Frage galt eigentlich ihrem Ex-Mann. Andrea gefiel es überhaupt nicht. Wenn ihr Ex-Mann seine Tochter sehen wollte musste er das gefälligst mit ihr besprechen. Hartmuth hatte den Sinn der Frage verstanden. „Tut mir leid. Es ist meine Schuld. Ich wollte eigentlich zu dir. Lena wollte mir nur deine Nummer geben als dein Anruf kam. Ich dachte es geht um das Haus und Lena wollte unbedingt mit.“

„Was wolltest du von mir?“, bohrte Andrea weiter. „Wegen der Fliesen hätte ich noch angerufen.“

 

„Das kannst du dir sparen.“ Hartmuth sah auf. „Ich muss das Material des Bauunternehmers verwenden.“ „Das glaub ich nicht.“, antwortete Andrea. „Ich habe Alexander heute Morgen von unseren Gespräch auf der Treppe erzählt. Er hat recherchiert. Wie es aussieht betrügt der Unternehmer die Bank. Damit ist er raus.“ Hartmut lachte bitter. „Da hab ich mir wohl selbst ein Bein gestellt.“ Andrea verstand nicht. „Ich denke Alexander und ich können die Immobilien-Abteilung der Bank davon überzeugen den Auftrag direkt an dich zu vergeben.“ „Das nützt mir jetzt auch nichts mehr.“, erwiderte ihr Ex-Mann resigniert.

 

„Was ist los, Hartmuth?“ Die Härte in Andreas Stimme ließ ihre Tochter erschrocken Aufsehen. Ihren Ex-Mann beeindruckte sie wenig. Er zog einen Umschlag aus der Jacke. „Von meiner Bank.“ Andrea brauchte nur einen Blick darauf zu werfen. Sie kannte diese Schreiben aus eigener Erfahrung nur zu gut. „Dein Kredit ist gekündigt?“ Hartmut nickte. „Ich hätte es fast geschafft. Euer Haus ist der letzte Auftrag für diesen Bauunternehmer. Ab nächsten Monat habe ich wieder eine Stelle als Meister mit ordentlicher Bezahlung. Die einzige Chance das Geld schnell aufzutreiben wäre ein Vorschuss auf den Auftrag in eurem Haus.“ Er sah auf. „Was machst du, wenn für jemanden in der Probezeit der Pfändungsbeschluss kommt?“

 

Diese Frage war rein rhetorisch. Andrea schob den Brief zurück in den Umschlag. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. „Ich spreche mit meiner Bank.“ Hartmuth winkte ab. „Die geben mir auch keinen Kredit.“ „Wenn ich dafür bürge schon.“ Andrea musste zweimal ansetzen, um diesen Satz auszusprechen. Ihr Ex-Mann starrte sie ungläubig an. „Du willst für mich bürgen? Warum?“ Die Antwort auf diese Frage war nicht einfach. „Ich könnte sagen. Nachdem was du heute getan hast bin ich dir das schuldig.“ begann Andrea. „Das ist es aber nicht. Wir haben eine gemeinsame Tochter. Allein wegen ihr müssen wir miteinander klarkommen. Es gab Zeiten, da habe ich dich gehasst, Hartmuth. Das ist lange vorbei. Wir sind bestimmt keine Freunde. Aber wenn Lenas Vater Hilfe braucht kann ich ihn nicht im Regen stehen lassen.“

 

E N D E

 

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Cover: Coverbild Canva Free Edition
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2019

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