Als er das Taxi wegfahren sah, trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Endlich ist es vorbei", dachte er bei sich und wandte sich von der Straße ab.
Schon beim Überqueren des Gehsteigs fühlte er sich befreit und erleichtert.
Als er die Haustür öffnete und von der lärmenden Straße wieder in den kühlen Hausflur trat,ließ er die letzten zwei Tage nochmals Revue passieren. Während er die Treppen empor stieg, erinnerte er sich. Er hatte sich bereits eine Woche vor ihrer Ankunft Urlaub genommen, denn er wollte alles perfekt vorbereiten. Sein Chef war mehr als verwundert gewesen, es kam so gut wie gar nicht vor, dass er von sich aus Urlaub beantragte. In den letzten zehn Jahren hatte man ihn förmlich dazu zwingen müssen. Obwohl seine sechzig Quadratmeter Wohnung aufgrund seiner Ordnungsliebe ohnehin äußert sauber war, hatte er trotzdem beschlossen nochmals alles gründlich durchzuputzen.
Er hatte mit dem Schlafzimmer begonnen, hatte alle Laden ausgeräumt, hatte neue Dufthänger im Kleiderschrank platziert, neue Bettwäsche gekauft, diese gewaschen, gebügelt, aufgezogen. Danach hatte er das Wohnzimmer, das als Gästezimmer dienen würde, entsprechend adaptiert. Auch dort wurden alle Laden ausgeräumt, gewischt, neu eingeräumt, die Gläser und das Geschirr im Glasschrank wurde von ihm aufpoliert.
Schließlich hatte er das Klappbett aus dem Keller geholt und aufgestellt und auch mit neuer Bettwäsche ausgestattet. Mit der Küche hatte er sich besonders viel Mühe gegeben, war sie doch angeblich immer das Reich der Frauen. Er hatte ein Gewürzbord angeschafft, weil sie ihm einmal geschrieben hatte, dass sie furchtbar gerne Gerichte ausprobieren würde, vor allem welche mit exotischen Gewürzen. Schließlich hatte er noch alle Fenster geputzt und die Böden gewischt und poliert. Das war viel Aufwand für einen Menschen den er eigentlich gar nicht kannte und die Woche war rasch vergangen. Zwischenzeitlich hatten sie sich immer wieder geschrieben, wie sie es nun seit einem guten dreiviertel Jahr täglich mehrmals taten und genau deshalb hatte er auch das Gefühl sie sei keine Fremde für ihn, sondern eine wirklich gute Freundin. Er hatte sie in einem Chatroom kennen gelernt, es war eher zufällig gewesen und ohne danach gesucht zu haben, war ein reger Austausch entstanden und bald war ihm aufgefallen, dass sie sehr klug und sympathisch war.
Schließlich waren ihre täglichen Gespräche über das Netz nicht mehr aus seinem Leben weg
zu denken und ihr schien es ähnlich zu gehen. Als sie dann vor ihm stand, war das Erste was ihm auffiel, dass die Fotos die sie eingestellt hatte wohl nicht ganz aktuell gewesen sein konnten. Der laszive Zug um ihren vollen Mund, der ihn so fasziniert hatte, stellte sich als kleine Falte heraus, die sich möglicherweise in ein paar Jahren noch tiefer eingraben würde. Kurz gesagt, er war enttäuscht, als sie dann am Freitag aus dem Taxi stieg, mit dem sie vom Flughafen gekommen war. Er hatte sie vor dem Haus mit einem großen Blumenstrauß in der Hand empfangen und sie war ihm gleich ganz herzlich und unkompliziert um den Hals gefallen. Doch genau das mochte er nicht. Zu viel körperliche Nähe war ihm schon als Kind unangenehm gewesen. Sie plapperte fröhlich drauflos und als sie zusammen zu seiner Wohnung hoch gingen, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er nun einen völlig fremden Menschen in sein ganz persönliches Reich einließ. Ihre Parfum empfand er als aufdringlich und am liebsten hätte er eine Ausrede benutzt wie „Ich habe plötzlich starke Zahnschmerzen bekommen, muss mich also leider entschuldigen.“ Er wusste natürlich, dass das nicht ging. Sie rannte in seiner penibel geputzten Wohnung mit Straßenschuhen sofort in jedes Zimmer und jubelte unter „Ahs“ und „Ohs“ wie schön er es hätte und wie sauber.
Er hatte ein kleines Willkommen-Essen vorbereite. Lachs mit Kroketten und grünen Salat.
Doch sie hatte keinen Hunger weil sie im Flugzeug gegessen hatte. Aber sie wolle gerne eine Tasse Kaffee und wenn es möglich sei, eine Zigarette dazu rauchen. Er teilte ihr mit, das sei leider nicht möglich, weil er keinen Kaffee trinke, davon bekäme er nur Schweißausbrüche und Herzrythmusstörungen und Rauchen käme in seiner Wohnung überhaupt nicht in Frage. Er sei aber gerne bereit ihr einen Tee zu machen, er selbst trinke gerne und oft Tee und sie stimmte zu. Später stellte sie sich im Bad ans geöffnete Fenster und rauchte dort heimlich. Er hatte es natürlich sofort bemerkt. Dann war sie im Wohnzimmer verschwunden, dass ja für dieses Wochenende ihre Bleibe sein würde, um den Koffer auszupacken, sich umzuziehen und kurz die Füße hoch zu legen. Er hörte sie unendlich lange telefonieren, während er missmutig in der Küche saß und die Zeitung las.
Nach einer Ewigkeit wie ihm schien kam sie dann mit einem kleinen, bunten Rücksack auf dem Rücken und einem Stadtplan in der Hand zu ihm. Sie wolle sich die Stadt ansehen, ob er denn mitkommen möge. Er war enttäuscht, eigentlich hatte er sie herumführenwollen, hatte ihr alles zeigen und erklären wollen, und nun hatte sie schon selbst ein Programm.
Widerwillig ging er mit, musste dann aber zugeben, dass sie ihm einiges von seiner Stadt
gezeigt hatte, dass er sich ohne sie wohl nie angesehen hätte.
Am Abend wärmte er den Lachs und die Kroketten auf, der Salat war nicht mehr zu verwenden. Es schmeckte grauenhaft. Sie fragte ob er keinen Wein im Haus habe und er verneinte.
Doch sie förderte lächelnd eine Flasche Rotwein aus ihrem Koffer zutage. Ein Geschenk für ihn, wie sie meinte und nun dazu da ihnen den Abend zu verschönen.
Er fühlte sich unangenehm berührt, denn er trank fast nie. Allein machte es keinen Spaß fand er und man neige dann dazu all zu viel zu trinken. Deshalb vertrug er auch nichts.
Er beschloss also nur zu nippen und sie trinken zu lassen.
Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, sie war eine geeichte Trinkerin.
Erst als die Flasche leer war, stand sie auf, ging wieder ins Bad, er wusste, sie würde dort wieder heimlich am Fenster rauchen. Dann kam sie, halb ausgezogen, wie er fand, doch sie erklärte, das sei ihr Schlafgewand und sie lege sich nun ins Bett.
Er nickte und verschwand im Bad um nochmals zu lüften und sich auch bettfertig zu machen. In sein Kissen vergraben überlegte er wenig später, warum dieses Treffen so eine Katastrophe war. Sie waren sich so nahe gewesen in ihren Onlinegesprächen, er hatte sie so anziehend gefunden, doch jetzt. Sie erschien ihm plötzlich laut, oberflächlich und unattraktiv und ihr ging es scheinbar ähnlich. Auch am nächsten Tag hatte sie ihr eigenes Programm durchgespult. Sie hatte ihn in eine Galerie für moderne Kunst geschleppt von der er noch nie zuvor gehört hatte. Am Abend hatte sie einen Konzertbesuch organisiert. Eigentlich hatte ihm das recht gut gefallen, aber er fühlte sich überrumpelt und aus seiner so sorgsam geplanten Gastgeberrolle gedrängt. Der Rest des Wochenendes war ähnlich verlaufen. Er hatte keinen rechten Draht zur ihr gefunden. Ihre Fröhlichkeit hatte ihn nicht mitreißen können, weil er sie verdächtigte sie sei nur aufgesetzt um ihn ein bisschen aus der Reserve zu locken.Er hatte sich Sorgen gemacht, dass es im Chat nie mehr so entspannt sein würde, ja dass sie sich möglicherweise sogar zurückziehen würde, mit irgendeiner fadenscheinigen Ausrede. Doch beim Abschied hatte sie ihm fest beide Hände gedrückt und geflüstert, ich freue mich schon wenn du wieder schreibst.
Er schloss die Wohnungstür auf, im Flur hing noch der schwache Duft ihres Parfums, er
ging in die Küche und öffnete das Fenster. Der Verkehrslärm drang gedämpft herauf.
Er atmete mehrmals tief ein und aus.
Dann begann er alles zu putzen, er musste sich beeilen, Morgen war Montag und er würde
wieder in die Firma gehen, der Urlaub war vorbei.
Texte: Text: alle Rechte beim Autor
cover by eva
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2011
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