"Zu den Städten Kämpfern und Träumern" (Prosaband)
Das Pferderennen und die unbesiegte Hoffnung
Zwischen Himmel und Ozean
Sie kämpfen für die Zivilisation
Gerichtsverhandlung im Saal 1876
Seltsame Zuflucht
Raubzüge
El Loco
Zum Autor:
Deniz Civan Kacan, geboren in Minden/Westfalen, besuchte das Gymnasium und erlangte später auf dem Kolleg sein Abitur. Nach dem Abschluss zum Journalisten an der ILS Hamburg 2010 war er in der Folgezeit als freier Reporter für verschiedene Zeitungen sowie ein Onlineportal tätig (veröffentlichte dort Berichte, Kritiken, Interviews, Features, Reportagen). Er lebt im schönen Schaumburg.
2018 schrieb er als Lokalreporter für ein Nachrichtenportal. Er entstammt einer Arbeiterfamilie und ist Schaumburger türkisch-kurdischer Herkunft (Mutter: Türkin/ Vater: Kurde) Daneben veröffentlichte er in Magazinen, wie "Die Brücke", Lyrik und Short Stories.
Geschichte ist ein großes Interessengebiet, vor allem folgende Epochen: Mesopotamien (von Sumer über das "unbekannte Weltreich" der Hethiter, vom Königreich Mittani bis zu den Medern), die Ära König Saladins, das Osmanische Großreich, die preußisch/deutsch-osmanischen Beziehungen, die Französische Revolution (die Auswirkungen der Aufklärung und des Säkularismus für Europa und die Welt), zudem Europa zwischen 1914 und 1949, den verheerenden Weltkriegen und dem Wiederaufstieg Europas. Im Januar 2016 erschien Deniz Civan Kacans Erzählband "Ordnung und Unordnung" als eBook. "Zu den "Städten, Kämpfern und Träumen" ist der zweite Erzählband des Schaumburgers.
© Deniz Civan Kacan
Als der Mann am Vormittag näher zur Rennbahn, entlang des Buchmacherladens schritt, in der eine grünäugige Frau die Kasse vorbereitete, blickte er mit einer Art Abenteuertum und stiller, erwachter Vorfreude - nach seltsamen Monaten und einem laufenden, unabgeschlossenen Fall für die Justiz und Polizei, der ihn heruntergezogen hatte wie mit mehreren Händen und Beschwernis - zur Rasenfläche, auf dem bald die favorisierten Teilnehmer Kadera und For a King rennen sollten. Er hatte in dem Fall, der von Frau P. und Herrn S. in der Polizeidienststelle an der Grabenstraße geführt wurde, noch keine Gerechtigkeit erfahren, aber jetzt sollten seine Gedanken und sein Bewusstsein hierher gehören. Vor ihm die Rennbahn, daneben Bäume, karge Bänke, Buchmacherläden, eine Gruppe mit Frauen und Männern und am Wall verstreute Stadtleute, die schon an ihre Einsätze und das mögliche Geld dachten.
Der Familienvater ging bald an einem Buchmacherladen vorüber, an dem zwei Männer redeten, die wie Halbweltgrößen aus der Unterwelt schienen mit schwarzen Mänteln und Hüten und den Wall hinabgingen zur überdachten Tribüne der Arena, dann einige Frauen, die mit ihren Partnern und Begleitern schwätzten, etwas Bier in Bechern tranken und ein anderer Mann seine Wette für eines der Galopprennen einzahlte. Einer der Männer der Gruppe warf seine Baskenmütze hoch, rief etwas berauscht: „Kaderaa, Kaderaaa, Kadeeeeraaa, Kadeeerrra, Kaderrraaa, setzt auf das Siegpferd Kadeerraaa! Es fliegt wie Pegasusss! Es rennt nicht, es fliegt, es fliegt über diese Realität und Ordnung und unser begrenztes Dasein, es fliegt über den Rasen und die anderen Pferde und Jockeys wie Pegasusss! Der wird uns viel Geld einbringen, jaaaa, das verrrückteste Pferddd der Stadt Kaderrraaa!“
„Dein betrunkener Kopf fliegt dir weg, Junge“, sagte ein Anderer, der sich eine Zigarette ansteckte.
Der Mann ging weiter. An dem Bierwagen „Zum Trinkplatz“ goss eine attraktive Frau mit hellbraunen Haaren mehrere Gläser voll mit schäumendem Bier und stellte frisch gesäuberte Ouzogläser auf. Eins der Gläser goß sie voll.
"Worauf warten Sie?! Gießen Sie gleich wieder ein!", hörte er die Stimme eines Mannes kurz, der einen Mantel trug, noch ein Glas trank und dann mit der rechten Hand über das Gesicht wischte, das Gesicht konnte er nicht sehen, und zur Halle schwenkte.
Der Mann blickte zur Halle und zum Bierwagen und dann weiter umher - im Oktoberlicht zu den Tribünen, die noch kaum besucht waren und dann zur im fahlen Licht lauernden Rennfläche mit den wartenden Erstplatzierten und Niederschlägen, Zweifeln und Hoffnungen, den sauberen und üblen, schmutzigen Kämpfen und den Rennen um Geduld, Ansehen, Stolz, Unbeugsamkeit, Siege und unerwartete Wendungen im Wettkampfgeschehen.
Es begann bald erneut etwas zu regnen. Es war kein gefährlicher und unseglicher Oktoberregen für die Leute in der Stadt und auf dem Land, dachte er. Doch was konnte er noch für die Rennen bedeuten? Welche List, welche Möglichkeiten, Gefahren und Schwierigkeiten für die Wettkämpfer erzeugen? Der Ladenbesitzer hatte heute keine Kassentätigkeit, keine Warenbestellungen und Stunden am Verkaufstresen vor sich. Bestimmt werde ich einmal mit meiner Frau und meinem Mädchen hier sein, dachte er.
Der Regen, die Waghalsigkeit der unbekannten Wettkämpfer, dann mögliche Wettscheine, die Bierstände mit den Stammgästen, Geschäftsleuten, Neuen in der Stadt, den Kleinganoven und Stadt- und Landleuten, dann Imbissstände, etwas Glück im Inneren und vielleicht in den Wetttipps und der Abstand von dem üblen Vorfall, der sich vor Monaten ereignet hatte und seine Familie, die Polizei und Justiz beschäftigte. Aber jetzt gleich die anstehenden Rennen über 1500 Meter, 2000, 2200 Meter und andere, umkämpfte Strecken. Der Regen wird wohl den geduldigen und glücklichen Kämpfern den Sieg bringen. Durch den Regen ging ein Wettkampfteilnehmer mit quittengelbem Trikot entlang der Zuschauerstrecke und Pfütze. Der Regen fiel karg über dem Rasen und der Bedachung der Arena, so, dass man es kaum hörte, aber die kühle Witterung der Tage zwischen Herbst und Winter bemerkte. Er blickte dann zu den Starterboxen der Pferderennbahn und dachte an die Wettkämpfe. Heute ist vielleicht ein Tag für einen wirklichen Kämpfer wie Kadera, der die anderen deutlich schlägt, wie ein erstklassiger Boxer seinen Kontrahenten in der ersten oder zweiten Runde niederstreckt, dachte der Ladenbesitzer und Familienvater kurz.
Er blickte über einen grün schimmernden Graswall zur Rennbahn. Der frühe Regen hatte sie schwerer und damit schwieriger und unberechenbarer gemacht. Jetzt war der Regen wie von der allherrschenden Macht, für eine Weile, in die ferne Welt gejagt und wurden die ersten Rennboxen in der Witterung aufgebaut, für die anreisenden Menschen aus der nächsten Großstadt, den Kreisstädten und Dörfern des Umlands, ein Spektakel für das herströmende Volk. Ihm erschien der Augenblick als hätte ein gütiges Dämmern die Erde an diesem Tag und in dieser Welt für Stunden eingenommen. Als hätte es das üble, widerliche Leid der Vormonate verscheucht wie Fliegen von einem Tisch und Herdfeuer einer Familie, damit den Seelenkummer wie ein verdammtes Unglück plötzlich fort geschlagen. Als bemerkte er endlich wieder eine Zufriedenheit in diesen Monaten, in denen er am Verkaufstresen des Ladens Kunden zum Kauf von Hüten, Mützen, Baseballkappen und dergleichen beriet, das Haupteinkommen der Familie stellte, dann zur Polizeistation mit den Inspektoren Silva und Panter fuhr und müde war von fehlenden Antworten und einem befreienden Richterspruch. Eine seltsam verfinsterte Zeit.
Schwalben flogen wie unförmige Pfeile bald hinab über die unebene, listig lauernde Rennfläche. Der Rasen der Galoppbahn und der Wall vor der Tribüne schimmerten in der Regennässe und auf dem Wall die Verkaufsstände mit den Stadt-und Landleuten. Ein Bier werde ich wohl gleich trinken, dachte er. Noch Minuten bis zum Start.
Auch die anderen Besucher und Pferde und selbst die Bäume genießen die Minuten vor dem nächsten Rennen, dachte er. Im Jockeybereich sah er einige Pferde, darunter Kadera, Sterling, Ryani, die trabten. Er sah ihre erhabenen Köpfe und dachte, sie arbeiten bereits mit dem wichtigen und zu bezwingenden Boden. Es sind Tiere, aber sie wissen um den Zweck ihrer Auswahl, um ihre gefeierten und armselig geschundenen Körper und ihre Schnelligkeit. Das Leben lehrte sie das wohl. So wie ihre Besitzer und Trainer bereits mit den anstehenden Strategien arbeiten und den möglichen Entwicklungen im Rennen selbst. Sie alle arbeiten mit der schwerer gewordenen, regennassen Erde, die allen eine Falle sein konnte und schwere Niederlagen beibringen konnte. Aber es ist wohl nicht die listige, schwere, gierige Erde, die sich wie an so mancher Kriegsfront mit einem Graben öffnete, dachte er an eine kürzlich gelesene Abhandlung zu den Kriegen und Etappen der Menschheit seit dem ersten Licht der Zivilisationen in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland. Manchmal einen Mann verwundend, manchmal alles verschlingend, den Kämpfenden, das Gewehr, das Pferd, die Strategie, die Familie daheim und das Leben und Glück selbst vernichtend. Hier ist es eine schwierige Erde, aber es ist machbar und kein vernichtendes Terrain, redete sich der Familienvater zu. Auch wenn der Rennboden vom Regen aufgeweicht und und schwerer ist, soll es ein besonderer Renntag werden, der mich vom Schweren und den Sorgen ablenkt. Mit unbeugsamen Wettkampfteilnehmern, die laufen, heute so laufen, als liefen sie für das Wichtigste der Welt. Für das Wichtigste der Welt am heutigen Tag. Klasse wäre ein 2200 Meter Galopprennen, in dem die Kämpfer Kadera und For a King etwas beweisen können und vielleicht auch unter einer sehr guten Wettquote lospreschen und es sich auch für die Wettenden lohnt. Es sind vielversprechende Pferde.
„Nach dem Regen werden heute die Pferde viel riskieren müssen. Du musst auch viel riskieren, um keinen Hunderter an Kadera zu verlieren, man braucht viel Glück zum Sieg“, hörte er plötzlich die Stimme eines anderes Mannes. Herr Brasser wandte sich um und lächelte.
„Hallo.“
"Hallo Jona."
Bald stakte der Mann, Mardini, ein Anwalt der Landeshauptstadt, dessen Stimme hergeflogen war, von den Sitzen der oberen Tribünenmitte zu ihm hinunter. Sie reichten sich die Hände.
„Ich hatte nicht mit dir gerechnet. Schön dich hier zu treffen, aber in der Kanzlei erwartet dich ja erst morgen ein Mandant.“
„Morgen früh habe ich einen Termin mit einem Mandanten, der dem Krieg in Afghanistan entkam und mit einem, der einen Juwelier ausraubte“, erklärte der Anwalt, stockte und fuhr fort: „Aber ich hatte mir dieses Galopprennen schon im August vorgemerkt. Einige sehr starke Pferde mit Klasse laufen ja mit.“
„Hoffentlich.“
„Kadera ist dabei und es darf keine Katastrophe geben wegen dem verfluchten Boden.“
„Es ist ein Pferd, dass im Regen noch mehr als in der Sonne etwas auf sich hält.“
„Der Regen wird für Überraschungen sorgen. Hoffentlich für keine Drecksüberraschungen."
Das kann er bestimmt. Widerliche Überraschungen und Verwicklungen durch den Regen sind wahrscheinlich. Seit den ersten, minutiösen Aufzeichnungen der Menschheit vom Drillen, Züchten und Wettrennen von Pferden in Mesopotamien, die in jenen Tagen vor Streitwagen gesetzt wurden, dachte Brasser an eine historische Abhandlung durch den amerikanischen Professor Marc Joshua und in Wettkämpfen in den damaligen, glorreichen Metropolen der Welt rannten, im Welteich der Hethiter, im mesopotamischen Mittanireich, in Theben, Kairo und Washukani, deren Mittani Könige jahrhundertelang mit den Pharaonen in Korrespondenz standen, durch den Chronisten und großartigen Pferdetrainer Kikulli im Mittani Großkönigreich auf Tontafeln überliefert, der sicherlich auch bei matschiger, regengetränkter Erde hier und da seine Pferde drillte, erinnerte sich der Mann, will man sein bestes Pferd durchkriegen. Man will es bei den planbaren Runden und verrücktesten Bedingungen. Gleich der Zeit! Auch hier auf der wunderbaren Rennbahn nahe der deutschen Großstadt, wo For a King und Kadera es reißen müssen. Dann blickte er zur Laufbahn und zu Anwalt Mardini.
Die Männer erwarteten reißerische Wettkämpfe. Es war ein Schwall der Vorfreude.
Der Mann mit der hellbraunen Gesichtshaut, den grünen Augen und dem indoeuropäischem Schlag, ein türkisch-kurdischer Jurist, der in Mardin geboren war, doch schon sehr lange in der deutschen Großstadt lebte, arbeitete in einer Anwaltspraxis in der östlichen Vorstadt. Noch im August war er dem Advokaten in dem Hutladen Brassers begegnet, später in einem Tabak- und Zeitungsladen in der Innenstadt, und nachdem sie auch beim Anwalt gegessen hatten, und er dessen Frau und zwei Söhne kennenlernte, und dieser auch dessen Familie, trafen sie öfters im Tabakgeschäft und dem Lulu Cafe zusammen, wo sie über die Berliner und ehemalige Bonner Republik plauderten, über ihre Familien, über den Krieg der tapferen Anti-IS-Allianz bei Kobane gegen den IS, während sie ihren Kaffee tranken, und sie ebenso über eine Abwicklung des Ladenbesitzers zu einer umfassenderen Hutlieferung nach Dänemark sprachen: Die Lieferung nach Kopenhagen umfasste verschiedene Hutarten mit verschiedenen Mengen: darunter 30 Baskenmützen, 70 Stetson Hüte, 25 Bogart Hüte, 10 Dilara Hüte, je 15 Boston Pork Pies, einige Kalabreser, Jersey Turbane, dann noch ne Menge grüner und grauer Wollmützen, und es brachte ihm das Geld und die Hauptverdienstquelle für sein Herdfeuer und die Familie.
Dann sprachen sie über einen Termin bei seinem Steuerberater im südlicheren Stadtteil der Großstadt und ebenso über einen behandelten Delikt des Anwalts. Beide Männer mutmaßten dann noch über die amerikanischen Ratingagenturen, welche Empfehlungen in der Griechenlandkrise für die Wirtschaftsentwicklungen in Deutschland, Irland und Spanien, in Griechenland abgaben, dass darüber nachdachte Inseln in der Ägäis an sehr reiche Chinesen oder Amerikaner zu verkaufen und in den Leitartikeln der Zeitungen hinterfragt wurden. Über griechisch-türkische Scharmützel wegen ägäischer Inseln. Schließlich sprach der Ladenbesitzer auch über den Entführungsfall oder Vergewaltigungsfall seiner Tochter. Es machte ihm sehr zu schaffen.
Sein Mädchen Jasmin war sein Glück. Er versuchte der kontrollierende Mann seiner Welt und dieser Veränderung, dieser Prüfung zu sein. Die Situation seiner Tochter, nach dem Vorfall in der Märznacht vor dem Mephisto Cafe, belastete ihn äußerst, aber er wollte dieser widerlichen Ist-Situation nicht klein beigeben und hoffte auf Herrn S. und Frau P., auf die Spurensicherung und erfolgreiche Fahndung der Kriminalpolizei. Diese Zeit war sehr schwierig gewesen.
Nach einer Minute des Schweigenes erkundigte sich der Ladenbesitzer dann nach dem Sohn des Anwalts, der erklärte:
„Mein Sohn ist auf einem Schiff bei einem internationalen Militäreinsatz im Piraten- und Kriegsgebiet vor Somalia, aber er wird sich behaupten und bald hier sein.“
„Das wird er ganz sicher“, erwiderte der Ladenbesitzer.
Jetzt mochten sie es in der Arena zu sein. Damit Ihr euch ein genaueres Bild machen könnt: Vor der Tribüne kraxelte man einen schmalen, grasigen Wall hinauf, der mit Bänken und Getränkehäuschen gesäumt war, wo Bier, Ouzo und Wein verkauft wurden und betrat dann die Rennbahn.
Drei, vier Jugendliche spielten mit einem Ball, einige hübsche Frauen, darunter Arbeiterinnen und Frauen von Unternehmern, standen am Getränkestand mit Hüten und näher zu ihnen war ein Pärchen, dass über eine Bestattungsfirma sprach, ehe die Wortfetzen verflogen. Unweit gingen drei Leute in Mänteln am Wall entlang und dann ins Gebäude, die aussahen wie Preisboxer oder Profile der Unterwelt hatten. An einem anderen Getränkestand sah man drei Leute. Einer schlug ein leeres Ouzoglas auf den Tisch, ehe die Frau nachgoss. Ohne Eile schritten ein kleinwüchsiger Mann und eine schlanke, mittelgroße Frau an der Bude vorbei zum Platz, an dem später die Siegerehrungen vorgenommen wurden.
Er drehte sich um und sah ganz oben in der Tribünenreihe zwei Leute, die alleine da saßen, etwas tranken und sich absondernd wohl nichts aus den bekannten Sportlern, Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft machten, sondern nur den Wettkampf auf der Rennbahn liebten, es mochten zwischendurch die Vögel am Himmel und an den Baumgruppen zu beobachten, die wie der Regen kamen und forteilten und die Wettkämpfer schließlich selbst, die ernst, allbereit, aber würdiger als zu Gladiatorentagen, um so vieles losjagten.
Vor ihnen am fließenden Wall erstreckte sich dann eben verlaufend die Rennbahn und lauerten einige Wetter auf die vielversprechenden, wunderbaren, noch sorglosen Pferde. Dem Mann gefiel es auf der linken Tribüne. Er dachte jetzt nicht an irgendwelche Sorgen. Er rauchte bald eine Zigarette. Ebenso der Anwalt, der den vom Regen durchnässten Hut hinab nahm. Zwei Wettkämpfer beschäftigten sie.
„Glaubst du, dass Kadera und For a King es unter sich ausmachen werden?“, fragte der Ladenbesitzer.
„Sie haben mehr Chancen, weil sie die letzten Rennen klasse Erlebnisse lieferten, wobei Kadera in der anderen Stadt in der Schlusskurve Probleme hatte“, erwiderte der Mann mit dem Hut in der Hand.
„Ich vertraue diesen Pferden, und wenn ich Glück habe, werden sie mir etwas einbringen.“
„Bis zum letzten Rennen hätte ich Kadera ganz vertraut. Aber die letzte Stadt war ein schwieriges, unzufriedenes Rennen. Heute muss das Kadera Team sich besser durchs Feld kämpfen.“
"Dazu der verdammte Regen."
"Auch im Regen muss das Team wie ein mutiger Boxer ins Rennen über die über knapp zwei Kilometer gehen und muss an sich und das Team glauben. Sie dürfen nicht feige sein, aber auch nicht vorneweg zu viel wollen", sagte Mardini.
Weiter sprachen sie über das spätere, dritte Galopprennen, dass sich über 2200 Meter erstreckte und spekulierten über die bald in der Box lauernden Pferde Kadera und For a King.
Die Männer beobachteten manchmal die regennasse und nach dem Regen eher Unruhe und teils sogar Feindseligkeit und Arglist ausstrahlende Rennbahn. Dann blickte der Ladenbesitzer zu den Vögeln, die über den Rennboxen hinabschnellten, über das Gras und einen Bierwagen flogen und dann über das Reklameschild des Buchmacherladens fortflogen. Die Sonne hielt sich zurück. Manchmal waren da kurzzeitig derbe, aschefarbene Wolken am Horizont des Himmels.
Doch für einen Oktobermorgen war es nicht sehr kalt. Sie spracheng über die Wettkämpfer, möglichen Sieger und Verlierer. Es lenkte den Ladenbesitzer ab vom Schmerz der Vormonate, der sich wie ein Messer, während der Mittage im Laden und Abende am Tisch neben seiner Frau, in sein Inneres geschnitten hatte, glühend, einen Zorn, Rachegefühle und ebenso eine seltsam ungekannte Betäubung schaffend.
Wieder setzte er zur Ablenkung an. Da drüben sprechen sie auch über den Stall von Ryani, über For a King, Mister Miller, die Wirkung der schweren, nachgebenden Erde, sagte er sich beim Blick zu den Leuten, die Bier bestellten, ehe bald das dritte Listenrennen, bei dem sie am Buchmacherladen ordentliche Wetten einzahlen wollten, begann.
„Diese Woche wurden viele Dockercaps verkauft und in die Niederlande verschickt. Es gab eine Riesenbestellung von Herrn Bergkamp, von einer Hafenfabrik in Amsterdam. Wenn ein niederländischer Jockey dabei gewesen wäre, hätte ich aus Solidarität für diesen Rieseneinkauf auf ihn gesetzt, egal, wie er vorher lief“, scherzte er „aber es wird wohl Kadera sein, der mit mehr Ehrgeiz und Klugheit laufen muss, als die anderen Pferde.“
Er steckte sich die erloschene Zigarette wieder an. Der Andere lächelte, die Zigarette im Mundwinkel und nahm die Zeitung in die rechte Hand. Dann fragte er den Ladenbesitzer Brasser nach dessen Mädchen. Er hatte ihre Situation nicht vergessen.
„Haben die Kriminalinspektoren schon mehr zum Fall deines Mädchens zusammengetragen?“
Er hoffte auf Spuren zum Täter, der versucht hatte, sich an ihr zu vergehen. Die Polizei recherchierte, aber noch wurde niemand dem Richter vorgeführt. Sie hofften auf eine Wende im Fall der verfluchten 6. März Nacht.
“Die Kriminalbeamten gingen einer ernsten Spur unter anderem in Hamburg und Bremerhaven nach. Das erzählte mir Herr Silva von der Polizei“, sagte der Familienvater mit ernster Miene, „es gebe da vielleicht jemanden aus Bremerhaven, der auch im Umland unterwegs gewesen sein soll und der zum Täterprofil passte. Ich hörte es letzte Woche, Ismail, aber seitdem gab es keinen Anruf."
Der Andere hörte ihm zu, sagte nichts.
"Vielleicht hat es sich auch erledigt. Unsere Tochter wurde auch in diesem Jahr öfters von einer Psychologin betreut. Wir hatten Glück, dass nichts Schlimmeres in der Nacht am Hauptbahnhof passierte. Vielleicht wird es einmal in den juristischen Amtsstuben der Republik zurückbleiben. Ein Wunder braucht es nicht dafür.“
„Ich bin jederzeit da. Das wäre mir eine Ehre.“
„Das weiß ich, Ismail, danke“, erwiderte er. „Sie hätten unsere Welt zerstört, wenn sie sie vergewaltigt und getötet hätten.“
„Sie ist ein couragiertes Mädchen, die sich gewehrt und losgerissen hat und sich nicht ergeben hat“, erinnerte sich der Anwalt an die Schilderungen.
Brasser nickte mit Seufzen.
„Was anderes hätte meine Frau nicht ausgehalten und wäre verrückt geworden. Fähig so jemanden umzubringen wäre ich wohl nicht, aber unser Staat muss ihn fassen und diesen Hundesohn hinter Gitter bringen.“
„Die Staatsanwaltschaft wird die versuchte Nötigung zur Strafe bringen“, versuchte Mardini zu beruhigen und zu ordnen.
Brasser hob den Schirm mit zitteriger Kraft. In seiner Stimme war Schmerz, Wut und Hilflosigkeit. Oft habe ich sie zur Doktorin in der Großstadt begleitet, dachte er dann. Der Ladenbesitzer spürte kurz einen schmerzliches, derbes Pochen in seinen Adern. Kurze Stille.
„Wann werdet Ihr das nächste Mal bei den Kriminalbeamten sein?“, fragte Mardini dann.
„Das wird wohl zum Ende der kommenden Woche sein“, antwortete der Familienvater nach kurzer Pause. „Da wird uns Herr Silva vermutlich einen der Verdächtigen präsentieren.“
„Das wäre eine hervorragende Nachricht.“
Die Augen des Ladenbesitzers funkelten beim Gedanken an einen Fahndungserfolg, aber er wollte sich nicht unglücklich machen mit einer Ballung an zu viel Zuversicht, die schnell zur Naivität und zum Hieb in den Magen werden konnte und wie eine Axt die Familienbande zerschlagen konnte. Vielleicht gab es auch nichts und sogar einen Rückschlag? Die damit verbundene Unzufriedenheit würde sich noch tiefer in die Seele fressen. Bald blickte er kühner, mit gedankenvollen Augen, in dessen rechtem Augapfel ein roter Punkt eingefroren war, zu den Baumgruppen am Rennbahnrand und dann zum Anwalt.
„Es wird sich wohl alles ergeben mit der Polizeiarbeit“, sagte er weiter. „Sie hat die Polizei erst sehr spät benachrichtigen können, nachdem sie von einer Disko in einer ruhigen Ortschaft und an dem Cafe Mephisto entlang alleine zu einer Busstation gehen wollte.“
Dann hörte er auf zu reden, aber dachte: Unser Mädchen lebt und wird ihre Angst nicht in die Mitte ihres Weges stellen, sondern weiterhin ein hoffnungsvolles, möglichst lebenslustiges Mädchen sein. Sie ist am Leben, ihre Freiheit und ihr Wohlergehen sind nicht bezwungen worden. Der Täter ist auf der Flucht und wird hoffentlich zur Rechenschaft gezogen werden!
„Sie ist heil bei euch und die Kriminalbeamten und ein ehrgeiziger Staatsanwalt werden den Fall der versuchten Nötigung aufklären und ihr über diese Nacht hinweg kommen“, sprach ihm der Anwalt bedächtig und mit magerem Optimismus zu. Der Mann rieb über sein Nacken und blickte zu ihm mit nachdenklicher Miene. Er rauchte seine Zigarette. Brasser sagte nichts und verstummte für eine Weile.
Dann dachte er an die Worte des Inspektor Silvas: Es gebe bis zu vier oder fünf Verdächtige, wobei es bei den meißten lediglich Vermutungen waren, keinerlei Beweise oder weitergehende Indizien waren bislang aufgetaucht.
Silva berichtete ihm von einem slawisch aussehendem Anhalter, der an dem Abend in der Nähe der Bushaltestelle gesichtet worden war. Dann von einem betrunkenen, dunkelhäutigen Gast, der im Mephisto wegen einer Streitigkeit mit einem der Männer der Security aufgefallen war und schließlich, nur eine Stunde vor dem Vorfall mit dem Mädchen, rausgeschickt worden war. Von dem Unbekannten in Osnabrück hatte er nicht mehr berichtet.
Zur Pferderennbahn war er gekommen, da seine Tochter über das Wochenende bei der Mutter des Mädchens und ersten Frau Brassers in Hamburg übernachtete. Diese scheiß Märzmitternacht darf die Familie nicht zerbrechen, dachte er. Sie ist zu wundervoll. Alles an ihr ist wertvoll. Mardinis Worte in Gottes Ohr. Herr Silva und Frau Panter dürfen uns nicht im Stich lassen, hoffte er. Denn die Unzufriedenheit und ungeheuerliche Betäubung hielt schon länger an: Der Ladenbesitzer und seine Ehefrau spürten es auch abends, wenn er aus dem Hutladen in der Heinrich Böll Gasse, in der er arbeitete, und dessen Namensgeber er als Autor und humanistische Stimme zum Zweiten Weltkrieg und Wiederaufbau während der Trümmertage in der BRD sehr mochte, nach Hause kehrte und mit seiner Frau am Küchentisch aß. Auch nachdem sie mehrmals mit der Doktorin des Mädchens gesprochen hatten. Einige Nächte zuvor befielen Brasser Alpträume, Anflüge mit schauerlichen Klauen, die sich scheinbar erbarmungslos über seinem Familienglück erhoben, wie die Schwingen einer Harpyie, die sich auf eine Beute stürzt, dachte er, dann wachte er verschwitzt auf, aber scheinbar noch immer nicht gänzlich dem Traum mit entfernten Sargnägeln, Trauerprozessionen und Schatten entfliehend.
Unweit kehrte eine Frau den Boden vor einem Fenster eines Wettenbüros und hörte man ihr Summen. Er wandte sich zur Frau und wieder zur Rennbahn, während die Vögel über das Terrain und die Rennboxen hinabschnellten. Dann hob er das Fernglas über seinen Kopf und legte es auf den Sitz neben die Wettenzeitung und den Regenschirm. „Der Polizist meinte, es sei ein Segen gewesen, dass sie sich gewehrt hatte, geschrieen und dem Mann einen Tritt verpasst hatte, jemand hatte auf der sonst toten Straße zugerufen und war hingelaufen, der Täter hatte Angst gekriegt und war durch den Wald geflohen“, erklärte Brasser. Sein Gemüt wurde plötzlich von einer aufblitzenden, pessimistischen Schwere und Trübseligkeit durchkämmt. Es war merkwürdig und jäh wieder da. Aber ich muss standhaft sein, meine Familie muss es auch, dann wird sich alles klären. Plötzlich dachte er wieder an den Verdacht Silvas, es müsse auch der Ex-Freund des Mädchens, Sinan, ins engere Visier der Fahnder genommen werden. Denn er hatte sich am Abend des Vorfalls ebenso im Mephisto aufgehalten, war vom Mädchen abgewimmelt worden und zur Tatzeit später nicht mehr im Club gesehen worden. Dann würde er einen hohen Preis dafür bezahlen!
Der andere Mann rauchte und blickte zur Rennbahn. Bald blickte er auch über den Wall hinweg zu den armseligen Bäumen und der dunkelgrün und weit nach oben verlaufenden, dünnen Bahn. In wenigen Minuten liefen die wunderbaren Pferde Kadera und For a King im dritten Listenrennen auf der teils matschigen, regengrünen Strecke. Dann drehte er sich zum Anwalt, dessen derbe Stirn vom Hut beschattet wurde, aber auf der sich drei dicke Linien andeuteten, auch wenn er wohl gut verdiente und sehr gut aufgestiegen war, dachte er, eine nachdenkliche, vom Leben gegerbte Stirn. Er blickte in das kantige, vertraute Gesicht mit dem Schnauzer und den grünen Augen. Seine achtsamen, grünen Augen waren unter graubraunen Augenbrauen mahnend - wachsame, freundschaftliche Blicke und wurden auch vom Zigarettenrauch nicht ganz verdeckt.
„Mancher Vater würde denjenigen angemessen bestrafen und vielleicht tot schlagen wollen. Aber die Justiz wird da sein und diese Wut weg reißen. Und auch Jasmin wird über ihn siegen, glücklich werden und dieser Verbrecher seine Haftstrafe bekommen“, sagte der Anwalt.
„Der wird zur Rechenschaft gezogen werdenie“, erwiderte der Vater des Mädchens. "Und das Mädchen wieder würdevoll in ihrem Weg weiter gehen." Seine Stimme wurde wieder fester, selbstsicherer, wie das eines zurückgeholten Souveräns und Familienanführers aus irgendeiner herben, kriegerischen, zerreißenden Ebene der modernen, menschlichen Gesellschaft unseres Jahrhunderts.
Der Anwalt nickte und beide verstummten. Unweit hörte man das Kehren des Besens und Arbeiten der Putzfrau und erblickte man zwei Jockeys, die mit einem der Stallbesitzer redeten.
"Wehe demjenigen, der es versucht hat!", sagte der Ladenbesitzer. "Auch wenn ich ihn nicht umbringen könnte - dann muss man jemandem 10 000 oder 20 000 Euro geben, der es macht! Einem Albaner, Tschetschenen. Oder kurdischen Söldner, der sich bei einer Schlacht am Euphrat IS-Köpfe geholt hat. Irgendeinen, der es für das Geld macht und es uns einfacher macht. Es erträglicher macht!"
"Aber dann wirst du in Teufelsschwierigkeiten kommen", sagte der Anwalt.
"Aber was soll man machen? Es ist wie verflucht! Es gibt noch keine Ergebnisse von diesem Silva. Was ist wenn der Täter das Land schon verlassen hat?"
"Es wird besitmmt schon bald Ergebnisse geben seitens der Polizei. Das wird sicherlich kommen. Das wird noch dauern, aber kommen. Also vergiss das besser mit jemandem, den du beauftragst."
Der Andere blickte vom Anwalt zur Rennbahn, sagte nichts.
Der Ladenbesitzer wollte sich nicht im Zorn verlieren und jetzt nicht zu sehr die 6. Märznacht von allem hier Macht nehmen lassen. Sie verstummten. In diesem Moment mischten sich wieder Widersprüchliches, Freude, Verwundungen, der Wunsch nach einer Rache durch jemanden, durch den Rechtsstaat, nach Gerechtigkeit, etwas Missmut.
Am Oktoberhimmel bewegten sich Wolken von Westen her, es regnete kurz. Fünfzehn Minuten vor dem zweiten Galopprennen stakte Brasser die Stufen hinauf zur linken Tribünenseite der Rennbahn. Er war ein Mann, mit einem ehemals mutigeren Blick und strafferen Gesicht, zwar noch breit, dessen Gesichtspartien unter den braunen Augenpartien jedoch die ununterdrückbare Sorgsamkeit der Vormonate spiegelten. Er blickte umher. Mehrere Leute zahlten bereits Geld ein an den Wettständen. Die Frau am Bierwagen goss mit kaufmännisch-unterhaltender Miene Ouzo für ein Paar ein.
Der Ladenbesitzer dachte: Ich bin Teil dieses Renntags und lenke meine Gedanken auf die Wettkämpfer und werde die weiteren Rennen mit den Wettkämpfern aus Irland, dieser deutschen Region und Frankreich gut mitnehmen.
Immer mehr machte er sich das anstehende Rennen über 2200 Meter bewusst. 2200 – 2200- 2200-2200 listige, matschige, wunderbare, wunderbare und umkämpfte Meter über Sieg und Niederlage, es warteten Überlegenheit und mögliche schwere Rückschläge. Da könnte ich was ordentliches wetten.
Als er nach seinem Fernglas langte, stockte er kurz. Vorüber gingen zwei Jungs, die in einer Gruppe mit sehr schlechtem Ruf aus der Nachbarschaft herumhingen, und die er vom Fußballverein seines Sohnes kannte. Die beiden Jungen gingen vorüber in die hinteren, oberen Ränge. Vielleicht würden sie ein Gangstar wie Leon werden, - ein Herumstreicher, gesuchter Casinoräuber und Gangster. Er hörte, in früheren Tagen hätte Leon Bix und dessen Leute an der Pferderennbahn Leuten das Geld mit Betrügereien aus der Tasche ziehen wollen, wie kleine Geldeintreiber. Die Jungen gingen bald ins Gebäude. Er wandte sich ab und hob wieder das Fernglas.
Er stierte über die rar durchpflügte Rennbahn zu den fernen Baumgruppen und zur Kurve auf dem rechten Terrain, an der die längeren Galopprennen begannen und aus welcher die Pferde die erste, brisante Kurve preschend nehmen mussten.
„Hat der Durchsager eines der Pferde wegen einem Unfall abgesagt?“, fragte der Andere bald.
Der Ladenbesitzer war gedankenversunken. Der Anwalt wiederholte seine Frage.
„Nein. Nein. Unsere werden dabei sein“, erwiderte Jonas Brasser.
„Gut, Kadera und For a King werden also neben Mister Miller und Sterling dabei sein“, sagte der Anwalt Mardini, der heranschritt und die geöffnete Zeitung wieder zuklappte.
„Ich will nicht zu viel verlieren“, sagte Brasser. Sein Fernglas baumelte an der Brust.
„Das werden wir nicht, wenn der Regen und Matsch die Beine der Favoriten nicht vor der Ziellinie brechen oder wie in einem dreckigen Bann durcheinanderbringen“, sagte der Anwalt, der die Zigarette aus dem Mundwinkel nahm. "Und wie ein Richterurteil oder gar Messerhieb alles zunichte macht."
„Das könnte passieren. Jedenfalls können wir von hier aus den Zieleinlauf von For a King oder Kadera gut verfolgen“, sagte Jonas Brasser.
„Wenn sie nicht schlapp machen auf der Schlussgerade und sie sich einem Jockey wie Pedro Contador geschlagen geben müssen.“
„Pedro Contador wird sich auch geschlagen geben müssen. Unsere Wettkämpfer sind für diese Strecke und dieses Wetter die richtigen.“
Die Männer wollten an ihre Einsätze glauben.
Vor der Tribüne gingen zwei schlanke, hochgewachsene Frauen in Mänteln zu den Buchmacherläden und einige stakten zur Bierbude.
Wie ein Messerhieb, hallten die Worte des Anwalts nach. Kurz stellte er es sich vor und dachte an ein Buch eines britischen Historikers. Da ging es auch um Ordnungen im Leben, in der Welt, um Sein und Nichtsein im Leben, um das Sein der Zivilisation, um Tod, Artilleriefeuer, immense Opferungen von Zivilisten, Soldaten, Offizieren, Tieren, Pferden. Der Historiker beleuchtete in seinem Werk den Sturz der europäischen Zivilisation in die Finsternis, die kolossalen Menschenopfer und schrieb auch von der Masse an getöteten Pferde, während des Ersten Weltkriegs. Die das Britische Empire, Frankreich, Deutschland, das Zarenreich, Osmanische Reich, und weitere Staaten und Nationen in Heeren hergeben mussten. Er erinnerte sich an wichtige Passagen: Der britische Historiker legte die Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit der Agierenden und Beteiligten gegenüber dem sich ankündigenden Weltenbrand 1914 offen, auf keiner Seite, weder auf der der Mittelmächte noch auf der der Alliierten, gab es eine staatliche Devise zur Eindämmung des Konflikts, der Feuer fing in Sarajevo oder gar zur Entspannungs- und Friedenspolitik. Geradewegs ließ man seine Millionenheere und auch die Masse an Pferden in die Hölle marschieren. Arme Zivilisten und Soldaten! Armselige, dem Wahn geopferte Pferde! Er schrieb unter anderem von der Schlacht an der Somme 2016 mit über einer Million Tote. Die Verluste an Soldaten: 419 650 Soldaten etwa für das Britische Empire, erinnerte sich der Ladenbesitzer an diese boshafte Zahl, etwa 200 000 oder 205 000 für die Franzosen, diesmal vage, Deutschland hatte bei jenen Stellungskriegen rund 450 000 - 470 000 Soldaten zu beklagen. Es war eine ungemeine Opferstätte gewesen, die der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Deniz Civan
Cover: Deniz Civan
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2016
ISBN: 978-3-7438-9499-0
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