Peawyn Hunter
Die Eós Chroniken
Short Stories
Hier möchte ich gerne meine wunderbare Coverdisignerin loben, die dieses wunderschöne Coverbild mit mir durchgeplant und dann für mich erstellt hat.
Ehrlich, ich hätte mir kein schöneres Cover vorstellen können!
Vielen lieben Dank an Büsra Yalaman alias sunshineandbirds.
♥
Link, um die Karte zu vergrößern:
☀ Verbotene Liebe
☀ Die verbotene Kriegerin
☀ Die Trostfrau
☀ Das Leben des Königs
☀ Das Leid der Dämonin
Teil I
VERBOTENE LIEBE
☀
Sie war fuchsteufelswild, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Blicke töten könnten, dann wären Quinn Denero und Kaiven Weißwacht, ihre zwei Partner bei dieser 'Reise' definitiv zehn Mal umgefallen - hintereinander! Noch immer spürte sie das leicht spöttische Lächeln auf Kaivens Gesicht, dass sie höchst persönlich in ein solches verwandelt hatte, denn vor ihrem Schlag in seine Fresse war es ein Grinsen gewesen. Wütend funkelte sie ihn an, ihr Blick verriet ihm, dass er sich besser zurückhielt, sonst durfte er noch einmal von ihrer Faust kosten.
Kaiven hob unschuldig, wie er immer tat, die Augenbrauen und trieb sein Pferd durch die geöffneten Tore, an denen Magnus und Viktor lehnten und aufpassten, dass kein Gesindel durch die Tore ritt und in das heilige Herz der Akademie eindrangen. Dieses uralte Bauwerk befand sich im Westen Eós' und südlich der Sklavenstadt Eashos, ziemlich entlegen, ziemlich gut bewacht und zwar von den besten Kriegern dieser Zeit. Den Hexern.
Hexer waren übermenschlich. Man trainierte sie von Kindesalter an, damit sie einmal zu tödlichen Kriegern wurden und sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, wurde ihnen in einem speziellen Ritual das Wissen der Völker ins Gehirn gepflanzt. Dazu war allgemein die Zauberin Sumanta da, die ihre Zeit im Turm der Akademie fristete und wahrscheinlich schon über hundert Jahre alt war. Nur noch sie kannte die alten Zauber der vergangenen Welt, durch die die Hexer eine solch große Macht bekamen.
Aber auch Hexer waren nicht unsterblich, das musste die Akademie in den letzten Wochen leider mehrmals feststellen, da nicht alle von ihren Aufträgen heimkehrten - sie allerdings waren heimgekehrt.
Und sie konnte nicht von sich behaupten, dass sie gerne so heimgekehrt wäre.
»Hab dich doch nicht so, Kileea. So ein bisschen Guhlschleim wirst du doch wohl abkönnen, oder?«, fragte Kaiven belustigt.
Quinn war der Älteste von ihnen allen, gerade einmal dreiundzwanzig und doch war er bereits verbittert, wie ein alter Mann, der sein ganzes Leben hinter sich gebracht hatte. Dieser Mann war hart wie Stein und nichts auf der Welt würde das jemals ändern, das wusste Kileea, weshalb es sie nicht überraschte, als er wortlos und genervt die Augen verdrehte, von seinem schwarzen Hengst herunter stieg und ihn einem Stalljungen übergab. Ohne auf die beiden zu achten, verschwand er im Hauptgebäude der Akademie.
Kileea funkelte Kaiven an. Schon immer hatte er sich über sie lustig gemacht, er hatte nie eine Gelegenheit ausgelassen das zu tun. Denn allein die Tatsache, dass sie die einzige Hexerin der Akademie war, die einzige Frau, die hier herum lief und sich wie ein Mann benahm, gab ihm Anlass dazu, dies zu tun. Schon damals, als sie Kinder gewesen waren, hatte er sie mit allerlei Dingen aufgezogen und sie hatte wie gewohnt darauf geantwortet. Indem sie ihm eine verpasste.
»Willst du mit mir tauschen? Ich glaube nicht, dass du begeistert wärst, wenn halb verdaute Menschen, als glibberiges Etwas auf dir drauf wären.«, antwortete sie gereizt und stieg ruckartig von ihrer Stute hinunter.
Leider erinnerte sie sich nur zu gut an den Moment, nach ihrem Ritual vor ein paar Monaten. Um die bestandene Prüfung zu feiern und sich zu beweisen, sollten die drei nach Süden reiten bis kurz vor die Grenzen der Savanne, um dort ein verlassenes Dorf von Guhlen zu befreien. Ser Raymund, ihr Ausbilder und bekanntester Hexer seines Jahrganges, hatte befohlen, dass Quinn dabei die Führung übernahm.
Kileea schüttelte sich bei dem Gedanken an diese hässlichen Viecher. Sie sahen Menschen sehr ähnlich, auf gewisse Weise, liefen jedoch auf allen Vieren umher, beinahe wie Katzen. Ihre Gliedmaßen sahen verkrüppelt aus und ihre Gesichter waren unheimlich, die Augen quollen beinahe aus den Höhlen und waren rot gerändert von der ständigen Tränenflüssigkeit, die sie ausstießen. Sie weinten vor ungestilltem Hunger auf Menschenfleisch. Gut konnte sie sich vorstellen, dass es grausam und quälend sein musste ein solches Dasein zu fristen, denn selbst, als Quinn, Kaiven und sie diese Wesen nur beobachtet hatten, um auf den geeigneten Moment zu warten, um anzugreifen, sahen sie aus, als hätten sie Schmerzen. So war es doch ein kleiner Trost für Kileea, dass sie diese Wesen nun erlöst hatten von ihrem Leiden.
»Nein, Danke, Schätzchen«, grinste Kaiven und fuhr sich durch das kurze, sternenweiße Haar, bevor er sich von seinem Pferd schwang. »Dass es dich erwischt hat reicht mir vollkommen.«
Wütend blickte sie ihn an, dann schüttelte sie den Kopf und rief sich ins Gedächtnis, dass sie sich nicht von ihm ärgern lassen sollte.
Also ignorierte sie ihn gekonnt und blickte auf, als Magnus vom Tor zu ihnen geschlendert kam. Magnus war ein hoch gewachsener, wirklich gutaussehender Hexer aus einer berühmten Familie des Westens. Seine Familie lebte schon seit Generationen in den Adelshäusern von Eashos und dennoch benahm er sich kein Stück wie ein Adliger. Er war verwegen und flirtete gerne mit Kileea und sie konnte nicht sagen, dass sie diese Flirts nicht genoss. Einmal kam es sogar zu mehr als nur Geflirte. Sie hatten sich berührt und gestreichelt, aber dazu, dass sie ihre Jungfräulichkeit verlor, war es noch nie bei irgendeinem dieser Kerle gekommen. So weit würde sie es auch nicht kommen lassen.
»Na du siehst ja heiß aus... vor allem mit diesem vielen Geglibber...«, grinste Magnus und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust, über der ein, in Rot- und Schwarztönen gehaltener, Brustharnisch spannte.
»Allerbesten Dank«, fuhr sie ihn gereizt an und schnappte sich den Beutel, der an ihrem Sattel befestigt war und warf ihm diesen zu.
Ein matschiges Geräusch erklang, als sich Magnus' Hände um den Beutel schlossen. »Uhhähhh... was ist das denn?«
»Die Vermissten, die wir finden sollten.«, erwiderte Kileea ungerührt.
Kaiven lehnte sich neben ihr gegen Amandra, ihre weiße Stute. »Oder das, was von ihnen noch übrig ist.«, fügte er hinzu.
»Sehr appetitlich, Leute.«, bemerkte Magnus und warf den Beutel beiseite. »Und? Wo ist unser strahlender Ritter in schwarzer Rüstung?«
Kileea machte sich daran ihre Sachen von Amandras Sattel zu nehmen, denn sie wollte nur noch eines: ein heißes Bad im Waschraum und danach ein gutes Buch und Suppe in ihrem Magen. Damit wäre sie schon rundum glücklich und zufrieden. Sie erinnerte sich noch an die spannende Lyrik, welche sie aus der Bibliothek der Akademie geholt hatte, als sie eines Abends nicht hatte schlafen können. Damals, es war mehrere Monate her, hatte sie geträumt, mit einem Mann das Bett zu teilen und war schweißgebadet und mit pochender Mitte aus dem Schlaf hoch geschreckt. Es war die reinste Folter gewesen und selbst, als sie sich selbst mit ihren Fingern gerieben hatte und sich so zum Höhepunkt hochschaukelte, hatte die Lust auf körperliche Nähe nicht nachgelassen. Beinahe war sie noch schlimmer geworden. Da sie es nicht geschafft hatte, innerhalb von zwei Stunden wieder einzuschlafen, hatte sie sich ihre Kerzenschale genommen und war in die Bibliothek hinunter gestiegen, um sich abzulenken. Nun war es an der Zeit, dieses Buch zuende zu lesen und ein Neues anzufangen.
»Quinn?«, fragte Kaiven ironisch. »Du kennst ihn doch. Er erledigt den größten Teil der Drecksarbeit, lässt aber die Lohrbeeren uns ernten.«
Magnus lachte leise. »Ganz der einsame Wolf, was?«
Kileea schnaubte und blickte auf. »Ihr wisst ganz genau, weshalb er so ist. Also hört auf, euch über ihn lustig zu machen.«
Die beiden Männer und beinahe jeder der Akademie wusste, weshalb Quinn sich von beinahe jedem fern hielt. Weshalb er frech und ungehobelt und sogar grausam war. Schließlich konnten nicht alle Hexer, wie Magnus oder sie selbst, von großen Familien stammen, deren Kinder gerne mal aus der Reihe tanzten, um zu gefürchteten Kopfgeldjägern zu werden. Nein. Anders als sie oder Magnus, war Quinn halb tot in der Akademie angekommen. Dehydriert, unterernährt und psychisch vollkommen am Ende. Die Vorgeschichte jedoch kannten nur Kaiven, Kileea und ihr Ausbilder selbst. Er war ein Halbblut, ein Mann, der aus zwei Spezies bestand, nämlich aus Mensch und Elfe. Seine Mutter, eine zarte Elfe von kaum fünfzehn Jahren war zu ihrer Zeit von einem Banditen der Menschen gefangen genommen und vergewaltigt worden. Mehrere Male. Daraus entstand ein Kind und, als die junge Elfin nach Monaten befreit wurde, gebar sie den kleinen Jungen. Leider war ihr zarter Leib viel zu zierlich gewesen, als dass sie Quinns Geburt überlebt hatte. Daraufhin war er in das Bergkloster Saint Donje gekommen, als er drei Jahre alt war. Was davor geschah, war selbst für seine beiden Kameraden ein Rätsel.
Doch, was dann geschah, als er neun Jahre alt wurde, war grausam. Er war fortgelaufen und einer Nekromantin in die Arme gefallen, die ihn vier Jahre lang, als Lustsklaven missbrauchte. Quinn lebte eine geraume Zeit dort auf den Blutinseln mit anderen Jungen in seinem Alter, musste Dinge tun, die sich niemand vorstellen wollte. Dinge, die demütigend waren, Dinge, die grausam waren.
»Ich kann mir schlimmeres vorstellen, als an den Zitzen einer Hexe zu saugen und meinen Schwanz in ihre Möse zu stecken.«, erwiderte Magnus mit erhobener Augenbraue.
Kileea funkelte ihn an und im nächsten Augenblick lag die Klinge ihres rubinbesetzten Dolches an seiner Kehle. Die Klinge war so scharf, das ihm bei der Berührung seiner Haut, schon ein Tropfen Blut den sehnigen Hals herunter floss.
»Pass auf, was du sagst, Magnus. Du weißt, dass, wenn Quinn das gehört hätte, du bereits tot wärst.«, zischte sie.
»Ich würde lieber darauf hören, was sie sagt, mein Freund. Sie ist heute schlecht gelaunt.« Kaiven stand noch immer gegen Amandra gelehnt da, aber sein Tonfall war merklich abgekühlt, sodass man sofort wusste, dass auch er nicht gut fand, was Magnus soeben gesagt hatte. Schließlich kannten sich die beiden Männer auch viele Jahre ihres Lebens. Sie waren beinahe zur selben Zeit in der Akademie angekommen. Damals war Kaiven noch ein Sklave gewesen, der von der Forschungsinsel Líz gekommen war. An ihm wurde jahrelang herum experimentiert, wodurch er die Farbpigmente in seinen Haaren verloren hatte und für immer reptilienhafte Augen hatte, die vielen Menschen unheimlich waren. Erst sollte er in der Akademie als Diener leben, bis Ser Raymund sein wahres, kriegerisches Potential erkannte und ihn zum Hexer ausbildete. Dabei war auch eine enge Freundschaft zwischen den jungen Männern entstanden, die sich zwar nie in Worten zeigte, aber in den Gesten. Sie respektierten einander.
»Okay, schon gut, schon gut! Mann! Nimm bloß dieses Ding runter!«, knurrte Magnus.
Kileea steckte die Waffe elegant wieder weg, dann stapfte sie wortlos an den beiden Männern vorbei und trat ins Gebäude ein. Hier drinnen war es angenehm kühl, denn draußen knallte einem die Sonne erbarmungslos aufs Haupt. Zielsicher schritt sie durch die Teils sehr menschenleeren Gänge ins obere Stockwerk zu ihrem Zimmer.
Sie holte den Schlüssel heraus und schloss die Holztür auf, welche sich mit einem leisen Knarzen öffnete. Als sie die Tür schloss, seufzte sie entspannt. Endlich wieder Zuhause.
Obwohl es oft sehr anstrengend war, als einzige Frau unter rund einhundert testosterongesteuerten Männern, liebte sie dieses Leben hier. Sie war stark und unabhängig, so wie sie es schon immer hatte sein wollen. Damals, als es um ihre Zukunft ging, hätte sie jedes Mal wieder so entschieden. Sie war gerade einmal zwölf gewesen, als ihr Vater, Kommandant Garold Klinggón von der Kriegergilde in Anmeer, sie an einen zehn Jahre älteren Mann hatte verheiraten wollen. Sie hatte es geschafft, sich gegen den sturen Krieger durchzusetzen und an die Akademie von Elvacht zu kommen, um zur Hexerin ausgebildet zu werden. Erst hatte er geglaubt, sie sei übergeschnappt, dann jedoch hatte er eingelenkt, ihr aber gesagt, dass, wenn sie unbedingt eine Hexerin werden wollte, sie es alleine schaffen musste. Kurzer Hand hatte er sie vor die Tür gesetzt, mit nichts anderem, als einem Beutel mit Proviant, ihrem Dolch, den sie zum fünften Geburtstag von ihm bekommen hatte, und jeder Menge Frust. Aber sie hatte sich durch das Land geschlagen, war mit Bauen auf ihren Karren mitgereist, dafür, dass sie einen Tag für sie auf dem Feld arbeitete und hatte es schließlich zur Akademie geschafft. Erst Jahre nach dem Beginn ihrer Ausbildung hatte sie wieder etwas von ihrem alten Herrn gehört, der sich wahrscheinlich in den Arsch gebissen hatte, nachdem er erfuhr, dass seine Tochter es doch zu etwas gebracht hatte.
Natürlich wusste Kileea, dass er darauf spekuliert hatte, dass seine einzige Tochter, sein einziges Kind, wieder heim kommen würde und sich seinem Willen beugte, weil der Weg zu weit und zu beschwerlich war. Dass Kileea nicht auf den Luxus einer warmen Mahlzeit und eines Bettes verzichten wollte und dafür einen fremden Mann heiraten und ihm Söhne gebären würde.
Aber so war Kileea nicht. So war sie nie gewesen und dieses Temperament, diesen unbeugsamen Willen, das zu erreichen, was sie für ihr Leben wollte, hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die drei Jahre nach ihrer Geburt bei einem Überfall, in ihrem Haus in Anmeer, gestorben war. Ihr Vater war damals mit einem wichtigen Auftrag der Kriegergilde beschäftigt gewesen und hatte die Nacht dort verbracht, obwohl ihre Mutter ihn gebeten hatte, Zuhause zu bleiben, damit sie vielleicht ein weiteres Kind bekommen könnten. Dies war in einem Streit ausgeartet und er war gegangen.
Als er wenig später von dem Überfall erfuhr, war es bereits zu spät gewesen. Seine Frau, Elisabeth Klinggón, hatte vergewaltigt und mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Boden der Küche gelegen. Zwar erinnerte sich Kileea kaum noch daran, aber ihr Vater hatte ihr einst erzählt, dass sie eingerollt neben ihrer Mutter gewacht hatte, eng an ihre Brust gekuschelt, wie sie eigentlich jeden Abend in der Stube vor dem Kamin gesessen hatten.
Kileea schüttelte den Kopf, als sie so darüber nachdachte. Das alles war Vergangenheit.
Sie ging zu ihrer dicken, Eichenholzkommode hinüber und öffnete eine der kleinen Türen. Daraus holte vorsichtig, um es nicht gleich dreckig zu machen, ein Handtuch und Kleidung aus weichem Leder. Damit verließ sie ihr Zimmer gleich wieder und ging in einen anderen Flügel zum Waschraum. Es gab genau drei dieser Räume, die sie sich natürlich mit den Männern teilen musste. Schließlich gab es für sie, nur weil sie eine Frau war, keine Extrawürste. Sie hatte sich in das Konzept der Akademie einzufinden, oder sie konnte gleich ihre Sachen packen.
Erschöpft, müde und auch hungrig, betrat sie schließlich den Waschraum, wobei sie das rote Fähnchen an die Tür bamselte, was bedeutete, dass sie darin war und sich kein Kerl dort hinein wagen sollte. Denn auch, wenn sie sich an die Lebensweise hier anzupassen hatte, hieß das nicht, dass sich die Männer alles herausnehmen durften.
Seufzend legte sie ihre Sachen auf eine der Bänke neben dem großen Waschzuber in der Mitte. Dann begann sie langsam ihre Lederrüstung zu lösen, denn vor allem der Brustharnisch war an ihren Brüsten unangenehm fest. Sie musste ihn unbedingt vergrößern lassen oder von Hamich, dem Schmied der Akademie, einen neuen anfordern. Der Faulpelz hatte eh immer viel zu wenig zu tun.
Als sie auch das Leinenhemd abgelegt hatte und die Lederhose, stand sie nackt vor dem großen Spiegel, der in einer Ecke stand. Sie musste sagen, dass sie ganz zufrieden mit ihrer jetzigen Figur war. Kurvig, nicht zu dürr und doch schlank. Genau richtig. Das einzig störende an all dem waren wahrscheinlich die Narben auf ihrem Körper, die von einigen Kämpfen zeugten, die sie bereits gegen Menschen und Monster ausgetragen hatte.
Sie schüttelte den Kopf und stieg in den Waschzuber, drehte den Wasserhahn auf, woraus heißes Wasser von einem Rohr, das bis tief unter die Erde reichte, hoch gepumpt wurde. Unter der Akademie verlief nämlich ein gutes Abwasser und Wassersystem.
Mit einem zufriedenen Seufzen ließ sie sich in das heiße Wasser sinken und begann bereits mit einem Lappen und einer nach Pfefferminz duftenden Seife einzureiben und das Zeug von ihrem Körper zu waschen, was der eine Guhl auf sie gespuckt hatte, als sie ihm den Wanzt aufgeschlitzt hatte. Es fühlte sich gut an, wieder einigermaßen sauber zu sein. Jetzt fehlten nur noch ihre sternenweißen Haare.
Sie ergriff von der Platte, die in eine Ecke des Waschzubers angenagelt worden war, eine der Fläschchen mit einem wundervoll duftenden Pfefferminzöl. Sie liebte den Geruch von Pfefferminze. Rasch gab sie etwas davon in ihre Hand und rieb das Öl in ihre bisweilen trockenen Haare ein. Als sie es schließlich ausspühlte, waren ihre Haare glatt und seidig und nicht mehr so verstrubbelt, dass man sie mit einer Vogelscheuche hätte verwechseln können.
Als sie sich gerade entspannt zurücklehnen wollte, öffnete sich plötzlich die Tür. Sie wollte schon wie eine Irre loswettern, als sie Magnus erkannte. Er grinste sie spitzbübisch an und schloss die Tür hinter sich.
»Hallo«, grüßte er sie mit dunkler Stimme.
Er bildete sich doch tatsächlich immer noch etwas ein, nur, weil sie sich beide einmal mit Streicheleinheiten zum Höhepunkt gebracht hatten. Glaubte er tatsächlich, dass sie ihn jemals näher an sich heran lassen würde? Noch näher? Wenn er das glaubte, war er schief gewickelt.
»Sag mir, was du willst und dann geh wieder. Ich bade gerade, falls du es nicht bemerkt hast.«, schnaubte Kileea gereizt.
Magnus fuhr sich einmal durch das dunkelbraune Haar, bevor er langsam und gemächlich auf sie zu trat. Direkt hinter ihr kniete er sich auf den Boden und ließ seine Finger über ihren entblößten Hals gleiten. »Du hast mich eben mal wieder voll angemacht, das weißt du hoffentlich.«
Sie schnaubte wie ein Pferd. »Nö, weiß ich nicht und nimm deine Pfoten von meinem Hals.« Sie drückte seine Finger weg und schnappte sich den rauen Schwamm, mit dem sie unter Wasser ihre schmerzenden Füße massierte.
Magnus zog die Hände nicht zurück, wie hatte sie das auch erwarten können? Er war immer sehr... aufdringlich. Stattdessen legte er seine Hände an ihre Schultern und massierte die verspannten Muskeln, was zugegebener Maßen wirklich angenehm war. Leise stöhnte Kileea auf, als sich ihre verkrampften Muskeln lockerten, dann ließ sie den Kopf in den Nacken fallen.
»Du wirkst angespannt, Kleines.«, grinste er.
»Hm...«, war ihre besonders intelligente Antwort. »Ich glaube, ich überlege es mir noch mal mit dem ›nimm die Pfoten weg‹.«
Magnus grinste verschlagen und setzte eine Spur kleiner Küsse auf ihren Hals. »Wollte ich doch meinen... so wie du das letzte Mal gestöhnt hast, als ich deine kleine Perle gerieben habe, kann es so schlimm ja gar nicht gewesen sein, oder?«
Kileea grinste spöttisch zurück. »Wer hängt denn pausenlos an meinem Rockzipfel, seit er in meinen Mund gespritzt hat, hm?«, fragte sie zurück.
Magnus lächelte plötzlich listig und seine Hände wanderten über ihre Schultern, unter ihre Achselhöhlen und umfassten ruckartig ihre kleinen, festen Brüste. Er drückte ihre Brustwarzen zwischen Zeigefinger und Mittelfinger, woraufhin sie leise aufkeuchte. »Sag mir nicht, dass es dir nicht gefallen hat.«
»Dass es mir gefallen hat, bezweifle ich gar nicht.«, raunte sie an seinem Ohr, dann ergriff sie seine Hände und löste sie bestimmend von ihrem Körper. »Aber diese Sache war einmalig. Ich habe jetzt außerdem keine Lust und bin müde. Also geh irgendeinem Bauernmädchen auf die Nerven.«
Magnus schnaubte nur, dann erhob er sich. »Schade, aber ich weiß, wann ich gehen sollte.«
Das rechnete Kileea ihm hoch an. Er wusste wirklich, wass er Leine ziehen musste und aus Spielchen und Neckereien Ernst wurde und sie nicht länger wollte, dass er da war. Und so zog sich Magnus zurück, schloss die Tür von außen und war mit wenigen Schritten verschwunden.
Seufzend sank sie tiefer in das heiße Wasser und genoss noch eine Weile den Wasserdampf, bis ihre Sehnsucht nach warmer Kleidung und einem gemütlichen Abend in ihrem Bett, übermächtig wurde. Tropfend stieg sie aus dem Waschzuber heraus, nahm das Handtuch und rubbelte ihren Körper und ihr Haar trocken. Dann griff sie nach dem Leinenhemd, darüber zog sie die einfache Lederkluft und die Hose, sowie weiche Wollsocken und leichte Lederstiefel. Damit war sie warm und gemütlich angezogen. Sie schnappte sie das Handtuch, ließ das Wasser aus und verließ den Waschraum.
Auf dem Weg über den Hof, wo ein paar junge Schüler an Strohpuppen trainierten, traf sie auf Quinn, der mal wieder einsam und alleine an den Stallungen stand und leise mit seinem Hengst Gotag redete. Das graue, sehnige Pferd gehorchte erschreckend gut seinem Besitzer und Kileea wusste auch, dass Quinn dieses Pferd mit Blut, Schweiß und - vielleicht nicht gerade - Tränen vom Fohlenalter an auf seine Stimme trainiert hatte. Er hatte gelernt, bestimmte Kommandos auszuführen, die im Kampf wichtig waren. Zum Beispiel sich hinzulegen, falls Quinn unerwarteter Weise im Kampf verletzt wurde und zu Boden ging.
Kileea lehnte sich mit dem Handtuch über der Schulter auf einen Holzpfosten neben der Stalltür. »Was tust du hier, Quinn?«
Der junge Mann ignorierte sie, strich seinem Hengst über die Nüstern und das so zart, als wäre dieses Pferd ihm wichtiger, als alles andere auf der Welt.
Kileea kannte Quinn Denero auch ganz anders. Er war brutal, gnadenlos und erschreckend kaltherzig. Zu niemanden war er freundlich, auch nicht zu ihr oder Kaiven und dennoch hielten die beiden zu ihm. Sie erinnerte sich noch daran, als sie mit zwölf Jahren hier ankam und Quinn in ihrem Kurs war. Die beiden hatten sich gehasst... nun ja, jedenfalls hatte er sie gehasst. Es war sogar vorgekommen, dass er sie mit Steinen beworfen hatte. Das war das einzige und letzte Mal gewesen, wo sie vor ihm geweint hatte, da sie nicht verstanden hatte, weshalb er das getan hatte. Niemals hatte sie erfahren, was ihn dazu getrieben hatte, das zu tun.
»Warum bist du nicht bei Ser Raymund? Müsstest du ihm nicht Bericht erstatten?«, fragte Kileea nun.
Quinn hob den Kopf, die kalten, sturmgrauen Augen fest auf ihr Gesicht gerichtet. »Du kennst doch Kaiven. Er prahlt gerne und macht das eh viel besser, als ich.«
»Und doch hast du uns mal wieder aus der Patsche geholfen, Quinn. Dir gebührt mehr Ehre, als uns beiden.«, erwiderte Kileea wahrheitsgemäß.
Er schüttelte den Kopf, streichelte ein letztes Mal Gotags Nüstern, bevor er sich abwandte und über den Platz lief. Aber Kileea ließ sich so leicht nicht abschütteln. Sie folgte ihm in einigem Abstand.
»Warum glaubst du, dass du nichts wert bist, Quinn?« Sie ergriff seinen Arm, aber er zog ihn ruckartig weg, als hätte er sich an ihr verbrannt.
»Du weißt genau, wieso, Kileea.«
Sie kniff die Lippen zusammen. »Nur, weil du ein Halbblut bist, heißt das nicht, dass-«
»Doch!«, knurrte er. »Genau das heißt es. Was glaubst du, weshalb ich damals nach Elvacht kam? Du kennst das sechsundsechzigste Gebot der Hexer.«
Sie senkte den Blick. Sie kannte das Gebot, für sie galt es genauso, wie für die männlichen Hexer. Für jeden hier galt es. »Du darfst keine Frau ehelichen und niemals Kinder zeugen, bis zu deinem Tode bist du an Einsamkeit gebunden.«, flüsterte sie die Worte, die sie bei ihrem Ritual mit Stolz hinaus gebrüllt hatte, um den Göttern zu zeigen, dass sogar eine Frau sich an dieses Gebot halten konnte. Für sie galt deshalb, dass sie niemals einen Mann heiraten durfte und sich nicht schwängern lassen durfte.
»Ich bin ein Hexer geworden, um mein verunreinigtes Blut nicht auch noch an meine Nachkommen weiterzugeben.« Quinn blickte stur an das Wappen der Hexer - ein Drachenschädel vor gekreuzten Schwertern -, welches über dem Eingang auf einem Banner prangte.
»Deshalb legst du dich nur zu Schankdirnen und Huren aus Freudenhäuser.« Sie verstand es endlich.
»Genau. Weil ich weiß, dass diese Frauen auf Verhütung achten, schließlich wollen sie keinen Bastard von ihren Freiern... da kann ich sicher sein, dass...«
»Dass keine dein Kind erwarten wird.«, beendete sie seinen Satz.
Er nickte. »Aber lassen wir dieses Thema jetzt. Das sind Dinge, über die ich nicht mit dir sprechen will.«
Kileea verstand und nickte geschlagen. »Du weißt aber, dass du mit solchen Dingen immer zu mir kommen kannst.«, erklärte sie ihm, um ihm wenigstens das Gefühl zu vermitteln, dass sie da war, wenn er sie brauchte. Hier galt es nur, dass man einander vertrauen konnte, denn das war im Kampf entscheidend. Konnte ich jemandem vertrauen oder zweifelte ich daran, dass er mir den Rücken frei hielt. Das war es, worum es ging. Liebe, Freundschaft und all dieser sentimentale Scheiß hatte hier nichts zu suchen. Auch, wenn Kileea oftmals der Ansicht war, dass sie, Kaiven und Quinn eine Art Freundschaft verband.
»Ich weiß.«, erwiderte er.
Bevor er weitersprechen konnte, erklang Tumult am Tor und die beiden blickten auf. Magnus und Viktor öffneten die Tore und herein kam eine prächtige Kutsche aus schwarzem Holz. Davor gespannt waren große, kräftige Kaltblüter, die an ihrem Geschirr das Wappen des Nordens trugen. Das Wappen des Hause Ulfrik.
»Ist das...?«, fragte Kileea erstaunt.
Quinn nickte verdrossen. »Der König des Nordens.«
Sie schaute zu ihm hoch. »Ich dachte, der alte König Ulfrik würde in Winterfeste sitzen und dort versauern.«
Der Hexer zuckte die Schultern. »Angeblich ist der König mit Ser Raymund befreundet, Ser Raymunds Bruder - Ser Mortos - soll einst am Königshof als Ritter gedient haben. Damals war noch Ulfriks Sohn, ich glaube, er hieß William, auf dem Thron.«
Kileea runzelte die Stirn. »Komisch. Ich dachte, er würde auf seinen alten Tagen in Winterfeste sitzen.«
»Ich habe gehört, dass der alte Sack geheiratet haben soll.«
Kileea drehte sich zu der Stimme um und entdeckte Kaiven, der hinter ihnen aus dem Eingang geschlendert kam.
»Tatsächlich?«, fragte sie.
Kaiven nickte mit ernster Miene. »Irgendeine junge Highländerin, die er vor der Ausrottung bewahrt hat. Sie soll erst siebzehn sein.«
Unvermittelt schüttelte sich Kileea. »Wuähh! Wenn ich mir vorstelle, meine Hochzeitsnacht mit irgendeinem alten, verschrumpelten Sack verbringen zu müssen, wird mir ganz schlecht.«
»Dann sei froh, dass du Jungfrau bist.«, erwiderte Quinn ausdruckslos und beobachtete, wie die Kutsche zum Stehen kam.
Diener huschten heran, um die Kutschentüren zu öffnen. Hinter der Kutsche kam ein Karren mit Gepäck und Proviant zum Stehen, dort kamen ebenfalls Diener, um alles abzuladen. Schließlich wurde die Kutschentür auf der Seite geöffnet, die leider nicht im Blickfeld der drei Hexer war, aber man sah einen dicklichen Mann mit grauem, verfilztem Haar, der in prunkvollen Roben gekleidet war, welcher hervor kam und harsche Befehle bellte.
Und dann wurde die Kutschentür auf der Seite der Drei geöffnet. Zuerst konnte man wegen dem Schatten nicht genau sehen, wer dort ausstieg, aber dann kam ein schöner, sinnlich gebauter Frauenkörper zum Vorschein. Die junge Frau wirkte unschuldig, wie sie da in ihrem fliederfarbenen Kleid aus der Kutsche stieg, das mit Blumenmustern und Rüschen geschmückt war. Ihr Hals war schlank und sah weich aus, darum lag eine dünne Silberkette mit einem leuchtend blauen Anhänger. Das Haar war offen, kastanienbraun und schimmerte rötlich in der Nachmittagssonne. Ihre Augen waren dunkelgrün, das konnte Kileea sogar aus dieser Entfernung erkennen, ihre Lippen leicht rötlich. Insgesamt hatte sie ein sehr weiches, unschuldiges Gesicht, in dem sich ein leidender Gesichtsausdruck eingenistet hatte.
Jetzt erkannte die junge Hexerin sogar, dass ihre Augen stumpf und traurig wirkten.
Das fremde Mädchen hob den Kopf und ihre Blicke trafen sich unvermittelt. Es durchzuckte Kileea wie ein Blitz, warm und prickelnd und ein Gefühl wie hunderte flatternde Schmetterlingsflügel breitete sich in ihrer Magengegend aus. Auch das Mädchen weitete kurz die Augen, bevor ihr Ehemann, der alte Ulfrik, einen speckigen Arm um ihre schlanke Taille legte und sie mit sich zog.
Kurz noch lag der Blick dieser fremden Schönheit auf Kileeas Gesicht, bevor sie den Kopf drehen musste, da ihr Ehemann irgendwas zu ihr sagte, was sie im Moment nicht hören konnte. Dafür gingen viel zu viele Empfindungen durch Kileeas Kopf und Körper. Dieses Gefühl hatte sie noch nie gespürt, wenn sie jemanden angesehen hatte. Noch immer spürte sie dieses Prickeln und den warmen Schauer. Es war ein Gefühl, als hätte sie eine gute, heiße Suppe gegessen. Irgendwie heimisch.
Sie fragte sich noch, was das zu bedeuten hatte, als sie blinzelnd wieder zu Sinnen kam. Das war merkwürdig gewesen.
Grübelnd folgte Kileea Quinn und Kaiven durch die Akademie, nachdem Blaufuß zu ihnen gekommen war und ihnen sagte, dass der Akademieleiter Ser Raymund Shore sie zu sehen wünschte.
Blaufuß war ein gebrechlicher, gebückter Mann mit weißem Haar und graugrünen Augen. Schon immer trug er eine graublaue Robe. Weshalb dieser Mann jedoch Blaufuß hieß, war ihnen allen schon immer ein Rätsel gewesen.
Teil II
DIE VERBOTENE KRIEGERIN
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Die Ankunft im Hochland fiel eher kühl und distanziert aus, was verständlich war, da die highländischen Clans nie zusammen kamen. Aber der besondere Umstand, dass die Menschen vom Land des ewigen Eises nach Süden kamen, erzwang eine solche Situation leider. Und das ausgerechnet im Herzen des McCain-Clans, mit dem sich der O'Brian-Clan am wenigsten verstand. Die McCains waren eingebildet, besserwisserisch und perfektionistisch.
Teil III
DIE TROSTFRAU
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Meine Finger waren klamm, als sie sich so an das Geländer im oberen Stock des Anwesens klammerten. Direkt neben mir befanden sich andere Mädchen, einige in meinem Alter, andere sehr viel älter und reifer als ich und doch taten wir alle dasselbe und gingen dem gleichen Beruf nach. Wir waren Huren. Allesamt waren wir bereits vom Leben bezeichnet, selbst, wenn wir noch nicht lange gelebt hatten und jeder hier hatte seine ganz eigene Vergangenheit zu tragen, jeder seine eigene Geschichte, wie er hierher gekommen war.
Wir befanden uns in diesem Augenblick in Ljing, oder besser ausgedrückt, ein Stück außerhalb der mächtigen Stadt, die von tausenden Jadeinselbewohnern besiedelt war, in einem Freudenhaus am äußeren Rand der Stadtmauern. Draußen war es bereits Nacht, was bedeutete, dass ich bald arbeiten würde müssen. Aber noch starrten wir hinunter in den Eingangsbereich und sahen Madam Ling dabei zu, wie sie einen jungen Mann, der hier ebenfalls als Lustsklave arbeitete, zurecht wies, weil er einen Kunden nicht zufrieden gemacht hatte.
Ich kannte den Kunden leider sehr gut, da er mein erster Freier gewesen war, der mich brutal entjungfert hatte. Und der Mann dort unten, der von Ling zusammengestaucht wurde, war neu und jung und genauso wenig freiwillig hier, wie der Großteil der Prostituierten.
Ich zuckte zusammen, als es laut klatschte, denn die Frau, die immer wie ein Mannsweib wirkte, hatte Dai, so hieß der Lustsklave, eine deftige Ohrfeige gegeben. Wie ein geprügelter Hund lief er die Treppe hinauf, warf uns einen Blick zu und verschwand dann in seinem Zimmer, in dem er heute Nacht noch würde arbeiten müssen. Leises Getuschel ging durch die Runde von Frauen, ehe Ling herum fuhr und zu uns hinauf schrie, dass wir uns gefälligst für später fertig machen sollten.
»Verschwindet!«, knurrte sie noch.
Ich gehorchte ihr, da ich wusste, dass es sicher kein Segen war, Madam Ling zu verärgern. Sie wusste uns zu bestrafen, wenn wir nicht spurten, das hatte ich an meinem ersten Tag vor zwei Jahren schmerzlich erfahren müssen. Und so huschte ich wie die anderen in mein Zimmer und schloss die Tür, setzte mich an meinen Spiegel und starrte in das bleiche Gesicht.
Während ich mich so ansah, dachte ich an früher. An mein altes Leben auf den Jadeinseln, umgeben von smaragdgrünem Gewässer, Tempeln zum Beten und dem Bauernhaus, in dem ich gelebt hatte. An meine Familie, der ich Schande bereitet hatte, nur, weil ich nicht gewollt hatte, dass meine Lieblingsziege Toto verkauft wurde. Damals hatte ich geschrien vor aller Augen und hatte meinen Vater, der ein strenger Mann gewesen war, damit entehrt. Denn bei meinem Volk war es üblich, dass Frauen sich unterwürfig und ordentlich benahmen, selbst, wenn sie Kinder waren. Ich hatte diese Tradition gebrochen, hatte vergessen, dass man als Frau in der Gegenwart eines Mannes seine Zunge zu hüten hatte. Nachdem ich diese Schande auf mich genommen hatte, hatte Vater gesagt, dass er mich aufs Festland bringen würde, da ich nicht länger zur Familie gehörte, als wäre ich nie geboren worden. Ich hatte ein letztes Mal am nächsten Morgen im Tempel des Drachen beten dürfen, mich von meiner Mutter und meinen Geschwistern verabschieden und dann widerstandslos mit ihm gehen müssen. Vater hatte mich in dieses Freudenhaus gebracht und einen Vertrag mit Madam Ling abgeschlossen, in dem er auch noch Gold für mich bekam. Und dann war er fort gegangen, hatte mich hier gelassen, in dem Wissen, was die Männer hier mit mir machen würden. Es hatte ihn nicht interessiert. Und so war ich mit zwölf Jahren zu einer Hure geworden. Wegen einer Ziege. Damals hatte ich geglaubt, dass ich etwas ganz schlimmes getan hatte, um all das zu verdienen, heute wusste ich nicht einmal, was ich falsch gemacht hatte. Es war beinahe lächerlich, dass eine Ziege für all das der Grund war. Aber so hatte ich wenigstens schnell begriffen, wie hart und grausam die Welt wirklich war und, dass die Jadeinseln mit ihren grünen Gewässern und wundervoll saftigen Bambuswäldern mehr Schein, als Sein gewesen waren.
Ich atmete einmal tief durch und berührte mein blasses Gesicht mit meinen dünnen Händen. Es war leicht Oval, aber nicht hässlich, wie ein Ei. Nein. Das war es nämlich, weswegen mein Vater Miku damals viel Geld für mich bekommen hatte. Weil ich schön war. In diesem Beruf war Schönheit jedoch eher eine Strafe, als ein Segen.
Mein schwarzes, glattes Haar reichte mir bis zu den Schultern und glänzte im Licht oft bläulich. Ich hatte schmale Augen, die leicht geschlitzt waren, wie bei allen Menschen, die einst die Jadeinseln bewohnt hatten, doch, was mir zu Gute kam - oder auch nicht - war, dass ich durch meine hellblauen Augen schon immer etwas Besonderes gewesen war. Und genau das war es, womit Madam Ling sehr viel Geld verdiente und mich mit besonders vielen Kunden ins Zimmer schickte.
Bei der Erinnerung und dem Gedanken an all die Berührungen, die ich bereits in den zwei Jahren hatte ertragen müssen, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken, die mich erzittern ließ.
Ich erinnerte mich an die Worte, die Madam Ling immer wieder benutzte, wenn sie mich im Eingangsbereich anprieß: »Das ist unsere Azarni. Mit ihren blauen Augen ist sie eine besondere Blume in unserer Sammlung und durch ihren besonders schmalen Körperbau leicht zu unterwerfen. Und sie tut alles, was man ihr sagt, sie ist sehr gehorsam!«
Leise seufzte ich und blickte an mir herunter. Es war... oftmals einfach grausam, wie viele Männer eine Vorliebe für junge Mädchen hegten, wie ich eines war. Ich war gerade einmal vierzehn und mein ältester Freier, den ich je gehabt hatte, war über sechzig gewesen. Mit seinen schrumpeligen, faltigen Händen hatte er mich überall berührt, mich gezwungen mich auf den Boden zu knien und seinen...
Angeekelt von mir selbst, wandte ich den Blick ab und stand auf, ging zu einem kleinen Schränkchen und holte ein dünnes elfenbeinfarbenes Kleid heraus und legte es auf das Bett. Hier im Bordell gab es richtige Betten, nicht die Matten, die sonst auf dem Boden lagen. Schließlich sollte es für die Freier so bequem wie möglich sein. Aber sie durften schließlich bestimmen, wo sie die Mädchen haben wollten. Nicht alle bevorzugten es, sich brav ins Bett zu legen. Manchmal wollten sie einen auch auf dem Boden oder an der Wand oder einfach stehend mitten im Raum.
Ich warf die Gedanken beiseite, zog mir mein jetziges Hemdchen über den Kopf und schlüpfte in das neue Kleid, das mir gerade einmal zur Hälfte des Oberschenkels reichte. Dann schlüpfte ich in flache Schuhe und setzte mich zurück an den Schminkspiegel. Dort bürstete ich mein Haar, bis es glänzte und noch eine Weile weiter, in der ich mir innerlich einredete, dass es nicht schlimm war, bei einem Mann zu liegen. Und, dass ich mein Leben lang nichts anderes mehr tun würde, bis ich irgendwann mit fünfunddreißig Jahren, eine kleine Summe ausgezahlt bekam und dann das Weite suchen musste, da ich dann nicht mehr hübsch genug für die Männer war, die nur junges Fleisch unter sich liegen haben wollten.
Plötzlich öffnete sich die Tür. »Azarni, komm, sonst wird Madam Ling wieder wütend. Es sind bereits Männer im Schankraum.«
Das war Kazumi, sie war siebzehn und sah aus, wie beinahe jede Jadeinselbewohnerin. Schwarzes, seidiges Haar, blasse Haut und ein hübscher, schlanker Körper.
Ich nickte und stand auf, dann kam ich zu ihr und schloss die Tür, um ihr in den Raum zu folgen, wo manche Männer nur ihr Bier tranken, oder eben auf ein hübsches Mädchen warteten, um sich die Nacht zu versüßen. Zusammen, Seite an Seite, gingen wir den oberen Gang entlang zur Treppe, wo sich die Mädchen bereits gesammelt hatten. Allesamt waren wir schwarzhaarige Schönheiten, eine hübscher als die andere, in knappen Hemdchen gekleidet, wobei manche mit kleinen Sakura-Blüten bestickt waren.
Kazumi blieb direkt neben Haru, der jüngsten Hure des Freudenhauses stehen. Die kleine war zehn Jahre alt und war von ihrem Onkel vor einem Jahr hierher verkauft worden, nachdem ihre Familie auf den Jadeinseln gestorben war. Es passierte oft, dass, wenn eine Familie starb oder kein Geld hatte, die Töchter ans Festland an die Freudenhäuser verkauft wurden. Es war beinahe normal und nicht besonders verwunderlich.
Ich blickte mich um und betrachtete die hinterste Tür, aus der Dais Kopf lugte und uns beobachtete. Er war mit drei anderen Jungen die Einzigen, die um diese Zeit in ihren Zimmern bleiben mussten, bis sich ein Mann bei Madam Ling meldete. Dann ging dieser Mann in das Zimmer des jeweiligen Lustsklaven, um dort seine Befriedigung zu bekommen. Wir Mädchen hingegen mussten uns unter die Männer mischen und welche anwerben, damit wir Geld verdienten.
Schließlich tauchte Madam Ling auf und scheuchte uns die Treppe hinunter. »Los, ab mit euch! Und wehe, ihr gebt euch keine Mühe! Wenn nicht, dann könnt ihr heute lange auf das Abendessen warten.«
Ihre harschen Worte wussten wir zu würdigen, denn sie war eine knallharte und gnadenlose Frau. Ich selbst wusste nicht, weshalb sie so verbittert war und so gleichgültig über unsere Tätigkeit redete - jedes Mädchen hatte sie selbst in diesen Dingen unterrichtet, jedenfalls theoretisch -, aber es musste vieles in ihrer Vergangenheit geschehen sein, dass sie solch eine harte Frau war.
Sie machte harsche Gesten mit ihren Armen, dass ihr indigofarbener Kimono nur so flatterte und ihre hölzernen Getas klackerten über den hölzernen Boden.
Wir liefen in einer großen Gruppe durch den Eingangsraum, der in dunklen Rottönen gehalten und mit aufwändigen Vasen bestückt war, in denen sich exotischer Bambus und kleine heranwachsene Ginko-Bäume befanden, in den Schankraum. Dort roch es nach den traditionellen Zigarren der Jadeinseln, ein leicht holziger Rauchgeruch, der von einer bestimmten Bambusfaser kam, die in die Zigarren hinein gearbeitet wurde. Außerdem roch es nach süßem Wein und Bier, nach Schweiß und Gewürzen.
Dieser Raum war mir sehr bekannt, hatte ich doch zwei Jahre meines Lebens, beinahe jeden Tag, hier Männer verführt, um sie in mein Zimmer zu bringen und dort mit ihnen den Geschlechtsakt zu vollziehen. An der Decke hing ein aufwändig geschmiedeter Kronenleuchter, dessen Kerzenhalter allesamt wie kleine Drachenköpfe aussahen, die Feuer spiehen. Verbunden waren die Drachen durch ihre Körper, die am Rücken zusammen klebten und ihre wallenden Schweife hübsch gebogen nach unten zum Boden hin zeigten. Auf dem Metall ihrer Körper befanden sich Schriftzeichen meiner Sprache, die ich jedoch schon jahrelang nicht mehr gesprochen hatte. Hier in den Freudenhäusern hatte man die gemeine Zunge zu sprechen, denn nicht selten kamen hier Reisende an, die nach einer Fremdländerin verlangten.
Im hinteren Teil des Raumes befand sich die Schanktheke, wo die Männer bereits jetzt kräftig bestellten, während sie auf uns warteten. Gröhlen erfüllte die Luft, war laut und kaum zu überhören. Mir dröhnten jetzt schon die Ohren.
Das Zischen von Madam Ling gab uns das Zeichen, auszuschwärmen und uns ans Werk zu machen.
Wie eine unbewegliche Puppe lag ich auf dem Bauch und streckte mein Gesäß dem Mann entgegen, der mich sofort am Handgelenk gegriffen hatte und verlangt hatte, dass ich ihn in mein Zimmer führte. Mit harschen Worten meiner Sprache hatte er mir befohlen, mich auszuziehen und auf das Bett zu legen, auf den Bauch.
Schon lange hatte ich gelernt, dabei nicht mehr zu weinen wie ein kleines Kind, sondern es zu akzeptieren, dass ich dabei nie Spaß hatte und es mir wehtat, wenn ein Mann in mich eindrang. Schon lange hatte ich gelernt, still zu sein und ihm das Vergnügen zu bringen, das er wollte. Und ich hatte gelernt, es nicht mehr allzu nahe an mich heran zu lassen.
Damals hatte Madam Ling mich eingewiesen. Obwohl sie eine strenge Frau war und uns züchtigte, wenn wir nicht spurten, war sie damals beinahe sanft gewesen, als sie mir erklärt hatte, was meine Aufgabe von nun an sein würde. Was geschah, wenn ein Mann und eine Frau auf die Weise zusammen waren, die hier im Freudenhaus entscheident war. Und, was ein Mann von nun an immer von mir wollen würde. Außerdem hatte sie mir erklärt, was ich tun musste, um hier nicht unter zu gehen. Gefühle waren absolut fehl am Platz, ich musste es akzeptieren, was ich war und, was ich hier tun musste. Ich hatte es akzeptiert. Schon vor Monaten. Zudem sprach kein Mädchen über ihre Freier, denn ansonsten hatte man hier nicht über Sex zu sprechen. Niemals. Weil jeder wusste, was jede hier beinahe jeden Abend durchmachte.
Jede verkaufte ihren Körper, um zu überleben.
Ein Leben war es schon lange nicht mehr, aber auch das hatte ich akzeptiert. Manche Männer sagten mir sogar, dass ich erstaunlich reif für mein junges Alter war. Darauf erwiderte ich meistens nichts, da ich das bereits zu oft gehört hatte.
Stöhnend erhob sich der Mann, wirbelte mich auf den Rücken und zog mich in eine sitzende Position. Hart öffnete er meinen Mund, damit ich sein erregiertes Glied zwischen die Lippen nahm. Routiniert saugte ich an seinem Schaft, bis er zuckend und heiß in meinem Mund kam. Dabei presste er meinen Kopf so fest auf sein Glied, dass ich beinahe würgen musste, es jedoch schaffte, mich nicht zu erbrechen.
Er ließ ab von mir und grinste mich dreckig an, als er seine Kleidung nahm und sich anzog.
Ruhig saß ich auf dem Bett und wischte mir eine Spur seines Samens von dem Mundwinkel, starrte mit leerem Blick auf den Boden, bis ich Geraschel hörte. Als ich aufsah, flog ein Säckchen klimpernd in meinen Schoß. Ich fing es auf und betastete den Stoff des Beutels.
»Dein Lohn«, sagte er knapp und blieb vor mir stehen.
Ich blickte zu ihm hoch.
Nachdenklich legte er den Kopf schief, griff grob nach meinem Kinn und drehte mein Gesicht. »Es hat sich tatsächlich gelohnt, deine Fotze zu ficken. Findest du nicht?«
Ich nickte brav, da ich solche Sprüche bereits gewöhnt war und mir nicht mehr allzu viel daraus machte. Er wirkte zufrieden bei meiner Antwort und nickte, dann wandte er sich ab und ging hinüber zur Tür, wobei ich nur unbeweglich sitzen blieb und mich an den Beutel voller Gold klammerte.
Eines Tages würde ich fliehen. Das hatte ich mir damals nach meiner ersten Erfahrung als Hure geschworen. Ich würde eines Tages einen Weg finden und von hier fort gehen, mein Geld nehmen und gehen. Und ein Leben als normale Frau beginnen. Und, wenn ich einer Millionen Männer meinen Schoß darbieten musste. Ich würde irgendwann frei sein.
Eine Weile blieb ich sitzen, als der Mann schon längst weg war, dessen Name ich nicht einmal kannte. Dann fasste ich mir ein Herz und stand auf, nahm das Hemdchen vom Boden und zog es wieder über, verstaute den Beutel voller Gold in einer Kommode und verließ mein Zimmer. Meine Schicht war schließlich noch nicht zuende. Man durfte sich erst zurückziehen, wenn man mindestens zwei Freier gehabt hatte, was auf gut einhundert Mädchen in diesem Etablissement rund zweihundert Freier an einem Abend machte und somit mehr als genug Gold. Manche Mädchen gingen sogar ein drittes Mal in den Schankraum, um mehr Gold abzuräumen. Das bedeutete nämlich, dass sie bei der Auszahlung in einigen Jahren mehr bekamen, als die, welche weniger Männer in ihrer Zeit als Hure beglückt hatten. So war das halt.
Hinter mir traten ebenfalls einige Mädchen aus ihren Zimmern, während ihre befriedigten Freier an mir vorbei die Treppe hinunter rauschten. Ich benutzte ebenfalls die Treppe, hielt mich an dem aufwändig geschmückten Geländer fest, während ich einen wackeligen Fuß vor den anderen setzte und schließlich wieder im Schankraum stand. Suchend blickte ich mich um und entdeckte Kazumi, die sichtlich lediert ihren zweiten Freier, einen Mann mitte vierzig, an der Hand nahm und zum Ausgang führte.
Ich schloss einmal kurz die Augen, atmete tief durch und machte mich ans Werk. Mit den Hüften in einem sinnlichen Takt wippend ging ich durch die Reihen, streiften stoppelige Wangen mit den Fingern, verschwitzte Nacken oder haarige Hände. Innerlich krampfte sich mir jedes Mal die Brust zusammen, aber ich ignorierte das und setzte mich auf einen Schoß nach dem anderen, aber jeder stieß mich beiseite und schimpfte irgendwelche abwertenden Wörter in meine Richtung.
Gerade wurde ich vom Schoß eines angesehenen Kunden geworfen, den ich ebenfalls schon einmal über mir hatte und stand dann ratlos am Rand des Schankraumes. Keiner wollte mich? Das war selten.
Ich runzelte die Stirn und wollte mich gerade noch einmal auf den verzweifelten Versuch machen, einen Freier zu finden, als mein Handgelenk grob gepackt wurde. Erschrocken fuhr ich herum und starrte in das Schwarz eines unter einer dunklen Kapuze verborgenen Gesichts. Der Mann, dessen lederne Kleidung und auffälliger breiter Körperbau darauf schließen ließ, dass er aus dem Norden oder Westen stammte, saß an einem kleinen Seitentisch, sodass man ihn kaum registrieren würde. Auf dem Tisch befand sich lediglich ein halb leer gegessenes Speisebrett und ein Krug mit Met.
»Warum versuchst du dein Glück nicht bei mir?«
Ich schluckte hörbar und blickte mich um. »I-ich... habe Euch nicht bemerkt.«
Er ließ mein Handgelenk los. »Offensichtlich.«, sagte er trocken und erhob sich.
Da er beinahe zwei Köpfe größer war, als ich, musste ich den Kopf tief in den Nacken legen, um mein Gesicht weiter in seines zu richten. Sein breiter Körper musste sicher doppelt so schwer sein, wie meiner bei den ganzen Muskeln an seinen Armen und dem Oberkörper...
»Willst du mich nicht auf dein Zimmer führen?«, fragte er kühl.
Ich zuckte zusammen, dann nickte ich nur verwirrt und ging in Richtung Eingangshalle. Als ich an der Treppe war, drehte ich mich kurz um, um mich zu vergewissern, dass er mir auch folgte. Das tat er, sodass ich bis hinauf in mein Zimmer ging und ihn höflich herein bat und die Tür hinter ihm abschloss, wie ich es immer tat, wenn ein Freier hier war.
Neugierig sah er sich um, dann zog er sich die Kapuze vom Kopf und entblößte einen sehr kurz geschorenen dunkelbraunen Haarschopf. An den Seiten war sogar ein Muster in das Haar rasiert worden, das wie geschwungene Schriftzeichen aussah. Im Kerzenschein wirkte sein Haar beinahe schwarz.
Schließlich drehte er sich zu mir um.
Sein Gesicht wirkte hart wie Stein. Ich schätzte ihn um die zwanzig und doch befanden sich bereits Narben in seinem Gesicht. Eine verlief quer über das Auge, wobei das Auge selbst unverletzt geblieben war und nur seine Augenbraue getrennt wurde durch die Narbe. Die Züge an sich wirkten markant und sehr maskulin, außerdem hatte er grüngrauen Augen, die meinen Blick an sich fesselten.
Irgendwie schaffte ich es, ihn loszureißen und bemerkte das Zeichen auf seinen ledernen Handschuhen. Der Drachenkopf auf gekreuzten Schwertern. Er war ein Hexer.
Benommen hob ich den Blick. »Ihr seid ein Hexer...«, krächzte ich beinahe ängstlich. So vieles hatte ich schon über mich ergehen lassen, aber ein Hexer war bisher noch nie darunter gewesen. Ich war etwas überfordert.
»Scharf kombiniert.«, bemerkte er distanziert und zog sich die ledernen Handschuhe aus. »Wieso? Angst mit einem Mutant in die Kiste zu springen?«
Rasch schüttelte ich den Kopf. »Ich habe keine Angst.«, sagte ich mutiger, als ich mich fühlte. Aber es stimmte, ich hatte keine Angst, weil ich sie nicht haben durfte. Schon vor langer Zeit hatte ich genau das von Madam Ling gelernt. Niemals Angst zu haben. Das würde mir hier nichts bringen.
Der Hexer schnaubte gehässig und deutete auf den Waschzuber hinter mir. »Wasch dich. Ich will nicht den Dreck irgendeines Bauern auf mir wiederfinden.«
Hart schluckte ich, nickte dann aber. Er hatte ja Recht. Schließlich war es den meisten egal, ob wir vorher schon einen in uns gehabt hatten. Ihm schien es jedoch wichtig, dass ich gewaschen war, sodass ich auf den vollen Waschzuber zuging und davor stehen blieb. Ich ließ mein Hemdchen zu Boden fallen und stieg in das lauwarme Wasser. Das hatte ich mir zubereitet, um nach meinem zweiten Freier für den Abend ein Bad nehmen zu können, etwas zu essen und dann wie gewohnt zu Bett zu gehen, nachdem ich es neu bezogen hatte. Nun musste ich mich waschen, damit ein Freier überhaupt mit mir schlief.
»Im Stehen.«, kam es vom Bett aus.
Verdutzt drehte ich mich um, als er gerade seine lederne Rüstung vom Oberkörper löste. »W-was?«
Er hob den Kopf und taxierte mich mit einem undurchdringlichen Blick. »Du sollst dich im Stehen waschen, habe ich gesagt.«
Zwar verstand ich nicht so recht, weshalb, nickte dann aber gehorsam und nahm mir den Lappen und ein Stück süßlich duftender Seife und rieb mich damit ein, spühlte alles wieder mit einem kleinen Blechkrug herunter, sodass ich bald schon sauber war.
Ich wollte bereits aus dem Zuber steigen, um mich abzutrocknen, als er mich mit einem klaren und deutlichen »Nein« daran hinderte. Wieder war ich verwirrt. Es war neu für mich, dass ein Mann mich unbedingt gewaschen unter sich liegen haben wollte und, dass er nicht sofort seinen Schwanz in mich schob, sondern beinahe ganze zehn Minuten noch nichts sexuelles getan hatte, außer mir Befehle zu erteilen.
»Fass deine Brust an.«, wies er mich an und stülpte sich gemächlich die Stiefel von den Füßen.
Überfordert blickte ich an mir herunter und blinzelte. Was sollte ich? Meine Brust anfassen? Wie war das denn bitte gemeint?
»Ähm... I-ich verstehe nicht ganz...«, stammelte ich.
Der Hexer richtete sich auf und runzelte die Stirn, hob eine Augenbraue und stand auf. »Oder fass dich dort unten an, mir egal, Hauptsache du bist bald feucht.«, erklärte er, als hätte er mir gerade etwas total logisches gesagt.
Nun war ich wirklich restlos überfordert. Warum um alles in der Welt sollte ich denn feucht sein?
Er blieb vor mir stehen und legte fragend den Kopf schief. »Weißt du überhaupt, wovon ich gerade spreche?«
Schüchtern schüttelte ich den Kopf. »Nein, Herr«, murmelte ich beschämt.
»Du hast keine Ahnung, dass du feucht werden kannst?«, fragte er, als würde er an meinem Verstand zweifeln.
Ich schüttelte nur leicht den Kopf. »Wie soll das funktionieren?«
Der Hexer blickte mich eine Weile lang stumm an, dann wanderte sein Blick an meinem Körper hinab, was mir eine Gänsehaut bescherte. Es war ein seltsames, neues Gefühl, das ich verspürte. Sein intensiver Blick machte seltsame Dinge mit mir, die ich noch nie bei einem Mann zuvor gespürt hatte, der mich für eine Nacht lang besitzen wollte.
Plötzlich hob er die Hand und ließ ganz zart seinen Daumen über meine Brustwarze streichen, sodass diese unter der Berührung erblühte. Ich erschauderte und biss mir auf die Unterlippe. Was tat er da?
»So? Hat dich bisher kein Mann angefasst, bevor er seinen Schwanz in dich reingesteckt hat?« Er betrachtete mich mit einem aufmerksamen Blick.
Ich schüttelte den Kopf nur, starrte seine Hand an, die an meiner Taille lag. »Sie haben mich immer nur... runter gedrückt und... mich genommen.«, murmelte ich.
»Bauerntrampel halt.«, erwiderte er abwertend und schnaubte kurz.
Zwar verstand ich seinen Unmut nicht wirklich, hielt mich jedoch zurück. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Sex mit diesem Freier anders sein würde, als alles, was ich bisher gekannt hatte, sodass ich mich mental auf neue Gefühle einstellte und ihn anblickte. Schließlich biss ich mir auf die Unterlippe und ergriff den Saum seines Leinenhemdes, um es ihm auszuziehen.
Der Hexer packte selbst den Saum des Leinenhemdes, nachdem er die Lederrüstung ausgezogen hatte, und zog es sich über den Kopf. Zum Vorschein kam eine breite, männliche Brust mit feinem Haarflaum versehen und einigen Narben, die von vielen Kämpfen zeugten. Wie hypnotisiert starrte ich eine Narbe an, die sich klischeehaft über seinen halben Brustkorb zog und dabei eine tiefe Furche in sein Fleisch gezeichnet hatte. Ich fragte mich, was ihm diese Narbe eingebracht hatte.
Wie von selbst berührte ich seine Brust, war mir dabei sehr wohl bewusst, dass ich nackt vor ihm stand. Aber, wen interessiert das schon? Meine Finger fuhren die wulstige Narbe an seiner Brust nach, bis zu seinem Bauchnabel, wo ich ihn leise keuchen hörte. Routiniert öffnete ich seine Hose und zog sie herunter.
Für mich war es schon lange nicht mehr unangenehm, einen Mann nackt zu sehen oder in meiner Nähe zu haben. Schließlich hatte ich schon eine Weile Erfahrung damit, wie es war, so nahe bei einem nackten Mann zu sein. Ich wusste, was kommen würde, also, warum sollte ich Angst davor haben?
»Sieh mich an«, befahl mir der Hexer.
Ich tat, was er verlangte und blickte ihm in die Augen.
Sein Gesicht war streng und hart und beinahe brutal ernst, sodass ich nicht wirklich erwarten konnte, sanft von ihm behandelt zu werden. Und so fand ich mich bereits jetzt damit ab, wieder Schmerzen zu ertragen und mich schmutzig und elend zu fühlen. Doch genau dieses Gefühl empfand ich nicht, als er die Hand an meine Taille legte und mich dicht an sich zog.
»Wie ist dein Name?«, fragte er mich.
Verwirrt blinzelte ich und starrte ihm für einen Augenblick verwirrt auf die männliche Brust, dann blickte ich wieder ihn an. »Ähm... Azarni. Aber warum fragt Ihr mich das?«
Plötzlich zog er mich so nahe an sich, dass ich mit dem gesamten Körper an ihn gepresst war. Seine breite Brust war an meine Brüste gepresst und ich musste unwillkürlich die Hände an seine Seiten legen und biss mir auf die Unterlippe, da es sich seltsam anders anfühlte, als sonst.
Teil IV
DAS LEBEN DES KÖNIGS
☀
Schon eine Weile beobachtete er dieses kleine, schüchterne Ding, das an dem festlichen Tisch saß, zwischen seinen Eltern, ihren Eltern und anderen feiernden Gästen. Das Mädchen, von zarten sechzehn Jahren, hatte die klaresten, blauen Augen, die er jemals gesehen hatte und das kastanienbraune Haar schimmerte im Feuerschein des mächtigen Kamins in einem Rostrot, das ihn verzauberte. Ihre schlanke Gestalt steckte in eines der aufwändigsten Hochzeitskleidern, die jemals in Isinior geschneidert worden waren. Es besaß einen würdevollen Herzausschnitt, der ihren hübschen Busen betonte, lang eng an der Taille an und bauschte sich ihre Hüften abwärts bis zu den Fußknöcheln. Ihre Schleppe war ein neuer Schnitt in Isinior, sodass es beinahe aussah, wie ein weißer Wasserfall, der an ihrer Hinterseite herab floss. Und, obwohl es pompös und aufwändig geschneidert war, war es schlicht und unterstrich ihre zarte Erscheinung nur.
Beinahe hätte John gesabbert, konnte sich jedoch rechtzeitig fangen und starrte in seinen Weinkelch, der bereits wieder leer war. Obwohl sein bester und engster Freund Roland sagte, auf seiner eigenen Hochzeit müsse man sich betrinken, wollte er nicht über die Stränge schlagen.
Oft genug gab es im Königshaus Hochzeiten, besonders bei seinen Verwandten, die in Edayn lebten. Sein Onkel, Prinz Obrin und seine Frau hatten so viele Kinder, dass beinahe jedes Jahr eines heiratete. Erst vorletzten Monat hatte seine Cousine Rosmerta geheiratet, einen Mann, der ganze zwanzig Jahre älter war, als sie selbst. Und er hatte erlebt, wie sich ein betrunkener Bräutigam in der Hochzeitsnacht aufführte. Er hatte gewiss nicht vor, selbst so ein schändliches Verhalten an den Tag zu legen.
Gröhlend klopfte Roland ihm auf die Schulter und holte ihn wieder ins Hier und Jetzt. Blinzelnd blickte er sich nach dem Tisch um und seufzte, aus einem, ihm unerfindlichen, Grund. Was hatte er erwartet? Dass seine Ver... Ehefrau auf einmal weg war? Das hatte er nicht erwartet und so war es auch nicht. Sie saß noch immer, unschuldig wie ein Lamm, an dem großen Tisch und hörte sich eine alte Geschichte seines Vaters an.
Er musste zugeben, obwohl er wusste, dass sie bereits verlobt waren, als er gerade vierzehn geworden war, dass sie wunderschön war. Schon viele Frauen hatte Prinz John in seinem Leben gesehen, denn am Königshofe war das kaum zu vermeiden - Dienerinnen, Sklaven, Mägde, Adlige, Ladys, Fürstinnen, Prinzessinen - und noch kein Mädchen hatte ihn so sehr in seinen Bann gezogen, wie Elaine Marie Dúbroch. Das Mädchen, mit dem er bereits seit vier Jahren verlobt war und, das er verflucht hatte. Nie hatte er heiraten wollen, hatte eine Zeit lang sogar daran gedacht, auf den Thron zu verzichten, wenn er sie dafür nicht heiraten müsste. Für ihn war es eine Qual gewesen, daran zu denken, eine Fremde zu heiraten. Das hatte für ihn immer bedeutet, ein Gefangener zu sein, gebunden an eine Frau, die er gar nicht kannte. Deshalb hatte er seinen engsten Freund Roland auch so sehr beneidet. Er war immer derjenige gewesen, der sich mit den Ladys amüsiert hatte, der, der grinsend wie ein Honigkuchenpferd ins Schloss zurückgekehrt war, nachdem er ausritt und ihm berichtete, dass er mal wieder ein Techtemechtel mit einem Bauernmädchen gehabt hatte. All die Dinge, die ihm nicht zustanden, nur, weil er verlobt war.
Einmal hatte Roland ihn gefragt, wer ihm denn vorschrieb, dass er solche Dinge nicht tun dürfe. Verdutzt hatte John feststellen müssen, dass es ihm niemand vorschrieb, nur sein eigenes Herz. Wie könne er zu einer Frau ehrlich und gut sein, wenn er wusste, dass er bereits mit tausenden anderen etwas gehabt hatte, obwohl er wusste, dass er verlobt war? Er hatte das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können.
Und doch war John keine männliche Jungfrau mehr. Seltsam, dass er auf seiner Hochzeit an diese Magd dachte, mit der er zum ersten Mal geschlafen hatte. Nitá war ihr Name gewesen und sie stammte aus dem Süden. Braun gebrannte Haut, wie Mandeln und dunkle Augen hatten ihn damals zu einer Dummheit verführt. Danach war sie fort gewesen, angeblich sei sie weggelaufen und bei der Flucht in einen Fluss gestürzt und ertrunken. Bezeugen konnte er das nicht.
Er schüttelte den Gedanken ab und hob den Kopf wie automatisch. Noch immer saß sie da, die zarten Hände im Schoß gefaltet, mit leicht geröteten Wangen, was vom Wein kommen musste und klaren blauen Augen, die ihm immer wieder verlegende Blicke zuwarfen.
Noch nie hatte ihn der Blick eines Mädchens so verrückt gemacht. Noch zu gut hatte er ihren Geschmack auf der Zunge, als sie sich in der Krypta das Eheversprechen gegeben hatten. Sogar das alte Ritual ihres Urvolkes, der Highländer, hatten sie vollzogen, indem ein nahe Verwandter, den Eheleuten in die Hand schnitt und diese dann ihr Blut und somit ihre Häuser verbanden. Dieses Ritual war für ihre Familie beinahe kostbarer gewesen, als die Hochzeitsnacht, die widerrum für seine Familie das kostbarste Ritual war.
John konnte nicht ganz fassen, dass er mit dieser jungen Blume verbunden war. Durchs Blut.
Erstmals fragte er sich, wie Elaine unter dem ganzen Stoff aussah. Sie war jung, erst sechzehn, aber ihm machte das gar nichts, da er selbst achtzehn war. Und doch waren seine Hormone eine einzige Katastrophe. Am liebsten hätte er selbst die Hochzeitsnacht bereits eingeleutet, aber das oblag den Eltern, wann ihre Kinder bereit waren, den heiligen Geschlechtsakt zu vollziehen. Allein diese Tatsache war ihm zu wider. Dass sein Schwiegervater wusste, wann er seine Tochter vögelte, war kein angenehmer Hintergedanke als Ehemann.
Ehemann... dieses Wort wollte ihm vor vielen Monaten noch nicht einmal über die Lippen kommen, aber jetzt? Wenn er sah, mit was für einer wunderschönen Frau er verheiratet war, war es ihm ganz leicht, dieses Wort auszusprechen.
»Ist der große Prinz John noch anwesend?«, gluckste ihm Roland ins Ohr.
Mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck drehte John den Kopf zu seinem engsten Vertrauten. Roland war in seinem Alter, ein hübscher junger Mann, sofern John das beurteilen konnte. Schon immer hatte er seinem Vater, dem Ratsvorsteher, Fürst Limga, sehr ähnlich gesehen. Das dunkelbraune Haar, ein leichter Bartschatten, blaugrüne Augen, muskulöser Körperbau.
John selbst war immer etwas schlanker als Roland gewesen, dafür aber auch mit einem breiteren Kreuz, das er sich bei dem vielen Training mit seinem Freund angeeignet hatte. Oftmals hatten die beiden in den frühen Morgenstunden auf dem Platz, neben der Kaserne, die im Ostflügel des Schlosses lag, trainiert. Mit Schwertern, Bögen und Kriegsäxten. Immer hatte er es Roland hoch angerechnet, dass er ihn nicht hatte gewinnen lassen, nur, weil er der Prinz war. Er hatte sich anstrengen müssen und hart trainiert, um Roland irgendwann zu schlagen. Und doch, obwohl es auch immer ein leichter Konkurenzkampf zwischen den beiden gab, schätzte John Rolands Ratschläge.
»Du siehst aus, als wolltest du die Kleine gleich verschlingen.«, grinste Roland und hätte um ein Haar, einen Weinfleck auf seiner blauen Weste gehabt.
John selbst trug an diesem Tag ein weißes Leinenhemd, darüber eine silberne Brokatweste mit den dazugehörigen Knöpfen aus Silber, eine Hose aus dem selben Stoff wie seine Weste und ein Gewand aus silbernen Seidenstoff darüber, das er jedoch zum Feiern abgelegt hatte. Seine schwarzen Stiefel, die ihm bis zum Knie reichten, waren poliert und gewachst worden, sodass sich beinahe das ganze Spektakel in seinen Lederstiefeln spiegeln konnte. Dafür war sein schwarzes Haar schlicht gelassen worden, nur die Länge war gekürzt worden, da ihm einzelne Haarsträhnen in der Stirn gehangen hatten. Nun waren sie einen halben Finger lang, genau die Länge, die er bevorzugte.
»Sie ist meine Frau... sollte ein Mann seine Frau nicht so ansehen?«, fragte John in gemäßigtem Ton zurück.
Roland schnaubte kurz und blickte zu einigen leicht bekleideten Tänzerinnen hinüber, die auf einem hölzernen Podest beinahe schon eine Stunde lang ihre Hüften schwingen ließen. »Eine Hure sollte man vielleicht so anstarren, aber eine Ehefrau? Sobald du an der Liebe erkrankst, mein Freund, geht es nur noch Bergab.«, grummelte er.
John drehte sich auf der gepolsterten Band, die vor dem Kamin aufgebaut war, herum und blitzte seinen Freund zornig an. »Du hast wohl zu viel getrunken, mein Freund, dass du es wagst, so über mein Weib zu sprechen!«
Der Ton des Prinzen hatte Roland verstummen lassen, der nun missmutig in die Flammen starrte. Dabei glaubte John zu sehen, wie es giftgrün in seinen Augen schimmerte. Doch, als er blinzelte und dann genauer hinsah, war dieser Schimmer verflogen und John schüttelte verwirrt den Kopf. Er musste bereits selbst genug getrunken haben, um sich mit einem Mann zu streiten, der jedes Mädchen haben konnte und dann so abwertend über seine Frau sprach. Sollte Roland beleidigt sein und vor sich hin grummeln, das hatte John nicht nötig, sodass er den silbernen Kelch auf einem Beistelltischchen abstellte und aufstand.
Suchend blickte er sich wieder um und geriet für einen Moment in Panik, da seine frischgebackene Frau nicht mehr dort saß, wo sie zuvor gesessen hatte. Er blickte sich zwischen den feiernden Gästen um, wovon er die Hälfte noch nie gesehen hatte und entdeckte Elaine lachend und kichernd in den Armen seines Vaters. Anscheinend hatte er seine Braut zu einem Tanz aufgefordert, wobei sie ihm immer wieder auf die Füße zu treten schien, da er etwas beschwipster war, als er vielleicht zugeben mochte.
Mit einem milden Lächeln trat er näher an die Szenerie heran, um den König und Johns Frau hatte sich ein Ring aus Zuschauern gebildet, die lachend und klatschend den Tanz beobachteten.
Als John an einer Wand gelehnt stehen blieb, wo er einen guten Blick auf seine Frau hatte, beobachtete er ihr Anglitz. Ihre strahlend weißen Zähne, die hinter süßen, roten Lippen verborgen waren, klare, blaue Augen, die freudig durch die Gegend blickten und die geröteten Wangen, die er schon in der Krypta berührt hatte, als das Eheversprechen mit einem Kuss besiegelt wurde. Sie war wunderschön und er konnte sein Glück, eine solch schöne Frau bekommen zu haben, noch kaum in Worte fassen.
Ihr Lächeln verzauberte ihn immer wieder aufs Neue, die Art, wie sie sich bewegte und ihr ganzer Charakter, zogen ihn an, wie Motten von Laternenschein. Sie war sanft, ruhig und gerecht. Das hatte er feststellen können, ohne viel mit ihr geredet zu haben. Das sagte ihm alleine sein Bauchgefühl und das trügte ihn niemals.
Plötzlich teilte sich die Menge der Gäste und dort stand sie. Den Blick beschämt auf ihre Hände gerichtet, die sie in Hüfthöhe gefaltet hatte, daneben König Harris, sein Vater, der John fordernd heran winkte. Nur stockend konnte John die wenigen Schritte zu seiner Frau gehen und blieb direkt vor ihr stehen.
»Nun wird das Hochzeitspaar tanzen!«, hörte er seinen Vater weit entfernt rufen.
Sanfte Lauten- und Harfenklänge drangen an sein Ohr, als er die Hand ausstreckte. »Darf ich bitten?«
Elaine hob die Lider, die langen Wimpern hatten beinahe ihre Wangenbögen berührt, und blickte ihn mit großen blauen Augen an, die aussahen wie der Schlüssel zur Freiheit. Schüchtern nickte sie mit einem kleinen Lächeln, das ihn völlig verrückt machte, dann legte sie ihre kleine, zierliche Hand in seine.
Sanft zog er sie an sich, legte seine Hände, die ihm viel zu groß und grob für diese zarte Blume erschienen, an ihre etwas breiteren Hüften. Sie schien unsicher, als sie eine Hand auf seine breite Brust legte und die andere an seinen kräftigen Oberarm. Doch im nächsten Moment hatte er ihre Scheu ausradiert, denn er drückte seine Stirn an ihre, was gar nicht so einfach war, da sie mindestens einen Kopf kleiner war, als er.
Entspannt schloss Elaine die Augen, lag in den Armen ihres Ehemannes, was John einen Schauer über den Rücken jagte. Nur leicht wippten sie umher, man konnte es nicht einmal als Tanz bezeichnen, aber das war ihm egal. Es war perfekt, so, wie es im Augenblick war. Und beinahe konnte er sagen, dass die vielen Leute um ihn herum - seine Eltern, ihre Eltern, seine jüngere Schwester Tirilla, seine anderen Verwandten und die Gäste - alle nicht existierten. Es gab nur Elaine und ihn.
Als die tragende Melodie endete und die Gäste laut jubelten, blieben die beiden stehen und beinahe hätte er geseufzt, als sie ihren Kopf an seine Brust sinken ließ und er den Duft ihres Haares in der Nase hatte. Honigfrüchte und Ginkoblätter. Eine seltsame, berauschende Mischung.
»Und nun geleitet die Hohepriesterin Sánta das Hochzeitspaar zu ihren Gemächern, um die Beischlafzeremonie zu beginnen!«, verkündete Ultag Dúbroch, Elaines Vater, feierlich.
Das junge Ding in seinen Armen versteifte sich kurz, ehe es den Kopf hob und John anblickte. Kurz berührte er ihre Wange, um sie zu beruhigen, ehe sie in einer Gasse, die die Gäste bildeten, zum Ausgang des Festsaales geleitet wurden. Es war Tradition in Isinior, dass nur die Hohepriesterin des Göttertempels, ein königliches Hochzeitspaar zur Beischlafzeremonie begleiten durfte. Und so lief die Frau, in feine, seidende Tücher gehüllt, mit einer Laterne, welche an einem Stab befestigt war, voran. Elaine und John folgten ihr, sichtlich nervös aus dem Saal und durch das totenstille Schloss.
Fest hatte John seine Frau an der Hand gepackt und auch sie klammerte sich an ihn, da es ein unangenehmer Gedanke war, dass alle in dem Saal wussten, dass die beiden gleich miteinander schlafen würden. Mit der freien Hand hielt sich Elaine an seinem muskulösen Arm fest, als sie in die Nähe seines Gemaches kamen.
Er erinnerte sich noch gut daran, was für ein Chaos in den vorherigen Tagen hier im Schloss geherrscht hatte, als alle Diener und das Personal seines Schwiegervaters das Fest vorbereitet hatten. Hunderte Karren waren durch die Stadttore gefahren, um die Menge an Köstlichkeiten, die es auf der Hochzeitsfeier gegeben hatte, hierher zu befördern. Weizen war geliefert worden, um die Gebäcke und Brote herzustellen, die es bei den Speisen gegeben hatte. Die königlichen Jäger waren Wochenlang unterwegs gewesen, um das Fleisch zu besorgen. Bauern hatten viel Gold bekommen für Gemüse und Obst. Geschweige denn die Schneider, die all die aufwändigen Gewänder hatten nähen müssen.
John wusste auch noch, was in seinen Gemächern los gewesen war, als man ihm sagte, dass er ein größeres bekäme, das direkt neben dem seiner Frau liegen würde, damit sie keinen langen Weg hatte, falls er sie zu sich bat. Oder, wenn er sich entschließen würde, bei ihr zu nächtigen.
Die Hohepriesterin blieb vor den Eichenholztüren, welche mit isinioaischen Schriftzeichen versehen waren, stehen. Eine Magd hatte bereits auf das Königspaar gewartet, sie trug eine Schale mit heiligem Wasser in der Hand, in das die Priesterin ihren Zeigefinger eintauchte und sich dann zu den beiden umwandte.
Zuerst malte sie den zehnzackigen Stern mit Wasser auf seine Stirn, dann tat sie es bei Elaine, die blinzelnd dastand und dann verwirrt zu ihm hinauf blickte. Mit einem sanften Blick lächelte er zu ihr herunter und drückte sie leicht an sich.
Nun, zum Abschluss dieses kleinen Rituals, hob die Priesterin die Hand und zeichnete den zehnzackigen Stern in die Luft, direkt vor den Beiden. »Seid fruchtbar und mehred euch.«, murmelte sie in die Stille und Düsternis des Ganges, dann gab sie der Magd ein Zeichen. Diese öffnete die Tür zu den Gemächern.
Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend führte John seine Frau in den Raum. Direkt hinter ihnen wurde die Tür leise geschlossen und leise Schritte, die sich entfernten, bestätigten dem jungen Prinzen, dass er nun vollkommen alleine mit dem Mädchen war, das er heute Vormittag geheiratet hatte.
Langsam blickte sich John in seinem Gemach um, das er vor wenigen Tagen bezogen hatte. Noch immer fand er, dass der große Kamin, in dem bereits ein Feuer prasselte und angenehme Wärme verbreitete, sehr gut zur rötlichen Einrichtung passte. Das schönste daran war, dass hier nicht alles so weiß war, wie der Rest des Schlosses und der weißen Stadt. Das Bett war rieisig, mit einem samtroten Ton überzogen, der Boden war aus rötlichem Holz und die Möbel ebenfalls. Vor dem Kamin lag ein dickes Schneebärenfell, das weich aussah.
Auf einmal kam ihm der Gedanke, wie es wohl aussehen würde, wenn sich Elaine nackt darauf rekeln würde. Er versuchte den Gedanken rasch wieder zu verbannen, damit ihm die Hose nicht zu eng wurde. Und doch fühlte er, wie das Blut ihm langsam aus dem Kopf wich.
Rasch sah er sich nach einer Ablenkung um und entdeckte auf einem der Nachttische einen Krug und zwei Kelche. »Habt Ihr Durst?«, fragte er und löste sich von ihr, um zum Tischchen hinüberzugehen.
Sie blieb zuerst wortlos stehen, dann schien sie sich einen Ruck zu geben und nickte. »Das ist sehr aufmerksam von Euch, Euer Hoheit.«, flüsterte sie höflich.
Er hörte ihre Nervosität deutlich aus ihrer zarten Stimme heraus. Sie zitterte leicht und war nur bemüht ruhig und, als er sich zu ihr umdrehte, sah er auch, wie sie nervös mit ihren Fingern herum spielte und sich sein Zimmer ganz genau ansah, um ihn nicht anblicken zu müssen. Genauso hatte er sich gefühlt, als er zum ersten Mal mit einem Mädchen geschlafen hatte: nervös, nicht wissend, was zu tun war und ängstlich, etwas falsch zu machen. Jetzt hatte er keine Angst davor, nicht zu wissen, was zu tun war, da er allein durch Rolands Erzählungen genug über Frauen wusste und, was sie beim Sex mochten. John hatte nur Angst davor, dass sie nicht mochte, von ihm berührt zu werden und, dass er ihr wehtun könnte, denn darin war er noch unerfahren. Schließlich hatte er erst einmal mit einem Mädchen geschlafen und er wusste, dass es für Nisá nicht angenehm gewesen war, weil er sich damals wirklich ungeschickt angestellt hatte.
Möglichst ruhig nahm er den Krug und roch an der Flüssigkeit. Es war ein milder Wein aus einfachen Weintrauben, den er jetzt begrüßte und in die Kelche goss.
Mit jeweils einem Kelch in der Hand trat er auf Elaine zu, die im Feuerschein des Kamins schöner denn je aussah. Das kastanienbraune Haar, welches im Licht rostrot schimmerte, war aufwändig und doch schlicht frisiert. So war es, was selten bei Bräuten war, offen und gewellt frisiert, sodass es wie ein brauner Wasserfall an ihrem Rücken hinab floss, bis unter ihre zarten Schulterblätter. Die obere Schicht ihrer Haare war zu einem kleinen, schlichten Rossschweif gebunden und überall in ihrem Haar hingen kleine, weiße Gänseblumen und Perlen. Sie war so schön, dass er sie beinahe nicht berühren wollte, um ihre heilige Präsens nicht zu beschmutzen. Sie war wie eine Heilige, die für immer Jungfrau bleiben müsste, so rein wirkte sie.
Er hielt ihr den Kelch hin, den sie schüchtern entgegen nahm und ihn anblickte.
»Auf eine glückliche Ehe«, flüsterte er und hob andeutungsweise seinen Kelch.
Sie hob den Kopf und, zu seiner Überraschung, lächelte sie ihn an. »Auf eine glückliche Ehe.«
Gemeinsam nahmen sie einen Schluck, dann ergriff er ihren Kelch und stellte beide auf dem Tisch neben ihnen ab. Schließlich sah er Elaine wieder an, wie sie da stand, darauf wartend, was passieren würde. Sie war wahrhaftig eine Jungfrau... kein Mädchen sonst, würde so unsicher dastehen und warten, was der Mann tun würde.
Vorsichtig hob er seine Hände an ihr Gesicht, da er es nicht länger aushielt und lehnte seine Stirn an ihre. »Woran denkt Ihr gerade?«, wollte er wissen. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich so gut beherrschen konnte in ihrer Gegenwart.
Zitterig seufzte sie auf und drückte sich beinahe an ihn. Dann wisperte sie: »Ich denke daran, dass ich niemals an Liebe geglaubt habe... und, dass ich jetzt weiß, dass es die Liebe auf den ersten Blick wirklich gibt.«
Er sog scharf die Luft ein.
Meinte sie das ernst? Er erinnerte sich an den Tag, als er sie das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte. Der Tag vor einem Monat, als er mit seinen Eltern und seiner Schwester im Hof gestanden und Elaines Familie begrüßt hatte. An diesem Tag noch hatte er sich mit seinem Vater gestritten, weil er nicht heiraten wollte... doch nur eine Stunde danach war er eines besseren belehrt worden. Sie hatte ein schlichtes, rotes Kleid getragen, zwei runde Ohrringe und ihren strahlend blauen Blick. Sofort hatte er aufgehört zu protestieren, hatte sie den ganzen Tag, wo sie sich sahen, anstarren müssen. Beim Essen, bei dem Begrüßungsfest, sobald er ihr über den Weg gelaufen war. Immerzu hatte er sie angestarrt.
Und nun sagte dieses Pflänzchen, dass sie das gleiche empfunden hatte? Dieses Kribbeln im Magen, sobald man auch nur den Haarschopf des anderen im Vorbeigehen betrachten konnte? Den Wunsch, den anderen zu beschützen und dabei sich selbst in Gefahr zu bringen? Die Verbundenheit und das Gefühl, dass man für immer zusammengehörte?
»Ihr sprecht mir aus der Seele, Elaine.«, hauchte John kaum hörbar und beugte sich zu ihr herunter.
Nur leicht berührten sich ihre Lippen, sanft, wie zuvor in der Krypta. Das Gefühl seiner und ihrer Lippen aufeinander war so überwältigend, dass er leise stöhnen musste und dabei hoffte, sie nicht zu verscheuchen. Doch das tat er nicht, im Gegenteil. Sie drückte sich enger an ihn, als wäre er ihr Anker in stürmischer See. Ihr Wall gegen Angriffe. Ihre Heimat.
Langsam, mit jeder Lippenbewegung, wurde ihr Kuss leidenschaftlicher. John legte seine Hände an ihre Hüften und Elaines wanderten seine Brust hinauf. Keuchend mussten sie sich voneinander lösen, um wieder Luft zu schnappen, dann bat John sie mit einem fragenden Blick um Erlaubnis.
Sie starrte zurück und biss sich unsicher auf die Unterlippe, dann nickte sie und drehte sich langsam um, sodass er freie Hand hatte, ihr Kleid zu öffnen. Um es ihm zu erleichtern, nahm sie sogar ihr Haar nach vorne, entblößte eine Seite ihres schlanken Halses vollständig.
Fasziniert betrachtete er die weichen Konturen ihres Rückens, der unter dem dünnen Spitzenstoff an ihrer Hinterseite hindurch schimmerte, bis die Schleppe - knapp oberhalb ihres Hinterns - ihren restlichen Körper verdeckte. Einen Augenblick hatte John sogar gefürchtet, er müsse die Ehe möglicherweise gewaltsam vollziehen, indem er sie gegen ihren Willen nahm. Damit hätte er nicht gut leben können, aber, dass sie in ihn verliebt war und sich ihm gerne hingab, das erleichterte ihm seine Position als Mann ungemein. Außerdem wollte er sie zu einer glücklichen Ehefrau machen.
Heute sollte sie sehen, dass er sie genauso liebte, wie sie ihn.
Vorsichtig berührte er mit den Lippen ihren entblößten Hals, wanderte hinauf zu ihrem Ohr und küsste die zarte Haut darunter. »Ich will Euch ein guter Ehemann sein... deshalb bitte ich Euch, sagt mir, wenn ich etwas tue, was Ihr nicht mögt.«
Sie atmete zitterig ein, dann spürte er ihr Lächeln. »Wenn ich noch nie etwas in dieser Richtung getan habe... und Ihr mir nichts in dieser Richtung zeigt, weiß ich auch nicht, was ich mag und, was nicht.«, murmelte sie leise. »Tut, was Ihr für Richtig haltet, Euer Hoheit.«
John war etwas verdutzt ob ihrer Antwort, aber wenn sie ihm freie Hand ließ, so würde er das gewiss nicht in den Sand setzen. Sanft küsste er noch einmal ihren Hals, dann richtete er seinen leicht trüben Blick auf das Korsett an ihrem Rücken. Es war nicht leicht, die verworrenden Schnüre zu lösen, aber er schaffte es. Und je weiter er das Korsett öffnete, desto mehr, ihrer weißen, milchigen Haut kam zum Vorschein. Eine Gänsehaut fuhr ihr über den Rücken, als er sie mit seinen Fingern streifte.
Schließlich zog er das geöffnete Kleid herunter und bestaunte ihre perfekte Figur. Sie hatte einen schmalen Rücken, etwas breitere Hüften und lange, schlanke Beine. Ihr Po war klein und apfelrund. Insgesamt wirkte sie sehr schlank, jedoch nicht zierlich oder zu dünn. Sie hatte genug Fleisch auf den Rippen, dass er wusste, dass, wenn er etwas fester zupackte, er ihr nicht wehtun würde.
Vorsichtig strich er ihr über den Hintern, der sich unter seiner Hand anspannte und sich dann wieder entspannte. Ihr Atem war etwas schneller als zuvor.
»Dreh dich um.«, forderte er sie leise auf.
Elaine strich ihr Haar zurück auf den Rücken, dann drehte sie sich langsam zu ihm um und er wurde beinahe von ihrer reinen Schönheit erschlagen. Sanfte Konturen zeichneten sich auf ihrem Körper ab; die feinen, gerundeten Brüste, die perfekt in seine Hände passen würden; der leichte, kaum wahrzunehmende Bogen ihrer Rippen; der flache Bauch und dann ihre kleine, rosa Spalte, über der ein dünner Streifen kurzen Haarflaumes ihre Unschuld unterstrich.
Leicht hob und senkte sich ihre Brust. Sie war aufgeregt.
John hielt ihr seine Hand hin und half ihr somit aus den hohen Schuhen hinaus, sodass sie noch ein Stück kleiner war, als so schon. Sanft zog er sie wieder an sich, woraufhin sie aufkeuchte und ihn anblickte. Ihre weichen Brüste drückten sich eng an seine Kleidung und auf einmal wollte er sie nicht nur sehen, sondern auch an seinen Muskeln fühlen.
Es war so natürlich.
Ein Mann wollte eine Frau, weil er groß und kräftig war und ein kleines zartes Wesen brauchte, weich und warm, um es zu beschützen. Umgekehrt, wollte eine Frau eine starke Schulter, kräftige Muskeln, an die sie sich schmiegen konnte. Und dieses Gefühl war in John gerade übermächtig.
Wieder küssten sie sich, doch diesmal schien auch Elaine mutiger zu werden, denn ihre Lippen waren fordernder. Nacktheit machte seltsame Dinge mit Menschen, so auch mit ihnen beiden. Johns Hände packten verlangend ihren wohlgeformten Po, kneteten ihn, drückten ihn und sie schmiegte sich immer enger an ihn. Vorsichtig tastete mit der Zunge nach ihren Lippen, bat um Einlass und sie gewährte ihm den Einlass in ihre Mundhöhle.
Zum ersten Mal stöhnte sie auf, schien sich völlig fallen zu lassen und angelte mit ihren Fingern sogar nach seiner Weste. Etwas stürmisch entfernte sich John von ihr, um den störenden Stoff abzulegen. Er schaffte es, die Weste auszuziehen, doch sie zerrte bereits das Leinenhemd aus seiner Hose. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er es los war und ihr mit freiem Oberkörper gegenüberstand.
Seine Hände zogen sie eng an sich, ihre Lippen lagen harmonisch aufeinander und ihre weichen Kurven schmiegten sich perfekt an seine Muskeln. Es fühlte sich ganz anders an, als John gedacht hätte. Anders, als sein erstes Mal mit Nisá. Hier wusste er, was er tun musste und doch, war er völlig ratlos. Sein Körper sagte ihm, was zu tun war und Elaines Vertrauen in ihn tat ihm ebenfalls unheimlich gut.
Um sie nicht zu erschrecken, fuhr seine Hand langsam ihre Seite hinauf bis zu ihrer Brust, die er sanft umfasste und über die Brustwarze strich. Mit Genugtuung spürte er, wie sie unter seinen Fingern erblühte, hörte ihr Aufkeuchen an seinen Lippen und grinste leicht.
Küssend schmiegten sie sich beide aneinander, ehe John sich von ihr löste und seine Lippen ihren Hals hinab wanderten. Daraufhin schlang sie ihre schlanken Arme um seinen muskulösen Nacken, zog ihn noch enger an sich, sodass er sie mit der Kraft seines Unterarmes noch enger an sich presste. Sanft ließ er seinen Mund über ihr Dekolleté huschen, berührte sie so, wie sie es verdiente, dann jedoch wanderte er mit seinen Lippen tiefer.
Verdutzt blinzelte sie, als er sich langsam vor sie kniete, die Lippen zwischen ihren schönen Brüsten herunter wandern ließ, die Zunge in ihren Bauchnabel eintauchte und dann mit der Nase durch ihr weiches Haarfläumchen fuhr, ihren süßen Duft einatmend.
»Was... was tust du?«, fragte Elaine atemlos.
John küsste ihr Haar. »Ich werde dich jetzt lecken, sodass du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist.«, verkündete er mit rauer Stimme und versenkte sogleich seine Zunge in ihrer Ritze.
Alles was er hörte, war ein lautes, wimmerndes Stöhnen vor ungestillter Lust.
Wimmernd war Elaine gegen den Tisch gesunken, als würde sie sich stützen wollen. Unter seinen Händen erzitterten ihre Beine immer wieder. Sein Mund umschloss immer wieder ihre kleine, süße Perle, umrundete sie mit der Zunge und brachte sie dabei um den Verstand. Es bescherte ihm jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sie leise aufstöhnte und unter seinen Lippen erzitterte.
Ihre Finger vergruben sich nach Halt suchend in seinem schwarzen Haar, was ihn nur noch weiter anstachelte, sie intensiver und hingebungsvoller zu lecken.
»M-majestät!«, wimmerte sie kaum hörbar und versuchte ihn wegzudrücken, vermutlich, weil sie sich ansonsten nicht länger beherrschen konnte.
Umso fester packte er ihre schlanken Oberschenkel und presste sein Gesicht gegen sie. Und plötzlich passierte das, was er beabsichtigt hatte. Ihr Körper zuckte und erzitterte unkontrolliert. In seinen Ohren hallte ihr Lustschrei laut wieder und so drückte John dieses zarte Wesen noch fester gegen sich. Mit bebendem Atem sank sie in sich zusammen, sodass er von ihrem feuchten Lustgefilden abließ und sich aufrichtete, wobei er bemerkte, dass ihr erster Höhepunkt nicht spurlos an ihm vorbei gegangen war.
In seiner Hose war es bereits äußerst eng geworden.
Als er sich aufrichtete und ihr Gesicht sanft umfasste, bemerkte er ihren leicht trüben und verschleierten Blick vor Lust.
Teil V
DAS LEID DER DÄMONIN
☀
Der Regen prasselte laut wie Trommelschläge auf die Erde nieder. Schon den ganzen Tag schüttete es wie aus Eimern und er musste die ganze Zeit die Kapuze seines weißen Mantels über behalten, damit er nicht völlig durchnässt war. Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, lauschte er den plätschernden Schritten seiner kleinen Schwester, die direkt hinter ihm war. Ihre eleganten Schritte waren katzenhaft und elegant, ganz die Schritte einer erfahrenen Hexerin.
Er drehte den Kopf prüfend über die Schulter und erblickte die schmale Silhouette Lunas, die in ihrem langen weißen Mantel den matschigen Pfad entlang schritt. Wie bei jedem Auftrag, den die beiden zu erledigen hatten, trug sie ein eng geschnittenes, schwarzes Lederkorsett, das ihre Oberweite besser für die Männerwelt offenbarte, als er es gerne hätte. Ihre schlanken Beine waren in enge, schwarze Lederhosen verpackt und sie trug Stiefel, welche ihr beinahe bis zu den Knien reichten. Um die Hüften trug sie einen weißen Gürtel aus Stoff, auf den in schwarz mythische Schriftzeichen gestickt waren. Die Schriftzeichen waren die älteste Sprache der Welt: Drachensprache.
Er selbst war sehr ähnlich wie sie angezogen, nur in weitaus männlicherer Version. Der lederne Brustharnisch, den er unter seinem weißen, ärmellosen Mantel trug, war hart und kaum eine Klinge vermochte, ihn zu durchbrechen. Sein rechter Arm war gehüllt in hartes Leder und lederne Handschuhe, welche seine Finger jedoch frei und beweglich ließen, schützten seinen Bogenarm. Sein Linker war nackt, sodass man die kräftigen Oberarmmuskeln sehen konnte, jedoch trug er an seinem Unterarm eine lederne Schiene, die mit Bambusfasern verstärkt war und ebenfalls einen Handschuh. In diesen waren direkt über seinen Fingerknöcheln, harte Metallplättchen eingearbeitet, um einem Gegner mit einem Hieb den Kiefer zu brechen. Und unter seinem Arm befand sich eine verborgene Klinge, die er mit einer einfachen Bewegung seines Handgelenks hevor schnellen lassen konnte, falls er in Bedrängung geriet.
Dasselbe System an Schmiedekunst befand sich auch an den Armen seiner kleinen Schwester. Bei Luna sah das alles jedoch sehr viel eleganter und schmaler aus, da sie selbstverständlich kleiner war, als er.
»Wie lange müssen wir noch bei diesem Sauwetter herum laufen? Du sagtest doch, dass der Karren hier irgendwo entlang kommen soll.«, hörte er das zarte Stimmchen von Luna.
»Der soll hier auch irgendwo sein.«, brummte er und schob die Hände tiefer in die Manteltaschen.
Schon eine Ewigkeit durchstreiften die beiden die Gegend um die Akademie auf der Suche nach dem Karren, der hier vorbei kommen sollte. Jedenfalls hatten sie von Ser Raymund Shore die Anweisung bekommen, hier auf dem Pfad nach Eashos, diesen Karren abzufangen und die Fracht zur Akademie von Elvacht zu bringen.
Warum genau die beiden das tun sollten und was sie überhaupt nach Elvacht bringen sollten, wussten sie nicht.
»Aber wo, Nero?!«, knurrte Luna genervt hinter ihm.
Er verdrehte nur die Augen, schwieg aber und grummelte kaum hörbar vor sich hin. Luna war schon immer ungeduldig gewesen, konnte kaum abwarten, bis etwas passierte und leider musste er damit klar kommen, da er und sie Partner waren und jeden Auftrag zusammen ausführen mussten.
Nero konzentrierte sich weiterhin auf den Pfad vor sich und lauschte durch den Regen hindurch auf andere Geräusche, konnte jedoch eine Weile lang nichts hören. Dann konnte er es hören. Klappernde Wagenräder, die über den schlammigen Pfad fuhren. Das musste der Karren sein, den Ser Raymund gemeint hatte.
Kribbelnde Erwartung durchströmte ihn von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz, wie immer, wenn er sich einem leicht zu gewinnenden Kampf gegenüber sah. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, sodass das Leder über seine Knöchel spannte. Seine hellblauen Augen, die beinahe weißlich wirkten, sahen sich aufmerksam um, denn im Nebel erkannte man nicht viel. Er, als Hexer, sah alles.
Auf Líz hatte man ihn so lange gefoltert, dass jegliche Farbe aus seinem Körper verschwunden war, Farbpigmente aus dem Haar und den Augen, weiße Haut und übermenschliche Fähigkeiten hatten ihn zu einem noch besseren Hexer gemacht, als den berühmten Quinn Denero. Seine Schwester war zwar nicht so gut, wie er, aber auch eine sehr gute und tödliche Hexerin. Seitdem damals die allererste Hexerin, Kilea, in der Akademie berühmt wurde durch ihre guten Abschlussprüfungen, hatte Luna sie bei weitem übertroffen. Aus diesem Grund nannten sie viele Menschen in Eós ›Die Geister-Zwillinge‹ oder ›Die weißen Geschwister‹.
Seine schwarzen Pupillen zogen sich katzenhaft zusammen und fuhren umher. Schließlich entdeckte er eine Silhouette. Ein großes, kräftiges Pferd und dahinter ein Karren.
Nero blieb stehen, woraufhin Luna ebenfalls zum stillstand kam. »Was siehst du?«, fragte sie kaum hörbar.
Er analysierte die Umgebung, um rasch einen Kampfplan zu erstellen. Bäume zu beiden Seiten des Pfades; einige Felsen; Regen und Nebel.
»Den Karren. Direkt vor uns. Zwei Männer, bewaffnet... versteck' dich im Gebüsch, ich gehe frontal auf sie zu. Wir töten sie schnell und leise. Anschließend schnappen wir uns die Fracht und machen, dass wir hier weg kommen.«
Luna nickte einverstanden und entfernte sich vom Pfad, tauchte ins Gebüsch ein. Hätte Nero es nicht besser gewusst, hätte er meinen können, dass sie völlig verschwunden war. Aber er kannte Luna, wusste, was man ihr in Líz antat. Was man aus ihr gemacht hatte. Hunderte Male hatte man ihr die Gene irgendwelcher Reptilien iniziert, sodass sie die Farbe ihrer Haut ändern konnte, wann immer sie es wollte.
Nero konzentrierte sich wieder auf den Pfad und ergriff seinen Bogen, den er über den Brustkorb getragen hatte und öffnete seinen Mantel. Darunter befand sich an seiner Hüfte an dem weißen Ledergürtel, welcher mit einer silbernen Drachenschnalle verziert war, ein Köcher mit Pfeilen. Er zog einen heraus und drehte ihn elegant zwischen den Fingern, während er weiterlief.
Im nächsten Moment spannte er den Pfeil blitzschnell in den Bogen und schoss den Pfeil in den dichten Nebel ab. Ein Gurgeln ertönte, dann ein Schrei. Wenig später ertönte ein erneuter Schrei, verzweifelter, ebenfalls gurgelnd, sodass er wusste, dass Luna zugeschlagen hatte.
Gemächlich verstaute er seinen Bogen wieder auf seinem Rücken, sodass die scharfe Sehne über seiner Brust lag und trat dann die übrigen hundert Meter auf den Karren zu. Gurgelnd lagen die beiden Männer, die den Karren geführt hatten, auf dem Boden. Einer hielt sich die Kehle, die Luna mit ihrem Mondsicheldolch aufgeschlitzt hatte. Der Andere lag mit durchbohrtem Schädel im Schlamm und starrte mit toten Augen gen Himmel.
»Lass uns diese Fracht schnappen und dann wieder zur Akademie, ich hab die Schnauze voll und will ein Bad.«, brummte Luna und wischte ihren Dolch an der Kleidung des sterbenden Mannes ab.
Nero schnaubte nur leise, da er es nicht besonders leiden konnte, wenn seine kleine Schwester versuchte, ihm Befehle zu erteilen. Dieser Kommandoton zog bei ihm nicht, schon lange nicht mehr.
Entspannt umrundete er den Karren und stieg mühelos auf die Ladefläche, die von einem großen, braunen Tuch verdeckt wurde, das vom Regen klatschnass war. Mit dem Gedanken, dass sie beide heute Abend bereits wieder in der Akademie sein würden, riss er die Plane von der Ladefläche und erstarrte.
Dort saß, mit gefesselten Händen und Füßen, ein junges Mädchen. Ihre tiefgrünen Augen waren vor Angst geweitet, zwischen ihren Lippen steckte ein gammliger Lappen, an dem sie vorbei wimmerte, wie ein getretenes Wolfsbaby. Ihr schlanker, leicht kurviger Körper steckte in einem durchnässten Hemd, das bereits bessere Tage gesehen haben musste und rote Strähnen hingen ihr nass in der Stirn, klebten an ihren Schläfen.
Sie saß dort zwischen einigen Kisten und Fässern.
»Ein Mädchen?«, fragte Luna hinter ihm und blickte ihn verwirrt an.
Nero verengte die Augen zu Schlitzen. »Das schien Ser Raymund damit zu meinen, als er sagte ›Ihr werdez die Fracht erkennen, wenn ihr sie seht.‹«, murmelte er.
»Du meinst, wir sollen ein kleines Mädchen in die Akademie bringen? Das soll die wichtige Fracht sein, die wir unter allen Umständen heil heim bringen sollen?« Luna war genauso ratlos wie er selbst, verstand er doch nicht, was der Aufwand sollte.
Was an diesem Mädchen schien so besonders zu sein? Eines wusste er, sie hatte eine seltsame Wirkung auf ihn. Sie war wunderschön und wirkte doch so unschuldig und rein und beschützenswert.
Doch, als er sich ihr näherte, um ihr den schmuddeligen Lappen aus dem Mund zu nehmen, wich sie panisch zurück, die Augen starr aufgerissen. Dabei sah er, dass ihre Gelenke unter den Fesseln wund und blutig gescheuert waren. Beim weiteren Betrachten erkannte er sogar eine Spur aus Blutergüssen an ihren Beinen, die eine seltsame Form aufwiesen. Sie waren seltsam lang und schmal, als hätte sie jemand mit einem Stock oder etwas ähnlichem geschlagen. Jedoch waren Beine eine reichlich seltsame Stelle, um geschlagen zu werden. Dafür war ihr Gesicht weitesgehend unversehrt, abgesehen von einem Bluterguss am Kiefer.
»Was man ihr wohl angetan hat?«, fragte Luna ruhig hinter ihm.
Nero zuckte die Schultern. »Egal was es war, es war nichts gutes.«
»Wir sollten sie irgendwie hier weg bringen.«
Er nickte, dann beugte er sich zu dem Mädchen vor und ergriff trotz schwachem Protest den Lappen in ihrem Mund und zog ihn raus, sodass er um ihren Hals baumelte. »Wie ist dein Name?«
Blinzelnd blickte sie ihn an, dann huschte ihr Blick zu seiner Schwester, bevor sie wieder ihn anstarrte. »Rois.« Sie hauchte es beinahe nur, was ihm im Nacken ein Kribbeln verschaffte.
»Nachname?«, fragte Luna nach.
Das Mädchen, Rois, blickte sie nur kurz an, bevor sie wieder ihn anblickte. Eine Reaktion auf Lunas Frage gab sie nicht, sodass Nero es dabei beließ und seinen Dolch hervor zog.
Voller Angst blickte sie ihn an, als wolle er ihr etwas grausames antun.
Ohne auf ihren zitternden Körper und die panisch strampelnden Füße einzugehen, ergriff Nero ihren Arm und schnitt die Fesseln mit einer raschen Bewegung durch. Sie erstarrten sofort und blickte beinahe verwirrt auf ihre Handgelenke, betrachtete die aufgeriebenen Stellen, dann hob sie den Kopf und sah ihn an. Ihre dunkelgrünen Augen, die wie die saftigen Blätter eines jungen Baumes wirkten, schienen direkt in seine Seele zu blicken... falls er soetwas überhaupt besaß. Und doch fühlte er sich auf einmal ganz anders, warm und sogar wohl. Dieses Gefühl hatte er noch nie verspürt.
»Kann sie laufen?«, riss ihn Luna aus den Gedanken.
Er schüttelte kurz den Kopf, um wieder klar in der Birne zu werden, dann griff er nach ihren Knöcheln und schnitt auch dort die Fesseln durch. Beim Anfassen schon hatte er eine starke Schwellung des Gelenkes gefühlt, als hätte sie sich vor einiger Zeit den Fuß verstaucht. Als er näher tastete, merkte er auch, wie heiß das Gelenk war. Es musste umgehend gekühlt werden, damit sich ihr Knöchel nicht deformierte.
Außerdem war nun klar, dass das Mädchen nicht selbst laufen konnte.
»Ich werde sie tragen«, informierte er seine Schwester.
Luna nickte und machte Platz, damit er das Mädchen vom Karren heben konnte.
Und so näherte er sich ihr erneut, aber ganz, wie er erwartet hatte, wich sie wimmernd zurück in eine Ecke des Karrens. Sie starrte ihn an, als wäre er ein Wolf, der ein Lamm reißen wollte. Beruhigend hob er die Hände und hob den Kopf, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.
Es dauerte nicht lange bis ihre Augenlider flatterten. Mit einem kaum hörbaren Winseln sank sie zusammen, wurde schlaff und schlief letztendlich ein.
Zwar machte er nicht gerne Gebrauch von dieser Fähigkeit, aber in diesem Fall war es sicher gut, wenn sie eine Weile schlief. Das würde dem Mädchen ganz gut tun und außerdem beruhigte sie sich dann ein wenig und musste nicht den ganzen Weg zur Akademie Angst haben.
Nero griff in ihre Kniekehlen und führte seinen anderen Arm unter ihren Achseln hindurch, griff um ihren Rücken. Dann zog er sie eng an sich und stieg mit ihr auf dem Arm vom Karren herunter. Leider regnete es noch stärker als zuvor, sodass er nur hoffen konnte, dass das Mädchen sich keine Lungenentzündung holte bei diesem kurzen Hemdchen, das sie trug.
Den restlichen Tag über verbrachten sie schweigend mit Laufen. Irgendwann zog Luna das Tempo an, als es gen Abend dämmerte. Schließlich tauchte zwischen den Bäumen die Akademie auf. Die hohen Türme und Gebäude wirkten heimisch und plötzlich sehnte sich Nero unheimlich nach seinem Bett und einigen Stunden Ruhe.
Meister Magnus und Meister Viktor standen am Tor und schienen bereits auf die beiden Hexer zu warten. Sie öffneten das Tor und Luna stolzierte an ihnen vorbei. Dann trat Nero mit dem Mädchen eng an die Brust gedrückt, in den Schutz der Akademie ein.
Luna strich sich ihr hellblondes Haar aus der Stirn. »Wo ist Ser Raymund?«, fragte sie spitz.
Meister Magnus, ein Mann mit rund vierzig, blickte die beiden mit kühlen beherrschten Augen. Das sollte angeblich nicht immer so gewesen sein. Vor rund zweiundzwanzig Jahren sollte dieser Mann ein Draufgänger und Frauenheld gewesen sein, ein Mann, der sich Scherze erlaubte und gerne die Leute verwirrte. Was auch immer in all den Jahren geschehen war, nun war dieser Mann beherrscht, kühl und einer der besten Ausbilder neben dem Akademieleiter Ser Raymund Shore. Dieser hatte Männer wie Quinn Denero oder Kaiven Weißwacht und die erste Hexerin Kilea ausgebildet.
Meister Magnus verschränkte die muskulösen Arme vor der breiten Brust. An diesem Abend trug er seine rote Hexerkleidung. Sein dunkelroter Mantel, weilcher ihm bis zu den Knien reichte, wie die Mäntel von Nero und Luna, war offen und zeigte einen schwarzen, ledernen Brustharnisch, in die zwei lederne Scheiden eingearbeitet waren, in denen sich seine Zwillingsdolche befanden. Um die Hüften trug er einen Gürtel und ein Kurzschwert mit Drachenrunen und auf dem Rücken trug Meister Magnus eine kleine Armbrust mit Bolzen.
»Im Saal, er erwartet euch bereits.«, erwiderte Viktor statt Magnus, welcher das Mädchen auf Neros Arm misstrauisch betrachtete.
Luna folgte seinem Blick und betrachtete das Mädchen, welches friedlich in Neros Armen schlummerte. Kurz runzelte sie die Stirn, dann nickte sie dankbar und steuerte auf den Eingang zu.
Nero folgte seiner Schwester ins Gebäude, die verschlungenen Gänge der Akademie entlang. Auf dem Boden wurden seine Schritte von einem dicken, roten Teppich gedämpft und alte Gemälde schmückten die Wände. Vor dem Saal standen zwei Hexer und bewachten den Eingang. Als sie Luna und Nero erblickten, öffneten sie dir Tür und ließen die Geschwister hinein.
Und dort stand der Akademieleiter, Ser Raymund Shore. Ein alter, gebrechlicher Mann, der sogar noch im Alter mit einer Härte ausbildete, durch die solch berühmte Hexer wie Quinn Denero entstanden waren. Ser Raymund stand dort in seiner Lederrüstung, die jedoch seit Jahren keinen systematischen Nutzen mehr für ihn hatte.
»Ser Raymund?« Luna blickte ihren Meister eherfürchtig an.
Der Mann drehte sich um und blickte seine ehemaligen Schüler an. Sofort hellte sich die düstere Miene des alten Mannes auf, als er das zierliche Bündel in Neros Armen entdeckte.
Nero hatte das Mädchen so fest an sich gedrückt, wie es ging, um ihr ein wenig von ihrer Körperwärme abzugeben, damit sie nicht auskühlte. Es war seltsam, was er die ganze Zeit über beim Rückweg zur Akademie gedacht hatte und das Gefühl in seinem Magen war für ihn äußerst seltsam gewesen. Noch nie hatte er so etwas gefühlt.
»Luna, Nero«, begrüßte der Akademieleiter seine ehemaligen Schüler. »Wie ich sehe, habt ihr sie gefunden.«
Nero hob den Kopf und starrte seinen Meister an. »Ihr hättet uns ruhig sagen können, dass wir ein kleines Mädchen zur Akademie bringen sollten.«
Luna schloss sich nickend ihrem Bruder an. »Allerdings. Was hat es mit diesem Kind auf sich? Warum sollten wir sie hierher bringen?«
Ser Raymund hob den Blick. »Das erkläre ich euch beiden gleich. Folgt mir.« Und damit schritt der Meister an ihnen vorbei zum Tor und verschwand hinter der Tür. Nur zögernd folgten die Geschwister ihrem ehemaligen Lehrmeister durch die Gänge, eine Treppe hinauf und in den Gang, wo die Meister nächtigten. Dort näherten sie sich den Gemächern von Ser Raymund Shore persönlich. Direkt daneben befand sich bereits seit Jahrzehnten ein leeres Zimmer und genau dieses steuerten sie an.
Der alte Mann öffnete die Tür und bat sie herein. Drinnen befand sich ein großes Himmelbett, das einige Diener vor nicht allzu langer Zeit bezogen haben mussten und einige weiche Decken befanden sich darauf. Daneben ein Nachttisch auf dem bereits ein Speisebrett mit Fleisch, Brot und Mais stand, daneben eine Schale Eintopf und einen Becher Wasser.
Ser Raymund gab Nero ein unsichtbares Zeichen, woraufhin er zum Bett trat und das kleine Bündel auf dem Bett ablegte. Beinahe sanft strich er ihr die Strähnen aus der Stirn und legte eine Decke über ihren zarten Körper.
Dann erhob er sich und blickte seinen Lehrmeister an. »Nun, Meister Raymund. Warum sollten wir sie hierher bringen?«
Ser Raymund trat zu ihm und blickte auf das Mädchen hinunter. »Wegen einem Versprechen«, sagte er.
»Welches Versprechen?«, fragte Luna und trat neben ihn.
Eine Weile schwieg er und blickte auf das Mädchen hinunter. »Vor zwei Jahren war ich mit einer Gruppe Hexer in Anmeer, um neue Schüler zu suchen. Auf einem Fest begegnete ich dem Sklavenhändler Krossos. Ein Mann, brutal und gnadenlos... er bildet seit Jahren Sklavinnen verschiedenster Völker zu Huren aus, eigenhändig.«
»Sie war also eine Sklavin.«, sagte Luna nachdenklich.
»Nicht irgendeine Sklavin... Sie war Krossos persönliche Sklavin.«
Nero betrachtete das Mädchen eingehend, während Ser Raymund ihnen erzählte, woher es kam. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, was sie durchgemacht hatte. Schon oft hatte er Geschichten über Krossos gehört. Grausame Geschichten. Angeblich sollte er ein Nekromant sein, der sich hunderte Lustsklavinnen hielt, wie Tiere. An Leinen und Ketten, sie auspeitschte und kriechen ließ. Jetzt konnte er sich auch denken, woher die Blutergüsse an ihrem Körper kamen.
Ser Raymund rieb sich die Stirn. »Auf dem Fest begegnete sie mir in einem der Gänge, blaugeschlagen und weinend. Sie hatte ihm dienen müssen. Damals versprach ich ihr, dass ich ihr helfen würde.«
»Aber sie ist kein Mensch.«, bemerkte Nero und blickte Raymund an. »Was ist sie?«
Raymund blickte ihn ernst an. »Ich wusste, dass du mich nicht enttäuschen würdest. Woran hast du es gemerkt?«
Blinzelnd starrte wieder dieses Mädchen an und runzelte die Stirn. »Ihre Ausstrahlung... die Augen. Sie löst ein seltsames Gefühl aus.«
»Was ist sie?«, bohrte Luna genervt nach.
»Ein Liebesdämon - ein Succubus.«, erklärte Ser Raymund. »Succubi sind äußerst selten, deshalb war sie seine größte Trophäe, die er niemals freiwillig hergegeben hätte. Deshalb musste ich warten bis er nicht bei ihr ist. Das war die einzige Möglichkeit.«
Luna betrachtete das Mädchen eingehend. »Sie ist wie eine Tochter für Euch.«, stellte sie fest.
Ser Raymund nickte nur leicht und betrachtete das kleine Bündel beinahe liebevoll.
Es war seltsam für Nero, dass so ein kleines Kind für seinen alten Lehrmeister dermaßen wichtig sein konnte. Schließlich hatte er sämtliche Erinnerungen an das winzige Volk der Succubi und Incubi in sich aufgesogen, als er sein Ritual vollzogen hatte und zum Hexer wurde. Es waren Dämonen, die vom Gott der Unterwelt erschaffen worden waren und zwar nur für einen einzigen Zweck: den Liebesakt mit Sterblichen zu vollziehen, um dann Halbdämonen heranzuzüchten. Schon vor Jahrhunderten war diese Aufgabe jedoch verloren gegangen, da diese Dämonen gejagt, gefoltert und versklavt worden waren. Heute waren sie so selten wie Schnee in der Wüste. Und, wenn man einen solch seltenen Dämon zu sehen bekam, dann meistens in der Gewalt eines reichen Händlers.
Krossos hatte sich garantiert an diesem Mädchen eine goldene Nase verdient, denn, wenn er sie nicht selbst bestiegen hatte, hatte er sicher viel Geld verlangt, damit andere sie besteigen durften. Und seltsamer Weise beschwor es in Nero eine ungezügelte Wut, sich vorzustellen, wie Krossos sie schlug, peitschte und demütigte, nur, weil er der Meinung war, dass sie keine Rechte hatte als auszusterbende Rasse. Allein ihre Reaktion beim Karren, als er den Dolch hervor zog, um ihre Fesseln zu durchschneiden oder die Situation, als er ihr den Lappen aus dem Mund geholt hatte, hatte gezeigt, welche Angst sie vor anderen Menschen hatte. Welche Angst sie vor Berührungen hatte, wollte er gar nicht wissen.
Und obwohl man annehmen könnte, dass sie als Sexdämonin es ganz fantastisch finden müsste, Sex mit jemandem zu haben, wusste er ganz klar, dass ihr bisheriges Leben die Hölle gewesen sein musste. Denn Krossos war nicht für seine Sanftheit unter den Sklavenhändlern bekannt. Besonders nicht bei seinen Sklavinnen, die er selbst disziplinierte. Beim Sex war er garantiert auch nicht sehr sanft. Ob er ihr die Schläge auf die Beine beim Geschlechtsakt zugefügt hatte?
»Nero?«, fragte Ser Raymund.
Er wandte den Kopf und fixierte seinen Meister mit hellgrauen Augen. »Meister?«
»Ich möchte, dass du für sie sorgst und sie beschützt. Es gibt viele Hexer an der Akademie, die es durchaus ausnutzen würden, dass ein Succubus hier ist... ich will nicht, dass ihr etwas geschieht. Verteidige sie und zwar mit deinem Leben.«
Nero runzelte die Stirn. Noch nie war ihm solch ein Auftrag aufgegeben worden, den er alleine zu befolgen hatte und seine Schwester nicht unmittelbar involviert war.
Genau aus diesem Grund war Lunas Gesicht eine kühle Maske, die sie nicht zu verziehen wusste. Sie war wütend, dass sie nicht mitbeachtet wurde, das konnte Nero auf Anhieb spüren. Aber, wenn der Meister nur ihn für diese Aufgabe bedachte, hatte er kein Recht, etwas anderes zu verlangen, nur, weil Luna beleidigt war.
Er nickte gehorsam und neigte respektvoll den Kopf. »Wie Ihr wünscht, Meister.«
Auch Raymund nickte, dann deutete er auf die Tür. »Sie soll sich ausruhen. Ich werde die Tür verschließen, aber mach dich nach einem Bad und ein wenig Schlaf sofort wieder hierher auf den Weg.«
Wieder nickte Nero gehorsam, dann verließen alle drei das Zimmer des Dämonenmädchens. Sofort rauschte Luna an ihm vorbei zu ihren Gemächern, dass er sich nur wohl oder übel auf den Weg zu seinen machte. Er brauchte dringend ein Bad, zu Essen und etwas Schlaf, um bei klarem Verstand zu bleiben und gut auf Rois aufpassen zu können.
Nachdem Nero ein paar Stunden Ruhe gehabt hatte, zog er sich eine Lederhose und einen dünnen Brustharnisch über. Am Gürtel trug er seinen Dolch, falls er ihn brauchen würde. Wer wusste schon, was die anderen Hexer der Akademie vorhaben könnten, sobald sie von dem Succubus erfuhren? Es gab keine Frauen in der Akademie, jedenfalls keine, die es gerne mal mit jedem Mann hier trieb. Und, wenn es eine Frau gab, dann hatte sie meist schon einen Mann an ihrer Seite.
Er erinnerte sich nur zu gut an die rund vierzigjährige Ravena, die bei ihnen in der Küche arbeitete und bereits seit zwanzig Jahren mit dem Hexermeister Kaiven Weißwacht verheiratet war. Es hatte an ein Wunder gegrenzt, dass die beiden in der Akademie überhaupt wieder aufgenommen worden waren und eine Lücke in den Hexergeboten gefunden hatten, die es ihnen erlaubte, eine Ehe zu führen. Jedoch galt für sie noch immer das Gebot, dass sie keine Kinder zeugen durften.
Und, wenn man als Hexer nicht solch eine Frau hatte, dann musste man sich woanders Erleichterung verschaffen. Es war nicht möglich andauernd in die Städte oder Tavernen zu reisen, um sich eine Hure zu nehmen. Deshalb auch, musste er acht auf seine kleine Schwester geben. Nicht jeder Hexer war so vorbildlich und verhielt sich einer Frau gegenüber respektvoll. Und so mussten die Frauen hier sehr zäh sein und sich zu verteidigen wissen.
Bewaffnet und sich einer langen Wacht gegenübersehend ging Nero zu den Gemächern des Succubus und öffnete die Tür mit einem Schlüssel, den ihm Ser Raymund gab. Und er erstarrte kurz, als er in das Zimmer eintrat, denn das Mädchen saß auf dem Bett und starrte ihn an.
Ruhig schloss er die Tür, bevor er sich durch das weiße Haar fuhr und den Schlüssel in seine Hosentasche gleiten ließ. Als er sie dann wieder anblickte, bemerkte er, dass sie das Speisebrett komplett leer gegessen hatte. Sie musste schrecklichen Hunger gelitten haben.
»Wie ich sehe, hattest du Hunger.«, bemerkte Nero trocken und nahm sich einen Stuhl vom Tisch, zog ihn zum Bett und setzte sich dann.
Das Mädchen hob den Kopf und starrte ihn an, als wäre er ein Gespenst. Ihre dunkelgrünen Augen blickten ihn angstvoll und unschuldig an. Es war seltsam, welche Wirkung dieses Mädchen auf ihn hatte. Sie war ein Dämon, der dafür geboren wurde, Sünde zu begehen, böse zu sein und Sex zu haben. Und doch wirkte sie reiner und unschuldiger als die Wassergöttin persönlich.
Als sie noch immer nicht antwortete, verlagerte er sein Gewicht und stützte die Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. Nachdenklich betrachtete er sie. Am liebsten hätte er gar nichts gesagt, jedoch wäre es seltsam gewesen, hätte er sie weiterhin so angestarrt. Und doch konnte er kaum aufhören, sie einfach nur anzusehen.
Ihre grünen Augen wirkten tief wie zwei ruhende Teiche und doch wild und feurig, wie die Augen eines Pumas. Es war seltsam welche Wirkung alleine der Blick ihrer wunderschönen Augen auf ihn hatte und er fragte sich, ob es daran lag, dass sie ein Succubus war oder einfach wegen ihrer natürlichen Ausstrahlung.
»Wie geht es Euch?«, fragte er sie schließlich höflich und lehnte sich zurück.
Sie hob erstmals den Kopf und blickte ihn an. »Ihr hättet mich nicht hierher bringen sollen.«
Einen Moment lang musste Nero schweigen und ihre Worte verinnerlichen. »Was meint Ihr damit?«, fragte er schließlich.
»Ich weiß, dass es Ser Raymund nur gut gemeint hat, aber ich muss zu ihm zurück.«, flüsterte sie kaum hörbar, während sie sich zusammen kauerte und ihn mit glasigen, grünen Augen anblickte.
Es dauerte eine Weile, bis er ihre Worte begriff. Sie wollte zu diesem Irren zurück? Zu Krossos, der Frauen hielt, wie Hunde und sie wie Dreck behandelte, nur, weil sie von einem seltenen Volk abstammten und liebestolle Männer viel Geld bezahlten, um sie einmal vögeln zu dürfen. Er selbst erinnerte sich zur Genüge daran, wie er auf Líz jahrelang mit seiner Schwester verbracht hatte. Dort hatte er gelernt, was es bedeutete, Schmerzen zu ertragen und Höllenqualen zu erleiden. Und, obwohl er solche Schmerzen erlitten hatte und die Hölle durchlebte, wenn er Luna hatte kreischen hören vor Qualen, hatte er sein Leben nicht aufgegeben. Er hatte gekämpft und war mit seiner Schwester von dort geflohen. Doch, wenn er in Rois' Augen blickte, erkannte er etwas anderes. Es war unendlicher Schmerz, den niemand zu verbannen vermochte.
Krossos hatte dieses Mädchen zerbrochen.
»Ihr wollt zu ihm zurück?«, fragte er ruhig und blickte sie mit einer Weichheit in den eisgrauen Augen an, die er selbst für kaum möglich gehalten hatte.
Rois starrte auf ihre Hände, erst nach einigen Sekunden bemerkte er, dass ihr Kinn fürchterlich zitterte. »I-ich kann nicht... ich muss zu ihm...«, flüsterte sie und hob den Kopf. »Ich gehöre zu ihm.«
Noch nie war Nero so geschockt gewesen. Vieles hatte er schon gesehen und gehört. Er selbst hatte bereits hunderte schrecklicher Dinge getan. Er hatte Männer und auch Frauen getötet, hatte auf Líz andere Männer mit bloßen Händen erwürgt oder zerfetzt, nur, weil diese Kerle, die die Forschungsinsel betrieben, es so gewollt hatten. Er hatte Tod, Kummer, Krankheit und Vergewaltigungen mitangesehen und jedes Gesicht blieb ihm im Gedächtnis. Aber, dass sich dieses Mädchen nach dem Mann zu sehnen schien, der ihr all das angetan hatte, wollte er kaum glauben. Es war so, als würde man seinen ärgsten Feind lieben.
»Nero«, hörte er eine bekannte Stimme von der Tür aus.
Er sah auf und entdeckte Ser Raymund und Luna im Türrahmen stehen.
Seine Schwester hatte sich umgezogen, den Mantel und die Lederrüstung gegen ein Leinenhemd getauscht, über dem sie ein Korsett geschnürt hatte. Eine enge Lederhose spannte sich über ihre schlanken und muskulösen Schenkel und noch trug sie die Stiefel, die sie auch bei ihrer Mission getragen hatte. Ihr Haar war zurückgebunden und unterstrich ihr ernstes Gesicht. Alles an ihr wirkte im Moment sehr ablehnend, was er auf den Succubus zurückzuführen wusste.
Langsam erhob er sich von seinem Sitzplatz. »Ich bin gleich wieder da.«
Das Mädchen schien seine Worte jedoch kaum zu registrieren.
Schließlich trat er zu seinem ehemaligen Ausbilder und seiner Schwester zu.
»Hat sie etwas gesagt?«, fragte Luna sofort, als er bei ihnen war.
Nero runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nur, dass sie zu ihm zurück muss.«
Luna hob die Brauen. »Zu ›ihm‹? Zu Krossos?«
Er zuckte die Schultern. »Sie ist vollkommen verstört. Diese Folter über Jahre hinweg hat sie verrückt gemacht.«
Ser Raymund seufzte und rieb sich die alten, müden Augen. »Also hat er es geschafft. Er hat sie gebrochen.«
Luna wandte sich zu ihrem ehemaligen Ausbilder um und stemmte die Hände in die Hüften. Sie schien sofort gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte. Sie wusste immer, wenn etwas nicht stimmte. »Ihr habt uns noch nicht alle Eure Beweggründe erzählt, oder?«
Schwach nickte Raymund. »Wir hatten in Anmeer einen Auftrag zu erledigen und wurden anschließend von einem reichen Händler zu einem von Krossos Festen eingeladen. Ich saß mit meinen Männern vorne beim gefürchtetsten Mann der Stadt, als man sie herein führte. Angekettet wie einen Hund mit aufgeriebenen Handgelenken und einem zerschlagenen Gesicht...«
Dem alten Mann versagte kurzzeitig die Stimme, was weder Nero noch Luna je erlebt hatten. Für gewöhnlich war Raymund ein mürrischer Mann, der hart handelte und noch härter ausbildete. Gnade oder solches Mitgefühl, wie für dieses Mädchen hatte nie jemand von ihm erlebt.
»Was ist dann passiert?«, wollte Nero mit kühler, beherrschter Stimme wissen.
Und erstmals sah er Tränen in den alten Augen seines Lehrmeisters. »Er demütigte sie vor aller Augen, indem er seine Hose öffnete und auf sie urinierte. Beinahe erstickte sie an ihrem Erbrochenen, aber das schien ihm nicht genug zu sein, denn er nahm sie vor aller Augen auf dem Boden. Mir wurde so schlecht, dass ich mich beinahe übergeben hätte, denn... alles, was die meisten Männer taten, war...«
»Lachen.«, beendete Luna seinen Satz, da Raymund es nicht mehr vermochte.
Raymund nickte niedergeschlagen und blickte zu dem Mädchen hinüber, das sich zusammengekauert hatte wie ein Kätzchen und auf seine Hände starrte. »Und doch hatte sie nicht aufgegeben, hatte Hoffnungen und Träume gehabt. Seit diesem Tag verhandle ich mit Krossos, dass er sie mir verkauft. Ich habe hunderte, gar tausende Goldstücke für sie geboten, aber er ist zu schlau, als dass er sie mir verkauft. Er weiß, dass man viel Geld für den Sex mit einem Succubus bezahlt. Nie hätte er sich dieses Geschäft kaputt machen lassen.«
»Wir sollten auf jeden Fall auf der Hut sein«, murmelte Luna. »Wenn Ihr mit ihm verhandelt habt, zwei Jahre lang, wird er Euch zuerst verdächtigen, wenn sie nicht in Eashos ankommt. Sobald er ihr Verschwinden bemerkt, wird er sich auf den Weg zur Akademie machen.«
»Was werden wir tun, wenn es soweit ist?«, fragte Nero und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust.
Ser Raymund blickte auf das Mädchen, dann blickte er seine ehemaligen Schüler entschlossen an. »Überlasst Krossos mir. Nero, sorg du nur dafür, dass sie sicher ist. Ich werde zwei Dienerinnen und Ravena her schicken, damit sie ein Bad bekommt und ihr Knöchel versorgt wird.«
Die Geschwister nickten, dann entfernte sich Ser Raymund und verließ das Zimmer lautlos.
Schließlich wandte sich Luna zu ihrem Bruder um. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie kaum hörbar.
Nero wandte sich zu ihr um und warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Was meinst du?«
Sie nickte zu Rois hin. »Du denkst wieder an Emily, oder?«
Bei dem Klang dieses Namens zog es schmerzhaft in Neros Brust und er kniff kurz die Augen zusammen, seufze und wandte sich ab. »Ich will nicht darüber sprechen, Luna.«
Seine Schwester verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast mir nie erzählt, was in Líz wirklich passiert ist. Was aus ihr wurde.«
Er drehte den Kopf weg. »Irgendwann werde ich es dir sagen, aber... nicht jetzt.«
Luna seufzte kaum hörbar, dann nickte sie und verließ das Zimmer des Mädchens.
Nur zu gut konnte er verstehen, dass Luna Antworten wollte, denn sie war nicht dabei gewesen, als man Emily gefoltert und tot geschlagen hatte. Aber noch waren die Wunden zu frisch in seinem Gedächtnis, obwohl es bereits fast zehn Jahre her war, seit er auf Líz mit Emily zusammen gewesen war. Und er anschließend geflohen war.
Nero wandte sich um und betrachtete das Mädchen, das Emily unglaublich ähnlich sah. Und doch war sie ganz anders als Emily. Emily war stark und robust, selbst im Tode. Ihre Art zu denken würde den meisten düster und negativ, aber dennoch hatte sie gewusst, wie die Welt tickte. Obwohl sie wie so viele Experimente von Líz psychisch sehr instabil gewesen war, hatte sie sich damals auf Nero eingelassen.
Und ganz anders war dieses zerbrechliche, kleine Mädchen auf dem Bett dort. Sie wirkte so schutzbedürftig, dass er sie am liebsten in ein großes Laken eingewickelt, damit man sie nicht verletzen konnte.
Schon eine Weile lang saß Nero vor der Tür des Mädchens auf einer gepolsterten Bank und wartete, bis Ravena und zwei ältere Dienerinnen aus dem Zimmer kommen würden. Ravena, die gute Seele der Akademie, hatte Handtücher zusammen gesucht, die beiden Frauen zum heiß Wasser holen geschickt und ein frisches, warmes Kleid besorgt, dass Rois anziehen konnte, sobald sie gebadet war. Außerdem hatte die vierzigjährige Ravena einen Arzneihkasten mitgebracht, um ihren verstauchten Knöchel zu versorgen.
Seltsamerweise dachte Nero daran, wie dieser Succubus vollkommen nackt aussah, was ihm zugegebener Maßen ein schlechtes Gewissen bescherte. Sie hatte so vieles durchgemacht und er dachte bloß daran, wie es sein könnte, mit ihr zu schlafen.
Er rieb sich die Augen, die nervtötend brannten vor Schlafmangel. Zwar hatte er ein paar Stunden Zeit gehabt, um sich auszuruhen, jedoch war das nicht dasselbe, als wenn er eine ordentliche Portion Schlaf gehabt hätte. Nein. Stattdessen saß er neben der geöffneten Zimmertür des Mädchens und wachte.
Immer wieder hörte er es im Innern klappern, wenn sie etwas tat, doch er widerstand dem Drang, nachzusehen, was sie dort drinnen machte. Bis er einen leisen Aufschrei und ein dumpfes Poltern hörte.
Sofort sprang er auf und schoss um die Ecke durch die geöffnete Tür und fand sie vor einem Bücherregal auf dem Boden hockend vor. Das Mädchen, Rois, rieb sich den verbundenen Knöchel und atmete schwer, was ihm augenblicklich zeigte, dass sie Schmerzen hatte. Vermutlich war sie umgeknickt, als sie ein Buch aus dem Regal nehmen wollte.
Nero hockte sich neben sie und nahm ihr das Buch aus der Hand. »Kindergeschichten?«, fragte er beiläufig.
Sie runzelte die Stirn, starrte nur das Buch an. »Ihr könnt es lesen?«
»Natürlich. Ihr nicht?«
Ihre Lippen zierte plötzlich ein trauriges, bedauerndes Lächeln. »Bei dem, was sonst meine Aufgabe war, spielte es keine Rolle, ob ich es kann.«
Nun runzelte er die Stirn. »Ich... könnte es Euch lehren.« Im selben Moment bereute er seine Worte. Was tat er denn nur? Er spielte schon den Babysitter, jetzt machte er auch noch von sich aus das Angebot, ihren Lehrer zu miemen und ihr das Lesen beizubringen? Wie brachte man jemandem denn das Lesen bei? Er hatte keine Ahnung, da er sich selbst kaum daran erinnerte, wie er es lernte.
Rois lächelte noch immer, allerdings wurden ihre Augen feucht.
Vor Rührung?
Doch dann sagte sie: »Eure Gedanken verraten Euch, Hexer. Ihr müsst nicht so tun, als hättet Ihr Mitleid mit mir... Ich meine, wenn jeder in seinem Selbstmitleid badet, ist doch auch an jeden gedacht, oder?«
Ihre Worte trafen ihn. Sie trafen ihn wirklich. Sie hatte etwas in seinem Herzen getroffen, von dem er glaubte, dass es längst erloschen sei. Die Jahre auf Líz hatten ihn eines gelehrt, niemals zu zeigen, was man fühlte, denn jeder konnte es in der nächsten Sekunde als Waffe gegen einen selbst benutzen. Er hatte mit unbeweglicher Miene zugesehen, wie seine eigene Schwester nicht nur einmal vergewaltigt und ausgepeitscht worden war. Nachdem auch Luna aufgehört hatte, ihren Schmerz durch Schreie, durch Weinen, durch Winseln zum Ausdruck zu bringen, hatte auch er aufgehört sich dagegen zu wehren. In seinem Herzen war etwas gefroren, von dem er gewusst hatte, dass es nie wieder auftauen würde, nicht einmal, wenn man seinem eigen Fleisch und Blut etwas antat.
Er hätte von sich selbst erwartet, dass es ihm bei Rois umso leichter fallen müsste.
Es überraschte ihn, dass das Gegenteil der Fall war.
Sie sprach so ruhig, so monoton, als würde ihr eigener Schmerz nichts mehr für sie bedeuten. Dieses Mädchen war kaum älter als ein Kind und sprach, als hätte sie bereits hunderte Leben hinter sich. Mehr Leben, als er scheinbar durchlebt hatte, jedes Mal aufs Neue.
Was mochte Krossos ihr angetan haben? Dinge, von denen nicht einmal Ser Raymund etwas wusste?
»Lasst mich Euch auf helfen.«, bot Nero an.
Rois jedoch schob seine Hand fort, als er sie unter ihre Kniekehlen schieben wollte. »Ich brauche keine Hilfe.«
Er hob eine weiße Augenbraue, ehe er die Schultern zuckte und aufstand. Abwartend blickte er auf sie herunter und, als sie sich nicht rührte, seufzte er und trat einen Schritt zurück.
Teil VI
DIE JUNGFRÄULICHE WITWE
☀
Außerhalb von Krähenfurt herrschte schon seit zwei Tagen Sturm. Der Wind ließ die Bäume sich biegen, sodass ich fürchtete, dass viele Bauern morgen entwurzelte Stämme von ihren Feldern würden räumen müssen. Gegen die Scheiben der deckenhohen Fenster meines Ehegemaches peitschte der Regen, durchnässte alles und jeden bis auf die Knochen. Es hatte vor zwei Stunden erst für wenige Augenblicke zu regnen aufgehört...
... es war der Moment gewesen, in dem ich meinen Ehemann begraben hatte.
Und nun stand ich hier, trug das Kleid, das mir meine Kammerzofen rausgelegt und geholfen hatten, anzuziehen. Ein schwarzes Kleid, eine enge Korsage, die mir Luzie geschnürt hatte und spitzenbesetzte, lange Ärmel und einen Kragen, der mir bis unter das Kinn reichte. Ich trug ebenfalls den traditionellen Spitzenschleier, der mein trauerndes Gesicht verdeckte, sowohl jetzt, als auch bei der Trauerfeier. Zudem würde ich es in jedem öffentlichen Moment tragen, die nächsten fünf Monate: die traditionelle Trauerzeit.
Ich schlang den schwarzen Fellkragen meines Umhanges um meine Schultern und atmete zitterig ein und aus.
Noch gut erinnerte ich mich an meine Hochzeit vor drei Monaten. Zuvor war ich Elena aus dem Hause Jorson gewesen. Mein Vater war der Berater des Jarls aus diesem Haus und zusätzlich der Bruder des Jarls, sodass es immer klar war, dass ich einmal einen adligen Mann heiratete. Und so schuf Jarl Kirion ein Bündnis mit dem jungen Jarl Kyle aus dem Hause Borton, der seinen Sitz in Krähenfurt hatte. Diese Burg lag am nördlichsten Punkt unserer Welt und somit eine Ewigkeit von meinem Geburtsort entfernt. Erst zu meiner Hochzeit mit dem jüngeren Bruder des Jarls von Krähenfurt, war ich hierher gekommen.
Mein Ehemann war Lord Rhyse gewesen, Sohn von Henry Borton und Bruder des Jarls von Krähenfurt.
Ich erinnerte mich an die Feierlichkeiten und das Glück vor drei Monaten, als ich hier angekommen war. Man hatte mich voller Liebe und Freundlichkeit begrüßt, als gehörte ich bereits zur Familie. Ich hatte mein eigenes Gemach bezogen, in dem ich nur für wenige Tage wohnen würde, bevor ich die Ehegemächer mit meinem Mann beziehen würde. Anschließend hatte man mich in den Speisesaal gebracht, in dem er gestanden hatte. Ein schwarzhaariger Gott von einem Mann, muskulös und kraftvoll gebaut, etwas kleiner als sein Bruder, aber genau die richtige Größe, um mich zu küssen.
Wir hatten uns im Göttertempel von Krähenfurt das Eheversprechen gegeben und hatten es mit einem Kuss besiegelt. Aber noch bevor wir die Ehe vollziehen konnten, war eine Nachricht in den Feierlichkeiten eingetroffen. Rhyse war für den Krieg eingezogen worden, der herrschte, nachdem Königin Lillith ihren Ehemann ermorden ließ. In wenigen Monaten hatte sich jede große Burg im Umkreis von Winterfeste unterworfen und jede Rebellion niedergeschlagen. Dabei vernichtete sie jeden Highländer-Clan... Und so hatte sie von jedem Jarl im Norden eine Streitmacht verlangt und, als Garantie, dass die Häuser nicht rebellierten, ließ sie einen männlichen Verwandten der Jarls einziehen. Als eine Art Versicherung.
Schon in diesem Moment hatte ich gefürchtet, meinen Ehemann nie wieder zu sehen, in den ich mich schon von Anfang an verliebt hatte. Ich hatte ihn angefleht, zu bleiben.
Aber Rhyse hatte eine immer währende positive Art an sich, die mich beschwichtigt hatte.
»Es wird alles gut gehen, Liebste. Bald bin ich wieder zurück und dann werde ich dich gebührend zu meinem Weib machen.«, hatte er gesagt und mich so leidenschaftlich geküsst, dass ich zum ersten Mal gespürt hatte, dass die Stelle zwischen meinen Schenkeln nicht nur dazu da war, um sich zu erleichtern.
Dann war er fort gegangen. In stählender Rüstung und mit Schwert ausgerüstet war er gegangen und hatte mich zurück gelassen.
Vor vier Tagen war dann die Nachricht gekommen, zusammen mit hunderten von Karren, die die Gefallenen zurück nach Krähenfurt gebracht hatten. Darunter Ritter der Stadtgarde, eingezogene Bauern und Jünglinge. In den letzten Tagen waren mehr Gräber ausgehoben worden, als sonst in einem Jahr. Mehr Frauen waren zu Witwen geworden, als man zählen konnte, Männer mussten ihre Brüder beerdigen, Mütter ihre Söhne und Kinder weinten um ihre Väter.
Ich presste die Lippen aufeinander, um mich wieder zu fangen, aber es war nicht einfach.
Als ich gesagt bekam, dass ich heiraten müsste, war ich teilweise wütend gewesen, aber ich hatte es akzeptiert, da ich schon immer damit rechnete. Und dann hatte ich mich in diesen Mann verliebt... Rhyse fehlte mir einfach.
Plötzlich öffnete sich die Tür meiner Gemächer und bedächtig trat Kyle ein. Er trug noch immer sein Gewand in den Farben des Hauswappens, eine weiße Krähe auf rotem Untergrund, darüber sein Kettenhemd, schwarze Hosen und kniehohe Stiefel. Seine Augen waren rot gerändert und verquollen, denn auch er hatte Tränen um seinen Bruder vergossen.
Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es für ihn war, dass Rhyse gefallen war. Er war mit ihm aufgewachsen, hatte ihn geliebt und beschützt. Ich spürte schon den Schmerz, den mir der Verlust brachte, ich wollte nicht wissen, wie Kyle sich fühlte.
Mit schlurfenden Schritten kam er näher, das schwarze Haar klebte ihm vom Regen an der Stirn und seine grünen Augen funkelten wie Smaragde und plötzlich wirkte er älter, als sechsundzwanzig. Die feinen Lachfältchen um seine Augen waren beinahe wie Furchen in seinem Gesicht.
Ruhig blieb er vor mir stehen und sah mich an.
Ich blickte eine Weile nur zurück, konnte ihm aber nicht länger in die Augen sehen, da sie denen meines Ehemannes so ähnlich waren und starrte wieder aus dem Fenster. Plötzlich schlossen sich muskulöse Arme um meinen zierlichen Körper und ich schluchzte auf, als Kyle mich fest an seine Brust zog. Es war so ungerecht! Warum musste ausgerechnet mein Mann für die machthungrigen Pläne einer Frau sterben? Warum musste ich zur Witwe werden, bevor ich überhaupt eine richtige Ehefrau geworden war?
Mir flossen Sturzbäche von Tränen über die Wangen, während ich mich an Kyles festen Körper drückte. Er gab mir Halt, den ich selbst nicht aufzubringen vermochte. Was würde nun mit mir passieren? Diese Frage stellte ich mir bereits, seit Rhyses Beerdigung. Unsere Ehe war nicht vollzogen worden, indem wir beieinander gelegen hatten, sodass unsere Ehe im Prinzip ungültig war. Ich war eine Frau ohne Haus, ohne Familie.
Vor allem aber beunruhigte mich die Tatsache, dass es üblich war, sobald der Ehemann einer Frau verstarb und die Ehe bis dahin noch nicht vollzogen gewesen war, sie für gewöhnlich den Bruder ihres Ehemannes oder Verlobten heiraten musste. Für mich bedeutete das, dass ich Kyle heiraten müsste. Da das jedoch nicht ging, da Kyle selbst bereits verheiratet war, würde er einen neuen Ehemann für mich finden müssen, den er zu allem Überfluss auch noch in seine Familie aufnehmen müsste, falls er niemanden aus seiner Verwandtschaft fand, der mich heiraten würde.
Zwar war Kyle ein sehr freundlicher und höflicher Mann, familienbewusst und liebenswürdig. Aber er war das komplette Gegenteil von Rhyse. Rhyse war ein aufgeweckter, humorvoller Mann gewesen, sehr leidenschaftlich und temperamentvoll in seinem Tun. Kyle hingegen war ruhig und beherrscht, erfahren für sein Alter und stehts das Für und Wider abwägend. Ob das gut war, wusste ich nicht. Seinem Charakter nach zu urteilen, konnte es mehrere Jahre dauern, bis er einen Mann für mich fand.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, hob ich blinzelnd den Kopf. »Wie geht es Guinevere?«
Kyles Mine wurde noch ein Stückchen düsterer, als sie schon war. »Nicht gut... seit ein paar Stunden ist sie ganz still und schläft nur noch...«
Ich schluckte und blickte auf das Wappen auf seiner Brust.
Seit ich hier angekommen war, hatte ich mitbekommen, wie es um das Haus von Krähenfurt bestellt war. Neben Rhyse gab es nur noch Kyle, der zur Hauptfamilie des Hauses Borton gehörte. Seine Eltern waren vor langer Zeit bei einem Brand im Ehegemach gestorben, zusammen mit den beiden Töchtern, die versucht hatten, ihre Eltern aus dem Feuer zu retten. Neben Kyle, der nun der einzige verbliebende Erbe war, gab es noch seine beiden Onkel und sieben Cousins, die an der Front kämpften und als Generäle der Königin dienten, um die Rebellion im Osten und Westen niederzuschlagen. Und ich fürchtete, dass bereits einige Raben unterwegs waren, uns die Botschaft ihres Falls zu überbringen. Doch das war nicht das einzige Leid, dass die Familie Borton hinnehmen musste. Kurz nach Kyles Hochzeit vor sechs Jahren mit der jungen Guinevere, die aus Ihkart stammte, war diese furchtbar krank geworden. Ihr Körper wurde langsam ausgezehrt und sie sah Traumbilder, fantasierte und schrie manchmal nächtelang. Dementsprechend besaß Kyle auch keine Nachfahren und ich fürchtete, auch noch meinen Schwager zu verlieren, sobald er zum Krieg eingezogen wurde. Dann würde es keinen männlichen Nachfahren aus dem Hause Borton mehr geben.
In jeder Hinsicht, schien uns das Schicksal nicht wohlgesonnen zu sein. Weder unserer Familie, noch irgendeiner anderen. Seit König William getötet worden war, hatte seine Ehefrau die Macht an sich gerissen. Überall im Lande hatte sie Verbündete, die ihre Herrschaft befürworteten, denn sie erzählte ihnen das Blaue vom Himmel. Und, wer nicht für sie war, wurde vernichtet. Da die Häuser des Nordens ihr immerwährende Treue geschworen hatten, mussten sie ihren Befehlen Folge leisten. In jedem Haus wurde beinahe jedes Jahr ein Mann eingezogen, der zur engen Familie gehörte und so wurden die Häuser langsam dezimiert. Überall fehlte es an heiratsfähigen Frauen und sobald es eine Hochzeit gab, wurde der Mann meist zum Krieg eingezogen, bevor die Hochzeitsnacht vollzogen werden konnte, oder man gar einen Erben zeugen konnte. Und die meisten Männer kehrten nicht heim.
»Gebt die Hoffnung nicht auf. Ihr wisst doch, sie hat ihre guten und ihre schlechten Tage. Morgen wird wieder einer von den Guten sein.«, versuchte ich ihn wenigstens ein Stückchen aufzuheitern, auch, wenn mir selbst nicht danach war.
Kyle nickte, die smaragdgrünen Augen glänzten feucht und sein Blick wirkte trüb und gebrochen. Er hatte seinen Bruder beerdigen müssen, wie mochte es da sein, den Gedanken zu haben, bald schon das eigene Weib zu Grabe zu tragen?
Ich wollte mir das alles nicht vorstellen.
»Ich lasse dich alleine, ist das in Ordnung?«
Ich nickte, da meine Kehle zu eng war, um noch mehr zu sagen. Kyle löste sich von mir und verließ anschließend wortlos meine Ehegemächer, die mir plötzlich viel zu groß vorkamen. Eine ganze Weile noch stand ich an diesem Fenster und starrte auf die kleine Krypta, die sich relativ weit rechts im Hinterhof befand und starrte auf die vielen Gräber, die die letzte Ruhestätte für die Familienmitglieder meines verstorbenen Ehemannes waren. Unter ihnen war nun auch Rhyse, den ich so schmerzlich vermisste, wie ich es nicht geglaubt hatte. Im Innern hoffte ich, dass er über mich wachen würde in dieser grauenvollen Zeit des Krieges.
Und ich hoffte, nicht noch mehr geliebte Menschen zu Grabe tragen zu müssen.
Ich hechtete wie eine Wahnsinnige durch die unzähligen Gänge der Burg. Mein schwarzes Haar war offen und ungekämmt, da ich gerade erst aus dem Bett gestiegen war. Die Zofe, die mein Haar zuerst hatte bürsten wollen, hatte ich zur Seite gestoßen und war nur gerannt, nachdem mir Luzie die Nachricht überbracht hatte, dass Guinevere im Sterben lag.
Über meine Wangen flossen Tränen. Zwar hatte ich die Frau meines Schwagers nicht oft gesehen, geschweige denn oft mit ihr geredet, aber ich erinnerte mich sehr genau an ein Gespräch mit ihr, als sie einen lichten Moment in ihrer Krankheit gehabt hatte. Wir hatten Tee getrunken, es war kurz vor meiner Hochzeit gewesen. Sie war sehr sanft und auch etwas aufgedreht gewesen, was ein perfektes Gegenstück zu Kyles Ruhe gebildet hatte. Damals hatte ich mit ihr über meine Zweifel gesprochen, die ich vor der Hochzeit mit Rhyse gehabt hatte und die Angst, dass ich keine gute Ehefrau für ihn sein könnte. Sie hatte mir all diese Zweifel genommen, als wir uns aussprachen und sie zugegeben hatte, dass sie es wollen würde, dass Kyle eine andere Frau heiratete.
Ich hatte nur da gesessen und sie angestarrt, hatte versucht, ihr einzureden, dass das Schwachsinn sei.
Aber sie hatte nur dagesessen und auf ihren Bauch hinunter geschaut. »Ich würde ihm wünschen, dass er eine Frau findet, wie dich. Eine gesunde, fröhliche Frau..., die ihm auch Kinder schenken kann. Die ihm einen Erben schenken kann, denn ich kann es nicht.«
Es hatte mir buchstäblich das Herz zerrissen, wie traurig sie gewesen war und, dass sie es sogar verstanden hätte, wenn Kyle sich eine andere Frau gesucht hätte, die ihm gesunde Kinder gebar.
Nun konnte ich es nicht glauben, dass diese starke Frau, die sechs Jahre lang gegen ihre Krankheit gekämpft hatte, im Sterben liegen sollte. Das konnte doch nicht sein. Der Tod schien Einzug in dieses Schloss und in meine neue Familie gefunden zu haben. Denn innerhalb weniger Wochen hatte ich nun meinen Ehemann verloren und sollte noch in der selben Nacht seiner Beerdigung meine Schwägerin verlieren? Eine Freundin?
Kurz stolperte ich, strauchelte und fing mich aber wieder, dann erreichte ich die Tür zu den Gemächern von Guinevere. Und ich erstarrte.
Kyle stand neben dem Bett seiner Ehefrau und starrte auf ihr kalkweißes Gesicht herunter. Über seine eingefallenen Wangen flossen stumm die Tränen, ansonsten war er wie in eine Art Starre gefallen, während er beobachtete, wie der Hofheiler ein weißes Tuch über Guineveres zartes, friedliches Gesicht zog und es damit verdeckte.
In dem Moment konnte ich nicht einmal atmen, so sehr tat mir die Brust weh. So sehr zerriss es mir das Herz. Für gefühlte Stunden konnte ich diese Szene nur anstarren, fühlte den Schmerz in meinem Herzen, denn ich hatte Guinevere auf eine ganz besondere Art und Weise geliebt. Ich hatte sie nicht oft zu Gesicht bekommen, hatte sie meist nur gehört, wenn sie geschrien hatte wie am Spieß, da sie wieder einmal fantasiert hatte. Das einzige Mal, wo ich sie in einem vollkommen normalen Zustand gesehen hatte, war vor meiner Hochzeit gewesen, als sie davon sprach, dass sie wollte, dass Kyle neu heiratete. Manchmal hatte ich auch einfach nur still neben ihrem Bett gesessen oder hatte ihr vorgelesen, wenn sie geschlafen hatte.
Ich wünschte, ich hätte mich von ihr verabschieden können.
Mein Blick wanderte zu Kyle hinüber, der das weiße Laken, unter welchem seine Ehefrau lag, nur stumm anstarrte. Beinahe... unbeteiligt.
Ich nahm an, dass der Schock ihn so starr machte, sodass ich langsam in die Gemächer der Toten eintrat. Es sah noch genauso aus, wie an dem Tag, an dem ich ihr das letzte Mal etwas vorgelesen hatte. Die Kommoden waren sauber abgewischt, die Fenster waren verschlossen und mit samtroten Vorhängen zugedeckt und auf dem Boden vor ihrem Bett lag das Bärenfell. Doch lag ein seltsamer, medizinischer Geruch in der Luft, der unangenehm in der Nase stach. Der musste wohl von dem Laken ausgehen, das über Guineveres Körper bereitet war.
Vorsichtig trat ich neben Kyle.
Er musste genauso wie ich aus dem Bett gescheucht worden sein, denn er trug nur eine gewöhnliche Stoffhose und ein weißes Leinenhemd.
»Kyle?«
Er reagierte nicht, zuckte nicht einmal mit einem Muskel, um zu zeigen, dass er wusste, dass ich hier war. Sein Blick war jediglich auf das Bett gerichtet, als könne er nicht glauben, dass unter dem Tuch sein Weib lag. Ich konnte es genauso wenig glauben, aber im Moment stellte ich seine Trauer über die meine. Es wäre besser, wenn er nicht mit ansah, wenn die Diener und der Heiler Guinevere aus dem Zimmer holten, um sie in die Krypta zu tragen.
Sanft, aber bestimmend griff ich nach seinem Unterarm.
Er zuckte kurz zusammen, rührte sich dann aber nicht weiter.
»Lasst uns in den Saal gehen, Kyle. Ihr könnt nichts mehr für sie tun.«
Zuerst bewegte er sich keinen Millimeter, dann jedoch drehte er den Kopf zu mir, nickte und folgte mir. Gemeinsam verließen wir das Zimmer, wobei er nach meiner Hand griff. Ich verflocht unsere Finger, um ihm Halt zu geben und geleitete ihn in den Saal, wo wir sonst Gäste empfingen. Der Raum wirkte plötzlich düster und viel zu riesig, als wir eintraten und ich ihn zu dem Kamin führte, wo ich ihn auf den großen Stuhl setzte, auf dem er sonst nur saß, wenn er angestrengt nachdachte.
Als ein Diener den Saal betrat und fragte, ob er etwas für uns tun konnte, befahl ich ihm, ein Feuer zu entzünden, denn es war bitterlich kalt. Der Mann gehorchte und häufte Holzscheite in den Kamin, begoss sie mit Öl und entfachte dann ein Feuer. Als er das nächste Mal fragte, schickte ich ihn weg und sagte ihm, dass wir unsere Ruhe wollten.
Eine Weile blieb ich nur vor dem Kamin stehen, schwieg und streckte meine eiskalten Finger dem Feuer entgegen, die einfach nicht auftauen wollten. Meine Gedanken wirbelten umher und nahmen einfach kein Ende. Zwar hatte ich mich in Rhyse verliebt und trauerte natürlich noch immer um ihn, da ich ihn erst vor wenigen Stunden begraben hatte, aber der Schmerz war allmählich stumpf geworden. Aber, um die Art von Trauer zu verstehen, die Kyle empfand, hätte ich wahrscheinlich sehr viel länger mit Rhyse verheiratet sein müssen und hätte mit ihm schlafen müssen. Um zu verstehen, wie es sich anfühlte, diesen Menschen zu verlieren.
»Sie hat gelächelt...«, flüsterte Kyle.
Ich drehte mich zu ihm um und presste die Lippen aufeinander, als ich sah, wie er auf seine Hände starrte.
»Sie lächelte und sagte mir, wie gerne sie mir ein Kind geschenkt hätte.«
»Sie liebte Euch.«, erwiderte ich leise. »Und sie wird Euch immer lieben.«
Er nickte bloß, dann verzog sich sein Gesicht und er schlug die Hände vor das Gesicht. Ich hielt es nicht aus, einen solch beherrschten Mann weinen zu sehen und ging zu ihm, kniete mich vor ihm auf den Boden und ergriff seine Handgelenke. Da er sich nicht die Hände vom Gesicht ziehen ließ, presste ich die Stirn gegen seine Handrücken. Eine ganze Zeit lang schluchzte er nur leise und ich spürte seine Tränen, die ihm den Hals entlang liefen.
»Es werden bessere Zeiten kommen«, flüsterte ich kaum hörbar, um ihm wenigstens irgendeine kleine Art von Trost zu spenden.
Leider ging das in die falsche Richtung los.
Er stieß mich fort und sprang wie von der Tarantel gestochen hoch. Voller Verzweiflung lief er vor dem Kamin auf und ab.
»Und wann?!«, knurrte er. »Ich habe heute meinen Bruder zu seiner letzten Ruhe gebettet und vor wenigen Minuten entglitt mir meine Ehefrau... Wann soll es besser werden?! Dort draußen liegen die Menschen, die ich liebte in der kalten Erde. Meine ganze Familie ist ausgelöscht und, wenn ich das Glück habe, das ich auch die letzten Jahre gehabt habe, dann werde ich selbst eingezogen und werde ihnen folgen. Was soll noch besser werden?«
Verzweifelt blickte ich ihn an, auf dem kühlen Boden sitzend und nicht wissend, was ich sagen sollte. Ich wusste es doch selbst nicht. Ich hatte keine Antworten auf seine Fragen und die Angst, dass auch er für den Krieg eingezogen wurde, saß mir selbst tief in den Knochen. Zudem beschäftigte mich die Trauer von meinem eigenen Ehemann, als dass ich Kyle eine Stütze sein könnte in dieser Zeit.
»Genauso gut könnte ich mir einen Strick nehmen.«, murmelte er.
Entsetzt blickte ich auf und schüttelte den Kopf, stand auf und griff nach seinem Oberarm. »An so etwas dürft Ihr gar nicht erst denken!«, sagte ich bestimmend und zupfte an seinem Hemd, um ihn dazu zu bringen, mich anzusehen.
Nur widerwillig tat er dies.
»Ihr müsst Vertrauen haben. Habt Vertrauen in die Götter.«
Missbilligend schnaubte er. »Die Götter... sie haben mir alles genommen, Elena.« Mit einem Ruck machte er sich von mir los und stapfte davon.
Ich zuckte zusammen, als die Türen des Saals laut krachten und die nächtliche Stille durch schnitten, wie ein Schwerthieb. Mit bebendem Atem blieb ich vor dem Kamin stehen und starrte eine Weile lang in die Flammen. In meiner Brust fühlte ich eine nicht zu ignorierende Leere. Sie ergriff von mir Besitz, ich spürte es ganz genau. Mein Ehemann war fort, bevor ich ihn überhaupt richtig kennengelernt hatte und die Frau meines Schwagers war ihm in den Tod gefolgt. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es war, wenn ein geliebter Mensch ging, den man seit Jahren gekannt hatte. Leider machte Kyle genau das durch und zwar zweifach.
Irgendwann hatte ich genug davon, einfach nur in die Flammen zu starren und ging zu den Türen, durch die Kyle vor einer guten Stunde verschwunden war. Gerade, als ich nach dem Knauf greifen wollte, der mit Kupfer überzogen war, öffnete sich die Tür und Luzie stand vor mir.
Meine Zofe und mittlerweile engste Freundin trug ihre Dienerkluft, jedoch war ihr Haar wirr und nicht in dem üblichen Knoten zusammen gesteckt. Sie hielt einen Morgenmantel in ihrem Arm und lächelte gezwungen, als sie mein blasses Gesicht erblickte.
»Kommt, M'Lady.«, murmelte sie leise und legte mir den dünnen Morgenmantel um die Schultern, der mir mehr Wärme bot, als mein dünnes Unterkleid, das ich die ganze Zeit über getragen hatte.
Schließlich geleitete sie mich in meine Gemächer, wobei wir es vermieden, an Guineveres Gemächern vorbei zu gehen und half mir, mich hinzulegen. Doch, sobald das Licht ihrer kleinen Kerze verschwunden war, kehrte die Einsamkeit zu mir zurück. Durch einen dünnen Spalt in den Vorhängen schien das Licht der beiden Monde und beleuchtete die unangetastete Seite des Bettes, wo mein Ehemann liegen müsste.
Ich starrte die glatte Decke und das aufgeplusterte Kissen minutenlang an, ehe ich mich herum drehte und das Fenster ansah. Es dauerte sicherlich mehrere Stunden, bis ich eingeschlafen war.
Die Hände oberhalb der Hüfte gefaltet, starrte ich auf die Stelle mit der frisch aufgehäuften Erde vor mir, noch Stunden nach Guineveres Beisetzung. Gleich, ob mir diese Frau sehr am Herzen gelegen hatte, so konnte ich nicht mehr weinen. Es war, als wäre ich zu ausgetrocknet von den letzten Tagen des weinens, als dass ich jetzt Tränen für Guinevere vergießen konnte.
Ich blickte auf und sah mir gegenüber Guineveres Eltern und ihre zwei Geschwister mit ihren Ehemännern stehen. Die Mutter der Toten stand ganz stumm da, ihre Augen vom Weinen gerötet, doch vergoss auch sie keine Tränen für ihre jüngste Tochter. Ihr Vater weinte zwar genauso wenig, dennoch sah er noch sehr viel erschöpfter aus, als seine Ehefrau, die sich mit dem Tod ihrer Jüngsten schon längst abgefunden zu haben schien. Die beiden älteren Schwestern Guineveres weinten jedoch bitterlich in den Armen ihrer Ehemänner. Schließlich hatten sie eine Schwester verloren, die ihnen nahegestanden hatte und aus dem, was der Prediger bei Guineveres Beisetzung erzählt hatte, und von dem, was ich bei meinem Gedankenwirrwarr mitbekommen hatte, war sie eine sehr aufgeweckte und fröhliche Frau gewesen, als sie noch nicht krank gewesen war. Mit ihrem wallenden roten Haar und dem rotwangigen Gesicht hatte sie so manchem Wachmann, dem sie daheim ein paar Blümchen gepflückt hatte, den Tag verschönert und weniger grau gemacht. Alle in der Burg Ihkart waren von dem jüngsten Mädchen des Jarls entzückt gewesen, obwohl auch dieses Kind kein männlicher Nachkomme und damit potentieller Anwärter auf die Titel und Ländereien gewesen war.
Es war für mich überraschend gewesen, diese Art von Guinevere zu hören, denn ich hatte sie nur in der Phase ihrer Krankheit kennengelernt.
Mit einem tiefen Seufzen und den Glockenschlägen lauschend, die wohl erst in einigen Stunden aufhören würden, zu leuten, wandte ich mich von diesem neuerlichen Grab im Friedhofshof hinter der Burg ab, raffte mein schwarzes Trauergewand und lief über das feuchte Gras auf den beflasterten Steinweg zurück und ließ die Familie der Toten, in Ruhe Abschied von einer Tochter, einer Schwester und einer Freundin nehmen.
Während ich den Weg zurück in den Bergfried ging, dachte ich an den Moment zurück, als jeder eine Handvoll Erde auf den verzierten Eichenholzsarg geworfen hatte und etwas gesagt hatte zum Abschied. Kyle hatte minutenlang auf den Sarg gestarrt, die Augen trüb und grau, als wäre der lebendige Glanz frischer Knospen nie dort gewesen, hatte die Erde genommen und auf den Sarg geschüttet. Noch im selben Augenblick hatte er sich umgewandt und war zwischen den Trauergästen hindurch gestürmt und hatte die Beerdigung seiner Frau verlassen.
Ich konnte es ihm nicht einmal übel nehmen, dass er Guineveres Eltern gegenüber ein schändliches Benehmen gegenüber an den Tag gelegt hatte, denn es war mir bei Rhyse Beerdigung nicht anders ergangen. Am liebsten hätte ich meinen Rock gerafft und wäre davon gerannt, nur, um der Wahrheit nicht ins Gesicht blicken zu müssen, dass Rhyse mich verlassen hatte, noch bevor wir die Chance gehabt hatten, glücklich zu sein. Ein Jahr... nur ein Jahr hätte ich mir mit ihm gewünscht, das war doch nicht zu viel verlangt.
Seufzend betrat ich die Halle, in der Kyle und ich vor zwei Tagen gesessen hatten, kurz nach Guineveres Ableben, und starrte die grauen Wände mit den Portraits und ausgestopften Tierköpfen an, welche ihre toten Augen auf mich zu richten schienen und mich verhöhnten.
»M'Lady?«
Ich wandte mich zu Luzie um, die in der Tür zur Halle stand und mich vorsichtig anblickte. »Ja, Luzie?«
»Leandra hat einen Eintopf gekocht... wollt Ihr etwas davon?«
Mit trüben Augen blickte ich in das Kaminfeuer, das mich doch nicht im mindesten wärmte. »Ich habe keinen Appetit... ich möchte nur alleine sein.«
Ich hörte sie einen Schritt in die Halle treten. »Aber, M'Lady... Ihr werdet immer magerer...«
Tief ein atmend schloss ich die Augen und faltete die Hände, drehte ihr kühl den Rücken zu. »Das wäre alles, Luzie.«
Sie seufzte, dann hörte ich, wie sich ihre Schritte entfernten.
Ich brauchte Zeit, um mich daran zu gewöhnen, wie still diese Hallen ab jetzt sein würden. Rhyse hatte immer Leben in diese dunklen Gemäuer gebracht und vor allem in das Haus Borton. Aber jetzt war er fort und Guinevere, die der Dreh- und Angelpunkt in Kyles Leben gespielt hatte, war ihm am selben Tag seiner Beisetzung gefolgt. Ab jetzt würde ich ganz alleine mit Kyle am großen Tisch speisen, so, wie ich es zwar schon die letzten Monate getan hatte, aber nun in dem Gewissen, dass mein Ehemann nicht wiederkommen würde.
Ich zuckte zusammen, als ich es wieder einmal am Ende des Ganges scheppern hörte. Es krachte so laut, dass ich mir am liebsten nicht vorstellen wollte, was er nun wieder durch die Gegend geworfen hatte.
Zwei Wochen waren seit Guineveres Tod vergangen. Zwei Wochen, seitdem die Haus- und Hofherrin tot war und es kam mir bereits vor wie Monate. Die Tage vergingen zähflüssig, denn im Bergfried herrschte eine unerträgliche Stille, die in den Ohren beinahe schmerzte. Mein Verstand war vernebelt und mein Geist aufgewühlt.
Die Dienerschaft hatte sich zurückgezogen, wie die Ratten ein sinkendes Schiff. Und ich kam mir vor, als hätte man mich an den Mast gekettet, damit ich nicht entkommen konnte.
Für meine Trauer um Rhyse hatte ich kaum Zeit, da ich tagtäglich damit beschäftigt war, Männer und Frauen zusammenzuziehen, damit die Aufgaben erledigt wurden. Damit der Kamin jeden Tag entzündet wurde und Wärme spendete, damit die Pferde in den Stallungen des Jarls mit Heu und Wasser versorgt wurden, damit der Boden gekehrt, die Möbel geschruppt und Spinnweben entfernt wurden. Damit die Briefe und Bittgesuche angenommen und bearbeitet wurden und die Ernennungen gemacht wurden. Praktisch die ganze Arbeit lag nun bei mir, da ich als einzige Frau - und einzige klar denkende Person - nun die Haus- und Hofmeisterin und 'Jarl' in einem war.
Und doch vermisste ich des nachts jemanden an meiner Seite. Jede Nacht erblickte ich im fahlen Mondschein die leere, unangetastete Seite des Bettes neben mir und wünschte mir, dass der warme, feste Körper meines Ehemannes dort liegen würde. Manchmal, wenn Abends die Sehnsucht nach ihm übermächtig war, träumte ich wirre Dinge. Ich träumte von Dingen, die Rhyse und ich niemals gemacht hatten, es aber in der Hochzeitsnacht getan hätten, wäre sein Einzug in die königliche Armee nicht gewesen.
Schon wieder krachte ich und ich hörte etwas zersplittern.
Wütend fuhr ich hoch und spürte, wie meine Ohren vor Wut anfingen zu glühen.
Das passierte auch ständig.
Kyle war so zerfressen von Hass auf diese Welt und der Trauer um sein Weib, dass er trank, sich kaum noch in der Burg blicken ließ und jeden Abend irgendwas an die Wände warf, dessen Lärm mich kein Auge zumachen ließ. Ich hatte mir schon oft die Fragen des oberen Adels anhören müssen, wo der Jarl von Krähenfurt war und, weshalb er ein Weibsstück vorschickte, seine Arbeit zu verrichten. Oftmals hatte ich mich ermahnen müssen, mich nicht wie die normale Adelstochter zu verhalten, sondern so stolz zu sein, wie mein Stand es von mir verlangte. Es war noch immer ungewohnt, zur Familie des Jarls zu gehören, sodass ich den alten Männern ihr unflätiges Verhalten häufig genug, nicht übel nahm. Aber in den letzten Tagen hatte ich gelernt, was es hieß, wie eine wahre Borton zu sprechen.
Und genau das trieb mich dazu an, mich aufzurichten, die Decke zurück zu schlagen und aufzustehen. Ich nahm den Morgenmantel von der gepolsterten Bank, die an meinem Schminktisch stand, warf diesen über und verließ mit wütenden Schritten mein Zimmer. Schon von weitem sah ich im Gang, das Licht, welches durch einen Spalt breit aus Kyles Gemächern auf den Gang schien.
Er war wach - und betrunken.
Mir dessen durchaus bewusst, schritt ich barfuß so würdevoll wie irgendmöglich zu der angelehnten Tür und stieß sie auf. Mir schlug der Geruch von Alkohol entgegen und meine Augen erblickten das Chaos in seinem Zimmer. Eine teure Cocnagflasche lag zersplittert auf dem Boden und der Inhalt hatte sich zu Kyles Füßen ergossen, tränkten das dicke Bärenfell, welches vor seinem Kamin lag. Ein Stuhl lag umgefallen auf dem Boden neben seinem kleinen Esstisch und einem anderen Stuhl fehlte eines seiner vier Standbeine.
Tief durchatmend, rieb ich mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Was, bei den sechs Göttlichen, treibst du hier überhaupt?!«
Verwundert drehte sich Kyle zu mir um, wobei er gefährlich schwankte und sich gerade noch am Pfosten seines Himmelbettes abstützen konnte. »Was... ich hier treibe...? Siehst du doch, oder hast du keine Augen im Kopf, Weib?«, brabbelte er vor sich hin, torkelte zum Tisch hinüber und ergriff einen Kelch, in dem eine dunkle Flüssigkeit schwappte.
Das war mir ehrlich zu viel des Guten.
Entschlossen stapfte ich zu ihm, wobei ich aufpassen musste, mir die nackten Füße nicht aufzuschneiden, da die Glassplitter bis hier her geflogen waren. Dann ergriff ich den Kelch, welchen er sich soeben an die Lippen setzen wollte und knallte ihn auf den Tisch.
»Verdammt noch mal, Kyle!«, knurrte ich. »Ich habe allmählich genug von deinem Schandbenehmen! Seit zwei Wochen trinkst du, wie ein Loch, so viel Wein gibt es gar nicht! Du überlasst deine Leute ihrem Schicksal, als wäre es dir vollkommen egal, ob hier das Chaos ausbricht oder nicht. Und du wirfst mit Dingen, so laut, dass ich nicht mehr schlafen kann!«
Für einen Moment schienen sich seine Augen zu klären und er verstand, doch im nächsten Augenblick, machte er sich von mir los und torkelte zum Bett. »Das ist mir egal... alles ist mir egal...«
Bevor er sich hinsetzen konnte, ergriff ich grob seinen Hemdärmel und riss ihn daran zu mir herum. »Mir ist es aber nicht egal! Ich vermisse Rhyse auch und auch Guineveres Tod ist mir gewiss nicht gleichgültig, Kyle. Und ja, du kannst mir sagen, dass ich vielleicht nicht lange genug in eurer Familie gelebt habe, um den Schmerz zu verstehen, den du bei ihrem Verlust empfindest, aber aufgeben ist noch lange keine Lösung. Das Leben geht weiter, egal, wie sehr du dir wünscht, dass die Zeit still steht. Man muss die Zähne aufeinander beißen und weitermachen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Rhyse und Guinevere dich so sehen wollten. Trinkend wie ein alter Sack und pöbelnd, wie ein Bauerntrampel.«
Gefühlte Stunden blickte er mich einfach so an, die grünen Augen leer und trostlos, dann seufzte er kaum hörbar.
»Du hast ja recht.«
Zustimmend nickte ich. »Ich weiß.«, murmelte ich und atmete bebend ein und aus, wobei mir beinahe die Tränen kamen, die ich noch vor gar nicht langer Zeit für versiegt gehalten hatte. »Ich vermisse Rhyse auf eine Weise, die du nicht nachvollziehen kannst. Und du Guinevere, wie ich es niemals verstehen werde. Aber verdammt, Kyle, wir müssen jetzt zusammen halten. Vor allem wir, denn wir haben nur uns.«
Er nickte, dann setzten wir uns auf sein Bett und ließen alles Revue passieren. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis er schließlich anfing zu sprechen. Da es mir unhöflich erschien, etwas zu sagen, hörte ich ihm einfach nur zu.
»Ich habe mich von Anfang an in sie verliebt... Es war ein Ball vor sechs Jahren. Sie war gerade achtzehn geworden und begleitete ihre Eltern nach Krähenfurt, um eventuell einen Adligen zu finden, den sie heiraten könnte. Und ich habe von meinem Vater einen Vortrag darüber bekommen, wie wichtig eine Heirat in meinem Alter wäre... und dann war sie da. Ich habe sie angesprochen und... es passte einfach. Wir heirateten, vollzogen die Ehe und zur Krönung meines Glückes, wäre ein Sohn perfekt gewesen.« Er schwieg und runzelte die Stirn. »Das erste Mal, als ich etwas von ihrer Krankheit bemerkte, war, als meine Eltern schon längst unter der Erde lagen. Beim Essen ließ sie die Gabel fallen. Ihre Hand zitterte so stark... und dann hatte sie diesen Anfall. Sie zuckte wie eine Besessene und ich hörte schon die Diener rufen, dass ein Dämon in ihr wohnen sollte. Ich wusste nicht, ob es gut war, zu hören, dass sie nicht besessen war, dafür aber eine Krankheit ihr Gehirn und ihr Denken zerfraß.«
Schweigend saß ich da und hatte die Hände inneinander verkrallt. Zwar hatte ich gehört, dass Guinevere krank war, aber was genau sie gehabt hatte, das hatte ich nicht gewusst. Und, dass sie sogar als Dämon beschimpft worden war, da die einfache Dienerschaft glaubte, ein Dämon würde in ihr sein, setzte dieser markaberen Geschichte auch noch das Häubchen auf.
»Als der Heiler uns dann auch noch sagte, dass sie diese Krankheit an unsere Kinder vererben könnte und sie und jeder, der diese Krankheit hat, daran sterben würde, wollte sie auch nicht mehr bei mir liegen. Sie wollte mich gar nicht mehr um sich haben, damit ich nicht sah, wie sehr sie wirklich litt... und welche Schmerzen es mir damit zufügte.«, murmelte Kyle leise.
Als er nichts mehr sagte, ergriff ich seine Hände und hielt sie einfach nur fest. Eine ganze Weile saßen wir nur so da und hielten einander fest, Kyle hatte seine Finger irgendwann in meinen verflochten und die Stirn gegen meinen Kopf gelehnt. Ich sagte nichts und bewegte mich auch nicht, da ich ihm einfach ein Anker sein wollte, auch, wenn ich selbst einen gebraucht hätte.
Ich war noch lange nicht über Rhyses Tod hinweg und es würde noch eine Weile dauern, bis ich es war. Aber Kyle erschien mir im Augenblick sehr viel wichtiger, als ich.
»Sie fehlt mir.«, murmelte er leise und sein warmer Atem streifte meinen Hals.
»Ich weiß«, flüsterte ich und strich ihm über die stoppelige Wange. »Aber wir müssen zusammenhalten, Kyle. Wir haben nur noch uns. Das schulden wir Guinevere und Rhyse einfach.«
Leicht nickte er und seufzte. »Komm. Ich bringe dich zu deinem Zimmer.«
»Ich... ich weiß nicht. Ich sollte alleine gehen.«, murmelte ich beschämt, da es mir doch etwas seltsam vorkam, dass Kyle mich zu meinem Zimmer begleiten wollte. Das hatte er noch nie getan.
»Ich will nur sichergehen, dass du sicher bist.«, erklärte er mir leise.
Der Ausdruck in seinen Augen sagte mir, dass er keine Widerworte duldete, sodass ich mich fügte und mich vom Bett erhob. Kyle folgte mir, leicht schwankend zu meinen Gemächern zurück und wir blieben vor der Tür stehen und schwiegen einen Augenblick.
»Ich... werde dann wohl hineingehen... ich wünsche Euch eine gute Nacht.«, murmelte ich höflich und verzichtete dabei auf die vertraute Anrede, da es mir falsch vorkam. Die letzten Wochen waren furchtbar gewesen und wir hatten auf die höfliche Anrede verzichtet, da wir einander Trost spenden wollten. Doch jetzt war die Zeit der schlimmen Trauer allmählich vorbei und wir mussten uns wieder respektvoll gegenüber des anderen verhalten.
Kyle blickte mich noch einen langen Augenblick an, dann nickte er, beugte sich über mich und öffnete die Tür. Der Geruch von Schweiß und zu viel Wein war übermächtig und raubte mir für wenige Sekunden den Atem. Rasch machte ich, dass ich in mein Zimmer kam und schloss hinter mir die Tür.
Atemlos lehnte ich mich dagegen und wartete angespannt, bis Kyles Schritte verklungen waren.
Dann ließ ich mich mit klopfendem Herzen gegen die Tür sinken und seufzte leise. Ich hatte das Gefühl, dass seit Guineveres Tod etwas anders war.
Die Wochen verstrichen in rascher Folge. Der Herbst erreichte seinen Höhepunkt und gab seine nassen regnerischen Tage an den eisigen, nordischen Winter ab. Bald schon überzog eine dichte, weiße Schneedecke das Land und die Zeit schien stillzustehen.
Die Bauern hatten ihre Felder für den Winter fertig gemacht, ihre Ernte eingelagert und ihren Tribut an ihren Lehnsherrn gezahlt, wie es zu den letzten Herbsttagen üblich war. Nun sah man kaum noch Menschen auf den Feldern im umliegenden Land. Die Bauern hatten sich auf den Winter vorbereitet, ihr Vieh in den Ställen versorgt und ihre Herdfeuer entzündet. Die einzigen fleißigen Männer dort draußen waren nach wie vor die Jäger und Holzfäller, die Krähenfurt weiterhin mit Fleisch und Holz versorgten.
Die Tage in der verwitterten, alten Burg, die mir sonst immer eine Heimat gewesen war, wurden dunkel und kühl. Das Personal kümmerte sich gewissenhaft um seine Aufgaben und zog sich ansonsten so zurück, dass man meinen könne, allein in den riesigen Hallen zu sein.
Kyle bekam ich seltener zu Gesicht, da er vollends damit beschäftigt war, meinem Rat zu folgen und seine Position als Burgherr wieder ernst zu nehmen. Er kümmerte sich um die Ernennungen der Stallmeister, des Falkners und seiner Berater, während ich damit beschäftigt war, mit den wenigen angesehenen Frauen von Krähenfurt, Teekränzchen zu halten oder einer Handarbeit nachzugehen. Es war, als wären wir Fremde, die aneinander vorbei lebten, obwohl wir durch Rhyse verbunden sein müssten. Aber das schienen wir nicht mehr zu sein, jedenfalls nicht mehr so, wie vor wenigen Monaten.
Ich merkte, dass Kyle seit dem Abend, als ich versucht hatte, ihm Mut zu machen, kühl und distanziert war. Rhyses Tod hatte ihm ein Loch in die Brust geschlagen, dass niemand mehr zu füllen vermögen würde. Er hatte eine Leere hinterlassen, von der ich bereits fest glaubte, dass sie für immer in diesen Hallen vorhanden sein würde. Sein fröhliches, aufgewecktes Gemüt fehlte hier einfach.
Und es verfolgte mich im Schlaf.
Oftmals träumte ich davon, wie Rhyse und ich zusammen waren. Beieinander lagen und uns liebten. Noch immer fragte ich mich, wie es sich anfühlte. Ob es gut war, oder so furchtbar, wie meine Mutter es immer beschrieben hatte.
Aber daran konnte ich nicht denken. Es gab so viele wichtigere Dinge, an die ich denken musste.
Ich schreckte auf, als die Tür zu meinen Gemächern geöffnet wurde. Eine Zofe stand darin. Die einfache Dienerkluft schien sie kaum ausreichend zu wärmen und unter dem verwaschenen Häubchen auf ihrem Kopf, steckte mausblondes Haar. Ihre graublauen Augen blickten mich schüchtern an.
»MLady, Lord Borton ist von der Jagd heimgekehrt und verlangt, Euch zu sehen.«, murmelte sie mit einem Knicks.
Ich erhob mich von dem Schemel, auf dem ich gesessen und einer Handarbeit nachgegangen war und strich mein schwarzes Trauergewand glatt. Kyle wollte mich sehen? Das kam selten vor, besonders in den letzten Tagen. Vor einer Woche war er überstürzt zur Jagd aufgebrochen und hatte mich samt seiner Aufgaben stehen lassen. So hatte ich mich notgedrungen um die Bittsteller des Umlandes kümmern müssen, ohne genau zu wissen, was ich zu tun hatte.
»Sagt ihm, dass ich gleich da bin.«, erwiderte ich und legte meine Handarbeit sorgsam in einen Korb, ehe ich zu dem Spiegeltisch hinüber ging.
Als die Zofe fort war und die Tür geschlossen hatte, setzte ich mich seufzend auf die gepolsterte Bank und überprüfte mein Aussehen. Aus dem lockeren Knoten, den ich mir heute morgen selbst gebunden hatte, hatten sich einige meiner rostbraunen Strähnen gelöst, aber das war mir gleich. Ich strich über den spitzenbesetzten Halskragen des Kleides, das bis obenhin geschlossen war und seufzte. Am Anfang hatte ich dieses Kleid verabscheut, da es mich jeden Tag an den Tod meines Ehemannes erinnerte, doch nun konnte ich mir kaum vorstellen, wieder diese freizügigen, fröhlichen Kleider anzuziehen, die ich vor meiner Hochzeit getragen hatte.
Mit einem entschlossenen Kopfschütteln, erhob ich mich, raffte den Rock und trat auf den Gang. Unter meinen Schuhen klackte der Stein.
Etwas nervös trat ich in die große Halle.
Im Kamin züngelte ein Feuer vor sich her und direkt davor standen Kyle und zwei ältere Gräfe, die er als seine obersten Berater, beinahe immer an seiner Seite hatte. Die beiden Männer hatten mich noch nie besonders gemocht und ich konnte voller Stolz sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte.
Ich reckte das Kinn vor und trat zu ihnen. »Ihr wolltet mich sehen, Lord Borton?«
Kyle wandte sich mir zu, sein Gesicht war eine eiserne Maske. Das schwarze Haar hing ihm etwas zu lang in der Stirn und sein Bart konnte man kaum noch als gepflegt bezeichnen. Er trug eine lederne Rüstung samt Umhang auf dem die Weiße Krähe seines Hausbanners prangte.
»In der Tat«, antwortete Graf Tremis anstatt Kyle.
Ich warf dem Grafen einen missmutigen Blick zu.
»Lord Borton und wir haben uns eingehend über... Eure Situation beraten.«, fuhr Graf Rainag unbeirrt fort.
»Meine Situation?«
Er nickte. »Es sind bereits zwei Monate nach Rhyses Tod vergangen und wir sind der Meinung, dass diese Zeit, als Trauerzeit ausreichend ist.«
Graf Tremis trat einen Schritt nach vorn. »Wir haben uns darüber ausgetauscht, dass es an der Zeit wäre, dass Ihr einen neuen Ehemann bekommt. Die Zeit sitzt uns im Nacken und das Volk zweifelt allmählich daran, dass das alles mit rechten Dingen zugeht. Was Euch betrifft.«
Ich war sprachlos. Ich konnte es schlichtweg nicht fassen, was diese beiden Männer mir da sagten. Zwei Monate war Rhyses Tod bereits her? Es kam mir unendlich lang vor und dennoch nicht lang genug, um die Trauerzeit jetzt schon zu beenden, die schützende Schale, die mir das Trauergewand bot, abzulegen und einen neuen Mann zu ehelichen. Das war schlichtweg noch zu früh!
Doch was mich an all dem am meisten ärgerte und fassungslos machte, war, dass mir diese beiden alten Säcke das sagten und Kyle nicht den Mut besaß, mir das zu sagen.
Ich kämpfte mit den Tränen, schluckte sie mühevoll hinunter und starrte Kyle an. »Seid Ihr ebenfalls dieser Meinung?«
Unbeteiligt blickte er zurück.
»Er ist unserer Meinung.«, sagte Graf Tremis. »Die Situation wird zu heikel. Es scheinen Informationen nach außen gelangt zu sein, dass Rhyse Euch vor seiner Abreise nicht bestiegen hat und Eure Ehe somit ungültig ist. Wir können nicht riskieren, dass sich unsere Feinde auf diese Art von Informationen stürzen wie Aasgeier. Und Feinde haben wir in diesen Zeiten, weiß Gott, genug!«
Ich konnte es nicht fassen, wie sie über mich sprachen. Dass sie es wagten, so etwas intimes anzusprechen, wie das, was zwischen Rhyse und mir war oder nicht.
Meine Ohren glühten vor Wut, als ich zum Protest ansetzte.
Kyles dominante Stimme hinderte mich daran. »Wir haben entschieden, dass Ihr heiraten werdet. Und zwar in zwei Tagen.«
Ich starrte ihn unbeweglich an.
Und ich wusste, dass ich mich nicht gegen sein Urteil stellen konnte. Dazu hatte ich zu wenig Einfluss, weshalb ich mir auf die Unterlippe biss und zu Boden starrte. Als ich mich soweit gefasst hatte, dass ich sprechen konnte, blickte ich ihn an. »Und wen soll ich heiraten, MLord?«
Das letzte Wort spuckte ich beinahe.
Kyle verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Ihr werdet mich heiraten.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an.
In diesem Moment blieb mein Herz stehen und ich glaubte mich in einem Alptraum.
Die Zeit schien stillzustehen, während ich auf die Poeinte wartete. Aber der Höhepunkt dieses makaberen Witzes kam einfach nicht. Je länger ich so dastand und wartete, desto unwirklicher wurde das ganze. Kyle stand nach wie vor da und blickte mich mit einem Ausdruck in den Augen an, den ich im besten Fall, als reservierte Gleichgültigkeit bezeichnen würde.
Graf Tremis und Graf Rainag standen ebenfalls da in ihren aufwändigen, bunten Gewändern und sahen mich auffordernd an. Sie warteten nur darauf, dass ich mich beugte, das sah ich ihren widerlichen, schwabbeligen Gesichtern an. Sie verspotteten mich, als ob ich an Rhyses Tod Schuld war. Als ob ich daran Schuld war, dass ich noch unberührt war.
Fassungslos wandte ich mich Kyle zu. »Das kann nicht Euer Ernst sein«, flüsterte ich heiser.
Ungerührt starrte er zurück. »Das ist mein vollster Ernst.«
»A-aber... Rhyses Tod ist erst zwei Monate her! Ihr habt mir eine Trauerzeit von einem Jahr gestattet!«
Zum Ende des Satzes schnellte meine Stimme in die Höhe, da ich es noch immer nicht ganz begriff.
»Besondere Zeiten, erfordern besondere Maßnahmen, meine Liebe.«, tadelte mich Graf Tremis. »Ihr seid fast siebzehn, ohne Gemahl, ohne Erben. Und in diesen Zeiten benötigt man den Rückhalt einer Familie, um nicht unter zu gehen. Lord Borton ist die beste Partie, die Euch zur Verfügung steht.«
Ich funkelte ihn an. »Ich interessiere mich aber nicht für irgendeine Partie.«
Graf Rainag sog scharf die Luft ein. »Gnädigste, das ist äußerst unklug. Einen Mann wie Lord Borton zu ehelichen sollte für Euch eine Ehre sein. Ihr werdet Euch an den Gedanken gewöhnen, bald seine Söhne auszutragen. Damit ist das Thema beendet.«
Es war wie eine Ohrfeige, von zwei fremden alten Säcken gesagt zu bekommen, dass ich bald Kyles Kinder gebären würde. Die interessierten sich doch auch sonst für alles.
»Elena«, raunte mir Kyle zu und blickte mich jetzt direkt an.
Nur widerwillig wandte ich mich ihm zu. »Ihr habt mir versprochen, ein Jahr zu warten, bis ich wieder heiraten muss.«
Er wurde wieder ernst, der Anflug des Mitleids war verschwunden. »Ich brauche einen Erben, ansonsten ist meine Blutlinie zu Ende. Und nirgends im Umkreis werde ich in diesen Zeiten eine Braut finden, die meinem Stand entspricht. Ich muss Euch zur Frau nehmen und ich brauche einen Erben von Euch.«
Ich war schlichtweg zu aufgewühlt, um zu antworten. Darum ging es hier also. Er sah sein Haus als bedroht und fürchtete, dass, wenn er jetzt keinen Erben zeugte, dass seine Blutlinie ausstarb und vergessen war. Und ich sollte als Zuchtstute herhalten.
Ich biss mir auf die Unterlippe und zwang meine Stimme zur Ruhe. »Ich habe wohl kein Recht, mich gegen Eure Entscheidung aufzulehnen.«, sagte ich und funkelte ihn hasserfüllt an. Niemals würde ich ihm verzeihen, was er getan hatte. Rhyse war sein Bruder gewesen und es war einfach unverzeihlich, dass er es wagte, zwei Monate nach seinem Tod, die Braut seines Bruders zu seinem Eigen zu machen.
Ich fragte mich kurzzeitig, ob er es auch wagen würde, mich zu ehelichen, wenn Rhyse und ich beieinander gelegen hätten.
Ich starrte in das bleiche Gesicht, das mir im Spiegel gegenüberstand. Nicht einmal das roséfarbene Puder gab meinem Gesicht eine gesunde Gesichtsfarbe. Und das weiß silberne Kleid, das ich vor unendlich erscheinenden Wochen getragen hatte zu meiner ersten Hochzeit, wirkte wie Ketten um meinen Körper. Ich würde es tragen, wenn ich den ehelichen Bund mit Kyle eingehen würde, ich würde es bei dem Fest tragen, das danach stattfinden würde und ich würde es tragen, wenn Kyle mich zu seinem Gemach führen und entjungfern würde.
Die ganze Zeit über würde ich es tragen, bis mein Schwager und gleichzeitiger Ehemann es mir vom Körper schälen würde. Heftig schluckte ich, um die aufkeimenden Gefühle zu ersticken. Angst und Panik schnürten mir die Kehle zu, bildeten einen kalten Klumpen in meiner Magengegend, der sich wie ein Stein anfühlte. Ein Riese schien auf meiner Brust zu stehen.
Die stillen Zofen huschten durch den Raum, erledigten Dinge, die längst getan worden waren, nur um mich weiterhin anzustarren. Jeder wusste vermutlich, dass Rhyses und meine Ehe ungültig war und das Personal interessierte sich brennend für Klatsch und Tratsch. Dass Kyle mich jetzt zu seinem Eigentum machte, sorgte für genügend Gesprächsstoff.
Ich stieg von dem Podest herunter und setzte mich vor meine kleine Schminkkommode, sodass die Zofen mein Haar kunstvoll hochstecken konnten. Sie flechteten es und banden es wie eine dicke gekräuselte Schlange um meinen Kopf, steckten es fest. Mein Haar glänzte seidig im Schein der Fackeln, da die Mädchen es mit Öl und einem Kamm bearbeitet hatten. Als sie fertig waren, erhob ich mich und ich hob die ausladenen Röcke an, stieg mit meinen, in Strümpfen verhüllten, Füßen in die hochhackigen Sandalen.
Anschließend verließen wir die Burg und gingen zur Kapelle. Auf dem Weg schlossen sich mir eine Garnision Soldaten an, die mich durch die Pflasterstraßen der Burg bis zum Tempel eskortierten. Doch diesmal hatte meine Hochzeit nichts Fröhliches. Es strahlte kein Sonnenschein auf mich herunter. Weder Vögel zwitscherten, noch hörte ich auf aufgeregte Gemurmel und Gejubel der Bewohner. Keine Blumen wurden auf die Straße geworfen, die meinen Weg zum Tempel begleiteten. Keine Glückwünsche, keine freundlichen Worte, keine herzliche Stimmung. Diesmal beäugten mich vermummte Gestalten auf den Nebengassen, neugierige Augenpaare starrten mich hinter vorgezogenen Vorhängen hinter verglasten Fenstern an. Der Himmel war grau und trüb und ein eisiger Wind pfeifte mir durch die Schlitze des Kleides, hinterließ eine Gänsehaut und ließ mich frösteln. Kein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Wie auch? Die meisten waren aus dem Norden geflohen, solange sie noch konnten. Niemand wollte sich in die Machtverhältnisse der nordischen Häuser einmischen.
Beim Tempel angekommen postierten sich die Soldaten vor dem Eingang und ich wurde von den Lords, die diese Verbindung scheinbar mehr wollten, als Kyle, ins Innere des Tempels. Dort erwartete mich nicht die halbe Burg, wie bei meiner ersten Hochzeit. Hier stand niemand außer dem Geistlichen, Kyle und die Lords und Grafen. Keine Frau, die Blumenblüten auf den Boden streute, niemand der die ikhartischen Gesangsbücher verteilte, damit die Leute die Andachten nachlesen konnten. Nicht einmal jemand, der Musik spielen würde oder ein Chor, der die Hallen mit seinem Gesang erhellen konnte. Nichts ließ auf eine Hochzeit schließen, nichts auf Fröhlichkeit oder dem Neuanfang einer glücklichen Ehe.
Kyle stand neben dem Geistlichen, der sichtlich nervös seine Schriften in den Händen hielt. Er sah nicht aus, als wäre er freiwillig da. Vermutlich wollte er sich auch viel lieber verstecken. Ich starrte Kyle nur an, der in seiner Soldatenuniform dastand. Sein Brustpanzer war poliert worden, seine Stahlstiefel glänzten ebenso und der Raum spiegelte sich in seiner Rüstung. Zum ersten Mal seit Tagen hatte er saubere Haare und sein Gesicht war rasiert worden, seine behandschuhte Hand ergriff meine, um mich die wenigen Stufen zum Altar hinauf zu holen.
Mein Gesicht blieb eine unbewegliche Maske, genauso wie seines, als der Priester mit der traditionellen Rede begann. An das meiste konnte ich mich nicht mehr erinnern. Der rundliche, ängstlich dreinschauende Mann sprach und sprach und sprach. Irgendwas über Liebe, Aufopferung und Treue. Ich stand da wie eine unbewegliche Marionette, ließ die Blicke der alten Lords über mich hinweggleiten, bis uns einer von ihnen, Lord Tremis, den Zeremoniendolch reichte. Kyle ergriff ihn und nahm meine Hand zart in seine. Er setzte die Klinge auf meiner Handfläche an und ich wagte es nicht zusammenzuzucken oder nur eine Miene zu verziehen, als er mein Fleisch eröffnete und mein roter Lebenssaft hervor quoll.
Doch, als er den Dolch auf seine Handfläche setzen wollte, packte ich den Griff so unvermittelt, dass er benommen innehielt. Totenstille herrschte im Saal, keiner der Lords schien auch nur zu atmen. Die Tradition verlangte, dass der Mann die Führung darin übernahm und die Schnitte ausführte. Aber hierbei ging es schon lange nicht mehr um Traditionen. Es wäre Tradition gewesen, wenn Rhyse und ich unsere erste gemeinsame Nacht miteinander verbracht hätten. Es wäre Tradition gewesen, wenn ich nach seinem Tod, ein Jahr hätte trauern dürfen. Aber all das blieb mir verwehrt. Jetzt konnte er auf diese Tradition auch verzichten!
Unwillig ließ er den Dolch los und ich griff nach seiner Hand, setzte die Klinge an und ließ sie quälend langsam in sein Fleisch eindringen. Er verzog vor Schmerz das Gesicht, doch ich starrte ihn ausdruckslos an, beobachtete jede Regung, je mehr ich die Klinge über seine Hand zog. Als ich fertig war, hielt ich Lord Tremis mit einem kalten Blick den Dolch hin. Er nahm ihn stumm entgegen.
Unser Blut vermischte sich, unsere Häuser verbanden sich, unsere Seelen verschmolzen miteinander. Wir waren Mann und Frau.
Das Fest fand in winzigen Kreisen statt.
Die Halle war jediglich gefüllt mit den Lords und Grafen und einigen Edeldamen, denen nichts anderes übrig geblieben war, als zu erscheinen. Einige verbliebene Diener servierten Hefekuchen, gebratene Tauben und alles, was man noch hatte auftreiben können. Es gab nicht mehr viel, das gemeine Volk floh und die Landwirtschaft außerhalb der Bergfeste war beinahe zum Erliegen gekommen. Jedoch schien man genug Wein aufgetrieben zu haben, dass sich Kyle scheinbar alle zehn Minuten den Kelch neu füllen konnte. Ich saß steif da und lauschte den angespannten Klängen eines verschwitzten Musikers, der an einer Laute zupfte.
Irgendwann, die Sonne war bereits untergegangen, erhob sich Kyle ruckartig von seinem Stuhl, sodass dieser an der Wand hinter ihm landete. Das Krachen ließ alle Gespräche verstummen und alle Blicke waren auf meinen neuen Ehemann gerichtet. Dieser starrte jedoch nur mich an. Auffordernd. Besitzergreifend. Seine Augen funkelten fiebrig vom Wein.
Langsam erhob ich mich und reckte das Kinn, um einen Rest an Würde zu behalten, den ich noch besaß.
Wortlos lief Kyle voran, durchquerte die Menschenmenge und ging zum Gang hinaus, der unweigerlich zu seinen Gemächern führte. Ich folgte ihm langsam durch die Gäste hindurch. Meine Beine begannen zu zittern, je weiter ich kam und schließlich, als ich zur Tür kam, begann mein Herz wie wild zu pochen. Im Gang herrschte Stille. Nur Kyles Stiefelschritte waren im Gang zu hören, dann das Tappeln auf Treppenstufen. Ich folgte ihm langsamer bis ich im zweiten Stock vor seiner Tür stand. Sie war leicht angelehnt und im Innern vernahm ich das Rascheln von Kleidung. Ich atmete einmal kurz durch, dann stieß ich die Tür auf und schloss sie leise hinter mir.
Kyle stand mitten im Zimmer am Tisch und goss sich Wein in einen Kelch ein, dann schwenkte er den Kelch und kostete von dem süßen Gesöff. Ich beobachtete ihn. Den Mann, der einst so groß und glänzend gewesen war, jetzt war er nur noch ein Schatten seiner Selbst. Hatte er seitdem ich ihn kannte, nie Alkohol getrunken, so war er jetzt kaum noch vom Trinken abzuhalten. Er sah blass aus, sein Gesicht wirkte älter, als er tatsächlich war und er hatte nichts mehr von dem strahlenden großen Bruder Rhyses gemeinsam.
Langsam drehte er sich um und starrte mich an, die Hand mit dem Kelch zitterte leicht, so betrunken war er bereits.
Meine Atmung verschnellerte sich, meine Hände zitterten vor Furcht. Ich senkte den Blick und presste die Lippen aufeinander, um die Tränen zu unterdrücken. Was konnte mir Kyle noch antun? Er konnte mir Schmerzen zufügen, er konnte mich zu Dingen zwingen, die ich nicht wollte, doch er konnte mich nicht noch mehr zerbrechen, als ich es eh schon war.
Ich hatte Rhyse geliebt. Zwar hatten wir nicht viel Zeit miteinander gehabt und vielleicht konnte diese Art von Liebe, die ich für ihn empfunden hatte, nicht die gleiche Art von Liebe sein, die ein Ehepaar empfand, wenn es lange verheiratet war. Dennoch verspürte ich den Schmerz eines gebrochenen Herzen. Und nun zwang sich mir Kyle auf eine grausame Art und Weise auf. Er zwang mich, mit ihm zu schlafen, ihm einen Erben zu schenken, ihm treu zu sein.
Meine Hand ergriff die Schnührung meines Hochzeitskleides. Minuten vergingen, die sich wie Stunden anfühlten. Kyle sah mir unverwandt in die Augen, während ich mein Korsett löste, das Überkleid und Unterkleid abstreifte. Meine Knospen erblühten, als ein kühler Luftzug meine nackten Brüste streifte. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Meine Finger streiften den Unterrock hinunter, bis ich beinahe nackt vor meinem Ehemann stand. Nur die Strümpfe verhüllten meine schlanken Beine bis zur Hälfte meiner Oberschenkel. Noch nie zuvor hatte ich nackt vor einem Mann gestanden. Nicht einmal Rhyse hatte mich nackt gesehen, da er vorher in den Krieg ziehen musste.
Kyle setzte den Kelch erneut an seine Lippen an und nahm einen kräftigen Zug vom Wein, während er mich weiterhin ganz ungeniert anstarrte. Schließlich stand es ihm ab jetzt zu, mich anzusehen, so oft er nur wollte. Als er den Kelch auf den Tisch stellte und auf mich zukam, begann mein Herz noch viel schneller zu pochen. Seine Finger berührten meine linke Brust, ließ seinen Daumen über meine Brustwarze gleiten.
Ich sog leise die Luft ein und presste die Lippen aufeinander.
»Ihr seid so wunderschön...«, murmelte Kyle kaum hörbar, sein Blick brannte sich an meinem nackten Körper fest. »Ich war eifersüchtig... so eifersüchtig. Ich brannte vor Zorn, als Ihr nach Ikard kahmt. Mein Bruder sollte eine Frau bekommen. Eine junge, schöne und gesunde Frau, die ihm gesunde Erben schenken wird. Ich hasste ihn dafür und ich hasste mich selbst, dass ich so empfand. Aber Guinevere hätte mir niemals Söhne geben können und seine wären die Lords von Ikard gewesen.«
Leicht schüttelte ich den Kopf, wollte ihn zum Schweigen bringen. Ich wollte diese Worte nicht hören, ich wollte nichts über Rhyse hören. Nichts über Guinevere.
»Ich träumte einmal von Euch«, raunte er und kam näher, sodass sein Körper beinahe meinen nackten Körper berührte. »Ich träumte davon, wie ihr Euch unter mir windet. Wimmernd und stöhnend vor Lust. Ich verfluchte die Götter für diese Traumbilder und dennoch begehrte ich Euch. Doch es war nie mein Wunsch, dass mein Bruder stirbt... oder Guinevere.« Seine Stimme wurde schwer von Schuldgefühlen für etwas, was er nie getan hatte. Er gab sich die Schuld an ihrer beider Tod, obwohl er nichts dafür konnte. »Die Götter bestraften mich für diese Begierde... ich habe meinen Bruder verloren. Meine Frau... jeden, den ich liebte und nun habe ich nur noch Euch.«
»Kyle«, flüsterte ich verzweifelt und wich zurück, als er das Gesicht an meinem Hals vergraben wollte. »Bitte... sagt solche Dinge nicht. Ihr seid nicht an ihrem Tod Schuld.«
»Doch«, widersprach Kyle heftig und packte meine nackte Taille fest mit seinen schwieligen Händen, zog mich ruckartig an sich, sodass ich seinen weinschweren Atem im Gesicht fühlte. »Meine Begierde zu Euch hat sie umgebracht... ich kann sie nicht mehr zurückbringen, aber Euch habe ich jetzt. Ihr seid mein...«
Seine eine Hand schob sich über meinen Rücken über die Rundung meiner Hinterbacke und zwischen meine Beine. Ich schnappte nach Luft, als seine Finger meine intimen Hautfalten berührten. Zum ersten Mal spürte ich dort eine Hand, die nicht die meine war. Unbehagen und ein seltsames angstvolles Zittern saß in meinen Eingeweiden. Sein Mund fuhr gierig über meine Kehle und meine Hände drückten vor Angst gegen seine Brust, aber das schien ihn nur wütend zu machen.
Auf einmal wirbelte er mit mir herum und stieß mich Richtung Bett. Mit einem heiseren Aufschrei fiel ich um wie ein Klotz und landete auf Kyles weichen Bettfellen, die meine empfindsame Haut. Benommen starrte ich zuerst an die Decke, dann setzte ich mich auf, presste meine nackten Schenkel zusammen und blickte zu meinem Gemahl, der noch immer neben dem Tisch stand. Er griff mit einem fiebrig heißen Blick auf mich nach seinem Weinkelch und nahm einen weiteren Schluck des süßen Gesöffs, bevor er sich an den Saum des Hemdes fasste, das er trug und es in einer fließenden Bewegung über seinen Kopf zog.
Mein Herz begann zu wummern, als ich zum ersten Mal, den nackten Oberkörper eines Mannes aus solcher Nähe betrachten konnte. Zuvor hatte ich ihn und Rhyse oft von weitem beim Schwerttraining beobachtet, doch noch nie war ich einem so nahe. Obwohl er sich charakterlich in den letzten Wochen gehen gelassen hatte, galt das keinesfalls für seinen stattlichen Körper. Seine stramme, teils makellose Haut spannte über stahlharten Muskeln, die bei jeder Bewegung spielten. Auf seinem Brustkorb befanden sich genug Narben von den zahlreichen Schlachten für ein ganzes Leben, aber sie ließen ihn keineswegs weniger attraktiv aussehen.
Doch, als er auf mich zukam, siegte die altbekannte Angst in mir. Die Furcht vor dem Unbekannten. Vor der Hochzeitsnacht mit Rhyse hatte ich diese Furcht seltsamerweise nicht verspürt, jedoch hatte ich mich von Anfang an auf Rhyse eingelassen. Auf Kyle jedoch war ich nie eingestellt gewesen. Ich wich ein Stück auf das Bett zurück zum Kopfende, während Kyle seine Stiefel abstreifte, dann folgte er mir auf die weiche Matratze.
Seine Hände packten meine Knöchel und zogen mich mit einem tiefen Ruck zu sich, sodass er direkt zwischen meinen gespreizten Beinen kniete. Aus Reflex schlug ich meine Arme über meinem Brustkorb zusammen, um meine Brüste zu bedecken. Mit zitterigem Atem starrte ich zu ihm herauf, sein Gesicht war ausdruckslos wie eine Maske, nur seine Augen sprühten Funken. Ob vor Zorn über mein Verhalten oder Begierde auf meinen Körper wusste ich nicht. Seine Finger fuhren über meine glatten Schienbeine, die noch immer in die Strümpfe gehüllt waren, bis hinauf zu meinen Schenkeln. Als seine Hände meine Beine berührten, erbebten sie unter dem ungewohnten Gefühl.
Ich biss mir auf die Unterlippe, wagte es jedoch nicht, den Blick von ihm abzuwenden. Seine Hand wanderte höher, weiter zu den Innenseiten meiner Beine bis hin zu den warmen Hautfalten meines Intimbereichs. Er und ich öffneten beinahe gleichzeitig die Lippen, als seine Finger beinahe vorsichtig meine empfindsamsten Stellen erkundeten. Sein Blick wurde dunkler, dann beugte er sich über mich, stützte sich mit einer Hand neben mir ab. Ich keuchte auf, als er den kleinen Knoten streifte, der einen Blitz durch meinen Körper jagte. Meine Hände, die ich noch immer an meinem Brustkorb verkrallt hatte, begannen unter dem Druck seines Daumens, den er nun einsetzte, zu zittern.
Kyle inhalierte meinen Duft tief, während er den leichten Druck seines Daumens auf den kleinen Knoten verstärkte. Es fiel mir schwer, angesichts der jagenden Blitze über meinen Körper, die Augen noch offen zu halten, geschweige denn, mich darauf zu konzentrieren, ihn weiterhin unverwandt anzusehen. Demententsprechend schwer war es, weiterhin wütend auf ihn zu sein. Die Gefühle in mir, in meinem Körper, die er soeben auslöste, waren viel zu gut, um weiterhin Hass zu empfinden.
Er tat es wieder und wieder und meine Beine schlackerten, bebten, ich biss die Zähne fest aufeinander, um die Fassung nicht zu verlieren, aber es war mehr als schwierig. Noch immer war sein Gesicht unbeweglich, jedoch hatte er leicht den Mund geöffnet, seine Augen funkelten.
Und dann hielt ich es nicht länger aus und grub eine Hand in seinen Unterarm, an dem die Muskeln unentwegt vibrierten, sobald er die Finger bewegt. Meine Augen kniffen sich von selbst zu und er schien von meinem plötzlichen Ausbruch so überrumpelt zu sein, dass er auf den Unterarm sank, seine Hand an meine Wange legte, die fiebrig unter seinen Fingern glühte. Er ließ mir keine Wahl, als ihm in die Augen zu sehen. Sein Oberkörper presste sich an meinen und ich spürte, wie meine Brustwarzen sich seiner Haut entgegen reckten.
Die Finger seiner rechten Hand fuhren schließlich von dem kleinen empfindlichen Knoten tiefer, bis er eine glitschige Feuchtigkeit ertasten konnte und wir beide nach Luft schnappen mussten. Ich warf den Kopf herum, um ihn daran zu hindern, meine Hand krallte sich in seinen Unterarm, diesmal mit den Nägeln, aber das hinderte Kyle nicht an seinem Vorhaben. Er ließ sich tiefer auf mich sinken, sodass ich beinahe bewegungsunfähig war, dann schob er einen seiner Finger in mich. Ich keuchte angestrengt, nicht nur wegen seines Gewichts auf mir, sondern von einem leichten brennenden Schmerz, den sein Finger in mir auslöste.
Kyles Daumen kreiste wieder über dem Knoten und ich versuchte mich aufzubäumen, ihn von mir zu schieben, aber das ließ er nicht zu. Er vergrub das Gesicht an meinem Hals und und knabberte an meiner Haut, die sich heiß und fiebrig anfühlte. Auf einmal nahm er einen zweiten Finger dazu und ich glaubte, zerrissen zu werden. Mein Atem kam stoßweise, denn das feine Reißen wurde durch seinen breiten Finger noch stärker. Schmerz schoss zwischen meine Beine und ich biss die Zähne zusammen. Das angenehme Ziehen, das zuvor in mir gewesen war, war wie verschwunden.
»Ich will dich«, raunte er heiß an meinem Hals.
»Kyle... bitte...«, flüsterte ich und legte meine verwundete Hand an seine Wange, damit er mir in die Augen sah, damit er mir noch etwas mehr Zeit zugestand.
In seinen Augen jedoch loderte ein Feuer, das keine meiner Bitten zu löschen vermochte. Er beugte den Kopf blitzartig hervor und presste die Lippen auf meinen Mund. Meiner öffnete sich vor Überraschung, was Kyle ausnutzte, um seine Zunge zu meiner gleiten zu lassen. Er kusste mich so hart und grob, dass mir nichts anderes übrig blieb, als es zu dulden. Ich hatte noch nicht oft geküsst. Rhyse hatte mich einmal bei unserer Hochzeit geküsst und danach war er fort gegangen und nicht wiedergekehrt.
Kyle ließ die Finger aus mir heraus gleiten und spreizte meine Beine weiter, schob sich dazwischen und begann ungeduldig an seiner Hose herum zu zerren. Ich griff nach seinen Händen, wollte ihn aufhalten, aber er stieß sie verärgert weg, griff nach meinen Handgelenken und nagelte sie über meinem Kopf im Laken fest, befreite sich mit der freien Hand und positionierte sich.
»Bitte!«, wimmerte ich und mein Herz begann zu rasen. Unwillkürlich presste ich die Beine so weit zusammen, wie es mir möglich war, aber Kyle hatte sich schon längst dazwischen gelegt.
Und dann fuhr seine Männlichkeit mit einem starken Ruck so plötzlich in mich, dass mir die Tränen über die Wangen schossen. Ich schrie erstickt auf vor Schmerz, mein Herz wummerte in meinen Ohren und das Blut rauschte mit einer bahnbrechenden Geschwindigkeit durch meinen Körper. Unwillkürlich bog ich mich vor Schmerz in ein Hohlkreuz, in dem verzweifelten Versuch, ihm zu entkommen. Aber Kyle stieß mich bereits, sodass ich das Gefühl hatte, wie ein Stück Metall von einem Hammer bearbeitet zu werden. Mein Gesicht war schmerzverzerrt und ich schluchzte auf, so sehr pulsierte mein Innerstes, und das, obwohl ich feucht gewesen war.
Ich schaffte es durch Zufall, eine Hand zu befreien und die Nägel in seinen Rücken zu bohren, aber das schien Kyle nur noch anzustacheln. Er schien geradezu in eine Art Rausch oder Raserei zu verfallen, denn er stieß so heftig und hart zu, dass das ganze Bett bebte. Seine Hand, die meinen Arm noch immer über meinem Kopf ins Laken nagelte, hatte sich wie ein Schraubstock um mein Handgelenk geschlossen. Und das so stark, dass ich meine Fingerspitzen kaum mehr fühlte.
Immer wieder fuhr er in mich und wurde immer ungehaltener dabei.
Irgendwann schrie ich vor Schmerz.
Es fühlte sich an, als würde er all seine Wut an mir auslassen. Den Zorn und die Trauer über seine Verluste, die Angst vor der Zukunft, vielleicht sogar den Zorn über sich selbst, den er meinetwegen empfand. Er keuchte angestrengt, knurrte immer wieder, je lauter ich schrie.
Irgendwann schrie ich nicht mehr.
Mein Körper schmerzte nicht mehr.
Er war schlichtweg taub vor Schmerz und ich war zu erschöpft, um meine Qualen noch länger hinaus zu schreien. Meine Tränen, die mir über die Wangen rollten, sickerten in mein Haar, das wie ein Fächer um meinen Kopf herum lag, in das Kyle sein Gesicht vergraben hatte. Ich starrte an die Decke, unfähig irgendwas zu fühlen oder zu denken.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, doch irgendwann stöhnte Kyle tief und kehlig an meinem Hals auf und verteilte seinen Samen in meinem vor Schmerz pochenden Inneren. Schwer atmend rollte er sich von mir herunter und ich keuchte auf, als er endlich aus mir heraus glitt. Er lag auf dem Rücken direkt neben mir und hatte endlich von mir abgelassen. Mit verschleiertem Blick starrte ich an die Decke. Mein Kopf war wie leer gefegt, doch, als ich plötzlich leises Schnarchen vernahm, kochte Wut in mir empor.
Langsam, so weit es mein protestierender Unterleib es mir erlaubte, setzte ich mich auf. Es war, als würde mir jemand mit einem Dolch die Eingeweide herausschneiden. Keuchend vor Schmerz zog ich die Beine an mich. Die Innenseite meiner Schenkel waren von Blut und dem milchig weißen Film seines Samens verschmiert. Ich warf einen kurzen kalten Blick zu dem Mann, der mir das angetan hat und meine Wut verwandelte sich in Abscheu. Er schlief. Einfach so! Nachdem er mir unsägliche Schmerzen zugefügt hatte, mich mit Gewalt genommen hatte, schlief er einfach so! Und das, obwohl er mir sagte, wie sehr er mich begehrt hatte. Obwohl ich ihm das glauben wollte.
Ich schwang vorsichtig die Beine über die Bettkante und hatte das Gefühl, sterben zu müssen. Ich biss die Zähne fest aufeinander, um den Schmerz zu ertragen und griff nach einem Laken, das ich um meinen geschundenen Körper schlang. Stolpernd erhob ich mich und humpelte zum Tisch. Hart stieß ich dagegen, umklammerte die Tischkante, um mich aufrecht zu halten. Meine rechte Hand, deren Handgelenk bereits blau anlief von Kyles hartem Griff, schnappte sich den Kelch, aus dem er zuvor getrunken hatte. Ich setzte ihn an die Lippen und leerte ihn in wenigen Zügen, dann goss ich nach.
Mit einem leeren Blick und den Krug und den Becher in den Händen ließ ich mich schwer in den Sessel vor dem Kamin fallen, betäubte meinen Schmerz und den Schock mit Alkohol, bis der Krug bis auf den letzten Tropfen geleert war. Doch schlafen konnte ich nicht. Es war nicht möglich. Und so starrte ich eine schiere Ewigkeit in die sich züngelnden Flammen vor mir.
Texte: Peawyn Hunter
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2015
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