Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich gar nicht mehr genau sagen wie alles begonnen hat und womit. Die Kette der Ereignisse ist so kompakt und gedrängt und es spielt eigentlich auch keine Rolle mehr. Ich erinnere mich aber an einen sonnigen Tag, es war ein wunderschöner Frühlingstag im Mai.
Es war einer jener Mainachmittage die uns vergessen lassen, dass es einen Treibhauseffekt gibt und unsere Welt langsam zu Grunde geht.
Die Sonne strahlte von einem azurblauen Himmel und die Luft war klar und rein und erfüllt von den süßen, schweren Düften der blühenden Flieder- und Jasminbüsche.
Die Vögel sangen und jubilierten in den zartgrünen Kronen der Platanen und vom Spielplatz tönten die fröhlichen Rufe der spielenden Kinder.
Rigobert, mein Dackelrüde, wackelte nach Dackelart vor mir her und schnüffelte hier und schnüffelte da und benahm sich dackelmäßig, indem er an jeder Bank und jedem Baum sein kurzes Hinterbeinchen hob um seine Duftmarken zu setzten.
Ich fühlte mich beschwingt und genoss meine freien Stunden nach Dienstschluss. Die Aussicht auf einen gemütlichen Abend bei einem kühlen Bier auf meinem kleinen Balkon, hoch über der Stadt, ließ mich schneller gehen. Ich beobachtete Rigobert gespannt, in der Hoffnung, dass er bald zum wesentlichen kommen würde, nämlich zu seinem großen Geschäft.
Ich raschelte in meiner Tasche bereits erwartungsvoll mit dem Plastiksackerl, in das ich dann aus Vorschrifts- und Reinlichkeitsgründen das „ Gackerl“ meines geliebten Haustiers packen musste um es schließlich ordnungsgemäß zu entsorgen.
Rigobert hatte scheinbar „Ladehemmung“, denn er hockte sich mehrmals in Startposition hin und bot mit dem gekrümmten Rücken und den zitternden Hinterbeinen, das jammervolle Bild, das alle Hunde in dieser Stellung abgeben. Aber sonst tat sich nichts.
„Na, mach schön!“ murmelte ich .Es sollte motivierend klingen. Doch unsere Haustiere wissen es immer besser. Sie fühlen jede unehrliche Nuance in unserer Stimme, ja spüren an der Tonlage, wie wir es wirklich meinen. Rigobert musste eine gewisse Ungeduld in meinen Worten bemerkt haben. Jedenfalls wandte er den Kopf und blickte mich an. Es lag so etwas wie Vorwurf in seinen Augen. Es war dieser typische Dackelblick, so von unten herauf, nur noch eindringlicher als sonst.
Ich fühlte mich sofort ertappt, entlarvt, bloßgestellt. Irgendetwas stimmte heute nicht. War das der Frühling?
Wir waren nicht allein, mein Hund und ich. Eine alte Dame hatte uns wohl schon länger beobachtet. Raschen Schrittes näherte sie sich nun und schon hörte ich eine scharfe Kritik aus ihren an mich gerichteten Sätzen. „Was ist denn nur mit ihrem armen Hund los? Sicher hat er was Falsches gefressen! Was geben Sie ihm denn? Die Dackel sind sehr sensibel was das Futter anbetrifft, das sind sowieso äußerst empfindsame Tiere. Eine Rasse die nicht für Jedermann geeignet ist. Ich hatte auch einen!“ Die Frau stand nun vor mir und starrte mich feindselig an.
„Wir vertragen uns ganz gut, mein Dackel und ich, gell Rigobert?“ versuchte ich es versöhnlich. Leider spielte Rigobert nicht mit. Er hatte sich wieder hingehockt und knurrte leise. „Das arme Tier, sicher hat es Schmerzen!“ entrüstete sich die Dame. „Da müssen sie zum Tierarzt, vielleicht hat er einen Darmverschluss!“
Mittlerweile war auch ich besorgt. „Na so schlimm wird es wohl hoffentlich nicht sein!“ beschwichtigte ich trotzdem und versuchte der unangenehmen Gesellschaft zu entrinnen, indem ich an Rigoberts Leine zog.
„ Mein Gott, jetzt zerrt er auch noch an der Leine, was soll denn das werden, er sieht doch, dass das arme Hunderl nicht kann!“
„Würden Sie die Freundlichkeit besitzen und nicht in der dritten Person von mir sprechen wenn ich direkt vor Ihnen stehe?“ entgegnete ich nun schon recht verärgert.
„Wie redet der denn mit mir? So eine Frechheit, da ist es kein Wunder….!“
„ Wenn mein Hund nicht kacken kann oder was?“ fragte ich nun recht agressiv.
Die Dame bekam ganz schmale Lippen.
Ich zog heftig an Rigoberts Leine, aber mein Hund war nicht gewillt mir zu folgen.
„Wenn sie nicht sofort aufhören das arme Tier zu quälen hole ich die Polizei!“ zeterte
die alte Frau.
Mir wurde ganz flau im Magen. Ein Mann mittleren Alters, der uns scheinbar beobachtet hatte, blieb stehen und mischte sich ein. „ Brauchen Sie Hilfe? Belästigt Sie dieser Kerl!“
fragte er die Dame, mit finsterem Blick auf mich.
„Nein! Es ist alles in Ordnung!“ murmelte ich verlegen, „Nichts ist in Ordnung, er quält seinen Hund. Sehen Sie den armen, kleinen Kerl da?“ die Dame deutete auf Rigobert, der nun
mit gekrümmtem Rücken und eingezogenem Schwanz, in winzigen Schritten weiterging.
„Was ist denn mit Ihrem Hund los?“ herrschte mich nun der Herr an „Haben Sie ihn getreten oder geschlagen?“
„Ich? Nein, aber um Gottes willen, nein, natürlich nicht!“ beeilte ich mich zu sagen.
Ein junges Paar gesellte sich zu uns. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern, einem Mädchen und einem Jungen und noch ein Herr kamen auch dazu.
Bald waren Rigobert und ich umringt von Menschen, die von der alten Dame darüber informiert wurden, wie furchtbar ich sei und wie arm mein Hund wäre.
Ich stand da, mit hochrotem Kopf. Schließlich hob ich meinen Dackel hoch, nahm ihn auf den Arm und versuchte zu fliehen, aber so einfach war das nicht.
„Wo wollen Sie denn jetzt hin mit dem armen Tier?“ wollte die Dame wissen.
„Warum ist der Mann so böse zu dem Hund?“ fragte der kleine Junge seine Mutter.
„Ich weiß es nicht, vielleicht mag er keine Tiere!“
„Aber warum hat er denn dann eines, Mama?“ fragte das Mädchen.
Die Menge war aufgebracht, ich konnte es fühlen. Sie hatten in mir ihr „Bauernopfer“ gefunden. Ich war stellvertretend für alle Unbillen die diesen Menschen jemals widerfahren waren nun hier und jetzt körperlich anwesend und darum schuldig.
Man würde mich zur Verantwortung ziehen, man würde mich bestrafen, ich spürte es.
Wilde Gedanken kreisten in meinem Kopf und ich überlegte hektisch wie ich hier entkommen konnte, ohne dass es zum Äußersten kommen würde.
Dann übernahm Rigobert die Regie. Er zappelte unmissverständlich auf meinem Arm herum, sodass ich ihn wieder auf die Erde setzte. Dort angekommen hockte er sich hin und produzierte den wohl größten Hundehaufen, denn ein Dackel jemals gemacht hat.
„ Na bitte!“ rief ich triumphierend in die Runde.
„Weil Sie ihm zuviel zu fressen geben, davon kommt das!“ erklärte mir nun die Dame.
Die anderen machten sich auf den Weg, der Auflauf begann sich zu zerstreuen.
„War das denn notwendig?“ fragte ich nun meinerseits vorwurfsvoll die alte Frau, die
etwas reuevoll dreinschaute.
„Ich habe es nur gut gemeint. So etwas verstehe ich unter Zivilcourage! Und wenn es wieder wärmer wird und der Frühling kommt, dann bin ich immer voller Kraft und Saft. Ich bin sonst auch nicht auf den Mund gefallen, das können sie mir glauben! “ sagte sie und marschierte davon.
"Zivilcourage, dass ich nicht lache. Nicht auf den Mund gefallen? Nennen sie so etwas womöglich auch noch Frühlingsgefühle?" rief ich ihr hinterher, aber sie hörte mich nicht mehr.
Seit diesem Tag, Sie werden es nicht glauben, ist mein Verhältnis zu meinem Hund nicht mehr dasselbe.
In mühevollen Umwegen, fahre ich mit ihm in ein entlegenes Waldstück außerhalb der Stadt.
Sind wir unter Menschen, bin ich stets bemüht nicht mit ihm aufzufallen.
Älteren Damen weiche ich aus, obwohl sich Rigobert mehr denn je zu ihnen hingezogen zu fühlen scheint.
Ich habe ein paar Mal davon geträumt, dass mein Hund weggelaufen wäre und ich ihn nach langem Suchen bei der alten Dame im Park wiedergefunden habe. Er saß auf ihrem Schoß und leckte ihr das Gesicht ab.
Texte: Alle Rechte bleiben bei der Autorin
Bildmaterialien: Alle Rechte bei Eva Russ
Tag der Veröffentlichung: 17.04.2013
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