Cover

Sommersprossenaugen

Alles Rechte bei mir


Schwindelgefühle
Es gibt Moment im Leben, da fühlt Sophia sich allein. In solchen Momenten blickt sie in den Spiegel und sieht ein Gesicht, das ihr ohne Reize scheint, ohne Ausstrahlung, nicht liebenswert. Aber dann gibt es noch diese anderen Augenblicke. Seltene Lichtblitze. Sich geliebt und begehrt fühlen. Lachen, lächeln, hoffen – ohne jeglichen Grund. Wie kann es sein, dass eine einzige Person eine solche Gefühlsspanne auslösen kann? Sophia schüttelt den Kopf. Sie wusste, er hasst sie. Jetzt erst einmal das Gefühl betäuben. Das nagende Gefühl in der Bauchgegend, das Ziehen in der Magengrube, fast wie schlechtes Gewissen. Ein Gefühl, dass einen zum Weinen bringen kann, und zum Strahlen, und zum Leben. Sie sieht Sommersprossen vor sich und scheibt das Gesicht dann in Gedanken ganz weit weg. Unruhig wälzt sie sich im Bett hin- und her. Ihr ist schwindelig von zu viel Alkohol. Sie ist betrunken. Von der Kombination aus 43ger mit Milch, Wodka mit Cola –sie findet Softdrinks widerlich, und von ihm. Das schelmische Grinsen, wenn sie etwas lustiges sagt, die Art, wie sich seine Nase ein bisschen kräuselt, wenn er versucht ein Lachen zu unterdrücken, der trockene Humor, die Augen, die manchmal zu ihr gehuscht sind, seine Stimme, die in ihren Ohren immer noch nachschwingt. Nein, sie kann nicht schlafen. Zu viel, was geklärt werden muss. Sie versucht aus dem Gemeinschaftszimmer zu schleichen und stößt dabei gegen eines der Hochbetten und verfehlt die Tür um ein kleines Stück. Eindeutig zu viel Alkohol.
„Sophia, Schnauze!“ hört sie Luise grummeln. Im Bett von Judith rührt sich nichts. Auf Zehenspitzen bewegt sie sich nun tatsächlich Richtung Tür. Kichernd, weil sie alberne Schleichbewegungen macht drückt sie die Tür auf, will sie vorsichtig schließen. PENG. Schief gegangen. Egal. Schnell weg.
Sophia tappt die Treppe runter. Dort ist sein Zimmer, sie bleibt kurz vor der Tür stehen, lauscht. Kein Geräusch. Kein Wunder um halb 6 Uhr morgens, wenn man erst um 4 entschlossen hat, sich gemächlich in Richtung Bett zu begeben. So ist das wohl immer auf Klassenfahrten. Langsam tippert sie weiter, steigt eine weitere Treppe, mehr oder weniger unfallfrei hinab und befindet sich im Esszimmer. Mal sehen, was der Nachtkühlschrank noch so hergibt. Hm, fast leer. Aber dahinten befinden sich noch Reste Schokopudding. Sie isst einen Löffel voll. Doch keine gute Idee. Ihr wird schlecht von der Kombination mit dem Schwindel in ihrem Kopf, dem Kribbeln im Bauch, dem Alkohol, der sie noch unter Kontrolle hat.
„Eine kalte Dusche wird helfen“, entscheidet sie. Vorsichtig überwindet sie die letzte Treppe abwärts, steigt in eine der drei Duschen, natürlich nicht ohne sich vorher sie Kleidung vom Körper zu streifen. Sie lässt das Wasser über ihren Körper rieseln. Erst heißes, dann kaltes und dann ganz schnell wieder heißes. Kalte Duschen sind unangenehm. Dampfend steigt sie aus der Kabine in den vom Wasser aufgeheizten Raum. Ein Handtuch hat sie nicht dabei, aber sie bleibt einfach stehen, wartet bis sie einigermaßen trocken ist und schlüpft wieder in ihre Kleidung. Vorsichtig erklimmt sie die drei Treppen, betritt ihr Zimmer, die Tür knallt, sie stößt gegen das Bett. Alles wie gehabt. Ärgerliches Grummeln aus Richtung Magdalena. Sie lässt sich auf ihr Bett fallen und schläft tatsächlich ein.
Nur wenige Minuten, wie ihr scheint wird sie unsanft geweckt. „Sophia! Mach endlich dein scheiß Handy aus!“ Tatsächlich, da läuft ihr Lieblingslied. „Mach dein Handy aus!“. „Jaja“ brummelt sie und dreht sich um, aber dann ist sie doch wach. Sie erinnert sich vage an letzte Nacht. War sie tatsächlich noch duschen gegangen? Ihr nasses Haar spricht dafür.
Ohje. Ein weiterer Tag pädagogisch sinnvolle Spiele, Gruppendynamik und viele weitere Gespräche über Themen, die sie mit einem Großteil der Mitgefahrenen absolut nicht besprechen wollte. Was solls. Sophia rappelt sich auf, blickt in den Spiegel und schaut ganz schnell wieder weg. Bei den Haaren konnte nicht mal Magdalenas Zauberfön noch was ausrichten. Sie pfriemelte sie in einen Knoten, Haarreif rein, vertretbar. Mehr aber auch nicht. „Ich seh unmöglich aus.“ stellt sie fest. Genervt stöhnen die andren auf: Mann, ich kenn echt niemanden der so selbstkritisch ist, wie du Sophia“ antwortet Luise „außerdem bist du grad selber schuld. Musst ja nicht mit den Jungs saufen…“. Naja, da haben sie auch wieder Recht denkt sich Sophia und spricht lieber nicht weiter, sondern widmet sich mit Judiths Concealer ihren, ihrer Meinung nach, tiefdunklen Augenringen.
Irgendwann ist sie dann doch halbwegs zufrieden mit ihrem Aussehen oder sieht zumindest nichts mehr, was sie ändern könnte. Definitiv kein Alkohol für sie heute Abend. „Sophia, kommst du?“ Judith wartet ungeduldig an der Tür: „Die anderen sind schon längst beim Frühstück und ohne Kaffee geht bei mir heute garnix.“ Sophia seufzt, schlüpft in ihre Pantoffeln in Elefantenoptik und schlurft Judith hinterher, die zum Glück nicht versucht mit ihr zu sprechen. Sie ist kein Morgenmensch und Sophia hängt lieber ihren Gedanken nach. Naja, eigentlich hängt sie nur einem Gedanken nach. Dem Gedanken nach IHM. Was hatte sie nur für ein Glück? Ein Riesenglück, dass er nicht da war, als die Gruppen eingeteilt wurden, wer wohin fährt. War er krank gewesen? Wahrscheinlich nicht. Eher zu viel gefeiert am Abend zuvor. Sie kichert leise, als sie sich vorstellt, wie er ekstatisch auf einer Tanzfläche schwankende Bewegungen macht. Er sah nicht gerade aus, wie der klassische Tänzer. Sie gluckst. Irritiert dreht sich Judith nach ihr um:“ Was’n jetzt schon wieder los?“ brummelt sie. Sie hat wirklich schlechte Laune. Sonst ist sie eher der glückliche Typ, aber morgens ist sie wirklich unerträglich. „Nix, musste an was lustige denken!“ wiegelt Sophia sie schnell ab und ist froh, dass es noch so früh ist und Judith sich nicht weiter erkundigt. Sonst gibt die nämlich nicht so schnell auf.
Endlich erreichen sie den Frühstückssaal. Sophias erster Blick wandert natürlich zuerst durch die Reihen und bleibt dann erleichtert an seiner Rückseite kleben. Ein leichtes Schwinderlgefühl breitet sich wieder in ihrem Körper aus und sie hat das Gefühl, dass es dieses Mal nichts mit dem Alkoholkonsum von gestern Nacht zu tun hat. „Sophia? Sopfie? Wo magst du sitzen? Egal, ich setz mich zu Magda an den Tisch. Da wäre auch noch ein Platz für dich frei…“ Judith hat morgens wirklich unglaubliche Probleme. Welcher Mann das mit ihr mal aushalten soll ist Sophia völlig schleierhaft. Sie ist ein bisschen enttäuscht, dass Judith nicht bemerkt hat, dass auch an Kris Tisch noch Plätze frei sind. Alleine traut sie sich natürlich nicht. Kris…sie kann sich ein erneutes grinsen nicht verkneifen. Eigentlich ein wirklich doofer Name. Wer nennt schon sein Kind Kristofferus? Und das mit K und Doppel-f. Da waren wohl Eltern am Werk, die das Kind zu Individualität erziehen wollten. Aber irgendwie war das denen wirklich gelungen. Besonders war er auf jeden Fall.
Auf einmal bemerkt sie, dass sie immer noch in der Tür steht. Judith hat sich schon längst an den Tisch neben Luise gesetzt und frönt ihrer Koffeinsucht. Magda schmiert sich grade ihr drittes Brötchen. Die kann wirklich so viel essen, wie sie nur möchte und nimmt trotzdem nicht zu. Da sieht Sophia auf einmal das wichtigste. Lara ist fertig mit frühstücken und geht ins Bad. Dadurch wird am Luise-Magda-Judith-Tisch ein Platz frei. Genau mit dem Rücken zu Individualisten-Kris. Plötzlich ist sie gar nicht mehr unsicher. Zielstrebig lässt sie sich auf den frei gewordenen Stuhl fallen. Iiih, noch warm. Sie hasst das. Auch wenn sie die Leute mag, die vorher drauf saßen. Irgendwie findet sie das eklig. Doch ihre Gedanken weilen nicht lange an dem unangenehm angewärmten Stuhl. Da ist etwas anderes Warmes in ihrer Nähe. Etwas Warmes, dass gerade auf höchst angenehme Art lachte. Und plötzlich ist es auch erstaunlich warm IN ihr. Warm auf eine kribbelige, aufregende Art und Weise. Sie lehnt sich weit nach hinten auf ihrem Stuhl. Das Kribbeln nimmt zu. Sie spürt genau, wann er sich bewegt. Unauffällig schließt sie die Augen und atmet einmal tief ein. Schade, riechen kann sie ihn nicht. Blöder Schnupfen. Aber, doch. Da war ein Geruch. Das Kribbeln breitet sich aus bis in ihre Zehenspitzen. „Sophia? Aufwachen“ Magda stupst sie lachend an. „Haha, die letzte Nacht scheint die ja ganz schön mitgenommen zu haben!“
Und wie die letzte Nacht sie mitgenommen hatte. Aber auf eine ganz andere Art, als die andren dachten. Sie seufzt und angelt sie die letzte Scheibe Brot aus dem Korb. „Kannste mir mal den Honig geben?“ fragt sie Luise und dann bemerkt sie ihr Glück. „Ne, der ist leer. Siehst du doch. Wärst du mal früher gekommen.“ Sophia muss sich sehr zusammenreißen um nicht zu strahlen. Sie hatte einen Grund ihn anzusprechen. Sie dreht sich um und…. Überlegt es sich anders. Wäre es nicht viel zu auffällig, wenn sie ihn jetzt nach dem Honig fragen würde? Sie könnte natürlich auch einen andren Tisch fragen. Der etwas vernünftigere Teil ihres Gehirns argumentiert da sehr einleuchtend, dass es das natürlichste der Welt wäre den Naheliegensten zu fragen. Aber das Angstzentrum schlägt diese brillante Begründung mit einem: ‚du hast gestern viel getrunken‘ aus und Sophia sitzt da: halb umgedreht und völlig unsicher, was zu tun ist. Seufzend entscheidet sie sich für den Mittelweg. Wäre ja blöd sich jetzt wieder umzudrehen und so zu tun, als wolle man garkeinen Honig. Sie tippt Max an. Immerhin streift ihr Ärmel dabei ganz kurz Kris Schulter und ein Lächeln zuckt über ihr Gesicht, als er sich ebenfalls umdreht. Anschauen kann sie ihn aber doch nicht. „Habt ihr noch Honig?“ fragt sie Max. Dieser nickt und Kris (!!!) reicht ihr ein halbvolles Glas. Na gut. Jetzt musste sie ihn einfach angucken. Er lächelt wieder sein verschmitztes Lächeln. Ein bisschen unsymmetrisch und nasekräuselnd. Sie kann nicht anders. Sie muss ihn einfach anstrahlen. Und er? Er strahlt einfach zurück. Mit seinen Augen, die von einem ganz erstaunlichen braun waren. Eigentlich fand sie ja blaue oder grüne Augen viel schöner, aber eigentlich hatte sie sich auch geschworen sich NIEMALS in jemanden aus ihrer Stufe zu verlieben. Das konnte ja nur schief gehen. Immer dieser Klatsch und Tratsch der dann überall kursierte. Braune Augen. Mit einem kleinen bisschen grün. Winzige Sprenkel. Wie die Sommersprossen, die seine Wangen und die minimal zu große Nase zieren. Erschrocken realisiert Sophia, dass sie ihn immer noch anstarrt, aber es schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er starrt nämlich genau so fasziniert in ihr Gesicht, in ihre Augen, die sie viel zu klein fand. Auf ihren Mund, der ihr immer zu wenig voll vorgekommen war. Auf ihre Wangenknochen, die sie immer als zu kantig empfunden hatte. Das macht ihr Angst. War das normal? „ Danke“ murmelt sie und sieht erschrocken weg. Dreht sich grade wieder nach vorne. Da spürt sie etwas auf ihrem Arm. Sie starrt darauf. Eine große Hand. Unsicher blickt sie wieder nach hinten. Er lächelt immer noch. Als sich ihre Blicke treffen grinst er: „Bitte“ sagt er leise, aber selbstbewusst und wendet sich dann wieder Max zu, der die besten Szenen der letzten Nacht zum Besten gibt.
Mit zitternden Händen öffnet sie den Honig, Sie wird NIE MEHR Honig essen können, ohne an ihn zu denken. Völlig unmöglich. Aber irgendwie stört sie das nicht. Sie denkt gerne an ihn. Vor allem denkt sie gerne an das Gefühl von seiner Hand auf ihrem Arm gerade, ganz vorsichtig hatte sie dort gelegen. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn er sie dort ewig hätte liegen lassen. Die Hand war angenehm warm gewesen. Nicht Stuhlwarm, aber auch nicht Kribbelwarm. Einfach vertraut warm. Geborgenwarm. Definitiv ein gutes warm. Glücklich streicht sie viel zu viel Honig auf ihr Brot und grinst nur, als der dann an den Seiten des Brots wieder runter fließt und ihre Hände verklebt.


Die kleinen nach links, bitte!
Endlich sind alle im Gemeinschaftsraum versammelt. Er kam natürlich wieder als Letzter. Gerade redet er mit Jannik, der erst lacht und ihn dann spielerisch in die Schulter boxt. Zum Glück hat Sophia eine gute Sicht auf ihn. Das ist ein kleiner Trost für die langweiligen Stunden, die jetzt folgen werden. Die Lehrer waren gerade dabei ein ominöses Projekt vorzustellen, bei dem jeder die Aufgabe hatte eine andere Person zu interviewen. Danach sollte diese künstlerisch dargestellt werden. Entweder mit Hilfe eines kleines Sketches, eines Films, einer Fotographie. „Eurer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt“ war der Leitsatz des ganzen Hokuspokus. „Lasst euch ganz auf den anderen ein. Hier geht es nicht nur darum sich gegenseitig besser kennenzulernen, sondern auch sich selbst besser kennenzulernen. Nehmt euch Zeit dafür….“ Blablabla. Immer dieser pädagogisch sinnvolle Quatscht. An für sich ja ne ganz süße Idee, aber natürlich würde jeder das mit den besten Freunden machen. Sophia blickt auf, sucht Judiths Blick. Sie zwinkerten sich kurz zu, lächelten und es war gebongt. Sie würden für dieses Projekt Partner sein. „…da wir verhindern möchten, dass ihr euch mit euren besten Freunden zusammentut, werden wir jetzt ein kleines Spiel spielen. Stellt euch bitte alle Mal auf eure Stühle..“ Sophia stöhnt auf. Das kannte sie schon. Jetzt mussten sie sich nach Alter, Schuhgröße, Gewicht oder Nasenhaarlänge ordnen. … „und stellt euch der Reihe nach eurer Größe auf! Klein nach ganz links, bitte!“
Na toll, Sophia war nicht besonders groß. Da würde sie wohl einige Plätze wandern müssen. Sie turnt auf dem wackeligen Stuhl in Richtung Judith, die inzwischen glänzende Laune hat. „Schade, dass wir zwei nicht zusammen machen können, aber vielleicht haben wir ja Glück!“ Sophia nickt, aber bei Glück schwebt ihr etwas ganz andres vor.
„Juudith, whua. Halt mich mal fest! Ich muss da vorbei. Nicht so zappeln!“ Kichernd liegen sich die beiden Mädels in den Armen. Das mit dem Vorbeikommen ist irgendwie doch nicht so einfach wie zunächst gedacht. Ein paar Stühle weiter kippt grade Michi mit Magda in den Armen um und wird, wie von Zauberhand noch schnell vom Max am Kragen gepackt. Das führt aber dazu, dass nun alle drei hysterisch lachend auf dem Boden liegen und sich nur nach mehreren Anläufen wieder aufrappeln können, da der immer wieder hochkommende Lachreiz sie zu sehr schüttelt. Da erkennt Sophia das Unfassbare. Juchei. „Mein Leben liebt mich“ Kris steht neben Max und muss noch seeeehr weit nach rechts. Er war nämlich groß. Schön groß. So groß, dass sie ihm grade mal bis zum Kinn ging. Na gut, vielleicht auch nur bis zu den Schultern. Sie war sich nicht ganz sicher. Auf jeden Fall war er groß. Breite Schultern hatte er außerdem. Lecker! Er würde an ihr vorbei müssen! Das Leben war so schön. Aber erst mal würde sie sich von Judith endknoten müssen. Das schaffen sie sogar erstaunlich schnell. SO, nächster Stuhl. An Luise vorbei. Alles klar. Jetzt wird’s schwerer. Fred ist dran und der ist dick. Nicht so richtig zwar, aber trotzdem nimmt er auf dem engen Stuhl deutlich mehr Platz ein, als da eigentlich wäre. Sie nehmen sich an den Händen, Sophia lehnt sich nach hinten, Fred hält sie fest. Sie trippelt ganz vorsichtig an der Außenkante des Stuhls entlang. Immer drauf bedacht mit ihren viel zu großen Elefantenpantoffeln nicht abzurutschen. Eh total lächerlich, so eine Hausschuhpflicht. Da hat sie natürlich auch die lächerlichsten Hausschuhe mitgenommen, die sie finden konnte. Hat sie ihrem kleinen Bruder abgeschwatzt, der die natürlich viel zu groß kaufen musste, um zu beweisen, dass seine Füße schon genau so groß sind, wie die ihres großen Bruders. Unwillkürlich muss sie grinsen. Ihre Familie ist schon ein netter Haufen. Als nächstes ist Markus dran. Dem würde sie eigentlich lieber nicht zu nahe kommen. Da es nur vier Duschen im gesamten Jugendhaus gibt, weiß sie, dass er noch nicht geduscht hat, seitdem sie angekommen sind. Das war immerhin schon vor drei Tagen. Drei Tage voller Wanderungen, Regen und Schlammschlachten. Drei Tage, die auf jeden Fall abgewaschen werden müssen. Beim Vorbeigehen dreht sich ihr Magen um. Schweißgeruch und Restalkohol sind keine gute Mischung. Sie ist froh, als sie vorbei ist.
So klettert sie am einen und andren vorbei. Plötzlich steht Magda vor ihr. Sie grinsen sich kurz an und Sophia flüstert ihr ins Ohr: „ Was geht da mit Michi?“ Magda grins vielsagend und zischt dann: „Wir reden später drüber.“ WAAAAAAAAS? Michi und Magda? Das wäre mal was, wenn die zwei das noch gebacken bekommen. Die flirten schon seit Jahren, aber außer einem sehr nassen Kuss, an einem feuchtfröhlichen Abend, war noch nie was passiert. Kein Wunder, danach hatten die zwei sich nämlich für Wochen kaum anzusehen getraut, geschweige denn von einem Gespräch.
Max ist als nächster dran. Sophia grinst ihn kurz an. Er schwingt sie einfach auf den nächsten Stuhl. Er ist der athletische Typ. Spielt seit Jahren Tennis, macht Leichtathletik, spielt im Winter Eishockey und schwimmt sich im Sommer in regionale Spitzenpositionen. Außerdem hat er in letzter Zeit erstaunlich viel Interesse an Judith gezeigt. Die bestreitet das natürlich, aber Sophia ist sich sicher, dass sie ihm nicht abgeneigt ist. Wieso sollte man auch. Neben seinem wirklich fantastischen Körper war er supernett, hatte Humor und entsprach genau Judiths Typ Mann. Dunkle Haare, gekonnt verwuschelt, unrasiert und immer entspannt. Judith braucht einen Mann, der etwas ruhiger ist. Sie selbst ist, außer am Morgen natürlich, immer auf Achse und ist froh, wenn da jemand ist, der sie ein bisschen bremst.
Michi ist ebenfalls schnell vorbei und dann. Boom. Sophias Herz schlägt auf einmal viel schneller und auch lauter. Sie kann es richtig gegen die Brust hämmern spüren. Da ist sie auf einmal wieder, diese große Hand auf ihrem Arm. Erst jetzt, wo sie wieder dort liegt merkt Sophia, wie schön sich das wirklich anfühlt und wie sehr sie sie dort vermisst hat. Sie turnt weiter auf ihn zu, steht ganz nah vor ihm. Zum Glück so nah, dass sie ihm nicht in die Augen sehen muss. Sie geht im bis zur Mitte vom Hals, stellt sie fest. Auf jeden Fall denkt sie sich das, ihr Blick fällt nämlich genau auf sein Schlüsselbein. Um seinen Hals trägt er ein Lederband mit einem geschnitzten Holzanhänger. Die Haut sieht dort auch ganz anders aus, als im Gesicht. Gar keine Sommersprossen. Sie findet seine Haut sehr schön, aber wie könnte es anders sein? Sie findet alles an ihm schön. Vor allem sein Geruch, den sie schamlos ganz tief einatmet. Wie kann eine Person nur so unverschämt gut riechen? Ein perfektes After-Shave oder Parfüm, was er da benutze. Sophia hatte mal gelesen, dass es bei der Wahl des Parfüms darauf ankam, den eigenen Geruch zu unterstreichen. Das war ihm gelungen. Na, sie hoffte, dass es ihm gelungen war und nicht einer möglichen Exfreundin oder einem sonstigen Wesen ohne Y-Chromosom, dass nicht seine Mutter war. Geschwister hatte er nämlich nicht, das weiß sie seit gestern Abend.
Seine Hand liegt nicht mehr auf ihrem Arm, sondern auf ihrer Hüfte. Die andre auch. Dort fühlen sie sich noch besser an, wenn das überhaupt möglich ist. WO sollte sie nur ihre Hände hinpacken? Sie entscheidet sich sie um seine Mitte zu schlingen. Woah. Sein Rücken ist fantastisch. Sie fühlt seine Wirbelsäule und wie sich seine Muskeln bewegen. Sie hat das Gefühl, er zieht sie nochmal kurz fester an sich. Dann schiebt er sie auf den nächsten Stuhl. Sie bleibt stehen. Das sollte reichen. Kathrin und Lena waren noch kleiner als sie.
Endlich stehen sie alle da wie die Orgelpfeifen. Der Größte mit der Kleinsten, der Zweitgrößte mit der Zweitkleinsten usw. Schnell zählt Sophia ab. So ein Scheiß! Sie verpasst Kris um einen Platz, landet aber bei Max. Das ist auch in Ordnung. Da weiß sie, woran sie ist. Außerdem konnte sie ihn so ein bisschen über seine Gefühle in Richtung Judith ausquetschen. Der Lehrer nennt die Namen der Partner. „Kathrin und Jannik, Jule und Sven, Franzi und Daniel, Lena und Jasmin, Sophia und Max, Leila und Kris …halt stopp. Daniel muss ja schon verfrüht nach Hause und ist deshalb der Partner von Frau Andres. Ich korrigiere. LEUTE, hört mal zu! Es gibt eine Änderung! Franzi und Jasmin zusammen, bitte. Lena und Max, Sophia und Kris, Leila und ….“ SOPHIA UND KRIS! Das Leben ist so schön. Sophia und Kris! Zufrieden sucht sie Judiths Blick. Die ist mit Magda in einem Team. So viel zu dem ‚keine Freunde als Partner‘. Da steht plötzlich ein karierter Pulli vor ihr und sie weiß ganz genau, welcher wohlriechenden Person dieser gehört.


Mittagsgeständnisse
Leider kann das neue Projekt nicht gleich gestartet werden. Vorher sind gruppendynamische Prozesse zu erklären, Porträts zu gestalten und tiefenpsychologogische Gespräche zu führen. Aber was solls. Sophia ist im Augenblick trotzdem sehr zufrieden mit der neuen Tendenz der Klassenfahrt.
Endlich ist Mittagspause. Zufrieden lässt sie sich neben Magda plumpsen: „Du schuldest mir noch eine Erklärung.“ Mit den Augen deutet sie in Richtung Michi. Magda grinst und schweigt. „Mann Magda! Jetzt erzähl schon.“ Geduld war noch nie Sophias Stärke gewesen. „Ja, ist ja schon gut. Stress mal nicht so. Ich erzähls dir ja…“
„Wird aber auch Zeit“
„Wir haben uns gestern Abend geküsst!“
„Waaaaaaaaaas? Woher weiß ich davon nix? Wann war das? Und wo war ich da?“ Das war ja wirklich mal wieder eine angenehme Überraschung. Na hoffentlich schafften die es diesmal die Partyknutscherei auf das echte Leben zu übertragen
„Haha, als ob du noch irgendwas mitbekommen hättest. Du warst mega betrunken. Warst die ganze Zeit bei Max und Kris und hast dich überreden lassen Strip Poker zu spielen.“ Hatte sie das wirklich? Anscheinend schon.
„Ja, aber ich hätte das doch mitbekommen? Oder die anderen hätten was erzählt“
„Wir sind raus auf den Balkon gegangen. Eigentlich weil er mir irgendein Sternbild zeigen wollte. Hatten natürlich nicht bedacht, dass es total schüttet. Jannik der Vollidiot fand es dann natürlich total witzig die Tür von innen zuzumachen, so dass wir nicht mehr reinkamen. Und dann standen wir da draußen. Ganz nah am Haus dran, weil es da noch einigermaßen trocken war wegen des Daches. Aber dann wurde es doch irgendwie kalt. Ich hatte ja auch keine Schuhe an und nur ein T-Shirt, weil drinnen ja so viele Leute waren, so dass es voll warm war. Jedenfalls hat er das irgendwie gemerkt und äh… erst haben wir uns nur umarmt. So standen wir dann eine halbe Ewigkeit da und dann hat er mich einfach geküsst. Japp und dann hab ich ihn natürlich auch geküsst. Also wir uns, sozusagen.“ Magda kriegt sich vor Lächeln kaum noch ein. Hach. Liebe ist so schön. „Ja und heute Morgen nach dem Frühstück kam er dann wieder zu mir und hat gesagt, dass er das gerne wiederholen würde und ich wollte es ja auch wiederholen und jetzt weiß ich auch nicht. Vielleicht sind wir zusammen, aber vielleicht auch nicht? Alles sehr aufregend…“
Ja, wer glaubt es denn? Da schwärmt sich Sophia heimlich einen für Kris zusammen, Judith sträubt sich gegen das Happy-End mit Max und Magda, die sonst alles auf die Reihe bekommt, außer die Liebe belegt den Fortgeschrittenenkurs und ist ab jetzt wohl vergeben. Egal was sie sagt, das wird was Ernstes. So viel zum ‚All the single Ladies‘ – Room, wie am Anfang noch so schön trompetet wurde. Dazu Beyonce auflegen und Hüfte schwingen, bis man nicht mehr kann. Aber das ist besser. Magda hat es verdient endlich mal nen netten Mann abzubekommen und nicht immer nur die Vollidioten, die sich sonst immer um sie rissen und sie fallen ließen, sobald sie durchstiegen, dass Magda der Typ für feste Beziehungen war. Wenn Sophia sagen müsste, wer aus ihrer Stufe zuerst heiraten und ein Baby bekommen würde dann würde sie ohne Zweifel sofort Magda antworten. Sie war einfach ein Familientyp. Kümmerte sich mit Hingabe um alle anderen. Gleichzeitig war sie jedoch immer so in ihrer Traumwelt verstrickt, dass sie es oft gar nicht mitbekam, wenn es jemandem schlecht ging. Michi war auf jeden Fall der Richtige für sie. Er betete sie an wie ein großer gutmütiger Riese eine kleine zierliche Fee anbetet.
Das ist definitiv die beste Nachricht des Tages und Sophia nimmt sie zum Anlass um ein kleines Festmahl zu sich zu nehmen. Nachdem der meiste Alkohol inzwischen abgebaut sein sollte hat sie das dringende Bedürfnis die Reste mit Hilfe von viel Essen ‚aufzusaugen‘. Sie nimmt sich 7 Kartoffeln, mindestens einen halben Liter Sauce und rundet das Mahl mit mehreren eigenartig riechenden Brokkoli-Nuss-Gemüsebratlingen ab. Das Fleisch war ihr suspekt. Mjamjam. Kochen konnten die hier auf jeden Fall. Sah zwar alles ein bisschen lieblos aus, aber am Geschmack war absolut nichts auszusetzen. Sophia seufzt zufrieden und streichelt den imaginäre runden Bauch nach der Verspeisung von gefühlt 14 000 Kalorien. Den Gesprächsfetzen des einen BESONDEREN Tisches nach zu urteilen liefern sich grade Max und Kris ein Wettessen mit den unerkennbaren Fleischstücken. Immerhin schienen sie zu schmecken. Max scheint grade mit Brocken Nummer 6 zu kämpfen, während Kris Anzahl im Kampfgeschrei der anderen untergeht. Sophia gluckst in sich hinein und ist froh, dass ihr ein Sixpack nicht so wichtig ist. Kris ist nämlich ganz schnell verschwunden, wenn der so weiterfrisst.
Sie bemerkt, dass auch Judith dem Gespräch vom Nachbartisch lauscht und sieht, dass diese immer lächelt, wenn Max ein Grunzen oder Schmatzen von sich gibt. Darauf würde Sophia sie jetzt festnageln. Sie lehnt sich von Magda weg, die ihren Blick ohnehin seit Minuten mit Michis verflochten hat und nichts mehr mitbekommt. Grade lächelt Judith wieder.
„Erwischt!“ tuschelt Sophia ins Ohr. „Du stehst doch auf Max und zwar sowas von offensichtlich. Gibs zu!“ Judith zuckt ertappt zusammen, bestreitet das dann aber lautstark:
„Mann Sophia, was du immer hier ruminterpretierst. Wir mögen uns und sind einander sympathisch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“
„Ja, klar. Wer’s glaubt. Max findet dich jedenfalls nicht nur sympathisch. Das versprech ich dir. Er ist in dich verliebt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. „ Sophia grinst ein bisschen, weil sie das Gefühl hat ein rhetorisches Meisterwerk geschaffen zu haben.
„Meinst du wirklich?“ Auf einmal scheint Judith nicht mehr so überzeugt, dass zwischen den zweien ‚nichts als Freundschaft‘ ist.
„Ganz sicher. Mann, ich seh doch, wie er dich anschaut. Das kann einem ja fast leidtun, wie du den armen Kerl hinhältst. Der wartet auch nicht ewig. Also komm endlich mal in die Puschen und tu was für dein Leben. Ich weiß, normalerweise bin ich die, de jammert, dass es in der Liebe nicht voran geht. Aber du bist doch nicht besser. Du versteckst diene Schüchternheit vielleicht ein bisschen besser, aber jetzt ist es an der Zeit das zu ändern! Wann bekommst du mal wieder so eine Chance wie hier? Schau dir das mal an. Wir haben noch vier weitere Tage hier. Einöde, keine andren Mädels von Interesse, die ihn ablenken könnte. Versuch es doch zumindest. Spring dieses eine mal über deinen Schatten und sprech ihn an. Ich weiß das ist schwer. Es muss ja nichts großes sein. Sprech mit ihm über deine Lieblingsmusik, mach ihm ein Kompliment für sein Shirt, weiß der Himmel. Einfach irgendwas! „ Ha. Das war mal eine Rede. „Ich sollt Motivationstrainerin werden“ denkt sich Sophia noch, bevor Judith antwortet.
„Aber was mach ich, wenn du nicht Recht hast. Wenn er mich wirklich einfach nur nett findet? Ich will nicht unsere Freundschaft aufs Spiel setzen.“
„Der würde sich einfach nur geschmeichelt fühlen. Du hast Recht, es wäre wahrscheinlich eine Zeit lang unangenehm zwischen euch, aber das geht vorbei. Dann wäre alles so wie früher. Judith, ich bin ganz ehrlich zu dir. Ich würde mich das niemals trauen. Doch du, du bist immer so selbstsicher, so selbstbewusst, alle mögen dich. Mach dich nicht kleiner, als du bist. Ich glaube an dich!“
„Meinst du wirklich? Vielleicht versuche ich wirklich mal ihm ein bisschen näher…“
Japp! Motivationstrainerin. Das wärs!


Partnerschaften
Endlich ist Nachmittag. Partnerzeit. Sophia gluckst heimlich ein bisschen, weil sie Partnerzeit ganz anders interpretiert. Gleichzeitig fühlt sie sich schrecklich kindisch, weil sie über so etwas lachen kann. Egal. Wie heißt es doch immer so schön? Kind bleiben. Da ist sie definitiv gut drinnen. Gemeinsam mit Judith betritt sie den Gruppenraum. Unter dem Vorwand diese in Richtung Max bugsieren zu wollen schiebt sie sich langsam in Richtung attraktive Männlichkeit. Sie kann es einfach nicht lassen. Ganz vorsichtig schaut sie in Richtung Gesicht. Da ist es wieder. Das kleine schelmische Grinsen, mehr mit den Augen, als mit dem Mund. Schüchtern guckt sie freundlich zurück. Ob man das Zucken ihres Mundwinkels noch als Lächeln erkennen kann weiß sie nicht. Jetzt ist ohnehin erst mal Judith dran. Die guckt nämlich nur verzweifelt auf den Boden, während Max auf ihre Haare starrt. Die schaffen es aber auch echt nicht, sich mal normal zu unterhalten, wenn sie merken, dass da was im Busch ist. Da muss man doch was machen! So kann das nicht weitergeben. Ein kleiner Schubs in die richtige Richtung würde schon helfen. Ein kleiner Schubs… perfekt. Aus Versehen rempelt Sophia Judith an. „Hubs. Tschuldigung!“
Judith fällt, wie geplant gegen Max Oberkörper, der sie wirklich überoffensichtlich liebend gern auffängt. „oh Mann. Sorry, Max.“ Judith wird ein bisschen rot, das wird sie nämlich schnell. Macht allerdings keinerlei Anstalten wieder ein paar Schritte zurückzuweichen. Und jetzt. Lasset den Smalltalk beginnen: „Wen hast du denn als Partner Judith?“ Max macht das schon ganz gut. Perfekt. Die kommen jetzt alleine klar. Sophia ist sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
Äh, nur eine Sache hat die Gute da nicht so bedacht. Mit dem fröhlichen Geplänkel zwischen Judith und Max hat sie sich selbst aus dem Gespräch ausgeschlossen, sich selbst und Kris. Das zwingt wiederum sie zu ähnlich belanglosem Gequake, dessen Grundregeln ihr auf einmal nicht mehr präsent sind. Immer diese beschissene Aufregung, wenn er vor ihr steht. Fragend blickt sie ihm ins Gesicht. BÄHM. Das Lächeln wieder. „Tja, wir wissen ja schon, dass wir zusammen sind….Also, äh, Partner…Ich mein, für eben jetzt, das..du weißt schon. Jetzt halt. Für die Interviews.“ Sophia freut sich. Sie hat das sehr befriedigende Gefühl, dass sie nicht die Einzige ist, die in der Anwesenheit des anderen nervös wird. „Ja. Ich finds schön so.“ Oh ja. Und zwar wie schön!
„ALLE ZU EUREN PARTNER BITTE. ES GEHT GLEICH LOS. SUCHT EUCH JETZT BITTE SOFORT EUREN PARTNER. JA, AUCH IHR DAHINTEN. IHR HABT JETZT 3 STUNDEN ZEIT BIS ZUM NÄCHSTEN PLENUM. BIS DAHIN SOLLTET IHR ZUMINDEST EINE GRUNDIDEE HABEN, WIE IHR DEN PARTNER BESSER KENNEN LERNEN UND VORSTELLEN WOLLT. SUCHT EUCH EINEN RUHIGEN PLATZ UND LASST EUCH VÖLLIG AUFEINANDER EIN. BEI FRAGEN KÖNNT IHR EUCH NATÜRLICH AN MICH WENDEN…“ „Wohin sollen wir gehen?“ auf einmal ist Sophia wieder schüchtern. Irgendwie ändert sich das alles immer so schnell bei ihr. Ob das so normal war? Das bezweifelt sie. „Magst du vielleicht mit in unser Zimmer kommen? Ich glaube Max ist mit Lena zum Kachelofen gegangen und Michi hat sich mit Peter in eurem Zimmer eingenistet. Habe ich Recht in der Annahme, dass das etwas damit zu tun hat, dass Magda dort auch ist?“ Haha. Jetzt muss Sophia grinsen. Er hatte es also auch schon gemerkt. „Jepp. Und euer Zimmer klingt nach nem guten Ort, aber lass uns vorher noch einen Kaba machen. Das muss sein.“
Heiße Schokolade würde sie beruhigen. Mit Sicherheit. Das musste einfach klappen. Die hilft nämlich immer. Gegen alles. Manchmal glaubt Sophia heimlich, dass die größten Menschheitsprobleme irgendwie lösbar und zumindest vereinfachbar wären mit diesem Zaubergetränk.
Auch Kris scheint an das Schokoladenwunder zu glauben. Jedenfalls starrt er wie hypnotisiert in den Topf mit der braunen Flüssigkeit und rührt mechanisch. Er hebt den Blick nur ganz kurz um Sophia aus dem Augenwinkel anzusehen, schaut dann aber ganz schnell wieder in die Sicherheit des Topfes und atmet tief die wohligen Dämpfe ein. Sophia steht derweil am anderen Ende der kleinen Küche, die sie hier im Selbstverpflegerflügel des Jugendheims zu Verfügung stehen haben. Sie weiß nicht was sie sagen soll. Ihre normale Taktik „beschäftigt wirken“ klappt hier auch nicht, weil Kris die hohe Aufgabe des Kakaorührens an sich gerissen hat.
„hrehrem.“ Räuspert sie sich „Hm, wir müssen uns überlegen, wie wir uns äh kennenlernen. Also, ja, wir kenne uns ja schon, aber, aber du weißt ja.. wegen des Projekts.“
„Hm. Ja. Erzähl mal was.“ Immer noch kann Kris den Blick nicht von der anscheinend überaus faszinierenden Flüssigkeit im Topf wenden, aber er lächelt ein wenig.
„Was willst du denn wissen?“
„Weiß auch nicht so recht. Was machst du, wenn du nicht grade in meinem Biokurs sitzt?“
Sophia lacht: „Ich hab ja noch andre Fächer. Ohje. Ich seh schon. So wird das nix. Wir müssen das anders angehen.
Endlich kocht die heiße Schokolade und sie kann in zwei riesige Becher geschüttet werden. Ein großer Pluspunkt für die Unterkunft. Normalerweise gibt’s in solchen herbergen immer nur diese nervigen, dünnwandigen Kaffeebecherchen. Die kann Sophia leider überhaupt nicht leiden und bekommt schreckliche Laune. Tja. Glück gehabt. Muss ja auch mal sein.
Vorsichtig balancieren die zwei die übervollen Kaffeebecher in Richtung Kris` Zimmer. Die Treppe wird auf einmal zum unüberwindbaren Hindernis und Sophia muss kichern, als sie sich vorstellt, wie blöd sie grade aussehen müssen. Hochkonzentriert kraxeln sie da die Treppe hoch und kommen kaum vom Fleck.
„Was lachst du?“ will Kris wissen, ohne seinen Blick von den Wogen in der Tasse zu lösen, um ein Verschütten zu vermeiden.
„Hihihi, wie blöd wir aussehen.“
Jetzt muss auch Kris ein bisschen lachen. „Stimmt. Was soll der Scheiß! Zur Not geht halt was daneben“ Dabei richtet er sich auf, hebt seinen Kopf und nimmt in ein paar großen schnell Schritten die Treppe hoch. „Na, geht doch. Jetzt du Sophia.“
Sophia strafft ihren Rücken, blickt zwanghaft nicht mehr auf die Tasse, sondern auf Kris T-Shirt und hebt einen Fuß um die Stufe zu erklimmen. Hebt den nächsten und… bleibt hängen. Zack. Halbe Kakaoladung auf ihrem Oberteil. Jetzt ist es endgültig um sie geschehen und sie sinkt in einem Lachkrampf zusammen. „Haha…der Kaba..auf.. dem.. T_shirt..nicht rausgehen Hahaha.. Sieht aus ..wie… hahaha.. BAATIK“
Kris schaut sie erschrocken an, auf ihre Bluse und brüllt dann los: „Eihein… haha.. Gebatiktes.. Hahahaha.. he..heheherz!“
Tatsächlich. Auf Sophias Brust ist ein großes Schokoladenherz zu sehn. Sie lächelt, denkt sich ihren Teil und verschwindet immer noch glucksend in Kris Zimmer.
„Brauchste nen Hemd von mir?“ will Kris wissen und stellt seine volle Tasse ab.
„Jepp. „ Sophia nickt und wischt sich die Lachtränen aus den Augen. Höflich dreht er sich um, als er ihr ein blau-grau-kariertes teil überreicht. Trotzdem verschwindet sie auf der Toilette, zieht sich dort um und kehrt dann ins Zimmer zurück.
Dort das Kris derweil Musik angemacht und bietet ihr seinen Kaba an, als sie sich auf den einzigen Sessel setzt. Sie teilen. Aus einer Tasse trunken. Ist doch eigentlich auch ein Speichelaustausch. Also wie ein Kuss? Sophis Gedanken drehen sich und sie blickt tief in die kakaobraunenAugen, die kleine grüne Sprenkel haben. „Wie Sommersprossen“ denkt sie.

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Tag der Veröffentlichung: 08.03.2011

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