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Rainbow

Schülerdetektivin
Miyu Holmes


Inhalt

Freakchild Miyu Holmes 1.Kapitel

Die Farben der LivingHearts 2.Kapitel

Freakchildrens 3.Kapitel

Großvater Sherlock Holmes, Das Vermächtnis 4.Kapitel

Die Suche beginnt 5.Kapitel

Miyus Urururgroßvater Sherlock Holmes 6.Kapitel

Zipporas 7.Kapitel

Unerwartende Dinge für Onkel Douai 8.Kapitel

Die weiße Taube 9.Kapitel

Mitternachtstraumfest 10.Kapitel

Silberfederpearl - Kathedrale 11.Kapitel

Good Bye London 12.Kapitel

Miyu's erster Fall 13.Kapitel

Onkel Douai's einmaliger Zornausbruch 14.Kapitel

Amanda 15.Kapitel

Das Herz der Freude 16.Kapitel

Wiedersehen mit Vater 17.Kapitel

Die Zerstörung der Schatulle Zed 18.Kapitel

Der Schuss 19.Kapitel

Nichts verloren 20.Kapitel

Das Geschenk 21.Kapitel

Detektivin des Himmelskönig 22.Kapitel


Freakchild Miyu Holmes

Kennt ihr das, wenn ihr in euch drinnen nichts mehr spürt, kein Licht, kein Lachen, oder Traurigkeit, weder ein Gefühl noch das schlagende Herz, das euch lebendig macht? Dann gehört ihr auch zu den Freakchildren, deren Herzen von den Zipporas gestohlen wurde. Mein Name ist Miyu Holmes und ich bin eines dieser besonderen Kinder, die kein Herz mehr haben. Natürlich haben wir noch ein organisches Herz, aber es schlägt so leise, dass man es nicht mehr hören kann. Nein, ich meine ein anderes Herz, ein LivingHeart. Das entsteht, wenn du deine erste Liebe von deinen Eltern bekommst und die Kraft der weißen Taube in dich fließt. Woher ich das weiß? Weil ich bin eines dieser Freakchildren und eine Schülerdetektivin, die von der weißen Taube berufen ist, die Herzen der bestohlenen Kinder und mein eigenes Herz wieder zu finden. Wie dies geschah und ich zu einer Schülerdetektivin wurde, ist eine lange Geschichte. Doch wenn euer Herz weit offen steht und ihr das Leben in euch spürt, dann begleitet mich auf dieses spannende Abenteuer. Es begann als ich vier Jahre alt war. In einer dunklen Nacht, als mein Vater mir eine Geschichte von der weißen Taube erzählte. Eine weiße Taube, die Kindern das Leben schenkt. Ich liebte diese Geschichten. Jedes Mal, wenn mein Vater mich ins Bett brachte, hörte ich gespannt zu, wie er von der weißen Taube erzählte. Dann konnte ich sehen wie seine dunkelbraunen Augen anfingen zu leuchten. Jedes Mal bekam ich dabei das Gefühl als würde das schulterlange, schwarzgelockte Haar meines Vaters während der Geschichte mitschwingen. Das war auch kein Wunder, denn die Geschichten der weißen Taube waren so lebendig und spürbar wie sonst keine andere Geschichte. Mit seinen großen Händen strich mir mein Vater immer über den Kopf und das Gesicht, während er erzählte. Dabei lächelte er mich immer so an, dass seine Freude, die in seinen Mundwinkeln lag, auf mich übersprang. Doch in dieser Nacht sollte es anders werden. Denn ihr müsst wissen, dass man nur ein LivingHeart stehlen kann, wenn ein Kind zum ersten Mal von ganzem Herzen lacht. Und zwar so sehr, dass es in sich ein warmes leuchtendes Licht spürt und das LivingHeart zum Glühen bringt. Jedes Kind trägt es dann als Herzform an einer goldenen Kette um seinen Hals. So geschah es auch bei mir. Aber das Glühen meines LivingHearts zog die Zipporas an. Ein Schlag traf die Scheibe meines Kinderzimmers. Dunkler, roter Rauch zog durch mein Zimmer. Der Rauch formte sich zu einer riesigen Kralle und umschlang mein LivingHeart. Mit Gewalt entriss mir die Zipporakralle mein LivingHeart. Das war der letzte, innere Schmerz und mit ihm verstummte mein Lachen und alles andere, was ich bisher je gefühlt hatte. Ich starrte meinen Vater Jacob Holmes mit leblosen Augen an und es war nichts mehr in mir, als ich die Tränen meines Vaters auf der Haut meines Gesichtes spürte. Mir war mit vier Jahren noch nicht bewusst, was geschah. Dies bemerkte ich erst später mit 10 Jahren als meine Mutter Emma Holmes an einem unbekannten Virus auf einer Forschungsreise in Afrika starb. An ihrem Grabe bemerkte ich, dass ich keine Träne weinen konnte. Ich spürte nichts. Weder tiefe Traurigkeit, noch Zorn oder Liebe für den Menschen, der von uns gegangen ist. Ich sah meinen Vater an und spürte seinen festen Griff um meine Hand. Ich sah seine Tränen und die der anderen. Aber ich wusste nicht, was das bedeutete. Man hat mir seit dem Tag als mein Herz gestohlen wurde, immer versucht beizubringen, die Gefühle zu denken, statt sie zu fühlen. Doch das war nie echt, sondern immer nur eine Ahnung und Vorschreibung der anderen. Ich wusste nur in meinem Kopf wie wichtig dieser Moment ist, dass es Zeit war zu weinen und zu trauern. Denn ich hatte meine Mama verloren. Ich wollte weinen, ich wollte so sehr weinen! Aber mein Blick wurde nur noch starrer. Ich sah die Menschen um mich und um das Grab meiner Mutter stehen. Ihre Tränen rüttelten mich wach. Ich wollte endlich wissen, was mit mir los ist! Warum kann ich nicht weinen? Wie fühlt es sich an zu weinen, traurig zu sein und Liebe zu spüren? Also beschloss ich von diesem Moment an, meinen Vater zu fragen. Als der Zeitpunkt kam, saß mein Vater gerade im Sessel vor dem Kamin. Wir hatten ein riesiges Anwesen. Ein Haus mit über siebzig Zimmern. Als ich noch kleiner war, war dieses Haus mit seinen Wohnräumen, drei Esszimmern, sowie fünf Wohnzimmern ein riesiger Spielplatz, in dem es mir Spaß machte, herumzustöbern und die vielen Zimmer zu entdecken. Der Lieblingsraum meines Vaters war schon immer das fünfte Wohnzimmer. Es war der älteste Raum in unserem Anwesen. Mein Vater sagte mal, dass dieser über Jahrhunderte alt sei. Selbst König Ludwig und seine Frau Marie Antoinette hatten hier diniert. Dies wurde an unserem Esstisch und Kamin bewiesen, an dem das Wappen der königlichen Familie eingraviert war. Früher war dieser Raum in Frankreich, in Versailles mit im Schloss eingebaut. Aber dann kaufte mein Vater dort dieses majestätische Zimmer und lies es abbauen, um es dann in diesem Anwesen, was heute unser Zuhause ist, wieder auf zu bauen. Hier in diesem königlichen Raum mit den goldenen Verzierungen am Fensterrahmen sowie die Marmorfliesen mit dem blaugeblümten Muster, dass den Boden bestückte oder den Kronleuchter mit seinen funkelnden Kristallen, ruhte sich oft König Ludwig aus. So wie mein Vater, wenn er wieder Zeit zum Nachdenken brauchte. Ich ging langsam auf meinen Vater zu und stellte mich neben die linke samtweiche Sessellehne hin. Er hatte gerade in diesem Moment sein Gesicht in seine Handflächen gelegt. Von der Seite betrachtet sah er so furchtbar traurig aus. Doch da ich nicht mitfühlen konnte, was er fühlte, berührte ich ohne zu zögern sanft seine Schulter. Langsam hob sich der Kopf meines Vaters bis er mich mit seinen tieftraurigen Augen in meine leeren, grünen Augen ansah. Einen Moment war Stille, aber dann teilte ich mit, „Papa, was ist das, was du fühlst? Was sind Tränen?“ Und ich berührte mit meinen Fingerspitzen seine Wange, auf der gerade eine Träne floss. „Miyu, du bist die Frucht meiner Liebe und es wird Zeit, dass du die Wahrheit erfährst“, erwiderte mein Vater und setzte mich auf seinen Schoß. Noch immer sah er mich traurig an und strich mir mit seiner Hand über mein glattes, dunkelbraunes Haar. „Mein kleines Mädchen, es tut mir leid! Der Grund, warum du keine Emotionen spüren kannst, ist, dass dir, als du vier Jahre alt warst, dein LivingHeart von den Zipporas gestohlen wurde. Seitdem sind deine Augen so leer wie kein anderes von den Freakchildrens und ich vermisse seit diesem Tag dein kostbares Lachen“, sprach er. Freakchildren, davon hatte ich schon einmal gehört. Kinder ohne Herzen und mit leeren Augen. Also gehörte ich auch zu diesen Freakchildren. Ich sah meinen Vater weiter an und er erzählte weiter: „Aber ein Herz, das verloren gegangen ist, ist nie ganz verloren. Doch bis jetzt hat sich noch kein Freakchildren auf die Reise begeben, um sein kostbares Gut wieder zu finden. Miyu, versprich mir eines: sei das erste Freakchild, das sich wagt, auf diese Reise zu gehen! Finde die weiße Taube! Sie wird dich leiten auf dem Weg zu deinem LivingHeart! Denn du bist mein kostbares Gut.“ Fest schloss mich mein Vater in seine Arme. Noch verstand ich all diese Worte nicht. Mit der Zeit bemerkte ich, dass mein Vater sich in tiefe Arbeit stürzte. Er forschte und suchte ewig in Büchern und Zeitungen. Riss mal dort einen Artikel aus der Zeitung oder aus einem Buch einen Abschnitt heraus. Stundenlang verbrachte er seine Zeit im Arbeitszimmer und nicht mehr in seinem Lieblingszimmer, das majestätische Wohnzimmer von König Ludwig. Es war Morgen und ich musste zur Schule. Auf dem Weg zur Tür bemerkte ich, dass ich mein Schulessen nicht dabei hatte. Schnell drehte ich mich um und rannte in unsere tolle, riesige, mittelalterliche Küche. Ich rannte zum Küchentisch und nahm mein Schulbrot und packte es ein. Dann drehte ich mich um und sah ausgeschnittene Zeitungsartikel auf unserem Herd liegen. Ich ging darauf zu und nahm zwei Artikel von der Herdplatte herunter. Ich wollte endlich wissen, woran mein Vater so lange arbeitete. Aber ich kam nur dazu, zwei Überschriften zu lesen: "Sherlock Holmes" und "Die Einzigartigkeit der LivingHearts". „Miyu, was machst du? Leg das sofort wieder hin!“, tadelte mich mein Vater sehr laut und mit ernstem Ausdruck. Er nahm mir sofort die beiden Artikel aus meiner Hand und schaute mich sehr ernst an. „Woran arbeitest du? Und warum darf ich es nicht wissen?“, äußerte ich mich ausdruckslos. Mein Vater Jacob antwortete mir mit ärgerlicher Stimme: „Hör auf mir Fragen zu stellen! Das ist unwichtig für ein Kind!“ Plötzlich sah ich einen erschrockenen Blick in seinen Augen, denn so redete er noch nie mit mir. Jacob beugte sich zur mir herunter und sprach wieder mit sanftem Ton: „Ich möchte einfach nicht, dass du ein Blick in meine Arbeit wirfst! Hast du verstanden, Miyu?“ Ich sah ihn an und bemerkte schließlich: „Ja, wenn du nicht willst, dass ich Fragen stelle zu deiner Arbeit, dann werde ich es auch nicht tun.“ Mit einem freundlichen Blick sah er mich an und sagte: „Gut, dann geh jetzt! Du hast Schule!“ Und streichelte mir noch über den Kopf. So ging es eine ziemlich lange Zeit. Drei Jahre vergingen so.



Die Farben der LivingHearts

Die Zeit verstrich und ich wurde älter. Die drei Jahre vergingen und im dritten Jahr wurde ich zwölf Jahre alt. In dem Jahr, in dem auch mein Vater auf unerklärliche Weise verschwand. Im tiefsten Schwarzwald, Deutschland, in den Alpen-Rocky-Mountains, liegt mein Heimatdorf: Lilienburg. Eigentlich kann man es nicht wirklich als ein Dorf bezeichnen. Denn nur unser riesiges Anwesen, die Villa Flame of King, steht hier. Ein Haus, das fast die Größe eines Schlosses hatte wie der Kensington - Palast in London. Unsere Fenster hatten die Umrisse einer Taube. Die Tür bestand aus hellblauem Mondjagtholz. Eine Holzart aus dem weiten Orient der Wüste. Das Mondjagtholz hat eine besondere Eigenschaft. Es leuchtet in der Dunkelheit und zeigt seinen Bewohnern den Weg zurück nach Hause. Die Tür sowie unsere Taubenfenster waren noch verziert mit einem gelblichen, leuchtenden Herzstrom. Sonst erstrahlte unser Haus in einem leuchtenden Weiß. Mein Vater selbst war es, der dieses Haus nach seinen Vorstellungen erbauen ließ. Er kaufte dieses Land, als ich auf die Welt kam, mitten im stürmischen London. Nach meiner Geburt und dem Fertigbau im Schwarzwald beschloss mein Vater Jacob Holmes mit seiner Frau Emma Holmes, meiner Mama, zusammen mit mir, seinem frisch geborenem Töchterchen, nach Deutschland umzuziehen. Es fehlte nur noch ein Name für dieses Land und der entstand auf eine ganz besondere Weise. Als mein Vater noch einmal allein nach Deutschland in den Schwarzwald reiste, um sich den Bau seines zukünftigen Anwesens und Zuhause anzuschauen, entdeckte er auf dem Weg zur Villa Flame of King eine violette Lilie, die gerade in der Frühlingszeit erblühte. Weil unser Anwesen aussah wie eine Burg, gab er diesem Land den Namen Lilienburg. Woher ich all das weiß? Meine Mutter erzählte mir oft Geschichten dieser Art, als ich noch ganz klein war. Der Tag, an dem mein Vater verschwand, war der wärmste Sommertag in diesem Jahr. Es war der 4. Mai 2009. Ich fuhr gerade mit dem Schulbus von dem Chastity - Claire Gymnasium nach Hause. Eine christliche Schule mit Internatsanschluss. Mein Vater wollte schon immer, dass ich eine gute Schulbildung genieße. Deshalb schickte er mich auf dieses Internat. Es war sehr für seine gute Atmosphäre berühmt und dafür bekannt, dass es die herzlosen Freakchildren bei sich aufnahm. Ich stieg aus dem Bus. Normalweise stand mein Vater schon vor der Türe, um mich zu begrüßen. Aber diesmal war es nicht so. Ich ging zu unserem Haus. Als ich dabei war, die Villa Flame of King zu betreten, bemerkte ich, dass die Tür offen stand. Drinnen im Haus hatte jemand alles durchwühlt. Jedes andere Kind, dass ein Herz hatte, wäre jetzt sicherlich erschrocken. Doch ein Freakchild kennt so etwas nicht. Das einzige, was uns bleibt, ist unser Gewissen. Ich schloss die Tür aus Mondjagtholz und rief mit lauter Stimme: „Vater, wo bist du?“ Doch es kam keine Antwort. Plötzlich kommt Direktor Andrew Douai aus unserer Küche auf mich zu. Ein großer Mann mit lockigem, kurzem, blondem Haar und blau, grünen Augen. Er war dafür bekannt, dass er gerne kreative Shirts trug mit gelbgestreiften Edelhosen. Zusätzlich trug er eine Brille, die die Farben der Tigerente hatte. So wie jetzt mit seinem quirligen Lächeln und zerzausten Schnauzer. Doch etwas Trauriges lag in seinen Augen. „Miyu, die Polizei hat mich angerufen. Es tut mir leid! Aber dein Vater ist nicht mehr hier. Er gilt jetzt als vermisst und man hat beschlossen, dich erstmal in unsere Obhut zu geben. Zumindest bis dein Vater wieder auftaucht. Deswegen bin ich hier, um dir zu sagen, dass die Schule erstmal die Vormundschaft für dich übernimmt. Du hat bestimmt Hunger. Zieh erstmal deine Sachen aus und komm in die Küche! Ich habe uns Pfannkuchen gemacht“, offenbarte er. Der Direktor ging wieder in die Küche. Also zog ich erstmal meine Sachen aus. Nachdem ich das getan hatte, betrat ich den Holzdielenboden unserer Küche. Ich ging an unserer Silberspüle sowie unserem Küchenherd aus dem 18.Jahrhundert vorbei und setzte mich an unseren silbergrauen Staubkerntisch. Direkt gegenüber von meinem Direktor Andrew Douai. Er trug ein T- Shirt mit einer mittelgroßen, selbst aufgenähten Stofftigerkatze auf seiner Schulter. Sein Shirt sah aus wie der reinste Frühling. Alles mögliche Gras und Blumensorten von Margeriten bis zur Butterblume wuchsen auf seinem Shirt. Ich sah ihn an und fragte: „Was ist hier passiert? Warum ist hier alles durchwühlt und wieso gilt mein Vater als vermisst?“ Er lächelte mich an und erwiderte fragend: „Das sind drei Fragen auf ein Mal. Willst du nicht erstmal was essen?“ Doch ich bemerkte mit bestimmtem Ton: „Antworten Sie mir!“ „Nun gut, ich weiß nicht viel und eigentlich wollte ich dich nicht belasten. Es waren die Zipporas, sie sind hier eingebrochen, auf der Suche nach deinem Vater. Aber er musste es vorher schon gewusst haben. Denn man fand einen Brief in dem stand, dass er verreist sei und für eine gewisse Zeit untertauchen müsse. Zum Schluss stand noch drin, dass die Schule und ihr Onkel sich doch um seine Tochter Miyu kümmern sollen. Ich glaube, dass es deinem Vater gut geht. Denn er hat doch den Schutz der weißen Taube auf sich“, sagte er mit ruhiger Stimme. Die weiße Taube, ich kannte die Geschichten von meinem Vater noch von früher. Aber was der Direktor mit Schutz meinte, wusste ich nicht. „Aber ganz sicher sind sie nicht?“, gab ich zurück. „Nein!“, antwortete der Direktor. „Okay und wie soll es jetzt weiter gehen? Komme ich jetzt in so was wie ein Heim für Kinder?“ fragte ich. „Nein, aber deswegen bin ich hier. Wir sollten ein paar Regelungen treffen. Du wirst natürlich weiter in unsere Schule gehen. Unter der Woche bist du sowie so im unserem Internat. Dein Vater hat alles gut für dich geregelt, so dass keine finanziellen Probleme auftauchen können. An den Wochenenden und Ferien darfst du natürlich weiterhin nach Hause fahren. Die Polizei ist sich ziemlich sicher, dass dir hier keine Gefahr droht. Und doch wird ab und zu jemand von der Schule nach dir sehen oder auch für eine Weile hier sein. Wie es eben möglich ist. Dann wäre da noch etwas, dass soll ich dir geben“, berichtete er und übergab mir eine Kreditkarte. „Was soll ich denn mit einer Kreditkarte?“, fragte ich mit zweifelnden Gedanken. „Dein Vater war der Ansicht, dass du das vermutlich gebrauchen könntest. Es ist ein Konto mit angelegtem Geld, über das du frei verfügen kannst. Es gibt noch ein zweites, dass wir, also die Schule und ich, verwalten, um dich mit den lebensnotwendigen Dingen zu versorgen.“, erklärte er mir. „Aber ich bin erst zwölf Jahre alt. Normalerweise hat ein Kind meines Alters so etwas noch nicht“, gab ich zu bedenken. „Das stimmt, aber dein Vater war der Meinung, dass du klug und bedacht damit umgehen wirst. Noch mehr Fragen oder wirst du jetzt etwas essen?“ schilderte Herr Douai. Ich nahm einen großen Bissen von den Pfannkuchen auf meinem Teller mit Sirup und antwortete: „Nein! Das schmeckt wirklich lecker!“ Zufrieden lächelte mich Direktor Douai an. Nach dem Essen versicherte Direktor Douai, „Die Polizei hat hier die Untersuchung beendet, aber nichts gefunden und daher denke ich, wir sollten hier wieder Ordnung schaffen! Denn dafür fühlt sich die Polizei nicht zuständig.“ Ich nickte nur darauf wortlos. Also begannen wir, die Unordnung im Haus wieder aufzuräumen, was die Zipporas verursacht haben. Ihr wundert euch bestimmt, warum ein Direktor so um eine Schülerin bemüht ist. Dafür gibt es einen Grund, denn eigentlich ist Direktor Andrew Douai mein Onkel. Der Bruder meines Vaters. Aber mein Onkel Andrew, so nenne ich ihn normalerweise, wenn wir nicht in der Schule sind, möchte nicht, dass irgendjemand in der Schule weiß, dass ich seine Nichte bin. Damit jeder gleich ist und niemand denkt, ich bin eine bevorzugte Person. Ich sah meinem Onkel beim Aufräumen in der Küche zu. Er war gerade beim Abwasch. „Soll ich dich jetzt eigentlich weiterhin Direktor nennen und dich mit Sie ansprechen?“, informierte ich mich. „Nein! Solange wir hier sind und allein sind, kannst du wieder Onkel Andrew sagen und du. Du solltest es nur nicht tun, wenn jemand dabei ist. Du könntest ja schon mal auf den Dachboden gehen und da aufräumen!“ äußerte er sich mit einem Lächeln und schaute mich an. Also stand ich vom Tisch auf und sagte, „Okay, Onkel Andrew!“ Und machte mich auf den Weg zum Dachboden. Ihr müsst wissen, unser Haus hatte zwei Etagen mit langen Fluren. Ich war gerade in der ersten Etage angekommen und musste nun den langen Flur überqueren bis zur nächsten Treppe. Ich lief an Ludwigs Wohnzimmer vorbei sowie einigen Gästezimmern, Vaters Arbeitszimmer und den drei Esszimmern. Die vier Bäder waren unten, wo die Küche war. Als ich den langen Flur durchquert hatte, ging ich endlich die nächste Treppe rauf, um dann in der zweiten Etage anzukommen. Nun musste ich nur noch an Vaters Schlafzimmer, den restlichen Wohnzimmern und noch einigen Gästezimmern vorbei, um zum Dachboden zu gelangen. Der lag zwischen der riesigen Bibliothek, nachgebaut nach der Nationalbibliothek Prunksaal aus Österreich und meinem Zimmer. Nach dem ich endlich bei der Bibliothek und meinem Zimmer angekommen war, musste ich erst noch eine schmale kleine Treppe hochgehen, um zum Dachboden zu gelangen. Ich stieg die Treppe hinauf zum Dachboden und öffnete die Luke. Hier war es mit der Zeit staubig geworden. Ich schloss die Luke wieder hinter mir. Es sah nicht so aus, als wäre hier jemand in letzter Zeit gewesen. Aber trotzdem schaltete ich meine Taschenlampe an, die ich mir aus der Küche mitnahm. Ich sah mich um und ging weiter durch den Dachboden. Ich sah mich in jeder Ecke um. Aber außer altem Krimskrams, Kleidung und staubigen Möbel stand hier nichts rum. Plötzlich entdeckte ich hier in der rechten Ecke eine Truhe, die nicht von Staub befallen war. Irgendjemand musste erst vor kurzem die Truhe hier hoch gebracht haben. Ob es mein Vater war, wusste ich nicht. Ich näherte mich der Truhe und sah sie mir genauer an. Sie sah trotzdem von nahem sehr alt aus. Die Truhe war in komplett altem Leder gepackt und hatte einen Verschluss, wie man es eigentlich nur bei Gürteln sah. Ich öffnete die Truhe und guckte mir den Inhalt genauer an. Was ich entdeckte war unglaublich. Es waren die ausgerissenen Zeitungsartikel und Ausschnitte aus Büchern, mit denen sich mein Vater beschäftigte. Ich fischte einen Artikel aus der Truhe heraus, auf dem stand "Die Einzigartigkeit der LivingHearts". Diesen Artikel kannte ich doch, es war der Artikel, den mein Vater nicht wollte, dass ich ihn lese, aber jetzt in der Hand hielt. Ich begann zu lesen: "Die Einzigartigkeit der LivingHearts. Die Polizei tappt immer noch in Hinsicht der Verbrecherbande Zipporas im Dunkeln. Diese machen Jagd auf die Herzen der Kinder, den so genannten "LivingHearts". Das sind bedeutende Herzsteine, die das Kind fähig macht, etwas zu fühlen. Jedes LivingHeart hat seine eigene Farbe, die für eine besondere Fähigkeit der weißen Taube steht: Gelb für Sanftmut, Rot für Mut, Blau für Freundlichkeit, Orange für Entschlossenheit und Geduld, Grün für Freude, Indigo für Weisheit und Güte, Violett für Treue oder auch Liebe und dann gibt es noch ein ganz seltenes LivingHeart, das aus allen sieben Farben besteht und die Farbe weiß hat und für Reinheit sowie Unschuld steht. Frieden und Selbstbeherrschung steckt im jedem Herz und auch die anderen Fähigkeiten der weißen Taube. Doch welche bestimmte Farbe das Kind besitzt von den LivingHearts, lebt dessen Fähigkeit intensiver aus. Aber wenn ein Kind sein Herz verliert, kann es weder seine besondere Eigenschaft ausleben, noch sonst ein Gefühl spüren. Es wird leblos und damit zu einem Freakchild. Wird ein Kind erwachsen und hat noch sein LivingHeart, verschmelzt es mit seinem Körper und verliert dadurch die Möglichkeit, dass es ihm geraubt werden kann.




Freakchildrens

Als ich diesen Artikel zu Ende gelesen hatte, begriff ich noch nicht, was all dies zu bedeuten hatte. Ich fragte mich, warum sich mein Vater so sehr mit den LivingHearts beschäftigte. „War es etwa deswegen, weil mir mein eigenes Livingheart gestohlen wurde?“ Ich konnte mich sogar nicht mehr an die Farbe meines LivingHearts erinnern. Schließlich war ich damals auch erst vier. Ich legte den Artikel zurück und zog diesmal einen herausgeschnittenen Abschnitt von einem Buch heraus. Seine Überschrift lautete:
"Die Veränderung eines Kindes, wenn es zum Freakchild wird".
Meine lange Forschung mit Freakchildren hat mich
zu einem eintönigen Ergebnis gebracht. Bei meiner
Arbeit mit Freakchildren ist mir aufgefallen, dass Kinder,
die ihr Herz verlieren, als Erstes ihre Unterschiedlichkeit
verlieren. Sie werden zu eintönigen Wesen. Was macht
ein Freakchild aus? Nun, zu diesem Thema habe ich sehr
viel zu sagen. Bei meiner Beobachtung ist mir nicht nur als
Erstes ihre Eintönigkeit aufgefallen, sondern auch ihre
leeren Augen, als wäre ihnen jegliche Lebendigkeit
ausgesaugt worden. Hinzukommt, dass sie die Fähigkeit verlieren, etwas zu fühlen und besonders schlimm ist der Verlust ihrer besonderen Gabe. Dann bemerkte ich, dass Freakchildren extrem wissbegierig werden. Wissbegierigkeit ist natürlich etwas Gutes. Aber wenn Wissen nur in Unmengen - ohne Gefühle - in sich eingesaugt wird, werden sie nur dadurch zu Robotern, ohne jegliches Gefühl. Aber Freakchildren brauchen Wissen, als Ersatz für ihre verlorenen Gefühle und zur geistigen, seelischen, körperlichen Lebenserhaltung bis sie ihr LivingHeart wieder haben. Dies ist einfach zu erklären, es fehlt der Ausgleich zwischen Herz und Verstand. Normalweise gleichen sich Herz und Verstand aus. Aber wenn ich nur einen Verstand habe, aber kein Herz habe, brauche ich die doppelte Menge an Wissen, um den Ausgleich in mir zu schaffen. Dies bewies sogar der große Napoleon selbst, als er Babys in unterschiedliche Räume aufteilte. Die Schwester durfte die ersten Babys nur wickeln, waschen und füttern, ohne zu sprechen. Napoleon erlaubte bei den zweiten Babys zu sprechen und ihnen alle mögliche Zuwendung an Liebe zu geben. Nun, was geschah? Ganz einfach: die ersten Babys starben, weil kein Mensch ohne Liebe oder Gefühle leben kann. Sie sichern das Überleben. Es sei denn, man findet einen Ersatz wie das Unmengen von Wissen in sich hineinzustopfen. (Bericht von Professor Dr. Magnus Schmidt)




UrGroßvater Sherlock Holmes
Das Vermächtnis

Ich legte den Abschnitt von Magnus Schmidt zurück in die Truhe und dachte einen Moment nach. Eine merkwürdige Auffassung der Freakchildren. Aber es entsprach dem, was mit uns geschah. Das Wissen und die Neugier nach mehr, ist die einzige Möglichkeit den Ausgleich in uns zu schaffen. Ich verstehe nicht, warum mein Vater all diese Dinge sammelte. Ich beugte mich über die Truhe, um sie nach weiteren Hinweisen zu untersuchen. Ich fand Sachen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Einen Jagdhut sowie einen langen, grauen Regenmantel, eine Lupe und eine Tabakpfeife. Ich war verwirrt, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mein Vater je geraucht hatte. Im Gegenteil, er verabscheute es zutiefst. Plötzlich fand ich unter dem riesigen Haufen von Notizbüchern und Ausrüstungen eines Detektivs einen dicken Briefumschlag, auf dem stand "An meine Tochter Miyu Holmes". Ich riss den Umschlag auf und fand darin einen Brief meines Vaters:

Meine liebe Miyu,
Ich hoffe, du wirst diesen Brief finden und seine kostbare Truhe. Aber wie ich weiß, wirst du ihn sicherlich durch deine Wissbegierigkeit finden. Es wird Zeit, dass ich dir jetzt einige Wahrheiten erzähle, die du brauchen könntest, um dein LivingHeart zurückzubekommen. Du wirst dich sicherlich nicht mehr an die Farbe deines LivingHearts erinnern. Denn du warst damals noch sehr klein. Nun, du trugst eines der seltensten LivingHearts, die es je gibt. Das weiße LivingHeart, dessen Bedeutung dir inzwischen bestimmt schon klar ist. Dein weißes LivingHeart steht für Reinheit und Unschuld und das warst du wirklich, bis zu jenem Moment, wo deine Augen leer wurden. Du fragst dich sicherlich, warum ich all diese Dinge für dich in einer Truhe aufbewahre. Ich hoffte, dass du dich eines Tages auf die Reise begeben würdest, um dein eignes Herz wieder zu erlangen. Deshalb hinterließ ich dir die Truhe mit seinen wertvollen Schätzen. Sicherlich wirst du schon einiges entdeckt haben. Miyu, ich weiß, dass es viel von einem Kind verlangt ist, aber ich weiß auch, dass du das kannst. In der Truhe liegen Listen mit allen Kindern, denen ihr Herz gestohlen wurde und die ihr Herz noch haben. Ich möchte, dass du diesen Kindern hilfst ihr Herz wieder zu finden. Denn ich glaube, du hast die Gabe deines Urururgroßvaters geerbt. Er war der berühmte Detektiv Sherlock Holmes. Er war bekannt für seine detailgenaue Beobachtung und nüchternde Schlussfolgerung. Ich habe nichts unversucht gelassen, um dein Herz wieder zu bekommen, meine liebe Miyu. Dabei stellte ich auch Nachforschungen an über deinen Urururgroßvater. Ich wollte seine Denkweise einsetzen, um dein LivingHeart wieder zu erlangen. Dies gelang mir aber leider nicht. Doch ich entdeckte einige interessante Dinge über deinen Urururgroßvater. Als Erstes erfuhr ich, dass dein Urururgroßvater 1905 auf mysteriöse Weise verschwand und nicht zu Tode kam. Also forschte ich weiter nach und fand eine geheime Akte, die mit in der Truhe liegt. In dieser Akte ging es darum, einen Menschen durch ein LivingHeart und durch Einfrierung seines menschlichen Körpers, samt Seele, Geist und Herz, über Jahrhunderte hinweg am Leben zu erhalten. Selbstverfasst und geschrieben von deinem Urururgroßvater Sherlock Holmes. Jetzt begann ich erst recht unwiderdringlich zu forschen. Dazu ging ich in die Baker Street 221, wo dein Urururgroßvater Sherlock Holmes gelebt hatte. Dort ist heute ein Museum des berühmten Sherlock Holmes. Ich sah mir alles genau an und fand im Untergeschoss einen unentdeckten Keller, in dem ein riesiger, merkwürdiger Apparat stand. Ein rechteckiges Metallgehäuse, das senkrecht an der Wand stand. Es hatte vier lange, rechteckige Glasscheiben eingebaut. Beim näheren betrachten bemerkte ich eine dünne Eisschicht auf dem Glas. Ich spürte eine gewisse Kälte und nahm ein Tuch und wischte über das Glas. Dabei machte ich eine interessante Entdeckung. Ich bekam einen Mann zu sehen mit grauen Augen, ein markantes, eckiges Gesicht sowie einer spitzen Habichtnase, mit schwarz bis dunkelbraunen und leicht grauen Haaren, im rot-goldenden Morgenrock zu sehen. Ich erschrak, denn beim näheren betrachten stellte ich fest, dass es dein Urururgroßvater Sherlock Holmes war, der sich anscheinend selbst eingefroren hatte. Ich sah mir den Apparat genauer an und entdeckte am Fußende im Metallgehäuse ein oranges LivingHeart, das anscheinend deinem Urururgroßvater gehörte. Doch wie war es möglich, dass ein erwachsener Mann es geschafft hatte, sein LivingHeart aus seinem Körper zu entfernen? Ich wusste keine Antwort darauf. Sofort kaufte ich das ganze Museum auf und ließ es schließen. Gleich darauf sorgte ich dafür, dass dieser Apparat mit deinem Urururgroßvater in unserem Haus versteckt wurde. Auch sorgte ich dafür, dass sämtlicher Besitz des Bakermuseums im unserem Haus, der Villa Flame of King, versteckt wurde. Leider blieb mir nicht mehr die Zeit, um dir das Versteck zu verraten, denn die Organisation Zipporas war schon dicht hinter mir. Das Einzige, was ich noch für dich tun konnte ist, diese Truhe mit einigem Inhalt des Museums Baker Street sicher im Dachboden zu verwahren. Es sind Aufzeichnungen von Fällen deines Urururgroßvaters und einige seiner Bücher, die dir sicher helfen, seine Denkweise zu verstehen und zu lernen, eine Detektivin zu werden. Ich habe großes Vertrauen in dich, Miyu. Noch eine Sache: bei allem, was du tust, sei vorsichtig, denn ich habe die Gefahr der Zipporas unterschätzt und musste dafür untertauchen, damit sie keine Information über deinen Urururgroßvater finden und über die Trennung eines Livingheart von einem Erwachsenen. Sicherlich haben sie schon unser Haus durchsucht, aber nichts gefunden. Wie sollten sie, denn nur ein Kind kann dieses Versteck finden und das bist du. Ich bitte dich noch um eines. Du warst sicherlich verwirrt, als du erfuhrst, dass ich verschwunden bin. Bitte verzeih, dass du dies ertragen musst. Aber vergiss trotz alledem nicht, dass ich dich liebe und pass gut auf dich auf.


In Liebe, dein Vater Jacob Holmes




Die Suche beginnt

Ich hielt inne und war völlig gedankenleer. Ebenso war ich überrascht, eine Nachricht von meinem Vater zu erhalten. Ich dachte, Sherlock Holmes ist mein Urururgroßvater und er ist hier irgendwo im Haus. Was sollte ich jetzt tun? Ich wusste es nicht. Aber ich beschloss erst einmal meinem Onkel nichts zu sagen und nur noch auf dem Dachboden heraufzukommen, wenn niemand hier ist. Es verlief erst einmal alles normal. Ich ging ganz normal zur Schule und blieb unter der Woche im Internat. An den Wochenenden fuhr ich nach Hause. Aber es war mir nicht möglich auf den Dachboden zu gehen. Denn immer war jemand von den Lehrern oder sogar mein Onkel höchstpersönlich anwesend. Ich lies mich aber nicht von Vaters Gedanken abbringen, eine Detektivin zu werden. Ich dachte viel an die Truhe und behielt sie erst einmal im Hinterkopf. So beschäftige ich mich aus anderen Quellen, wie ich eine Detektivin werden konnte. Ich stöberte zu Hause und in der Bibliothek unserer Schule zum Thema „Detektive“ und durchforschte das Internet im Internetsaal. Vieles brachte mich ein Stück weiter. Ich lernte haargenau alles zu beobachten und zu merken. Schnell lernte ich auch die Tricks der Detektive. Wie zum Beispiel Düfte und Gerüchte noch stärker als sonst wahrzunehmen oder jemanden observieren, ohne, dass er es merkt. Bis endlich mehrere Wochen vergingen und unser diesjähriges Mitternachtstraumfest stattfinden sollte, sodass weder ein Lehrer noch mein Onkel selbst am Wochenende nach mir sehen konnte und ich somit alleine sein würde. Unser diesjähriges Mitternachtstraumfest war immer wieder etwas Besonderes. Es war ein Fest, organisiert von Schülern und Lehrern, das genau um Punkt zwölf Uhr in der Nacht losging. Das Besondere am diesem Fest war, dass wir zuerst unsere Wünsche und Träume auf Zetteln schrieben, um sie dann mit einer Feuerwerksrakete in die Luft zu schießen. Danach begann der Tanzball mit einem ausgiebigen Büffet und Fruchtbowle. Das Wochenende kam und ich fuhr mit dem Bus zur Villa Flame of King. Endlich hielt der Bus und ich stieg aus. Ich betrat die Villa und ging als Erstes in mein Zimmer. Es war ein schlichtes, einfaches Mädchenzimmer. Das Einzige, was vielleicht prachtvoll ist, ist mein weißes Himmelbett mit vergoldeten Vorhängen. Sonst habe ich einen einfachen, blumenbestückten Schreibtisch, ein gelben Schreibtischstuhl und Bücherregale. Eine Ecke mit lauter Puppen, die mir mein Vater über die Jahre geschenkt hatte und eine Kuschelecke mit unterschiedlichsten Kissen, die zerstreut auf einer riesigen Matratze im quadratischem Hochbett aus Eichenholz, im frischen Hellgrün, auf der mir früher mein Vater am liebsten Geschichten erzählte. Ich legte meine Schulsachen auf meinem Himmelbett ab. Anschließend beschloss ich endlich auf den Dachboden zu gehen. Oben angekommen, setzte ich mich vor die Truhe und öffnete sie. Ich studierte alles, was in der Truhe war. Als Erstes begann ich mit den Unterlagen meines Urururgroßvaters. Es las sich ganz interessant von den Kriminalfällen, die mein Urururgroßvater Sherlock Holmes erlebt hatte. Da waren zum Beispiel der Hund von Baskerville oder das Verschwinden der Lady Frances Carfax. Aber am Interessantesten fand ich den Fall des Katechismus der Familie Musgrave. Das Auftauchen einer alten Krone der Könige aus England, was ursprünglich hinter einer Wand im Keller verborgen war und in dem anschließend der Butler Brunton tot aufgefunden wurde. Ob mein Vater diesen Fall gelesen hat? Er hat mal gesagt, dass das Einzige, wovor sich die Zipporas fürchten, die Dunkelheit sei. Also hatten sie nicht den Keller und den Dachboden durchsucht. Aber ich glaube nicht, dass man Sherlock Holmes auf dem Dachboden verstecken kann. Bleibt nur noch der Keller, überlegte ich mir. Ich verließ den Dachboden wieder und machte mich auf den Weg in den Keller. Der Keller lag unter dem Haus. Da fällt mir ein, dass der Eingang zum Keller auch eine Truhe ist, die an der Wand der Küche mit eingebaut ist, erkannte ich. Die Truhe ist natürlich viel größer als die Truhe auf dem Dachboden. Mein Vater fand die Idee witzig. Aber vielleicht hatte es auch einen anderen Hintergrund. In der Küche angekommen, öffnete ich die riesige Truhe. Eine Treppe führte zum Keller. Ich stieg in die Truhe, schloss den Deckel und lief die Treppe zum Keller mit meiner Taschenlampe runter. Unten angekommen, kippte ich den Schalter an der rechten Wand um, um das Licht im Keller anzumachen. Ich schaute mich um. Es stand nur altes Gerümpel rum. Ein Regal mit Marmeladengläsern, eine Kiste mit altem Spielzeug, Reifen, Holzbretter und Werkzeug. Eben wie ein Keller aussieht. Ich setzte mich erstmal auf die untere Stufe der Kellertreppe und überlegte, „Wie könnte mein Vater vorgegangen sein? Ich habe doch letztens im Internet gelesen, dass man einen Raum hinter der Wand erkennt, in dem man die Wand abklopft. Klingt es hohl, dann bedeutet es, dass da hinter ein Hohlraum liegt.“ Ich beschloss es auszuprobieren und klopfte Zentimeter für Zentimeter die Wand ab. Plötzlich hörte ich ein hohles Geräusch. Als Nächstes entdeckte ich einen langen Riss von etwa 4 m. Ich ging von der Wand zurück. Es hatte den Umriss eines Eingangs. Ich überlegte und entdeckte einen kleinen Teddybären in der Wand. Ich stellte mich wieder vor die Wand und nahm den kleinen Bären heraus. Auf einmal öffnete sich ein quadratisches Loch. Eine Öffnung, in der nur ein Kind hineinpasst. Ich stieg in das Loch und rutschte durch das schmale Loch hindurch in den Raum, der hinter der Wand lag. Dabei fiel ich auf den Boden, denn der kleine Eingang hatte vom Boden einen Abstand von 1 m. Ich sagte im leisen Ton, „Aua!“ Als ich mich wieder aufrichtete und meinen Kopf rieb, sah ich hinauf zum Gang, den ich gerade heruntergerutscht war. „Es wird schwierig sein wieder rauf zu kommen“, bemerkte ich. Ich drehte mich um und sah den Apparat, in dem mein Urururgroßvater Sherlock Holmes lag.





Miyus Urururgroßvater Sherlock Holmes

Ich ging auf den Apparat zu und berührte die Scheibe dieses merkwürdigen Dings. Es war eiskalt, wie mein Vater es gesagt hatte. Ich sah mir diesen Apparat genauer an. Kniend betrachtete ich das orange LivingHeart, was für Entschlossenheit und Geduld stand. Ich nahm das LivingHeart aus dem unteren Metallgehäuse und hielt es in meiner Hand. Auf einmal öffneten sich die vorderen Glasscheiben seitwärts wie bei einem Fahrstuhl, sodass Sherlock Holmes nach vorn auf den Boden kippte. Ich berührte noch einmal die Glasscheibe. Es fühlte sich warm an und die Eiseskälte schien sich in sekundenschnelle aufgelöst zu haben. Ich setzte mich vor Urururgroßvater Sherlock Holmes nieder und drehte ihn um. Es sah so aus, als wäre kein Leben in ihm. Plötzlich erstrahlte das LivingHeart und verschwand aus meiner Hand. Es schwebte über meinen Urururgroßvater und setzte sich langsam in seinem Körper wieder ab. Es wurde wieder eins mit ihm. Langsam öffneten sich die Augen von Sherlock Holmes. Ruckartig richtete sich mein Urururgroßvater auf und schaute sich um. Dann erblickte er mich und zog mich an meiner Kragenjacke hoch, sodass ich mit beiden Füßen wieder auf dem Boden stand. Mit ernster Miene sprach mein Urururgroßvater Holmes: „Hast du das LivingHeart entfernt und wer um Himmels willen bist du?“ Ich löste seinen festen Handgriff von meiner Jacke und mit einem Karategriff sorgte ich schnell dafür, dass er wieder rückwärts auf dem Boden lag. Von oben herab berichtete ich: „Ja, ich habe deinen Herzstein entfernt, sonst wärst du weiterhin ein Eisklotz, Großvater!“ Ihr müsst nämlich wissen, dass ich ausgezeichnet die Kampfkunst beherrsche, denn mein Vater hatte immer darauf bestanden, dass ich mich im Notfall selbst verteidigen kann. Also schickte er mich von klein auf an zum Meister Senju, ein alter Freund meines Vaters, der ein Kampfexperte war. Erstaunt sah mich mein Urururgroßvater Sherlock Holmes an. Mit einem Sprung vom Boden stand er wieder auf seinen Füßen und bemerkte: „Meine Güte! Woher hast du das nur gelernt, Mädchen? Wie ist dein Name und warum nennst du mich Großvater? Welches Jahr haben wir übrigens?“ Ich stellte fest, dass mein Urururgroßvater genauso hintereinander Fragen stellen konnte wie ich. Ich antwortete ihm: „ Das du nicht selbst drauf kommst, wundert mich aber. Vielleicht ist deine scharfe Beobachtungsgabe sowie deine nüchterne Schlussfolgerung einfach nur eingerostet nach all den Jahren.“ „Ganz schön frech,“ bemerkte Holmes. „Du bist doch nicht mal älter als zwölf Jahre und schon so schlagfertig. Also so antworte mir dennoch!“ Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern, „Na gut! Ich bin Miyu Holmes und ich bin deine Urururenkelin und wir haben das Jahr 2009.“ Erschrocken klatschte er sich die Hand an die Stirn und sagte: „Hundertvierzehn Jahre war ich im diesem Eiskasten! Dann müsste ja mein Freund Doktor Watson nicht mehr am Leben sein!“ Ich erkannte eine gewisse Traurigkeit in seinen Augen und erläuterte: „Wahrscheinlich lebt Watson tatsächlich nicht mehr. Es sei denn, er wäre auch in so ein Eisding wie du es gewesen bist. Denn heute wärst du jedenfalls Hundertfünfundfünfzig Jahre alt. Aber nach deinem Aussehen scheinst du bei Fünfzig stehen geblieben zu sein.“ Er sah mich an und erwiderte nüchtern: „Wahrscheinlich!“ Dann drehte sich mein Urururgroßvater wieder von mir weg und sah sich um. Aber mit einem Ruck drehte er sich plötzlich um und kam auf mich zu. Er ging in die Knie, um mir genau in die Augen sehen zu können. „Meine Enkelin? Ich kann mich nicht daran erinnern jemals ein Kind gehabt zu haben. Lügst du mich auch nicht an, junges Fräulein?“ ermittelte er sehr ernst. „Weißt du es nicht mehr? Du warst wohl sehr jung als du einen Nachkommen in die Welt setztes. Aber sie verließ dich mit deinem Sohn Jack Holmes. Es war Mary Isabel Bailey. Ich glaube, du warst Zwanzig" erwiderte ich ausdruckslos. Holmes stand wieder auf und hob mit seiner warmen Hand mein Kinn und merkte an: „Mary Isabel Bailey, meine einzige Liebe und enttäuschende Liebe. Von diesem einen enttäuschten Moment bin ich zu einem Denker geworden, in dem keine Liebe mehr Platz hatte. Trotzdem soll so etwas Wunderschönes daraus entstanden sein? Deine Augen, sie hatte genau solche grünen Augen, nur voller Glanz und Lebendigkeit. Was ist mit deinen Augen passiert? Du wirkst, als hättest du keine Ausdrucksmiene!“ „Mein LivingHeart. Ich habe es nicht mehr. Es wurde mir gestohlen als ich ganz klein war“, erklärte ich ihm. Plötzlich sah ich ein Funken in seinen Augen und er schilderte: „Ohne ein LivingHeart sind keine Gefühle möglich. Dieser Fall interessiert mich. Wer stiehlt einem kleinen Mädchen sein LivingHeart? So antworte mir, Kind!“ Ich sah in seine grauen Augen und er hielt immer noch mein Kinn als ich andeutete: „Es waren die Zipporas. Eine Bande, die Kindern ihr LivingHeart stiehlt. Mein Herz hat die Farbe weiß. Das weiß ich von meinem Vater.“ Mein Urururgroßvater lächelte mich auf einmal an und erwähnte: „So, so, du bist also nicht nur hübsch und klug, sondern du besitzt ursprünglich auch das allerseltenste Herz von den LivingHearts. Ein weißes Herz für Reinheit und Unschuld. Kaum erwacht und schon bin ich wieder in einem neuen interessanten Fall verwickelt. Wo sind meine Aufzeichnungen?“ Holmes war gerade dabei zum Loch zu gehen, in das ich hier hereingekommen war. Aber ich packte mit beiden Händen sein Handgelenk und hielt ihn davon ab. Ruckartig drehte er sich wieder um und sah mich scharf an. „Erstens müssen wir einen Weg finden hier wieder herauszukommen, denn ich glaube nicht, dass du durch dieses winzige Loch dahinten passt. Außerdem kannst du nicht einfach wieder in die Welt spazieren und einen neuen Fall lösen. Das hier ist schließlich nicht mehr deine Zeit. Du warst verschwunden und man hielt dich, den berühmten Detektiv Sherlock Holmes, für tot und man tut es auch immer noch. Außerdem hat sich die Welt in hundertvierzehn Jahren verändert“, offenbarte ich bestimmt. Einen Moment hielten wir inne und schwiegen. Aber dann meinte mein Großvater: „Was, man hält mich für tot?! Dafür kann nur mein Freund Watson verantwortlich sein, als ich ausversehen in diesen Kasten eingefroren wurde. Er muss auch mein LivingHeart in diese Maschine eingebaut haben, damit ich auch über die Jahre überlebe. Dann ließ er mich für tot erklären und versteckte mich, bis ich zum richtigen Moment wieder aufwachen würde und das durch meine Urenkelin, die jetzt vor mir steht. Und was soll sich nach deiner Meinung geändert haben?“ Ich war sprachlos, so war es also gewesen. Ich riss mich zusammen und antwortete darauf: „Na ja, zum Beispiel gibt es keine Pferdekutschen mehr. Wir haben jetzt Autos und
Busse.“ Ich holte tief Luft. „Außerdem sind wir nicht mehr in London, sondern in Deutschland. Im Schwarzwald, Lilienburg.“ Mein Urururgroßvater Holmes sah mich skeptisch an und sagte: „Was sagst du da? Wir sind dort, wo Bach seine Musik geschrieben hat?“ Ich ließ seine Hand los und erwiderte: „Ja! Mein Vater hat alles, was sich in der Baker Street aufhielt, dich mit eingeschlossen, in dieses Haus verfrachten lassen, der Villa Flame of King.“ Holmes hatte jetzt noch einen ernsteren Blick als vorher, sodass ein Kind, das Gefühle hätte, wahrscheinlich Angst vor ihm bekommen müsste. Zornig gab Holmes zu: „Dieser Dilettant, wie konnte er so etwas Unsinniges tun?“ „Mein Vater ist kein Dilettant! Er wollte dich und dein Erbe schützen. Denn die Zipporas waren auch hinter dir her. Du hattest schließlich dein LivingHeart nicht mehr in dir und sie hätten auch dein Herz stehlen können und dann wärst du nämlich ein Freakgrownup. Wie hast du das eigentlich gemacht?“ gab ich ruhig zurück. „Das tut jetzt nichts mehr zu Sache. Denn wie du siehst, ist es jetzt wieder in mir drin, dank dir!“, vermerkte Holmes. „Ich würde es aber gerne wissen! Denn als Detektivin muss ich alles wissen, um den Fall zu lösen“, gab ich interessiert zurück. Überrascht sah mich mein Urururgroßvater Holmes an und brach in lautes Gelächter aus. Ich stand ungerührt da und als er mit seinem Lachanfall fertig war, machte er klar: „Du eine Detektivin! Junge Dame, ich glaube, dass du dafür noch zu jung bist. Das ist schließlich kein Spiel.“ Ich verschränkte meine Arme und gab darauf zurück: „Für jemand, der so jung ist, hat er dich schließlich mit seiner scharfen Beobachtung gefunden. Dein Fall der Katechismus der Familie Musgrave hat mich darauf gebracht, dich hier zu finden. Mein Vater hat diesen Raum konstruiert.“ Holmes sah mich weiterhin an und äußerte dann: „Du hast es gelesen! Ich kann mich gut an diesen Fall erinnern. Na ja, ganz so ist der Raum wie dieser bei den Musgraves nicht gewesen. Aber so ähnlich und du bist ganz allein drauf gekommen. In der Tat, du bist eine erstaunliche junge Dame oder sollte ich besser sagen, eine hervorragende junge Detektivin! Aber du musst als Detektivin noch so einiges lernen und da diese Zipporas auch hinter meinem LivingHeart her waren, geht dieser Fall auch mich etwas an, junge Detektivin!“ Holmes wollte sich gerade dem Loch in der Wand zuwenden, als ich mitteilte, „Okay! Dann bring mir bei, eine richtige Detektivin zu werden. Denn ein berühmter Detektiv Sherlock Holmes braucht doch auch mal irgendwann eine Schülerin, wo Watson nicht mehr da ist. Außerdem brauchst du sicherlich eine Detektivin, die dir als Tarnung dient. Denn schließlich giltst du ja als tot und du willst sicherlich unentdeckt bleiben.“ Er sah mich wieder an und man erkannte ein amüsiertes Lächeln, aber dann bemerkte Großvater Holmes: „Warum eigentlich nicht? Schließlich hast du ja auch nicht ganz Unrecht und so eine talentierte junge Dame zur Seite zu haben, ist sicherlich praktisch. Wo du ja auch meine Enkelin bist, sollte dies auch selbstverständlich sein. Aber als Erstes sollten wir hier rauskommen.“ Aber bevor sich Holmes ans Werk machen konnte, um das Loch zu untersuchen, fragte ich, „Wie hast du es nun gemacht? Dein LivingHeart von deinem Körper zu trennen?“ Holmes hielt wieder inne und meinte: „Ein Erwachsender kann sein LivingHeart von sich trennen, wenn er einen Ausdruck tiefster Enttäuschung erlebt und er beschließt, von da an nur ein Denker zu sein. Was in meinem Falle zutrifft bei Mary Isabel Bailey. Danach beschloss ich, nur noch ein rationaler Denker zu werden und meiner Berufung als Detektiv zu folgen. Mein LivingHeart trennte sich dadurch von mir und ich schloss es in einer Metallschatulle ein. Natürlich konnte ich weiterhin etwas fühlen. Doch sie tönten nicht mehr so laut wie mein Verstand. Denn das Herz war weit weggepackt und der Verstand war nah bei mir. Jetzt weißt du es und nun lass mich meine Aufmerksamkeit dem Eingang zuwenden, Mädchen!“ Ich ließ ihn gewähren und er untersuchte den Eingang haargenau. Beim Zuschauen wirkte er schon wie ein vornehmer Opa aus dem 19. Jahrhundert. Also beschloss ich, ihn in Zukunft Opa Holmi zu nennen. Schließlich war das auch kürzer. „Bist du durch dieses quadratische Loch gekommen?“, fragte er mich. „Ja! Ich bin sozusagen heraus gefallen“, antwortete ich. Aber schon war er wieder dabei, das Loch zu untersuchen, ohne mir eine Antwort zu geben oder weitere Fragen zu stellen. Dann, nach einiger Zeit, befehlte er: „Miyu, komm her und sie dir das mal an! Siehst du diese kleine Einkerbung? Es scheint die Form eines Bären zu haben.“ Ich ging zu ihm und stellte mich neben ihn, um die Einkerbung zu sehen. „Das ist die Form dieses kleinen Teddybären. Der steckte auch draußen, als ich ihn wegnahm, öffnete sich diese quadratische Öffnung“, erwähnte ich. Opa Holmi nahm mir den Teddybären aus der Hand und deutete an, „Interessant!“ Als Nächstes steckte er den kleinen Bären in die Einkerbung. Plötzlich hörten wir einen Ruck. Opa Holmi packte mich am Arm und ging von der Wand mit mir einige Schritte zurück. Diese öffnete sich seitwärts und es war ein Eingang, durch den man einfach in den Keller spazieren konnte und das taten wir dann auch. Als wir im Keller standen, schloss sich plötzlich wieder die Wand. Der kleine Teddy wurde durch die Wand geschoben und war nun wieder in der Einkerbung im Keller zu sehen. „Ein genialer Einfall, doch sehr albern“, meinte Opa Holmi. „Ja, mein Vater wollte eben, dass nur ich dich finde. Aber wenn du das schon albern fandest, solltest du erst mal meinen Onkel kennen lernen“, gab ich zurück. Holmes lachte und versicherte, „In der Tat! In der Tat!“




Zipporas

Endlich standen wir wieder in der Küche, nach dem ich die Truhe schloss. Fasziniert schaute mein Opa Holmi die Truhe an: „Diese Truhe siehst ja genauso aus wie meine, in der ich immer meine Aufzeichnungen bewahrte. Nur, dass diese hier viel größer ist und als Kellereingang dient. Aber ich verstehe nicht, warum dein Vater diesen Keller versteckt, wo ich doch sicher hinter einer Wand war. Wozu sollte dieser Aufwand dienen?“ Ich sah ihn an und gab als Erklärung ab: „Ganz einfach! Zipporas fürchten sich vor der Dunkelheit. Sie würden niemals einen dunklen Raum betreten. Dunkel ist jedenfalls bei uns der Keller und der Dachboden. Er ließ die Truhe über den Kellereingang bauen, weil sie dafür sorgte, dass es absolut finster in dem Loch ist. Man muss zum Keller auch erstmal eine lange Treppe herunter gehen, in der es kein Licht gibt. Sie ist nur begehbar mit einer Taschenlampe und was deine Truhe angeht, Opa Holmi, die mit den Aufzeichnungen, die befindet sich auf dem Dachboden.“ Plötzlich sah mich Holmes scharf an: „Wie hast du mich genannt? Du bist ganz schön gewagt für dein Alter!“ Ich zuckte zusammen und gab dann zu: „Es tut mir leid! Aber ich finde es ist kürzer und irgendwie passt das zu dir. Außerdem kommt niemand so auf die Idee, dass du Sherlock Holmes bist.“ Einen Moment dachte ich, mein Urururgroßvater würde mich mit Haut und Haaren auffressen, so wie er mich ansah. Aber dann seufzte er und sprach: „Schon gut! Meinetwegen nenn mich Opa Holmi. Scheint sowieso so, dass ich mir einiges von meiner Enkelin gefallen lassen muss. Aber mir wäre es lieber, wenn du mich Großvater nennst. Das klingt förmlicher.“ Ich atmete auf. Aber schon erzählte er weiter: „Weißt du noch mehr über diese Zipporas?“ „Nein“, versicherte ich. „Das dachte ich mir“, deutete Großvater mit einem zürnischen Lächeln an. „Du willst doch lernen, eine richtige Detektivin zu werden. Dann solltest du die ersten vier Regeln eines Detektivs beachten: erstens Beobachten, zweitens Erkennen, drittens Sammeln und viertens Zuschnappen lassen. Das heißt, da wir ja schon wissen, wer das Verbrechen begangen hat, Kindern die LivingHearts zu stehlen, nämlich die Zipporas, müssen wir nun so viele Informationen wie möglich über sie sammeln und daran wird doch nun wirklich dein Vater gedacht haben.“ Ich glaube, jeder andere würde jetzt sagen, was für ein arroganter Typ. Doch ich blieb ganz ruhig. „Außer deinen Aufzeichnungen, die in deiner Truhe liegen hatte mein Vater noch mehr Material und Informationen dazu gepackt. Da ist auch bestimmt etwas über die Zipporas. Aber ich habe es noch nicht geschafft, alles durch zu schauen, denn ich wollte dich erst finden“, erklärte ich respektvoll. „Interessant! Lass uns auf den Dachboden gehen! Ich möchte meine Truhe sehen“, äußerte er sich ernst. Also zeigte ich meinem berühmten Großvater Sherlock Holmes den Dachboden, wo seine Truhe stand. Auf dem Dachboden machte sich mein Opa Holmi daran, sofort die Truhe zu öffnen. „Aha! Miyu, komm her sieh dir das an!“, befehlte er bestimmt. Opa Holmes hielt mir ein Blatt Papier hin. Ich nahm es ihm aus der Hand und fragte: „Na und?! Was soll ich jetzt damit?“ „Lies es vor, Mädchen“, sprach mein Großvater mit einem lustigen Lächeln. Also nahm ich mir einen alten verstaubten Stuhl, der neben mir auf dem Dachboden stand, und setzte mich. Dann begann ich laut das Schriftstück vorzulesen: Merkmale der Zipporas

Zipporas sind eine üble Organisation, die Kindern ihre Herzen stehlen, wenn sie zum ersten Mal von ganzem Herzen lachen. Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, diese schurkische Brut zu schlagen. Dennoch ist es mir gelungen, einige Informationen über sie zusammen zusammeln. Zipporas haben eine unbändige Angst vor der Dunkelheit, sodass sie niemals einen dunklen Raum oder Ort betreten würden. Dies hängt damit zusammen, dass sie selbst kein LivingHeart besitzen. Deshalb stehlen sie auch das LivingHeart der Kinder. Wegen des Lichts, das von diesen Steinen ausgeht. Ein bemerkenswerter Hinweis ist noch die Kleidung, an der Zipporas sofort erkennbar sind. Alle Zipporas tragen einen großen, breiten, roten Hut. Dazu kommt noch, dass ihre gesamte Kleidung die Farbe rot markiert. Man könnte sie auch die roten Zipporas nennen. Jeder trägt eine Pistole aus dem 19. Jahrhundert. Diese Pistolenmodelle sind veraltet und trotzdem ihr Markenzeichen. Dann gibt es noch die Tatsache, dass sie alles, was mit der weißen Taube verbunden ist, verabscheuen. Leider konnte ich nichts über ihren Aufenthaltsort herausfinden. Nur überall, wo sie ein Herz stehlen, lassen sie ein rotes Tuch zurück mit der Aufschrift: " Wo die Sonne am Dunkelsten scheint und das bunte Licht über uns erstrahlt, wo die Kristalle unsere Lippen beschmücken, da sind wir." Ich hoffe, dem Finder, der dies liest, wird es nützen, mit diesem Wissen die Zipporas von ihren weiteren Verbrechen abzuhalten.

Hochachtungsvoll Jacob Holmes

„Das hat mein Vater geschrieben“, bemerkte ich. Holmes kam auf mich zu und nahm mir wieder das Schriftstück aus der Hand. Er sah sich noch mal das geschriebene Blatt Papier meines Vaters genau an. Dann sah er mich an und horchte aus: „Miyu, hast du auch so ein rotes Tuch bekommen, nachdem sie dir dein LivingHeart gestohlen haben?“ Einen Moment überlegte ich, aber dann versicherte ich: „Ich weiß es nicht! Ich kann mich nicht erinnern!“ Auf einmal sah mich mein Urururgroßvater wieder so merkwürdig scharf an. Er wirkte etwas ärgerlich, als er aus rief: „Wie kann es sein, dass dein Wissen über so was Wichtiges nachlässt?“ Jetzt sprang ich auf und stemmte meine Hände in die Hüften und erläuterte: „Weil ich damals erst vier Jahre alt war und ich von meinen gestohlenem LivingHeart erst mit zehn Jahren erfuhr, als meine Mutter starb. Aber mein Vater erzählte nichts von einem Tuch. Schau doch noch mal in die Truhe! Vielleicht liegt es dabei. Als Profi müsstest du eigentlich selber darauf kommen, anstatt mir damit auf den Keks zu gehen.“ Holmes legte mir seine Hand auf den Kopf. Fast wirkte er dabei wie ein freundlicher, älterer Herr. „Verzeih, Miyu! Das wusste ich nicht. Man könnte fast denken, dass du dich ärgerst, aber das ist unmöglich ohne Herz“, entschuldigte er sich mit einem liebevollen Ausdruck in seinen Augen. Opa Holmi wollte sich sofort daran machen, wieder die Truhe nach dem roten Tuch zu durchsuchen. Aber ich senkte meinen Kopf nach unten und erklärte, „Freakchildren denken sich die Gefühle, nachdem uns das Herz gestohlen wird. Das wird uns sofort von klein auf beigebracht, durch Bilder, Bücher, Filme, hören, sehen und Informationen über die menschliche Mimik und Gestik. So wirkt es, als hätten wir echte Gefühle. Aber meist sind es nur vorgetäuschte Gefühle, damit wir genauso gleich sind wie andere Kinder und nicht sofort als Freakchildren erkannt werden. Aber wenn man sich mit Freakchildren auskennt, erkennt man sie sehr schnell.“ Mit einem traurigen Blick sah mein Großvater wieder zu mir auf. Aber dann kam er mit einem Lächeln auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Verstehe! Ich habe mir schon so was gedacht. Denn dieses gespielte Gefühl wirkte doch ziemlich unecht. Aber ich verspreche dir, kleine Miss Miyu, du wirst bald wieder echte Gefühle in dir haben. Dafür sorge ich höchstpersönlich. Sonst will ich nicht mehr Sherlock Holmes heißen, der berühmte Detektiv“, erwiderte mein Urururgroßvater mitfühlend. Ich war ziemlich überrascht über seine zugeneigte Geste. In der Zwischenzeit durchkramte er die Truhe. Endlich fand er, wonach er suchte und stieß einen Jubelschrei aus. Ich war erstaunt, mein Urururgroßvater konnte sich wie ein kleines Kind freuen. So wirkte er fast sympathisch. „Sieh nur Miyu“, plapperte er erfreut und hielt mir ein rotes Tuch mit goldener Aufschrift unter die Nase. Holmes las das Geschriebene laut vor: „Wo die Sonne am Dunkelsten scheint und das bunte Licht über uns erstrahlt, wo die Kristalle unsere Lippen beschmücken, da sind wir.“ Es war der genaue Wortlaut wie im Schriftstück meines Vaters. „Ja, na und?! Wie soll uns das weiterbringen, Großvater“, gab ich gelangweilt zurück. Er schaute mich an, dann redete er weiter: „Diese Inschrift verrät uns, wo sie ihr Hauptquartier haben. Dazu müssen wir natürlich herausfinden, was sie bedeutet. Wir müssen einen Ort finden, wo die Sonne am Dunkelsten scheint und wo buntes Licht über sie strahlt und wo sie ihre Lippen mit Kristallen beschmücken.“ „Damit können auch die acht Farben der LivingHearts gemeint sein oder die sieben Farben des Regenbogens. Aus allen sieben Farben, wenn man sie zu einer zusammenfügt, wird die Farbe weiß“, redete ich müde. Mein Großvater sah mich an und lobte mich: „Gute Kombinationsgabe, Miyu! Aber du siehst müde aus. Du solltest langsam ins Bett gehen! Es ist sowieso schon Schlafenszeit für Kinder“, bemerkte Holmes. Aber ich packte ihn an der Hand und zog ihn hinter mir her. Wir stiegen wieder vom Dachboden herunter. „Was soll diese Unterbrechung, Miyu? So was ist ziemlich unhöflich für eine junge Dame“, gab er ärgerlich von sich ab. Darauf machte ich klar:, „Das ist mir im Moment ziemlich schnuppe. Ich hab noch nicht mal eine Ahnung wie ich Onkel Douai das alles hier erklären soll. Jedenfalls wirst du hier ja einziehen. Also sollten wir dir ein Zimmer herrichten!“ Ich überlegte, dann wies ich zu: „Du kannst das Gästezimmer gegenüber meinem Zimmer haben. Ein Bad findest du ganz unten, wo die Küche ist. Außerdem kannst du doch über dieses blöde Tuch auch in deinem Zimmer nachdenken. Ich bin jedenfalls müde!“ Erschöpft wollte ich mich umdrehen und meinem Großvater das Gästezimmer zeigen, dass gegenüber meinem Zimmer lag. Als er mich plötzlich am Arm packte und mit zorniger Stimme schilderte: „Hör gut zu, junge Dame! Du solltest mich nicht in meiner Denkweise stören. Dieses Tuch ist nicht blöde, es ist sehr wichtig. Merk dir das!“ Ermüdet sah ich ihn an: „Mag sein! Aber ich wollte doch nur, dass du nicht an so einem ungemütlichen Ort wie der Dachboden übernachten musst. Und in einem gemütlichen Zimmer lässt es sich doch viel besser nachdenken.“ Opa Holmi sah mich immer noch scharf an. „Gut! Dann zeig mir das Zimmer! Aber eins solltest du noch wissen, junges Mädchen. Zu meiner Zeit, wenn Kinder durch ihre Unverfrorenheit den Bogen zu sehr überspannten, wurden sie übers Knie gelegt. Also, meine liebe Miyu, überspann den Bogen lieber nicht zu sehr. Das wird dir wahrscheinlich nicht bekommen, Kind. Dass du schlagfertig bist und kluge Gedanken an den Tag legst finde ich hervorragend. Das zeigt, dass du was im Kopf hast. Aber ich verbitte mir solche unschönen und unhöflichen Ausdrücke! Denn es passt nicht zu einer angehenden Detektivin. Ein Detektiv sollte jedes Indiz ernst nehmen. Natürlich werde ich dich niemals schlagen. Diese Konsequenz ist abscheulich und unnützlich. Aber ich werde mir etwas einfallen lassen, damit du verstehst, was ich damit meine. Verstanden?!“ Nachdem mein Großvater das so klar machte, antwortete ich ausdruckslos: „Ja! Es tut mir leid, Großvater! Du hast Recht. Ein Detektiv nimmt jedes Indiz ernst. Es wird nicht wieder vorkommen!“ Nun löste sich endlich seine zornige Mimik zu einem freundlichen Gesicht. Endlich zeigte ich ihm sein neues Zimmer. Er betrat freudestrahlend das Zimmer und machte mir deutlich, dass er solch ein Zimmer nicht einmal in der Baker Street besaß. Ich ließ Holmes noch eine Weile sein Zimmer bestaunen. Er sah sich jedes Detail im Zimmer an. Es war ein helles Zimmer, die Wände waren in gelber Farbe gestrichen. Darin stand ein gemütliches Metallbett mit weicher Matratze und Daunenfederkissen sowie einer Decke. Dann war noch an den Wänden platziert ein Sofa mit Sessel, ein Schreibtisch mit Stuhl. Der gefiel meinem Großvater besonders, weil er aus dem 19. Jahrhundert stammte, aus seiner Zeit, und ein Schrank, in dem man gut Sachen aufbewahren konnte. In der Zeit ging ich in mein Zimmer, das wie schon gesagt, gegenüber seinem lag und zog mir meinen Schlafanzug an. Dann ging ich runter ins Bad, putzte mir die Zähne und ging noch einmal zur Toilette. Als ich wieder kam, lehnte ich mich an Großvaters Tür. Mein Opa Holmi war gerade dabei, seine Sachen abzulegen. Ich rieb mir die Augen und spürte in meinem Körper eine tiefe Müdigkeit. Langsam sackte ich zusammen. Opa Holmi sagte noch irgendwas zu mir, aber das nahm ich nicht mehr wahr. Denn die Müdigkeit packte mich schon zu fest und meine Augen klappten langsam zusammen. Aber dann spürte ich einen kräftigen Arm unter meinen Beinen und um meinen Rücken. Ich öffnete meine Augen und Großvater Sherlock Holmes trug mich. Aber auf dem Weg zu meinem Zimmer war ich schon längst in seinen Armen eingeschlafen. Ich bemerkte nicht, wie Großvater mich ins Bett legte und mich dann noch zudeckte. Ich schlief tief und fest bis zum nächsten Morgen.





Unerwartende Dinge für Onkel Douai

Langsam reckte und streckte ich mich in meinem Bett, denn die Sonne schien freudestrahlend in mein Zimmer. Ich öffnete die Augen und erhob mich aus meinem Bett. Wie aus heiterem Himmel ertönte ein hoher Schrei. Schnell zog ich mir meinen schneeweißen Morgenmantel, über meinen grün-karierten Schlafanzug an. Ich rannte schnell die zwei Treppen im ersten und zweiten Stock herunter. Dann bog ich um die Kurve und hielt bei der Küche. Da erblickte ich Onkel Douai, der erschrocken auf dem Boden hockte. „Onkel Douai, was machst du hier und warum hockst du auf dem Boden? Außerdem, was war das für ein Schrei“, fragte ich besorgt. Er starrte immer noch in die Küche, als er antwortete. „Ich habe heute all meine Zeit zusammengekratzt und wollte daher noch vorbeikommen, um nach dir zu sehen, wie es dir geht.“ Da kam Sherlock Holmes, mein Opa, mit einer Bratpfanne und zwei Spiegeleiern aus der Küche. Ich konnte eins und eins zusammen zählen, als Holmes berichte: „Das ist also dein Onkel. Ein merkwürdiger Kauz und diese merkwürdige Aufmachung läßt auch zu wünschen übrig. Ich wollte gerade Frühstück machen, weil ich keine Haushälterin fand, als unerwartet dein Onkel herein kam und los schrie.“ Ich richtete meinen Blick von meinem Onkel auf meinen Opa Holmes und erklärte: „Unsere Haushälterin kommt nur unter der Woche, während ich im Internat bin. Am Wochenende hat sie immer frei und mein Vater und ich bewirtschaften das Haus allein.“ Holmes gab darauf zurück: „Ich verstehe! Vielleicht sollten wir dann noch zusätzlich eine Haushälterin fürs Wochenende einstellen. Wir brauchen nämlich jedes bisschen Zeit, um dein LivingHeart und deinen Vater wieder zu finden.“ „Einen Moment mal! Miyu, was hat das alles zu bedeuten und wer um Gottes Namen ist dieser Mann“, schrie mich unvermittelt Onkel Andrew an. Opa Holmi ging wieder in die Küche und bereitete das Frühstück vor. Währenddessen ließ Großvater mich mit dem aufgebrachten Onkel Andrew allein. „Schrei doch nicht so! Ich kann alles erklären“, versicherte ich. Aber Onkel Andrew wurde nur noch ärgerlicher und schimpfte laut los: „Lässt du jetzt neuerdings, wenn keiner da ist, fremde Leute ins Haus? Ich dachte immer, du würdest ohne Unverstand handeln. Du kennst doch die Gefahren! Ich bin sehr enttäuscht von dir, Miyu! Was würde wohl dein Vater dazu sagen?“ Ich versuchte zur Verteidigung vorzubringen: „So ist es doch nicht gewesen, Onkel!“ Aber dann erhob mein Onkel zum allerersten Mal in seinem Ärger die Hand. Er war drauf und dran mir eine kräftige Ohrfeige zu geben. Ich schloss die Augen und erwartete einen Knall und die drauffolgende schmerzhafte Wange. Aber nichts dergleichen passierte. Als ich wieder die Augen öffnete, erblickte ich, wie Großvater Holmes das Handgelenk von Onkel Douai umfasste. Holmes sprach in einem festen Ton: „Mein Lieber, sie wollen doch nicht diesem sympathischen, jungen Mädchen eine Ohrfeige geben? Außerdem bin ich nicht fremd und sie hat mich auch nicht herein gelassen. So töricht ist dieses Kind nicht, wie sie meinen. Ich bin mir sicher, dass sie keinen fremden Menschen, der ihr schaden könnte, ins Haus lässt.“ Onkel Andrew sah ihn skeptisch an und informierte sich: „Wer sind sie überhaupt?“ Opa Holmi hielt immer noch sein Handgelenk fest, als er sich vorstellte: „Oh! Darf ich mich vorstellen? Ich bin der berühmte Detektiv Sherlock Holmes. Miyus Urururgroßvater und wenn ich mich recht entsinne, müsste ich demnach auch ihr Ururgroßvater sein und sie mein Ururenkel sein. Sehen sie doch, wir haben die gleiche Habichtsnase. Ich war in einer Überlebenseiskaspel, in der mich Miyu im Keller, hinter der Wand, in einem versteckten Raum fand.“ Sprachlos schaute Onkel Andrew von einem zum anderen. Aber als er sich wieder gefasst hatte, ersuchte er mit ruhiger Stimme: „Miyu, das soll doch nur ein übler Scherz sein oder?“ Als ich antworten wollte, antwortete jedoch mein Großvater Holmes: „Keineswegs, mein lieber Engel. Komm, folgen sie mir in die Küche! Ich habe nämlich eine Pergamentrolle mit einem Stammbaum unserer Familie gefunden, die in der Bibliothek hinter einer Bücherwand versteckt war.“ Mein Großvater ließ das Handgelenk meines Onkels los und machte eine Handbewegung, ihm in die Küche zu folgen. Ich ging den beiden Männern nach, denn ich wollte diesen Stammbaum auch sehen. Ich schob mich zwischen Opa Holmi und dem Tisch, auf den er gerade die Pergamentrolle ausbreitete. Die Pergamentrolle war sehr alt sowie die Zeichnungen und die einzelnen Bilder. Onkel Andrew, Opa Holmi und ich betrachteten den Stammbaum arggenau. Wir fanden jedes einzelne Familienmitglied sowie unsere Vorfahren. Onkel Andrew entdeckte das Foto von Holmes, das ganz oben als erstes mit einer jungen Frau Namens Mary Isabel Bailey stand. Mein Onkel verglich das Foto mit dem Holmes, der vor ihm stand. Erstaunt meinte er: „Jetzt glaube ich es!“ Er wandte sich mir zu und beteuerte: „Miyu, ich muss mich bei dir entschuldigen. Fast hätte ich dir eine Konsequenz gegeben, die du nicht verdient hast. Es tut mir sehr leid! Wie gut, dass dein Großvater so beherzt eingegriffen hat, nicht wahr?“ Ich schlüpfte unter meinem Opa hindurch und lies mich von meinen Onkel in die Arme nehmen. „Was für eine rührende Szene! Aber leider mache ich mir aus so was nichts. Nun gut, lasst uns endlich frühstücken, dabei können wir alles Weitere besprechen“, gab Holmes zu Wort. Großvater Holmes und ich setzten uns an den Tisch, denn Onkel Douai beschloss, das Frühstück zuzubereiten, weil die Spiegeleier von Holmes verbrannt waren, in der Zeit, wo mein Opa alles erklärte. „Du hast wohl noch nicht viel im Leben gekocht, Großvater Holmes“, bemerkte ich. Sherlock Holmes erwiderte darauf: „Natürlich nicht! Ich hatte dazu schließlich eine Haushälterin. Sie hieß Mrs. Hudson. Ich hatte nie Zeit, mich um den Haushalt und das Kochen zu kümmern.“ Ich stellte die nächste Frage: „Woher wusstest du eigentlich, wo die Bibliothek war?“ Holmes sah mich an und antwortete darauf: „Du bist ganz schön neugierig! Aber nun gut! Neugier ist für einen Detektiv wichtig. Ich hatte dich gestern eigentlich noch danach gefragt, ob ihr in diesem Haus eine Bibliothek habt. Aber du warst schon zu müde und als ich dich ins Bett brachte, beschloss ich mich erstmal im Haus umzusehen und entdeckte dabei die Bibliothek.“




Die weiße Taube

Nachdem mein Onkel das Essen fertig hatte, machten wir uns daran, den Tisch gemeinsam zu decken. Wir holten tiefe Teller mit Löffeln, weil mein Onkel seine superleckere Möhrensuppe gekocht hatte. Zusätzlich besorgten wir uns Gläser für den Mangoapfel-Sahnesaft, den mein Onkel mitgebrachte hatte. Endlich saßen wir am Tisch und mein Onkel Andrew sprach sein übliches Dankgebet, bevor es mit dem Verzehren der Suppe losging. Nun erzählte ich und mein Opa Holmes gleichzeitig, was passiert war. Onkel Andrew machte in der Zeit erstaunte und überraschte Gesichter. Zwischendurch nickte er auch mal mit dem Kopf oder hielt inne, um kurz über das Gesagte nachzudenken oder er stellte Fragen, wenn er mal etwas nicht verstand. Nachdem wir unsere Geschichten zu Ende erzählt hatten, meinte Onkel Douai: „Das ist wirklich eine erstaunliche Geschichte. Aber da sie ja schon mal nun hier sind und ohne Zweifel mit uns verwandt sind, wollen sie sicherlich jetzt hier wohnen. Kann ich Miyu in ihre Obhut geben? Sie scheinen mir ein ordentlicher Kerl zu sein.“ Aber ich erwiderte darauf: „Nein, das geht nicht! Man hält ihn doch für tot, Onkel Douai.“ Holmes rief mit seinen Worten dazwischen: „Doch, das wird schon gehen! Ich übernehme gerne die Verantwortung für Miyu.“ Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich darauf geben sollte. „Aber Miyu hat recht. Wir sollten sie schützen, besonders wegen der Zipporas. Denn es scheint mir, sie sind derjenige gewesen, nachdem die Zipporas gesucht haben“, erwähnte mein Onkel. Aber Holmes antwortete darauf: „Da hab ich schon eine Idee, wie wir dieses Problem lösen. Hören sie zu!“ Das taten wir auch, als Holmes weiter sprach: „Meiner lieber Enkel, sie müssen nämlich wissen, dass ihre entzückende Nichte hier mir einen neuen Spitznamen zudachte in ihrer frechen Art.“ Ich wollte meinen Großvater stoppen, bevor er weiter erzählen konnte. Da stand mein Opa Holmes vom Stuhl auf, packte mich unter die Arme und zog mich über den Tisch, setzte mich neben sich auf den Stuhl und legte seine große Hand auf meinen Mund, damit ich stillschweigen bewahre. Dann erklärte er weiter: „Diesen Namen werden wir als Tarnung benutzen. So wird niemand darauf kommen, dass ich Sherlock Holmes bin. Sie werden dann einfach sagen, dass ich der unverhofft aufgetauchte Großvater ihres Vaters aus London bin. Der Name lautet Opa Holmi. Zugegeben nicht mein Stil, aber so wird niemand drauf kommen, wer ich wirklich bin. Was sagen sie dazu?“ Onkel Andrew sah ihn merkwürdig an, als er anmerkte: „Was ich dazu sagen soll? Das ich das ziemlich unhöflich finde von meiner Nichte. Ihnen solch einen Namen zuzudenken und dass das Konsequenzen haben sollte.“ „Nein! Das ist genial“, schilderte Holmes und nahm die Hand von meinen Mund. Onkel Douai sah Holmes überrascht an und redete mit einem amüsanten Lächeln: „Wenn Sie das so sehen. Dann machen wir es so, Opa Holmi.“ Die beiden Männer gaben sich die Hände und waren mit dem einverstanden, was sie besprachen. Alles sollte wieder seinen gewohnten Gang gehen. Unter der Woche würde ich im Internat und in der Schule sein und an den Wochenenden bei Holmes zu Hause. Mein Onkel beschloss, nachdem alles gesagt wurde, sofort loszufahren, um sich weiterhin um das Fest zu kümmern und um die Aufgaben, die ein Direktor zu tun hatte. Ich begab mich auf mein Zimmer und ließ meinen Urururgroßvater unten allein in der Küche. Ich setzte mich auf mein riesiges Himmelbett und zog Vaters Brief unter meinem Kopfkissen hervor. Denn ich wollte nicht, dass mein Onkel oder Großvater von dem Brief wusste. Außerdem wusste ich, dass mein Opa Holmi seinen eigenen Nachforschungen nachgehen würde. Also beschloss ich, dies auch zu tun. Ich las mir noch mal Vaters Brief vor und stieß dabei auf den Satz: „…finde die weiße Taube, sie wird dich leiten“. Ich hielt inne und überlegte, was mein Vater meinte. Ich erinnerte mich nur noch schwach an die Geschichten, die mir mein Vater mit vier Jahren erzählte. Ich verließ mein Zimmer und betrat
die Bibliothek. Beim Durchstöbern unserer Bibliothek fand ich tatsächlich ein Buch über die weiße Taube. Ich sah mir die Bilder an und las die Geschichten. Langsam erinnerte ich mich wieder an die Geschichten, die mir mein Vater von der weißen Taube erzählte. Die weiße Taube, ein Wesen, das Kindern ihr Leben schenkt. Plötzlich sah ich deutlich das Bild von der weißen Taube, wenn mein Vater sie beschrieb. Sie war mit edelweißen Schwingen besetzt. Ihre Federn glichen dem eines Edelweißes, gemischt mit einem feinen Staub des Sternenhimmels. Die Augen waren so rein, dass man sich in ihnen spiegeln konnte. Sie zeigten, was man wirklich war. Augen aus Gold und noch einen tiefen blauen Grund des Ozeans waren in ihr gemischt. Sie war wunderschön, die weiße Taube. So klar und strahlend, dass sie bis in jede Ecke des Dunkelsten der Welt leuchten konnte. Ich sah ein Bild der weißen Taube in dem Buch, was ich entdeckt hatte. Sie war genau so, wie ich sie mir vorstellte. Aber wie sollte ich sie finden? Ich erinnerte mich gut an die Geschichten. Die weiße Taube besiegte alles, was finster war. Ihr Licht konnte Wunden heilen, die Schwachen stark machen und ein totes LivingHeart zum Leben wieder erwecken. Doch nichts in dem Buch brachte mich der weißen Taube näher. Dieses Buch erzählte nur ihre Geschichten und wie kraftvoll und stark sie war. Ich schlug das Buch zu und dachte: „Vielleicht muss ich die weiße Taube mit meinem Herzen finden. Aber wie soll das gehen, ohne mein
LivingHeart.“ Mein Vater sagte mal, dass die Taube mehr ist als Gefühle oder das Leben. Sie stand über den Dingen und sie war die Ewigkeit. Nach vielem Nachdenken erhob ich mich, worauf zugleich ein merkwürdiger Zettel aus dem Kinderbuch fiel. Ich hob ihn auf und erkannte nur, dass es eins von meinen Kinderzeichnungen ist. Eine riesige Taube mit Regenbogen, Blumen, Gras und Sonnenschein
erblickte mich vom diesem Stück Blatt an. Ich drehte das
Blatt Papier um und entdeckte eine Zahlenreihe, die zwischendurch unterbrochen war. Was bedeutet das nun wieder. Ich war verwirrt und wusste nicht, ob ich diese Zahlen geschrieben hatte. Aber beim näheren Betrachten erkannte ich die Handschrift meines Vaters. „Vielleicht eine geheime Schrift“, reimte ich mir zusammen. Ich steckte das Bild in meine graue Jeanshose und ging durch die vielen Bücherregale, auf der Suche nach einem Buch über Geheimschriften. Endlich, nach zehn Durchgängen fand ich ein Buch über Geheimschriften. Ich suchte unter dem Stichwort Zahlengeheim-botschaften und wurde fündig. Da stand, das Alphabet hat 26 Buchstaben und für jeden Buchstaben setzt man eine Zahl ein. Beispiel: A=1, B=2, C=3, D=4 und so weiter. Nachdem ich das gelesen hatte, zog ich das Blatt Papier wieder aus meiner Hosentasche. Ich breitete das Blatt auf den Boden kniend aus, zog einen Stift aus meiner roten Weste raus. Dann schrieb ich die 26 Buchstaben des Alphabets sauber auf das Blatt Papier und gab ihnen die angegeben Zahlen. Nun gab ich jeder Zahl in der Zahlenreihe, die mein Vater schrieb seinen Buchstaben zurück. Überrascht stellte ich fest, dass es eine Adresse war. Silberfederpearl-Kathedrale Oxford Street 185 in London.




Mitternachtstraumfest

London. Da sollte ich die Taube suchen. In einer Kathedrale. Wie sollte ich dahin kommen? Ich hatte zwar noch die Kreditkarte meines Vaters. Aber als Zwölfjährige war es schwer, an ein Flugticket zu kommen. Außerdem wollte ich nicht, dass mein Großvater oder mein Onkel etwas von dieser Sache erfahren. Denn die weiße Taube muss ich ganz alleine finden. Ich wusste weder ein noch aus. Wie sollte ich unbemerkt nach London kommen und zurück? Ich sah keinen Weg. Großvater riss mich aus meiner Gedankenwelt: „Miyu, wo bist du?“ Schnell stellte ich die Bücher in die Regale und steckte den Brief meines Vaters und den Zettel in meine Hosentasche zurück. „Ich bin hier in der Bibliothek, Opa Holmi“, rief ich zurück. Holmes kam herein und schritt auf mich zu. Ich war gerade dabei, die Leitern und Treppen herunterzusteigen. Endlich war ich unten angekommen. Von hier aus wirkte die Bibliothek riesig wie eine festliche Halle im Palast. Ich stand meinem Großvater gegenüber. „Was hast du hier gemacht, Mädchen?“ Ich antwortete darauf: „Gar nichts! Ich hab nur nach etwas zu lesen gesucht. Denn das brauchen wir Freakchildren ständig.“ Opa Holmi sah mich durchdringend an als hätte er mich bei der Lüge ertappt. Aber dem war nicht so. Holmes teilte mir mit: „Gut! Ich wollte etwas mit dir besprechen.“ „Dann schieß los, Großvater“, erwiderte ich bestimmt. Wir setzten uns auf die Treppe. „Ich hab noch mal mit deinem Onkel gesprochen mit diesem merkwürdigen Apparat, der unten stand. Ich glaube ihr nennt das Telefon“, bemerkte er. Ich nickte nur und Opa Holmi fuhr fort: „Ich hab vor, nächstes Wochenende mit dir nach London zu fliegen. Dein Onkel meinte, das wäre die schnellste und sicherste Art. Wobei ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Schließlich gehören nur Vögel in die Lüfte und keine Menschen.“ In meinen Gedanken drehte sich alles und ich dachte: „Super! Mein Problem ist gelöst.“ Aber ich machte natürlich keine Mimik und fragte nach: „Warum willst du nach London?“ Holmes sah mich auf einmal so traurig an, aber dann äußerte er sich: „Ich will wissen, was aus meinem alten Freund Dr. Watson geworden ist. Dabei können wir noch Nachforschungen über deinen Vater machen. Vielleicht hat er dort einen Hinweis hinterlassen oder hatte sich zuletzt dort aufgehalten. Dein Onkel wird alles soweit vorbereiten. Sodass, wenn du am Freitag von der Schule kommst, wir gleich losstarten können.“ „Ist gut, Großvater! Aber ist Onkel Douai auch wirklich damit einverstanden“, erfragte ich. Holmes packte mich an der Hand und versicherte: „Natürlich! Komm! Wir haben noch einiges vorzubereiten.“ Den Rest des Tages verbrachte mein Großvater damit, Koffer zu packen für das nächste Wochenende und mich herumzuscheuchen, was ich noch zu erledigen hätte und zu unterlassen hatte. Man konnte die Nervosität meines Großvaters in seinen Augen ablesen, hinsichtlich des Fluges, der vor uns lag. Als alles erledigt war, begab sich mein Urururgroßvater auf sein Zimmer und beschäftigte sich bis zum Abend mit dem roten Tuch der Zipporas. Endlich begann der nächste Morgen und ich machte mich fit für die Schule und das Internat, auf dem ich die ganze Woche sein würde. Ich betrat die Küche und erblickte eine etwas dickliche, runde Frau mit Dutt und blauem Rüschenkleid sowie Schürze in unserer Küche. Sie dabei war zu kochen und anscheinend das Frühstück vorzubereiten. Sie hatte etwas Ähnlichkeit mit Mrs. Hudson, die mir gestern Großvater beschrieb, bevor ich ins Bett ging. „Wer sind sie und was machen sie in unser Küche“, verhörte ich mit ausdrucksloser Miene. Die Frau drehte sich mit erschrockener Miene um. Als sie mich aber erblickte, bekam ihr feines, rundliches Gesicht wieder feine Züge und mit einem zarten Lächeln antwortete sie: „Ich bin Mrs. Mudson! Ich wurde noch gestern Nacht von Herrn Andrew Douai, deinem Onkel, hier als Haushälterin eingestellt. Er sagte, dass man mich hier dringend bräuchte, damit es hier in Zukunft kein angebranntes Essen für seine Nichte mehr gebe. Denn wie ich hörte ist dein Großvater kein besonders guter Koch!“ Sofort war sie wieder daran, das Essen weiter vorzubereiten. Nun nahm ich meine Schultasche und ging zu unserem Staubkerntisch. Auf dem lag schon ein vorbereitetes Schulbrot, dass ich sofort in meine Schultasche steckte. Ich drehte mich um und bedankte mich bei der neuen Haushälterin für das Schulbrot. Sie lächelte mich darauf hin freundlich an. Ich setzte mich und dann kam auch schon mein Großvater in die Küche. Erstaunt sah er die neue Haushälterin an und schwatzte erfreut: „Mrs. Hudson sie leben noch! Was für eine Freude!“ Schnell ging er auf sie zu, ohne zu ahnen, wer eigentlich wirklich vor ihm stand. Um eine Katastrophe zu verhindern, sprang ich auf und erwähnte: „Opa Holmi, das ist Mrs. Mudson! Unsere neue Haushälterin!“ Verwundert sah Mrs. Mudson meinen Großvater Holmes an. Ich sagte schnell, um weitere Verwirrungen zu verhindern: „Mein Großvater liebt die Bücher von dem berühmten Sherlock Holmes und sie haben Ähnlichkeit mit der Haushälterin, von Mrs. Hudson.“ Nun verschwand die Verwunderung aus dem Gesicht von Mrs. Mudson und sie quasselte los: „Nun Mr. Holmi. Das ist auch kein Wunder, dass sie mich mit der Haushälterin von Sherlock Holmes verwechseln. Denn ich bin ihre Ururnichte, müssen sie wissen.“ Jetzt war auch Holmes überrascht und traurig zugleich. Aber dann meinte er: „Verzeihen Sie! Sie haben wirklich eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Mrs. Hudson. Es freut mich außerordentlich ihre Bekanntschaft zu machen!“ „Nun, Mr. Holmi, warum setzen sie sich nicht mit ihrer Enkelin an den Tisch? Das Essen ist gleich fertig“, wies Mrs. Mudson an. Daraufhin ließ er ihre Hand los und setzte sich mit mir zusammen an den silbergrauen Tisch. Holmes sah mich an und flüstert: „Was sollte das mit den Büchern? Es gibt sie doch nicht wirklich oder?“ „Doch, es gibt sie! Man hat unzählige Bücher über deine Fälle geschrieben. Du findest sie in der Bibliothek. Ganz oben biegst du nach rechts ab. Dann dritte Reihe rechts und oben gleich links im Bücherregal findest du die Bücher von dir“, flüsterte ich ihm leise zurück. In seinem Blick konnte ich ablesen, dass es dem berühmten Sherlock Holmes ganz und gar nicht gefiel, dass man Bücher über ihn geschrieben hatte. Mrs. Mudson tischte uns nun das Frühstück auf den Staubkerntisch. Es gab Speck mit Eiern, leckere Pfannkuchen mit Schokosoße und ein Hauch von Vanilleschote, leckeren Kakao für mich und eine heiße Tasse Kaffee mit Sahne für meinen Großvater. Wir genossen zusammen das leckere Frühstück, sofern das ein Freakchild kann. Nun hörte ich das Hupen des Schulbusses, der mich zum Internat fahren sollte. Ich erhob mich und umarmte meinen Großvater, gab ihm einem Kuss auf die Wange und verabschiedete mich von Mrs. Mudson. Mit gepackter Schultasche und Reisekoffer stieg ich in den Bus. Brausend fuhr der Bus los. Nun verbrachte ich schon drei Tage im Internat des Chastity - Claire Gymnasiums. Es war eine harte Woche mit vielen Tests sowie Arbeiten und Hausaufgaben. Doch nun hatten wir Mittwoch und es sollte endlich das diesjährige Mitternachtstraumfest stattfinden. Alle Schüler und Schülerinnen waren total aufgeregt und die letzten Vorbereitungen wurden beendet. Ich platzierte mich in der Mittagspause am äußeren Rand im Essensraum. Vor mir stellte ich mein Tablett mit dem heutigen Mittagsessen ab. Salat mit Pommes und Bratwurst. Meine Zimmernachbarin Amanda Roscrown setzte sich zu mir. Sie war kein Freakchild und sie war ein Jahr älter als ich. Um ihren Hals trug sie ihren funkelnden blauen LivingHeart, dessen Gabe die Freundlichkeit war und das war sie wirklich. Amanda war das freundlichste und liebenswürdigste Mädchen der Schule. Mit ihren funkelnden blauen Augen plapperte sie: „Und mit wem wirst du heute zum Mitternachtstraumfest gehen? Wen hast du nun aus der Jungenkiste gezogen? Ich habe gehört das Todd Meyer an dir interessiert ist.“ An unserer Schule war es üblich, dass immer ein Freakchild sich mit einem Nichtfreakchild ein Zimmer teilen musste oder mit mehreren, damit sich keine Gangs oder Außenseiter bilden. Dies hatte mein Onkel bei jedem neuen Schüler oder Schülerin als Bedingung zur Aufnahme gestellt. Und ich hatte das großartige Glück, mit Amanda Roscrown ein Zimmer zu teilen. Gefühllos starrte ich Amanda an und antwortete ihr: „Ich habe keinen Zettel gezogen, weil ich nicht hingehe!“ Bei unseren Mitternachtstraumfesten war es immer so üblich, dass sich im Foyer unserer Schule ein Tisch mit zwei Kisten befand, indem sich alle Namen der Schüler und Schülerinnen befanden. Drei Tage hatte man Zeit, seinen Namen rein zu schmeißen und bevor das Fest losging, zog man einen Namen. Die Mädchen aus der Jungenkiste und die Jungen aus der Mädchenkiste, sodass man eine Partnerin oder Partner für das Fest hatte. Dabei konnte es passieren, dass, wenn man einen gezogen hatte, der andere aber dann einen anderen Namen hatte. Dann musste man sich entscheiden, mit wem man nun auf dieses Fest geht. Es konnte dann schnell gehen, dass man dann plötzlich keinen Partner oder Partnerin hatte. Dann war neues Ziehen angesagt. Andersherum war es so, wenn kein Zettel hineingesteckt wurde, konnte man auch nicht gezogen werden. Oder man hat gezogen, aber nicht seinen eignen Namen in die Kiste gelegt. Ziemlich kompliziert, aber so hatte jede Schule ihre Traditionen. Entgeistert sah mich Amanda an: „Aber du musst! Es ist der einzige Tag im Jahr, wo wir wach bleiben dürfen bis zum Abwinken.“ „Falls es dich interessiert, Amanda, bin ich nicht in der Stimmung für ein Fest solcher Art“, offenbarte ich. Amanda schaute mich herausfordernd an und in ihrer freundlichen Haltung deutete sie an: „Aber ich würde mich freuen, wenn du dabei bist. Wenn du nicht mit einem Jungen hingehen willst, dann lass uns zusammen als Freunde hingehen. Bitte!“ Nun seufzte ich und erwiderte tonlos: „Nun gut, ein bisschen Tanzen ist vielleicht ganz lustig! Aber mit mir als Freakchild wirst du dich langweilen, weil ich nicht die gleiche Freude wie du empfinden kann.“ „Das macht nichts“, versicherte Amanda mit einem freudestrahlenden Lächeln und umarmte mich über den Tisch hinweg. Endlich schlug die Stunde Zwölf um Mitternacht. Viele Partygänger waren zum alljährlichen Mitternachtstraumfest gekommen. Das Motto für dieses Fest war diesmal "Die Farbe deines Lebens". Amanda und ich betraten gerade die Sixchlor-Halle. Natürlich trug Amanda ein Kleid in blau, denn blau war schließlich ihre Lebensfarbe. Zusätzlich war dieses Kleid mit lauter, blauen Federn und Perlen bestückt. Kam man Amanda zu nah, kitzelten ihre Federn einen. Wir beide nahmen Platz auf einem Regenbogen Sofa. Alles in diesem Saal war regenbogenartig geschmückt. Überall an den Wänden hingen lange bunte Tücher, die bis zur Erde reichten. Aber auch schwarze und weiße Tücher waren dazwischen gemischt. Sogar die Tische und Stühle strahlten in den Regenbogenfarben. Schwarze und weiße Tische sowie schwarze und weiße Stühle mischten sich dazwischen. Selbst die Theke und die Essenstände trugen die Regenbogenfarben mit weißen und schwarzen Streifen. Hier konnte man gut die Freakchildren von den Kinder mit einem Livingheart unterscheiden. Denn da die Freakchildren kein Livingheart mehr besaßen, durch den Diebstahl der Zipporas, hatten sie auch keine Lebensfarbe mehr. So trugen die meisten schwarz oder weiß, denn es ist von jeher bekannt, dass schwarz und weiß keine Farben sind. Wobei das Livingheart, das für Reinheit und Unschuld steht, auch weiß ist, aber ein so strahlendes Weiß, sodass jeder von diesem Herzstein für einen kurzen Moment geblendet wird. Für dieses Fest trug ich ein mattweißes Kleid mit einem Perlengürtel. Das war auch der einzige Tag im Jahr, wo wir trugen, was wir wollten. Denn üblicherweise war es so, dass alle Schüler und Schülerinnen verpflichtet waren, eine Schuluniform in Gelb zu tragen. Die Kleidung sollte uns stets daran erinnern, bescheiden mit dem umzugehen, was wir haben und den anderen respektvoll gegenüberzutreten. Natürlich sollte diese Kleidung auch bewirken, dass es keine Außenseiter bei uns gab. Dieses System funktionierte ziemlich gut. In der Zeit schwankte sich Amanda auf die Tanzfläche und zog eine Solonummer ab. Ich beschloss, mich auch zu erheben und ging Richtung Theke. Dort bestellte ich mir erstmal eine Limonade mit schwimmenden Kirschen. Plötzlich tippte mir jemand sanft auf die Schulter. Ich drehte mich um und vor mir stand Todd Meyer. Ein typischer Junge mit blondem, rötlichem Haar sowie eine Augenfarbmischung von Grau und Grün. Er war ein kein Freakchild und trug ein Indigo - Livingheart. Seine Sprüche protzen tatsächlich oft vor Weisheit. Aber voll Güte steckte es in seinem Herzen. Was ziemlich ungewöhnlich für einen Jungen wie ihn war und dass die meisten Mädchen abschreckte. Denn Todd war durch seinen Herzstein klüger als die meisten Mädchen und Jungen und war auf eine Art gütig, die viele an sich selbst zweifeln ließen. „Hey Miyu, darf ich mich zu dir setzen“, ersuchte Todd. „Na klar“, gab ich zur Antwort zurück. Todd setzte sich und rief zum Barkeeper, einer unserer coolsten Lehrer, Mrs. Jamie: „Darf ich bitte eine Cola haben, Mrs. Jamie?“ „Kommt sofort, Junge“, gab Mrs. Jamie zurück. Sofort stellte Mrs. Jamie eine Cola vor Todd ab. Wir schwiegen einen Moment als wir so zusammen saßen. Dann unterbrach Todd die Stille: „Weißt du, Miyu, Paulus zitierte einmal in der Bibel folgende Worte: Denn wenn ihr auch zehntausend Erzieher hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch in Christus Jesus durch das Evangelium gezeugt.“ Zuerst wusste ich nicht, was ich darauf geben sollte, aber dann fragte ich nach: „Was willst du mir dadurch sagen, Todd?“ Todd war der einzige Sohn von Pastor Hanno Meyer unserer Kirche Taubenstein auf unserem Campus. Pastor Hanno Meyer hatte in seiner Jugend ein violettes LivingHeart, bevor es eins mit ihm wurde. Das Herz der Liebe und Treue. Durch seinen Herzstein konnte sich Todd viele Inhalte von Büchern merken. So war es nicht verwunderlich, das er die ganze Bibel in- und auswendig wusste, ohne nachzuschauen. Todd war jemand, der oft Verse aus der Bibel benutzte, um Dinge auszudrücken. Am Sonntag war es auch oft Todds Vater, der uns viel über die weiße Taube erzählte, dem Geist Gottes oder auch heiligen Geist. „Na ja, ich dachte, wo dein Vater jetzt verschwunden ist, hast du es bestimmt schwer. Obwohl ich mir sicher bin, dass die weiße Taube alles gut machen wird. Wirst du bestimmt trotzdem nicht mit mir tanzen wollen, oder“, bemerkte Todd. Ich glaube, wenn ich jetzt etwas fühlen könnte, hätte ich mich jetzt bestimmt geschmeichelt gefühlt, aber ich antworte ohne Mimik: „Wenn du willst, dass ich mit dir tanze, warum fragst du mich nicht einfach?“ „Willst du? Ich meine, willst du mit mir tanzen“, erfragte er mit nervösem Ausdruck. Ich meinte nur noch: „Ja! Lass uns gehen!“ So zogen wir auf die Tanzfläche und tanzten zu einem ruhigen und sanften Song. Ich schmiegte mich an Todd und ließ es zu, dass er mich sanft festhielt. Obwohl ich merkte, dass ich nichts in mir spürte. Die Nacht ging vorbei und bald darauf schickten uns die Lehrer ins Bett. Doch jeder wusste, dass immer nach dem Mitternachtstraumfest ein freier Schultag folgte, an dem die gesamte Schülerschaft ausschlafen durfte.




Silberfederpearl-Kathedrale

Die restlichen Tage bis zum Wochenende gingen langsam dahin. Der freie Schultag ging vorbei mit viel Ausschlafen, Erholen und spontane Ausflüge der Schüler. Ich blieb an diesem Tag auf meinen Zimmer und las viele Bücher von der Schulbibliothek unserer Schule über die Silberfederpearl-Kathedrale. Doch die Bücher gaben mir nicht Preis, warum mein Vater mir die Adresse von dieser Kathedrale hinterließ. Ich erfuhr nur in diesen Büchern, wie die Kathedrale erbaut wurde und im ersten Weltkrieg zerstört und danach wieder aufgebaut wurde. So ließ sich dieser Tag aber gut verstreichen und es folgte der nächste Tag. Der Tag, an dem ich endlich mit meinem Großvater nach London fliegen sollte. Ich wusste noch nicht, wie all das gehen würde. Aber ich wusste, ich musste allein zur Silberfederpearl-Kathedrale gehen und mich irgendwie von meinen Großvater wegschleichen. Aber zuerst folgte noch ein harter Schulalltag mit endlosem Stoff, wie die Geschichte der Wikinger oder der Mathematik über die hohen Prozentzahlen. Doch nachdem ich endlich erfolgreich meinen Schulalltag absolvierte, packte ich meine Sachen zusammen und verließ das Internat und den Hof. Sogleich fuhr der Bus ein. Es ging endlich nach Hause. Ich stieg aus dem Bus und betrat das Grundstück der Villa Flame of King. Als ich das Haus betrat, bemerkte ich eine angestrengte Anspannung und Hektik. Unsere neue Haushälterin, Mrs. Mudson, sprang von einer Ecke zu anderen, um noch einige Sachen für den Flug zu packen. Natürlich hatte ich soweit schon meine Sachen für den Flug im Internat gepackt. Holmes, meiner lieber Großvater, sprang geradewegs die Treppe runter und nahm mich fest in den Arm. Als er mich losließ bemerkte ich seine Nervosität im Gesicht. Wahrscheinlich deswegen, weil Opa Holmi zum ersten Mal in ein Flugzeug steigen sollte und es zu seiner Zeit nicht solche Flugapparate wie heute gab. Das Taxi fuhr ein und Opa Holmi beschwichtigte mich schon mal ins Taxi zu setzen. Also tat ich das im Gehorsam. Nach einer Weile und einigem Ruckeln des Kofferraums stieg auch endlich Urururgroßvater Holmes ein. Unser Chauffeur begann das Auto zu starten und die Fahrt ging los. „Zu meiner Zeit gab es wenigsten Pferde mit Kutschen und nicht solche Ungetüme“, vermerkte Großvater mit angespanntem Gesicht. Ich antwortete darauf, „Dieses Ungetüm, wie du es nennst, nennt man Auto und die sind schneller als deine Kutschen!“ Holmes lächelte angestrengt und erwiderte: „Sind sie auch sicher?“ „Natürlich“, gab ich zurück, „und nun entspann dich, Großvater! Das wird schon gut gehen!“ Darauf nickte er nur. Nun erreichten wir den Flughafen in Stuttgart. Schnell fanden wir jemanden, der uns beim Tragen des Gepäcks half. Da mein Großvater zum ersten Mal Fliegen sollte, checkte ich, mit zwölf Jahren, für uns beide ein, wobei sich die Frau des Flughafenpersonals im ersten Moment wunderte. Aber sie dachte sich weiter nichts, weil ja ein Erwachsener neben mir stand. Nachdem wir uns durchs Gedränge mit unseren Flugtickets durch wuselten, erschien das Flugzeug vor uns, mit dem wir nach London fliegen sollten. „Ich hoffe, du hast keine Flugangst, Opa Holmi“, bemerkte ich. „Sehr witzig! Mach dich nur über deinen Großvater lustig“, erwiderte er mit einem Schmunzeln. „Das kann ein Freakchild niemals richtig ohne Gefühle“, erklärte ich daraufhin. Wir stiegen ein und nahmen Platz in der 1. Klasse. Wieder folgte eine gewisse Zeit bis die Stewardess anmerkte: „Willkommen in der First Class! Bitte schnallen sie sich jetzt an! Danke! Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug!“ Nach einigen Turbolenzen
startete das Flugzeug los und wir flogen auf nach London. Nachdem wir uns endlich in der Luft hielten, durften wir uns abschnallen. Aber auf dem ganzen Flug krallte sich mein Großvater so sehr in die Lehne des Sitzes, dass ich dachte, dass seine Fingernägel jeden Augenblick abbrechen könnten. Zwischenzeitig stiefelte die Stewardess den Flugzeuggang entlang und bot den Passieren Essenspeisen und Getränke an. Ich nahm mir eine große Pizza und bemerkte, dass mein Opa Holmi nichts nahm. Also fragte ich: „Bist du sicher, dass du nichts willst? Wenn du magst kannst du ja von mir was abhaben?“ Aber mein Großvater gab keinen Ton von sich und so sollte es den ganzen Flug gehen. Ich glaube, dass mein Opa Holmi sich erst entspannen wird, wenn wir gelandet sind. Dann, nach einiger Zeit, war es so weit. Die Stewardess forderte uns in einem höflichen Ton auf: „Meine Damen und Herren, bitte schnallen sie sich an! Wir werden jetzt landen.“ Das taten wir dann auch. Aber mein Großvater war so erstarrt, dass ich mich kurzseitig wieder abschnallen musste, um ihn anzuschnallen. Ich flüsterte ihm noch ins Ohr: „Keine Angst, Großvater! Wir werden jetzt landen und dann wird es gleich vorbei sein.“ So versuchte ich, Opa Holmi zu beruhigen. Doch glaubte ich nicht, dass er mich hörte. Aber dann nach einem kurzen Rütteln, waren wir auch schon gelandet. Nun schnallte ich mich los und griff nach der Hand meines Großvaters und zog ihn so hinter mir her. Endlich, als wir draußen waren, holte mein Großvater tief Luft und gab einen Ton von sich. „Endlich ist es vorbei! Aber jetzt habe ich einen riesigen Hunger. Lass uns was Essen gehen!“ „Okay! Geht’s dir jetzt auch wirklich besser“, erwiderte ich auf seinem Kommentar. Holmes sah mich an und lächelte freundlich als er mich in den Arm nahm. „Ja, mir geht’s besser. Danke für deine Aufmerksamkeit“, antwortete Holmes. Wir holten unser Gepäck. Dann verließen wir den Flughafen. Alles war neu. Holmes bemerkte schnell, dass sich London sehr verändert hatte und ganz anders war, als es zu seiner Zeit war. Aber trotzdem fand Opa Holmi ein Restaurant, das es auch schon zu seiner Zeit gab und bis heute besteht. Scarsdale war sein Name. Nach einem leckeren Mittagessen, verließen wir wieder das Restaurant und machten uns auf, mit Hilfe eines Taxis, in die Baker Street 221. Nun standen wir vor der Baker Street 221 und betraten die Räumlichkeiten des Baker Street Museums. Die Schlüssel dazu lagen zusammen mit den anderen Sachen von Großvater in der Truhe. Was ich vergaß zu erwähnen, Großvater entdeckte sie durch Zufall und nahm sie gleich an sich. Es war wirklich alles leer in den Räumen der Baker Street. Mein Großvater Sherlock Holmes seufzte und klang ein bisschen wehleidig, als er äußerte: „All meine liebevolle und zu Recht gedachte Unordnung, alles weg. Einfach weg!“ In diesem Moment wusste ich nicht, wie ich meinen Großvater trösten sollte, wo ich doch selbst keine Gefühle hatte. Da es schon zu spät war ein Hotel aufzusuchen, beschloss Opa Holmi und ich in dieser Nacht in der Baker Street zu bleiben. Wir hatten ja schließlich zur Sicherheit noch zwei Luftmatratzen und Schlafsäcke eingepackt. Opa Holmi breitete die Luftmatratzen in einem Raum aus, in dem ein Kamin war. Das war sicherlich mal das Wohnzimmer von Holmes. Danach machte Holmes ein Feuer im Kamin, denn die Nacht sollte sicherlich kalt werden. Nun befahl mir Opa Holmi, mich fürs Bett fertig zu machen. Was ich auch ohne Widerspruch erledigte, denn ich war von der langen Reise sehr müde geworden. Als ich fertig war, legte ich mich auf die Matratze in meinem Schlafsack. Holmes deckte mich noch ordnungsgemäß zu und zog den Schlafsack zu. Ich kuschelte mich in meinen saumweichen Schlafsack und wünschte Großvater eine Gute Nacht, worauf er mir einen Gute Nacht Kuss auf die Stirn gab. Noch in Gedanken, beschloss ich die Silberfederpearl-Kathedrale morgen aufzusuchen, sobald sich eine günstige Gelegenheit dazu gab. Etwas kitzelte meine Nase. Langsam öffnete ich meine Augen und bemerkte, dass erste Sonnenstrahlen durchs Fenster schienen. Plötzlich sah ich, dass neben mir ein Zettel lag. Schnell erhob ich mich und nahm den Zettel in die Hand. Doch bevor ich den Zettel durchlas, sah ich mich im Raum um und bemerkte, dass mein Urururgroßvater Sherlock Holmes nicht mehr anwesend war. Ich fragte mich, wo er sein könnte? Doch schnell richtete ich meine Augen wieder auf den Zettel. Auf dem stand:

Meine liebe Miyu,

ich habe beschlossen, das Grab meines besten Freundes Dr. Watson aufzusuchen. Diesen Schritt muss ich allein gehen, um meine tiefe Trauer über meinen ehrenvollen Freund zu überwältigen. Darum bitte ich dich, Miyu, im Baker Street Museum auf mich zu warten. Dort bist du sicher, bis ich wiederkomme. Frühstück habe ich vor den Kamin für dich abgestellt.

Hochachtungsvoll, dein Großvater Sherlock Holmes

Das war die Gelegenheit, um zur Silberfederpearl-Kathedrale zu kommen. Hätte ich jetzt Gefühle, würde ich einen Freudensprung machen. Da ich aber nicht wusste, wann Opa Holmes wiederkommt, beschloss ich mich sofort auf den Weg zu machen. Damit ich rechtzeitig zurück bin, bevor er zurück ist. Schnell zog ich mich an und packte mein Frühstück für unterwegs ein. Draußen rief ich ein Taxi, das mich in die Oxford Street 185 fahren sollte. Ich stieg in das Taxi ein. Leider verstand der Fahrer meine wenigen englischen Kenntnisse sehr schwer. Aber nachdem ich ihm den Zettel gezeigt hatte, begriff der Taxifahrer mit langem Rauschebart und Sonnenbrille, wo es hingehen sollte. Er nickte und fuhr rasend davon. In der Zeit durchwühlte ich meine rote Umhängetasche mit Blümchenmuster. Nach der Kreditkarte, die mir mein Vater hinterlassen hatte und die ich von meinen Onkel bekommen hatte. Endlich konnte ich sie zum Einsatz bringen, denn ich hatte sie unter meinem Frühstück und Schreibzeug gefunden. Da hielt das Taxi auch schon vor der Silberfederpearl-Kathedrale an. Ich stieg aus und gab dem Taxifahrer meine Kreditkarte. Erst jetzt bemerkte ich, dass er ein scheußliches Hawaiihemd trug. Der Taxifahrer zog meine Kreditkarte durch ein Lesegerät und gab sie mir zurück. Dann fuhr das Taxi davon und nun drehte ich mich um. Die Silberfederpearl-Kathedrale war ein einzigartiges Gebäude. Sie war so sehr riesig, dass sie den Pariser Dom Notre Dame überragen konnte. Sie hatte zwei Türen aus Glas, das mit einem feinen Goldrand umzogen war. Darauf glitzerte die Sonne. Die Silberfederpearl - Kathedrale wurde gehalten von silbern überzogenen Säulen und besaß viele kleine Türme, die mit Perlen bestückt waren. Die Mauern erstrahlten durch ein leuchtendes Sonnengelb, sodass der erste Eindruck freundlich einladend wirkte. Außerdem hatte jedes bunte Mosaikfenster Gebilde, die aus Perlen dargestellt wurden. Zum Beispiel die weiße Taube, die aus hundertfachen Perlen im Mosaikfenster vom Turm der Kathedrale herunter schaute. Langsam öffnete ich die schwere Glastüre der Silberfederpearl und betrat die Kathedrale. Innen war es noch viel schöner als draußen. Die riesige Halle war hell und freundlich durch das Gelb der Wände. Schriften aus Silber und Perlen standen an der Wand. Bänke aus Eichenholz reichten bis zum Altar, auf dem eine riesige Bibel lag und Vasen, in denen Perlenzweige standen. Ein riesiges Kreuz, in dem ein Schriftzug aus Silber eingraviert war. Dort stand "Es ist vollbracht". Ich schaute mich überall um, ob mein Vater hier einen Hinweis hinterlassen hatte. Doch ich fand nichts und setzte mich auf einer der Bänke, um nachzudenken. Aber nach vielem Grübeln kam ich zu keinem Entschluss. Gerade wollte ich wieder die riesige Kathedrale verlassen als ich eine leise Stimme vernahm. „Schöne Feder, kleines Menschenkind! Willst du schon gehen? Passt so gut in mein Federkleid.“ Schöne Feder war die Bedeutung meines Namens, doch vorher kam die Stimme und woher kannte sie meinen Namen. Ich wusste es nicht und da rief ich einfach: „Wer ist da?“ Doch die Stimme sprach nur weiter: „Schöne Feder, passt so gut in mein Federkleid.“ Darauf erwiderte ich nur: „Wer bist du? Woher kennst du meinen Namen?“ Da antwortete die Stimme: „Schöne Feder, ich weiß alles! Deine Erinnerung an die weiße Taube ist nur verblasst, mit dem Verlorensein deines Herzens. Komm doch näher und geh nicht!“ Zuerst wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich zögerte und lauschte der Stimme. Damit ich erkennen konnte, woher sie kam. Noch einmal hörte ich sie: „Komm doch näher, kleines Menschenkind!“ Da wusste ich, woher die Stimme kam. Langsam ging ich auf den Altar zu. Jetzt stand ich direkt vor dem Altar. In mir spürte ich auf einmal ein starke und wohltuende Wärme. „Das kann nicht sein! Ich kann in meinem Herzen doch nichts mehr spüren, seit mein Herzstein weg ist. Doch woher kommt die Wärme“, dachte ich. Ich schaute mir den Altar von allen Seiten an und je mehr ich mich von der Stelle weg bewegte, desto weniger konnte ich spüren. Also stellte ich mich sofort wieder dahin, wo ich die Wärme spürte. Direkt vor dem Kreuz und der großen Bibel. Ich kniete mich zum Fuße des Altars und klopfte den Fußsockel ab. Da bemerkte ich einen kleinen Hohlraum. Ein Kasten war im Fußsockel eingebaut. Ich öffnete meine Umhängetasche und kramte nach meinem Taschenmesser. Schnell fand ich es und klappte das Messer auf. Nun ging ich den Linien mit dem Taschenmesser nach. Solange, bis ich eine kleine Spalte im kleinen Kästchen des Altars öffnen konnte. Den Rest schaffte ich auch mit der Hand und öffnete das Kästchen im Fußsockel ganz. Dann griff ich hinein und nahm eine weiße Taube heraus mit solch blauen Augen als würde man inmitten eines riesigen Ozeans sein. Es war ein Anhänger der weißen Taube, die an einer feinen, silbernen Kette, wie ich sie noch nie sah, hängte. Da sprach der Anhänger wieder zu mir und das Brennen in mir wurde noch stärker als zuvor: „Willst du mir dein Leben geben? Mir vertrauen? Wenn ja, werde ich immer bei dir sein, Schöne Feder, und du wirst dein Eigentum, deinen Herzstein, deinen kostbarsten Schatz wiederbekommen.“ Skeptisch schaute ich einen kurzen Moment das kleine Ding in meiner Hand an. Doch dann, ohne zu zögern, legte ich die weiße Taube um meinen Hals. Damit sagte ich ohne Worte ja zu dem Leben mit der weißen Taube. Ich stand auf und nahm noch einmal den Anhänger, der jetzt um meinen Hals lag, in der Hand. „Ist es das, was mein Vater mir hinterlassen wollte“, fragte ich laut. Da antwortete die Taube in meiner Hand: „Ja! Dein Herzstein wurde dir gestohlen! In seiner Trauer wandte sich dein Vater zu mir und als Geschenk ließ ich diesen Anhänger für dich da. Doch die Entscheidung, das anzunehmen, musstest du selbst treffen auch als Kind. Denn von jeher ist bekannt, dass die erste Liebe von mir kommt, das Leben, das ich den Kinder schenke. Denn ihr Kinder seid ein Geschenk an die Eltern und es ist auch von jeher bekannt, dass die Zipporas die Herzsteine stehlen, weil sie selbst keine haben können. Denn sie sind nicht wie Menschen, die ich erschaffen habe. Ich bin das wahre Erbe, das den Generationen hinterlassen wurde. Geh jetzt nach Hause, Schöne Feder! Ich werde immer bei dir sein!“ Mit diesen Worten verstummte die weiße Taube in meiner Hand und die Wärme in mir. Ich steckte den Anhänger unter meinen braun-goldgestreiften Pullover, nahm meine Sachen und verließ die Silberfederpearl-Kathedrale. Draußen holte ich tief Luft und versuchte noch einmal die Wärme in mir zu spüren, die so gut tat. Doch ich musste erkennen, dass da wieder nichts war. Aber ich hatte gefunden, was mir mein Vater hinterließ und dafür war ich dankbar. Doch ich wusste nicht, ob die Dankbarkeit echt war oder nur wieder gedacht. Aber das war unwichtig! Ich hatte die weiße Taube gefunden und sie angenommen. Schnell ging ich an den Rand der Straße, denn es kam ein Taxi, das ich sofort rief: „Taxi!“ Das Taxi hielt an und ich stieg ein. Diesmal saß ein schwarzer Afrikaner am Steuerrad mit Afrolook. Schnell schilderte ich ihm: „Bitte fahren sie mich in die Baker Street 221!“ Der Afrikaner verstand sofort, was ich sagte und fuhr brausend davon.





Good Bye London

Im Bakerhaus war es durch und durch stille. Ich suchte das ganze Haus nach meinem Großvater Holmes ab. Doch niemand war da. Überhaupt das ganze Museum hatte nur noch leere Räume und viel Staub. Die Dämmerung brach langsam herein und dunkle Wolken erfüllten den Himmel. Langsam machte ich mir Sorgen, ob meinen Großvater etwas passiert sein könnte. Erste dicke Regentropfen vielen vom Himmel. Anderseits war ich froh, dass ich vor ihm im Museum war. Denn er wäre sicherlich ärgerlich gewesen, wenn Holmes bemerkt hätte, dass ich mich über seine Anordnung hinweg setzte. Ich öffnete ein Fenster und schaute auf die Straße, in der Hoffnung, dass Holmes die Straße entlang kommen würde. Doch dem war nicht so. Also stieg ich wieder von der Fensterbank runter und schloss es. Auf dem Weg ins Wohnzimmer entdeckte ich auf einmal eine Visitenkarte mit der Adresse eines Friedhofs. Cemetery Saint 448, dass muss der Friedhof sein, an dem Dr. Watson begraben liegt, der beste Freund meines Großvaters. Ich setzte mich auf eine der Matratzen im Wohnzimmer. „Was sollte ich jetzt tun“, dachte ich nach. Doch dann entschied ich mich ohne zu zögern zu diesem Friedhof zu fahren. Ich nahm meine Sachen wieder plus Regenschirm und rief draußen ein Taxi. Der Taxifahrer wunderte sich, dass um die Zeit ein Mädchen um zwölf Uhr Nachts noch Taxi fahren wollte. Aber ohne weiter nachzufragen fuhr er mich zum Friedhof, als ich ihm die Karte zeigte. Als ich angekommen war, lief ich schnell mit Regenschirm auf den Friedhof Cemetery Saints. Dabei vergaß ich eine Taschenlampe mitzunehmen. Die Nacht war so rabenschwarz wie ein finsteres Loch, in dem ich nichts sehen konnte. Ich versuchte, mich im Dunkeln durchzutasten. Dabei musste ich aufpassen, dass ich über keine der Grabsteine stürze. Doch da ist es schon passiert. Ich übersah einen kleinen Stein, der aus der Erde ragte. Dabei fiel ich so übel, dass ich mir das Knie aufschlug und meine Kleidung mit Matsch vollspritzte. Die Wunde brannte und blutete fürchterlich. Denn vor körperlichen Schmerzen waren auch Freakchildren nicht bewahrt. Auf einmal leuchtete ein blaues Licht unter meinem Pullover wie das Licht einer Taschenlampe. Ich zog die weiße Taube aus meinem Pulli. Ihre tiefblauen Augen leuchteten so stark, dass ich blitzartig den ganzen Friedhof erkennen konnte. „In der Dunkelheit bin ich dir ein Licht“, sprach die weiße Taube und verstummte wieder. Doch das Licht blieb und ich musste erkennen, dass der Friedhof nicht nur uralte Grabsteine hatte, sondern auch riesig war. Trotz der Schmerzen versuchte ich weiter zu laufen, um Holmes zu finden. Im ersten Moment dachte ich, dass es ewig dauern würde bis ich das Grab von Watson finden würde. Doch schon um ein paar Ecken entdeckte ich Großvater Sherlock Holmes, wie er vor Watsons Grab niederkniete. Im ersten Moment hielt ich inne, denn Opa Holmi sah tief geknickt aus. Aber dann machte ich einen Schritt auf ihn zu. Unvermutet erhob sich Opa Holmi, so dass wir beide aneinander stießen. Doch Holmes hielt mich gerade noch so an den Schultern mit beiden Händen fest. Erschrocken sah er mich an und gab zu erkennen: „Miyu, was machst du hier? Solltest du nicht im Bakerhaus auf mich warten?“ „Ich hab mir gedanklich Sorgen gemacht, als du nicht da warst“, erklärte ich darauf. Dann bemerkte mein Großvater das Licht von den Augen der weißen Taube: „Was ist das für ein Licht?“ Und hielt meinen Anhänger in der Hand. Da erlosch das Licht in den Augen der weißen Taube. Schnell nahm ich Großvater den Anhänger aus der Hand und steckte ihn unter meinen Pulli. „Das gehört mir! Es ist ein Anhänger der weißen Taube. Den hab ich von meinen Vater“, erläuterte ich. Jetzt erkannte auch noch Großvater meine Wunde am Knie und den Schlamm auf meiner Kleidung, worauf er bemerkte: „Was ist passiert?“ Er hob mich hoch und setzte mich auf einen Stein, um sich die Wunde genauer anzuschauen. Ich gab keine Antwort drauf. Opa Holmi erhob sich, zog ein Taschentuch aus seinem Jackett und ging ein paar Zentimeter zum Wasserhahn. Dann wusch er mir mit dem feuchten Tuch die Wunde aus. Ich gab ein leises "Aha" von mir und kniff vor Schmerzen die Augen zu und zugleich ballte ich meine Hände zu Fäuste. Noch einmal fragte mich Großvater: „Sag schon! Wie ist das passiert, Miyu?“ Nun gab ich ihm doch eine Antwort: „Auf dem Weg hierher hatte ich zuerst noch kein Licht und versuchte, mich im Dunkeln zurecht zu finden. Dabei übersah ich einen Stein, der sich auf meinem Weg befand und stürzte.“ Ohne einen Wort noch weiter drauf zugeben, zog Holmes noch ein trockenes Tuch aus der Hose und verband mir dann damit das aufgeschlagene Knie. Als Nächstes hob mich Holmes mit beiden Händen vom Stein auf und wollte mich tragen. Doch ich protestierte. „Großvater, ich kann alleine laufen! Lass mich bitte runter! Außerdem wird dein Anzug schmutzig.“ Opa Holmi bemerkte streng: „Du bist jetzt still! Dein Knie ist geschwollen. Außerdem muss ich anmerken, dass du nicht gehorsam warst.“ Darauf gab ich nichts zurück und ließ es zu, dass er mich trug. Nach einer langen Taxifahrt setzte mich Holmes auf eine der Matratzen im Bakerhaus ab. „Es wird Zeit, dass du schläfst! Morgen fliegen wir wieder nach Hause“, meinte Großvater. Ich nickte und zog langsam meinen rotgepunkteten Schlafanzug an. Dann kam Opa Holmi mit Verband und Jodflasche. Er zog mir die Beinhose vom Schlafanzug hoch, nahm das Tuch ab und betupfte die Wunde mit Jod, das auf ein Stück Watte war. Danach verband Großvater mein Knie mit einer ordentlichen Mullbinde. Es brannte fürchterlich, aber ich ließ es über mich ergehen. Nun packte ich mich schlafen und Großvater Holmes deckte mich noch zu. Zum Abschluss gab mir Holmes wieder einmal einen Gute Nachtkuss. Wenn Watson das sehen würde, dass Holmes für ein Mädchen, für ein Kind, Gefühle zeigte, würde er sich sichtlich wundern, wo doch Großvater ein Denker ist. Die Nacht war furchtbar lang. Es kam mir so vor, als würde es ewig dauern bis ich einschlafe. Ich musste dauernd an die weiße Taube denken, den Anhänger und warum mir mein Vater das hinterließ. Aber vom vielen Denken bekam ich keine Antwort. Bald klappten meine Augen zu und ich schlief ein. „Miyu, steh auf! Es wird Zeit“, hörte ich eine Stimme aus der Ferne vordringen. Langsam öffnete ich meine Augen und kam zu mir. Es war Großvater, der umher schwänzelte und unser Gepäck packte. Nun erhob ich mich schnell. Als ich mich angezogen hatte, stellte ich mich Opa Holmi in den Weg, der gerade einen Koffer um die Ecke tragen wollte. „Bist du noch ärgerlich wegen gestern“, ermittelte ich ohne Punkt und Komma. Holmes stellte den Koffer ab und sah mich fest an. Worauf er sich äußerte: „Ich war nie ärgerlich auf dich. Außerdem hätte ich als Detektiv, wo ich ja einer bin, genauso gehandelt. Wobei es bei kleinen Mädchen doch hier noch sehr gefährlich ist.“ Darauf erläuterte ich: „Ich bin kein kleines Mädchen! Ich bin schon zwölf! Das solltest du nicht vergessen, Sherlock Holmes!“ Mit hocherhobenen Augenbrauen bemerkte Sherlock Holmes: „Ist das ein Grund, mich nicht mehr Opa Holmi zu nennen und mich nicht mehr als Großvater anzuerkennen?“ „Tut mir leid“, gab ich zurück. Mit einem Seufzer und einem Lächeln erklärte Holmes: „Vielleicht habe ich mich einfach etwas unverständlich ausgedrückt? Ich meinte, du bist zwar eine Detektivin und sehr gut im Kombinieren, doch hast du noch ein junges Alter, sodass Erwachsene für dich verantwortlich sind. Passiert einem Erwachsenen etwas, ist das ein Drama. Doch passiert einem Kind etwas, ist das eine Katastrophe.“
Jetzt verschränkte ich meine Arme und teilte Großvater
Mit: „Und warum sind Erwachsene so kompliziert, dass Sie um den heißen Brei herumreden? Anstatt zu sagen, dass Sie nicht wollen, dass ihrer Enkelin etwas passiert.“ Schmunzelnd sah mich Opa Holmi an, deutete mit einem Lächeln: „Weil manche Erwachsene nur Denker sind und wenig Ahnung von Gefühlen haben.“ Er streichelte mir über den Kopf und wollte gerade an mir vorbeigehen, als ich erwähnte: „Was soll ich sagen? Wo ich keine Gefühle... .“ Doch da hatte Großvater diesen strengen Blick aufgesetzt und sprach mit strengem Ton: „Schluss jetzt, Miyu! Du packst jetzt deine Sachen! Ziehst dir deine Schuhe an und dann gehen wir! Unser Flug wartet.“ Ich verstummte und wollte nicht bereitwillig einen Schritt tun. „Worauf wartest du“, fragte Holmes, der meine unwillige Haltung bemerkte. Mit einer Handbewegung drehte er mich um und wies mich an, die Sachen zu tun, die er mir aufgetragen hatte. Nun tat ich doch, dass was Opa Holmi verlangte. Denn ich wollte keinen Aufstand machen, wo ich mich nicht verplappern wollte, dass ich allein zur der Silberfederpearl-Kathedrale gefahren bin. Bald darauf waren wir am Flughafen. Der Flug nach Deutschland startete schnell. Diesmal blieb Holmes ziemlich gelassen. Anscheinend hatte er sich an Flugzeuge gewöhnt. Gedanklich schaute ich von oben auf London und dachte zum Abschied: „Good bye, London! “




Miyu's erster Fall

Auf unserem Flug von London herrschte eisige Stille zwischen mir und Holmes. Es kam zu einem großen Knall im letzten Gespräch zwischen mir und meinem Großvater. Die eisige Stille sollte so bleiben bis zur Villa Flame of King und bis zum Abend. Mrs. Mudson begrüßte uns freudestrahlend als wir das Haus betraten. Doch schnell bemerkte sie unsere gekippte Stimmung. „Was ist denn mit ihnen los? War der Flug so anstrengend“, bemerkte Mrs. Mudson. „Ich weiß, was gegen miese Stimmung hilft! Leckere Pfannkuchen mit dicker, fetter Schokolade!“ Da war sie, die gute alte Mrs. Mudson, um uns beiden Pfannkuchen zu machen. Schweigend zogen wir unsere Sachen aus. Dann nahmen wir unsere Koffer, gingen auf unsere Zimmer und packten die Koffer aus. Nach einer Stunde hatten wir es endlich geschafft, die Koffer auszupacken. Nun begaben wir uns in die Küche. Holmes und ich betraten gleichzeitig den Flur. Doch keiner von uns gab nur einen Ton von sich. Schon von unten her konnte man die Pfannkuchen riechen. Also ging ich ohne ein Wort zu sagen nach unten, wobei Großvater mir folgte, den ich weiterhin ignorierte. Gemeinsam nahmen wir unsere Mahlzeit zu uns, doch wir verbrachten dies schweigend. Langsam neigte sich der Tag zum Ende und ich beschloss, nach dem Essen auf mein Zimmer zu gehen. Da ich frühzeitig zu Bett gehen wollte, denn morgen begann ja auch dann wieder die Schule. Nun lag ich im Bett, nachdem ich mich umgezogen hatte und die Zähne geputzt hatte. Ich drehte mich zur Wand und wollte gerade einschlafen. Als plötzlich die Tür auf ging und jemand herein kam. „ Miyu, ruhst du schon?“ Es war Großvater, der auf meinem Bettrand saß. Doch ich reagierte nicht, weil ich immer noch nicht mit Großvater sprechen wollte. Da bemerkte ich, wie Opa Holmi's Gewicht von meinem Bett verschwand. Er beugte sich zur mir herunter und gab mir einen Kuss auf meinen Kopf. „Gute Nacht, Miyu!“ Am nächsten Tag hatte die Haushälterin Mrs. Mudson schon alles für die Schule gepackt. Ich nahm sogleich meine Schulsachen und verließ die Küche. Mrs. Mudson rief mir hinterher: „ Willst du nicht frühstücken, Kleines?“ „ Nein, danke“, rief ich zurück. „Nimm dir wenigsten etwas mit, Miyu! Kinder in deinem Alter sollten etwas essen“, erläuterte Mrs. Mudson laut. Nun kam ich zurück in die Küche. Mrs. Mudson hielt mir ein eingewickeltes Brot mit Apfel entgegen. Ich nahm es an und erwiderte: „Danke, Mrs. Mudson. Das ist sehr freundlich von ihnen.“ Darauf bemerkte Mrs. Mudson: „Du bist ein wohlerzogenes Kind!“ Ohne mich von Großvater zu verabschieden verließ ich das Haus. Der Bus fuhr ein und er startete los zur Schule und Internat. Im Internat herrschte große Aufregung als ich ankam. Irgendetwas schien passiert zu sein. Aber ich wusste nicht was. Also beschloss ich erstmal in mein Zimmer zu gehen und meine Sachen aus zupacken. Als ich das Zimmer betrat stand ein Mädchen vor mir mit kastanienbraunem Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Da drehte sie sich um und ich entdeckte in ihrem Haar auf beiden Seiten zwei lange grüne Strähnchen. Um ihren Hals trug das Mädchen ein rotes LivingHeart, das Herz des Mutes, was die grünen Strähnchen erklärte. Tief dunkelbraune Augen starrten mich an und ich sah sie fassungslos an. Aber dann räusperte ich mich: „Wer bist du? Und wo ist Amanda?“ Das Mädchen starrte mich weiterhin an und erwiderte darauf: „Mein Name ist Nadine Adams! Außerdem sagt die Schulordnung, das ein
Freakchild und ein Freakchild nicht in einem Zimmer gemeinsam wohnen dürfen, damit es keine Außenseiter gibt.“ Ich schloss die Tür und trat auf dieses fremde Mädchen zu. „Amanda ist kein Freakchild! Sie hat ein blaues LivingHeart!“ „ Oh, verstehe“, offenbarte Nadine. „Du weißt es noch nicht?“ „ Was weiß ich nicht“, merkte ich an. „ Hast du die Aufregung draußen nicht bemerkt? Amanda ist jetzt kein Normalo mehr! Letzte Nacht wurde ihr blaues Herzstein von den Zipporas gestohlen. Sie ist jetzt ein Freakchild genau wie du, Miyu“, erzählte Nadine. Ich starrte sie ausdruckslos an und fragte laut: „ Was sagt du da und wo ist Amanda jetzt?“ Nadine legte ein paar Sachen auf ihrem Bett zurecht als sie antwortete: „Sie ist im Krankenzimmer. Gleich nachdem es... .“ Doch so weit ließ ich Nadine nicht mehr zu Wort kommen. Ich ließ meine Sachen auf dem Boden fallen und rannte aus dem Zimmer. Die Tür knallte noch zu. Ein Lehrer rief mir noch hinterher: „Die Türen werden nicht geknallt, junges Fräulein und auf dem Flur wird nicht gerannt!“ Da war ich schon um die Ecke gebogen. Ich betrat das Schwesternzimmer. Es war ein riesiger Saal, in dem ein Bett neben dem anderen aneinander gereiht war. Vorne am Eingang stand ein Tisch mit vier Stühlen. Auf einem dieser Stühle saß Amanda. Ich setzte mich neben sie und legte meine Hand auf ihre Hand. Ihre Augen waren leer, jegliche Freundlichkeit schien aus ihren blauen Augen heraus gesaugt zu sein. „Amanda, was ist passiert?“ Doch es kam keine Antwort. Im ersten Moment dachte ich, dass vor mir nur ein lebloser Körper sitzen würde. Doch dann bewegten sich Amandas Lippen ganz langsam. „Gestern Nacht, da waren so schöne Sterne draußen am Himmel. Ich wollte rausgehen und sie malen, um das Bild einer Frau aus dem Nachbardorf zu schenken, die sehr verbittert ist. Ich wollte dieser Frau eine Freude machen. Aber der Abendhimmel war so schön, dass ich mich zum allerersten Mal so sehr freute, dass ich von ganzen Herzen lachen musste. So tief, dass mein blauer Herzstein anfing zu leuchten und ich seine warmen Strahlen in meinem Herzen spürte. So was hatte ich noch nie gespürt, Miyu. Es war wunderbar. Aber dann hielt ein rotes Auto vor mir. Ich glaube, es war eine Limousine mit einem Z darauf. Männer mit roter Kleidung und großen roten Hüten sprangen heraus. Einer hatte ein kleines Kästchen mit geschwungenen roten Linien. Er öffnete es und heraus kam eine rote Kralle, die auf mein LivingHeart zujagte. Die Kralle umschloss meinen Herzstein fest. Ich versuchte, mich zu wehren. Aber die Kralle war stärker. Auf einmal spürte ich solche Schmerzen in meiner Brust. Ich dachte, ich würde sterben! Mein Herzstein ist verschwunden und ich wachte erst hier im Schwesternzimmer auf.“ Amanda verstummte wieder und ich stellte eine weitere Frage. „Haben diese Typen, die dir das angetan haben, etwas zurückgelassen?“ „Ja“, teilte Amanda leise mit. Mit ihrer anderen Hand griff sie in ihre Tasche und zog ein rotes Tuch hervor. Sie legte das Tuch auf den Tisch. Dann blieb Amanda wieder in dieser stummen Haltung stehen. Ich nahm das Tuch in die Hand. Darauf standen dieselben Worte in Gold wie auf meinem Tuch. "Wo die Sonne am Dunkelsten scheint und das bunte Licht über uns erstrahlt. Wo die Kristalle unsere Lippen beschmücken, da sind wir". „Weißt du, Miyu, eigentlich bin ich doch wie tot schon. Die Ärzte und die Schwester unserer Schule wollen, dass ich umdenke. Sie legen mir jeden Tag Blätter mit unendlichen Zahlen vor, die ich laut lesen soll und wenn ich nicht den Ausgleich schaffe, dann werde ich sterben, weil kein Mensch ohne Gefühle leben kann. Es sei denn, durch einen Ersatz, der das ausgleichen könnte. Aber nie mehr so wie vorher. Solange ich denken kann, hatte ich mein blaues LivingHeart und jetzt habe ich meine Gabe der Freundlichkeit verloren. So kann ich nicht leben! Ich weiß doch noch, wie es ist, etwas zu fühlen. Ich kann nicht mal mehr über den Verlust weinen, dass ist doch schrecklich!“ Ich stand auf und stützte mich mit meinen beiden Händen auf dem Tisch ab. Bestimmt erklärte ich Amanda: „Amanda, so was darf du nicht sagen! Ich werde dafür Sorgen, dass du deinen Herzstein wieder bekommst!“ Ich gab ihr einen Kuss auf den Kopf und verließ das Schwesternzimmer mit dem Tuch. Draußen dachte ich noch einmal über Amanda nach. Ich wusste, keine Worte der Welt könnte sie trösten. Ohne Gefühle war man einfach leblos. Aber auch ich konnte nicht so mit reden. Denn ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie es war, etwas zu fühlen. Auch war ich es schon lange gewöhnt, ein Freakchild zu sein, weil ich damals sehr klein war als mein Herzstein gestohlen wurde. „ Miyu, gut, dass ich dich gefunden habe!“ Jemand riss mich aus meinen Gedanken. Es war mein Onkel Andrew, der Direktor unserer Schule. „ Was gibt es, Onkel?“, erkundigte ich mich dann zurückkehrend aus meiner Gedankenwelt. Onkel Douai sah mich an und räusperte sich: „ Bitte begleite mich doch in mein Büro!“ Ich nickte und folgte ihm in sein Büro. Nun waren wir in seinem riesigen Büro mit einem alten Präsidentenschreibtisch und Chefsessel. Unendlich viele Regale standen hier. Aber mit einem wunderschönen Blick auf einen See. Onkel Andrew stand gerade am Fenster und guckte auf den See mit seinen Grünanlagen. Es war Winter und die Grünanlagen waren mit Schnee bedeckt. „ Entschuldige, ich hab vergessen, dass ich dich hier nicht Onkel nennen soll“, erklärte ich bedauernd. Onkel Douai sah mich mit einem sanften Blick an und äußerte sich: „Das ist doch jetzt unwichtig, Miyu! Deswegen wollte ich dich nicht sprechen. Außerdem glaube ich langsam, dass das eine unsinnige Regel ist.“ Er schwieg einen Moment, aber dann hielt ich es nicht mehr aus. „ Was ist mit dir, Onkel? Du guckst so traurig!“ Da begann Onkel Andrew sein Anliegen vorzubringen. „ Ich wollte mir dir über Amanda reden! Du warst doch gerade bei dir?“ „Ja“, erwiderte ich. Onkel Douai offenbarte: „ Weißt du, ich hab gerade ein Gespräch mit unseren Ärzten gehabt. Amanda spricht mit keinem Erwachsenen mehr und auch mit keinem Schüler, seit sie ihr LivingHeart verloren hat. Auch gibt es keine Regungen von ihr. Sie sitzt einfach nur da. Trotz jeglicher Hilfestellung, einen Ausgleich zu schaffen gegen ihr verlorenes Herzstein.
Miyu, du musst wissen, dass Amanda ein seltener Fall ist.
In den meisten Fällen wird nur kleineren Kindern ihr Herz
gestohlen, weil sie sich nicht so sehr unter Kontrolle haben können wie schon etwas ältere Kinder. Noch dazu kommt es,
dass, wenn einem kleinerem Kind das LivingHeart gestohlen
wird, es kein Problem ist, den Ausgleich zu schaffen. Weil es
noch nicht verstehen kann, was mit ihm passiert ist und es
auch noch nicht so wahrnehmen kann wie ein älteres Kind. Doch Amanda ist in einem Alter, wo sie versteht, was mit ihr passiert ist und dies auch bewusst spürt, was das Problem umso schwieriger macht. Sollte Amanda nicht anfangen die Übungen zu machen und zu versuchen den Ausgleich zu schaffen, wird sie spätestens innerhalb zwei Wochen ins erste Stadion fallen. Nämlich ins Koma!“ Schockiert sah ich Onkel Douai an, so fern das ohne Gefühle geht. Ich antwortete drauf: „ Ich wusste nicht, dass es so schlimm um Amanda steht! Aber hör doch, Onkel! Ich war doch gerade bei ihr und sie hat mit mir gesprochen. Amanda hat mir erzählt, was passiert ist.“ Onkel Andrew machte ein erstauntes Gesicht, ging um den Schreibtisch herum und kniete sich zur mir herunter, legte beide Hände auf meine Oberarme und sprach erfreut: „Ist das wahr, Miyu?“ „Ja, Onkel“, versicherte ich Onkel Andrew. „Miyu, das ist ja wunderbar! Wenn du versuchen würdest, mit Amanda zu sprechen, sie dazu bewegen könntest, jeden Tag die Übungen zu machen und zu Essen und zu Trinken, um ihr überleben zu sichern, dann würde mir ein Stein vom Herzen fallen. Wenn du dir jeden Tag zwei Stunden Zeit für Amanda nimmst, dann werde ich dich von einigen Schulstunden frei sprechen“, meinte Onkel Andrew. „Onkel Andrew, das ist doch nicht nötig! Ich würde auch Amanda helfen ohne mir einen Vorteil daraus zu versprechen. Das ist doch klar, dass ich das mache“, gab ich zu. Jetzt lächelte Onkel Douai und machte mir klar: „Miyu, auch wenn du nicht meine Nichte wärst, würde ich das so anordnen, weil es schon für Erwachsene anstrengend ist und deshalb ist es für ein Kind noch anstrengender. Aber ich wusste, dass ich mich auf meine liebenswürdige Nichte verlassen kann. Du bist ein tolles Kind“, lobte mich Onkel Andrew Douai. Die Geschichte mit Amanda nahm meinen Onkel so sehr mit, dass er vergaß, dass ich ihn in der Schule Herr Direktor Douai nennen sollte. Bald sprach es sich rum, dass ich die Nichte von unserem Direktor war. Aber das Getuschel machte mir nichts aus. Ich kümmerte mich jeden Tag um Amanda und versuchte trotz des Verlusts ihres Herzsteins sie zum Leben zu ermutigen. Ich zeigte ihr, wie man Gefühle mit Hilfe der Mimik darstellen kann, obwohl keine vorhanden waren. Wir machten Gesichtsübungen oder Amanda las laut Zahlen vor: „2385, 7666, 99873, 567, 32564... .“ So ging es immer weiter. Sie begann wieder zu Essen und zu Trinken. Das war eine große Freude für Onkel Douai, aber auch für ihre Eltern, die sie alle vier Wochen besuchten. Aber plötzlich brach alles zusammen. Amanda hörte auf, die Übungen zu machen. Essen und Trinken verweigerte sie wieder. Jegliches Zureden half nicht mehr. Ich schaffte es, dass sie zwei Wochen länger lebte und dann geschah es. Nach vier Wochen fiel Amanda ins Koma. Im Schwesternzimmer wurde sie nun an Überlebungsgeräte angeschlossen und künstlich ernährt. Jetzt kamen Amandas Eltern jede Woche und standen weinend an ihrem Bett. Manchmal sah ich hinein, aber schnell ging ich weg. Weil Gefühle fremd für mich waren. Für mich ging der Schulalltag ganz normal weiter. Aber ich wusste auch, dass die Zeit gegen Amanda rannte. Sie wird zwar künstlich ernährt, doch weil Amanda den Ausgleich nicht geschafft hatte, war es nur eine Frage der Zeit bis auch das restliche Leben aus ihr verschwand. Die einzige Rettung war jetzt nur noch ihr blaues LivingHeart. Aber war das wirklich ihre einzige Rettung? „Wenn ich wenigstens doch etwas darüber empfinden könnte, dass Amanda ins Koma gefallen ist“, darüber dachte ich nach als ich nachts in meinem Zimmer am Fenster stand. Nadine schlief ruhig und selig neben meinem Bett. Jede von uns hatte einen kleinen Nachttisch und zwei Schreibtische, aber nur ein Schrank, den wir uns teilen sollten. Bescheidenheit war Onkel sehr wichtig. Sein Herzstein war ja auch gelb, das Herz des Sanftmutes, was dasselbe wie Bescheidenheit war, bevor es in seinen Körper ging. Auf einmal lief etwas meine Wange runter und ich spürte in mir etwas Bedrückendes und Schmerzhaftes. Mit meinen Fingerspitzen berührte ich meine Wange. Mein Gesicht war ganz nass und ich bemerkte, dass das Tränen waren. „ Aber das kann doch nichts sein! Ich kann doch nicht weinen und auch nicht traurig sein! Wie war das möglich?“, flüsterte ich. „Schöne Feder, das ist mein Schmerz und meine Tränen, die du da spürst. Mir ist nichts unmöglich! Was ich fühle, kann ich dich auch fühlen lassen. Trotz deinem verlorenen Herzstein“, meinte die weiße Taube. Ich nahm den Anhänger in meine Hand. „Du warst das?“ Die weiße Taube leuchtete wieder in einem hellen, weißen Licht und offenbarte: „Amandas Schicksal lässt mich nicht unberührt. Sie ist eins meiner Geschöpfe. Aber wer mir nicht gehört, dessen Herz kann schnell verloren gehen.“ „ Was ist mit mir? Gehöre ich dir auch nicht? Denn mein Herz hab ich auch verloren und es noch nicht wieder gefunden“, fragte ich die weiße Taube. Die weiße Taube in meiner Hand antwortete: „Du hast deine Entscheidung getroffen! Weil du mich immer bei dir trägst, bin ich in deinem Herzen. Du bist jetzt eins meiner Kinder! Du wirst dein Herz wieder bekommen. Dann werde ich es erneuern und niemand kann es dir mehr stehlen, weil es mir dann gehört.“ Lange sah ich die weiße Taube an. Nach einiger Zeit erläuterte ich: „Aber irgendwas muss man doch für Amanda tun können? Sie liegt jetzt im Koma und kann sich nicht mehr entscheiden. Kann man nichts mehr für Amanda tun?“ „ Doch, man kann was für Amanda tun“, erwähnte die weiße Taube. „Bist du denn bereit, etwas für Amanda zu tun?“ Ich schaute die weiße Taube an und erwiderte: „Ja! Ich will ihr helfen!“ Leuchtend teilte die weiße Taube mit: „Dann lass dich von mir führen! Ich führe dich zu dem Ort, wo du ihr Herz finden kannst. Wenn du auch klein bist, so besitzt du auch innere Größe. Jeder soll sehen, dass ich auch das kleinste Kind gebrauchen kann. Du wirst oft vor der Entscheidung stehen, ob du mehr auf mich hörst oder auf einen Menschen. Ich will die Welt in Erstaunen versetzen durch ein Kind, das ich gebrauche. Damit viele sehen, dass mir alles möglich ist und dass viele zum Glauben an mich kommen. Schöne Feder, auch wenn du noch nicht sofort dein Herz zurück bekommst, willst du mir trotzdem helfen, die Herzen von vielen anderen wieder zu finden, damit sie mich annehmen und erneuert werden können? Denn dadurch kann niemand mehr ihre Herzen rauben, weil sie dann mir gehören.“ Einen Moment ging ich in mich, aber dann: „Ja, ich will es tun!“ Auf einmal erhob sich das Schmuckstück. Ich zog mir schnell meine rote Jacke an und die weiße Taube führte mich aus dem Zimmer. Aus dem Schloss mitten ins Dorf Rosenspring. Dann an ein paar Häusern vorbei um die nächste Ecke. Bis ich an ein Wirtshaus ankam, das den Namen "Goldende Holzliesel" trug. Vor dem Eingang standen zwei Zipporasleute mit großen roten Hüten und bewaffnet mit alten Pistolen. Da bemerkte ich, dass ich zwar daran gedachte habe, eine Jacke anzuziehen, aber ich vergaß, dass ich noch Hausschuhe und Nachthemd anhatte. Es war bitterlich kalt, als das Licht der weißen Taube erlosch und ich beschloss, mich trotzdem etwas umzusehen. Ich schlich mich durch die dicke Schneeschicht von hinten ans Wirtshaus. Es war ein sehr großes gelbes Wirtshaus mit braunen Balken. Aber trotzdem konnte ich mit Hilfe von ein paar Kästen durch eins der Fenster schauen. Drinnen wimmelte es nur so von Zipporas. Überall in jeder Ecke waren Glühbirnen befestigt, die stark schienen und in einer der Ecken war der Wirt an einem Stuhl gefesselt und geknebelt. Ich beschloss, die Regenrinne raufzuklettern. Zuerst dachte ich, ich könnte das obere Fenster nicht erreichen, aber nun war es, wo ich die Regenrinne heraufgeklettert war, nur noch ein kleinerer Abstand. Ich versuchte, in das obere Fenster reinzuschauen. Aber irgendwie gelang es mir nicht. Ich streckte meinen Fuß aus, um Halt auf der Fensterbank zu finden. Doch mein Fuß rutschte jedes Mal ab. Dann kam die blitzende Idee! Ich schwang mich an der Regenrinne hin und her. Als genug Schwung war, ließ ich schnell die Regenrinne los und ergriff geschwind mit beiden Händen die Fensterbank. Mühevoll zog ich mich hoch, damit ich einen Blick ins Fenster erhaschen konnte. Da sah ich auf dem Schreibtisch eine Schatulle mit rotverzierten Linien. Das muss das Kästchen sein von dem Amanda erzählte. Überrascht stellte ich fest, dass neben der Schatulle Amandas blaues
LivingHeart lag. Ich versuchte, das Fenster zu öffnen, aber es
war fest verschlossen. Plötzlich rutschte ich mit meinem Fuß ab und verlor dabei meinen Hausschuh. Gleichzeitig stürzte ich in die Tiefe. Aber ich hatte noch mal Glück gehabt und plumpste in einen riesigen Müllcontainer, worauf zugleich der Deckel durch den Aufprall zuknallte. Doch dankbar war ich darüber, dass ich weich gelandet bin. „Da war doch was? Lass uns nachschauen“, hörte ich Stimmen vordringen. Ich wurde ganz still, mucksmäuschenstill. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Geräusch auf dem Mülldeckel. „ Ach, nur eine Katze! Los, stellen wir uns wieder auf unseren Posten! Sonst kriegen wir Ärger mit unserer Chefin.“ Ich wartete, bis die Zipporas verschwunden waren, obwohl es in einer Tonne übel riecht. „Los rein! Es wird gleich hell“, befahl einer der Stimmen. Endlich konnte ich meinen Kopf aus der Mülltonne heraus stecken und bemerkte, dass es langsam hell wurde. Die Sonne stieg auf und ich krabbelte mühsam aus der Tonne. Noch einmal schaute ich durchs untere Fenster. Im Wirtshaus wurde es dann noch heller, weil noch mehr Glühbirnen an gemacht wurden, sodass jede Ecke beleuchtet wurde. Denn die Zipporas zogen jede Gardine zu und machten jedes Brett zu. Ach ja! Denn Zipporas fürchten sich vor der Dunkelheit. Ich kletterte herunter und suchte erstmal meinen Hausschuh. Aber ich fand ihn nicht, dafür fand ich etwas anderes. Nämlich neben der Mülltonne war ein Lüftungsschacht. Schnell fand ich eine lange schmale Metallstange, mit deren Hilfe schaffte ich es, die Schrauben zu lockern und entfernte das Eisengitter. Als Nächstes kletterte ich hinein und krabbelte mich durch die Gänge der Lüftungsanlage. Da hielt ich vor einem Gitter, das mir Einblick in einen Raum verschaffte, der nur einen Schreibtisch und einen Stuhl hatte, auf der eine Frau mit einem großen roten Hut saß. Dazu trug sie auf ihrem linken Auge eine Augenklappe mit einem roten Z, das eingraviert war. Ihre Haare waren pechschwarz wie die allerdunkelste Nacht, die sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte. Aus einem Auge blitzte eine gelbe leere Pupille heraus. So etwas habe ich noch nie gesehen. Die Frau war ganz in rot gekleidet und trug auf ihrer rechten Seite eine alte Pistole sowie alle Zipporas. Doch irgendwas war anders an ihr. Eine unheimliche Atmosphäre ging von ihr aus. Plötzlich klopfte es an der Tür. „Herein“, befahl die Frau. Herein kamen zwei rote Zipporas, die Frau erhob sich und äußerte sich mit einer festen Stimme: „Was war das draußen für ein Krach?“ Die zwei Zipporas machten eine Verbeugung und erwiderten: „Nichts, Meisterin Zilan! Nur eine Katze, aber wir haben neben der Mülltonne einen Hausschuh mit Stern gefunden. Es scheint so, als wäre ein Kind in der Nähe gewesen.“ „Oh Gott“, dachte ich, „Sie haben meinen Hausschuh gefunden!“ Die Zipporafrau mit Namen Zilan funkelte auf einmal so böse, dass ihr Gefolge zusammenzuckte. Da antwortete sie: „Und was habt ihr zu berichten? War es ein lebendiges Kind? Vielleicht war es ja auch nichts und ihr habt euch das nur eingebildet. Denn was sollte auch ein Kind mitten in der Nacht hier draußen zu suchen haben? Es kann genauso gut eine Mutter gewesen sein, die den Hausschuh weggeschmissen hat. So antwortet endlich!“ Die beiden Zipporas guckten sich zuerst an, dann trat der eine vor und erfragte: „Bitte um Erlaubnis, sprechen zu dürfen.“ „Sprich“, befahl die Frau Zilan. Der Zippora räusperte sich. „Wir wissen es nicht. Wir haben schließlich nur die Katze gesehen. Aber weil der Hausschuh hier so neu aussah und wir frische Fußspuren im Schnee fanden, dachten wir, ein Kind müsste in der Nähe sein.“ Zilan stellte sich jetzt vor den Schreibtisch, verschränkte die Arme und gab zur Antwort: „Ihr sollt nicht denken, sondern meine Befehle ausführen! Nun gut, heute Nacht werdet ihr alles noch mal durchsuchen und solltet ihr ein Kind finden, dann bringt es zu mir! Klar?“ In strammer Haltung antworteten die beiden Zipporamänner: „Jawohl, Boss!“ Nun verließen die Männer wieder den Raum und Zilan setzte sich auf ihren Stuhl und rieb sich den Kopf. Leise sprach ich aus. „Das muss die Anführerin der Zipporas sein. Zilan!“ Da leuchtete die weiße Taube auf. „Ja, das ist sie, schöne Feder. Du musst dich vor ihr in Acht nehmen. Sie ist sehr gefährlich, aber ich bin dein sicherer Schutz. Nun komm, ich führ dich zu dem Zimmer, wo du Amandas Herz zurückbekommst!“ Ich krabbelte weiter und ließ mich von der weißen Taube führen. „Eine unheimliche Frau“, bemerkte ich in meinen Gedanken. Nachdem ich um ein paar Kurven entlang gekrabbelt bin, kam ich endlich zu dem Gitterfenster, in der Amandas Herz und die merkwürdige Schatulle war. Diesmal ließ sich das Gitter sehr leicht abnehmen. Als Nächstes stieg ich durch das Lüftungsloch. Ich hielt mich noch einen Moment mit beiden
Händen fest am Lüftungsloch, bevor ich mich fallen ließ. Eine Sekunde ließ ich mich von der Decke baumeln, dann ließ ich los und landete auf allen vieren. In diesem Raum sah ich, dass mehr drin stand als im letzten Raum. Hier war außer Schreibtisch und Stuhl, ein Bett sowie ein alter dunkler Schrank. Schnell ging ich um den Schreibtisch und erkannte dabei, dass noch mehr LivingHearts da lagen. Dabei sah ich
auf ein Herz, das die Farbe weiß hatte. Ich nahm es in die Hand und spürte auf einmal in meinem Herzen ein lautes Klopfen. Es war mein weißes LivingHeart, doch da machte die weiße Taube klar: „Schöne Feder, nimm nur Amandas Herz! Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Vertraue mir!“ Ich hielt inne und zögerte einen Moment, aber dann erinnerte ich mich an die Geschichten, die mir mein Vater von der weißen Taube erzählte. Die weiße Taube ist gut! Sie macht keine Fehler! Auch wenn es mir schwer fiel. Ich wollte der weißen Taube
vertrauen. Also legte ich mein weißes LivingHeart wieder hin und nahm Amandas blaues LivingHeart an mich. Ich wickelte das blaue Herzstein in ein weißes Tuch ein und legte es sicher in meine rote Jackentasche hinein, zog den Reißverschluss zu, damit Amandas Herzstein sicher verwahrt war. Tiefe Luft zog ich durch meine Nase und ließ einen Seufzer los. „Gut gemacht, schöne Feder“, lobte die weiße Taube. Nun fiel mein Blick auf die Schatulle mit dem merkwürdigen roten Z. Ich sah sie mir genauer an und wollte die Schatulle öffnen, die schwarz gekleidet war, sodass die roten Linien noch mehr hervor stießen. „Vorsicht, Schöne Feder! Öffne Sie nicht“, warnte die weiße Taube. „Was ist das für eine Schatulle“, fragte ich nach. Die weiße Taube antwortete: „ Die Schatulle Zed! Es gibt noch sechs weitere Schatullen. Insgesamt sind das sieben Schatullen und jede trägt ihren eignen Namen. Öffne sie nicht! Denn in ihr befindet sich eine Zipporakralle. Wenn du sie öffnest, würde sie dir das Herz aus dem Leib auch noch heraus reißen und dein Leben wäre vorbei.“ Ruckartig zog ich meine Hände von der Schatulle Zed weg. „ Wie sind die weiteren Namen der anderen Schatullen“, ersuchte ich die weiße Taube, aber noch immer den Blick auf die Schatulle gerichtet. „Das hier ist Zed, wie ich eben gesagt habe. Dann kommt Ira, Pius, Paka, Oro, Ray und Ago. Du erkennst sie daran, dass jeder ihren Anfangsbuchstaben eingraviert hat. Stellt man die Schatullen zusammen, ergeben sie das Wort "Zippora". In jeder von diesen Zipporaschatullen verbirgt sich eine gefährliche Zipporakralle, die nur darauf lauert, das Herz eines Kindes an sich zu reißen“, erklärte die weiße Taube. „Genau wie die sieben Regenbogenfarben und die sieben Farben der LivingHearts gibt es auch sieben Zipporaschatullen. Warum ist das so“, äußerte ich mich erneut. Darauf antwortete die weiße Taube: „Schöne Feder, du musst wissen zu allem Guten gehört auch das Schlechte. Denn alles hat immer zwei Seiten: das Gute und das Gegenteil, was schlecht ist. Dies wird bestehen bis zum Ende der Welt.“ „Dann sollte ich Zed zerstören, damit es keinem anderen Kind mehr Schaden kann“, erwiderte ich und wollte gerade danach greifen, als mich die weiße Taube ein zweites Mal ermahnte. „ Nein, schöne Feder! Denke doch an Amandas Herz. Mehr als alles hüte dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus! Die Zeit ist noch nicht gekommen, die Schatulle zu zerstören. Lass ab von deinem Tun! Gehorche mir und vertraue mir, junges Menschenkind! Das Wichtigste ist jetzt, dass du Amandas Herz zurück bringst. Zu ihr! Zu dem Mädchen, das im Koma liegt.“ Still nahm ich meine Hände wieder von Zed weg und bedauerte: „Du hast recht! Amandas Herzstein ist das Wichtigste.“ Nun entschied ich mich endlich dazu, den Raum zu verlassen. Ich wollte durch das Fenster steigen. Doch plötzlich öffnete jemand die Tür. Es war ein Zippora mit langen blonden Haaren und Schnauzer. Schnell stürmte er auf mich zu und packte mich am Arm. „ Na! Wen haben wir denn da? Da wird sich Zilan aber freuen, wenn sie etwas fühlen könnte“, deutete der Mann an und starrte mich mit schwarzen Augen an. Alle Zippora haben pechschwarze Augen. Aber ohne zu zögern trat ich ihn ins Schienbein. Vor Schmerz ging er zu Boden. Ich aber riss mich los und rannte aus der Tür. Da schrie der Zipporamann: „Alarm! Ein Eindringling! Fangt das Mädchen ein! Los!“ Von irgendwo ertönte eine Glocke. Ich versuchte nach rechts zu entfliehen. Aber da kamen schon die Zipporamänner. Dann wollte ich nach links entwischen, doch auch das klappte nicht. Dort kamen sie auch, also wehrte ich mich mit Händen und Füßen, so gut wie es ging. Was ich bei Meister Senju gelernt hatte, setzte ich ein. Ich gab mal da einen Tritt und dann wieder da einen Tritt. Dann hin und wieder einen Faustschlag. Einen Tritt gegen das Schienbein oder ein Handgriff, der die Zipporamänner zu Fall brachte. Doch es wurden immer mehr. Plötzlich fielen ein paar Schüsse und alle Lichter im Wirtshaus gingen aus. Es schien so als hätte jemand in Sekundeschnelle alle Glühlampen zerschossen. Totales Durcheinander herrschte und undurchdringliche Panik. In dieser Panik lief ich schnell die Treppe runter. Als ich unten ankam packte mich jemand rasant unter die Arme und legte mich über die Schulter. Zu überrascht brachte ich keinen Ton heraus. Doch ich dachte, jetzt wäre alles aus. Da bemerkte ich, dass der Mann mit mir das Wirtshaus verließ und ich sah, dass es ein grauer Regenmantel war. Nun packten mich wieder zwei starke Hände und hoben mich von den Schultern herunter. Es war Großvater, der mich verärgert festhielt und einen extrem wütenden Blick hatte. „ Miyu! Was denkst du dir dabei“, vernahm mich Opa Holmi. Doch ohne das ich eine Antwort geben konnte, packte mich Großvater am Arm und zog mich mit sich. Auf der Straße rief er ein Taxi. „Woher wusstest du, wo ich bin“, erkundigte ich mich bei Opa Holmes. Ohne mich dabei anzusehen und mit ernstem Blick antwortete Holmes: „Dein Onkel hat mich angerufen! Die Hausmutter hat bei der Zimmerkontrolle entdeckt, dass du nicht auf deinem Zimmer warst. Da hat sie Nadine geweckt und gefragt, wo du bist. Gott sei Dank hat Nadine bemerkt, dass du das Zimmer verlassen hast als du aus der Tür gingst. Nadine hat zwar noch aus dem Fenster geschaut wie du mit Taschenlampe ins Dorf gegangen bist, aber sie wollte nichts sagen und warten bis du wieder kommst. Das Mädchen legte sich wieder hin, aber dann kam die Hausmutter und Nadine erzählte alles. Natürlich kannst du dir denken, dass die Hausmutter in Panik deinem Onkel den Fall gemeldet hat und er danach mich. Ich bin so schnell wie möglich hierher gefahren mit deinem Onkel. Zum Glück hast du Spuren im Schnee hinterlassen.“ Da fuhr ein Taxi durch die kalte Schneemasse und hielt an. Erst jetzt bemerkte ich wieder die Kälte draußen und dass mein Fuß von der Schneemasse errötete. Aber ich kümmerte mich nicht weiter darum und teilte Großvater mit: „Es tut mir leid, Großvater! Aber wir können doch nicht einfach jetzt so gehen, was ist mit den Zipporas?“ Doch Opa Holmes sah mich nur mit einem scharfen Blick an und offenbarte: „Steig ein! Sofort! Weißt du eigentlich, wie viele Sorgen wir uns um dich gemacht haben? Ich hätte dich für klüger gehalten!“ Ohne weitere Worte stieg ich ein und Großvater auch. Dann fuhr das Taxi los. Im Auto erwähnte ich: „Du bist wütend auf mich oder?“ Holmes sah mich nicht an als er meinte: „Miyu, dein Verhalten war unwiederbringlich töricht! Das ist dir hoffentlich auch klar, dass das auch schlimmer hätte ausgehen können. Wenn wir wieder im Schloss sind, werden wir die Polizei anrufen. Vielleicht haben sie Glück und sie können noch ein paar Zipporas schnappen. Aber ich habe noch ein paar Fragen an dich. Warum hast du mich nicht um Hilfe gerufen und woher wusstest du, wo die Zipporabande war? Außerdem möchte ich von dir wissen, was du da zu suchen hattest?“ Ich holte tief Luft und erwiderte: „Woher ich weiß, wo die Zipporas waren, kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls noch nicht jetzt. Ich wollte Amanda helfen und ihr blaues LivingHeart zurückholen, damit Sie nicht sterben muss.“ Im Taxi holte ich das eingewickelte Tuch, in dem Amandas blauer Herzstein war, aus meiner Jackentasche. Ich hielt ihn meinem Großvater entgegen und erklärte: „Mal davon abgesehen, dass ich nach unserem letzten Gespräch nicht mehr bereit war, dich um Hilfe zu bitten, musste ich das hier allein tun. Da waren noch mehr LivingHearts. Meins war auch dabei, aber ich musste es da lassen, um Amandas Herz zu retten. Entschuldige, Opa Holmi! Wenn ich jetzt weinen könnte, würde ich weinen!“ Jetzt war Holmes völlig perplex und nahm mir das Tuch mit dem LivingHeart aus der Hand. Erstaunt sah Großvater das blaue LivingHeart an. Er wirkte nicht mehr so verärgert als er mir den blauen Herzstein wiedergab und vermerkte: „Steck es wieder ein und pass darauf gut auf bis wir wieder angekommen sind!“




Onkel Douai's einmaliger Zornausbruch

Als wir aus dem Taxi stiegen gingen wir sofort in das Büro
des Direktors, in dem mein Onkel Andrew Douai auf uns wartete. Holmes klopfte an. Da ertönte es von drinnen: „Herein!“ Sherlock Holmes ging als erstes hinein. Ich zögerte einen Moment und holte tief Luft. Nun betrat ich das Büro meines Onkels. Plötzlich ging alles so übermäßig schnell. Ich betrat kaum den Raum, da gab mir Onkel Andrew eine solche feste Ohrfeige, dass ich sie nie vergessen sollte. Es war eine Ohrfeige, die ganz besonders schmerzte. Onkel Douai griff so gleich den Kragen meiner Jacke und packte fest zu. „ Miyu! Wie konntest du mir das antun? Was wäre, wenn du nicht heil wieder gekommen wärst? Wie hätte ich deinem Vater unter die Augen treten können und es ihm erklären sollen“, maßregelte mich Onkel Douai und schüttelte mich dabei heftig durch. Das ging alles so schnell, dass selbst der berühmte Detektiv Sherlock Holmes, mein Großvater, nicht so schnell eingreifen konnte. Doch nun zögerte er keine Sekunde und ging so sofort dazwischen. Holmes stellte sich zwischen mir und meinem Onkel Andrew und herrschte ihn laut an: „Sind sie des Wahnsinns? Miyu ist ihre Nichte und sie kennen sie besser als
jeder andere. Vielleicht hatte dieses Mädchen ihre Gründe, warum sie ein Alleingang wagte? Was nicht heißt, das ich es gut finde!“ Erst jetzt bemerkte Onkel Douai was er getan hatte.
„Es tut mir leid! Sie haben Recht! Ich habe die Beherrschung
verloren“, bemerkte Onkel Andrew erschrocken. „Ich hatte einfach Angst! Tu so etwas nie wieder, Miyu! Außerdem hast
du zwei Wochenenden Hausarrest!“ Dabei stützte er sich mit
Entsetzen am alten Präsidentenschreibtisch ab und sah auf
meine angeschwollene und errötete Wange. Der Schmerz der
Ohrfeige pochte immer noch unwiderdringlich in meinen Ohren. Es tat sehr weh, so sehr, dass mein ganzer Kopf davon brummte. Aber es war nur der Schmerz. Mit einem Gefühl wäre es wahrscheinlich noch schlimmer. Doch ich wollte jetzt nicht an den Schmerz denken. Ich hatte noch etwas zutun und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Aus meiner Jackentasche zog ich das Tuch mit Amandas LivingHeart heraus. Ich hielt es zitterig im Tuch mit beiden Händen meinem Onkel entgegen und deutete darauf. „Sieh doch nur, Onkel! Ich hab Amandas Herzstein zurückgeholt. Sie kann jetzt wieder leben!“ Da erhob sich Onkel Andrew wieder vom Schreibtisch. Er ging auf mich zu, mit seinen Händen umfasste mein Onkel meine Hände und sah auf das blaue LivingHeart. „Ich wollte Amandas Leben retten! Bestimmt wollte ich nicht, dass du dir Sorgen um mich machen muss. Wirklich nicht“, erläuterte ich. Da sah mich mein Onkel wieder mit einem sanftmütigen Blick an, aber dann richtete er seinen Blick auf Opa Holmi. „Sie haben ihr geholfen, oder?“ Doch Holmes schaute lächelnd auf mich, legte seine Hand auf meinen Rücken und machte klar: „Nein, mein Guter! Das hat meine Enkelin ganz allein geschafft. Ein erstaunliches Kind, wenn sie mich fragen!“
Nun sah Onkel wieder auf mich. Fest in meine Augen schaute
er mich an und hielt immer noch meine kleinen Hände. Aber
da teilte Onkel Andrew mit: „Ganz allein!“ Nun legte Onkel seine große Hand auf meine geschlagene rechte Wange, kniete sich zu mir nieder, damit er mit mir auf Augenhöhe war und meinte: „Du bist mir vielleicht ein Kind! Meine kleine Miyu! Tapfer und aufopfernd für andere zugleich. Komm, lass dich von mir umarmen!“ Da legte ich fest meine Arme um meinen Onkel Andrew Douai. Unter fester Umarmung meines Onkels erwähnte er dann noch: „Die zwei Wochenenden Hausarrest fallen natürlich ins Wasser.“ Großvater Holmes wirkte sehr zufrieden über diesen guten Ausgang.





Amanda

Erst jetzt bemerkte Onkel meinen unterkühlten linken Fuß. Er nahm mich und setzte mich auf sein linkes Knie, um sich den verwundeten Fuß genauer anzuschauen. „Was ist passiert, Miyu? Dein Fuß ist ja ganz errötet und steif sowie eiskalt! Bist du nur mit Hausschuhen losgelaufen und wo ist dein anderer Hausschuh“, horchte Onkel Andrew mich besorgt aus. Jetzt beugte sich auch Sherlock Holmes zu mir runter und nahm meinen Fuß in seine Hände. Die Hände meines Opa Holmi waren ganz warm, als er meinte: „Das habe ich gar nicht gesehen! Wieso hast du nichts gesagt, Mädchen?“ Dazu antwortete ich, „ Weil du schon ärgerlich genug warst und ich wusste ja, dass ihr euch schon genug Sorgen machtet. Deswegen hab ich nichts gesagt!“ „Und?!“, erwiderten beide gleichzeitig im Chor. Ich druckste ein bisschen rum und äußerte mich dann: „Na ja! Ich bin die Regenrinne rauf geklettert, um ins obere Fenster zu schauen. Dabei verlor ich meinen linken Hausschuh. Die Anführerin Zilan der Zipporabande hat ihn jetzt.“ Da setzte Onkel wieder sein besorgtes Gesicht auf und Holmes tadelte: „Du hast was gemacht? Miyu, du hättest dich dabei verletzen können! Außerdem, woher weißt du ihren Namen?“ Doch da verplapperte ich mich: „Weil ich ihn gehört habe! Aber es ist nichts passiert! Außer, dass ich runtergestürzt bin in die Mülltonne, wobei der Deckel laut zuknallte.“ Beide sagten keinen Ton mehr. Onkel Andrew hob mich hoch und legte mich in die Arme von meinem Großvater Sherlock Holmes. „Bringen Sie Miyu zu den Krankenschwestern, damit sie ihre Wunden versorgen“, ordnete mein Onkel an und drehte sich weg von mir zum Schreibtisch. Auch Holmes drehte sich mit mir um und wollte gerade durch die Tür gehen, da erwähnte ich: „Warte!“ Holmes blieb stehen und ich flehte Onkel an: „Onkel, es tut mir leid! Bitte!“ Nun drehte sich Onkel Andrew wieder zu mir um. Er schaute mich mit einem sanften Blick an, in dem ein Hauch von Traurigkeit steckte, als er offenbarte: „Miyu, ich bin dir dankbar, dass du Amandas Herzstein zurückgebracht hast. Aber meine Ohrfeige war nicht ganz unberechtigt. Es ist zwar eine noble Eigenschaft, jemandem zu helfen, aber man sollte dabei klug und bedacht handeln und sich selbst nicht in unnötige Gefahr bringen. Das hast du aber nicht gemacht! Miyu, ich verstehe das nicht! Du bist losgezogen nur mit dünner Bekleidung ohne dabei auf die Verluste deiner Seite zu beachten. Wo hast du da deinen Verstand gelassen? Was wäre gewesen, wenn die Zipporas dich bei deinen Dummheiten gefangen genommen hätten? Wenn ich mir das nur ausmale. Ich finde kaum Worte noch dafür, Miyu.“ Mein Gewissen meldete sich leise stark, weil ich an all diese Dinge tatsächlich nicht dachte. Ich gab Onkel Andrew keine Antwort darauf. Sollte ich das mit der weißen Taube erzählen? So setzte mein Onkel nach einer kurzen Pause seine Maßregelung fort. „Du hast keine Antwort darauf! Nun gut, dann ist das jetzt deine Aufgabe, darüber nachzudenken! Holmes, bringen Sie endlich unsere kleine Ausreißerin zur Krankenschwester! Ich möchte, dass ihre Wunden versorgt sind, bevor sie Amanda ihr LivingHeart zurück gibt. Ich werde dann nachkommen.“ Da machte sich Opa Holmi mit mir auf den Weg ins Krankenzimmer. Unterwegs gab Großvater kein Wort von sich und ich vermochte ihn auch nicht darauf anzusprechen. Im Krankenzimmer legte mich die Schwester auf ein Bett. Sie nahm meinen Fuß und legte ihn unter ihre Achselhöhle. Die Wärme tat sehr gut. Holmes stand stillschweigend daneben. Nach einiger Zeit war mein Fuß schon etwas wärmer. Nun nahm die Schwester ein etwas wärmeres Tuch und rubbelte und massierte meinen Fuß, um ihn langsam wieder ganz aufzuwärmen. Dann, nach einiger Zeit, war mein Fuß wieder richtig warm geworden. Da nahm die Krankenschwester eine wärmende Wundsalbe und versorgte die erröteten Stellen und aufgeplatzten Wunden an meinen Fuß. Sie machte noch eine Warmkompresse drum und verband den Fuß mit einer Mullbinde. Zum Abschluss gab sie mir ein paar dicke Socken und neue Hausschuhe in der Farbe gelb. Auf den Hausschuhen war eingestickt Chastity - Claire Gymnasium. „So, meine Kleine! Jetzt sind deine Wunden gut versorgt. Du kannst zwar laufen, aber du solltest vorsichtig auftreten“, erklärte mir die Schwester mit grauem Haar und Schwesternhäubchen. Da sah die Schwester auf mein Gesicht. ,,Was ist mit deinem Gesicht? Brauchst du einen kalten Lappen“, informierte sich die Schwester. Darauf antwortete ich nur: „Nein! Das geht schon und tut schon nicht mehr so weh!“ „Okay, Mädchen! Dann versuch mal langsam aufzustehen und vorsichtig zu laufen“, erwiderte die Krankenschwester. Langsam richtete ich mich auf und stieg vom Bett runter. Großvater beobachte mich wie ich langsam zu Amanda rüber humpelte. Sie war noch immer an diesen Überlebungsgeräten angeschlossen. Die Schwester räumte in der Zeit alles weg, was sie zur Versorgung meiner Wunden brauchte. Ich hielt immer noch Amandas Herzstein fest in der Hand. Doch nun hielt ich meine Hände wie eine Schale, in der Amandas blauer LivingHeart lag, zu ihr hin. Mit einem blauen Strahlen erhob sich der Stein von meinen Händen und schwebte hinüber zu Amanda. Da schwebte der LivingHeart direkt über ihr, gleitete nach unten zu ihrer Brust und das Kettchen verschloss sich hinter ihrem Hals. Plötzlich wurde ihr ganzer Körper von diesem blauen Licht durchflutet und ihr Herz schlug so laut, dass man es hören konnte. Dann erlosch langsam das Licht und Amanda zog tiefe Luft durch ihre Nase und öffnete sehr behutsam ihre Augen. Ich nahm ihre Hand in meine Hände und da drehte Amanda ihren Kopf zu mir. Sie flüsterte noch schwach: „ Miyu! Du bist hier! Ich kann mich wieder spüren. Ich fühle wieder etwas! Hast du mir mein LivingHeart zurück gebracht?“ Ich erwähnte flüsternd in ihr Ohr: „Nein! Das war die weiße Taube!“ Amanda lächelte und ihre Augen strahlten vor Freundlichkeit sowie auch Tränchen auf ihrem Gesicht hinunter liefen. Da kam Holmes an meine Seite und legte seinen Arm um mich und lächelte Amanda an. Hals über Kopf schrie die Schwester hinter uns auf und ließ ihr Tablett fallen. Rufend rannte Sie aus dem Zimmer: „Herr Doktor! Kommen Sie schnell! Das Mädchen ist aus ihrem Koma erwacht!“ Opa Holmi und Amanda mussten über diese hysterische Reaktion der Krankenschwester lachen. Doch in Sekundenschnelle kamen zwei Doktoren in den Raum und schickten mich und Großvater nach draußen. „Wir bitten Sie jetzt den Raum zu verlassen, damit wir das Mädchen Amanda untersuchen können“, erklärten die Ärzte. Holmes gab darauf zurück: „Natürlich!“ Großvater schob mich nach draußen und setzte mich auf einer der Wartestühle neben dem Krankenzimmer. Doch Holmes setzte sich nicht, sondern er deutete an: „ Warte hier auf mich! Ich bin gleich zurück!“ Sherlock Holmes ging davon und Onkel Douai kam ihm entgegen. Die beiden wechselten kurze Blicke und nickten sich gegenseitig zu. Onkel Douai ging schnurstracks, ohne mich eines Blickes zu würdigen, ins Krankenzimmer. Nach einiger Zeit kam auch mein Großvater wieder. Er setzte sich zu mir und erklärte: „Ich war noch einmal im Büro deines Onkels und habe die Polizei verständigt. Sie haben gesagt, sie werden sofort zum Wirtshaus fahren und hoffen, dass sie einige von der Zipporabande endlich festnehmen können. Später werden sie vorbei kommen und deine und meine Aussage zu Protokoll nehmen.“ „Okay, danke“, äußerte ich mich. Unvermutet spürte ich wieder stark meine schmerzende Wange und rieb ein bisschen dran. Großvater sah mich mit einem geduldigen Blick an und meinte: „Tut's noch sehr weh?“ Ohne ihn anzusehen antwortete ich darauf: „Geht schon!“ Da erhob sich Opa Holmi und legte seine Hand kurz auf meine Hände, die auf meinem Schoß lagen. Er teilte mir mit: „Warte hier!“ Ich sah ihn dann doch an und Holmes ging davon. Aber es dauerte nur einen Augenblick, da war er zurück. Großvater hielt mir im Handtuch eingewickelt eine Kältekompresse hin. „Hier nimm das!“ Doch ich schüttelte mit dem Kopf und meinte: „Ich brauch das nicht! Denn Onkel Andrew hat Recht. Ich hab die Ohrfeige verdient.“ Großvater setzte sich zu mir, hielt die Kompresse mir immer noch hin und erwiderte: „Miyu, du nimmst jetzt die Kompresse! Deine Wange ist geschwollen und sie muss auch versorgt werden. Ich möchte, dass du die Kompresse auf dein Gesicht legst, damit die Schwellung und der Schmerz nachlässt!“ Da wollte ich nicht mehr widersprechen und nahm die kalte Kompresse entgegen. Während ich das Ding auf mein Gesicht legte, erwähnte mein Opa Holmes: „Er hat das nicht gewollt.... Er hatte einfach Angst, Miyu.“ Ich ließ einen tiefen Seufzer los und erzählte: „Ich weiß! Du kennst meinen Onkel nicht so gut wie ich. Onkel Andrew ist eigentlich ein sanftmütiger Mensch und der liebste Onkel, den ich kenne. Sofern ich das ohne Gefühle beurteilen kann. Es war das erste mal, dass er mir eine Ohrfeige gab. Deswegen weiß ich, dass die Situation sehr ernst ist. Onkel Andrew hat sich wirklich Sorgen gemacht und er hat meinem Vater versprochen, dass er auf mich aufpasst. Jetzt macht mein Onkel sich Vorwürfe, obwohl nichts passiert ist. Außer, dass ich ein paar Kratzer habe und ich bin Schuld dran.“ Nach einer kurzen Stille erhob ich mich und deutete an: „Ich geh in mein Zimmer!“ Doch Holmes hielt mich sachte an der Hand fest und meinte: „Du hast eigentlich wie eine richtige Detektivin gehandelt. Wahrscheinlich hätte ich es auch nicht besser gemacht. Vielleicht ein bisschen besser! Der Unterschied ist, dass du ein Kind bist und eine Schülerdetektivin. Doch du hast noch ein solch junges Leben, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte und Einsicht ist zwar gut! Aber Miyu, quäle dich nicht! Dein Onkel ist erwachsen und er wird damit fertig werden. Außerdem bist du ein Kind und du hast einen Fehler gemacht. Kinder dürfen Fehler machen, um daraus zu lernen. Erwachsene natürlich auch. Aber du hast Amandas Herz zurück gebracht und das ist das Wichtigste. Was auch dein Onkel weiß. Da bin ich mir ganz sicher. Okay!“ Darauf gab ich nur zurück: „Du bist wohl doch nicht so ein rationaler Denker. Du hast doch ein Herz! Ein geduldiges Herz voller Entschlossenheit. Aber ich hab kein Herz mehr. Ich kann keine Angst oder Furcht vor etwas empfinden. Ohne Gefühle können Freakchildren keine Gefahr mehr einschätzen. Wir haben zwar noch ein Gewissen, aber ohne unsere Gefühle ist auch das Gewissen nur ganz leise. Und das weiß mein Onkel leider auch, deswegen ist seine Angst um mich noch größer.“ Ich zog meine Hand aus Großvaters Hand weg und ließ ihn sitzen als ich ging. Nun ging ich vom Krankenzimmer den langen Flur entlang. Die Wände unserer Schule waren auf der einen Seite mit den Regenbogenfarben bemalt und die andere Seite schwarz/weiß. Jede Wand trug das Wappen des Chastity - Claire Gymnasiums. Ein Wappen, das in der Mitte geteilt war. Auf der linken Seite trug es senkrecht die Farben des Regenbogens. Rechts waren diagonal die Farben schwarz und weiß im Wechsel. Ganz in der Mitte war noch ein blaues LivingHeart abgebildet. Das Herz der Gründerin dieser Schule. Auf diesem Herzen war auch in Goldschrift der Name dieser Gründerin eingraviert. Der Name war Chastity Claire und rechts in diesem Herzen oben war noch ein hellleuchtender weißer Kreis, das Symbol für das seltenste LivingHeart. Ich verließ das Schulgebäude, in dem auch das Krankenzimmer war. Die Chastity - Claire Schule war ein riesiges Schloss mit hohen Türmen. Das Schloss war so aufgebaut, dass es die Form eines Halbkreises hatte. Rund 10 Hektar hatte diese Schule und am Ende des Halbkreises bildete sich eine Mauer, die bis zum Torbogen reichte. Diese war weiß und in der Mauer direkt neben dem Torbogen war eine große weiße Kirche eingebaut. Auf jedem Ziegelstein war die weiße Taube abgebildet und unsere Kirche hatte ein buntes Mosaikfenster, das die Form der weißen Taube hatte. Dazu hatte unsere Kirche schwere Holztore aus Wenge und ein kleines Zimmer für unseren Pastor Hanno Meyer. In der Mitte war das Hauptgebäude oder auch die Schule mit dem Krankenzimmer. Das Hauptgebäude war genauso bunt und schwarz/weiß wie die Wände innen drin. Außerdem hatte die Schule einen einzigen Turm, an dem hing ein riesiges Wappen unserer Schule. Doch statt des Namens in dem blauen Herzen, tickte eine Uhr. Links war das Wohninternat der Mädchen und rechts das der Jungen. Beide Internate hatten jeweils vier Türme und die beiden Wohngebäude waren gelb gestrichen. Hinter dem Schloss war der große Perlensee sowie Grünanlagen und Wälder. Ihr solltet wissen, dass mein Onkel nicht nur Direktor dieser Schule ist, sondern auch der Besitzer. Dadurch hatte sich einiges verändert. Natürlich hat mein Onkel Douai, unser Direktor, das Leitbild der Gründerin beibehalten. Nämlich, das Freakchildren und Normalos lernen müssen, miteinander zu leben und zu teilen und dass es das A und O ist, ihnen die Werte der weißen Taube zu vermitteln. Das jeder willkommen ist, egal aus welcher Schicht, egal aus welcher Herkunft oder wie er bemittelt ist. Für die armen Kinder, die sich eigentlich diese Schule nicht leisten können, wurde sogar eine Stiftung gegründet von der Gründerin. Diese Stiftung heißt "Dorothea-Stiftung", die unter dem Leitsatz steht "Du bist okay! Jedes Kind ist ein Geschenk der weißen Taube". Diese Stiftung wurde von Generation zu Generation weitergeführt. Selbst mein Vater unterstützte diese Stiftung immer wieder als er noch da war. Doch als mein Onkel diese Schule übernahm, legte er noch einen Leitsatz zu dem ursprünglichen Leitbild dazu. Dieser war die Bescheidenheit, in der mein Onkel uns die Dankbarkeit nahe legte. Dies wirkte sich so aus, dass mein Onkel die einheitliche Schulkleidung einführte. Wegen des Neids und weil unser Direktor uns beibringen wollte, dass wir dankbar sein sollen für das, was wir haben. Zum Beispiel: Freakchildren, dass sie noch leben und Normalos, dass sie noch ihr LivingHeart haben und nicht auf den anderen herabschauen. Meine Oma, die an Altersschwäche verstarb, vererbte die Schule meinem Onkel und mein Vater erbte das Vermögen, das sie hinterließ. Mit dem Vermögen meiner Oma baute sich mein Vater ein neues Leben in London auf, bevor er nach Deutschland mit meiner Mutter und mir zurückkehrte. Damit war Chastity Claire ein Vorfahre meines Onkels und meines Vaters. Diese Schule gibt es seit dem 17.Jahrhundert. Aber genug über die Geschichte meiner Schule. Um in die Wohnbereiche der Chastity - Claire Schule zu kommen, muss man das Hauptgebäude verlassen. Beide Internatwohnbereiche und das Hauptgebäude hatten einen gleich aussehenden Eingang. Nun bestieg ich die Treppen des Eingangs zum Mädchenwohnbereich. Der Eingang hatte eine Überdachung, die von Säulen gestützt wurde. Ich griff nach einer der gelben Türringe und zog die große, braune, blümchenverzierte Tür aus Merbau auf. Die Wohnbereiche waren so wie ein Gutshaus aufgebaut. Mit bis zu vier Stöcken, unendlich langen Fluren und nebeneinander gereihte Zimmer. Alles in freundlichem Gelbton gestrichen. Unten war das Zimmer der Hausmutter, in dem sie schlief und wohnte. Zwei Bäder mit Duschen und Toiletten, sowie jeweils zwei Badewannen waren auch unten. Man konnte die Stockwerke von beiden Seiten durch Treppen rauf und runter gehen bis zum Dachboden und zurück. Das Treppengeländer bestand genauso aus Merbau wie die Eingänge des Schlosses. Wobei der Dachboden nur zum Wäsche aufhängen diente und zum Waschen. Dort standen ein paar Waschmaschinen. Die Tür zum Zimmer der Hausmutter stand offen. Als ich hereinkam und die Tür schloss, kam unsere Hausmutter Malou heraus. Sie hatte pumuckelrote Haare, die sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte. Dann trug Malou einen orangenen Rollkragenpulli und rote Jeans dazu. Malou nannten wir alle beim Vornamen. Genauso, wie wir unseren Hausvater Linus beim Vornamen nannten, der sein Zimmer bei den Jungen hatte. Malou besaß feine Gesichtszüge. Sie hatte nur ganz leichte Denkfalten auf ihrer Stirn und trug eine Brille, die die Form von Regentropfen hatte. Keiner wusste ihren Nachnamen. Wir waren es von an Beginn gewohnt, die beiden Hauseltern beim Vornamen zu nennen. Im Gegensatz zu Linus war Malou nicht älter als fünfunddreißig. Nur Linus war schon über sechzig und war ein weißer und erfahrener Mann mit Glatze und langem grauen Rauschebart. „Miyu, da bist du ja wieder! Wo warst du nur gewesen? Wir haben uns Sorgen gemacht! Geht es dir gut“, rief sie von weitem. Darauf erwiderte ich kurz und knapp: „Es geht mir gut und es tut mir leid, wenn sie sich Sorgen gemacht haben. Wenn Sie weitere Fragen haben, wenden sie sich bitte an meinen Onkel, Malou. Ich möchte jetzt nur auf mein Zimmer!“ Ohne noch auf eine Antwort von ihr zu warten, ging ich schnurstracks rauf in mein Zimmer. Malou sah mir verwundert hinterher. Mein Zimmer lag im zweiten Stock. Ich musste mehrere Treppen rauf gehen bis ich es erreicht hatte. Unterwegs erblickte ich einige Pflanzen auf den Treppen und Fluren. Ab und zu entdeckte ich wieder mal das Wappen der Schule oder Bilder von ehemaligen Schülerinnen. Aber auch bunte Basteleien und gezeichnete Bilder von den jetzigen Schülerinnen hingen mal da und mal dort an der Wand. Jeder Stock besaß zwei, drei Sofas in Grasgrün und Feuerrot sowie zwei ganz normale Eschetische mit jeweils vier Stühlen. Das waren die Treffpunkte der Schülerinnen zum Spielen und Gemeinschaft haben. Und jeder Flur besaß ein Gemälde mit der Gründerin dieser Schule. Auf dem Gemälde hatte die Gründerin ein Habichtnase sowie ein feines, dünnes Lächeln mit einem kurz geschnittenen Bob. Sie trug eine alte runde Bügelbrille aus dem 17.Jahrhundert, die ganz in Gold eingetaucht sein musste. Auch trug sie hochgeschlossene Kleidung, die den ganzen Körper bedeckte. Wobei man nur auf den Gemälden den Kopf sehen konnte mit einer dicken Halskrause. Gegessen wurde unten gemeinsam im großen Essenssaal. Während des Schulunterrichts essen die Mädchen und Jungen immer gemeinsam Mittag im Hauptgebäude, in dem es noch einen größeren Essenssaal gibt, für alle Kinder dieses Internats. Nur zum Abendessen und zum Frühstück essen die Jungen und Mädchen getrennt. Da kam ich nun im zweiten Stock an. Nadines und mein Zimmer lag ungefähr in der Mitte des Flures. Ich legte meine Hand auf die Metallklinge und wollte gerade die zinnrote Tür öffnen. Doch da entschied ich mich um und zog meine Hand von der Klinke weg, drehte mich um und lief den Flur wieder zurück sowie ich auch die Treppen herunter rannte. Das Gepolter hörte natürlich Malou. Noch auf der Treppe blieb ich stehen, als sie mich erblickte. Malou fragte nach: „Was ist los, Miyu?“ Von der Treppe aus antwortete ich ihr: „Ich möchte in die Kirche gehen! Bitte!“ Zwei Minuten sah sie mich an, aber dann erkundigte Malou sich bei mir: „Hast du mit deinem Onkel.... Ich meine mit dem Direktor gesprochen?“ „Ja, das hab ich!“, erklärte ich. „Er hat mir keine Konsequenz gegeben, weil ich Amandas LivingHeart zurück gebracht habe. Sie ist aus dem Koma inzwischen erwacht.“ Jetzt sah Malou mich überrascht an, doch dann gab sie mir Anweisungen: „Gut dann geh! Aber verlasse nicht den Campus! Wenn du fertig bist, komm sofort zurück!“ Darauf gab ich zurück: „Ja!“ Nun kam ich ganz runter und ging an Malou vorbei. Draußen ging ich über den Campus direkt zur Kirche Taubenstein. Die Tore ließen sich oft schwer öffnen. Ohne zu zögern ergriff ich eine der schwarzen Türringe und zog mit schwerem Tritt das Tor auf. Hinter mir verschloss ich wieder das Tor. Als Nächstes ging ich ganz nach vorne und setzte mich links auf den ersten weißen Stuhl. Unsere Kirche war eigentlich sehr einfach. Alles war im hellen Weißton. Stühle waren nebeneinander gereiht. Vorne auf dem Altartisch stand ein weißes, großes Kreuz und in der Mitte war eine weiße Taube eingezeichnet. Ein schwarzes Klavier stand etwas weiter weg. Auf der rechten Seite standen noch andere Instrumente wie Schlagzeug, Gitarre, Trompete und E-Gitarre. Neben den Instrumenten stand noch eine weiße Kiste, in dem kleinere Instrumente wie zum Beispiel die Klarinette waren. Weiter oben auf der Empore stand eine pompöse Orgel in einem angenehmen und weichen Weißton. Viele kleine, weiße Tauben waren auf der Orgel abgedruckt. Auf jeder Seite der Kirche waren drei ganz normale Mosaikfenster. Vorne hatte noch die Kirche Taubenstein ein zweistufiges Podest. Ach ja, unter der Empore neben den Toren war das kleine Arbeits-, Schlaf- und Wohnzimmer von Pastor Hanno Meyer. Als ich da so saß und nachdachte, was ich als nächstes tun sollte, machte das Zimmer von Pastor Meyer klick. Langsame Schritte kamen von hinten durch die Kirche. „Hallo Miyu, welch seltener Besuch“, bemerkte Pastor Meyer. Pastor Meyer war sehr hoch gewachsen und hatte schwarze kurze Locken. Um sein Gesicht war ein kurzer Vollbart gewachsen. Meist traf man ihn mit dunkelgrünen Jackett und weißem Hemd an sowie einer extrem weißen Jeanshose und weiße Lederschuhe. Himmelblaue Augen sahen mich an als ich leise zurück erwiderte: „ Hallo!“ Pastor Meyer setzte sich links neben mich auf einer der weißen Stühle. „Ich hab von deiner Aktion gehört. Das ist wohl nicht so gut gelaufen“, offenbarte Pastor Hanno Meyer. Darauf meinte ich: „ Ja! Aber Amanda hat ihr Herz wieder.“ „Ja“, stimmte Pastor Meyer zu. Leise meldete sich wieder mein Gewissen. Es war zwar leise, aber dennoch hielt ich es nicht mehr aus. Nun zögerte ich nicht mehr und zog unter meinem Nachthemd den Anhänger der weißen Taube hervor. Ich trug die Taube immer noch um meinen Hals, aber die Kette war lang genug, dass ich sie Pastor Hanno Meyer hinhielt. Er nahm es in die Hand und bemerkte: „Das kenn ich! Du hast der weißen Taube dein Leben gegeben.“ „Wenn man das Leben nennen kann“, meinte ich daraufhin. Aber Pastor Meyer erklärte: „Das ist egal, Miyu! Hauptsache, du hast es getan.“ Noch einmal holte ich tiefe Luft, bevor ich loslegte und erzählte. „Ich weiß nicht, was ich tun soll? Ich hab einiges Verschwiegen und nicht gesagt, dass mein Leben jetzt der weißen Taube gehört. Mein Vater hat mir das hinterlassen, bevor er verschwand. Das mit Amanda war ein Auftrag von der weißen Taube. Die weiße Taube hat mir schon gesagt, dass ich mich manchmal entscheiden muss, auf wen ich mehr höre. Auf die weiße Taube oder die Erwachsenen. Für die Erwachsenen bin nur ein Kind und das habe ich nicht bedacht. Außerdem habe ich mein eigenes Herz gesehen. Doch die weiße Taube hat gesagt, dass ich nur Amandas Herz mitnehmen soll. Ich hab gezögert und mich fast dabei selbst in Gefahr gebracht. Aber mein Großvater kam rechtzeitig und hat mich gerettet. So war das und sie sind der einzige im Moment, dem ich das erzähle.“ Pastor Hanno Meyer nahm meine Hand und hielt sie sanft in seiner Hand. Dann lies er die weiße Taube langsam in meine kleine flache Hand hinunter gleiten und legte seine andere Hand oben drauf. „Miyu, ich sag dir was! Besprich das mit deinem neuen besten Freund! Mit der weißen Taube. Wenn ich eins weiß, dass man der weißen Taube vertrauen kann. Sie wird dir sagen, was du als nächstes tun sollst“, erklärte Pastor Meyer und nahm seine Hände weg. Ich schaute auf die weiße Taube in meiner Hand. Dann umschloss ich mit meiner Hand die weiße Taube und erwiderte dankbar sowie ausdruckslos: „Danke!“ Zum Abschluss erwähnte Pastor Hanno Meyer: „Dann lass ich dich jetzt mit deinem neuen besten Freund mal allein und noch etwas. Nicht nur die Großen brauchen die weiße Taube, auch die Kleinen.“ Mit diesem Worten erhob sich Pastor Meyer und ließ mich allein. Pastor Meyer war nicht mehr da und ich umfasste mit beiden Händen die weiße Taube. Nah an meinem Herzen hielt ich das Schmuckstück fest und ich erhob mich. Vor dem Podest kniete ich mich auf die unterste Treppenstufe und betete zur weißen Taube. Ich sah zum Kreuz und bewegte meine Lippen langsam zum Gebet. „Ich will dir gehören! Die Liebe kann ich nicht fühlen. Aber ich kann dir vertrauen und ich will dir vertrauen. Deswegen will ich dir sagen, es tut mir leid! Was habe ich nur gemacht? Ich habe dich verschwiegen und andere Dinge getan, ohne dich gefragt zu haben. Bitte vergib mir und bitte hilf mir, wieder das Richtige zu tun! Was du willst, dass will ich tun! Auch, wenn es bedeutet, dass ich nie wieder mein Herz wieder bekomme. Was soll ich jetzt tun? Alle sind entweder traurig, zornig oder enttäuscht von mir!“ Nun drehte ich mich um und setzte mich auf die obere Podesttreppenstufe. Ich streckte meine Beine aus, weil mein Fuß von den Wunden wieder anfing zu schmerzen. Mit meinen Händen bildete ich eine Schale, in der ruhig die weiße Taube lag. Lange sah ich die weiße Taube an. Unvermittelt fing die weiße Taube wieder an zu leuchten und erhob sich von meiner Hand. Dann hielt sie sich ganz sachte vor meiner Nase in der Luft. „Schöne Feder, zieh deinen Schuh und die Socke sowie die Binde und alles andere von deinem verwundeten Fuß aus“, forderte mich die weiße Taube auf. „Ich soll was tun“, fragte ich nach. Darauf erwiderte die weiße Taube nur: „Wenn du mir vertraust, dann tu es einfach ohne weitere Fragen zu stellen! Vertraust du mir?“ Entschlossen wollte ich tun, was die weiße Taube mich anwies. Ich zog den Hausschuh aus und dann die gelbe Socke. Als nächstes nahm ich die Binde und die Wärmekompresse ab. Ich legte meine Hände neben mir flach auf das Podest und unter meinen Händen waren die Socke, die Binde und die Wärmekompresse. Der Hausschuh lag neben meinem verletzten Fuß. Die Wunden sahen sehr schlimm aus. Einige Stellen waren immer noch errötet und an anderen Stellen war die Haut aufgeplatzt. Was fürchterlich brannte und schmerzte und mein großer Zeh war immer noch blau angelaufen von der Kälte. Da strömte von der schwebenden weißen Taube strahlendes weißes Licht. Das leuchtende Band wirbelte sich wie eine Spirale langsam um meinen Fuß und legte sich auf die Haut. Es war angenehm warm als das Band sich in meinen Fuß hineinzog. Auf einmal schlossen sich die brennenden Wunden, die Rötungen verschwanden und mein blauer Zeh bekam wieder eine angenehme Farbe. Als nächstes ließ die weiße Taube ein wärmendes, strömendes Lichtband in Richtung meiner Wange fließen. Wie eine kreisende Spirale drehte es sich auf meiner Wange. So fühlte es sich jedenfalls an. Aber auch da ging die Schwellung zurück und der Schmerz sowie die Rötung ließ nach, das fühlte ich jedenfalls. Die weiße Taube hatte meinen Fuß und meine Wange geheilt. Mir fehlten fast die Worte, aber ich brachte noch ein Wort raus: „Danke!“ „Ich bin nicht enttäuscht! Bei mir darfst du Fehler machen! Ich werde trotzdem zu dir stehen, weil du mir gehörst und ich dich lieb habe“, versicherte die weiße Taube. Da legte ich meine beiden Hände an die Seiten der weißen Taube. Sie fühlte sich angenehm warm an, wie ein brennendes, wärmendes Feuer. Ich sah sie mit leeren Augen an und erläuterte: „Du bist so ganz anders als ein Mensch! Du bist mein Freund und du sagst, ich gehöre dir, dann sag mir doch bitte auch, was ich jetzt tun soll!“ Die weiße Taube in der Schwebe vertraute mir an: „Ich bin ja auch kein Mensch, sondern Liebe und Geist. Ich bin für die Sünden der verlorenen Herzen gestorben und auferstanden. Auch für die, die meinen, noch ein LivingHeart zu haben und bei denen, die meinen, es sei alles in Ordnung.“ „Das verstehe ich noch nicht“, erwähnte ich leise. Da erklärte und forderte mich die weiße Taube auf: „Du wirst es aber mit der Zeit lernen zu verstehen, meine kleine schöne Feder. Nun gut, kommen wir zu dem, was als nächstes dran ist. Deine Aufgabe ist es jetzt, mit meiner Hilfe, Amanda den Weg zu mir zu weisen. Damit ihr Herz nicht mehr geraubt werden kann. Dennoch können die Zipporas es sich wiederholen. Solange das Herz von Amanda noch nicht mir gehört. Aber sie muss selbst die Entscheidung treffen. Genauso wie du sie getroffen hast, schöne Feder. Danach mach dich auf und erzähl den Deinen die ganze Wahrheit. Lass nichts aus! Nicht von dem Moment, wo du zu mir fandest. Nicht mal bis zu dem Moment im Wirtshaus. Lasse nichts aus! Dein Onkel gehört mir doch auch und dein Großvater ist dabei, den Weg zu mir zu finden. Also wage den Schritt, kleine schöne Feder.“ Mit diesen Worten verstummte die weiße Taube und glitt wieder nach unten vor meinen Bauch. Dann erlosch das Licht und die weiße Taube hing wieder wie ein ganz gewöhnlicher Anhänger von meinem Hals herunter. Sie war mächtig und konnte sogar Wunden heilen. Ich verstand die weiße Taube und zog sofort meine Socke und Hausschuh wieder an. Die Mullbinde und Wärmekompresse trug ich in meiner Hand, denn die brauchte ich nicht mehr. Als nächstes verließ ich sofort die Kirche Taubenstein und rannte ins Mädchenwohn - Internat. Draußen war es schon finstere Nacht geworden. Feiner Regen fiel vom Himmel und ich lief unter die Laternen hindurch. Innen kam Malou gleich aus dem Zimmer und meinte sofort: „Amandas Untersuchung wurde beendet und sie möchte dich sehen, Miyu!“ Erst jetzt bemerkte sie, dass ich klitschnass war und nur dünne Bekleidung anhatte. Was gleich eine Maßregelung von Malou gab: „Um Gottes Willen! Du bist ja klatschnass! Bist du nur mit dieser dünnen Bekleidung rausgegangen? So was Unverantwortliches kann ich nicht dulden! Du gehst sofort auf dein Zimmer und ziehst dir trockene Kleidung an, bevor du zu Amanda gehst!“ Darauf erwiderte ich schnell: „Tut mir leid! Ich geh ja schon auf mein Zimmer und zieh mir gleich andere Sachen an.“ Zum Schluss meinte Malou: „Dann beeil dich, Mädchen! Amanda wartet schließlich auf dich und trockne dir die Haare ab!“ Aber schon war ich die Treppen hoch gelaufen und rief von oben runter: „Ja!“ Zum Glück bemerkte Malou nicht die Wärmekompresse und Mullbinde in meiner Hand. In meinem Zimmer ging ich, als ich herein kam, sofort an den gemeinsamen Schrank von Nadine und mir. Nadine war auch da. Sie drehte sich zu mir um und äußerte sich erschrocken: „Wo warst du gewesen? Die Hausmutter war außer sich! Was ist mit dir überhaupt passiert und was habe ich gehört? Amanda ist wieder aus ihrem Koma erwacht?“ Ich holte ein langärmeliges orangenes Sweatshirt, eine lila Strickjacke mit dicken grünen Socken und blauer Jeans aus dem Schrank. Die Sachen legte ich schnell auf mein Bett und zog mir die durchnässte Jacke und das Nachthemd über den Kopf aus. Dabei antwortete ich Nadine. „Ja! Amanda hat ihr blaues LivingHeart wieder bekommen und ich hab es ihr zurück gebracht.“ Da sprang Nadine auf und meinte: „Das ist doch nicht möglich?“ Nachdem ich alle Sachen angezogen hatte, zog ich mir nur noch die Socken an und holte weiße Halbschuhe unter meinem Bett hervor. Die Wärmekompresse und die Mullbinde ließ ich auf meinem Bett liegen. Beim Rausgehen erwähnte ich Nadine gegenüber zurück: „Mit der weißen Taube ist nichts unmöglich!“ So ließ ich sie stehen und knallte hinter mir die Tür zu. Da war ich auch schon schnell wieder unten. Malou wartete schon an der Treppe auf mich. Sie hielt mir einen Regenschirm entgegen. „Damit du nicht wieder nass wirst!“ Ich nahm den Regenschirm entgegen und bedankte mich. Blitzschnell war ich draußen in der nassen Nacht. Nun öffnete ich meinen Regenschirm und lief ganz geschwind in die Schule. Rasch war ich schon am Krankenzimmer und klopfte an. „ Herein“, hörte ich eine raue ältere Stimme. Ich trat ein und Amanda lächelte mir zu. „Miyu, schön das du da bist“, erwähnte sie wieder mit ihrer freundlichen Stimme. Die Krankenschwester verließ das Zimmer und ließ uns allein. Ich setzte mich zu Amanda auf die Bettkante und erkundigte mich: „Wie geht es dir?“ Ich legte meine Hand auf ihre Hand und Amanda umfasste meine Hand mit einem Lächeln. Noch sehr schwach erwiderte Amanda: „Gut! Ich fühl mich noch etwas schwach. Aber ich kann mich wieder fühlen. Die Ärzte haben mich stundenlang untersucht, das war furchtbar. Aber als sie feststellten, dass ich über dem Berg bin, haben sie mir endlich Ruhe gegönnt. Ich muss noch ein paar Tage liegen bleiben. Aber dann darf ich wieder aufstehen und das verdanke ich dir!“ Tränen kullerten aus ihren blauen Augen herunter und sie erwähnte: „Sogar weinen kann ich wieder.“ Doch ich teilte Amanda mit: „Nein! Das verdankst du nicht mir, sondern der weißen Taube.“ Sie sah mich an und fragte nach: „Was meinst du?“ Ich begann Amanda zu erzählen von der weißen Taube. Was Sie alles getan hatte, die weiße Taube, die uns gemacht hatte. Dass die weiße Taube für uns gestorben ist und auferstanden, um uns zu retten und dies aus Liebe zu uns tat. Dass alle Geschichten aus der Bibel über die weiße Taube die
vollkommene Wahrheit sei und es keine andere Wahrheit gibt.
Ich erzählte auch Amanda, dass ihr LivingHeart immer noch wieder gestohlen werden kann, wenn sie nicht ihr Leben der weißen Taube gibt. Amanda hörte mir die ganze Zeit aufmerksam zu. „Aber es bleibt deine Entscheidung, Amanda, den richtigen Weg zu wählen“, versicherte ich. Sie gab keine Antwort und richtete ihren Blick zur Decke. Nach einiger Zeit, ohne mich anzusehen, teilte Amanda mir mit: „Ich verdanke der weißen Taube mein Leben. Wie könnte ich da nicht den wichtigsten Schritt der weißen Taube gehen? Aber ich weiß nicht, wie man das macht, Miyu.“ Dabei richtete sie ihren Blick wieder auf mich. Ich stieg vom Bett runter und stellte ihr Bett so ein, dass Amanda aufrecht sitzen konnte. Nachdem ich das tat, setzte ich mich zu ihr wieder auf die Bettkante. Nun nahm ich die weiße Taube mit meinen beiden Händen und hielt sie sachte mit Fingerspitzengefühl hoch. „Wenn du es ernst meinst, dann sag es der weißen Taube einfach“, wies ich sie an. Mit klarem Blick sah Amanda auf die weiße Taube und zögerte einen winzigen Moment. Aber dann betete sie einfache Worte: „Ich bin mir nicht sicher, was die richtigen Worte sind, um zu dir zu gehören, weiße Taube. Aber ich meine es ernst! Ich will dir gehören! Die ganze Zeit dachte ich, es wäre selbstverständlich, ein freundliches Herz zu haben. Dagegen bist du derjenige, der uns all diese Fähigkeiten schenkt. Das war mir vorher nicht klar. Bitte vergib mir und komm in mein Leben!“ Da schoss von der weißen Taube ein Lichtstrahl auf Amandas blaues LivingHeart. Abrupt hörte der Lichtstrahl auf und auf Amandas LivingHeart war eine weiße Taube eingraviert. Darauf offenbarte ich: „Jetzt ist die weiße Taube in deinem Herzen und du gehörst jetzt der weißen, allmächtigen Taube.“ Amanda sah auf ihr blaues LivingHeart runter und nahm es in die Hand. Erfreut sah sie auf die Abbildung der weißen Taube. „ Miyu! Ich fühl mich so kräftig auf einmal und es ist, als würde ein Feuer in mir brennen. Ich bin glücklich!“ Doch bevor ich darauf antworten konnte, kam unerwartet Onkel Douai herein. „Miyu, hier bist du! Ich möchte, dass du mich in mein Büro begleitest! Die Polizei kommt in zwei Stunden und bis dahin sollten wir noch einiges Besprechen“, bestimmte Onkel Andrew. Ich nickte Onkel Douai zu, der an der Tür auf mich wartete und seine Hand auf der Türklinke hatte. Da stieg ich auch schon vom Bett herunter und drehte mich noch einmal zu Amanda um. „Wir sehen uns!“ Da bemerkte Amanda zurück: „Danke, Miyu!“ Und ich folgte meinem Onkel nach draußen und in sein Büro.




Das Herz der Freude

Unterwegs im Büro meines Onkels wagte ich ihn endlich mal wieder anzusprechen: „Onkel, ich muss dir etwas sagen!“ Ich lief hinter Onkel Douai hinterher, als er zurück meinte: „Jetzt nicht, Miyu! Das machen wir alles im Büro!“ „ Aber...“, wollte ich Onkel Andrew erwidern. Da waren wir schon angekommen und er guckte mich etwas streng an und herrschte mich an: „Miyu!“ Da sagte ich nichts mehr und Onkel Douai machte die Tür auf und ließ mich eintreten. Holmes war auch schon drin und saß vor dem Schreibtisch auf einen alten Polsterstuhl. Onkel Douai schloss hinter sich die Tür und Holmes drehte sich um und schenkte mir ein Lächeln. Nun stand ich noch an der Tür. Onkel Andrew Douai ging in der Zwischenzeit zum Fenster und schaute hinaus. Nach kurzer Stille öffnete ich meinen Mund und forderte auf: „Jetzt hört mir doch endlich mal zu!“ Onkel Douai würdigte mich weiterhin keines Blickes. Aber Holmes drehte sich so abrupt um wegen meiner lauten Stimme, dass er erfragte: „ Was ist denn, Miyu?“ Wieder einmal holte ich tief Luft und teilte mit: „Ich muss mit euch reden und euch ein paar wichtige Dinge sagen, bevor die Polizei kommt.“ Da drehte sich Onkel Andrew doch noch um und nahm in seinem Chefsessel Platz. Er faltete die Hände auf dem Tisch, sah mich mit undurchdringlichen Augen an und wies mich an: „Dann fang mal an!“ So entschied ich mich doch näher zu kommen und stellte mich neben meinen Großvater Sherlock Holmes. Ich begann und erzählte von all den Dingen, die ich bis hierher verschwieg. Ich sprach davon, wie ich die weiße Taube fand, von der Silberfederpearl-Kathedrale, von den sieben Zipporaschatullen und ihren todbringenden Krallen sowie von der Anführerin Zilan und warum ich ihren Namen weiß. Nicht eine Kleinigkeit ließ ich aus. Auch nicht von der Verzögerung im Wirtshaus. Alles, was ich erfahren hatte, legte ich auf den Tisch. Auch, dass es mit Amanda ein Auftrag der weißen Taube gewesen sei. Nun sah ich Großvater an und bat Holmes: „Bitte nimm mich auf deinen Schoß!“ Ohne weitere Fragen von Holmes drehte ich mich um. Großvater Sherlock Holmes packte mich von hinten unter meine Arme und setzte mich seitlich von links auf seinen Schoß. Er lies mich machen und ich zog dabei meinen Schuh und Socke aus. Dabei erwähnte ich: „Wenn ihr mir nicht glaubt, dann seht euch das an! Die weiße Taube hat meinen Fuß geheilt.“ Beide blickten erstaunt auf meinen Fuß. Onkel Douai erhob sich sogleich und kam um den Tisch herum. Er kniete sich zu mir und nahm meinen Fuß in die Hand. Dabei wirkte er ganz sprachlos. „Es tut mir leid! Ich hätte euch schon längst einweihen sollen“, beichtete ich. Jetzt erwähnte Sherlock Holmes ein Wort und tadelte: „Allerdings! Wir hätten doch zusammen zur Silberfederpearl hingehen können.“ Aber ich antwortete darauf: „Nein! Ich musste das allein tun! Vater hätte das so gewollt und die weiße Taube musste ich auch allein finden.“ Da sah Onkel Andrew direkt in meine ausdruckslosen Augen hinein und erklärte sanft: „Ja! So ist eben die weiße Taube. Man muss sich ja auch allein entscheiden für die weiße Taube oder gegen sie. Gepriesen sei die weiße Taube!“ Onkel erhob sich und umfasste mit beiden Händen mein Gesicht. Jetzt sah ich die Freude in seinen Augen als er mich um Verzeihung bat: „Miyu, verzeih mir! Mein Kleines! Irgendwie ahnte ich, dass was dahinter steckte. Doch auf so etwas kam ich nicht. Du hast der weißen Taube dein Leben gegeben. Obwohl du noch nicht dein Herz wieder hast und das ist für mich das größte Geschenk. Möge mir die weiße Taube vergeben, dass ich dir ins Gesicht schlug!“ Ich legte meine Hand auf seine Hand. Auf die Seite, wo er mir die Ohrfeige gab und bemerkte, „Die weiße Taube hat auch mein Gesicht geheilt also hat sie dir vergeben, Onkel Andrew.“ Mit einem Lächeln nahm mich nun mein Onkel auf den Arm und ich ließ es zu, dass er mich sanft doch auch irgendwie fest umarmte. Aber ich tat es ihm gleich und merkte zum Schluss an: „Ich werde euch nichts mehr verheimlichen! Das verspreche ich euch!“ Nachdem ich alles gesagt hatte, schickte mich Onkel Douai kurz nach draußen. Ich wusste nicht, was die beiden Männer, Großvater und Onkel, besprachen. Aber später als mich Onkel persönlich ins Mädchenwohnhaus brachte, erfuhr ich, dass es Sherlock Holmes nach einem Gespräch mit Onkel Douai akzeptierte, dass ich allein in London unterwegs war. Aber das kam später. Denn als ich draußen wartete, kamen zwei Polizeibeamte und sprachen mich an: „Junge Dame, bist du das Fräulein Miyu Holmes?“ Ich erhob mich und erwiderte zurück: „Ja, das bin ich!“ Die Polizisten fragten erneut: „ Und wo ist dein Onkel sowie dein Großvater? Wir wollen von euch drei jetzt die polizeilichen Aussagen aufnehmen! Wenn dies genehm ist?“ „Natürlich! Folgen Sie mir einfach“, wies ich an. Ich klopfte am Büro von Direktor Andrew Douai an. Von drinnen erhörte ich die Stimme meines Onkels. „Herein!“ Da trat ich ein und verkündigte: „Die Polizei ist da!“ Sherlock Holmes erhob sich sogleich und forderte auf: „Treten Sie nur ein, meine Herren und nehmen sie Platz!“ Die zwei Polizeibeamten traten ein und erwiderten: „Das wird nicht nötig sein! Wir stehen lieber.“ Onkel Douai stellte sich neben mich und legte seine Hand auf meine Schulter. „Meine Herren, ich muss leider mit Bedauern ausdrücken, dass wir leider keinen der Zipporabande festnehmen konnten. Als wir eintrafen, hatte sich diese abscheuliche Brut schon aus dem Staub gemacht. Zurück ließen sie nur dieses rote Tuch und diesen durchgeschossenen Hausschuh. Außerdem konnten wir den Wirt befreien“, erklärte einer der Polizeibeamten. „Das ist mein Hausschuh“, versicherte ich. Tiefe Betroffenheit herrschte im Raum. Der andere Polizist mit Schnauzer und Pausbäckchen meinte dann nur: „Da hast du aber Glück gehabt, dass du nicht erschossen wurdest.“ Onkel Douai sah den Polizist mit Pausbäckchen an und erklärte darauf zurück: „Meine Nichte hier hatte diesen Hausschuh da verloren und die Anführerin der Bande bekam ihn dann in die Finger.“ Nun meldete sich der hoch gewachsene Polizist mit Glattgesicht, der uns die Meldung gab, dass keiner der Zipporas festgenommen werden konnte, zu Wort: „Wie ich sehe, ist dieses Mädchen ein Freakchild. Wurde ihr etwa am Tatort ihr eigenes LivingHeart gestohlen?“ „Nein“, versicherte Onkel Andrew, „Meiner Nichte wurde ihr Herz schon mit vier Jahren gestohlen. Sie war da, um Amandas LivingHeart zurückzubringen, dessen Fall ihnen sicherlich vor kurzem noch bekannt sein müsste. Meine Nichte hat dies mit Erfolg geschafft und das junge Mädchen Amanda ist inzwischen schon aus dem Koma erwacht und wieder bei Kräften. Wie Sie sicherlich wissen, war das Leben dieses Mädchen aufs Spiel gesetzt.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen meinte dann der Polizist: „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weiß machen, dass ein kleines Mädchen es geschafft hat, die Zipporas zu überlisten?“ Nun brachte auch Sherlock Holmes seine Meinung vor. „Dieses Mädchen ist kein gewöhnliches Mädchen. Sie ist eine Detektivin!“ Da erblickte der hoch gewachsene Polizist nun Holmes an und erkundigte sich: „Und wer sind sie, wenn ich fragen darf?“ „Ich? Ich bin ihr Großvater Opa Holmi. Sie können mich gerne Mr. Holmi nennen! Von Beruf bin ich ein angesehener Detektiv und dieses Mädchen steht unter meiner Obhut.“ Nach dieser Aussage räusperte sich der Polizist, während der andere mit dem Pausbackengesicht fleißig notierte. „So, so! Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Sie sehen aus wie... . Na, wie heißt der denn gleich? Ach ja! Wie dieser berühmte Detektiv Sherlock Holmes. Ein wahrer Meister seiner Kunst und eine Koryphäe, wenn ich bemerken darf? Aber nun gut, kommen wir zurück zu unserem Fall. Bitte schildern sie, was passiert ist“, ordnete der große Polizist an. Onkel bekam wegen der Bemerkung des Polizisten einen kurzen Schrecken, aber Holmes blieb ganz ruhig. Nun berichtete Onkel Douai den Polizisten, was passiert sei. Aber immer, wenn ich zu Wort kommen wollte, drückte Onkel Douai leicht in meine Schulter. Er wollte mich schützen, ließ aber nicht die Beschreibung der Anführerin Zilan und dessen gefährliche Schatullen mit ihren Namen aus. Als die Polizei alle wichtigen Daten hatten und die Aussagen von uns aufgenommen wurden, verabschiedeten sich die beiden Polizisten und der hoch gewachsene Polizist äußerte sich zum Abschluss: „Dann danke ich ihnen, meine Herren, für ihre Aussagen und natürlich auch dir kleine Miss. Denn durch dich können wir endlich ein Phantombild von der Anführerin dieser Organisation erstellen. Wobei ich es bemerkenswert finde, dass ein junges Mädchen wie du solche Informationen über diese Brut hat. Denn bis jetzt hat es niemand geschafft, den Zipporas, geschweige denn der Anführerin, so nah zu kommen. Du musstest wirklich jemanden haben, der dich beschützt hat. Dann auf Wiedersehen!“ So verließen die beiden Polizisten wieder das Büro von Onkel Andrew. Onkel hatte immer noch seine Hand auf meiner Schulter als er meinte: „Tut mir leid, wenn ich dich nicht zu Wort kommen ließ! Aber ich hielt es besser, dich nicht der Willkür des Gesetzes auszuliefern.“ Holmes nickte dem nur zustimmend zu und Onkel Douai wies mich an: „Es wird Zeit, dass du ins Bett gehst! Ich werde dich rüber bringen ins Internat, meine kleine Heldin.“ Ohne weiteren Wortwechsel schob mich Onkel Andrew zum Ausgang der Tür. Doch noch einmal drehte er sich zu Großvater um und ersuchte: „Mein guter Holmes, was werden sie als nächstes tun?“ Sherlock Holmes erwiderte: „Nun ich werde zurückfahren in die Villa Flame of King und da auf Miyu warten. Es ist ja schließlich in drei Tagen wieder Wochenende und Mrs. Mudson wartet sicherlich schon auf mich.“ „Gut! Danke für ihre Unterstützung und die Fürsorglichkeit meiner Nichte“, vermerkte mein Onkel. Zum Abschluss erwiderte Holmes zurück: „Keine Ursache, mein Bester!“ Auch Onkel Douai und ich verließen das Büro und ließen Opa Holmi zurück. Im Mädcheninternat entschuldigte sich Onkel Douai höchstpersönlich bei Malou fürs zu spät kommen. „Aber nicht doch, Herr Direktor! Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen“, teilte Malou schließlich mit. Doch Onkel Douai meinte darauf: „Doch, eine Entschuldigung ist das Mindeste. Außerdem habe ich die Hausordnung gemacht. Die Hausordnung besagt, dass die Mädchen und die Jungen spätestens um acht Uhr abends im Bett sein sollen und um neun Uhr Nachtruhe sein soll. Und wenn ich mich nicht dran halte, dann tut es keiner.“ „Wie Sie meinen, Herr Direktor“, gab Malou zurück. Noch einmal nahm mich Onkel Douai in den Arm und verabschiedete sich. Als mein Onkel ging, brachte Malou mich leise ins Zimmer, um nicht Nadine zu wecken. Sie ordnete mich an, ins Bett zu gehen. Als ich schnell fertig war mit Umziehen, legte ich mich ins Bett. Malou schaltete das Licht aus und wünschte mir eine Gute Nacht. Sie ging nach draußen. Doch zehn Minuten später kam wieder jemand herein. Ich schaltete das Nachtlämpchen auf meinen Nachttisch ein und stellte fest, dass es Großvater war. „Bleib liegen“, wies er mich an und setzte sich zur mir auf die Bettkante. Holmes nahm meine Hand und äußerte sich sehr leise: „Lass uns den Streit von London begraben! Du bist wahrhaftig eine begabte, junge Detektivin und hast meine genaue Beobachtungsgabe und nüchterne Schlussfolgerung geerbt. In Zukunft werde ich dich etwas ernster nehmen, junge Miyu!“ Nach diesen Worten verlies Holmes mein Zimmer und lies mich schweigend zurück. Sherlock Holmes, mein Großvater, fuhr wieder zurück in die Villa Flame of King. Nach einigen Tagen ging es Amanda so weit gut, dass sie in unser gemeinsames Zimmer wieder einziehen konnte. Natürlich musste Nadine ihre Sachen packen und in ein anderes Zimmer umziehen. Doch das neue Zimmer war nicht weit weg, denn es war nur ein Zimmer weiter. Nadine trug in aller Ruhe ihre Sachen hinüber. Zum Schluss nahm sie ihren restlichen Kleidungsberg vom Bett und wollte gerade durch die Tür gehen. Da begegnete ihr auch schon Amanda freudestrahlend entgegen und erwähnte: „Hallo, Nadine! Danke, dass du mir wieder mein Zimmer überlässt und du darfst uns natürlich jederzeit besuchen. Wir freuen uns auf dich!“ Das war wieder vollkommen die freundliche Amanda. Ich saß während dieser Zeit die ganze Zeit auf meinem Bett und beobachtete das Spektakel. Nadine antwortete darauf schnippisch: „Ich fand es hier sowie so ätzend! Viel Spaß mit dem Freakchild!“ Auch das war typisch für das Herz des Mutes, das sich nie ein Blatt vor dem Mund legen ließ. So verließ Nadine das Zimmer und zog zu einem anderen Mädchen-Freakchild mit dem Namen Noa Rissel. „Komisches Mädchen“, meinte Amanda darauf. Alles ging wieder seinen gewohnten Gang und ich war darauf wieder einmal zu Hause am Wochenende bei meinem Großvater Sherlock Holmes. Auch da lief alles normal ab. Sherlock Holmes ließ sich die ganze Zeit nicht in seinem Zimmer stören und arbeitete die ganze Zeit an dem Fall der Zipporas. Er grübelte und grübelte, dass mich das immer sofort an die alten berühmten Bücher des berühmten Detektiv Sherlock Holmes erinnerte. Die Bücher, in denen die Fälle meines Großvaters niedergeschrieben sind. Manchmal war ein Spalt seiner Tür offen und man sah, wie mein Großvater am Schreibtisch stundenlang auf das rote Tuch der Zipporas schaute. Es war schon sehr erstaunlich, solch eine Ausdauer zu sehen. Ich bekam auch immer seltener Großvater zu sehen und zu sprechen. Beim Essen saß ich oft allein an unseren Staubkerntisch. Nur unsere Haushälterin Mrs. Mudson leistete mir Gesellschaft. Zwischendurch ging sie nach oben und stellte oft das Tablett mit Essen vor der Zimmertür meines Großvaters ab. Aber oft nahm Holmes von langem Denken nichts zu sich. Doch es kam auch vor, dass sich auf dem Tablett nichts mehr befand, wenn Mrs. Mudson das Tablett wieder abholte. Doch dann bekam ich ihn endlich wieder zu Gesicht. Während ich in meinem Zimmer auf dem Boden saß und die Aufzeichnung meines Vaters durchging. Außerdem sah ich mir die vielen langen Listen von den Freakchildren und den Kindern, die noch ihr LivingHeart haben, an. Denn nicht nur Großvater beschäftigte sich mit dem Fall der Zipporas, sondern auch ich. Doch in diesem Augenblick fing wieder der Anhänger der weißen Taube an zu leuchten. „Schöne Feder! Die Leere will sich wieder auf einem Kind legen. Sei bereit und handle, bevor es zu spät ist“, legte mir die weiße Taube auf.
Ich nahm die weiße Taube in meine Hand. Im Schneidersitz erwiderte ich: „Was meinst du?“ Doch die weiße Taube offenbarte nur: „Der Name des Jungen ist Jaden Klangsel!“ Dann erlosch das Licht wieder und ich ersuchte noch einmal bei der weißen Taube: „Weiße Taube, was ist? Hallo, Hallo... !“ Aber es kam keine Antwort von der weißen Taube. Da überlegte ich einen Moment: „Jaden Klangsel! Mmh... . Was mach ich nur? Ach ja, ich weiß!“ Sofort nahm ich die Listen von den Freakchildren und Nichtfreakchildren. In den Freakchildrenlisten fand ich den Namen Jaden Klangsel nicht. Nun nahm ich mir die Liste mit den Nichtfreakchildren vor. Ich wollte schon fast aufgeben, aber da auf der vorletzten Seite stand der Name Jaden Klangsel. Noch dazu stand daneben das Alter des Jungen, nämlich fünf Jahre sowie der Wohnort Morgentaudorf, Rüberstr. 4, und auch das LivingHeart, das er hat. Ein grünes LivingHeart, das Herz der Freude. Schnell sprang ich auf und stürzte rufend aus mein Zimmer: „Großvater!“ Auch Großvater kam mit ach und krach aus dem Zimmer gestürzt: „Was ist los, Miyu? Warum schreist du so? Du störst mich in meiner Konzentration, junges Fräulein!“ Außer Atem hielt ich vor Holmes an und teilte mit: „Ich weiß, wo die Zipporas als nächstes zuschlagen werden. Sie wollen im Morgentaudorf einem Jungen das LivingHeart stehlen.“ Großvater sah mich skeptisch an: „Was sagt du da? Bist sicher?“ Endlich richtete ich mich auf und sah Holmes an, als ich erläuterte: „Ja! Ich bin mir sicher! Die weiße Taube hat zu mir gesprochen. Das Dorf ist auch nicht weit weg von uns. Wir sollten keine Zeit verlieren!“ Einen momentlang sah mich Großvater so irritiert an, dass ich vermutete, dass er mir nicht glaubte. Aber dann äußerte sich Holmes: „Gut! Dann lass uns hinfahren und keine Zeit vertrödeln! Ich werde Mrs. Mudson Bescheid geben, dass sie unserem Fahrer Randolf sagen soll, dass er das Auto bereit halten soll.“ Sherlock Holmes ging noch rasch in sein Zimmer und holte seinen braunen Karomantel und Deerstalker-Hut. Mit rasender Geschwindigkeit ging er schnell nach unten, um Mrs. Mudson Bescheid zu geben. Auch ich machte mich auf in mein Zimmer, um eine Jacke zu holen. Diesmal zog ich eine grüne Jacke an, die verziert war mit Goldstreifchen. Holmes wartete unten schon auf mich. Wir verließen das Haus und stiegen ins Auto ein. Sofort fuhr unser Fahrer Randolf mit dunkelblonden Haaren und feinem Anzug davon. Randolf war nach einer langen Urlaubzeit wieder in unser Haus zurückgekehrt. Großvater Holmes breitete eine Landkarte über sich und mir aus. Er sagte dem Fahrer die Richtung, in der Randolf fahren sollte. Doch es dauerte keine zwanzig Minuten und schon waren wir da: im Dorf Morgentau. Holmes beschwichtigte den Fahrer zu warten. Es war ein ganz normales Dorf mit Einfamilienhäusern. Um ein paar Ecken erreichten wir nun die Straße Rübenstraße. Doch Holmes hielt mich an der Schulter zurück und wir blieben in einer Gasse stehen. Dabei blickten wir um die Ecke und sahen einen kleinen Jungen mit rötlichen Haaren, Sommersprossen und blau/grauen, freudestrahlenden Augen. Auf einmal leuchtete die weiße Taube wieder auf und erwähnte: „Das ist der Junge!“ So schnell wie sie das aussprach, so abrupt hörte sie wieder auf, im weißen Licht zu erstrahlen. Plötzlich fielen dicke Schneesternchen vom Himmel und der Junge streckte seine Hände in den Himmel. Dabei hüpfte er auf und ab. Sein grünes LivingHeart schwang durch die Sprünge mit auf und ab. Das Herz der Freude funkelte durch das Sonnenlicht und den Schnee, dass es einen fast blendete. Der Junge Jaden mit grasgrüner Daunenjacke rief dabei immer wieder erfreut: „Mami! Mami! Es schneit! Es schneit! Mami, es schneit!“ Das Herz der Freude konnte sich über jede schöne Kleinigkeit erfreuen und sei sie noch so klein. Es war wie ein Wunder, wenn man den kleinen Jungen Jaden dabei zuschaute. Zwischendurch ließ er sich immer wieder in den Schnee fallen und stand wieder auf. Doch dann steigerte sich seine Freude immer weiter. Bis das Herz dieses kleinen Jungen aufblühte und sein erstes Lachen von ganzem Herzen erwachte. Da hörte ich auch schon das heranrasende Auto. Es war das Zipporaauto mit dem großen Z. Ich wollte hinrennen, doch Holmes hielt mich fest an der Schulter zurück. Einer der Zipporamänner stieg aus und hielt die Schatulle Zed in der Hand. Urplötzlich öffnete der Zipporamann das Kästchen und dunkler, roter Rauch stieg heraus. Der Rauch formte sich zu einer roten Kralle und raste geschwind auf Jaden zu. Schnell packte das Ding das LivingHeart des Jungen. „Großvater, lass mich los!“ Ließ ich einen Ruf los. Doch Großvater packte nur noch fester. Da entriss die Zipporakralle dem Jungen Jaden das Herz der Freude. Ein Schrei ertönte von dem Jungen wie ich es noch nie gehört hatte. Ein Aufschrei des Schmerzes, der so klar und laut durch das Dorf hallte, dass man davon Gänsehaut bekam. Die Zipporakralle zog das LivingHeart in seine finstere Schatulle und Jaden brach stumm zusammen und fiel in den Schnee. Der Zipporamann schloss wieder die Schatulle und stieg ein. Da riss ich mich von Großvater los und rannte auf das Auto zu. Holmes rief mir hinterher: „ Miyu, bleib hier!“ Doch ich hörte nicht darauf und duckte mich um zum Kofferraum zu kommen. Mit Hilfe einer Sicherheitsnadel und ein paar Handgriffen, dessen Information ich aus einem Buch hatte, öffnete ich den Kofferraum und stieg ein. Leise schloss ich den Kofferraum und das rote Zipporaauto fuhr los. Später erfuhr ich, dass Holmes, bevor er mir nachjagte, zu dem Jungen Jaden ging. Er hob Jaden vom Schneeboden auf. Die Augen des Jungen waren ganz leer geworden und die Freude in ihm ausgelöscht. Da kam die Mutter heraus und sah mit Entsetzen auf den Jungen. „Mein Junge!“ Sherlock Holmes legte den Jungem in die Arme seiner Mutter. „Was ist mit seinen Augen? Warum sind seine Augen leer? Wo ist sein Herz? Sagen sie schon“, horchte die Mutter verzweifelt aus. Doch Holmes wies sie an: „Bringen sie den Jungen ins Krankenhaus! Schnell! Ich werde alles tun, um ihnen zu helfen. Dazu muss ich sie leider jetzt verlassen.“ Großvater ließ die Mutter mit dem Jungen Jaden stehen und rannte los zum Auto, in dem Randolf wartete. Schnell befahl er dem Fahrer, den Reifenspuren im Schnee zu folgen. Was Randolf sofort tat und brausend davon fuhr. Das alles bekam ich nun aber nicht mehr mit.




Wiedersehen mit Vater

Während Großvater die Verfolgung aufnahm, lag ich immer noch zusammengerollt im Kofferraum. Doch ich hatte noch viel Platz. Auch ließ ich einen Spalt des Kofferraums offen. Damit ich später aus diesem stickigen Raum aussteigen konnte. Doch geduldig lag ich im Kofferraum und wartete. Ab und zu ruckelte und schüttelte es von allen Seiten. Manchmal fuhr dieses Auto auch durch Schlaglöcher und ich bemerkte, dass der leichte Aufprall auf dem Kofferraumboden doch sehr schmerzhaft sein konnte. Mit einem Mal hielt das rote Zippora-Auto an und ich wagte einen leichten Blick durch den Spalt des Autos. Dabei erkannte ich die Umrisse einer gewaltigen weiß gestrichenen Lagerhalle. Mit lautem Geknarre öffneten sich die Tore dieser Lagerhalle und das Auto fuhr ein. Schnell ging ich wieder in Deckung und wartete darauf, dass das Auto ganz hielt. Als das Auto doch anhielt, hörte ich, wie die Zipporas aus dem Wagen stiegen und die Türen zuknallten. Ich hörte Schritte, die mehr und mehr vom Wagen wegführten. Da öffnete ich langsam und sehr leise den Kofferraum. Nur eine mittlere Öffnung reichte, um mich aus dem Kofferraum herauszurollen. Ich krabbelte und kroch auf dem Boden entlang. Zwischendurch versteckte ich mich hinter einer dieser roten Zippora-Autos. Doch nun konnte ich mich wieder erheben, denn an den Wänden der Lagerhalle standen riesige, bombastische Holzkästen und kleinere Kästen. Auch hingen und standen beachtliche Käfige herum sowie Holzfässer, Reifen, Werkzeugkisten und Bretter. Über mir waren noch ein erhebliches Treppengeländer und Metallgänge, auf denen noch einige Wachleute der Zipporas standen. Ich schaute um einer der üppigen Holzkästen und sah in der Mitte der Lagerhalle die Zipporaleute in Reih und Glied stehen. Ganz vorne führte eine siebenstufige Treppe zu einem rundlichen Podest. Auf dem stand ein auffallender Thron in schwarz und mit großen, dunkelroten Z darauf, auf dem die Anführerin Zilan wie eine Königin hockte. Ich war auf der rechten Seite hinter einem Kasten und auf der linken Seite, genau neben dem Thron Zilan, standen aneinander gereiht mehrere Tische. Auf diesen Tischen stand die Schatulle Zed und einige LivingHeart lagen im Halbkreis um dieses rote/schwarze Kästchen. Jetzt wollte ich endlich Hilfe holen und ging langsam von der Mitte rückwärts zurück. Unvermutet stieß ich von hinten mit etwas Metallischem zusammen. Ruckartig drehte ich mich um und erblickte ein runter hängendes Tuch, aus dem von der Decke eine dicke Kette heraus ragte. Unter dem blitzten Gitterstäbe hervor und ich erkannte dass es ein gigantischer Tigerkäfig war. Unerwartet hörte ich von innen dieses Käfigs ein Stöhnen. Ich ging um den Käfig herum. Das Tuch lag von der anderen Seite nur wie ein Vorhang auf dem Käfig. Ich ergriff das Tuch und zog mit beiden Händen, das ziemlich schwer war, zur Seite. Eine zusammen gekauerte Person mit langem, kastanienbraunen Mantel lag auf dem Käfigboden. Überraschend musste ich genauer auf diesen Mann gucken und entdeckte dabei schwarz gelocktes Haar. „Vater!“, äußerte ich mich Hals über Kopf. Da erhob sich der Kopf dieses Mannes und ich sah in die dunkelbraunen Augen meines Vaters. „Miyu!“, erwiderte mein Vater und zog sich langsam zu mir rüber. Ich umfasste nun die Gitterstäbe und da war mein Vater auch schon bei mir. Durch die Gitterstäbe legte er seine Hand auf meine Wange und gab zu erkennen mit einem Hauch der Verzweiflung: „Du bist es wirklich! Mein kleiner Spatz! Meine tapfere Miyu! Was tust du hier?“ Das hatte ich wirklich nicht erwartet und so brachte ich nur eins raus: „Mein Papa...! Ich hol dich hier raus!“ Kurz entfernte ich mich von meinem Vater und suchte einen der Werkzeugkisten. Doch schnell um die Ecke stolperte ich über eine der Kisten. Schlagartig zog ich einen Bolzenschneider aus der Werkzeugkiste und war in sekundenschnelle wieder bei meinem Vater. Nun stieg ich auf den Gitterboden und hielt mich an den Gitterstäben fest. Mein Vater horchte mich aufgeregt aus: „Miyu, was soll das? Verschwinde von hier, bevor sie dich erwischen!“ Doch ich merkte an und bat ihn: „Ich lass dich nicht zurück! Bitte halt mich fest! Damit ich beide Hände frei habe.“ Ohne weitere Worte zu verlieren packte mein Vater Jacob Holmes meine Hüften. Als nächstes streckte ich mich mit beiden Armen und dem Bolzenschneider nach dem Hängeschloss aus. Ich legte den Bolzenschneider an das Schloss an und drückte fest das Werkzeug in meiner Hand zu. Der Druck in meinen Händen verursachte schmerzhafte, rötliche Druckstellen. Doch dies machte mir nichts aus. Krachend zerbrach das Schloss und fiel auf den Boden. Mein Vater hielt mich mit beiden Händen solange fest bis ich vom Käfig wieder runter gestiegen bin. Dann öffnete leise mein Vater die Käfigtür und stieg herunter. Als mein Vater endlich draußen war, nahm er mich in den Arm und meinte: „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen. Lass uns verschwinden!“ Aber darauf verneinte ich: „Das geht nicht! Die Zipporas haben einem Jungen sein LivingHeart gestohlen und ich habe mich im Kofferraum versteckt, sodass ich die Verfolgung aufnehmen konnte. Wir können noch nicht weg! Jaden braucht sein Herz!“ Bevor mein Vater mir antworten konnte, hörten wir leise Schritte, die auf uns zu kamen. Schlagartig zog mich mein Vater an sich und versteckte sich mit mir hinter einer der üppigen Kisten. Er schob mich hinter sich und war bereit zum Angriff. Geschwind packte mein Vater den Herankommenden um die Ecke am Kragen und rammte ihn gegen den Gitterkäfig. „Großvater!“, erwähnte ich überraschend. Abrupt sah mich mein Vater an und fragte nach: „Großvater?“ Aber nicht ich antwortete ihm, sondern Opa Holmi: „Ja! Guter Mann; würden sie endlich ihre Hände von mir ablassen!“ Sofort lies Vater Holmes los und meinte verwirrt: „Sie sind Sherlock Holmes! Aber Sie waren doch in diesem Eiskasten. Wie ist das
möglich?“ Sherlock Holmes richtete erstmal seinen Kragen, bevor er erklärte: „Ich vermute mal, sie sind Miyus Vater. Ihre Tochter hat mich aus dem Eisding befreit.“ Mein Vater sah noch etwas skeptisch Holmes an, aber dann entschuldigte er sich: „Entschuldigen sie, dass ich diese unerhörte Handlung an ihnen verging!“ Somit reichte mein Vater Sherlock Holmes die Hand. „Schon gut! Sie haben einen festen Griff“, erwiderte Holmes darauf.




Die Zerstörung der Schatulle Zed

„Sie sind einer meiner Vorfahren, mein Großvater!“, sprach mein Vater. Doch unerwartet nahmen sich die beiden Männer in den Arm. „Das war jetzt wirklich überraschend“, bemerkte ich. Das war ja auch kein Wunder, weil mein Vater in seiner Brust das violette LivingHeart, das Herz der Liebe und Treue in sich trug. Darauf sah mein Vater mich wieder an und meinte: „Du solltest ihn nicht gleich aus dem Eiskasten auftauen, sondern Holmes bewachen bis ich wieder da bin! Aber trotzdem bin ich sehr stolz auf dich. Du hast das Richtige getan, meine kleine Miyu.“ Vater nahm mich zum zweiten Mal in den Arm. Dabei richtete er seinen Blick wieder auf Großvater und erwähnte: „Aber das sie meine Tochter hierher alleine herkommen ließen, war sehr gefährlich.“ Da gab Holmes zu bekennen: „Das habe ich nicht! Sie ist mir entwischt und sie ist sehr eigenwillig.“ Da hielt mich mein Vater fest an den Schultern etwas ab und lächelnd schaute mein Papa mir in die Augen und teilte mit: „Diese Eigenwilligkeit hat sie von ihrer Mutter sowie die grünen Augen.“ Holmes musste jetzt auch schmunzeln und meinte: „Verstehe! Wir sollten uns auf den Weg machen und das Herz des Jungen holen!“ Beide bejahten dies und mit mir in dem Arm machte sich Vater und Sherlock Holmes auf den Weg durch die Lagerhalle. Nachdem wir wieder in die Mitte der Lagerhalle kamen, schlichen wir von einem Metalltreppengeländer bis zum nächsten. Bald waren wir fast an den gereihten Tischen. Keiner der Erwachsenen wusste, was als nächstes zu tun ist, ohne sich dabei in Gefahr zu bringen. „Wenn es doch nur eine Möglichkeit geben würde, die Schatulle Zed zu zerstören“, flüsterte ich so leise, dass mein Vater Jacob und Großvater Holmes es nicht hörten. Da umhüllte sich die weiße Taube wieder mit einem grellen Licht und erwiderte: „Es gibt eine Möglichkeit, schöne Feder! Aber sie ist sehr gefährlich! Die Zipporakrallen sind an ihre Schatullen gebunden. Zerbricht man die Schatullen, dann zerbricht auch die Zipporakrallen und sie lösen sich ins nichts auf und die Herzen kehren zu ihren Besitzern zurück.“ Einen Moment ging ich in mich, aber Hals über Kopf entschied ich mich: „Ich versuch's!“ Das Licht der weißen Taube erlosch und blitzartig rannte ich auf den Tisch zu, so schnell wie ich konnte. Erschrocken erhoben sich Holmes und mein Vater mit lauter Stimme riefen sie: „Miyu...!“ Geschwind packte ich die Schatulle Zed und hielt sie über meinen Kopf. „Halt!“, ertönte es stehend von Zilan. Doch ich zögerte keine Sekunde. Mit voller Wucht schleuderte ich Zed auf den Boden und zerbrach die Schatulle in seine Einzelteile. Kreischend löste sich die Zipporakralle in einen roten Rauch des Nichts auf. Unvermittelt flogen aus der Schatulle Zed die LivingHearts von dem Tisch hinauf zu dem Dach der Lagerhalle. Durch die offenen Luken über die Nacht wieder zurück zu ihren Besitzern. Unverhofft blieb ein weißes LivingHeart schwebend vor meinem Angesicht stehen. Da hörte ich wieder dieses starke Klopfen in meinem organischen Herzen und ich wusste, dass es mein LivingHeart ist.



Der Schuss

Ganz leicht wollte ich dieses klare und reine Licht meines LivingHeart berühren. Leicht legte ich meine Hände an die Seiten des unberührten und reinen Lichts. Zwischen meinen Händen schwebte nun das makellose, weiße LivingHeart. Wie aus heiterem Himmel zerriss ein Knall mit einem Donner durch die Luft und traf mein LivingHeart, sodass es in tausend Glassplitter zerbrach. Direkt vor meinen Augen rieselten die Glassplitter meines LivingHeart zu Boden. Schlagartig ergriff ich die Brust meines Herzens und ging in die Knie. Ein unsagbarer Schmerz, der von meinem inneren Herzen ausging durchzog meinen ganzen Körper. Es tat entsetzlich weh und Blut sickerte durch meine Finger. Angestrengt hob ich langsam meinen Kopf hoch. Mit gezogener Pistole hatte sich Zilan erhoben und feuerte einen Schuss auf mein LivingHeart ab. Die Kugel traf genau ins Schwarze. Obwohl mein organisches Herz nicht getroffen wurde, sondern nur mein LivingHeart, war es genauso tödlich getroffen wie mein LivingHeart, weil das LivingHeart ein Teil des inneren Herzens war. Immer noch die Pistole auf mich gerichtet, stieg die Zipporafrau langsam das siebenstufige Treppenpodest herunter. „Hast du wirklich geglaubt, ich überlasse dir einfach so wieder dein Herz? Was für ein dummes Mädchen“, meinte Zilan mit ungehaltener Stimme. Da stand sie nun vor dem Podest und machte mit erzürnter Stimme klar: „Du bist also die kleine Göre, die mir schon zweimal meine Pläne durchkreuzte. Ich hab es nicht gern, wenn man mir in die Quere kommt. Das kann tödlich für denjenigen enden.“ Da verließen Sherlock Holmes und mein Vater Jacob Holmes ihr Versteck und stürmten auf mich zu. Aber ruckartig waren die beiden Männer von den Zipporas umstellt und konnten mich nicht mehr erreichen. Unmengen von Pistolen waren auf meinem Vater und Holmes gerichtet. „Lassen sie mich zu meiner Tocher“, befahl mein Vater besorgt. Nun ließ Zilan ihre Waffe sinken und wandte sich meinem Vater zu: „Sieh mal einer an! Das hier ist also ihre Tochter. Der Apfel fällt tatsächlich nicht weit vom Stamm. Wie schade, dass ihr Leben jetzt vorbei ist!“ Unerwartet erwiderte mein Vater aufgebracht: „Wie können sie nur? Sie ist noch ein Kind!“ Zilan funkelte zurück und bemerkte: „Und wenn schon! Dann hätten sie ihrer Tochter beibringen sollen, dass sie sich nicht in die Angelegenheit der Erwachsenen einmischen sollte und sie lieber dazu anordnen sollen, mit ihren Puppen zu spielen anstatt das gefährliche Spiel einer Detektivin zu spielen. Ich mache auch nicht Halt vor Kindern. Schließlich stehle ich ihre Herzen.“ Diese Worte hörte ich nur noch ganz schwach. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass jedes Geräusch sich immer mehr von mir entfernte und von meinen Augen wurde langsam alles verschwommen. Das Leben in mir begann zu verschwinden und die letzte Kraft wurde fast in mir ausgeblasen. Der Schmerz wurde immer unerträglicher und Blutstropfen vielen auf den Boden der Lagerhalle. Auch kleine Schweißtröpfchen liefen von meiner Stirn herunter. Nun war alles aus.



Nichts verloren

Langsam wurde mir schwarz vor Augen. Doch öffnete ich noch immer wieder die Augen. Unvermutet formte sich der Anhänger um meinen Hals zu einer Lichtkugel in hell glänzendes, weißes Licht. Die Kette löste sich von meinem Hals und das Licht schoss zur Decke. Im blendenden Licht tauchte die weiße Taube auf. Das edelweiße Federkleid strahlte wie die feinsten Diamanten und die goldenen Augen, die so tiefgründig wie der Ozean waren, brannten wie das reinste Feuer. Mit einem Mal brach ich zusammen und kippte zur Seite. Meine Augen klappten immer mehr zu. Auf einmal sah ich, wie die weiße Taube vor mir und den Scherben meines LivingHeart landete. Sie beugte ihren Kopf zu den Scherben meines Herzens und aus ihren tiefgründigen Augen liefen klare Tränen. Die Tränen fielen auf den Scherbenhaufen meines LivingHeart. Im strahlenden, weißen Licht fingen die Glassplitter meines Herzens an zu glühen und die Funken sprangen auf meinem Körper über. Plötzlich fühlte sich mein Körper ganz leicht wie eine schwebende Feder an. Etwas Unsichtbares hob meinen Körper vom Lagerboden auf. Noch spürte ich nicht den Boden unter meinen Füßen. Auch die Glassplitter meines LivingHeart erhoben sich vom Boden. Vor meinen Augen und Brustkörper setzte sich mein weißes LivingHeart zusammen und zur gleichen Zeit floss das Blut vom Boden und von meinen Händen zurück in meine schlagende Brust. Nachdem das Blut zurückgegangen ist in meinen Körper, schloss sich die Wunde in meiner Brust und im organischen Herzen. Rasch flog das LivingHeart auf meinen Brustkorb zu und die Kette legte sich um meinen Hals. Blitzschnell wurde mein Körper von hellem, weißem und reinem Licht durchflutet. Ich spürte, wie die Klarheit in meine Augen zurückkam und die Leere verschwand. Es fühlte sich unglaublich heiß und brennend an. Hals über Kopf musste ich soviel Luft in der Schwebe aufnehmen, dass ich einen solchen tiefen Seufzer losließ, wie ich ihn noch nie hatte. Alles kam auf einmal: die ganzen Gefühle der neun Jahre kamen zugleich. Ich spürte die Trauer über meine Mutter. Dicke Tränen fielen von meinen Gesicht herunter und zugleich spürte ich eine tiefe Freude über das wieder gewonnene Herz, dass ich so sehr lachen musste, dass dies meinem ganzen Körper durchströmte. Auch ein leichtes Ziehen von Zorn im Herzen spürte ich. Doch schnell verging dies und meine Füße setzten sich langsam wieder auf dem Boden ab. Noch immer strahlte mein LivingHeart als ich den linken Arm anwinkelte und Richtung meines Brustkorbs erhob. Da flog die weiße Taube in die Luft mit ihren edelweißen Schwingen und setzte sich nieder auf meinen Arm. In dieser ganzen Zeit ist Zilan ein Stück auf meinen Vater zugegangen. Erschrocken über dem Geschehenen drehte sich Zilan ruckartig zu mir und der weißen Taube um. Da ließen die Zipporamänner von meinen Vater Jacob und meinen Großvater Sherlock Holmes ab. In tiefer Panik flohen die Männer und Zilan aus der Lagerhalle. Denn es gibt noch etwas, wovor sich die Zipporas noch mehr fürchten als vor der Dunkelheit. Nämlich die weiße Taube in ihrer ganzen Pracht. Zornentbrannt rief Zilan ihren Männern hinterher. „Kommt sofort zurück, ihr Feiglinge!“ Doch ehe die Zipporafrau noch etwas Weiteres sagen konnte, forderte die weiße Taube Zilan auf: „Du solltest jetzt besser gehen! Dieses Mädchen mit ihrem Herzen gehört mir. Sie ist unantastbar und ihr Leben ist durch mich errettet. Verlass diesen Ort oder du bekommst meine ganze Macht zu spüren!“ Die weiße Taube und ich sahen Zilan an, die sich wieder zu uns umdrehte und uns erbost anfunkelte mit ihrem undurchdringlichen gelben Auge. Unvermittelt zog sie eine weitere Waffe hinter ihrem Rücken hervor. Zilan richtete die Waffe, die die Vorrichtung eines Enterhakens hatte, zur Decke und schoss. Der Enterhaken flog durch einer der offenen Luken und hakte sich fest. Noch einmal erwiderte Zilan mit heimtückischer Stimme: „Wir werden uns wieder sehen! Das war noch nicht das letzte Wort und auch noch nicht die letzte Begegnung. Das nächste Mal krieg ich dich, kleine Detektivin! Dich und die weiße Taube!“ Mit dieser Drohung zog sich Zilan hoch in die Lüfte durch die Luke. Nun war sie verschwunden und alle konnten aufatmen. Ohne weitere Zögerung erhob sich die weiße Taube mit ihren strahlenden Schwingen in die Lüfte. Sie umkreiste noch einmal die Decke und mit einem Sturzflug umstrahlte sich die weiße Taube wieder mit einem hellen, weißen Licht und fuhr in mein LivingHeart rein. Das weiße LivingHeart hörte abrupt auf zu leuchten und es war die Abbildung der weißen Taube zu sehen. Rasch rannte mein Vater auf mich zu und packte mich an den oberen Armen als er mich in seiner verzweifelten Liebe tadelte: „Verrücktes Kind! Mir so einen Schrecken einzujagen! Du bist doch mein Liebstes und das Einzige, was mir von deiner Mutter geblieben ist. Mein Spatz erschrecke mein Herz nicht noch mal so!“ Als ich so in seine besorgten Augen sehen musste, da überkam mich eine Tränenflut und leise kicherndes Lachen. Herzerweichende Tränen weinte ich voller Schluchzen. Als mein Vater dies erschrocken sah, erklärte er: „Entschuldige! Ich wollte nicht schimpfen. Ich hatte nur solche Angst, dich zu verlieren.“ Doch ich erwiderte meinem Vater unter Tränen: „Das ist es nicht! Ich kann wieder Weinen! Das fühlt sich so unglaublich an. Alles kann ich wieder fühlen! Ich weiß nicht, was ich zuerst fühlen soll. Ich fühle die Traurigkeit um Mama, den Schmerz und den Verlust. Gleichzeitig die Freude und das Glück, aber auch den Zorn. Alles dreht sich in meinen Herzen wie ein Karussell oder wie eine schnelle Achterbahnfahrt.“ Nun nahm mein Vater mich in den Arm und drückte mich fest an sich als er mir versicherte: „Ja! Du kannst wieder weinen und lachen und ich bin so froh darüber. Dein Herz braucht nur noch Zeit, um in dir wieder anzukommen. Ihr wart eine sehr lange Zeit von einander getrennt. Aber die weiße Taube ist jetzt dein ganzes Herz und sie wird dir helfen. Das weiß ich!“ Nach diesen Worten erhob sich mein Vater und strich mir über den Kopf. Das tat so gut! Endlich konnte ich es wieder innen drin fühlen, wenn mir jemand Berührungen aus Liebe schenkte. Überraschend stand Holmes auf einmal vor mir. Er nahm mich auf den Arm. Immer noch flossen Tränen von meinen Gesicht runter als Großvater offenbarte: „Du bist einzigartig und eine würdige Detektivin! Ich hätte nie gedacht, dass meine Enkelin in mir Zuneigung und Liebe wecken könnte. Aber da habe ich mich getäuscht. Ich hab dich lieb gewonnen, meine liebe Miyu! Aber trotzdem bin ich lieber ein Denker, als ein Emotionaler.“ Durch diese Worte entlockte mein Großvater mir ein Lächeln und ich erwiderte auf seinen Arm: „Ich hab dich lieb Opa Holmi!“ Wir nahmen uns fest in die Arme.



Das Geschenk

Nach langer Zeit kehrte endlich wieder Ruhe im Hause der Villa Flame of King ein. Vater war wieder da und ich war glücklich darüber. Ich hatte meine Mutter verloren. Doch einen Großvater gewonnen. Fast täglich musste ich jede Nacht darüber weinen, über den Verlust meiner Mutter. Aber oft auch lachen und mich freuen darüber, dass mein Vater wieder da ist, dass ich die weiße Taube gefunden habe und dass mein Großvater der berühmte Detektiv Sherlock Holmes an meiner Seite war. In den Nachrichten und Zeitungen ging es rauf und runter. Die Polizei stellte Ermittlungen an über das Zurückkehren der LivingHearts zu den Freakchildren. Es waren hundert Kinder, die ihre LivingHearts zurück bekamen. Auch der Junge Jaden bekam sein Herz der Freude im Krankenhaus wieder. In den Nachrichten und Zeitungen brachten sie, dass die Schwester im Krankenhaus das Fenster öffnete. In diesem einen Moment schoss das grüne LivingHeart durchs Fenster und kehrte zu Jaden zurück. Das war einer von vielen überraschenden Ereignissen, für die die Polizei keine Erklärung fand. Nur ein anonymer Tipp meines Vaters führte die Polizei zur Lagerhalle, wo Zilan mit ihrer Organisation von Zipporas war. Natürlich wurden die Zipporaautos von der Polizei in Beschlag genommen. Doch außer ein paar Überresten von der Schatulle Zed und wie immer ein rotes Tuch fand die Polizei nichts. Außerdem hatte die Polizei in der Zwischenzeit überall Phantombilder von der Anführerin Zilan aufgehängt, um nach ihr zu fahnden. Nur wir, Sherlock Holmes, Vater und ich, kannten die Wahrheit. Aber Holmes fand es erstmal besser, dass keine Information zur Polizei durchsickern sollte. Denn dadurch, dass ich fast mein Leben verlor, erkannten wir, wie gefährlich wirklich die Zipporas waren. Mein Onkel wusste von all dem noch nichts. Außer, dass mein Vater wieder sicher aufgetaucht sei. Was Onkel Andrew sichtlich erleichterte. Doch Holmes und mein Vater beschlossen, ihm alles zu erzählen, sobald Onkel Douai sich frei machen konnte und uns einen Besuch abstatten konnte. Dann war es nun soweit, dass Onkel Douai uns besuchen kam. Es war eine Woche vergangen, seit der Begegnung mit Zilan. In dieser Zeit blieb ich zu Hause, weil mein Vater mich um sich haben wollte und weil das Gefühlchaos mich so umwarf, dass ich für einige Zeit lernunfähig wurde. Kaum betrat Onkel die Villa, da trat ihm auch schon mein Vater entgegen. Die beiden Brüder umarmten sich und Onkel Andrew teilte meinen Vater mit: „Jacob! Ich bin froh, dass ich meinen Bruder gesund wieder habe.“ Vater klopfte Onkel Douai auf die Schulter und meinte darauf: „Und ich bin dir dankbar, Andrew, dass du dich gut um meine Tochter gekümmert hast.“ „Das war doch selbstverständlich! Wir sind eine Familie und stehen für einander ein.“ Nun erkundigte sich mein Vater bei Onkel Douai: „Wollte deine Frau nicht mitkommen?“ Onkel Douai erwiderte darauf: „Nein! Bridget ging es nicht gut. Sie hat Migräne! Außerdem haben wir noch einiges zu Besprechen. Ich habe gehört, dass Miyu kein Freak... !“ Da erblickte mich Onkel Douai auf der Treppe. Holmes war in der Küche und ließ sich von Mrs. Mudson Unterricht in Kochen geben. Worüber Watson sicherlich gestaunt hätte. Fröhlich sprang ich die Treppenstufen herunter und fiel meinem Onkel in die Arme. „Miyu, du bist so verändert“, deutete Onkel Andrew an und nahm mein Gesicht in seine Hände, als er weiter sprach: „Deine Augen, sie haben ihren Glanz wieder bekommen und sie sind so klar und voller Leben. Ich bin begeistert! Gelobet sei die weiße Taube!“ Als nächstes entdeckte Onkel Andrew mein weißes LivingHeart mit der eingebrannten Abbildung der weißen Taube und nahm es in die Hand. Jetzt sah man in seinen Augen absolute Zufriedenheit und ein erleichtertes Lächeln. Da meinte mein Vater: „Lass uns doch in die Küche gehen und über das Weitere sprechen!“ Onkel Douai erwiderte darauf: „Natürlich!“ Als nun mein Onkel die Küche betrat war er sichtlich überrascht. „Holmes! Sie in Schürze?! Also das hätte ich jetzt nicht erwartet.“ Mit Löffel im Mund drehte sich Großvater Holmes um und brachte vor: „Ich wollte einfach nur mal was Neues ausprobieren! Ich bin immer noch ein absoluter Denker und Detektiv. Und warum sollte ich nicht die Kochkünste von Mrs. Mudson inspizieren?“ So gab Onkel Douai lachend darauf zurück: „Da haben sie natürlich Recht!“ Mrs. Mudson wusste schon inzwischen, wer Opa Holmi wirklich war. Mein Großvater hat es ihr gesagt, nachdem Ruhe eingekehrt ist und wir wussten, dass wir Mrs. Mudson vertrauen konnten. Was natürlich umso mehr eine Ehre für Mrs. Mudson war, für die Familie Holmes zu arbeiten. Denn schließlich war Mrs. Hudson einer ihrer Vorfahren und so konnte Mrs. Mudson einiges über ihre Großtante erfahren. Da wies Mrs. Mudson die Herumstehenden an: „Meine Herren und meine junge Dame, warum setzen sie sich nicht zu Tisch? Das ist bequemer als Stehen.“ Nun setzten wir drei uns an den silbernen Staubkerntisch, während Holmes Mrs. Mudson weiterhin über die Schulter schaute. Mein Vater berichtete Onkel Andrew nun über die Ereignisse der letzten Woche und dass ich fast dabei gestorben wäre. Aber auch, dass er das Wunder der weißen Taube erleben konnte. Onkel Douai hörte geduldig zu und nachdem mein Vater alles gesagt hatte, was gesagt werden musste, äußerte sich Onkel Andrew darüber: „Ihr macht mir vielleicht Sorgen! Aber ich bin froh, dass ihr alle heil zu Hause angekommen seit. Natürlich wird erstmal von mir auch noch kein Wort zu Polizei durchsickern. Außerdem bin ich beeindruckt von der Macht und Stärke der weißen Taube. Ihr gebührt wirklich nur allein alle Ehre! Jetzt haben wir also drei Detektive in unser Familie!“ Aber da offenbarte mein Vater: „Nein! Zwei Detektive in unserer Familie: ein berühmter Detektiv und eine Schülerdetektivin reichen vollkommen aus. Außerdem hab ich mich als Detektiv ungeschickt angestellt und mich von den Zipporas gefangen nehmen lassen. Deshalb wollte ich dich fragen, ob ich in deiner Schule als Lehrer wieder anfangen kann. Denn so könnte ich mich wieder meinen Lieblingsbereichen der Theologie und der prophetischen Kunst widmen. Und ich könnte so meiner Tochter Miyu nah sein, wenn sie mich braucht.“ Das überraschte meinen Onkel völlig, aber dann antwortete er: „Mein lieber Bruder, es wäre mir eine Ehre, dich wieder als Lehrer an unserer Schule begrüßen zu dürfen. Außerdem bin ich deswegen hier, um mit euch darüber zu sprechen wie es jetzt mit Miyu weiter gehen soll.“ Holmes und ich hörten während dieser Zeit den beiden Brüdern aufmerksam zu. Wobei Großvater noch seine Blicke gleichzeitig auf Mrs. Mudsons Kochkünste gerichtet hatte. Nun richtete Onkel Andrew seinen Blick auf mich und erklärte: „Miyu, ich würde es besser finden, wenn du ab nächste Woche wieder die Schule und das Internat besuchst. Natürlich wird sich einiges für dich ändern, aber nicht viel. Du bist jetzt kein Freakchild mehr und kannst leider daher nicht mehr mit Amanda allein in einem Zimmer leben. So besagt es zu mindestens die Schulordnung. Wir haben eine neue Schülerin bekommen. Sie ist ein Freakchild und heißt Salome Eisenhauer. Der Diebstahl ihres LivingHeart war besonders schlimm. Das Mädchen verlor ihr gelbes LivingHeart vor fünf Jahren und sie ist ein Jahr jünger als du. Dabei war der Verlust ihres Herzens so schlimm, dass ihre Haare durch den Diebstahl schneeweiß wurden. Amanda und du, ihr beide, werdet in das gegenüberliegende Zimmer ziehen, das größer ist und drei Betten zur Verfügung hat. Denn ich möchte, dass Salome zu euch zieht. Außerdem glaube ich, dass du Salome eine sehr große Wohltat wärst und natürlich auch Amanda.“ Wie aus heiterem Himmel kamen mir die Tränen. So legte mein Onkel seine Hand auf meine und erkundigte sich: „Geht dir das so nah?“ „Nein, Onkel Andrew! Meine Gefühle gehen öfters mit mir durch, seit sie wieder da sind. Was sehr anstrengend
ist“, erläuterte ich. Ein sanfter Blick traf mein durchnässtes Gesicht von Onkel Douai als er sich weiter mitteilte: „Genau auch deswegen würde ich es gut finden, wenn du zurück kommst an die Chastity-Claire Schule. Wir haben gute Ärzte, die dir helfen können, wieder mit deinem LivingHeart zurecht zu kommen. Außerdem hättest du auch dort die Unterstützung von Pastor Meyer und mir, sowie von deinem Vater, der auch vor Ort wäre. Wobei die weiße Taube diejenige ist, die dich am meistens stärken wird, kleine Miyu. Denk darüber noch mal in Ruhe übers Wochenende nach und dann triff mit deinem Vater die Entscheidung!“ Doch da erwiderte ich: „Aber Großvater wird nicht da sein!“ Nachdem diese Worte Opa Holmis Gehör erreichten, wandte er sich schlagartig mir zu. Dabei kam er nun auf mich zu und legte seine Hand auf meinen Rücken und äußerte sich: „Ich werde hier die Stellung als Detektiv halten. Aber du, Miyu, wirst als Schülerdetektiv in der Schule gebraucht. Denn wenn irgendwelche merkwürdigen Vorkommnisse auftauchen zu den Freakchildren, dann musst du dir das notieren, damit wir dem Fall gemeinsam nachgehen können und ihn auch lösen. Außerdem hast du einen Auftrag von der weißen Taube, den Freakchildren zu helfen. Und wann immer du meine Hilfe brauchst, kannst du mich sofort kontaktieren und ich bin sofort an Ort und Stelle für dich da. Und wir sehen uns jedes Wochenende und in den Ferien wieder.“ Auf einmal erhob ich mich und bat um Entschuldigung: „Bitte entschuldigt mich! Ich möchte jetzt allein sein und über das Ganze Nachdenken.“ Lächelnd strich mir mein Vater über die Schulter und versicherte mir: „Ich bin für dich da!“ So ließen mich alle drei gewähren und ich verließ die Küche, um auf mein Zimmer zu gehen. In meinem Zimmer hielt ich mein LivingHeart mit der weißen Taube in der Hand. „Weiße Taube, kannst du mich hören! Ich ertrag kaum die Trauer über meine Mutter, dazu die anderen Gefühle. Die alle gleichzeitig auftreten. Wie soll ich da für andere da sein? Ich hab Angst und ich fühl mich furchtbar schwach. Bevor ich noch keine Gefühle, kein LivingHeart und nicht die Angst hatte zu zerbrechen, war alles viel einfacher.“ Als ich diese Worte sprach, sah ich auf die weiße Taube. Einen Augenblick dachte ich, die weiße Taube hätte mich verlassen, weil sie kein Lebenszeichen von sich gab. Tränen fielen auf mein LivingHeart. Unverhofft strahlte das weiße LivingHeart auf und ich hörte die Stimme der weißen Taube: „Schöne Feder, hab keine Angst! Denn ich bin bei dir! Ich werde dich tragen und dich schützen! Nicht ein Einziger wird dir ein Haar krümmen. Du wirst nicht zerbrechen, weil ich dich halte. Und wenn du schwach bist, dann will ich deine Stärke sein, meine schöne Feder. Ich will dich segnen und dich zur Beschützerin der Freakchildren und der anderen Kinder ernennen. Durch meine Kraft wirst du als Kind viele Herzen zu ihren Besitzern zurückbringen. Dein Name ist Detektivin des Himmelskönigs und du bist in meinem Herzen eingebrannt. Gerade weil du ein Kind bist, will ich dich gebrauchen für viele. Sei gewiss, ich bin bei dir!“ Blitzartig wurde mein Körper von diesem weißen, reinen Licht durchflutet und ich spürte in mir tiefen, inneren Frieden. Als dies geschah, hörte das Licht auf zu glühen und es war wieder absolute Stille im Raum. Ich war dankbar für die Antwort der weißen Taube. Nun wusste ich, wie ich mich entscheiden sollte und ich entschied mich dem Willen der weißen Taube, die meine Lebenskraft war, zu beugen. Spät am Abend als ich schon in meinem grünkarierten Schlafanzug auf meinem weißen Himmelbett saß, klopfte es an meiner Zimmertür. Ich erwiderte darauf. „Ja!“ Es war mein Vater, der das Zimmer betrat. Er setzte sich neben mich aufs Bett und erkundigte sich. „Wie geht es meinem Mädchen?“ Ich stand auf und ging zu meinem exorbitanten Schlossfenster. Als ich so auf die weite unseres Landes mit seinen Wäldern schaute, teilte ich meinen Vater mit: „Ich werde wieder ins Internat zurückkehren! Die weiße Taube hat mich berufen zur Detektivin des Himmelskönigs und meine Aufgabe ist es, den Freakchildren zu helfen. Auch wenn ich selbst noch ein Kind bin. Ich weiß, dass die weiße Taube mir zur Seite steht.“ Ich drehte mich um und sah auf meinem Vater, der mich mit einem Blick des Unwollens ansah. So wirkte es jedenfalls, aber da erhob sich mein Vater. Vor mir ging Vater in die Knie und sah mir in die Augen, als er bemerkte: „Miyu...! Eigentlich hat ein Vater die Pflicht, seine Tochter zu beschützen und nicht zuzulassen, dass seinem Kind auch nur ein Unheil zugefügt wird.“ Einen Momentlang dachte ich, Vater würde mir verbieten in die Schule zurückzukehren, aber da täuschte ich mich, denn er offenbarte: „Aber wenn das dein Wunsch ist, zu tun, was die weiße Taube für dich vorgesehen hat, dann werde ich dich in dem unterstützen, weil du mein Kind bist und ich dich lieb hab. Aber trotzdem werde ich immer wieder auf dich aufpassen, weil dass meine Verantwortung für dich ist. Doch ich weiß, dass die weiße Taube dich schützen wird und auch ich gehöre ja ihr. Deswegen ist das eine gute Entscheidung für ein Kind.“ Am übernächsten Morgen als ich zum Frühstück im Schlafanzug in die Küche kam, richtete Mrs. Mudson ihren Blick auf mich, die schon fleißig bei der Frühstücksvorbereitung war. „Guten Morgen, Miss Miyu! Hast du gut geschlafen?“ Ich ging an ihr vorbei und erwiderte: „Guten Morgen, Mrs. Mudson! Ich habe sehr gut geschlafen!“ Als ich zu unserem Staubkerntisch ging, lag auf meinem Platz ein flaches Päckchen in gold/buntes Geschenkpapier eingewickelt mit einer roten Schleife auf dem Tisch. „Mach es auf, mein kleiner Spatz“, kam es überraschend von meinem Vater hinter mir. Sofort griff ich zuerst nach der silbernen Karte, die unter der roten Schleife steckte. In Vaters Schriftzug stand drauf "Für meinen kleinen Spatz, Miyu Holmes! Von deinem Vater". Als nächstes legte ich die Karte beiseite und riss das Geschenkpapier vom flachen und rechteckigen Päckchen herunter. Hervor kam ein Buch in zartes Lederorange eingebunden mit einem gelben Gummiband. Der Stil war dem der Romantik aus dem 18.Jahrhundert sehr ähnlich und goldene Muster, Blumen und Linien funkelten von dem Einband auf. Still blätterte ich das Buch durch. Was liniert war und ganz am Ende eine Falt-Innentasche hatte. Noch dazu hing ein Lesebändchen aus Satin vom Buchdeckel herunter. „Ein Tagebuch?“, erwähnte ich etwas überrascht. Mein Vater setzte sich gegenüberliegend von meinen Platz hin und erklärte: „Du wirst es brauchen! Gefühle können manchmal sehr verwirrend sein und dann ist es gut, wenn man sie aufschreiben kann und natürlich auch andere Dinge, die wichtig sind. Wenn du dieses Buch mit deinen Worten füllst, wird es dir ein Schmuckstück fürs Leben werden.“ So nahm ich es freudig entgegen und umarmte meinen Vater. Dabei bedankte ich mich: „Danke, lieber Papa!“ Am darauf folgenden Tag fuhr ich nun wieder zurück in die Schule und Internat. Schnell freundete ich mich mit unserer neuen Zimmernachbarin Salome Eisenhauer an, dessen Schicksal mich sehr berührte. Amanda und ich genossen es sehr, nun zu dritt zu sein und seit ich mein eigenes Herz wieder hatte, wurde die Freundschaft zwischen mir und Amanda noch tiefer denn je. Auch nach einigen Schwierigkeiten wurde Nadine eine feste Freundin von uns. So war es auch selbstverständlich, dass wir Salome in unserer Mitte aufnahmen. Denn das war der erste Schritt, klar zu machen, dass Freakchildren genauso Freunde sein können wie andere Kinder. Denn ihr Schicksal kann auch unser Schicksal werden. Denn noch sind die Zipporas nicht geschlagen. Schließlich gibt es noch sechs weitere Zipporaschatullen mit ihren Krallen, die nur gierig darauf warten, Kindern ihr LivingHeart zu entreißen. Einige Tage später vor dem Wochenende ging ich in die Kirche Taubenstein zu unserem Pastor Hanno Meyer. Betend kniete er vor dem Altar als ich ihn ansprach: „Pastor Hanno Meyer, bitte taufen sie mich!“ Abrupt drehte Pastor Meyer sich um und bekam einen riesigen Schreck. Daraufhin meinte er: „Was, jetzt?“ Schnell antwortete ich zurück: „Ja!“ Nun sah mich Pastor Meyer etwas ruhiger an und erklärte sowie berichtete: „Hätte ich das gewusst, hätte ich eine Familientaufe angeordert mit einem riesigen Festgottesdienst. Außerdem kommen hier normalerweise nicht Kinder herein gestürmt und jagen mir einen riesigen Schrecken ein.“ Ich wunderte mich über die Aussage von Pastor Meyer als ich um Verzeihung bat: „Entschuldigen sie, dass habe ich nicht gewollt!“ Aber freundlich erwiderte Pastor Hanno Meyer: „Schon okay! Du hast Glück gehabt! Das Taufbecken ist bis zum Rand noch mit Wasser gefüllt, weil dein Großvater vor kurzem auch hier war und sich von mir taufen lassen wollte. Wenn du willst kann ich dich sofort taufen?“ Erfreut sah ich auf den sitzenden Pastor Hanno Meyer und bemerkte: „Mein Großvater war hier?“ Da erhob sich Pastor Meyer vom Boden und meinte: „Ja! Er ist jetzt bei deinem Direktor, also deinem Onkel. Aber du kannst in die Umkleidekammer gehen! Da liegt auch ein Taufkleid für dich.“ Laut rief ich aus: „Das ist ja super!“ Superschnell rannte ich in die Umkleidekammer und knallte die Tür vor Freude zu. Rasendschnell zog ich mir die Sachen aus und das weiße Taufkleid über. Die Umkleidekammer lag direkt neben dem Podest und Altar und eine Tür weiter der Raum mit dem riesigen Taufbecken. Als ich den Raum betrat, konnte man sehen, dass das Becken in dem Boden eingebettet war. Es war rund und hatte einen weißen Rand mit unendlich vielen, kleinen, weißen Tauben. Ich stieg in die Mitte des Taufbeckens. Pastor Meyer kniete sich auf den Rand des Beckens. Nun legte er seine Hände auf meinem Kopf und auf meine Schulter. Dabei sprach Pastor Meyer ein kurzes Gebet: „Weiße Taube, ich danke dir für das Leben von Miyu Holmes! Danke, Herr, dass du Kinder ganz besonders lieb hast und ich danke dir, dass du Miyu ihr Herz zurück geschenkt hast. Miyu, dein neuer Name wird sein, Detektivin des Himmelskönigs, und so taufe ich dich, Miyu Holmes, im Namen der weißen Taube!“ Mit einem Mal taufte mich Pastor Meyer unter. Doch ruckartig war ich wieder oben und ich fühlte mich wie neu geboren.



Detektivin des Himmelskönigs

Pastor Meyer hatte mich auch schnell wieder aus dem Wasser gezogen. Ich hatte das Gefühl als hätte es nicht mal eine Sekunde gedauert, wo ich unter Wasser war. Doch nun half mir Pastor Hanno Meyer auch ganz aus dem Wasser und nahm sich rasch ein großes Handtuch aus Regalen, die auch an der Wand hingen. Geschwind wickelte er mich in das überdimensionale Handtuch ein und ging zu einem Schreibtisch, der etwas weiter abstand vom Taufbecken. Auf diesem Tisch lagen unendlich viele, gleiche, dicke Taschenbücher. Pastor Meyer nahm sich eins und es sah so aus als würde er eine Widmung hineinschreiben. Da erhob sich auch schon Pastor Hanno und kam auf mich zu. Nun hielt er mir eine "Bibel für Kids" hin und erläuterte: „Damit du nicht den Tag vergisst, an dem du getauft wurdest! Dieses Buch soll dir ein Wegweiser für dein Leben sein, dass die Geschichte von der weißen Taube mit den Menschen erzählt.“ Zitternd nahm ich das Buch entgegen und ich bedankte mich dafür. „Doch nun solltest du dir endlich wieder trockene Sachen anziehen! Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du dich erkältest“, forderte mich Pastor Meyer auf und schob mich durch die Tür. Da war ich auch schon in der Umkleidekammer und trocknete mich ab sowie ich mich auch umzog. So wurde ich Detektivin des Himmelskönigs und mein Abenteuer mit der weißen Taube hörte nicht auf. Ich erlebte viele Wunder mit der weißen Taube und wenn ich schwach war, dann war die weiße Taube meine Stärke. Auch half ich vielen Freakchildren durch die weiße Taube ihre LivingHearts wieder zu bekommen. Sogar als ich Jaden im Krankenhaus besuchte, erlebte ich mit Großvater den berühmten Detektiv Sherlock Holmes sowie meinem Vater, wie der kleine Jaden sein Leben der weißen Taube gab und die weiße Taube sich in das Herz des Jungen hinein brannte. Sherlock Holmes blieb Opa Holmi, denn seit seiner Einfrierung sah man ihm sein Alter, 155 Jahre, nicht an. Doch er genoss es sehr, zum ersten Mal eine Familie zu haben, was sicherlich in Watsons Leben und seinen Notizen über Holmes eine neue Wendung geben würde, wenn er noch leben würde. Auch im Leben meines Vaters veränderte sich viel. Er verliebte sich neu in eine wunderbare, liebenswürdige Frau und heiratete sie, wo ich bald darauf ein kleines Schwesterchen bekommen sollte. Doch wer die Frau war und wie sie hieß und wie all das geschah oder wie es mit der Anführerin Zilan, den Zipporas und den sechs weiteren Zipporaschatullen sowie ihren todbringenden Krallen weiterging, das ist eine andere Geschichte.





Die Urheberrechte gehören nach § 12 BGB und § 10 Urheberrechtsschutz der Verfasserin Steffi Becker.

Impressum

Texte: Illustrationen sind von mir selbst erstellt wurde, per Hand gezeichnet.
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich allen Kinder, die erleben wollen das Gott auch sie ernst nimmt und er die Hand reicht zur Freude am Leben. Denn Gott gebraucht auch die Kleinen und Schwachen und liebt jeden Einzelnen besonders gern.

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