Peawyn Hunter
The Mistress
☀
Die Eós Chroniken
Hier möchte ich gerne meine wunderbare Coverdisignerin loben, die dieses wunderschöne Coverbild mit mir durchgeplant und dann für mich erstellt hat.
Ehrlich, ich hätte mir kein schöneres Cover vorstellen können!
Vielen lieben Dank an Büsra Yalaman alias sunshineandbirds.
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Link, um die Karte zu vergrößern:
http://feuersternfantasy.deviantart.com/art/Landkarte-Eos-542726342?ga_submit_new=10%253A1435524858
Die Landschaft zog wie ein unheimlicher weißer Schleier an ihr vorbei, Schnee stob in alle Richtungen und wirbelte durch die Luft, peitschte ihr kalt und feucht auf die roten Wangen und vermischte sich mit salzigen Tränen. Ihre eine Hand grub sich mit kalten, klammen Fingern in das aufgestellte Nackenfell des Säbelzahntigers, der sie durch die eisige Tundra schleppte, schnaubend und knurrend. Die Finger der anderen hielten das Bündel fest in ihren Armen, während sie das Gesicht auf den kleinen, in feinen Windeln gehüllten Körper drückte. Winzige Finger tasteten nach ihrem Gesicht, wischten die Tränen fort, während sich gleich darauf neue anbahnten.
Die Frau schluchzte haltlos auf und lächelte, als sie auf das gerötete Gesicht des Säuglings in ihren Armen starrte. Doch sie wurde gleich wieder von dem wundervollen, mütterlichen Gefühl in ihrer Brust abgelenkt, als hinter ihr Rufe und Schreie laut wurden.
Die Männer der Königin waren nicht weit.
Als die junge Frau den Kopf umständlich über die Schulter drehte, sah sie im nächtlichen Wald die Lichter der Fackeln. Die Reiter waren ihr dicht auf den Fersen. Ihre Schwerter und Äxte waren zum Schlag bereit und sie wusste, dass sie vor dem Säugling in ihren Armen keinen Halt machen würden. Sie würden das arme Ding einfach zweiteilen, auf den Befehl ihrer Königin hin.
Die Königin... eine verbitterte Frau, so voller Hass.
Sie wusste, dass der heutige Tag ihr letzter sein würde. Es war wie eine dunkle Vorahnung, wie eine graue Gewitterwolke, bei der jeder wusste, der sie sah, dass es bald regnen würde. Und so war diese Wolke in ihrer Brust verankert und ließ sich nicht lösen. Warum auch? Sie hatte es gewusst, schon in dem Moment, als sie ihren Geliebten blutüberströmt auf dem Boden ihres Zimmers gesehen hatte. Er hatte gelächelt, als er gesehen hatte, dass sein erstes und letztes Kind geboren war. Und zwar von einer Hure. Seine Augen hatten gestrahlt, genauso wie in den Nächten, in denen sie beieinander gelegen hatten und seine Lippen ein Stück vor Unglauben geöffnet. Sie hatte sogar Tränen der Freude in seinen Augen glitzern sehen, bis seine Pupillen sich weiteten und leer wurden. Erst hatte sie nicht verstanden, weshalb, dann hatte sie die Klinge des Messers gesehen, das in seiner Brust gesteckt hatte, genau durch sein Herz. Blut hatte er gespuckt und sie war, trotz der Schmerzen durch die Geburt, aufgesprungen und hatte ihn angefleht, bei ihr zu bleiben. Als hätte das Würmchen gemerkt, dass man seinen Vater kaltblütig ermordet hatte, hatte es geschrien wie am Spieß. Doch die junge Frau hatte für einen Augenblick nur ein Auge für ihren sterbenden Geliebten gehabt, der sich an sie geklammert hatte und zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, hatte er ihr ins Ohr geflüstert, wie sehr er sie liebte.
Der Meuchelmörder mit der Klinge in der Hand hatte verächtlich auf sie hinunter gesehen und auf den sterbenden Mann, der ihm vertraut hatte. Als ihr Geliebter aufhörte zu atmen, hatte sie geschrien. Jetzt noch fühlte sie den Schmerz in ihrer Brust überdeutlich. Das feine Brennen an ihrem Oberarm, als der Mörder sie mit der Klinge gestreift hatte, weil er sie auch töten wollte, spürte sie nun nur in weiter Entfernung. Sie hatte ihm einen Kerzenständer entgegen geworfen, hatte sich Kind und Umhang geschnappt und war geflohen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie auf dem Weg zum Stall und zu ihrem Säbelzahntiger niemand aufgehalten oder gleich getötet hatte.
Umso mehr trieb sie der Gedanke an, dass, wenn sie es nicht schaffen würde, es wenigstens das kleine Würmchen in ihren Armen schaffen musste. Sie hatte ihren Geliebten verloren, er war in ihren Armen gestorben, rücklings von einem Dolch durchbohrt, obwohl er ein Krieger war. Der Größte, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte und solch einen Tod verdiente ein Krieger nicht. Nun war nur noch das Kleine übrig, das war alles, was sie von ihm hatte.
»Es wird alles gut, mein Schatz«, flüsterte die junge Frau dem Säugling zu und trieb den Tiger noch ein Stück mehr an.
Das hechelnde Tier sprang einen Abhang mit Leichtigkeit hinauf und krallte sich in feuchte Erde, hievte sich hinauf und preschte weiterhin durch den Wald. Zur Linken einen mächtigen, reißenden Eisfluss, der zum Wasserfallsee führte, der wiederum im Eismeer mündete. Sie würde es niemals in dieser Nacht nach Cathalon schaffen, dessen Fürsten ihr immer Unterschlupf bieten würden. Es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis sie in Cathalon ankamen. Und hier draußen in der Wildnis des Nordens war niemand, der ihr helfen konnte.
Die junge Frau sah sich um und entdeckte einige Flößerhütten am Ufer des Flusses. Hier mussten einmal Fischer gelebt haben, aber nun schien es verlassen. Sie riss am Nackenfell des Tigers und lenkte ihn zu den Hütten. Aber zu ihrer Enttäuschung fand sie kein Floß oder Kanu, das sie nehmen konnte, um übers Wasser zu entkommen. Nur eine Handvoll kleiner Weidenkörbe, in denen Fisch transportiert wurde.
Die Rufe wurden lauter und sie wusste, dass sie handeln musste, sodass sie vom Rücken des mächtigen Säbelzahntigers sprang und zu den Hütten stolperte. Sie zerrte Netze auseinander und fiel auf die Knie, als sie einen Weidenkorb zu sich zerrte. Halb saß, halb hockte sie auf dem glitischigen Steg, das reißende Wasser direkt vor sich. Sollte sie ihr Baby dort wirklich hinein legen und es seinem Schicksal überlassen?
Andererseits, die Männer der Königin würden ihr Kind auf viel grauenvollere Art und Weise umbringen. Und das würden sie, dessen war sie sich sicher. Sie würden den Schädel ihres Babys gegen einen Baum schlagen, bis er zerbrach oder es der Länge nach aufschlitzen wie einen Apfel. Nein. Das konnte sie nicht zulassen.
Die junge Frau löste erstmals das Baby von ihrer Brust und lächelte. Vorsichtig legte sie das strampelnde Ding in den Korb, deckte es mit Fell und Leder und Stoff zu, damit es nicht auskühlte.
»Ich wünschte, ich könnte bei dir sein, wenn du deine ersten Schritte machst, meine Süße.«, flüsterte die Mutter unter Tränen und schloss die Augen. »Wenn du zum ersten Mal ›Mama‹ sagst; wenn du die Blumen und Wolken bewunderst und den ersten Sonnenuntergang auf dieser Welt siehst... Wenn du heiratest und dein erstes Kind im Arm hälst... Ich liebe dich so sehr und ich wünschte, dass dein Vater dich im Arm hätte halten können.«
Ein Ruf unterbrach sie.
Sie sah auf und sah die Männer am Hang, wie sie anfingen, von ihren Pferden zu steigen.
Nun schien die Zeit wie im Stillstand zu sein, als sie wieder auf das Kind sah. Das Kleine lächelte fröhlich und unbeschwert zu ihr hinauf, mit großen, runden Augen und kaute an seinen Fingern herum. Tränen flossen in Sturzbächen an ihrem Gesicht herab, als sie sich hinunter beugte und seine Stirn küsste. »Sei stark, meine Kleine.« Sie rückte das Namensschildchen zurecht und schloss den Weidenkorb, bevor sie ihn langsam ins Wasser hinunter ließ. Sofort wurde das kleine Mädchen von der Strömung mitgerissen und verschwand in der finsteren Nacht.
Sie spürte die Spitze eines Schwertes im Rücken, doch blieb sie nur sitzen und starrte an das andere Ufer, an der sich ein blauer Schatten im Gebüsch regte, bevor er wieder verschwand. Kurz darauf sah sie in einem Baum neben den Flößerhütten einen blauen Vogel. Er war kaum größer als eine Amsel, jedoch schillerte sein blaues Gefieder im Licht der Fackeln in allen Farben, von Violett bis Grün.
»Pass auf mein Mädchen auf.«, flüsterte die junge Frau.
Beinahe glaubte sie, den Vogel nicken zu sehen, bevor er die Flügel spreizte und davon flog.
»Bringt mir ihren Kopf«, hörte sie weit hinter sich die Königin befehlen.
Ein letztes Mal sah sie in den Himmel. Die Morgensonne, rot wie ein Streifen frischen Blutes, kroch langsam über den Horizont und färbte den Himmel in ein Farbenspiel aus rot, orange und gelb. Und sie wusste, dass ihr Geliebter irgendwo dort oben auf sie wartete. Nun entschieden die Götter über das Schicksal ihres gemeinsamen Kindes und, wenn die Götter gnädig waren, würde sie dort oben nur ihren Geliebten in die Arme fallen. Als die Klinge ihren Hals zur Probe berührte, schloss sie die Augen und stellte sich vor, wie es war, sich in Williams beruhigende Umarmung zu schmiegen.
Und als sie kurz und abgehakt die Vögel am Morgenhimmel aufstoben hörte, glaubte sie seinen Kuss am Mundwinkel zu fühlen.
Mit einem tiefen Atemzug stieg ich aus der Kutsche aus und genoss die kühle Sommerbrise des Nordens auf meinem Gesicht. Wir waren bereits seit drei Monaten unterwegs, schließlich war der Weg von Cathalon, der Hauptstadt, nach Winterfeste, der größten Burg im Norden, kein Katzensprung. Auch, wenn ich mir nach drei Monaten der beschwerlichen Reise, wünschte, es wäre einer. Man konnte mich ruhig als verwöhnte Göre bezeichnen, wenn ich mich darüber aufregte, des Nachts in einer engen Kutsche schlafen zu müssen und mit einem Nachttopf nicht allein, in einem seperaten Raum, sondern hinter einem Busch verschwinden zu müssen und das Essen, davon musste ich gar nicht erst anfangen. Es war grauenvoll, beschwerlich und ich hatte mich bereits nach drei Tagen nach meinem weichen Federbett und dem reichlich gedeckten Tisch gesehnt. Nun, weil der König des Nordens extra nach meinem Ziehvater, Ser Mortos Shore, verlangt hatte, hatte ich innerhalb weniger Tage mein Hab und Gut zusammen packen müssen, das sich nun in einem Lagerraum, am hinteren Teil der Kutsche, befand. Ich vermisste meinen Spiegel und die Dienerin Ophelia, die mir jeden Abend das Haar gebürstet hatte bis es glänzte. Nun konnte man mich als Vogelscheuche betiteln.
»Wir waren ewig da drinnen«, stöhnte ich und fächelte mir mit dem teuren, mit goldenen Jademustern verzierten Fächer, Luft zu, den mir meine Ziehmutter zum neunzehnten Namenstag geschenkt hatte, welcher übrigens vor vier Monaten gewesen war.
»Mach nicht so einen Aufstand, Evelyn.«, brummte mein Ziehvater, als auch er aus der Kutsche ausstieg, um sich nach den sechs Stunden die Beine zu vertreten. »Sechs Stunden sind nicht ewig. Wenn du einmal im Krieg gewesen wärst...«
»Wüsstest du, was ewig ist - ich weiß!«, unterbrach und beendete ich seinen Satz. »Meine Beine sind ganze drei Mal eingeschlafen. Es ist grässlich da drinnen, außerdem stinkt die ganze Kutsche nach Mutters Parfüm.«
Meine Ziehmutter gab einen entrüsteten Laut von sich, der dem Quaken eines Frosches gleichkam. »Evelyn Shore, wir haben dir bessere Manieren beigebracht!«
Ich verdrehte die Augen und sah mich in dieser kargen Gegend um. Und hier sollten Menschen leben? Das war nur Fels und Tundra und Wald. Grässlich mit anderen Worten. Mein Hauslehrer, Lord Ferrich, hatte mich alles gelehrt, was es über Eós zu lernen gab. Ich hatte das Banner jedes Hauses in und auswendig, jedes Volk hatte ich studieren müssen, seit ich sprechen, lesen und schreiben konnte. Und ich wusste über jede Klimazone bescheid, sogar etwas Sternenkunde hatte mich unser Astrologe in Cathalon gelehrt, aber ich hatte nicht erwartet, dass es hier so... trostlos und lebensfeindlich war.
»Wie lange dauert es denn, bis wir in Winterfeste sind?«, fragte ich ungeduldig. Ich erinnerte mich, dass ich das den ganzen letzten Monat gefragt hatte, beinahe jeden Tag.
»Noch ein paar Stunden vielleicht«, sagte Vater und blickte sich um. Die ganze Hausgesellschaft hinter uns hatte ebenfalls Halt gemacht und ruhte sich nun aus. Darunter waren Diener, Mägde, Köche und Wachleute meines Vaters. Ich hatte das Gefühl, wir hatten halb Cathalon mit in den Norden gebracht.
»Vielleicht finden wir in Winterfeste ja einen heiratswilligen, jungen Mann für dich, Evelyn«, kicherte Mutter übermütig. Sie war eine aufgedrehte, immer unter Strom stehende, Person. Sie trug die buntesten und aufwändigsten Kleider in ganz Cathalon und liebte es, Geld für teuren Schmuck auszugeben. Wenn ich Namenstag hatte, schien es eine besondere Herausforderung für sie zu sein, Geld auszugeben.
Ich hingegen mochte schlichte Kleider mit einer Priese Eleganz und nicht allzu engen Korsetts. Leiden konnte ich es nämlich überhaupt nicht, wenn mir von den Dingern die Luft abgeschnürt wurde. Mutter sagte immer, es zauberte eine schlanke Taille und volle Brüste. Beides traf auf sie eher weniger zu.
»Du weißt genau, dass ich dieses Thema nicht mag«, murmelte ich und wurde knallrot.
Heiraten bedeutete einen Mann zu haben und ihm Söhne zu gebären. So wurde es einer Lady von Geburt an beigebracht, denn eine Frau hatte in unserer Gesellschaft genau zwei Dinge zu erfüllen: Gebären und Schönaussehen. Ich fürchtete mich davor, mir von einem Mann ein Kind machen zu lassen. Der Gedanke, im Bett bei ihm zu liegen nicht mal so sehr, aber meine eigene, leibliche Mutter war bei meiner Geburt gestorben und ich hatte Glück gehabt, dass sie in Cathalon gelebt und im Haushalt meines nun Ziehvaters angestellt gewesen war und Ser Mortos Shore und Lady Ruvelia Shore, mich adoptiert hatten, weil sie selbst nie Kinder gehabt hatten. Ich hatte Angst, auch zu sterben und nicht für mein Baby da sein zu können. Außerdem war es nicht selten, dass sich ein Mann, wenn er genug von seiner Frau hatte, eine Mätresse suchte, um sich anderweitig zu vergnügen. Außerhalb vom Ehebett.
Ich schüttelte den Gedanken rasch ab, denn, wenn ich Glück hatte, durfte ich noch einige Jahre Jungfernschaft genießen, bevor ich anfangen müsste, die glückliche Ehefrau irgendeines halbwegs reichen Mannes zu spielen, überhäuft mit Geschenken und Tant und vor allem, meinen Kindern. Kinder waren nämlich das Einzige, was eine Ehefrau lieben musste. Dahingegen hatte eine Mutter keine Wahl, aber ansonsten? Lieber nicht.
Mein Blick fiel auf die Hügelkuppe, die wir bald zu überqueren hatten. Übermütig raffte ich meine Röcke und stapfte den Pfad aus gefrorenem Sand entlang. Der Himmel war sturmgrau, der Wind kalt und beißend und die Landschaft wirkte karg. Dennoch fühlte ich mich mit jeder Sekunde wohler hier. Ob das daran lag, dass meine Mutter eine Highländerin gewesen war? Vielleicht hatte ich doch mehr vom Norden im Blut, als ich zugeben mochte.
»Evelyn!«, rief meine Ziehmutter mir hinterher. »Wo willst du denn hin?«
Ich blieb stehen und seufzte innerlich, dann drehte ich mich um. »Ich will mir nur die Beine vertreten, Mutter.«
»Du könntest dein neues Kleid dreckig machen, Schatz!«
Beinahe hätte ich die Augen verdreht. »Ich passe schon auf!«, rief ich und stapfte weiter.
In der Ferne hörte ich sie noch pöbeln und wie mein Vater meine Mutter zu beruhigen versuchte, indem er sagte: »Nun lass das Kind doch ein paar Abenteuer erleben, Ruvelia. Wenn es nach dir ginge, wäre sie bereits dreifache Mutter.«
»Und, wenn es nach dir ginge, hätte sie statt eines Fächers wohl ein Schwert in der Hand.«, zischte Mutter und klappte ihren eigenen Fächer auf. Eine unmissverständliche Geste, dass das Thema für sie beendet war.
Ich kümmerte mich nicht weiter um die Streithähne, sondern kletterte den Hang hinauf und blieb überwältigt von dem Anblick wie angewurzelt stehen. Vor mir erstreckte sich ein Bild, das man kaum für möglich halten könnte, wäre es doch nicht in unserer Welt. Der Norden breitete sich in seiner ganzen Pracht vor mir aus. Naja, vielleicht nicht in seiner ganzen Pracht, aber ich sah die Hügel und Täler, überdeckt mit der tundrigen Einöde aus gefrorenem Gras, Geröll und Fels, Nadelwäldern und Gebirgsketten. Und direkt vor mir, in einiger Ferne glaubte ich die Steinburg Winterfeste auszumachen, die halb in die Berge gebaut worden war. Dort lebte einer der letzten Könige vom Blute der alten Völker. König William Ulfrik. Der Sohn seines Vaters Ulfrik, der den gleichen Vor- wie Nachnamen besaß.
»Oh Vater, komm!«, rief ich hinter mich. »Das musst du dir ansehen!«
Mortos Shore brauchte nur wenige große Schritte bis er bei mir auf dem Hang stand. »Immer wieder überwältigend«, sagte Vater und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich hatte gehofft, dass ich dich einmal in den Norden mitnehmen kann, um dir zu zeigen, wie deine Vorfahren lebten.«
»Ich fühle mich immer wohler hier«, sagte ich freudig.
»Es ist bitterkalt«, meldete sich Mutter von hinten.
»An dir scheint der Zauber des Nordens wohl vorrüber zu ziehen, Ruvelia«, kommentierte Vater trocken und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust.
»Welcher Zauber denn?«, kreischte sie. »Es ist kalt, ständig fällt Schnee und die Landschaft ist auch nicht wirklich sehenswert: ein paar Steine und Gras und Nadelwald, mehr gibt es hier nicht. Das Klima in Cathalon war viel milder und da sind wenigstens noch Blumen gewachsen. Was soll hier denn bloß wachsen, hm?«
Vater verdrehte die Augen und bedeutete mir mit einer Bewegung seiner Hand, zur Kutsche zurückzugehen. »Steig schon mal ein Kind, wir fahren gleich weiter.«
Ich nickte kräftig und rannte zur Kutsche zurück, wobei ich spürte, wie angenehm fest sich die Muskeln an meinen Beinen zusammenzogen und wieder locker ließen, sich streckten und dehnten, nach der langen Fahrt. An der Kutsche angekommen ließ ich mir von einem Wachmann helfen und setzte mich auf die gepoltsterte Bank. Der Norden schien mich mit einer Lebenskraft zu erfüllen, die mir bisher unbekannt gewesen war. Ich fühlte mich erholter und frischer und einfach lebendiger.
Schließlich stiegen auch Vater und Mutter wieder in die Kutsche ein und wir fuhren weiter. Es dauerte noch rund zwei Stunden, bis der Einöde Weideland wichen. Zu meiner Überraschung sah ich sehr viele Weiden mit schwarz-weißen und rotbraunen Rindern, Schafen und Pferche mit dicken Hausschweinen gab es ebenfalls. Felder mit Pflanzen, die selbst der Kälte trotzten und viele Bauern in dicker Wollkleidung arbeiteten hart und blickten auf, als sie unsere Hausgesellschaft auf dem, nun, gepflasterten Weg erspähte. Und dann ragte die mächtige Hochburg des Nordens nur wenige Meter von uns entfernt in die Höhe. Die Wächter trugen die traditionelle Kleidung der Wachmänner im Norden: gefüttertes Wams in tintenblau, Überhose, Lederstiefel, Kettenhemd, an der Hüfte ihre Schwerter, die den Eiswolf als Siegel eingraviert hatten. Der Eiswolf, das Banner des Hauses Ulfrik im Norden.
Staunend blickte ich die riesigen, dunklen Steinmauern empor, die sicher zehn Mann hoch waren. An den Enden zweikopfbreite Zinnen aus hartem Stein und alle zehn oder zwanzig Meter befand sich ein Geschützturm mit schwarzen Ziegeln bestückt und winzigen Schlitzen, durch die die Bogenschützen oder Armbrustschützen bei einer Belagerung Pfeile auf ihre Gegner regnen ließen. Der Burggraben bestand aus erstaunlich klarem Wasser, das eine dünne Oberschicht gefroren war. Die Zugbrücke war herunter gelassen und als mein Vater ausstieg, um den Wachen zu erklären, dass er Ser Mortos Shore war, der Ritter und Hexer, den der König verlangt hatte, rutschte ich an die Seite zum größeren Kutschenfenster, um besser sehen zu können.
An der Kutsche lief gerade ein Junge in dicker Wollkleidung und einer typischen gestrickten Wollmütze vorrüber, der ein Lämmchen im Arm hielt und es die gepflasterte Straße entlang trug.
»Evelyn«, stöhnte Mutter. »Nun setz dich gerade hin, Kind. Was sollen die feinen Herrn von dir denken?«
Genervt verdrehte ich die Augen, richtete mich auf und faltete die Hände im Schoß. »Zufrieden?«
Sie nickte und öffnete ruckartig ihren Fächer. Wozu, wenn es im Norden so kalt war?, dachte ich belustigt, verkniff mir jedoch ein Kichern, als die Kutsche sich in Bewegung setzte und ratternd ihren Weg fortsetzte, direkt über die hölzerne Brücke hinüber.
Dann bekam ich zum ersten Mal Einblick in das Burgleben. Eine Burg war definitiv kleiner, aber besser gerüstet, als eine Stadt wie Cathalon. Als wir durch das große, befestigte Tor hindurch waren, eröffnete sich ein Markt, der heute jedoch nicht geöffnet war. Das bedeutete nicht, dass heute weniger Leben in der Burg steckte. Wächter, Köche, Bauern und Dienstmägde huschten immer wieder durch verborgene Nebentüren in den Burghof, Tiere wie Hühner oder Hunde huschten durch die Gegend. Es war definitiv etwas anderes, als in einer Stadt. Es wirkte alles kleiner und... schmutziger. Aber ich würde mich daran gewöhnen müssen. Ich ging dem allem optimistischer entgegen, als ich vielleicht sollte.
Die Kutsche ratterte durch den großen Burghof und durch einen Torbogen in einen weiteren Hof, der noch größer war. Dort befand sich der Bergfried, wie ich bemerkte. Von dort aus ging noch ein Torbogen aus und in der Ferne sah ich Häuser. Es musste die Unterstadt sein, die Häuser der Menschen in der Burg.
Die Kutsche blieb knatternd stehen und meine Mutter stöhnte gequält auf.
»Nun hab dich doch nicht so, Mutter«, sagte ich fröhlich und rutschte zur Tür.
»Hast du dir diese Burg angesehen? Die ist nicht einmal ein Viertel von Cathalon.« Ihre Stimme hatte einen jaulenden Ton angenommen, wie immer, wenn sie am Verzweifeln war.
»Du hast dir die Gegend ja kaum angesehen. Bestimmt kann man fabelhaft ausreiten.«, entgegnete ich, als mir ein Wachmann aus der Kutsche half. Meine Füße berührten zum ersten Mal den gepflasterten Boden einer nordischen Burg. Es war kaum zu glauben, dass die Nord bereits am aussterben waren, genau wie alle anderen nordischen Völker. Krieg, Aufstände und Krankheiten hatten aus dem einst stolzen Volk im Norden nur noch vereinzelte Völkchen gemacht. Dazu zählten die Nord, das Urgeschlecht der Menschen und die Abzweigungen, Highländer, Seehundsmenschen, Tigerreiter und so weiter. Es war schwer zu glauben, dass von den Nord jeder andere Mensch in Eós abstammte. Mein Hauslehrer hatte mir Geschichte beigebracht, wie die Menschen vom Land hinter dem großen Eisschollenfluss nach Eós kamen und den Norden besiedelten. Die Nord waren das einzige Volk, das es schaffte auf Säbelzahntigern und Mammuts zu reiten, Drachen zu zähmen und die Fellwechsler auszurotten.
Ich blickte mich in dem Innenhof um, bewunderte den dunklen Stein, aus dem die Burg bestand, die Flaggen dessen Wappentier der weiße Eiswolfschädel auf dunkelblauem Untergrund war. Das Wappentier der Ulfriks herrschte schon Jahrtausende im Norden, so viel wusste ich.
Mein Blick fiel auf Vater, der etwas abseits stand und den Dienern Befehle zu bellte, bevor ein Wächter zu ihm trat. Ich ging zu ihm und blieb in einigem Abstand zu ihm stehen, betrachtete weiterhin die Burg, als der Wächter sich verneigte.
»Ser Mortos Shore. Mein Name ist Ellen Mros, Kommandant der Garde von Winterfeste. Der König erwartet Euch bereits.«, sagte der Wächter.
»Na wunderbar«, kommentierte Vater trocken und wandte sich mir zu. »Ein Wächter wird euch sicher gleich beide auf eure Gemächer bringen.«
»Der König wünscht natürlich Eure ganze Familie kennenzulernen. Danach dürft Ihr Euch in Eure Gemächer zurückziehen und heute Abend gibt es ein kleines Fest zu Ehren, Eurer großen Heldentaten und, dass Ihr nun am Hofe des Nordkönigs dient.«, sagte der Wächter höflich, dennoch mit einem bestimmenden Unterton.
»Wie bitte?!«, fragte Mutter brüskiert. »Euer toller König erlaubt uns nicht einmal, uns frisch zu machen?«
Das war so peinlich, dass ich den Kopf einzog und nervös an meinem Fächer herum spielte.
»Nun beruhige dich doch, Ruvelia«, befahl Vater. »Wir sagen dem König nur kurz Hallo, mehr nicht. Nun, Ser Ellen, führt uns zu Eurem König.«
Der Wächter nickte, drehte sich um und stapfte über den Hof zu einer großen, hölzernen Tür, die ins Innere des Bergfriedes führte. Wir folgten ihnen, wobei uns das Gezeter von Mutter begleitete, aber ich blendete sie gekonnt aus und blickte mich weiterhin um. Der Wächter führte uns in eine kleine Vorhalle und dann einen Gang entlang in eine weitere Vorhalle. Wände und Boden waren ausnahmslos aus dem selben dunklen Stein, wie der Rest der Burg. Meine Stiefelabsätze klackten leise. An den Wänden wachten menschenlose Rüstungen mit Schwertern in den Händen, alte Gemälde zierten die Vorhalle und ein Teppich aus tintenblauem Stoff war ausgelegt. Die Banner hingen auch hier überall und boten ein nordisches Ambiente. Ganz anders als in Cathalon, wo die gesamte Stadt aus einem hellem Stein gebaut war und sowieso alles viel heller und edler wirkte. Hier wirkte alles hart und stark, unbeugsam und fest.
Zwei Wächter öffneten die große Tür zum Thronsaal. Ich konnte nur bedingt an Vaters mächtiger Statur vorbei sehen, doch was ich sah, war ein heller Raum, beleuchtet durch eine große Fensterfront zu meiner Linken. Zu meiner Rechten hing ein gewaltiger Wandteppich, der den sehr detailliert gemalten Kopf eines Eiswolfes zeigte. Darunter stand eine Kommode aus dunklem Holz, darauf eine Schale mit Obst und daneben zwei Kerzenständer aus schwarzem Eisen. Die weißen Kerzen darin brannten unablässig.
Wir liefen auf einem tintenblauen Teppich zum Thron, den ich erst erkennen konnte, als Vater sich mit Mutter und mir an den Seiten davor stellte und verbeugte. Ich machte einen tiefen Knicks vor dem König des Nordens und hielt den Blick vorerst gesenkt.
Der Thron bestand aus dem dunklen Stein und war in die Wand eingearbeitet. Der blaue Teppich führte die Steinstufen - insgesamt waren es vier - zum Sitz hinauf. Und auf dem gepolsterten Steinthron saß ein Mann, der mehr nach Norden aussah, als seine Burg. Er hatte pechschwarzes, zerstrubbeltes Haar, das kurz geschnitten war. Die Haut war blass und rein, als hätte sie nie die Sonne gesehen, die Augen blauer als jeder Gletscher und ein dunklerer Bartschatten lag um seine glatten, leicht geschwungenen Linien. Die Züge wirkten hart und maskulin, das Kinn war kantig, die Wangenknochen markant. Der König trug edle Kleidung. Gefüttertes Wams, eine Lederhose und Stiefel bis zu den Knien, ein Kettenhemd über dem Wams, darüber ein Stahlkragen, der den Hals schützte. Auf diesem Kragen prangte der Eiswolf eingraviert und weiß ausgearbeitet. Außerdem trug er einen langen schwarzen Umhang, dessen Kragen um seine Schultern lag und mit Fell verkleidet waren. Auf dem Kopf saß die Krone aus Eisen mit der Gravur des Eiswolfes in der Mitte seines Kopfes.
Mein Blick huschte weiter durch den Saal und ich erkannte einen Mann, der dem König sehr ähnlich sah, doch war er nicht so breit und muskulös gebaut und die Augen hatten einen leichten Grünstich. Dennoch war ich mir sicher, dass dies der Bruder des Königs war, Prinz Eric aus dem Hause Ulfrik. Neben dem Bruder des Königs stand eine Frau, die in ein langes, violettes Kleid gehüllt war. Sie trug Schmuck und ebenfalls eine Krone. Sie musste die Königin Lillith sein.
»Ser Mortos Shore«, sagte der König mit dunkler, männlicher Stimme. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Und Eure bezaubernde Frau, Ruvelia Shore.«
»Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, König William.«, erwiderte Vater höflich. »Es hat mich erschüttert, als ich hörte, dass Euer Vater, Ulfrik, erkrankt ist und nach Krähenfurt gehen musste, um sich auszukurieren. Umso mehr erhellt es meine Freude, dass Ihr nun den Thron bestiegen habt.«
König William neigte dankbar den Kopf. »Er hatte schon lange vorgehabt, zurückzutreten. Sein eigener Vater, müsst Ihr wissen, blieb bis an sein Ende König von Winterfeste und trieb seine Geliebte und sein Weib zur Verzweiflung. Jeden Morgen und jeden Abend wollte er ein Glas Johannesbeersaft«, sagte er und trat die Stufen herunter bis er vor meinem Vater stand, das Gesicht grimmig verzogen. »Wisst Ihr, wie schwer es ist, im Norden Johannesbeeren aufzutreiben?«
Vater lachte und schlang die Arme um den König, als dieser ihn fest umarmte.
»Ich habe Euch noch als so kleinen Fratz in Erinnerung«, lachte Vater und deutete mit seiner Hand in die Höhe seines Knies. »Und nun seht Euch an! Ein Mann seid Ihr geworden!«
»Früher oder später musste das ja passieren«, grinste der König und entblößte dabei eine Reihe schneeweißer, gerader Zähne.
Ich selbst lächelte leicht, auch, wenn ich etwas verwirrt war. Vater hatte mir noch nie erzählt, dass er den König als Kind kannte. Nun ja. Angehen tat es mich ja eh nichts.
»Ihr wart drei Jahre alt, als ich Euch das letzte Mal sah«, lächelte Vater und klopfte ihm auf die Schulter. »Und nun? Zwanzig Jahre später? König des ganzen Nordens. Ich kann es kaum glauben.«
König William lächelte warm. »Mein Vater erzählte mir von Euch. Verzeiht mir, wenn ich mich an Euch nicht erinnere.«
Vater schüttelte den Kopf und lachte erneut. »Ihr wart ein kleiner Junge, Majestät. Wie solltet Ihr Euch erinnern?«
Der König wandte sich an meine Mutter, trat auf sie zu und gab ihr einen galanten Handkuss, bevor er sich verbeugte, dann wandte er sich mir zu und ich machte einen höflichen Knicks, bevor er auch meine Hand in seine nahm, wobei sein Daumen zart über meine Finger strich und er meine Knöchel mit einem Kuss versah. Meine Haut begann leicht zu kribbeln und mein Herz flatterte aufgeregt unter dem engen Korsett, als ich ihm in die gletscherblauen Augen starrte.
Beschämt senkte ich den Blick und spürte die Hitze in meinen Wangen.
»Eine bezaubernde Mätresse habt Ihr, Ser Mortos«, sagte König William.
Im selben Augenblick sog Mutter den Atem entrüstet ein und auch ich zuckte zusammen, wegen seinen Worten. Ich hörte Vater kurz schnauben.
»Das ist nicht meine Mätresse, Majestät«, sagte Vater höflich, dennoch mit einem leicht angesäuerten Unterton in der Stimme. »Das ist Evelyn Shore, meine Adoptivtochter.«
Als ich den Blick hob, sah ich, wie der König noch blasser wurde, als er so schon war. Dann stieg ihm ein winziger Schleier Schamesröte in die Wangen. Dieser Irrtum schien ihm furchtbar peinlich zu sein, beinahe so peinlich wie mir. Eine Mätresse... ich wollte wohl alles sein, aber sicher nicht das und dann auch noch, als Mätresse meines Ziehvaters betitelt zu werden, das dämpfte meine gute Stimmung ziemlich.
»Bei den Göttern, verzeiht mir... I-ich wusste ja nicht, dass Ihr...«, stammelte der König, dann wandte er sich an einen Diener, der in typischer Kluft neben einer Tür stand, die in der Wand eingelassen worden war, direkt neben dem Thron. Dort ging es wohl zu den Gemächern des Königspaares. Gewöhnlich waren diese getrennt voneinander. »Winston, holt den Umhang, den die Schneiderin heute fertig gestellt hat. Den hellgrauen mit dem weißen Eiswolfpelz.«
Winston war ein junger Knabe, vielleicht zwei Jahre jünger als ich. Er besaß eine Kokusnusfrisur, ganz gerade geschnitten und er besaß keinen Bart, sah nicht einmal so aus, als würde er sich diesen rasieren müssen. Wahrscheinlich wuchs ihm keine Gesichtsbehaarung. Noch nicht.
Er sah etwas irritiert aus und ich konnte beobachten, dass er der Königin einen kurzen Blick zuwarf und dann unsicher wieder zu seinem Herr. Dann nickte er nur und verschwand hinter der Tür, neben der er gerade eben noch gestanden hatte.
Als ich zur Königin blickte, bemerkte ich, dass sie mich grimmig musterte und zwar von Kopf bis Fuß. Ihr hellblondes, lockiges Haar wirkte wie ein Heiligenschein um ihr Haupt, aber der finstere Blick aus hellbraunen Rehaugen passte nicht dazu. Irgendetwas an ihr wirkte bedrohlich, aber ich wusste nicht, was es war. Doch eines wusste ich, aus Vorsicht ließ ich den Blick sinken und richtete ihn wieder auf den König.
»Vergebt mir, Ser, ich wusste nicht, dass Ihr eine solch bezaubernde Tochter habt. Meine Diener sagten mir, dass Ihr nur mit Eurer Frau anreist«, erklärte der König, dann blickte er zu mir. »Und Ihr auch, M'Lady. Vergebt mir meine Unverfrorenheit und nehmt dieses Geschenk an.«
Ich blickte auf, als der Diener wieder kam. Er trug ein geschnürtes Bündel aus hellgrauem, seidigen Stoff und schneeweißem Fell in den Händen, womit er neben dem König stehen blieb.
Unsicher sah ich zu Vater.
Dieser Kommentar war mir durch Mark und Bein gegangen und ich fühlte mich von jedem beobachtet, wirklich von jedem. Jeder Wachmann schien mich anzustarren und zu sehen, ob ich vielleicht nicht doch eine Mätresse, eine Hure, eine Dirne war. Unbehaglich sah ich Vater an.
Einen anderen Mann hätte er sicher wegen so einer Aussage gedreiteilt. Er war schließlich ein Ritter und ein Hexer noch dazu.
Vater nickte kaum merklich.
Ich blickte den König wieder an. »Ich vergebe Euch«, brachte ich leise wie ein Mäuschen heraus.
»Da bin ich aber erleichtert.«, lächelte der König charmant, wandte sich an Winston und griff nach dem Umhang in seinen Händen, breitete ihn mit einer schwungvollen Geste aus. »Eigentlich hatte ich ihn für meine Frau anfertigen lassen, aber ich kann einen neuen in Auftrag geben. Ich möchte ihn Euch schenken, als Zeichen meiner Reue.«
Mir lief ein heißer Schauer über den Nacken und den Rücken hinunter. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich der Blick der Königin noch weiter verfinsterte und ihre Blicke mich hätten tot umfallen lassen, wenn sie töten könnten. Warum nur musste ich im Vordergrund stehen? Warum konnte die Aufmerksamkeit eines Jeden auf jemand anderen liegen? Warum nur auf mir? Ich hasste es, wenn ich im Mittelpunkt des Geschehens war. Es war, als würde man eine tollpatschige Tat begehen und jeder würde einen dabei ansehen. Es war ziemlich peinlich.
»Kommt, fasst den Stoff an. Er ist weich. Aus der besten Bisonwolle des Nordens.«, sagte der König aufmunternd. Seine blauen Augen wirkten rein wie Diamanten und ich, als kleines Adelsmädchen, konnte die Königin nur beneiden, dass sie mit diesem Mann verheiratet war und das Bett mit ihm teilen durfte.
Aber in diesem Moment kam ich mir vor, als würde ich vor einer Prüfung sitzen und es gab zwei Kästchen, wo ich mein Kreuzchen machen durfte und eine Fünfzigprozentchance falsch zu liegen. Ich fühlte mich unglaublich unter Druck gesetzt, denn zum einen wäre es eine Untat, dem König zu widersprechen, andererseits tat mir die Königin leid und sie sah so finster aus, als er mir den Mantel als Geschenk darbot. Was sollte ich nur tun?
Unsicher strich ich über den Stoff, den mir König William anbot. Er war tatsächlich unglaublich weich und angenehm auf der Haut und als ich das Fell mit den Fingern durchfuhr, war es, als würde ich ein Kaninchen streicheln, so weich und zart waren die Härchen auf meiner Haut. Dennoch ließ ich die Hand sinken.
»Es ist mir wirklich eine Ehre, dass Ihr mir so etwas schenken möchtet, um Euer Versehen wieder gut zu machen, Euer Hoheit«, sagte ich, wobei ich es vermied, ihm in die Augen zu sehen. »A-aber Eurer Frau würde er sicher sehr viel besser stehen, als mir.«
Plötzlich lächelte er fröhlich, was mich etwas irritierte. »Unsinn. Ihr seid gut erzogen, dass Ihr solch teure Geschenke nicht annehmen wollt, aber ich bestehe darauf, dass Ihr diesen Umhang nehmt. Seht es als Willkommensgeschenk und Entschuldigung für meinen dummen Kommentar. Los, dreht Euch um.«
Wieder befand ich mich in der Zwickmühle. Eben noch hatte sich der Ausdruck auf dem Gesicht der Königin Lillith etwas erhellt und hatte zufrieden gewirkt, nun sah sie aus, als hätte jemand ihre Suppe versalzen. Wieder warf ich Vater einen unsicheren Blick zu.
Er nickte erneut, blickte mir sanft mit seinen hellgrauen Augen, die immer etwas zu schimmern schienen, in meine Augen.
Und so überwand ich mich, drehte mich um und nahm den geflochtenen Zopf meines flammenfarbenen Haares nach vorne auf meine Brust und erzitterte, als der König mir den hellgrauen Mantel über die Schultern legte. Dabei streiften seine Finger die Haut meines Nackens und ich wäre erbebt, hätte ich mich nicht unter Kontrolle gewusst. Es war seltsam von einem Mann berührt zu werden.
»Er steht Euch ausgezeichnet«, raunte der König hinter mir. »Ich bestehe darauf, dass Ihr ihn heute Abend beim Fest tragt.«
Ich nickte nur leicht und versuchte mich an einem Lächeln.
Und als ich den Thronsaal mit meinen Eltern verließ, kam ich mir immer noch vor wie bei einer Prüfung: und ich hatte kläglich versagt.
Mein neues Gemach im Bergfried des Königs war riesig. Es grenzte an ein Wunder, dass in dieser - vergleichsweise - kleinen Burg ein solch großes Gemach überhaupt existieren konnte. Wie groß die Gemächer des Königs und der Königin wohl waren? Ich wusste es nicht, aber ich bewunderte schon dieses große Zimmer. Die verglasten Fenster waren mit langen, dunkelblauen Vorhängen bestückt, die mit goldenen Seilen an den Seiten zusammen gebunden waren. Kerzen spendeten Licht und Wärme. Ein großer dunkler Kleiderschrank stand an einer Wand, an der gegenüberliegenden eine Trennwand aus verziertem Holz, das die Jagd eines Eiswolfes auf einen Riesenhirsch beschrieb. Dahinter befand sich ein großer Waschzuber aus ebensolchen verzierten Holz. Das riesige Himmelbett stand direkt in der Mitte des Raumes an der Wand. Es war so riesig, dass sicher drei Menschen darin Platz gefunden hätten und bezogen war es mit einem hellblauen Laken und dunkelblauen Decken, sogar ein weiches Fell lag auf der Bettdecke. Wahrscheinlich waren die Nächte in der Burg kühl, vor allem jetzt, da der Winter im Anmarsch war.
Ich blieb in meinem Gemach stehen und bewunderte die Verzierungen der Pfosten des Bettes, strich über das Holz und blickte mich begeistert um.
»Wie gefällt es dir?«, fragte mich Vater, der noch in der Tür stand.
»Ich finde es wundervoll hier!«, sagte ich und legte den Umhang ab, den mir der König vor nur fünf Minuten geschenkt hatte und platzierte ihn vorsichtig auf das Bett, da ich Angst hatte das teure Kleidungsstück schmutzig zu machen. »Nur Mutter kann meine Begeisterung nicht teilen, so habe ich das Gefühl.«
Vater seufzte resigniert und lehnte die Tür an. »Sie ist den Komfort aus Cathalon gewohnt, Evelyn. Sie wird sich damit schon arangieren.«
Etwas betrübt betrachtete ich das Abbild eines Frostbären am linken Bettpfosten. »Sie ist immer noch traurig, dass sie dir keine Kinder schenken kann...«
Verdutzt hob Vater eine Augenbraue. »Wie kommst du darauf?«
Mit einem tiefen Seufzen setzte ich mich auf das Bett und berührte den Umhang nachdenklich. »Sie spricht immer davon, dass ich mich rasch verheiraten sollte und Kinder bekommen sollte, solange es noch geht... Meinst du, dass ich bald heiraten sollte? Ich bin so unsicher.«
Ich kannte Ser Mortos Shore schon mein ganzes Leben lang. Er war ein stolzer Mann und nicht selten hatte ich ihn in der Vergangenheit zur Weißglut gebracht, da ich ebenfalls einen starken Charakter hatte und wie er ein Sturkopf war, wenn es um bestimmte Dinge ging. Außerdem steckte in ihm immer noch das Herz und der Verstand eines Hexers der Akademie von Elvacht. Er trug mehr Wissen mit sich herum, als alle anderen Menschen in seiner Umgebung. Noch nie hatte ich ihn so emotional gesehen, wie jetzt, als er sich neben mich setzte und lächelte.
»Dass Ruvelia meine Kinder nicht austragen kann, ist nicht deine Schuld und du solltest dich auch nicht unter Druck setzen lassen, was das anbelangt. Deine Amme und Ruvelia selbst haben dich aufgeklärt, dass eine Frau irgendwann unfruchtbar wird, aber das sicherlich nicht mit gerade einmal neunzehn Jahren, Evelyn.«, sagte Vater und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem geflochtenen Zopf gelöst hatte.
»Warum kann sie dann keine Kinder bekommen?«
Vater blinzelte und runzelte kurzzeitig die Stirn, als wüsste er die Antwort selbst nicht so genau. »Weißt du... Ich lernte deine Mutter kennen, als ich mit meinem Bruder in der Akademie studierte. Sie war eine Adlige, die zu Besuch in der Akademie und ich verliebte mich in sie. Damals war sie anders, sie meckerte nicht an allem herum und beschwerte sich über jeden. Sie war sanft und trotzdem frech. Du erinnerst mich an sie, als sie in deinem Alter war.«
Ich hatte das Gefühl, meinen Zieheltern trotzdem ähnlich zu sein, obwohl sie nicht meine leiblichen Eltern waren. Es war für mich wie eine Ehre.
»Eigentlich durften Hexer keine Frauen haben und auch keine Kinder, aber ich brach die Regeln nach meinem Ritual und heiratete Ruvelia. Jahrelang betete ich zu den Göttern, dass sie uns ein Kind schenken mögen, sei es Mädchen oder Junge. Aber das ist wohl die Strafe dafür, dass ich die heiligen Pflichten eines Hexers missachtete und sie dennoch heiratete. Ich glaube, dass die große Mutter Ruvelia deshalb mit Unfruchtbarkeit gestraft hat.«, murmelte Vater. »Das bedeutet aber nicht, dass sie dich nicht wie eine eigene Tochter liebt, Evelyn. Und es bedeutet nicht, dass du dir deshalb sofort einen Mann suchen sollst. Ich will einen guten Mann für dich, der dich liebt und achtet und deine Kinder genauso. Mach dir also keine Sorgen und warte auf den Richtigen, verstanden?«
Ich nickte eifrig. »Ja, Vater.«
»Gut«, lächelte er und küsste meine Stirn. »Und gehe sorgsam mit dem Geschenk des Königs um. Dieses Fell war sicher sehr teuer.«
»Das werde ich, Vater.«, grinste ich und warf noch einmal einen Blick auf das seidige Kleidungsstück neben mir.
Ser Mortos nickte, dann richtete er sich wieder auf und ging zur Tür, zog sie auf und wandte sich noch einmal an mich. »Ich werde ein paar Zofen für dich auftreiben, die dich schön machen für nachher. Du wirst nun viele Leute bei Hofe kennenlernen und benimm dich, Evelyn. Deiner Mutter zu Liebe.«
»Ich werde dich nicht enttäuschen«, sagte ich stolz und stand auf, als er fort war. Dann erst ließ ich mich seufzend auf das Bett fallen, spürte den weichen Mantel unter meinem Kopf und seufzte, als ich den Geruch von Harz und Gletscher wahrnahm. Noch immer fühlte ich König Williams Berührung im Nacken. Ob das nur ein Versehen gewesen war? Bestimmt, schließlich hatte er seine Königin.
Oft schon hatte ich Geschichten von der Königin gehört. Ihr Haar sollte so golden sein wie die Halme reifen Getreides, ihre Augen so braun wie die eines Rehs und eine schöne Figur hatte sie ebenfalls. Sie war tausend mal hübscher als ich. Der König konnte sich glücklich schätzen so eine Frau zu haben. Sie waren ein perfektes Ehepaar, wie ich fand.
Nackt und tropfend stieg ich gegen Abend aus dem Waschzuber, von dem noch immer feine Dampfwolken aufstiegen. Das Wasser hatte genau die richtige Temperatur gehabt, um mich wieder aufzutauen. Vorsichtig stieg ich die kleine Holztreppe herunter und landete mit den Füßen auf einer weichen Wollmatte. Nach einem warmen Bad auf den kalten Steinfußboden mit den Füßen zu treten war das Schlimmste, was es gab.
Die Zofe mit dem braunen Haar und den braunen Augen, die die ganze Zeit über still war, legte mir routinemäßig den weichen Mantel um die Schultern, sodass ich ihn vorne zuschnüren konnte. Die zweite Zofe hatte vor dem großen Spiegel, der an einer Kommode angebracht war bereits einen silbernen Kamm, eine Bürste aus hartem Schweinehaar und einige Haarnadeln vorbereitet, um mein Haar zu frisieren. Das Fest würde bald beginnen und ich wollte nicht zu spät kommen. Die feinen Herren sollten mich nicht für eine verwöhnte Frau aus Cathalon halten, die gerne mal wegen ihrer Haare zu spät kam.
Ich setzte mich auf die kleine, gepolsterte Bank davor und blickte aus dem Fenster. Nur noch ein roter Streifen am Horizont war auszumachen, ansonsten war die Welt da draußen bereits in Finsternis getaucht. Hier draußen zirpten nicht einmal Grillen, was wohl das einzige war, was ich aus Cathalon vermissen würde. Natürlich hatte ich während der Reise den Komfort vermisst, den ich aus Cathalon gewohnt war, schließlich hatten wir in einer großen Villa gelebt und hatten viel Personal gehabt. Aber all das schien neben dem Norden zu verblassen.
Nie zuvor hatte ich das Gefühl gehabt, nicht nach Cathalon zu gehören, aber hier draußen war es, als wäre ich endlich angekommen. Endlich zu Hause.
»Welche Frisur wünscht Ihr, M'Lady?«, fragte die blonde Zofe, deren Haar zu einem Kranz gebunden war und mit einer Art Netz verziert war. »Ich kenne einige Frisuren, die die Ladys in Cathalon tragen. Soll ich Euch eine machen?«
Ich runzelte die Stirn und blickte nachdenklich in den Spiegel. »Wir sind doch im Norden, nicht?«
»Äh... Ja, M'Lady.«
»Mach mir eine nordische Frisur. Nicht zu aufgetakelt. Ganz schlicht, aber elegant.«
Die Blonde nickte gehorsam und griff nach dem Kamm, um mein Haar glatt zu kämmen und Knötchen zu entfernen. Auf einmal sah ich aus dem Augenwinkel etwas blitzen. Die braunhaarige Zofe hielt mir eine Kette hing, starrte aber ansonsten zu Boden.
»Was soll ich damit?«, fragte ich verwirrt und leicht genervt.
Die Braunhaarige zuckte leicht zusammen und zog das Kissen mit der Kette zurück, legte es auf der Kommode ab und ergriff ein anderes, hielt es mir wieder hin. Sie hatte begonnen zu zittern.
»Was...?« Fragend wandte ich mich an die blondhaarige Zofe hinter mir.
»Vergebt Ihr, M'Lady. Sie fragt nur, welche Kette Ihr zum Fest tragen möchtet.«
»Warum sagt sie nicht einfach, was sie möchte?«
Beschämt blickte die Zofe zu Boden. »Nimea ist stumm... die Königin ließ ihr die Zunge herausschneiden, als sie zehn war. Sie hat einen Apfel gestohlen.«
Mir kroch eine unangenehme Gänsehaut den Nacken hinauf, als ich das Mädchen ansah. Sie mochte vielleicht sechzehn sein, vielleicht jünger oder älter um ein Jahr. Aber wegen einem Apfel musste man jemandem doch nicht die Stimme nehmen! Ich hätte sie ermahnt oder ihr auf die Hände schlagen lassen, damit so soetwas nicht noch einmal tat, aber gleich die Zunge heraus schneiden?! Das war sehr heftig für meinen Geschmack.
Ich blickte Nimea mit einem weichen Blick an. Sie hatte Angst vor mir, das merkte ich erst jetzt. Sie starrte noch immer unterwürfig auf den Boden und das Kissen vibrierte regelrecht in ihren Händen. Ihre Finger hatten sich in den roten Stoff gegraben.
Sanft legte ich eine Hand auf ihre Finger. Sie zuckte zusammen.
»Ich tue dir nichts, Nimea.«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich möchte, dass du mir eine Kette aussuchst. Und dann nimmst du dir ein Obst deiner Wahl aus der Schüssel dort hinten.« Ich deutete mit einem Nicken zu einer Kommode, auf der eine Schale stand. Dieses Obst war eh nur Deko und würde irgendwann verfaulen und ausgetauscht werden. Aus meiner Sicht war das Verschwendung.
Nimea hob erstmals die Augen und starrte mich mit einem Ausdruck darin an, wie ein kleiner, geschlagener Welpe einen ansehen würde. Sie nickte langsam und senkte wieder den Blick, bevor sie die erste Kette vom Tisch nahm und mir hinhielt. Sie bestand aus reinem Silber, war feingliedrig und hatte einen kleinen Anhänger, an dem ein Saphir eingefasst war. Eine perfekte Wahl. Vor allem, da sie prima zum Kleid passte, das ich tragen würde.
Während die Blonde mir das Haar weiter kämmte, ging Nimea hinüber zur Kommode und nahm sich einen großen, roten Apfel, in den sie hinein biss.
»Wie ist dein Name?«, fragte ich meine erste neue Zofe und blickte sie im Spiegel an.
Sie lächelte leicht. »Mein Name ist Igrena, M'Lady.«
Ich keuchte erschrocken auf, als Igrena die Schnüre fest zog und meine Taille um ein Stück schlanker wurde, als sie es eh schon war. Meine Hände gruben sich in das Holz des Bettpfostens, an dem ich mich abstützte und schaute nach hinten, wo Igrena die Schnüre nun verflocht, damit ich Halt hatte. Nachdem das Korsett angelegt war, streifte sie mir das Kleid über das Unterkleid und richtete es noch weiter her. Es war eine mühsame Prozedue, aber letztendlich stand ich fix und fertig vor dem Spiegel und betrachtete mich. Das eisblaue Kleid passte perfekt zu dem grauen Umhang, den mir der König geschenkt hatte und die Kette hing um meinen schlanken Hals, der Anhänger direkt zwischen meinen Brüsten, im Korsett versteckt. Aber wirklich umwerfend waren die Haare. Igrena hatte mir das Haar von der linken Seite geflochten und es mit Haarnadeln hoch gesteckt, sodass mein schlanker Nacken zum Ausdruck kam.
»Ich danke dir, es ist wundervoll«, sagte ich fröhlich und betrachtete mein flammenrotes Haar von allen Seiten, um einen guten Blick darauf zu erhaschen.
Igrena und Nimea machten einen Hofknicks. »Freut mich, dass es Euch gefällt.«, lächelte Igrena.
Ich sah auf, als es an der Tür klopfte. »Evelyn? Bist du salonfähig?«, fragte mein Vater.
Rasch strich ich das Fell des Umhangs glatt. »Ja, Vater!«
Die Tür öffnete sich und mein Ziehvater, Ser Mortos Shore, trat ein. Er war in ein feines Gewand gekleidet. Die Kniehosen bestanden aus weichem, glänzenden Leder, das Leinenhemd war strahlend weiß und die Silberknöpfe der Brokatweste glänzten im Fackelschein meines Zimmers. Außerdem trug er die Scheide eines Schwertes an der Hüfte, aber darin befand sich ein stumpfes Dekoschwert, da kaum jemand mit einer echten Waffe in die Nähe des Königs gelassen wurde.
Vater blieb direkt vor mir stehen und streckte die Hände aus, die ich ergriff. »Sieh dich nur an«, sagte er und ein Geäst aus Fältchen bildete sich um seine Augen, als er lächelte. »Eine Schönheit bist du geworden.«
Ich lächelte zurück, dann wandte ich mich an meine Zofen. »Das sind meine neuen Zofen, Vater. Igrena und Nimea. Ladys, das ist mein Vater, Ser Mortos Shore.«
Igrena und Nimea machten einen kurzen Knicks.
»Es ist uns eine Ehre, Euch kennenzulernen, Ser«, sprach Igrena höflich.
Nimea nickte nur.
Im nächsten Moment ergriff Vater meine Hand und legte sie um seinen Arm, dann führte er mich aus meinen Gemächern den Gang entlang. Unsere Schritte wurden von dem blauen Teppich gedämpft und bereits an der Treppe, die in die Eingangshalle der Burg führte, empfing uns leises Geigenspiel und das sanfte Lied einer Blockflöte. Gäste strömten an unseren Seiten den Gang zum Thronsaal entlang, sodass Vater und ich uns einfach unters Volk mischten. Der schwere Geruch von teurem Parfüm und deftigem Essen schwirrte in der Luft und ließ mich etwas benommen werden, als wir schließlich den Thronsaal erreichten.
Auf dem Thron saß heute Abend niemand, denn der König stand am Fuße seines Herrschersitzes und unterhielt sich mit adligen Gästen. Auf einer Seite war ein üppiges Festmahl aufgebaut, an dem sich einige reiche Leute bedienten, auf der gegenüberliegenden Seite versuchte sich eine kleine Gruppe junger Damen an ein paar Tanzschritten. In einer Ecke stand ein junger Mann mit goldenem Haar, der mit einem dreckigen, anzüglichen Grinsen von seinem Weinkelch aufsah und die Mädchen beobachtete.
Vater steuerte Mutter an, die ziemlich in der Mitte des Raumes stand und an ihrem Weinkelch nippte. Sie lächelte, als sie uns sah.
»Ohh, Evelyn! Wie wunderhübsch du aussiehst!«, sagte sie und hob mein Kinn mit einer Hand an.
Ich lächelte zurück.
Vater und Mutter begannen über das Fest zu reden, während ich mich interessiert umsah und die Leute beobachtete. Etwas erstaunt bemerkte ich, dass eine der Damen zu dem Mann in der Decke gegangen war und sie sich unbehelligt von den anderen Gästen, wild und gierig küssten und hinter einem der Vorhänge verschwanden. Ich wandte mich von der wackelden Stoffbahn ab und schaute zum König herüber, der einer älteren Lady die faltige Hand küsste und lachte, als sie wohl einen Scherz machte. Eine Gruppe aus Gästen hatte sich um den Geiger und den Flötenspieler in einer Ecke versammelt und lauschte der sanften Melodie.
Jemand drückte mir den Zeigefinger in die Schulter und ich wirbelte herum.
»Verzeiht, M'Lady«, lächelte der Mann charmant.
Wenn ich mich nicht täuschte, war dies der Bruder des Königs. Er hatte das gleiche Haar, wie sein Bruder, wirkte jedoch insgesamt etwas schmächtiger und kleiner. Dennoch war er immer noch einen Kopf größer als ich, und die Augen strahlten mich grüngrau an.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich Euch vorzustellen. Mein Name ist Prinz Eric aus dem Hause Ulfrik.«, sagte er und ergriff meine Hand, auf dessen Knöchel er einen sanften Kuss hauchte.
»E-evelyn«, stammelte ich perplex, bevor ich mich meiner guten Manieren entsinnte. Rasch machte ich einen Knicks. »Evelyn Shore, M'Lord.«
»Sehr erfreut«, lächelte er. »Und? Wie gefällt Euch der Norden bis jetzt? Ich hörte, Ihr wäret eine geborene Highländerin, allerdings nicht im Norden aufgewachsen.«
Langsam nickte ich, auch, wenn mich die Anwesenheit des Prinzen ehrlich gesagt, ein kleines Stückchen nervös machte. Ich meine, hier sprach ein Prinz mit mir! Ich fühlte mich dem kaum gewachsen, ich fühlte mich neben ihm wie ein graues Mäuschen.
»Das stimmt. Meine leibliche Mutter war vom Volk der Highländer. Ich glaube, vom Berg-Clan, aber so genau weiß ich das auch nicht. Sie starb bei meiner Geburt.«, sagte ich, ohne den kleinsten Funken Traurigkeit. Meine Mutter hatte für mich nie existiert, jedenfalls nicht meine leibliche Mutter. Meine Mutter war Ruvelia Shore und dafür konnte ich dankbar sein.
»Das tut mir leid«, sagte der Prinz bedauernd und lächelte dann jedoch. »Es muss seltsam sein, auf einmal im Norden zu sein. Ich hörte, Ihr lebtet in Cathalon?«
»Ja. Ich bin dort aufgewachsen.« Ich machte eine ausladene Geste, die den Raum einschloss. »Allerdings glaube ich, dass mehr vom Norden in mir steckt, als ich bisher geahnt habe. Ich fühle mich so wohl hier, müsst Ihr wissen.«
Der Prinz lachte. »Der Zauber des Nordens steckt jeden irgendwann an. Wenn Ihr mich entschuldigt, als Prinz hat man trotz allem Pflichten zu erfüllen.«
Ich neigte respektvoll den Kopf. »Natürlich.«
Als er lächelte, entblößte er eine weiße, gerade Zahnreihe, machte eine galante Verbeugung und verschwand zwischen den Gästen. Ob ich mich gerade blamiert hatte? War er deshalb so schnell gegangen? Bei den Göttern, hoffentlich hatte ich Vater keine Schande gemacht. Ich straffte den Rücken und versuchte Haltung zu bewahren. Vor dem Königshof in Winterfeste zu stehen war doch etwas anderes, als vor den Hausdienern in Cathalon.
Die Musik endete sanft und der König trat in die Mitte des Saals, was mich aus meinem Gedankenstrom riss. »Ich eröffne nun das Festmahl«, verkündete er und winkte die Gäste mit sich, wahrscheinlich, um sie in einen Speisesaal zu führen.
Mutter hakte sich bei mir unter und gemeinsam folgten wir der Meute.
Nur wenige Augenblicke später fand ich mich an einem langen Tisch mit hunderten von Stühlen wieder, beides aus dunklem Holz mit blauen Tischdecken, auf denen das Wappen abgebildet war. Ein Eiswolf. Auf den Tischen standen Schalen mit dampfenden Kartoffeln, Karotten, Erbsen und Bohnen, Tablette mit Hühner- und Rindfleisch, knusperige Brote und, als Krönung des Ganzen, ein goldbraunes Spanferkel. Für jeden Gast war ein silbrig glänzender Teller und ebenso glänzendes Besteck, sowie Kelche bereitgestellt worden. Goldene Kerzenständer auf den Tischen spendeten Licht und hinter dem Stuhl des Königs prasselte Feuer im großen Kamin.
Meine Familie saß ganz vorn beim König und seiner Gemahlin, welche direkt neben ihm saß. Daneben sein Bruder Eric und einige höher gestellte Barone und Fürsten. Wir saßen diesem Mopp gegenüber. Mir wurde unbehaglich und ich kam mir vor wie ein schlingendes Schwein, wenn ich die Königin hingegen sah, die kaum einen Bissen anrührte und sich eher dem Wein und Met wittmete.
»Nun, Evelyn«, sagte die Königin irgendwann über den Lärm der plaudernden Gäste hinweg, die sich zum Glück nicht für dieses Gespräch interessierten. »Ihr kommt also aus Cathalon. Gefällt es Euch dann überhaupt hier?«
Ich sah mich unsicher zu meinen Eltern um, die jedoch zu sehr mit dem Essen auf ihren Tellern beschäftigt waren.
»Es gefällt mir sehr gut, Majestät.«, sagte ich und faltete unter dem Tisch die Hände im Schoß.
Sie lächelte ein kühles, beherrschtes Lächeln, während sie den Wein in ihrem Kelch herum schwenkte. »Ich weiß ja, dass Ihr von dem guten Ser Mortos Shore adoptiert seid. Darf ich fragen, wer Eure echte Mutter war?«
Ich zuckte zusammen.
»Lillith«, mahnte der König und warf mir einen Seitenblick zu.
Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu brennen. Plötzlich kam ich mir noch fremder an diesem Tisch vor, als so schon. Noch weniger gewollt und fehl am Platz.
Stockend fing ich an zu erzählen. »M-meine Mutter war Hausdienerin im Hause der Shores... Sie starb bei meiner Geburt im Wochenbett.«
Die Königin lachte verzückt auf. »Die Tochter einer Hausdienerin haben wir hier am Tisch sitzen. Wenn ich das den Ladys erzähle, sie würden es nicht glauben, Gemahl.«
Williams Hand schoss vor und umklammerte ihr Handgelenk auf dem Tisch. »Ihr habt wohl zu viel Wein getrunken, Gemahlin.«, schnaubte er und starrte sie finster an.
Ruckartig zog sie ihre Hand unter seiner hervor. »Ich bin bei klarem Verstand.«, zischte sie und wandte sich wieder mir zu, wobei sie den Kelch abstellte. »War Eure Mutter eine Nord?«
Schamesröte färbte meine Wangen erneut. Und ich schämte mich für das, was ich in Wirklichkeit war, hätte ich keine Titel und Ansprüche durch meinen Ziehvater. Ich war die Tochter einer Hausdienerin und hatte eigentlich gar nicht hier zu sitzen.
Ich schüttelte den Kopf. »Eine Highländerin.«
Bellend lachte sie erneut und hielt sich eine ihrer schlanken Hände vor den Mund. Ihre hellblonden Locken hüpften auf und ab. »Verzeiht mir, aber ich finde es so lustig. Es kann niemand sagen, dass Ihr keinen Sinn für Humor habt, Gnädigste. Das war gerade alles ein Scherz, oder?«
Meine Kehle schnürte sich zu, meine Hände schwitzten und ich fühlte mich beobachtet, da auch der Blick der Barone und Fürsten nun auf mir lag. Meine Mutter neben mir hatte sich verkrampft und starrte schweigend in ihren Kelch. Ich wusste, dass ich sie enttäuscht hatte. Sie hätte von mir erwartet, dass ich mir irgendeine Lüge ausdachte, nur, um diese grässliche Wahrheit nicht zu erzählen. Am Hofe log man doch andauernd. Ich war einfach nur dumm.
Meine Augen brannten, als ich den Blick senkte.
»Bei den Göttern.« Sie legte sich brüskiert eine Hand auf das Dekolleté. »Und ich dachte, es wäre schon schlimm, dass sich nun Menschen mit Elfen paaren. Ihr müsst wissen, das Kloster Saint Donje hat jetzt ein Halbblut aufgenommen.«
Ich war also noch schlimmer, als ein Halbblut. Prima.
»Winston«, knurrte der König. »Holt die Kammerzofen der Königin. Meine Frau ist müde und möchte zu Bett gehen.«
Als der Junge sich gerade vom König abwenden wollte, stand ich auf und schluckte, da nun beinahe die ganze Aufmerksamkeit bei mir lag. »Macht Euch keine Mühe, Euer Hoheit. Ich bin sowieso erschöpft wegen der Reise und werde zu Bett gehen. Ich danke Euch für den schönen Abend.« Ich drehte mich um.
Da mich der König nicht aufhielt, deutete ich dies als Zeichen, dass ich entlassen war und ging so schnell ich konnte, ohne, dass es gehetzt wirkte aus dem Saal. Als ich auf irgendeinen der verlassenen Gänge war, lehnte ich mich schwer atmend und halb in Tränen ausbrechend an eine Wand.
Mutter und Vater hatten immer gesagt, dass ich mich für meine Herkunft nicht schämen müsste, aber genau das tat ich gerade. Ich schämte mich dafür, dass meine Mutter eine Dienerin gewesen war, Nachttöpfe ausleerte und Boden schrubbte und, dass sie aus den Highlands stammte und nicht aus einer adligen Familie. Ich verdiente es nicht, an diesem Tisch zu sitzen.
Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, stolperte ich den Gang entlang. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mein Zimmer wieder fand, aber als ich die Tür schloss und zu meinem Bett taumelte, kam ich mir vor, wie betrunken, obwohl ich gar nicht so viel zu mir genommen hatte. Ohne das Korsett zu lösen oder auch nur die Schuhe von den Füßen zu streifen, ließ ich mich rückwärts auf das Bett fallen und schmiegte meine tränennasse Wange in die weichen Kissen, die auch viel zu gut für mich waren.
Merkwürdigerweise dachte ich beim wegdämmern an das Halbblut, das die Königin erwähnt hatte. Ob es ein Junge oder Mädchen war? Und weshalb nahm das Kloster ein Kind auf, das von einem Menschen und einem Elf gezeugt worden war? Es gab viele Halbblüter auf der Welt, vor allem, wenn es den menschlichen Männern in den Freudenhäusern an den Küsten nach einer zierlichen Elfin gelüstete, enstanden Halbblüter. Diese Kinder wurden gewöhnlich ins Meer geworfen, wo sie der Wassergöttin überlassen wurden. Warum ausgerechnet ein Halbblut in ein edles Kloster aufnehmen?
Am nächsten Morgen weckte mich das leise Klopfen meiner Tür, sodass ich stöhnend den Kopf hob und beinahe zu Tode erschrak, als ich mein Anlitz im Spiegel gegenüber vom Bett erblickte. Die Schminke war halb verschmiert und meine Haare sahen aus wie ein Vogelnest. Verdammt!
Ich setzte mich auf, als es erneut klopfte.
Nur zu gut erinnerte ich mich an den schrecklichen gestrigen Abend. Ich war einfach aufgestanden und gegangen! Was nur sollten die Fürsten und Barone und was weiß ich wer von mir denken? Zudem hatte ich meiner Familie wahrscheinlich auch noch Schande gemacht, indem ich der Königin von meiner wahren Herkunft erzählt hatte. Dass meine Mutter eine Dienerin und Highländerin gewesen war, bevor sie im Wochenbett starb. Warum nur, konnte ich nicht normal sein, so wie die anderen Ladys am Hofe?
Es klopfte schon wieder und diesmal war ich so gereizt und wütend, teils einfach über mich selbst, dass ich aufstand und zur Tür stapfte. Ich riss diese auf.
»Verdammt nochmal, müsst Ihr mich zu solch früher Stunde nerven?!«
Sofort bereute ich meine Worte und vor allem mein Auftreten, denn vor der Tür stand kein nerviger Diener, sondern der Prinz höchst selbst. Er funkelte mich amüsiert durch grüne Augen an und trat einen Schritt zurück. Auch heute sah er gut aus, so wie gestern. Er trug eine Lederhose in schwarz und ein gefüttertes Wams, das mit einem silbernen Gürtel geschmückt war. Auf dem Wams war der Eiswolf eingestickt.
»Verzeiht, M'Lady.«, sagte er warm. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als Ihr nicht zum Frühstück erschienen seid.«
Blinzelnd blickte ich mich um. »Frühstück?«
Prinz Eric nickte. »Vor zehn Minuten hat es zur Mittagsstunde geleutet, der König war verwundert, als Ihr nicht auftauchtet heute morgen.«
Peinlich berührt riss ich die Augen auf und rieb mir die Augen, wodurch ich nur noch mehr die Schminke verwischte. »Bei den Göttern... ich muss verschlafen haben.«
Eric lächelte mich warm an. »Das kann schon einmal passieren, wenn man von der Königin ins Kreuzverhör genommen wird.«
Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle und ich spürte, wie meine Wangen flammend rot wurden.
»Demnach«, fuhr er fort. »müsstet Ihr großen Hunger haben.«
Eigentlich hatte ich kaum Hunger. Das lag nicht unbedingt an der Königin und ihren unangenehmen Fragen, sondern, weil ich morgens generell kaum Appetit verspürte, aber ich wollte den Prinzen nicht vor den Kopf stoßen, sodass ich schüchtern nickte.
Eric begann bis über beide Ohren zu grinsen. »Das trifft sich hervorragend. Ich habe im Garten ein kleines Picknick aufbauen lassen. Falls Ihr Euch umziehen möchtet...?«
Es dauerte etwas, bis ich reagieren konnte, denn ich glaubte nicht, was da gerade geschah. Der Prinz wollte mit mir speisen?! Nachdem der gestrige Abend ein völliges Desaster gewesen war? Ich war völlig überrumpelt von diesem Angebot, dass ich erst einmal etwas bedröppelt nickte.
Eric verbeugte sich galant und lächelte leicht. »Der Garten befindet sich, wenn Ihr in den Speisesaal tretet, hinter der Tür neben dem Kamin. Ich erwarte Euch dort.«
Und so drehte er sich um und verschwand im Gang, sodass ich völlig verdutzt im Türrahmen stehen blieb und bescheuert lächelte. Leider verflog das recht schnell wieder, als ich sah, wie ich eigentlich aussah. Meine Schminke war verschmiert und meine Haare standen in beinahe jede Himmelsrichtung ab. Außerdem war das Korsett verrutscht, sodass man etwas mehr von meiner linken Brust sah, als züchtig war.
Ich stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. Wie peinlich war das denn?!
Mit brennenden Wangen schüttelte ich den Kopf und trat an eine Tür, die mir Igrena letzten Abend gezeigt hatte. Kaum war das Klopfen verklungen, öffnete sich die Seitentür neben dem Schminkspiegel und Igrena und Nimea traten in mein Zimmer ein, verneigten sich kurz höflich und begrüßten mich am Morgen.
»Der Prinz hat mich zum Frühstück eingeladen«, informierte ich sie. »Bitte bringt dieses Chaos in Ordnung.« Ich deutete auf mein Gesicht und mein Kleid.
Ich sah deutlich, dass sich Igrena das Grinsen verkniff.
»Das ist nicht witzig«, tadelte ich sie, musste aber selbst lächeln. War das ein grässlicher erster Morgen in dieser Burg.
Nimea trat schweigend an mir vorbei und begann schweigend damit, Wasser in den Waschzuber zu kippen. Ich hatte das Gefühl, dass sie noch unsicherer und verschwiegener als vorher war. Natürlich war das kein Wunder, dass sie nichts sagte, wenn sie keine Stimme mehr hatte, aber sie wirkte irgendwie... abwesend. Ich wusste auch nicht weshalb, aber ich hatte das Gefühl, dass es mich nichts anginge. Sogar Diener benötigten Privatsphäre.
Igrena machte sich daran, mir aus dem Kleid zu helfen und warf es schließlich in einen Korb, bevor sie mir den Rücken schrubbte, während ich im Zuber saß und mir mit dem kalten Wasser den vorderen Teil meines Körpers wusch.
Ich sah Nimea nur hin und her huschen.
Nach ein paar Minuten war ich fertig angezogen, gewaschen und frisiert. Auf die Schminke, die mir die Augen verklebt hatte letzte Nacht, verzichtete ich gänzlich. Natur war doch schöner.
Ich dankte Igrena und Nimea, dann raffte ich den Rock des schlichten hellblauen Kleides und trat auf den Gang. Eine Weile lang folgte ich den Korridoren, Gängen und Sälen bis in den Speisesaal. Im Schloss herrschte reges Treiben; Wachen standen an den Wänden, regungslos in ihren Positionen, Hausdiener trugen Dinge durch die Gegend oder schrubbten Böden, entstaubten Vorhänge und Bilderrahmen. Ab und zu entdeckte ich zwei Fürsten oder Ladys, die aufgeregt über irgendwas plauderten.
Im Speisesaal war niemand, außer einer Hausdienerin, die den glänzenden Steinfußboden schrubbte, und zwei große Bluthunde, die am Kamin lagen und dösten, wobei sie sich vom Feuer die Rücken wärmten.
Ich trat an ihnen vorbei zu der besagten Holztür, die Eric erwähnt hatte und öffnete sie mit etwas Kraftaufwand. Was ich erblickte, war atemberaubend. Es war ein süßer kleiner Garten, bewachsen mit Blumen und Hecken, umgeben von der Steinmauer. Zwischen den Zinnen konnte man die Wachmänner erkennen, außerdem wuselten zwischen den Pflanzen zwei Gärtner in warmer Lederkluft herum. Ein Wunder, dass solche Pflanzen überhaupt in diesem rauen Nordklima gediehen.
Als ich die schmalen Pfade zwischen den Büschen und Sträuchern hindurch ging, erkannte ich schließlich Prinz Erics schwarzen Haarschopf. Er stand auf einem kleinen Wiesenstück, neben ihm war eine karierte Decke ausgebreitet, darauf ein Korb und Teller mit Besteck. Außerdem lag eine Feldflasche auf der Decke.
Er erblickte mich und lächelte mich warm an, was mein Herz zum Flattern brachte.
Ich blieb vor ihm stehen und machte einen Knicks, so wie ich es gelernt hatte. »Euer Hoheit.«
Prinz Eric verbeugte sich vor mir, dann ergriff er meine Hand und hauchte einen zarten Kuss auf samtweichen Lippen auf meine Knöchel. »M'Lady.«, grüßte er zurück.
Mein Bauch kribbelte wohlig, als er meine Hand wieder los ließ. »Ich... ich bitte Euch um Verzeihung. Mein Anblick vorhin war sicher alles andere, als der, den man von einer Lady erwartet.«
Eric schüttelte den Kopf. »Ihr müsstet mich einmal sehen, wenn ich morgens aufstehe. Das sieht nicht viel anders aus - wollt Ihr Euch nicht setzen?«
Ich nickte, machte noch einen Knicks und ließ mich dann auf der Decke nieder. Insgeheim fragte ich mich, wie er wohl aussah, wenn er frisch aus dem Bett aufstand. Wahrscheinlich war das Bett zerwühlt, die Haare verwuschelt... Aufhören! Diese Gedanken schickten sich nun wirklich nicht für eine Lady.
Prinz Eric setzte sich neben mir auf die Decke und bot mir die Feldflasche an. »Darin ist süßer Wein aus dem Süden. Mein Bruder lässt ihn sogar aus Tamarien importieren.«
Zwar war es mir noch etwas zu früh für Wein, zumal ich gerade eben erst aufgestanden war, aber ich nickte nur, da ich nicht unhöflich sein wollte und nahm die Feldflasche. Ich nahm einen großen Schluck, möglichst unauffällig, um etwas lockerer zu werden, denn meine Muskeln schmerzten beinahe vor Anspannung. Schließlich gab es in dieser Situation eine Menge Dinge, die man falsch machen konnte. Und ich hatte das Gefühl, alles falsch zu machen.
Ich setzte die Feldflasche ab und starrte sie an, während ich sie in meinen Schoß sinken ließ. Meine Brust hob und senkte sich heftig und unkontrolliert.
»Ihr seht nervös aus«, bemerkte der Prinz.
Ich antwortete nicht, da mir die Worte in der Kehle hängen blieben. Was sollte ich auch schon zu einem Prinzen sagen? Mein Leben war von jeher langweilig gewesen, also konnte ich ihm wohl nicht mit einer Klatschgeschichte aus Cathalon dienen. Rasch strich ich mir eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht.
Plötzlich streiften seine Finger meinen Handrücken und ich sah auf.
Er betrachtete unsere Hände. »Als Ihr gestern in den Thronsaal kamt, dachte ich, dass Ihr das schönste seid, was meine Augen jemals erblickten.«, gestand er. »Ihr saht... nicht so überzogen aus, wie die restlichen Damen am Hof, die ich sonst zu Gesicht bekomme.«
Mein Herz hatte einen aufgeregten Hüpfer getan bei seinen Worten. »Ist das wahr?«, fragte ich kaum hörbar.
Der Prinz nickte.
»Ich... danke Euch für das Kompliment, Majestät.«
Leicht lächelte er und streichelte meinen Handrücken noch eine Weile.
Dabei fragte ich mich, was Mutter von mir denken würde. Wäre sie stolz, dass ich den Prinzen wohl auf meine Weise verzaubert hatte, obwohl der gestrige Abend eine Katastrophe epischen Ausmaßes gewesen war? Ob sein Geständnis irgendwas zu bedeuten hatte? Ich für meinen Teil fühlte mich sehr geschmeichelt.
»Möchtet Ihr vielleicht etwas von der Taubenpastete? Gréta macht die besten Landesweit.« Prinz Eric kramte mit einer Hand in dem Korb neben uns, die andere hielt meine immer noch fest.
Ich lächelte leicht. »Gréta?«
Er förderte eine Metallschale hervor, in der sich eine Art Kuchen aus Blätterteig befand. Auf der Oberfläche waren kleine Rillen eingeritzt als Verzierung. »Unsere Köchin. Sie hat gestern auch für die ganze Bande gekocht. Immer viel zutun, die Arme.«
Nun ließ er meine Hand doch los und holte ein Messer aus dem Korb, mit dem er zwei ordentliche Stücken aus der Pastete schnitt. Auf einer Stoffserviette reichte er mir mein Stück.
Zwar hatte ich keinen Hunger, aber als ich in das saftige Pastetenstück biss, lief mir buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Es schmeckte köstlich!
»Gréta ist eine hervorragende Köchin.«, nuschelte ich, als ich geschluckt hatte.
Er lächelte mit geschlossenem Mund. »Das ist sie«, bestätigte er. »Gestern wurden wir ja leider unterbrochen, als ich mit Euch plauderte. Erzählt mir etwas aus Eurer Heimatstadt Cathalon. - Ihr sagtet gestern, dass Eure leibliche Mutter eine Highländerin gewesen ist.«
Langsam ließ ich das Stück zurück auf die Serviette in meinen Schoß sinken und blickte mit brennenden Wangen hinab. Eine ganze Weile schwieg ich, da ich ihm einfach nicht antworten wollte. Was würde er von mir denken, wenn ich ihm noch mehr erzählte? Dass mein Vater irgendein highländerischer Wilder war, der meine Mutter im Heu des Stalls besprungen hatte, als wäre sie eine Hure und von dem am darauffolgenden Tag keine Spur mehr gefunden wurde. Ein Mann, der meine Mutter geschwängert und fallen gelassen hatte, wenn man den Gerüchten des Personals Glauben schenken mochte. Und, dass meine dumme Mutter nur allzu gerne mit ihm im Heu gelegen hatte, um mich zu zeugen, wobei das sicherlich keine Absicht gewesen war. Und, dass sie nur noch mit letzter Kraft einen Heiler beauftragt hatte, mir die Tattoowierung auf das Schulterblatt einzustechen, bevor sie mit mir im Arm gestorben war.
In Cathalon war es gleich gewesen, welcher Herkunft ich entstammte, weil ich nie viel mit wirklich wichtigen Leuten zutun gehabt hatte. Aber hier am Hofe des Nordkönigs war es etwas anderes. Hier zerriss man sich das Maul über die kleinen Leute und noch mehr über die großen und wichtigen Leute. Und dadurch, dass mein Ziehvater nun in der Königsgarde als Ritter diente und damit zum engeren Haushalt des Königs und dessen Familie gehörte, zerriss man sich natürlich auch das Maul über mich.
Und, wenn man über mich tuschelte, tat man es auch über meine Familie. Ich glaubte nicht, dass es meinen Vater interessierte, was man über seine Ziehtochter sagte, aber ich wusste, dass Mutter der Ruf unserer Familie wichtig war. Ich wollte sie nicht enttäuschen und bloßstellen.
»Wenn Ihr nicht darüber sprechen wollt, M'Lady... ich will Euch nicht zu nahe treten.«, entschuldigte sich Eric.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte erzwungen. »Ich... möchte einfach nicht über die Frau sprechen, die mich geboren hat.«, wich ich aus und strich mir die nervige Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Das werde ich respektieren, Evelyn.« Seine Augen waren tiefgrün, wie zwei ruhende Teiche.
Mir lief ein Schauer über den Rücken, als er meinen Namen erwähnte. »Ich danke Euch, Majestät. - Erzählt mir doch etwas über Euch.«
Leise lachte er auf. »Über mich gibt es nicht wirklich viel zu erzählen, aber ich werde es versuchen.« Er faltete die Hände und legte die Knöchel an seine Lippen, die Ellenbogen auf seine Oberschenkel gestützt - er saß im Schneidersitz. »Okay. Ich habe einen älteren Bruder, wie Ihr unschwer erkannt haben dürftet. William war schon immer in allem besser, als ich und außerdem ist er der Erstgeborene. Es war von Anfang an klar, dass ich Prinz bleibe und zwar mein Leben lang, aber das stört mich nicht. Nebenbei hat er mich auch noch zu seinem Haus und Hofmeister ernannt, weshalb ich eigentlich sehr viel zutun habe... Naja, was die Verwaltung der Burg und Ländereien angeht.«
»Arbeitsteilung sozusagen?«, fragte ich nach, um interessiert zu wirken, auch, wenn mich dieser ganze Arbeitskram eigentlich nicht die Bohne interessierte. Aber nun gut. Einfach lieblich wirken und den Mund halten, wenn ein Mann sprach, wie Mutter es mir eingebläut hatte.
»Genau. William ist zwar König und kümmert sich größtenteils selbst um sein Land, aber fünf Burgen, davon zwei schwer besetzte Festungen zu verwalten kann kein Mann alleine. Und jetzt wo der Herbst anfängt, wird es noch einmal doppelt schwer, wegen den Ernten und all das. Deswegen gehe ich ihm zur Hand und überprüfe die Ausgaben und Einnahmen. Wir sind ein Gespann und wenn ein Pferd ausfällt, kommt das andere auch nicht weit.«
Ich lächelte und nickte dann. »Klingt nach einer harmonischen Bruderschaft. Man hört es ja oft, dass Zweitgeborene eifersüchtig sind, weil sie nicht auf dem Thron sitzen.«
Eric lächelte mild. »Auf diesem steinharten Ding zu sitzen ist sicherlich nicht immer angenehm. Und mein Bruder ist auch noch jung mit dreiundzwanzig. Ich würde mit meinen zwanzig Jahren nicht gerne in seiner Haut stecken. Die viele Verantwortung kann einen erdrücken.«, fuhr er fort. »Und dann auch noch diese Frau an der Seite... ich wäre schon durchgedreht an seiner Stelle.«
Ich horchte auf und runzelte die Stirn. »Wieso?«
Der Prinz beugte sich zu mir, wobei sein warmer Atem meinen Hals streifte und sich mir die Nackenhärchen aufstellten. »Die Königin hat überall ihre Spitzel, aber ich sage Euch nur so viel, dass William schon genervt stöhnt, wenn man ihren Namen nennt.«
Er lehnte sich zurück und lächelte vielsagend.
Blinzelnd hielt ich inne.
Ein König, der sein Weib leid war? Das kam in den besten Königreichen vor. Jedoch hatte das hier nicht so gewirkt... obwohl. Dieser leicht bittere Zug um König Williams Lippen beim gestrigen Festessen und die beinahe - konnte es sein? - leeren Augen, als er in die Runde geschaut hatte. Jetzt erst bemerkte ich, dass der König gestern Abend recht wenig gesprochen hatte und wenn, dann hatte er seine Frau getadelt, als diese mich ausgefragt hatte. Seine Stimme hatte so hart geklungen und auch sie schien von seiner Anwesenheit nicht begeistert gewesen zu sein. Das musste doch schrecklich sein, wenn man gezwungen war, jemanden zu ehelichen, den man absolut nicht ausstehen konnte.
»Deswegen hat mein Bruder auch noch keinen Erben.«, erklärte Eric leise, sodass nur ich es hören konnte und die kleine Haselmaus, die sich an seine Pastete heran geschlichen hatte, die er allerdings nicht wegscheuchte. »Ich habe Diener sprechen hören... angeblich sollen sie nur in der Hochzeitsnacht beieinander gelegen haben. Sonst würde er sie nicht einmal mit einer Grillzange anfassen.«
Überrascht hoben sich meine Brauen.
Dass mir ausgerechnet der Prinz über das Liebesleben seines Bruders unterrichtete, hätte ich nicht gedacht.
»Irgendwie klingt das traurig.«, nuschelte ich und nahm einen Bissen aus langen Zähnen von meinem Pastetenstück.
Nachdenklich nickte Eric. »Irgendwann wird er sicher ein dicker, alter Sack, total verbittert, genauso wie unser Vater.«, murmelte er und diesmal klang seine Stimme schwer vor Sorge und leisem Kummer.
Ich wollte ihn eigentlich nicht danach fragen, da es mir vorkam, als gingen mich solche Sachen nichts an, aber ich fragte dennoch vorsichtig: »Was war denn mit Eurem Vater?«
Eine geraume Zeit sagte er nichts, weshalb ich schon dachte, dass ich etwas unflätiges gesagt hatte, dann jedoch sprach er mit einer Traurigkeit in der Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Ulfrik heiratete auch so in Williams Alter unsere Mutter, Tiberia. Es dauerte Jahre bis die beiden sich überwinden konnten, um meinen Bruder zu zeugen und als er auf der Welt war, war auch alles gut. Vater hatte seinen Erben und Mutter hatte ein Kind, mit dem sie sich beschäftigen konnte. Drei Jahre später kam ich und dann... tja. Dann kam unser jüngster Bruder.«
»Ihr habt einen jüngeren Bruder?«, fragte ich kaum hörbar.
Eric nickte langsam. »Er wurde tot geboren. Tiberia verkraftete den Verlust nie und verbannte meinen Vater aus ihrem Bett. Und da sie ihm nicht mehr das gab, was er haben wollte, nahm er sich eine der jungen Ladys zur Hure.«
Ich zuckte kaum merklich zusammen, denn dieses Wort war ich keines wegs aus dem Mund eines Mannes gewöhnt.
Er bemerkte mein Stutzen sofort, so aufmerksam hatte er mich angesehen. »Vergebt mir. Diese Wortwahl war nicht für die Ohren einer Lady bestimmt.«
Ich versuchte zu lächeln, als er meine Hand in seine nahm. »Schon in Ordnung.«
Langsam nickte er. »Naja... mit den Jahren wurden beide immer verbitterter, stritten sich so heftig, dass sogar Großmutters Porzelan dran glauben musste. Sie starb im Alter von dreiundvierzig. Das - glaube ich - hat Ulfrik das Herz gebrochen. Jetzt ist er ein alter Greis, der kaum mehr seine Söhne erkennt und vor Krankheit halb wahnsinnig geworden ist.«
»Verweilt er deshalb in Krähenfurt?«
Eric nickte. »Er mischte sich zu sehr in die Landesangelegenheiten, als Will seinen Posten als König anging. Er brachte viele Dinge fürchterlich durcheinander und so mussten wir ihn einfach fortschicken. Damit er in Ruhe alt werden kann. Außerdem gibt es in Krähenfurt die besten Heiler des Nordens. Die kümmern sich um den alten Sack.«
Es war mir ein regelrechtes Graus, wie der Prinz von seinem Vater sprach. Natürlich hatte dieser viel falsch gemacht in seinem Leben, angefangen damit, dass er sich wohl allem Anschein nach, kaum um seine Frau und seine Kinder gekümmert hatte, aber dennoch hatte dieser Mann die beiden Brüder gezeugt. Und nun hatten sie ihn nach Krähenfurt abgeschoben, der Burg, die am weitesten von Winterfeste entfernt war. Ob das etwas zu bedeuten hatte?
Ich wusste es nicht, aber ich wollte mir kaum vorstellen, was sein würde, wenn mein Ziehvater einmal so alt war. Niemals könnte ich von dem Mann, der mir Heim und Herd geboten hatte, reden. Egal, was er getan hätte.
Der Prinz redete eine ganze Weile noch über irgendwelche geschäftlichen Dinge, die er als Haus und Hofmeister zu erledigen hatte, aber ich hörte ihm nicht zu. Hin und wieder nickte ich und lächelte, aber wirklich zuhören tat ich nicht. Vielmehr beschäftigte mich die Sache mit dem König und seiner Frau. Irgendwie tat mir der Mann leid. Es war nicht schön zu wissen, dass ein Mann sich in sein Unglück stürzte, nur, weil er verheiratet war. Eric schien das Schicksal seines älteren Bruders nicht wirklich ans Herz zu gehen, so ungerührt wie er darüber gesprochen hatte, dass er sicher war, dass William auch einmal verbittert und jähzornig sein würde, so wie sein Vater. Und Lillith' Verhalten schien auch zu diesem Umstand beizutragen.
Auf einmal huschte ein Diener durch den hölzernen Torbogen, der vom Rosen umrangt war und seitlich in den Burghof führte. Er blieb vor uns stehen und verneigte sich.
»Majestät, M'Lady. Der König will Euch sehen.«, sagte der Diener zu Eric.
Dieser verdrehte genervt die Augen. »Das kann warten.«, brummte dieser und drehte sich wieder zu mir.
Der Diener sah aus, als wäre er in der Zwickmühle. »Er sagte, dass er Euch auf der Stelle braucht.«
Heftig zuckte ich zusammen, als der Prinz aufsprang und den Diener ins Gras stieß. Dieses Verhalten konnte ich nicht ganz begreifen, weshalb ich diskret wegblickte und die Hände im Schoß faltete.
»Sagt meinem Bruder, dass ich beschäftigt bin, verstanden?! Und nun schert Euch weg!«, fauchte Eric wütend.
Rasch schüttelte ich den Kopf und stand auf, ergriff Erics Arm, um ihn zu beruhigen. Mann war der Kerl aufbrausend...
»Ist schon in Ordnung, Majestät. Ich wollte mich sowieso noch ein wenig zurückziehen und mir die Burg anschauen. Geht nur, man lässt den König nicht warten.«, beschwichtigte ich ihn.
Zuerst schien der Prinz mit sich zu hadern, denn sein Blick huschte zwischen mir und dem Diener hin und her, welcher inzwischen aufgestanden war, bevor er eine Hand auf meine legte und bemüht ruhig meine Knöchel streichelte. Jedoch war etwas in dieser Ruhe, das mich erschaudern ließ. Und zwar nicht aus Wohlgefühl. Sein Mundwinkel zuckte nervös.
»Gut.«, sagte er, obwohl es so klang, als würde er es spucken. »Dann amüsiert Euch noch gut, meine Liebe.«
Ich nickte langsam, als er mich los ließ und davon stürmte. Der Diener folgte ihm stolpernd und ich atmete beinahe erleichtert ein und aus. Das war gerade mehr als seltsam gewesen, vor allem sein Wutausbruch, der wie aus dem Nichts gekommen war.
Schwerfällig ließ ich mich auf die Decke sinken und strich mir die lose Strähne mal wieder hinter das Ohr, bevor ich die Krümel der Pastete in den nächsten Busch feuerte, damit die Mäuse und Vögel auch etwas hatten. Schließlich seufzte ich und streckte mein Gesicht eine Weile in die Sonne. Vielleicht würde ich so bald die Blässe loswerden, die ich bereits seit meiner Geburt besaß.
Eine Weile später war ich aufgestanden und betrat den Speisesaal. Auf dem schwarz-weiß gekachelten Boden glänzte es, so wie es aussah war die Magd fertig geworden. Eine andere, ältere Magd huschte an den Möbeln vorbei und staubte sie mit einem Ding ab, das aus vielen Hühnerfedern bestand, die man zusammengebunden hatte. Die großen Bluthunde lagen noch immer vor dem Kamin.
Da ich nichts weiter zu tun hatte bis auf Weiteres, schritt ich hinüber zu den Tieren und hockte mich hin. Sanft kraulte ich das Ohr von einem der riesigen Hunde.
»Aaron ist sonst nicht so zutraulich.«, erklang eine melodische Stimme hinter mir.
Ich fuhr hoch und drehte mich rasch um.
Vor mir stand eine junge Frau, die kaum älter wirkte, als ich. Sie hatte blasse Haut und rabenschwarzes Haar, das mit einer kunstvollen Spange hochgesteckt war. Ihr Kleid wirkte freizügig, war ärmellos und beinahe genauso schwarz wie ihr Haar. Nur die wundervollen Blumenmuster glänzten im Licht silbergrau. An ihrem Ausschnitt befanden sich Rüschen und Spitze und dieses Kleid musste aus Seide bestehen, denn es schillerte wundervoll. Unter diesem Kleid konnte ich nur eine allzu weibliche Figur erahnen.
»Ich... ähm... verzeiht. Ihr habt mich wohl etwas erschreckt.«, stammelte ich.
Ihre Augen blitzten smaragdgrün auf. »Das wollte ich nicht, Gnädigste.«, sie machte eine kurze Verbeugung. »Ihr seid die Tochter dieses Ritters, nicht wahr? Von diesem Hexer, Ser... irgendwas mit M.«
Ich lachte leicht und entspannte mich. Sie wirkte sehr freundlich. »Ser Mortos Shore.«
Sie grinste und entblößte strahlend weiße Zähne, die von ihrem roten Lippenstift noch unterstrichen wurden. »Genau der. Ihr seid die Highländerin, über die der ganze Hof spricht.«
Im nächsten Moment entglitten mir die Gesichtszüge und ich blickte verzweifelt in die Flammen des Kamins. »Sicher machen sich alle über mich lustig.«, murmelte ich und ich spürte beinahe Tränen in den Augen. Das war so peinlich, vor allem für meine Mutter. Hoffentlich schämte sie sich nicht für mich.
»Im Gegenteil. Sie sind sehr neugierig auf Euch, M'Lady.«, erwiderte sie und beugte sich hinunter zu dem Bluthund, den ich gerade gestreichelt hatte. Sie kraulte ihn ihrerseits.
Eine Pause entstand und ich blickte mich ratlos um.
Dann kam mir ein neues Gesprächsthema in den Sinn. »Ihr habt mir doch Euren Namen genannt?«
Die schwarzhaarige Schönheit erhob sich wieder. »Nein.«, sagte sie. »Ich bin Mistress Jeanne.«
Die Spucke blieb mir im Halse stecken. »Mis... Mistress?«, krächzte ich.
Ihre hübschen, grünen Augen und ihr sehr erwachsen wirkendes Gesicht, wirkte nun noch reifer und erfahrener. »Ihr wart wirklich noch nie am Hof eines Königs, nicht wahr? Hier laufen einige Damen herum, die diesen Titel innewohnen.«
Bei den Göttern! Was tat ich hier eigentlich?! Ich müsste mich brüskiert umdrehen und das Weite suchen, schließlich gab sich eine Lady niemals mit einer Mistress ab. Aber irgendwie faszinierte mich diese Frau, die aussah, als wäre sie im früheren Leben einmal ein Rabe gewesen. Dieses intensive Grün ihrer Augen, das meiner Augenfarbe sehr ähnlich war, die reifen und erwachsenen Züge und dieses dunkle Haar, das im Licht des Feuers bläulich glänzte. Sie war nicht so, wie ich mir eine Mistress vorgestellt hatte, nicht, dass ich das jemals getan hätte.
»Und... wer...?«
Ihre Lippen verzogen sich in die Höhe, dann erklang ein glockenhelles Lachen. »Ich hätte gedacht, dass Ihr die Flucht antretet, nachdem Ihr das hört. Ihr seid wirklich anders, als diese ganze verwöhnten Gören, die sich nur um Papis Geld sorgen und dann doch irgendwann an einen fetten alten Mann abgeschoben werden.«
Irgendwie entstand ein leichtes Lächeln in meinem Gesicht. »Ich nehme das mal als Kompliment.«
Jeanne lächelte süffisant. »Mein Lord ist der erste Ritter der Königsgarde. Sicher wird Euch der Name nicht viel sagen...«
»Robert McCain.«, fiel ich ihr ins Wort und faltete die Hände vor dem Bauch. »Ein Nachfahre des vor zweihundert Jahren lebenden Nukha McCain.«
Überrascht hob sie die Augenbrauen und lächelte. »Wie ich sehe, habt Ihr Eure Hausaufgaben gemacht.«
Ich zuckte die Schultern. »Mein Hauslehrer in Cathalon bestand darauf, so ziemlich alle wichtigen Personen mit Namen und persönlicher Geschichte zu kennen. Ziemlich anstrengend, aber schön, wenn man es weiß.«
Sie schritt einmal elegant um mich herum und blieb direkt neben dem Kamin und unterhalb des mächtigen Hirschgeweihs über diesem stehen. »Dann wisst Ihr auch, dass Nukha McCain ein Vorfahre von Elaine Dúbroch ist.«
Verwundert hob ich die Augenbrauen. »Wer ist denn bitte Elaine Dúbroch?«
Klackende Schritte ertönten und wir sahen gleichzeitig auf.
Königin Lillith betrat in einem eleganten elfenbeinfarbenen Kleid den Speisesaal. Ihre rehbraunen Augen wirkten streng und auch irgendwie zynisch, als sie uns ein kühles Lächeln zuwarf. »Elaine Dúbroch ist die Verlobte des Prinzen von Isinior, Lady Evelyn. Die Neuigkeit hat sich wohl rasch im Norden herum gesprochen, wenn sogar eine Mistress davon Bescheid weiß.«, lächelte Lillith gefährlich ruhig und blieb direkt neben mir stehen, als wolle die Königin ihr Revier markieren.
Dieser Verdacht bestätigte sich, als sie sich bei mir unterhakte, als wären wir die besten Freundinnen.
Jeanne blickte die Königin mit einem eiskalten Blick an und lächelte übertrieben freundlich. »Ich weiß so einige Dinge über den Hof, Euer Hoheit.«, sagte sie leise und bedeutungsvoll, wobei ihr kühler Blick abwärts am Körper der Königin hinab glitt.
Diese grub ihre Fingernägel in meinen Ärmel. »Habt Ihr nicht einen Freier, zu dem Ihr Euch legen müsst?« Sie betonte das Wort sehr genau, um zu verdeutlichen, was Jeanne für einen Titel besaß.
»Natürlich.«, erwiderte Jeanne lächelnd und machte einen Knicks, bevor sie sich abwandte und in die Richtung des ersten Bogen schritt, durch den man in den Tanzsaal kam, den ich gestern nur von weitem gesehen hatte. »Schließlich habe ich mehr Verehrer, als gewisse andere Personen, sodass mein Schoß nicht schon in jungen Jahren verkommt.«
Die Königin spannte sich neben mir an und aus dem Augenwinkel sah ich, dass ihre Nasenflügel gefährlich bebten, als Jeanne den Saal verließ.
Eine Weile herrschte Schweigen im Raum, schwer wie Zigarrenqualm. Dann endlich löste sich die Königin von mir und drehte sich zu mir, die Hände auf Hüfthöhe ineinander verkrallt. »Ich möchte nicht, dass Ihr Euch noch einmal mit dieser Frau unterhaltet, Lady Evelyn.«, zischte sie streng, ihr Kiefer war verkrampft.
Kurz öffnete ich den Mund, um zu widersprechen, dann entsinnte ich mich, dass ich vor der Königin des Nordens stand, egal, was man sich über sie erzählen mochte, und nickte gehorsam.
Sie lächelte erzwungen und hakte sich erneut bei mir unter und führte mich zu einer Seitentür. »Sie ist Eurer Anwesenheit nicht wert, meine Liebe. Leider konnte ich meinen Gemahl noch nicht dazu überreden, dass man Mätressen am Hof ganz verbietet und diese... Kreaturen dorthin zurück schickt wo sie hingehören - auf die Straße.«
Königin Lillith lästerte noch eine ganze Weile über Jeanne und ihresgleichen, während wir durch die Gänge und Flure wanderten, an dessen Wände prunkvolle Ölgemälde und Banner hingen, aber ich hörte ihr kaum zu. Ich dachte nur an die Rabenfrau, die mich regelrecht fasziniert hatte mit ihrem selbstsicheren Auftreten, dass sie sogar der Königin trotzte, ohne mit der Wimper zu zucken. Gerne hätte ich selbst so viel Selbstvertrauen. Aber ich war schon immer mehr der schüchternere Typ Frau gewesen, der lieblich wirkte und sich an die Regeln hielt.
An diesem Tag hätte ich noch nicht gedacht, dass sich meine Welt bald völlig auf den Kopf stellen würde.
Es verging eine gute Woche, in der einiges passierte. Die Königin war freundlicher, als zuvor, auch, wenn es sich oftmals sehr gekünstelt und erzwungen anhörte. Manchmal nahm sie mich sogar mit zum Tee in ihre Gemächer, wo sie mir ihre Hofdamen vorstellte. Es waren insgesamt sieben Hofdamen. Clarissa, Claire, Antonia, Marta, Olivia, Naíth und Juwel. Ein Wunder, dass ich mir die Namen überhaupt merken konnte. Clarissa, Claire, Olivia und Naíth stammten aus dem Norden, genauso wie meine beiden Zofen. Die anderen, so sagte man, stammten aus verschiedenen Teilen der Welt und waren alle extra angeworben worden, um als Hofdame der Königin zu dienen.
Ab und zu sah ich noch Jeanne, aber die Königin war so schnell bei mir, sodass ich keine Chance hatte, mich bei Jeanne zu entschuldigen und mich eventuell doch mit ihr anzufreunden. Zwar hieß ich es nicht gut, dass sich eine Frau für Geld verkaufte und dann auch noch für den Geschlechtsakt, aber das hatte ja nichts mit ihrem Charakter oder ihrer Freundlichkeit mir gegenüber zu tun. Oder?
Und jeden Morgen schenkte mir der Prinz eine kleine Aufmerksamkeit, wodurch ich mich sehr geschmeichelt fühlte. Ich hatte das Gefühl, dass er mich gern hatte.
Außerdem hatte ich mir einen ganzen Tag Zeit genommen, um die Burg zu erkunden. Es gab tausende geheime Gänge, verborgene Türen, die teilweise sogar verschlossen waren, damit niemand einen Fuß dahinter setzte. Ich hatte herausgefunden, dass die Gemächer des Königspaares und des Prinzen im dritten Stockwerk der Burg Platz hatten und sich auf diesen Gängen nur Personal aufhalten durfte, das enger mit den wichtigen Leuten zu tun hatte. Im zweiten Stock nächtigten die Ritter der Königsgarde und deren Familien. Außerdem hatten am Ende der Gänge Barone und Fürsten Platz, die dem königlichen Haushalt untergestellt waren. So wie der Schatzmeister, der sich um die Steuern kümmerte, zwei königliche Berater und der Priester, der im Tempel, welcher im Tempelhof stand, arbeitete und die Königin angeblich immer wieder segnen sollte, damit sie dem König Kinder gebärte. Anscheinend hatte es noch nicht recht geklappt.
Das untere Stockwerk war für das Personal. Dort schliefen die Diener, Dienstboten, Mägde und die Köchin. Außerdem hatte dort auch der königliche Jägertrupp sein Quartier. Zudem befand sich im unteren Stockwerk die Burgküche, in die ich nur kurz einen Blick hatte erhaschen können, bevor mich Lillith mal wieder eingesammelt und zu ihren öden Teepartys geschleift hatte.
Es war glatt eine ganze Horde an Bediensteten nötig, um die Massen an Essen zu kochen, die für eine ganze Burg von Nöten waren.
Nur das Gemach des Hofheilers hatte ich nicht entdecken können.
An diesem Morgen saß ich bereits bei Sonnenaufgang an meinem Schminktisch und kämmte mein Haar bis es glänzte. Gedankenverloren blickte ich aus einem der Fenster, das ich geöffnet hatte, um durchzulüften und betrachtete den orangefarbenen Himmel, an dem die Sonne empor kroch. Es war wundervoll.
Leise klopfte es an der Seitentür.
»Herein!«, rief ich und legte die Bürste beiseite.
Igrena und Nimea traten ein und machten sich routiniert ans Werk, holten ein Kleid heraus und Stiefel und sogar meinen neuen Mantel, den ich vom König höchst selbst geschenkt bekommen hatte.
Ich wandte mich auf der kleinen gepolsterten Bank um und runzelte die Stirn. »Ist heute irgendein besonderer Anlass?«, fragte ich verdutzt. »Oder weshalb holt ihr meinen Mantel hervor?«
Nimea ignorierte mich. Sie hätte mir wohl auch keine Antwort geben können, aber dennoch fand ich ihr Verhalten sehr seltsam in letzter Zeit. Zu Anfang hatte sie scheu gewirkt, jetzt war sie reserviert und beinahe dreist.
Igrena lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. »Heute findet die Jagd statt, M'Lady.«
Neugierig stand ich auf und blieb neben dem Bett stehen. »Die Jagd?«
Sie nickte eifrig und bedeutete mir, dass ich mein Nachthemd ausziehen sollte. »Jedes Jahr um diese Zeit sind die Jungwölfe der Rudel um die Burg herum alt genug, um zu jagen, was bedeutet, dass es weniger Wild gibt und sie sich irgendwann unweigerlich den Höfen nähern.«
Ich zog mein Nachthemd über den Kopf und warf es auf das Bett, dann reichte mir Nimea ein Unterkleid, das ich über zog. »Das bedeutet, sie reißen Vieh?«
Igrena nickte. »Vor einigen Jahren... da gab es einen unschönen Vorfall mit dem kleinen Sohn einer Bauernfamilie. Ein Jungwolf, der tollwütig war, hat ihn angefallen und ihm das halbe Gesicht weggerissen. Den Wolf konnte man mit einer Armbrust erschießen, aber der Junge... man konnte ihm nicht mehr helfen.«
Ich bekam eine unangenehme Gänsehaut. »Das ist ja furchtbar.«
Igrena legte die gepolsterten Kissen um meine Hüften, die das Kleid aufbauschen sollten. Schließlich hatte man die seltsamen Gestelle, die man drunter trug, schon lange abgeschafft. Dann legte sie mir das Korsett um, wobei ich mich an einem der Bettpfosten abstützte, als sie begann es fest zu ziehen.
»Ja, das stimmt. Man redete wochenlang darüber und seitdem ist diese Jagd jedes Jahr. Die Männer stellen Zelte auf, damit man darin am Waldrand übernachten kann und der alte König, Ulfrik, hat sogar ein Anwesen für die besseren Herrschaften bauen lassen. Heute zieht die halbe Hausgesellschaft des Königs in dieses Anwesen. Das dauert meistens ein paar Stunden, aber zur Abenddämmerung hin geht die Jagd los. Manchmal dauert sie sogar ein paar Tage.«
Sie zog die letzten Schnüre fest, dann half sie mir das bunte Oberkleid überzuziehen. Diesmal ein wunderschönes rotes mit schwarzer Spitze, die ich sofort als Spitze aus Cathalon identivizierte, denn nur Cathalonische Spitze besaß diese winzigen Details in der Form von Vögeln. Außerdem war ein schwarzes Blumenmuster auf dem roten Stoff gestickt.
»Weshalb soll ich denn mitkommen?«, fragte ich neugierig. »Ich glaube kaum, dass ich besonders nützlich bei einer Treibjagd sein werde.«
Igrena betrachtete ihr Werk und stemmte kritisch die Hände in die Hüften. »Der König hat nach Euch verlangt.«, antwortete sie und zupfte an meinem Rock herum.
Ich stutzte. Der König? Warum das denn? Das verstand ich nicht genau, schließlich hatte ich diesen nur beim Abendessen jedes Mal gesehen, da meine Familie mit ihm speiste. Die Peinlichkeit dieses einen Abends schien bereits vergessen zu sein und dennoch hatte er immer sehr still und verschlossen gewirkt, kaum, wie an dem Tag, als er mir den weichen Mantel geschenkt hatte. Er hatte mich oder meine Familie kaum beachtet die letzten Tage und dann wollte er ausgerechnet, dass ich mit der Hausgesellschaft auf das Jagdanwesen zog?
»Nein«, schnaubte Igrena mit hoch konzentriertem Gesichtsausdruck und riss mich damit aus den Gedanken.
»Was ist denn?« Ich schaute an meinem Körper herunter.
»Ich glaube, das ist das falsche Kleid für eine Jagd.«
Ich lachte leise, als sie begann mich aus dem teuren Kleid heraus zu schälen und ihr Werk noch einmal anging.
Nach einer halben Stunde betrat ich in einem schlichten graublauen Kleid mit gestickter silberblauer Verziehrung am Ausschnitt und den Rändern der weiten Ärmel den Burghof. Igrena hatte mein Haar zu einem eleganten und doch lockeren Knoten hoch gebunden, damit ich es nicht ins Gesicht bekam, wenn der Wind wehte. Auch auf die gepolsterten Kissen unter dem Kleid hatte sie verzichtet, damit es so bewegungsfreundlich wie möglich war. Und, um mich warm zu halten, hatte ich hohe Stiefel gefüttert mit Schafswolle angezogen und den weichen Pelzmantel um die Schultern.
Igrena und Nimea, die ebenfalls mitkommen würden, da sie meine einzigen beiden Zofen waren, traten hinter mir aus dem großen Haupteingang in den Burghof.
»Nimea und ich schließen uns der Hausgesellschaft an, M'Lady.«, lächelte Igrena und deutete auf einen Karren, der gerade beladen wurde und um den sich die Dienstboten tummelten.
Ich nickte und entließ sie, dann blickte ich mich um. Diener huschten durch Seitentüren, trugen Säcke und Kisten umher, diese auf die Karren zu laden, vor die kräftige Kaltblüter gespannt wurden. Aber nirgends sah ich eine Kutsche, was wohl bedeutete, dass ich selbst reiten musste. Das machte mir ein wenig Sorge, denn ich hatte in Cathalon nicht sehr oft das Reiten geübt, weil Vater es zu gefährlich fand. Hoffentlich würde ich mich mit meinen wenigen Kenntnissen nicht völlig blamieren.
Ich entdeckte Vater bei einem der Karren und lief über den Burghof zu ihm. »Guten Morgen, Vater.«, grüßte ich ihn.
Er schob gerade einen Sack mit Armbrustbolzen auf den Karren, den ihm ein Diener abnahm und zu den anderen Säcken schob. »Morgen, Kleines.«, lächelte er und strich mir väterlich über die Wange.
»Der König soll befohlen haben, dass ich mitkomme zur Jagd... weißt du weshalb?«
Ser Mortos Shore schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht möchte er mit dir sprechen, um seinen Fehler wieder gut zu machen.«
Ich runzelte die Stirn und zog die Nase kraus, wie immer, wenn ich nachdachte. »Das hat er doch schon längst, schließlich habe ich jetzt diesen Mantel.«, murmelte ich und strich wie zur Bestätigung durch das weiche Fell um meine Schultern.
Er zuckte die Schultern. »Ich kenne seine Gründe nicht, aber ich will, dass du dich unauffällig verhälst, verstanden? Es war schon unangenehm genug, dass die Königin dich am ersten Abend so traktiert hat.«
Meine Wangen brannten vor Scham und ich senkte den Blick. »Ja, Vater.«
Sanft hob er mein Kinn an. »Es geht dabei nicht um mich oder wie deine Mutter sich fühlt, Evelyn. Sondern darum, dass ich dieser Frau am liebsten den Mund mit Äpfeln gestopft hätte, wäre sie nicht die Königin. Ich will nicht, dass du dich für deine Herkunft schämst.«
Langsam nickte ich.
»Sag mir, dass du dich nicht für deine leibliche Mutter schämst, Evelyn. Sie war die gütigste Frau, die ich kannte und hatte einen großen Namen, der nur leider in Vergessenheit geraten ist.«, sagte er und umfasste mein Kinn ein winziges bisschen fester.
»Warum erzählst du mir dann nie von ihr?«
Mortos senkte den Blick und strich mir meine rote Haarsträhne aus der Stirn, bevor er seine Lippen auf diese drückte. »Bald, Evelyn. Irgendwann erzähle ich dir von ihr, aber nicht heute... Nun geh. Ich glaube, der König ist bei den Stallungen.«
Er ließ mich los und wandte sich um, was mir das Zeichen gab, dass ich entlassen war. Grübelnd über das Gespräch von eben, stapfte ich über den Hof, durch den ersten Torbogen zu den Stallungen. Dort empfing mich der Geruch von Pferden, Heu und Hafer. Ein schöner Duft, wie ich immer fand.
Und tatsächlich stand der König vor den Stallungen an einem Holzgestell, an dem ein großer schwarzer Friesenhengst gebunden war und aus einem Trog kühles Wasser trank. König William hielt eine Bürste in der Hand und striegelte das edle Geschöpf.
Gemächlich trat ich zu ihm. »Euer Hoheit«, begrüßte ich ihn.
Der junge Mann drehte sich zu mir um und blickte mich mit strahlend blauen Augen an, die mich an die Gletscher des Eismeeres erinnerten, die ich im Unterricht in Cathalon hatte studieren müssen. Sein Haar war frisch gewaschen und glänzte beinahe bläulich im morgendlichen Sonnenlicht. Heute trug er eine typische Jägerkluft aus Leder und Wolle und eine schwarze Lederhose und dicke Stiefel. An dem Gürtel um seine Hüfte hing sein Schwert.
»Lady Evelyn«, lächelte er und deutete einen Handkuss an, wobei sein Daumen meine Fingerknöchel sanft nachzeichnete.
Schüchtern lächelte ich ihn an und strich mir die Haarsträhne zurück hinter das Ohr, die sich immer wieder aus meiner Frisur zu lösen schien. »Ihr... wolltet mich mit zur Jagd nehmen? Weshalb?«, fragte ich und zog meine Hand zurück, als er sie freigab.
Er trat einen Schritt zurück und klopfte dem Hengst auf den Schenkel. »Ich dachte mir, dass Ihr mehr vom Norden sehen wollt, als nur diese Gemäuer bis an Euer Lebensende.«, erklärte er mir lächelnd und diesmal wirkte dieses Lächeln sogar aufrichtig und nicht erzwungen. »Tja. Deswegen hatte ich mir gedacht, dass ich Euch zur Jagd mitnehme. Euer Vater kommt schließlich auch mit. Ich dachte, dass Ihr eine weitere Teestunde mit Eurer Mutter und meiner Frau nicht überlebt.«
Leise kicherte ich. »Also kommt die Königin nicht mit?«, fragte ich.
In seinem Gesicht veränderte sich etwas. Williams Züge frierten kurzzeitig ein. »Nein«, sagte er schließlich. »Lillith kommt nie mit zur Jagd. Sie findet es barbarisch und versteht den Sinn hinter dem Töten von Wölfen nicht, egal wie oft ich es ihr erkläre.«
Ich faltete die Hände in Hüfthöhe. »Nun ja. Es ist besser die Wölfe zu erschießen, als dass sie Vieh und Kinder rauben, oder nicht?«
In Williams Mundwinkel zuckte es kurz. »Das versuche ich ihr auch begreiflich zu machen.«, murmelte er gedankenverloren vor sich hin. Eine Weile schwieg er und streichelte den Friesen am Hals.
Unbehaglich blickte ich mich um. »Kommt Euer Bruder auch mit?«
Der König hob den Kopf und nickte. »Mein Bruder fand schon immer Gefallen daran Wölfe zu jagen und sie dann zur Schau zu stellen.« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal stopft er sie selbst aus und schickt sie zur Akademie, um die Rassen bestimmen zu lassen. Ein markaberer Zeitvertreib.«
Ich erschauderte bei Williams Worten. Der Prinz fand sogar Gefallen daran, Wölfe zu schießen? Der König schien das nur zu machen, um sein Volk und das Vieh zu schützen, aber aus Freude töten? Das klang unheimlich und einmal mehr fragte ich mich, ob der kleine Wutausbruch an meinem ersten Morgen in Winterfeste nur ein Zufall oder wegen Gereiztheit gewesen war. Oder, weil dieser Mann eine viel düsterere Seite an sich hatte, als mir lieb war.
»Soll ich Euch Euer Pferd zeigen, M'Lady?«, fragte William dann freundlich.
Blinzelnd kehrte ich in die Realität zurück und nickte lächelnd.
Der König nickte und bedeutete mir zu folgen. Er führte mich durch den Eingang in einen Vorraum, wo Heuballen und Ausrüstung gelagert wurden, dann in einen schmalen Gang mit den Pferdeboxen. Überall roch es nach Heu und Pferd. Ein warmer, herber Geruch. Die Boxeneingänge waren mit Seiten oder Ketten versperrt, damit die Tiere drinnen blieben.
Wir blieben vor der vorletzten Box stehen, darin befand sich eine sehnige, kräftige Fuchsstute. Wie passend!
»Igred hat Temperament und ist feurig, aber auch gutmütig und geduldig. Ich dachte, sie wäre sehr passend für Euch.«, erklärte mir William und zog das Seil zur Seite, betrat die Box und ergriff das Halfter der Fuchsstute, um sie auf den Gang zu führen.
Sie hatte große braune Augen, die mich an eine treue Kuh erinnerten und eine weiße Blesse zog sich von ihrer Stirn bis zu ihren Nüstern.
Unsicher sah ich den König an.
»Kommt. Streichelt sie, sie tut wirklich nichts.«, lächelte er.
Ich streckte die Hand aus und berührte Igreds warme, weiche Nüstern. Die feinen Haare kitzelten mich.
»Sie ist wundervoll. Ich danke Euch, Majestät.«, sagte ich.
Er lächelte mich mit strahlend weißen Zähnen an. »Keine Ursache. Sie gehört Euch... meine Frau reitet nie mit ihr aus, ich muss schon Diener los schicken, um sie zu bewegen, damit sie keine Kolik bekommt.«
Verdutzt hielt ich inne. »Sie gehört Eurer Ehefrau?«, fragte ich entsetzt und zog die Hand zurück. »Das... das kann ich nicht annehmen, Euer Hoheit. Wenn sie der Königin gehört, dann...«
Wieso?, fragte eine kleine Stimme in meinem Kopf. Er hatte mir schon den Mantel geschenkt, der eigentlich Lillith gehören sollte und nun ein Pferd?! Das konnte ich beim besten Willen nicht annehmen, vor allem, wenn die Königin davon erfahren würde... sie wäre sicher sehr erzürnt.
»Ich bitte Euch, Evelyn«, murmelte er und ergriff meine Hand, die er auf die Nüstern der Stute legte. »Nehmt dieses Geschenk an. Meine Frau mag Pferde nicht und bei unserer Hochzeit hat sie es sehr deutlich klar gemacht, was sie von meinem Geschenk hielt... Erweist Ihr mir bitte die Ehre, das Geschenk anzunehmen? Ich möchte sie in guten Händen wissen, die sich darüber freuen, wenn ich ihnen ein Pferd schenke.«
Ich wusste schon, dass ich die Stute annehmen würde, als er meinen Namen aussprach. Ganz ohne Anrede und diesen förmlichen Ton in der Stimme. Und ich wusste, dass er sich freute, wenn er es mir schenken durfte. Nur zu gut erinnerte ich mich an Prinz Erics Worte, dass sein Bruder William einmal verbittert sein würde, so wie sein Vater. Ich wollte nicht auch noch dazu beitragen, dass dieser Prozess schneller von Statten ging, zumahl ich nun als Dame des Hofes zu seinem Haushalt gehörte und noch mein restliches Leben wohl am Hofe des Königs verbringen würde. Da wollte ich einen guten Draht zu meinem Herrscher aufbauen.
Leicht lächelte ich und blickte ihn dankbar an. »Okay... ich nehme das Geschenk an. Ich danke Euch, Majestät.«
William verzog das Gesicht ebenfalls zu einem strahlenden Lächeln. »Ich danke Euch, M'Lady.«, grinste er, dann hob er den Kopf. »Winston! Sattelt bitte Igred für Lady Evelyn und bringt sie dann nach draußen.«
Der Diener Winston nickte gehorsam, kam zu uns und nahm Igreds Halfter, um sie wegzuführen.
Gemeinsam traten der König und ich wieder aus dem Stall, wo sein Hengst gesattelt worden war.
»Mit welcher Waffe werdet Ihr jagen?«, fragte ich neugierig und streichelte das Tier am muskulösen Hals.
Bevor der König antworten konnte, trat hinter ihm der Prinz hervor und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. »Mein Bruder ist eher der weichere Kern von uns und benutzt wie die alten Jäger im Wald den Bogen, anstatt sich an eine Armbrust heran zu trauen.«, grinste Eric gehässig und führte einen weißen Hengst an uns vorbei, den er neben mir anband.
Ich presste die Lippen aufeinander, denn ich hatte das Gefühl, dass ich mich jetzt nicht mehr so unbeschwert mit dem König unterhalten konnte.
Egal wie ähnlich sich die beiden Brüder sahen, so verschieden waren sie im Charakter.
»Ihr seid heute früh auf, M'Lady«, sagte Eric und lächelte schief.
Ich schluckte kurz. Sollte das eine Anspielung sein?
»Ja«, war mein einziger Kommentar, ehe ich mich umwandte und den König anblickte. »Ich werde dann zu meinem Pferd gehen. Sagt Ihr mir bitte Bescheid, wenn wir aufbrechen?«
William ließ den Blick über mich, dann über seinen Bruder gleiten, ehe er nickte und mich anlächelte. Freundlich und aufrichtig.
Damit ging ich an den beiden Männern vorbei in den Stall zurück.
Was war das gerade gewesen? Hatte ich in des Prinzen Mundwinkel ein Grinsen gesehen und in seiner Stimme einen gehässigen Unterton gehört? Was glaubte er, mit wem er hier sprach?! Ich war kein Dienstmädchen, mit dem man sprechen konnte, wie er wollte!
Ich schüttelte den Kopf, zog den Mantel enger und betrat den Vorraum des Stalls, wo der Diener Winston stand und gerade den Sattel festzurrte. Igred kommentierte das mit einem Zucken der Ohren. Ich trat neben ihn und strich dem Pferd über den muskulösen Hals.
»Sie ist wunderschön... Danke, Winston.«, lächelte ich.
Winston blieb kurz stehen, da er sich offenbar zurück ziehen wollte und lächelte zurück. »Gern geschehen, M'Lady.«
Dann verschwand er und ich griff Igred bei den Zügeln, um sie nach draußen zu führen. Es war zwar lang her, seit ich ein Pferd so nahe bei mir gehabt hatte, aber ich machte meine Sache ganz gut.
Als wir draußen waren, saß die halbe Jagdgesellschaft bereits auf ihren Pferden oder den Karren. Der königliche Jägertrupp bestand aus fünf erfahrenen Jägern und drei Lehrlingen. Alle trugen sie dunkelgrüne oder braune Kleidung, Bögen und Armbrüste mit den passenden Pfeilen und Bolzen, und auf ihren Köpfen saßen Hüte, die jeweils eine Feder zum Schmuck besaßen. Die Karren wurden fertig beladen und die Dienerschaft setzte sich hinten auf oder suchte sich einen Platz beim Kutscher auf einem der Kutschenböcke.
Der König saß auch bereits auf seinem Hengst, den er zu mir führte. »Wir brechen nun auf, M'Lady.«
Ich nickte und betrachtete die Bluthunde, die zu den Hufen des mächtigen Pferdes standen, wohl genährt und bereit, sich in die Jagd zu stürzen.
William führte seinen Hengst an die Spitze der Jagdgesellschaft und führte seinen Trupp durch das Burgtor in die Unterstadt.
Ich hielt mich am Sattelhorn fest und schaffte es auch, mich auf Igreds Rücken zu schwingen. Leise lachte ich, weil ich stolz war, es geschafft zu haben. Dann lenkte ich die Fuchsstute sanft in die Reihe, direkt neben den braunen Wallach meines Vaters, der bei den Rittern mitritt.
Und so vergingen die Stunden.
Stunden vergingen, die ich nur im Sattel verbrachte und da mein Po das ganz und gar nicht gewöhnt war, war er schon bald wund und tat weh. Aber ich beschwerte mich nicht. Ich freute mich regelrecht darüber, denn es bedeutete, einer weiteren Teestunde mit meiner Mutter und der Königin entgangen zu sein, die nur den Klatsch und Tratsch des Landes horchte.
So oft hatte sie mir erzählt, dass die vierzehnjährige Elaine Dúbroch mit dem achtzehnjährigen Prinzen John Tulach verlobt war und sobald sie sechzehn war, würde sie nach Isinior gehen und den jungen Mann heiraten müssen. Oder von dem dreijährigen Halbblut, das im Kloster Saint Donje einigen Schaden anrichtete und beinahe überhaupt nicht spurte. Diese Geschichten konnte ich mir schenken.
Nach weiteren zwei Stunden ließ ich mich zurückfallen und ritt am Ende der Gesellschaft, während ich die Landschaft beobachtete. Der morgendliche Nebel hatte sich gelichtet, dennoch befanden sich Wolken am Himmel und verdeckten die Sonne, während ein kühler Wind wehte und mich manchmal frösteln ließ. Auf dem Pfad, den wir ritten war Schlamm aufgewühlt und zu meiner rechten befand sich ein Wald.
Hufschlag erklang hinter mir und ich drehte den Kopf über die Schulter. Voller überraschung erblickte ich Jeanne auf einer schwarzen Stute, die sich neben mich gesellte und mich anlächelte. Heute trug sie ein silbergraues Jagdkleid, das meinem sehr ähnlich sah, das schwarze Haar hatte sie locker hoch gesteckt und sie trug einen grauen Wolfsfellumhang. Ihre schlanken Finger steckten in schwarzen Lederhandschuhen.
»Guten Morgen, Lady Evelyn.«, lächelte sie und entblößte ihre weißen Zähne, die von blutrotem Lippenstift eingerahmt wurden.
»Guten Morgen.«, erwiderte ich verunsichert, da ich nicht wusste, was ich tun sollte. Wenn ich mit ihr redete, würde ich sicher Ärger von der Königin bekommen. »Verzeiht mir, aber die Königin hat mir untersagt, mit Euch zu sprechen.«
Jeanne hob die Augenbrauen und blickte sich übertrieben um. »Seht Ihr die Königin hier irgendwo? Also ich nicht.« Sie lächelte mich ermunternd an.
Leise lachte ich. »Stimmt. Ich auch nicht.«
»Na seht Ihr. Also können wir doch ein wenig plaudern.« Sie ergriff die Zügel mit nur einer Hand und stemmte die andere in die Hüfte.
»In Ordnung. Ist eh etwas langweilig hier hinten.«, antwortete ich. »Weshalb kommt Ihr mit auf die Jagd?«
Sie lächelte geheimnisvoll. »Mein Liebhaber ist der erste Ritter des Königs, da könnt Ihr Euch sicher vorstellen, das der mich dabei haben will.«
Ich öffnete den Mund. »Ah. Ich verstehe. Welcher von denen ist Robert McCain?«
Sie führte ihre Stute etwas näher an Igred heran, dann deutete sie mit dem Finger zu der Truppe von Rittern, die uns begleiteten. »Der dort hinten. Der mit den dunkelbraunen kurzen Haaren und dem Ohrring im linken Ohrläppchen.«
Als ich den Ritter erblickte war ich überrascht. Er war sehr groß, sodass er schon ein großes Kaltblut brauchte, um nicht zu groß für das Pferd zu wirken, außerdem war er sehr muskulös. Ich sah zwar nur seinen Hinterkopf, aber ich war sicher, dass er sehr gutaussehend war.
»Werdet Ihr Euch ein Gemach im Anwesen mit ihm teilen?«, fragte ich leise.
Jeanne schüttelte den Kopf. »Er wird im Zeltlager am Waldrand nächtigen, schließlich hat er das Kommando über diesen Haufen. Aber ich werde natürlich keine Gelegenheit auslassen, ihm einen Besuch abzustatten.«, sagte sie und lächelte vielsagend.
Ich wurde leicht rot, da ich selbst natürlich nicht mitsprechen konnte. Bis zu dem ersten Morgen in Winterfeste hatte sich noch nie ein Mann für mich interessiert, jedenfalls nicht ernsthaft. Ich hatte weder geküsst, noch hatte ich mit einem gar das Bett geteilt. Und für mich hatte dieser... Vorgang immer etwas heimliches, sündhaftes gehabt. Aber Jeanne ließ mich allmählich an dieser Perspektive zweifeln, weil sie so unbeschwert und natürlich über diese Dinge sprach.
Dann stellte ich eine Frage, die mich nun sehr beschäftigte: »Warum sucht sich ein Mann eine Geliebte?«
Jeanne setzte sich im Sattel zurück und ergriff die Zügel mit beiden Händen. »Wisst Ihr, weshalb Männer heiraten?«
Verdutzt runzelte ich die Stirn. »Naja... aus Liebe, oder nicht?«
Sie lächelte gutmütig, als hätte sie es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. »Nein, Lady Evelyn.«, sagte sie. »Männer heiraten aus politischen Gründen. Aber eine Geliebte nehmen sie sich aus Liebe. Merkt Euch das für den Fall, dass Ihr eines Tages heiratet.«
Bedrückt blickte ich auf meine Hände. Würde es tatsächlich so sein? Dass ich eine Ehefrau war und sich mein Ehemann anderweitig vergnügen würde, während ich ihm ab und zu einen Sohn gebar? Noch war ich nicht verlobt, aber meine Mutter hatte ihren Wunsch mehr als einmal deutlich gesagt.
»Es grenzt an ein Wunder, dass in den Gemächern unseres lieben Königs noch keine Mätresse gesehen wurde.«, fuhr Jeanne fort. »Naja. Der arme Kerl ist auch weitaus unerfahrener, was Frauen angeht, als sein jüngerer Bruder. Schließlich wurde er vor drei Jahren mit der Heirat völlig überrumpelt.«
Der König hatte keine Mätresse? Bei seiner schrecklichen Frau hätte es mich nicht gewundert, wenn William sich schon längst eine Geliebte gesucht hätte... Bei den Göttern, jetzt verteidigte ich auch noch gedanklich einen Mann, obwohl ich es schrecklich und unfair fand, wenn Männer ihre Ehefrauen betrogen. Aber was meinte Jeanne mit unerfahrener als sein Bruder?
»Was meint Ihr damit?«, fragte ich neugierig.
Sie beugte sich leicht zu mir. »Also. Prinz Eric ist für seine Frauengeschichten bekannt. Als die gütige Königin Lillith in Winterfeste einzog kurz vor der Hochzeit und ihren Haushalt an Hofdamen bekam, soll der Prinz sich mit einer nach der anderen amüsiert haben. Ihr versteht? Und schließlich kann man einem Prinzen nicht widersprechen. Tja. Und es heißt, dass sein Bruder William bis zu seiner Hochzeit jungfräulich gewesen ist, genau wie seine Braut. Keine Ahnung, ob das stimmt, da eigentlich William immer der aufbrausendere von beiden gewesen ist und einen Flirt mit einer Hofdame oder Lady nicht ausgeschlossen hat.«
Zu viel Information! Aber vielleicht auch genau die richtige Menge an Information. Schließlich hatte sich der Prinz angeblich mit einem Haufen Frauen eine schöne Nacht gemacht und tat es wahrscheinlich noch immer. Und dann machte er mir diese Aufmerksamkeiten. Das musste doch irgendwas zu bedeuten haben, oder nicht? Ich war völlig durcheinander.
»Wisst Ihr auch etwas über die Königin?«
Jeanne warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. »Merkt Euch eine Sache, Lady Evelyn: Am Hofe sind Geheimnisse seltener als Einhörner. Die meisten kennen Eure Geheimnisse bereits, bevor Ihr sie selbst kennt. Und als Mätresse weiß man so einiges über die Menschen um sich herum.«
Ob ihr ihr Liebhaber all diese Dinge erzählte? Oder war sie auch mit anderen Männern im Bett, um Geheimnisse zu erfahren? Ich fragte mich erstmals, welchen Preis ein Geheimnis hatte.
Gegen Mittag erreichten wir das Anwesen am Rande des Wolfswaldes. Es war aus grauem Stein erbaut worden und der Stil glich der Burg Winterfeste erheblich. Vor dem Torbogen, der in den Innenhof des Anwesens führte prangten die Banner mit dem weißen Eiswolfsschädel und an der Mauer, die um das Anwesen herum verlief, befanden sich Jägerhütten, vor denen sich Jagdhunde in der mittaglichen Sonne wärmten. Ab und zu huschte ein Haufen Hühner oder Gänse durch das idyllische Bild, das sich mir bot.
Unsere Jagdgesellschaft schritt durch den Torbogen, in welchen nordische Runen gemeißelt worden waren. Kurz fragte ich mich, was highländerische Runen in einem Torbogen der Nord verloren hatten, als meine Aufmerksamkeit zurück auf das Wesentliche gelenkt wurde. Wir waren endlich angekommen.
König William hielt seinen Hengst in der Mitte des Innenhofes an und stieg schwungvoll und elegant von seinem Rücken. Und dann wurden Befehle laut: »Ser Robert und Ser Mortos, Ihr seid dafür verantwortlich, das die Zelte bis zum Abendessen am Waldrand aufgebaut sind. Die Dienerschaft macht sich daran, beim Aufbauen zu helfen. Baron Tytes, Lady Evelyn und mein Bruder folgen mir ins Anwesen.«, bellte William gebieterisch.
Mein Vater und Robert McCain nickten gehorsam, wobei ich zum ersten Mal einen Blick auf das Gesicht des jungen Highländers erhaschen konnte, der der Liebhaber von Jeanne war. Er hatte ein langes, markantes Gesicht, hohe Wangenknochen und seine Züge wirkten hart wie Stein. Die Augen waren hellbraun. Kurz warf er mir einen undeutbaren Blick zu, dann führte er seinen rotbraunen Wallach an Jeanne und mir vorbei. Die Hälfte der Jagdgesellschaft folgte ihm und meinem Vater.
Irgendwie war er mir unheimlich.
Jeanne neben mir stieg von ihrer schwarzen Stute herunter und übergab die Zügel einen jungen Burschen, der sofort heran geeilt war. Ich tat dasselbe mit Igred, jedoch tätschelte ich noch einmal kurz ihren Hals.
»Wo werdet Ihr hingehen?«, fragte ich Jeanne, als sie sich die schwarzen Lederhandschuhe von den Fingern zog.
»Ich werde sehen, wo ich mein Quartier her bekomme oder, ob ich zu Robert ins Zeltlager ziehe. Ihr jedoch solltet den König nicht warten lassen.«, lächelte sie und nickte zum Eingang des Anwesens, wo sich William gerade mit seinem jüngeren Bruder unterhielt.
»Aber wir sehen uns heute noch, oder?«, fragte ich etwas besorgt.
Jeanne lachte leise. »Ihr habt wohl noch nicht genug von meinen Geschichten, M'Lady.«
Ich zuckte die Schultern. »Ihr seid weitaus spannender, als so manch andere Ladys.«, erwiderte ich grinsend, bevor ich meinen Rock raffte und zum Eingang des Anwesens schritt, der aus einer dunklen Eichenholztür bestand, auf der sich metallerne Verziehrungen befanden.
Ich blieb schweigend neben den beiden Brüdern stehen, die sich angeheizt unterhielten, was nun die beste Vorgehensweise bei der Treibjagd sein würde. Die beiden schienen sich nicht besonders gut zu verstehen.
»Wir sollten sofort aufbrechen, William. Sonst wittern uns diese verfluchten Wölfe und sind über alle Berge.«, knurrte Eric hitzig.
William verengte die Augen zu Schlitzen. »Und selbst, wenn sie es tun. Wir sind mehrere Tage hier, die Wölfe werden uns nicht wegrennen.«
Eric begann sich vor seinem Bruder aufzubauen und ich fühlte mich plötzlich alles andere als wohl in der Nähe dieser beiden Männer, die voll waren von ihrem Testosteronüberschuss.
»Ich denke, meine Herrschaften, das könnt Ihr unter vier Augen klären. Später.«, sagte Baron Tytes völlig ruhig und entspannt, jedoch hatte er die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. »Schließlich ist eine Lady anwesend.«
Eric drehte als erstes den Kopf in meine Richtung, wobei ich einen Schritt zurück trat, dann blickte er den Baron an.
Dieser blickte ihm unverwandt in die Augen und ich konnte praktisch riechen, dass es eine unausgesprochene Warnung war, seinen guten Willen nicht zu überstrapazieren.
Schließlich gab sich der Prinz geschlagen, presste wütend die Lippen aufeinander und stürmte durch die geöffnete Tür des Anwesens aus meiner Sichtweite. Einen Augenblick verharrten wir so schweigend, bis der König leise seufzte und sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger rieb. Schließlich wandte er sich zu mir um und lächelte verbissen.
»Verzeiht meinen Bruder... Es ist mir furchtbar unange-«
Ich hob die Hand und lächelte leicht. »Ist schon in Ordnung, Majestät.«, erwiderte ich und faltete die Hände auf Hüfthöhe. »Ich habe kein Recht, Euch oder Euren Bruder zu verurteilen.«
Kurz hoben sich Williams Mundwinkel und seine Hand zuckte in meine Richtung, bevor er über meinen Kopf hinweg den Baron anblickte. Schließlich räusperte er sich. »Nun gut. Ich werde Euch dann... Eure Gemächer zeigen, M'Lady.«
Ich nickte und folgte ihm schließlich, als er ebenfalls die zwei Steinstufen hinauf schritt und in den Eingangsbereich des Anwesens trat. Gleich gegenüber der Tür befand sich eine große, hölzerne Treppe mit wunderschönen Maserungen. An den Wänden hingen Gemälde, die meistens eine Jagd zeigten. Doch eines fesselte meinen Blick, denn es wirkte idyllischer, als die anderen Gemälde. Es zeigte einen wundervollen grünen Wald im Spätsommer. Am Waldrand stand eine Hütte, davor stand ein Schaukelstuhl, in dem ein alter Mann mit Filzhut saß, eine Laute im Arm. Ein alter, grauer Schnauzer lag vor seinen Füßen und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen.
»Ihr interessiert Euch für Kunst?«, fragte William und ich hörte an der Lautstärke seiner Stimme, dass er ganz nahe hinter mir stand.
Mein Herz tat einen kleinen Hüpfer. »Ich... kenne mich nicht sehr mit Kunst aus, aber ich sehe mir sehr gerne Bilder an.«, erwiderte ich wahrheitsgemäß und drehte mich zu ihm um.
Er lächelte leicht und lachte leise. »Meine Frau findet Bilder langweilig... ich hingegen sammle gerne Kunstgegenstände. In einigen Abstellkammern in Winterfeste habe ich Gemälde von berühmten Künstlern aus Nanjan und Anmeer.«
Ich lächelte schüchtern.
Plötzlich rief eine Stimme des Königs Namen. »William!«
Aus einer Tür direkt neben dem Eingang kam eine rundliche Frau, die bereits leicht gräuliche Haare hatte, die sie zu einem strengen Knoten zurück gebunden hatte. Sie trug ein schlichtes Dienerkleid mit einer weißen Schürze, auf der sich einige Flecken ausgebreitet hatten. Ihre alten graublauen Augen blitzten, als sie den König in eine kräftige Umarmung zog.
Dieser lachte leise. »Brunhilde«, sagte er zum Gruße.
Sie ließ ihn los und wedelte tadelnd mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum, als würde sie ihr Kind zurechtweisen. »Ein ganzes Jahr, ohne einen einzigen Besuch, junger Mann! Warum bekomme ich dich nicht zu Gesicht? Ein König sollte doch wohl das Recht auf einen freien Tag im Jahr haben, um seine Tante zu besuchen!«
»Ein Königreich verwaltet sich nicht von selbst, Brunhilde.«, grinste der König gutmütig, dann legte er eine Hand auf ihren Rücken und drehte sich zu mir. »Darf ich vorstellen? Lady Evelyn Shore. Sie ist die Tochter meines neuesten Ritter der Königsgarde.«
Ich machte einen Knicks. »Es freut mich, Euch kennenzulernen, My Lady.«
Sie lächelte mich an und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Seid doch nicht so furchtbar förmlich, Kind. Wir sind hier auf dem Lande, da interessiert die Menschen nur eine warme Mahlzeit und ein gutes Bier.«
Die Frau war mir sofort sympatisch.
König William lächelte zu der Frau hinunter. »Apropos Mahlzeit. Wir könnten alle etwas in den Magen vertragen.«
Brunhilde machte sich von ihrem Neffen los. »Na dann ab mit euch in den Speisesaal. Ich habe frischen Rindereintopf im Kessel. Müsste jeden Augenblick fertig sein - Hast du deinen Bruder nicht mitgebracht?«
Williams Miene wurde kurz starr. »Er ist schon hier rein gestürmt. Wahrscheinlich ist er auf seinem Zimmer oder so.«
Brunhilde machte ein bedauerndes Gesicht. »Der Junge war schon immer schwierig... lasst uns aber nicht weiter davon reden. Ich habe die Zimmer schon vorbereitet, aber ich wusste ja nicht, dass du so eine Schönheit mit in mein Anwesen bringst, Will. Da werde ich noch ein paar extra Laken besorgen und das Zimmer am Ende des Korridors fertig machen«, schnatterte sie vor sich hin, während sie auf eine Tür neben der Treppe zuging und diese aufzog.
Ein warmer, würziger Duft breitete sich im Eingangssaal aus und mein Magen begann automatisch zu knurren.
Als Brunhilde hinter der Tür verschwunden war, drehte sich König William zu mir um. »Verzeiht ihre Manieren. Sie... ist fern vom Königshof aufgewachsen.«
Ich lächelte leicht. »Ich mag sie.«, erklärte ich ihm. »Sie hat etwas mütterliches an sich.«
»Oh ja«, murmelte William gedankenverloren. »Sie war mehr Mutter für mich, als meine leibliche Mutter... - aber naja. Ich zeige Euch Eure Gemächer, dann könnt Ihr Euch für das Mittagessen frisch machen.«
Langsam nickte.
Baron Tytes deutete daraufhin zu einem Raum, dessen Eingang ein offener Bogen war. »Ich werde dafür sorgen, dass das Gepäck schnell ausgeladen und auf Euer Zimmer geschafft wird, M'Lady.«
Ich nickte ihm dankend zu, dann entfernte sich der Baron und ließ uns allein.
»Folgt mir, M'Lady.«, sagte der König und führte mich die gewaltige Holztreppe hinauf, die mit einem roten Teppich belegt war, sodass ich das Gefühl hatte auf Moos zu laufen, so weich war er.
Der König führte mich einen Gang entlang. An den steinernden Wänden hingen ebenfalls Gemälde, die sehr teuer aussahen, außerdem spendeten verzierte Öllampen für Licht, da es keine Fenster im Gang gab. Auch hier befand sich der weiche Teppich bis zum Ende des Ganges, wo der König stehen blieb. Er öffnete eine Tür und ließ mich eintreten.
»Es ist nichts Besonderes..., aber ich hoffe, dass Euch das Zimmer dennoch gefällt.«, murmelte König William und blieb an der Tür stehen, während ich ins Zimmer trat und mich umsah.
Es war wundervoll! Das Zimmer glich den Gemächern in Winterfeste sehr. Es war ein sehr ähnliches Bett nur ohne das hohe Holzgestell mit den Vorhängen, die ich in meinem Zimmer in Winterfeste gehabt hatte, aber es gab wie dort einen Kamin, der zwar nicht so groß war, aber es würde dennoch reichen. Und dann zwei große Kleiderschränke. Seltsam, dass das Zimmer so gut ausgestattet war, schließlich würden wir nur ein paar Tage hier sein.
»Es ist sehr schön«, meinte ich und strich über einen alten Kerzenständer, an dem die weißen Kerzen zur Hälfte herunter gebrannt waren. »Das Zimmer wirkt sehr gemütlich.«
William lächelte leicht. »Wie ich sehe zieht Ihr mein Geschenk auch an.«
Erst war ich etwas verdutzt und wusste nicht, was er damit meinte, dann entsinnte ich mich daran, dass ich den weißen Wolfsfellumhang trug, den er mir an meinem ersten Tag in Winterfeste geschenkt hatte. Beinahe war es, als wären seitdem bereits Wochen vergangen, da ich mich bereits so heimisch fühlte. In Wirklichkeit waren es erst acht Tage.
Ich lächelte leicht zurück und strich mir meine nervige Strähne aus dem Gesicht. »Meine Zofen haben ihn mir rausgesucht... es wäre schließlich schade, wenn der Umhang einfach im Schrank hängen bliebe.«
»Da habt Ihr wohl recht.«, erwiderte William. »Ich werde dafür sorgen, dass Euer Gepäck auf Euer Zimmer gebracht wird und Eure Zofen ein Quartier in Eurer Nähe erhalten.«
Ich nickte leicht. »Ich danke Euch, Majestät.«
Der König wandte sich zur Tür, blieb jedoch im Rahmen kurz stehen. »Ich würde mich freuen, wenn wir uns... zum Essen im Speisesaal treffen würden.«
»Wie Ihr wünscht, Majestät.«, erwiderte ich höflich.
Ich sah ihn noch kurz lächeln, bevor er endgültig verschwunden war und ich mich erschöpft auf das Bett fallen ließ. Vieles schwirrte mir gerade im Kopf herum, für das ich kaum Worte fand. Aber am meisten beschäftigte mich die seltsame Beziehung zwischen den beiden Königsbrüdern. William war der König und hatte somit mehr Macht und Befehlsgewalt, als sein jüngerer Bruder Eric, der im Prinzip nur der Prinz war. Aber dass William es sich gefallen ließ, so von seinem Bruder angegangen zu werden, das begriff ich nicht ganz. Es ging mich aber eigentlich auch nichts an, wie es zwischen den beiden Männern bestehend war.
Was mich dann doch noch beschäftigte, war das Verhalten von Eric selbst. Zu mir war er immer freundlich und zuvorkommend, aber manchmal auch sehr... wie sollte man das beschreiben? Zynisch? Vielleicht war das nicht ganz das richtige Wort, aber die Dinge, die mir die Leute erzählt hatten, beunruhigten mich doch etwas. Beispielsweise die Andeutung, Eric jagte und tötete Tiere aus Vergnügen bereitete mir eine unangenehme Gänsehaut auf dem Rücken. Oder die Dinge, die mir Jeanne erzählt hatte über die Frauengeschichten des Prinzen. Dass er angeblich schon jede der Hofdamen der Königin unter sich zu liegen gehabt hatte. Und, was mich am meisten beunruhigte, war, dass er zu mir so freundlich war, mir Komplimente machte und mir Blumen schenkte. Sollte ich etwa die nächste auf seiner Liste sein?
Ich war so durcheinander.
Nach einigen Minuten setzte ich mich auf und löste die verzierten Bänder des Umhanges und legte das teure Kleidungsstück über einen Stuhl, bevor ich zu einem kleinen Tisch hinüber ging, wo eine Schüssel stand. Bedauerlicherweise war kein Wasser darin, sodass ich seufzte und mich daran machte, die alten Vorhänge zurückzuziehen. Sonnenlicht flutete das Zimmer und ich betrachtete die Staubkörnchen, die im Licht umher tanzten, bevor ich die Fenster aufriss und frische Luft hinein ließ.
Allmählich kam ich an.
Nimea und Igrena hatten mir eine Schale Wasser gebracht, sodass ich mich einer kurzen Katzenwäsche unterziehen konnte und mich dann frischer fühlte, als zuvor. Den Mantel hatten sie in einem der beiden schweren Eichenholzschränke verstaut, genauso wie den Rest meines Gepäcks. Es waren nur eine Handvoll Kleider gewesen, damit ich genug zum Anziehen hatte, nichts weltbewegendes.
Schließlich machte ich mich auf den Weg zum Mittagessen in den Speisesaal, wobei mir erst auffiel, dass ich überhaupt nicht wusste, wo der war, als ich bereits auf dem Treppenabsatz stand und mich grübelnd umsah. Langsam schritt ich die Treppe herunter und auf der Hälfte kam aus dem Torbogen, der zu einem Salon führte, der König getreten und blieb einen Moment stehen, als er mich bemerkte.
Ich bemerkte, dass er sich das Haar etwas gekämmt hatte, da es vom Ritt doch sehr zerzaust gewesen war und er hatte sich umgezogen, so trug er jetzt einen blassen, dunkelblauen Wams mit Stickereien und einer wertvollen goldenen Kette um den muskulösen Hals. Die Hose und die Stiefel waren dieselben.
»Lady Evelyn... Ihr seht bezaubernd aus.«, sagte er und trat an die erste Stufe der Treppe.
Verdutzt sah ich an mir herunter und fragte mich, was er wohl damit meinen könnte. Schließlich hatte ich mich nicht umgezogen, sondern trug dasselbe wie auch heute Morgen. »Ähm... danke.«, erwiderte ich etwas überrumpelt und brachte auch die letzten Treppenstufen hinter mich, bis ich auf der ersten stand, ihm direkt gegenüber.
Er machte mir seltsamerweise nicht Platz, sondern sah mich nur an.
Irgendwann wurde mir dieses Starren unangenehm und ich senkte den Blick.
Plötzlich fühlte ich leicht raue Finger an meiner Wange und zuckte erschrocken zusammen, mein Kopf fuhr automatisch hoch. Der König... er war mir plötzlich so nahe, dass ich eine Gänsehaut bekam und mein Herz wie wild anfing zu pochen.
Doch so wie der Moment gekommen war, war er auch schon wieder fort: »Will?! Will wo steckst du?!«
Ich fuhr zurück und versuchte meine brennenden Wangen hinter meinem Haar zu verbergen, als der Prinz in den Eingangsbereich trat und uns anstarrte.
Stocksteif blieb Eric stehen und starrte uns an, unverholene Wut in den Augen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass der König mich noch einen Moment lang ansah, dann aber seine Aufmerksamkeit widerwillig seinem jüngeren Bruder wittmete. »Was gibt es?«
Prinz Eric schluckte. »Ich wollte nur berichten, dass das Zeltlager beinahe vollständig aufgebaut ist und wir in einer Stunde mit der Jagd beginnen können.«
Nervös krallte ich meine Finger ineinander und starrte auf den Boden. Ich kam mir irgendwie schlecht vor, weil es seltsam war, dass der König mich gerade so seltsam... intim berührt hatte, obwohl er eine Frau hatte. Und dann hatte das auch noch der Prinz mitbekommen, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er mich seit dem ersten Tag umwarb. Das war doch verrückt!
»Wir fangen in zwei Stunden mit der Jagd an.«, befahl König William.
Prinz Eric presste die Lippen aufeinander und nickte, dann verschwand er durch den Haupteingang und der König und ich waren wieder alleine.
Den Göttern sei Dank, dass mein Magen anfing laut zu knurren und das von der peinlichen Situation von eben ablenkte.
»Ihr habt wohl Hunger«, lächelte der König vorsichtig und streckte eine Hand aus.
Ich nickte und ergriff sie, dann führte er mich durch den Bogen in den Salon und durch einen weiteren Bogen in einen kleinen, gemütlichen Speisesaal, der warm dekoriert war. An den Wänden hingen Hirschgeweihe, was ich etwas unheimlich fand, aber ich beschwerte mich nicht. In der Mitte des Raumes stand ein massiver Tisch mit wundervoll verzierten Stühlen, die ein rotes Polster besaßen. Auf dem Tisch standen Kerzenleuchter aus Metall und es war mit Silber gedeckt worden.
Baron Tytes saß am Tischende und stierte konzentriert in einige Schriftrollen und Papiere, ein kleines Tintenfässchen und eine Gänsefeder neben ihm.
Nur langsam ließ William meine Hand wieder los und lächelte leicht.
»Nun setzt euch doch, Kinderchen! Das Essen ist fertig!« Brunhilde lief wie ein aufgescheuchtes Huhn in den Speisesaal und stellte ein silbernes Tablett mit dampfendem Brot ab, bevor sie auch schon wieder durch eine Seitentür verschwand, um im nächsten Moment mit einer großen, weißen Porzellanschüssel aufzutauchen, in der eine braune, köstliche duftende Flüssigkeit schwappte.
William zog meinen Stuhl zurück und bedeutete mir, Platz zu nehmen und ich tat es. Dann umrundete er den Tisch, um sich mir gegenüber fallen zu lassen. Seufzend fuhr er sich durch das Haar und zerzauste es wieder, obwohl es eben ordentlich gekämmt worden war.
Brunhilde gab jedem von uns drei große Kellen Eintopf in die silbernen Schüsseln und legte Brot dazu. »Ich wünsche einen guten Appetit.«, lächelte sie und machte einen Knicks.
»Danke, Brunhilde.«, erwiderte William.
Das Essen verlief größtenteils schweigend, aber das war auch mal ganz angenehm. Das warme Essen wärmte meinen Bauch und tat nach diesem langen Ritt ungemein gut. Der süße Wein unterstrich das alles nur noch, aber was mich zugegebener Maßen etwas nervös machte, waren die Blicke, die mir der König zuwarf. Immer wieder beobachtete er, wie ich meinen Kelch an die Lippen setzte und kurz etwas daraus nippte.
Immer wieder senkte ich den Blick auf den Eintopf.
»Was wird mich die Jagd kosten, Baron Tytes?«, erhob der König die Stimme und ich war froh, dass er sich auf seinen Schatzmeister konzentrierte und nicht auf mich.
»Nun ja... wie immer ist das alles nicht gerade billig, Majestät. Wir mussten noch Packpferde der umliegenden Höfe kaufen oder mieten. Außerdem ist die Ausrüstung auch nicht gerade billig.«, erwiderte Baron Tytes.
Ich wunderte mich in dem Augenblick erstmals, weshalb ein so junger Mann wie Baron Tytes Schatzmeister von Winterfeste war. Er war vielleicht Anfang dreißig und dann schon so einen wichtigen Posten im Haushalt des Königs einzunehmen, das erschien mir etwas... sonderbar. Aber ich hatte wohl kein Recht, mir über solche Angelegenheiten Sorgen zu machen.
»Redet nicht um den heißen Brei herum, Tytes. Wie viel?«, fragte der König nun ungeduldig.
»Ungefähr fünfhundert Kronen.«, antwortete Baron Tytes.
Nachdenklich nickte König William, bevor er sich dem letzten Rest Eintopf in seiner Schale zuwandte, aber er sah aus, als hätte man ihm seine Mahlzeit versalzen. »Dann ist es wohl so.«
Zwar kannte ich die nordische Währung noch nicht besonders gut, aber das hörte sich nach einem kleinen Vermögen an, das er da bezahlte. Für ein paar Jungwölfe erlegen.
Ich runzelte die Stirn, dann kam aber Brunhilde zurück in den Speisesaal, hinter ihr ein junges Mädchen mit erdbeerblondem Haar, das sie zurück gesteckt hatte, und räumte den Tisch ab. Daraufhin kam sie mit zwe kleinen Porzellantellern wieder und stellte sie vor unsere Nasen. Auch Baron Tytes bekam einen Teller.
»Zitronentörtchen mit Soße. Früher konnte mein lieber Neffe kaum genug davon bekommen... mit sieben war er ganz schön pummelig«, lachte Brunhilde und zerzauste Williams Haar, der gutmütig lächelte. »Ein Wunder, dass aus ihm so ein stattlicher junger Mann geworden ist!«
Ich lächelte leicht und schaute auf das gelbe Törtchen hinunter, bevor ich auch dieses anfing zu essen. Brunhilde ging und wir saßen noch eine Weile, wobei die beiden Männer anfingen über den Preis für die Jagd zu diskutierten. Dabei fühlte ich mich etwas fehl am Platz, schließlich hatte ich als Lady von solchen Dingen keine Ahnung.
Als es allmählich zum Abend hin ging, zog sich der König zurück und ich hatte ebenfalls etwas Freizeit erhalten, die ich darauf verwendete das Anwesen zu erkunden. Es gab neben dem Speisesaal auch einen Tanzsaal, wo ich einige Bedienstete bemerkte, die diesen aufräumten. Ob dort heute Abend noch ein Fest gefeiert wurde? Ich wusste es nicht, aber ich war ja auch irgendwie immer die Letzte, die von solchen Veranstaltungen erfuhr.
Dann jedoch wurde es ganz schnell langweilig, da ich bereits alle Räumlichkeiten gesehen hatte: den Salon, Speisesaal, Tanzsaal und den Eingangsbereich. Im Obergeschoss waren eh nur die Zimmer für die Barone, den König, den Prinz und mich. Und so tapste ich schließlich über den Innenhof zu dem kleinen Stall hinüber, wo mir Igred bereits den Kopf durch ein Fenster entgegenstreckte und wieherte.
»Na? Hast du mich vermisst?«, fragte ich lächelnd und streichelte ihre Nüstern. Dann zog ich eine Karotte hervor und hielt sie ihr hin. »Aber verrat es keinem, ja?«
Sie schnaubte und kaute genüsslich das Gemüse vor sich hin.
»Redet man in Cathalon etwa mit Tieren?«
Ich drehte mich zu der Stimme um und grinste leicht, als ich Jeanne einen halben Meter entfernt stehen sah. Sie zog sich gerade die Lederhandschuhe von den Fingern und hinter ihr führte ein Stallbursche ihre schwarze Stute in eine Box, um sie wohl abzusatteln.
»Eigentlich nicht, aber bei Langeweile kommen einem wohl die verrücktesten Ideen.«, antwortete ich grinsend und strich über die Nase des Pferdes.
Jeanne blieb neben mir stehen und strich sich das wirre Haar aus der Stirn. »Vergebt mir, M'Lady. Ich muss aussehen, wie eine Vogelscheuche.«
Ich zuckte die Schultern und wir lachten beide.
»Ihr werdet also doch nicht im Zeltlager nächtigen?«, fragte ich.
»Wahrscheinlich nicht. Nach der Jagd findet hier ein kleines Festessen statt und es wird getanzt und all dieser Nobelkram. Die Ritter werden anwesend sein und ich werde mit Robert... nunja... sicher eine Zeit lang verschwunden sein, wenn Ihr wisst, was ich meine.« Bedeutungsvoll blickte sie mich an. »Aber die Ritter gehen spät Abends wieder zurück ins Zeltlager und dann werde ich hier bleiben müssen. Eine Frau mitten zwischen diesen... das wäre nicht gut. Zumahl kein Mann, wenn er Lust hat, unterscheidet, ob ich die Mätresse von Ser Robert bin oder eine gewöhnliche Straßendirne.«
Rasch nickte ich, denn viel mehr wollte ich davon eigentlich auch nicht hören. Es war schon so an sich ein Skandal, dass ich mit solch einer Frau ein Wort wechselte. Ganz zu schweigen von den Dingen, die sie mir erzählte. Aber andererseits schien sie die einzige zu sein, die wirklich wusste, wie es am Hof zuging und was es hieß, solch einen pateiisch starken Gönner wie Ser Robert hinter sich zu haben. Wäre sie nicht die Mätresse des ersten Ritters der Königsgarde, würde sie ihre Ansprüche und Besitztühmer am Hofe augenblicklich verlieren und wäre nur mit einer kleinen Summe zu entschädigen. Sie würde ihre Gemächer in der Burg räumen und Winterfeste eventuell vollkommen verlassen müssen, nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen oder Tage überleben sollte. Es musste schwer sein, solch ein Leben zu führen.
»Es findet also ein Festessen statt?«, fragte ich, um unser Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.
Dafür, dass ich eine Lady war und dazu auch noch eine jungfräuliche, hatte ich in den letzten Stunden erstaunlich viel über den Geschlechtsverkehr gelernt, ohne direkt über die Dinge zu sprechen.
Jeanne nickte und stopfte ihre Handschuhe in einen bestickten Ledergürtel, den sie eng um die Taille trug. »Allerdings. Das machen wir jedes Jahr, wenn die erste Jagd erfolgreich verlaufen ist. Die Männer bringen oft riesige Eiswölfe mit, manchmal auch nur die normalen Grauwölfe, aber immerhin. Je weniger Wölfe, desto weniger tote Lämmer im nächsten Jahr... und natürlich weniger tote Kinder.«
Ich erschauderte. »Komisch, dass die Nord ihr eigenes Wappentier jagen... oder nicht?«
»Findet Ihr? Andere Häuser haben auch Wappentiere, die sie jagen. In Felskliff an der Küste hat das Haus Rongue einen Bisonschädel auf dem Banner und sie jagen die Bisons das ganze Jahr hindurch. Von dort kommt die beste Bisonwolle in Eós. Sie wird überall hin exportiert.«, schnatterte Jeanne vor sich hin und ich musste zugeben, dass, egal was sie sagte, ich immer gerne zuhörte. »Angeblich soll das Hochzeitskleid von Elaine Dúbroch aus weißer Bisonwolle gespinnt werden.«
»Wow«, staunte ich und fragte mich automatisch, ob mein Kleid, wenn ich einmal heiratete, auch so aufwändig hergestellt werden würde.
Jeanne ergriff meinen Arm und hakte sich bei mir unter, führte mich dann zu einer niedrigen Holzbank und wir setzten uns darauf.
»Was werdet Ihr zum Essen anziehen?«, fragte sie neugierig.
Blinzelnd hielt ich inne. »Ich... weiß nicht. Ich meine, ich weiß gar nicht, was meine Zofen für mich eingepackt haben.«
Sie lachte leise. »Na seht Ihr! Da haben wir doch eine wunderbare Beschäftigung gefunden bis diese Holzköpfe von der Jagd wiederkehren.«
Ich kicherte leise, als sie aufstand und folgte ihr ins Anwesen.
Eine halbe Stunde später stand ich am Fenster, während Jeanne mein Gepäck durchwühlte, und erblickte im Hof den König, der sich eine lederne Kluft übergeworfen hatte, einen Bogen auf den Rücken geschnallt und einen Köcher am Sattel seines Hengstes befestigt. Neben ihm ließ sein Bruder seinen weißen Hengst übermütig steigen, während er sich nur mit einer Hand festhielt und eine Armbrust in der freien Hand hielt. Dann jagten die beiden Brüder mit einem Trupp Rittern, darunter auch Ser Robert McCain, vom Hof den Pfad entlang, bis sie zwischen den Bäumen verschwanden.
»Zieht das einmal über. Das würde Euch sicherlich unglaublich gut stehen - los, ihr dummen Hennen, helft eurer Herrin in das Kleid!«, rief Jeanne zu Igrena und Nimea, die brav an der Tür gestanden hatten und schwiegen.
Die beiden kamen und nahmen Jeanne das dunkelgrüne Kleid mit den dunkelbraunen Lederverzierungen ab, schoben mich hinter eine Trennwand und fingen an, mich aus meinem Jagdkleid zu schälen.
»Ich habe mitbekommen, dass der Prinz Euch ziemlich viele Komplimente macht und Geschenke«, bemerkte Jeanne.
Ich keuchte auf, als Igrena das Korsett fest zurrte und mir damit beinahe die Luft zum Atmen nahm. »J-ja... er ist sehr freundlich zu mir.«, erwiderte ich, fügte aber in Gedanken hinzu: Aber er wird mir dennoch immer unheimlicher...
»Ich verstehe... Ich will nur sagen, dass Ihr aufpassen solltet, was seine Umgarnungsversuche angeht.«, sagte sie, diesmal seltsam ernst. Solch einen Ton hatte sie mir gegenüber noch nicht eingeschlagen, was heißen musste, dass sie wirklich besorgt war.
»Wie meint Ihr das?«, fragte ich erstickt, da mir meine Zofen gerade das Kleid über den Kopf zerrten.
»Er hat schon vielen Frauen das Herz gebrochen, Lady Evelyn.«, antwortete sie. »Er hat alle Hofdamen der Königin entehrt, die, wenn sie großes Glück haben, vielleicht irgendwann noch heiraten dürfen, wenn die Königin gnädig ist. Und das ist sie sehr selten... ich meine, seht Euch alleine Eure Zofe an, die, die nicht mehr sprechen kann. Er hat schon einige Leben ruiniert. Ich will nur nicht, dass Ihr Eures wegwerft, schließlich habe ich Euch sehr gerne.«
Nimea neben mir war kurz zusammen gezuckt, ehe sie das Kleid weiter zurecht zupfte.
Jeannes Worte beunruhigten mich nur noch mehr und mein Bauchgefühl schien mich ebenfalls vor dem Prinzen warnen zu wollen. Zwar waren das alles nur Gerüchte, aber Jeanne sprach sie mit solch einer Ernsthaftigkeit aus, als wäre sie dabei gewesen. An meinem ersten Abend war er sehr liebenswürdig gewesen, aber der Morgen darauf war mir noch gut in Erinnerung. Die Art, wie er den Diener ins Gras geschmissen hatte, nur, weil er eine Nachricht überbracht hatte. Wie kaltherzig er von seinem Vater und seinem Bruder gesprochen hatte... Ich erschauderte unangenehm.
»Ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit, Jeanne. Ich werde auf mich aufpassen.«, sagte ich warm und trat hinter der Trennwand hervor, als Igrena und Nimea fertig waren.
Jeanne saß auf einer kleinen gepolsterten Bank am Fußende des Bettes und machte große Augen, als sie mich sah. »Bei den Göttern, Ihr seid wunderschön!«, rief sie und klatschte in die Hände. »Ein Wunder, dass sich die Männer in Cathalon nicht um Euch gerissen haben.«
Schüchtern lächelte ich und strich über den samtigen Stoff. »Ich finde immer... naja, dass es eingebildet klingt, wenn ich Ja sage.«, murmelte ich und setzte mich neben sie, schickte Igrena und Nimea mit einer Handbewegung raus.
Jeanne lachte leise zu meiner Verwunderung. »Wenn jemand Euch ein Kompliment macht, macht er Euch ein Geschenk.«, sagte sie leise und ergriff meine Hand. »Würdet Ihr ein Geschenk wegwerfen?«
»Natürlich nicht.«, erwiderte ich mit großen Augen.
Sie lächelte. »Also, dann könnt Ihr es ruhig annehmen.«
Ich lächelte leicht zurück. »In Ordnung. Danke.«
»Bitte sehr.«, entgegnete sie und sah mir in die Augen. »Ich habe das Gefühl..., dass Ihr noch großes bewirken werdet, Lady Evelyn.«
Was sie wohl damit meinte? Ich wusste es nicht, aber sie stand auch schon auf, bevor ich sie danach fragen konnte. Dann ergriff sie meine Hände und hakte sich bei mir unter.
»Nun kommt. Wollen wir doch mal sehen, was man hier noch so machen kann, bevor die Männer von der Jagd heimkehren.«, sagte sie und wir verließen gemeinsam mein Zimmer.
Stunden vergingen, in denen Jeanne und ich uns im Haus umsahen, uns ins Speisezimmer setzten und einen, von Brunhilde frisch aufgebrühten, Tee tranken und uns einfach nur unterhielten, als wären wir schon jahrelang befreundet. Es war so schön einmal nicht an Formen und Regeln denken zu müssen, sondern unbeschwert mit ihr lachen zu können. Außerdem war sie die einzige Vertrauenspartnerin, die ich im Augenblick wirklich hatte.
Vater war sehr mit seiner Stellung als Ritter beschäftigt, musste trainieren, um sich gegen die jüngeren Ritter behaupten zu können, weshalb er sehr wenig da war. Und meine Mutter wurde tagtäglich von der Königin eingespannt, weshalb ich sie auch kaum sah, es sei denn ich war ebenfalls zur Königin beordert worden.
Schließlich hörten wir, wie sich die Eingangstüren im Flur öffneten und Aufregung wurde laut. Männer lachten und lobten einander. Jeanne ließ ihren dritten Becher Tee stehen und sprang auf. Nur langsam folgte ich ihr durch den Salon in den Eingangssaal.
Lachend sprang sie Robert McCain in die Arme.
Ich musste zugeben, dieser Mann war wirklich sehr gutaussehend. Markante lange Gesichtszüge, schmale und doch zum Küssen einladende Lippen und wache grünbraune Augen. Innerlich freute ich mich für Jeanne, dass sie solch einen Mann als Gönner hatte und hoffte, dass sie mit ihm glücklich war und er auch mit ihr.
Jeanne löste sich kichernd von ihm und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Ich sah weg, als er ihr seine Zunge in den Mund schob. Du meine Güte...
»Ihr seid völlig verdreckt!«, rief Jeanne.
Robert lachte dunkel und kehlig auf. »Wir können uns gleich noch dreckiger machen.«, raunte er und biss ihr einmal ins Ohrläppchen.
Ich sah noch, wie sie sich auf die Unterlippe biss, als der König auf mich zutrat und leicht lächelte. Sein Haar war verschwitzt und das Gesicht mit Schmutz verschmiert, aber seine Zähne leuchteten wie Sterne.
»Habt Ihr Euch gut amüsiert?«, fragte er und streifte zwei dicke Lederhandschuhe von den Händen und gab sie Winston, der bereit stand.
»Sehr, Majestät. Wie verlief die Jagd?«
William öffnete den Mund, aber der Prinz kam ihm zuvor.
»Ganz gut, hätte mein Bruder nicht meilenweit daneben geschossen mit seinem komischen Stöckchen.«, grinste der Prinz und klopfte William auf die Schulter.
Dieser presste nur die Lippen aufeinander und sah zur Seite.
Ich senkte den Blick.
»Und dennoch habe ich ihn erwischt, oder nicht?«, zischte William gereizt. »Das kannst du von deiner Armbrust nicht behaupten. Du hast ja hundert Jahre zum Nachladen gebraucht.« Er machte sich von Eric los und stürmte an mir vorbei die Treppe hinauf.
Unbehaglich blieb ich stehen und blinzelte ein paar Mal, bevor ich Eric anblickte, der starr auf die Treppe blickte und dann ebenfalls an mir vorrüber ging. Schließlich ging ich zurück in den Speisesaal, als die Ritter sich im Anwesen verteilten, um sich zu waschen und sauber zum Festessen zu kommen. Ich hingegen schnappte mir die Becher und ging zur Küche.
Dort empfing mich ein köstlicher Bratenduft und Brunhildes Gastfreundlichkeit.
»Ach Kindchen, das hättet Ihr doch nicht machen müssen.«, lachte sie und nahm mir die beiden Becher ab, bevor sie sie in eine Schale mit Seifenwasser tauchte.
»Das macht keine Umstände«, lächelte ich und faltete die Hände in Hüfthöhe. »Der König und der Prinz verstehen sich nicht besonders... oder?«
Brunhilde presste die Lippen aufeinander. »Das haben die beiden noch nie. Tja. Mein Bruder hat in der Erziehung seiner Söhne viel falsch gemacht. Und ihre Mutter auch... William war der Erstgeborene und bekam alle Aufmerksamkeit von seinen Eltern. Als dann raus kam, dass Ulfrik eine Geliebte hatte und Eric gerade geboren wurde... nun ja. Niemand kümmerte sich wirklich um den kleinen. Dafür gibt Eric schon immer William die Schuld.«
»Das ist furchtbar.«, flüsterte ich.
Brunhilde nickte. »Und als William auch noch König wurde... Insgeheim freut sich Eric beinahe, dass Will so eine grauenvolle Frau heiraten musste. Er denkt, es wäre Schicksal, dass William alles hat und doch auch nichts.«
Blinzelnd sah ich zu Boden, als Brunhilde anfing in einem Kessel zu rühren, der über einem prasselnden Kaminfeuer brodelte. »Warum hat der König nichts?«
Sie hob den Kopf. »Nun ja, die Liebe einer Frau natürlich. Es ist allgemein bekannt, dass Königin Lillith William nicht ausstehen kann.«
»Ich finde das traurig«, murmelte ich und setzte mich auf einen Holzhocker. »Ich meine, der König ist doch sehr charmant. Vielleicht, wenn die Königin und der König einfach miteinander reden würden...«
Brunhilde lächelte mich traurig an, kam zu mir und strich mir sanft und mütterlich über das Kinn. »Ach, Kindchen. Wärt Ihr doch nur ein paar Jahre früher aufgetaucht. Mein lieber Will und Ihr... ihr hättet ein wundervolles Paar abgegeben.«
Ich fühlte mich sehr geschmeichelt und errötete auch fürchterlich. Aber ich und der König? Das war doch verrückt! Er hatte eine Frau und selbst, wenn ich schon vor drei Jahren an den Hof gekommen wäre, er hätte mich niemals zu seiner Frau genommen. Ein Nord von königlichem Blute und eine Highländerin, die in Wahrheit von einer Dienstmagd abstammte, das... das ging einfach nicht.
»Ich werde dann mal...«, meinte ich und deutete zur Tür. »Sicher fragen sich die Leute schon, wo ich bleibe.«
Brunhilde lächelte mich an. »Aber ja! Amüsiert Euch schön, Kindchen.«
»Das werde ich«, sagte ich, stand auf und tapste zur Tür.
Draußen war die Luft wieder stickig und ich flüchtete zur Eingangstür, um ein paar Atemzüge frischer Luft einzuatmen, bevor ich der leisen Musik folgte. Das Fest war noch nicht ganz im Gange, aber einige Ritter, die sich bereits gewaschen hatten standen mit Weinkelchen und unterhielten sich mit einigen Damen, von denen ich nicht wusste, wo sie so plötzlich hergekommen waren. Ich schob diesen Gedanken beiseite und nahm mir einen vollen Weinkelch von einem der Tabletts, die auf einer dicken Holzkomode standen. Kerzenschein spendete duseliges Halbdunkel. Zigarrenqualm lag in der Luft, der Geruch von Wein und Braten mischte sich ebenfalls darunter.
Ich seufzte leise und nippte an meinem Weinkelch.
Jeanne und Robert waren nirgends zu sehen, wobei mir bei dem Gedanken eine warme Gänsehaut über den Rücken fuhr, da ich mir nur zu gut - vielleicht zu gut - vorstellen konnte, was die beiden irgendwo in diesen Gemäuern trieben.
Ich wurde plötzlich aus meinen seltsamen Gedankensträngen gerissen, als mich eine Hand an der Schulter antippte. Als ich mich umwandte, stand mein Vater vor mir, einen verzierten Kelch in einer Hand.
»Und, Kleines? Was hast du den ganzen Tag gemacht?«, fragte er leicht lächelnd, wobei sich ein Kranz aus feinen Fältchen um seine Augen legte.
Ich zuckte die Schultern, wusste dabei nicht recht, ob ich ihm erzählen sollte, dass ich mich so gut mit Mistress Jeanne verstand. Ob er es gut fand oder nicht. Meine Mutter wäre sicher ausgeflippt, würde sie wissen, dass ich mit solch einer Frau überhaupt sprach.
»Dies und jenes.«, lächelte ich ausweichend. »Die Jagd war erfolgreich?«
Vater nickte und blickte sich um. »Nunja... Der König hat zwei ausgewachsene Eiswölfe erlegt.«
»Ist das denn nicht gut?«
»Es ist wenig für den ersten Tag. Die Viecher werden immer schlauer. Morgen werden wir früh aufbrechen und wahrscheinlich einige Meilen zurücklegen, bevor wir Abends zurück zum Anwesen kommen.«, erklärte er und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich hoffe nur, dass dir die Tage hier nicht zu langweilig werden, schließlich bleibst du die ganze Zeit über hier.«
Ich grinste ihn fröhlich an. »Ich weiß mich schon zu beschäftigen, Vater. Schließlich warst du in Cathalon auch tagsüber fort und nicht da, um mich zu bespaßen.«
Leise lachte er. »Da hast du auch wieder Recht. Ich werde mich mal unter's Volk mischen.«, meinte er und verabschiedete sich mit einem Kuss auf meine Stirn, bevor er zu einer Gruppe älterer Männer ging, darunter der erste Jäger des Königs, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Kopfschüttelnd und lächelnd blickte ich ihm nach, denn ich fand es schön, wenn er sich mit einigen Männern verstand und sich schnell einlebte. Von meiner Mutter konnte ich das nicht behaupten. Obwohl sie von außen hin so tat, als würde sie alles ganz toll finden, wusste ich, dass sie noch immer wütend auf meinen Vater war, dass wir hierher ziehen mussten. In den Norden. In Cathalon hatten wir eine Zukunft gehabt, hatte sie jedenfalls immer gesagt. Ich hingegen fühlte mich hier wohl. Es war, als würde ich schon immer hierher gehört haben, als würde ich schon immer hier leben.
Etwas piekste mich in die Seite, sodass ich herum fuhr und grinste, als ich Jeanne erblickte, die gerade noch ihr Kleid richtete. Ein rötlicher Schleier lag über ihren Wangen und ihre Pupillen waren erweitert. Sie hatte definitiv gerade etwas mit Robert getrieben.
»Schon fertig?«, fragte ich grinsend.
»Robert braucht nicht lange, um mich zum Ende zu bringen.«, grinste sie zurück und zwinkerte mir zu.
Ich wurde rot und schluckte leise. Zum Ende bringen? Was sollte das denn heißen? Mutter sagte mir - in diesem supertollen Aufklärungsgespräch, als ich zwölf wurde und meine Blutung bekommen hatte -, dass nur Männer zum Ende kommen könnten. Hatte sie mich belogen? Oder hatte sie selbst das nie erlebt mit Vater? Ich war einigermaßen verwirrt, sagte aber nichts dazu.
Mein Blick wanderte durch den Raum und durch einen kleinen Bogen kam Robert mit geschwellter Brust stolziert und gesellte sich zu einer Gruppe Männer, die gerade angeheizt über die Jagd sprachen.
Ich nippte an meinem Kelch und gerade nahm sich Jeanne ebenfalls einen mit süßem Wein, als es still im Raum wurde.
König William betrat den Raum und grüßte seine Männer mit einem Nicken, bevor er auf einem Stuhl Platz nahm und sich von Winston, seinem Diener, einen großen Kelch geben ließ. Die Gespräche begannen kurz wieder, bevor sie erneut unterbrochen wurden. Diesmal vom Prinzen, der in den Raum trat. Gemurmel erklang und zuerst konnte ich nichts sehen, bis sich die Menge teilte und ich einen Blick auf ein grausiges Bild erhaschen konnte.
Prinz Eric warf zwei reglose weiße Wolfskörper vor König Williams Füße auf den Boden. Die Körper waren riesig, aber es war nicht die groteske Größe, die mich zusammenzucken und erschaudern ließ, sondern das Blut, das in den Fellen klebte wie eine rote Bemalung. Die Kehlen wurden ihnen durchgeschnitten, die Zungen hingen seitlich aus den gespreizten Mäulern mit riesigen Zähnen. Es war einfach nur grausam.
Neben mir hörte ich Jeanne schlucken, als ob sie solch ein Bild auch noch nie gesehen hätte.
»Seht!«, rief der Prinz grollend und streckte die Arme aus. »Seht, was der große König William erlegt hat... zwei Eiswölfe.«
Der König saß mit versteinerter Miene da und starrte die beiden Eiwölfe an, die die Größe von zu klein geratenen Kühen hatten. Seine Augen waren starr auf das Wolfspaar gerichtet, bevor er langsam aufstand. »Was soll das, Eric?«
Dieser lachte unheimlich, sodass mir die Haare zu Berge standen. Im übertragenen Sinne jedenfalls. Ich spürte, wie Jeanne nach meinem Arm griff und ihn drückte.
»Ich will doch nur jedem hier sagen, was für ein toller Jäger du bist? Ist das etwa verboten?«, fragte Eric herausfordernd und blickte sich unter den Rittern um, die alle schwiegen und ihren Herrscher anstarrten.
»Indem du diese Viecher in den Tanzsaal schleppst und hier hinwirfst? Diese Tiere haben genug gelitten, findest du nicht?« Nun war es William, der herausfordernd eine Frage an seinen Bruder richtete. Der Blick sagte nur eines: Überleg dir gut, was du vor meinen Untertanen, als nächstes sagst.
Ich konnte Erics Blick nicht sehen, da er nun mit dem Rücken zu mir und Jeanne stand, dann aber wirbelte er herum und stapfte auf uns zu und machte ein Handzeichen. Die Blicke der anderen folgten ihm unaufhörlich, sodass mir kalt wurde, als sie an uns kleben blieben.
»Kommt mit mir, Lady Evelyn. Ich habe etwas mit Euch zu besprechen.« Sein Tonfall war ein Befehl, den ich ausführen musste.
Mein Magen krampfte sich zusammen, vor allem, da uns beinahe die ganze Aufmerksamkeit gehörte. Nur zitterig löste ich mich aus Jeannes Griff, die mir einen bedeutungsvollen Blick zuwarf, und dann stellte ich den Kelch auf einen Tisch. Ich wusste, was Jeanne mir mit ihrem Blick sagen wollte. Ich sollte aufpassen, wenn ich mit ihm alleine war. Und auch der Blick, den mir Vater zuwarf sprach Bände. Ich musste vorsichtig sein.
Eric rauschte an mir vorbei in den Eingangssaal und nach draußen, sodass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Abrupt blieb er am Torbogen stehen, der zum Innenhof führte, und wirbelte zu mir herum, sodass ich zusammenzuckte.
Eine Weile starrte er mich nur an, wodurch mein Herz so schnell schlug, dass ich glaubte, er könne es hören.
»Ihr wolltet mit mir sprechen, Euer Hoheit?«, fragte ich mit zitternden Händen, die ich ineinander krallte.
Leicht grinste er und nickte. »Allerdings«, erwiderte er und sagte dann das, was mich absolut aus der Bahn warf: »Ich will, dass Ihr mich heiratet, Evelyn.«
Ich prallte förmlich zurück und mein Herz tat stolpernd seine nächsten Schläge. Innerlich drehte sich alles, meine Gedanken überschlugen sich und sämtliche Gespräche, die ich jemals übers Heiraten mit irgendwen geführt hatte, kamen mir in den Sinn. Meine Mutter hätte Jubelschreie ausgestoßen, denn der Prinz des Nordens war gewiss eine gute, politische Partie, die ich ausspielen konnte. Ich wäre eine angesehene Person am Hof, die Ehefrau des Prinzen.
Aber etwas warnte mich vor diesem Mann. Mein Vater hatte mir an meinem ersten Tag gesagt, dass ich auf mein Herz hören sollte und nur jemanden heiraten sollte, dem ich vertrauen konnte, den ich liebte. Und Jeanne hatte mich ebenfalls vor ihm gewarnt und mir gesagt, wie viele Frauen er bereits ins Unglück getrieben hatte. Ich erinnerte mich noch an ihre Worte, als sie sagte, dass ein Mann eine Frau nur aus politischen Gründen heiratete. Er würde mich unglücklich machen, das schrie mein Herz nur geradezu heraus.
Ich wich einen Schritt zurück, mir war plötzlich kalt. »Euer Hoheit... ich... ich fühle mich sehr geehrt, aber... ich muss erst darüber nachdenken. Ich weiß nicht, ob ich Eure Frau werden kann.«, stammelte ich.
Eine steile Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. »Wie bitte? Ihr... Ihr wollt darüber nachdenken?«
Ich zuckte zusammen, denn seine Stimme hatte einen unheimlichen Unterton angenommen. »J-ja... Ich kann nicht sofort eine Entscheidung fällen.«
Plötzlich schoss er vor und packte mein Handgelenk eisern, dass ich das Gefühl hatte, meine Knochen würden knirschen.
Ich quiekte vor Entsetzen.
»Ihr wagt es, darüber... nachzudenken? Wisst Ihr eigentlich, wer hier vor Euch steht?! Ich habe Euch gerade angeboten, dass Ihr meine Frau werden dürft, das ist eine Ehre!«, knurrte er.
Instinktiv versuchte ich mich aus seinem Griff zu lösen, aber er hatte mich zu fest gepackt und an sich gezogen. »Ich darf also Eure Frau werden?!«, fauchte ich und zerrte an seinem Arm. »Lasst mich los! Lasst mich sofort los!«
Er starrte mich an und zog mich an seine muskulöse Brust, wodurch ich anfing zu schreien wie am Spieß, denn ich roch den starken Alkoholgeruch aus seinem Mund. Er war betrunken! Völlig betrunken! Deshalb war er seinem König gegenüber auch so ausfallend geworden. So herausfordernd.
»Lasst sie los!« Vater!
Mein Vater war nur ein Schatten, der vorbei zischte, ehe er den Prinz packte und von mir wegzog. Zitternd stand ich da, wäre beinahe noch in den Schlamm gefallen, als eine starke und beschützende Hand sich in mein Kreuz legte. Es war König William, an den ich mich zitternd schmiegte und er mir über das zerzauste Haar fuhr, um mich zu beruhigen.
»Bringt ihn auf sein Zimmer und sorgt dafür, dass er dort bleibt, Robert!«, bellte William.
Nur aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass der tobende Prinz von Ser Robert und einem anderen, goldhaarigen Ritter weggeschleift wurde. Dann zog mich auch schon Vater in eine feste, beschützende Umarmung und flüsterte mir zu, dass alles gut werden würde.
»M'Lady Evelyn... vergebt mir. Hat mein Bruder Euch irgendwas angetan?«, fragte der König besorgt und fügte dann gedämpfter hinzu: »Hat er Euch unsittlich berührt? Wenn ja, ich werde ihn sofort heimschicken und ihn bei unserer Rückkehr bestrafen lassen.«
Zitternd schüttelte ich den Kopf, das Gesicht halb an der Brust meines Vaters geschmiegt.
William warf Vater einen Blick zu. »Vergebt mir, Ser.«
Ich spürte, wie er den Kopf schüttelte. »Es ist nicht Eure Schuld, Majestät. Ihr könnt nichts für die Taten Eures Bruders.«
»Und dennoch schäme ich mich für ihn.«, murmelte der König seltsam kleinlaut. »Ist hier jemand, der Lady Evelyn auf ihr Gemach begleitet? Und ich brauche eine Wache, die sich vor der Tür postiert.«
Ich wollte schon sagen, dass das nicht nötig war, als Jeanne vortrat und mich sanft am Arm nahm. »Ich bringe sie auf ihre Gemächer. Sie vertraut mir.«, verkündete sie.
Auf Vaters Blick achtete ich nicht, da ich so froh war, Jeanne da zu haben, dass ich einfach mit ihr ging. Uns folgte ein dunkelhaariger Ritter namens Gawain.
Mir saß das Erlebnis von vor wenigen Minuten, noch Stunden später, als ich im Nachthemd in meinem warmen Bett lag, in den Knochen.
Am Morgen wachte ich mit Kopfschmerzen aus keinem bestimmten Grund auf. Als ich langsam dem Bewusstsein entgegen dämmerte, bemerkte ich jedoch einen dumpfen Schmerz am Handgelenk und sofort erinnerte ich mich an alles, was am gestrigen Abend geschehen war. Der Prinz höchst selbst hatte mir einen Heiratsantrag gemacht. Obwohl Antrag konnte man das kaum nennen, er hatte gefordert, dass ich seine Frau werden würde und mein Bauchgefühl hatte mich sofort gewarnt. Und es schien auch gerechtfertigt zu sein, denn der Prinz war betrunken gewesen und hätte, wer weiß was, mit mir angestellt.
Blinzelnd hob ich den Kopf und kniff sogleich die Augen zusammen. Mein Schädel brummte fürchterlich. Langsam blickte ich zu meinem schmerzenden Handgelenk und verzog das Gesicht schmerzverzerrt. Es war dunkelviolett angelaufen und zeigte deutliche Fingerabdrücke. Prinz Eric hatte auf jeden Fall einen kräftigen Griff.
Mit der unverletzten Hand stemmte ich mich hoch und drehte mich auf den Rücken, um zu sitzen. Da bemerkte ich Jeanne, die auf der gepolsterten Bank saß und an irgendeine kleinen Handarbeit saß.
»Guten Morgen, Schlafmütze.«, grüßte sie mich und klang dabei aber äußerst konzentriert.
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Wie lange habe ich geschlafen?«
Jeanne ließ die Handarbeit in ihren Schoß sinken. »Lang genug, dass Ihr das Frühstück verpasst habt. Als ich Euch gestern das Nachthemd angezogen habe, wart Ihr kaum noch anwesend. Geht es Euch besser?«
Blinzelnd überlegte ich. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, was geschehen war, nachdem sich mein Vater den Prinzen zur Brust genommen hatte. Nur noch, wie ich die Treppe hoch gestolpert war und dann vernebelte der Schock alles weitere. Jeanne hatte mir ins Nachthemd geholfen? Dann hatte sie mich ja auch...
»Macht Euch keine Sorgen, M'Lady. Dass Ihr eine Spalte zwischen den Schenkeln und Brüste besitzt, wie jede andere Frau, werde ich für mich behalten.«, grinste sie und zwinkerte mir zu.
Ich verdrehte die Augen und kicherte leise. »Nacktheit scheint für Euch beinahe Gewohnheitssache zu sein, oder? Ihr redet so selbstverständlich über B-brüste und all das.«
Plötzlich senkte sie den Blick. »Weil ich gelernt habe, das Adel und Titel nicht alles sind auf der Welt. Man muss an seine Familie denken, deshalb bin ich Mätresse geworden, Lady Evelyn.«
Neugierig geworden rutschte ich zum Rand des Bettes, die Decke noch immer über meine Beine geschlungen. Was meinte sie damit? »Was soll das heißen?«
Langsam schüttelte sie den Kopf, legte ihre Handarbeit beiseite und stand auf. »Das ist eine lange Geschichte und ich habe das Gefühl, dass wir nicht genug Zeit haben, damit ich sie Euch erzählen kann. Ein andermal.«, erklärte sie mir und öffnete die Tür. Sie rief meine Zofen, die hinein geeilt kamen und bellte Befehle: »Zieht Lady Evelyn das Jagdkleid an und macht ihr einen Knoten ins Haar. - Wir treffen uns gleich unten, M'Lady.«
Und damit verließ sie mein Zimmer.
Grübelnd blieb ich sitzen, als Igrena und Nimea meine Kleidung zusammen suchten. Was sie wohl damit gemeint hatte, dass sie es für ihre Familie getan hatte? Dass sie für ihre Familie zur Mätresse geworden war? Eine Mätresse bekam nicht viel Anerkennung für das, was sie war und vor allem nicht von adligen Frauen. Diese sahen diese Frauen nur mit Abscheu und Ekel an, da sie der Meinung waren, dass sie wie Huren ihre Röcke für die Männer hoben. Ich verstand es nicht, wollte aber so schnell wie möglich wissen, was Jeanne mit ihrer Andeutung von Familie gemeint hatte.
Zwar grübelte ich noch immer, als mich Igrena und Nimea schweigend fertig machten und ich benommen den Gang entlang ging. An der Treppe blieb ich wie erstarrt stehen, denn im Eingangsbereich standen der König und der Prinz und keiften sich wie zwei Waschweiber an. Jeanne stand mit Robert an ihrer Seite schweigend daneben und schien genervt.
Ich wandte mich dem Geländer zu und ging ganz langsam die Treppe hinunter, da mein Schädel brummte und nicht damit aufhören wollte so wahnsinnig wehzutun. Als ich auf der letzten Stufe stand, faltete ich meine Hände und setzte einen überaus strengen Gesichtsausdruck auf. Noch immer war ich wütend und traute Eric nun keinen Millimeter mehr über den Weg. Einerseits hätte man gestern dem Alkohol die Schuld geben können, aber selbst betrunken hätte er einsehen müssen, dass man mich nicht so anpacken durfte und mit einer Lady so nicht sprach, selbst wenn er der Prinz war.
Ser Robert räusperte sich vernehmbar. »Majestät.«
König William erstarrte mitten im Satz, bei dem ich gar nicht so genau hingehört hatte, und drehte sich zu mir um. »Lady Evelyn... ich hätte erwartet, dass Ihr den Tag in Euren Gemächern verbringt.«
Tja, das hatte ich auch gedacht, aber Jeanne hatte mir sprichwörtlich in den Hintern getreten. »Ich bin jemand, der sich unagenehmen Situationen stellt, Majestät.«, erwiderte ich und warf einen bedeutenden Blick zum Prinzen.
Dieser senkte kurz den Blick, ehe er mir in die Augen sah. »Darf ich Euch einen Moment alleine sprechen, M'Lady?«
Unsicher blickte ich zu Jeanne hinüber, die mit vereister Miene neben ihrem Gönner stand und kurz die Lippen zusammenkniff. Ich konnte ihr sofort ansehen, dass sie dem Prinzen nicht mehr traute, als sie spucken könnte. Aber ich war da wohl etwas zu freundlich, denn ich nickte. Immerhin musste man einem doch die Chance lassen, sich zu erklären, oder?
»Ist in Ordnung.«, sagte ich.
Prinz Eric trat an seinem Bruder vorbei und blieb in einigem Abstand zu mir stehen. Einen Moment wartete er noch, bis sich die anderen nach draußen verzogen hatten, dann ergriff er vorsichtig meine Hand, woraufhin ich zusammen zuckte.
»Vergebt mir, Lady Evelyn.«, flehte er. »Ich war gestern nicht ich selbst... und es tut mir fürchterlich leid, was ich im Tanzsaal getan habe. Und dann draußen am Tor... Ich war so betrunken und wollte Euch unbedingt als Frau haben, dass ich bei Sinnen war.«
Sollte ich ihm das wirklich glauben? Mein Bauchgefühl schlug Alarm und sagte mir, dass ich mich von ihm fern halten sollte. »Ich... ich weiß nicht.«, krächzte ich. »Ihr habt mir gestern Angst gemacht.«
Prinz Eric senkte den Blick und presste die Lippen zusammen, hob dann aber wieder den Kopf. »Lasst mich beweisen, dass ich nicht so bin, wie Ihr mich gestern kennengelernt habt.«
Sollte ich ihm eine Chance geben? Er hatte eine verdient.
»In Ordnung«, sagte ich und entzog ihm meine Hand. »Eine Chance.«
Prinz Eric richtete sich auf und lächelte mich an. »Ihr wisst nicht, wie glücklich Ihr mich damit macht.«
Allerdings, das wusste ich nicht. Unbehaglich blickte ich mich um, versuchte dabei, das schlechte Bauchgefühl zu ignorieren, das ich noch immer hatte. Irgendwas daran schien meinem Instinkt überhaupt nicht zu gefallen.
»Gut. Dann treffen wir uns in fünf Minuten bei den Stallungen. Dann könnt Ihr uns auf der Jagd begleiten.«, sagte er lächelnd, wandte sich um und ging zur Tür, noch bevor ich ihn aufhalten konnte.
Mit auf die Jagd?!
Eine halbe Stunde später klammerte ich mich an Igreds Zügeln fest und hoffte, dass das alles kein riesiger Fehler gewesen war, als ich dem Prinzen sagte, dass ich ihm eine Chance geben würde. Nun saß ich doch tatsächlich auf dem Rücken meiner Fuchsstute und ließ Igred in einem lockeren Schritt neben dem weißen Hengst des Prinzen gehen, während ich die missmutigen Blicke meines Vaters und sogar des Königs auf mir fühlte.
Ich versuchte Haltung zu bewahren und hob das Kinn, während ich mich innerlich jedoch fragte, wie mir der Prinz bei der Jagd zeigen wollte, dass er das gestern nicht so gemeint hatte. Und auch Jeannes Blick, als sie hörte, dass ich mit zur Jagd ging, war mehr als warnend gewesen. Sie wollte, dass ich vorsichtig war.
Und das war ich auch.
Ich ließ meinen Blick über die Jagdgesellschaft wandern, über die Jäger, die dem König untergestellt waren. Zwei der erfahrenen Jäger besaßen lange, filzige Bärte und sahen aus, als wären sie ungefähr schon fünfzig. Und dennoch waren die die besten Jäger des Königs. Die drei anderen Jäger ritten ein Stück hinter ihnen, dahinter die Lehrlinge. In der Mitte ritt der König, Prinz Eric und ich und das Schlusslicht bildeten die Ritter. Sehr unauffällig.
Unvermittelt blieben die vorderen Jäger stehen, sodass ich an Igreds Zügeln zog und sie ebenfalls zum Stehen brachte.
»Majestät!«, rief einer der bärtigen Jäger.
Der König führte seinen Hengst nach vorn, sodass der Prinz und ich ihm folgten und neben den Jägern stehen blieben. William stieg von dem Pferd herab und auch der Jäger stieg ab.
»Frische Spuren«, stellte William fest, als er sich hin hockte, ohne seine Kleidung schmutzig zu machen. »Ein Eiswolf. Die Pfoten sind riesig... zwei Handballen groß. Vermutlich ein Männchen.«
»Der Alphawolf?«, fragte der Jäger.
»Möglich«, antwortete William.
»Er sucht die beiden erlegten Tiere seines Rudels.«, murmelte der zweite Jäger auf seinem Pferd.
Prinz Eric schnaubte neben mir. »Wölfe tun soetwas nicht.«
Der zweite Jäger spuckte verächtlich aus. »Bei allem Respekt, Euer Hoheit. Ich bin Jäger und weiß mehr über das Verhalten über Wölfe und anderes Wild, als Ihr. Dieser Wolf sucht die Mitglieder seines Rudels, wir haben ihn wütend gemacht.«
»Nun hört Euch Rolf River an, Herrschaften. Das sind Märchen. Glaubt Ihr wirklich, dass wir den weißen Wolf von Torimstein verfolgen?«, fragte Eric spöttisch. »Diese Märchen erzählte uns die Königin, als wir Kinder waren.«
Ich begann zu frösteln und zog den weißen Wolfsmantel enger um meine Schultern. »Was für Märchen?«
Der König erhob sich. »Habt keine Angst, Lady Evelyn. Hier draußen wird Euch nichts geschehen.«
»Sagt mein Bruder«, kommentierte Prinz Eric trocken.
»In der Zeit der ersten Nord soll es eine blutige Zeit gegeben haben. Ein Wolf, wahnsinnig und blutrünstig hat angeblich über hundert Menschen abgeschlachtet, die Bewohner von Torimstein, einem Dorf. Die Opfer waren Kinder und Frauen, die Sünde begangen haben. Irgendwann jedoch hörten die Morde einfach auf. Schlagartig. Manche glaubten, ein Jäger habe ihn wohl erlegt, andere glauben, die Sünden der Menschen dort sei mit der Anzahl der Opfer nun von der Erde getilgt.«, erzählte Rolf.
Ängstlich starrte ich in den verregneten Wald hinein.
»Hört auf, Rolf«, zischte der Prinz. »Ihr macht meiner Lady Angst.«
M-meiner Lady?, schoss es mir durch den Kopf und ich runzelte die Stirn.
Ich hob den Kopf. »Nichts als abergläubischer Unfug.«
»Ganz meine Rede, M'Lady.«, pflichtete mir Eric grinsend bei. »Wir sollten weiterreiten, nicht wahr, William?«
König William warf mir noch einen Blick zu, den ich vielleicht als besorgt interpretieren würde, bevor er nickte und sich zurück auf seinen Hengst schwang. Diesmal ritten wir vorne weg und Rolf etwas abseits, den Spuren hinterher. Und ich musste zugeben, dass ich das eben nur sagte, um vor dem Prinzen und den König nicht wie eine schwächliche, ängstliche Frau zu wirken, sondern stark, als hätte ich vor gar nichts Angst. Das war leider ein ziemlicher Schwindel gewesen.
Und nun ritten wir den Pfotenabdrücken eines riesigen Wolfes hinterher, als ob wir sagen wollten: Komm her! Friss uns auf!
Die Pfotenabdrücke führten den schlammigen Pfad entlang und das sicher eine halbe Stunde lang, als hätte der Wolf keine Angst gehabt, dass sich Menschen auf ihm aufhielten. Es war unheimlich, denn Tiere mieden meist menschliche Wege.
Doch dann machten die Spuren eine scharfe Kurve zu den Bäumen, vom Pfad herunter direkt ins Gebüsch.
Die Truppe blieb stehen.
»Zu Pferd können wir ihn nicht weiter verfolgen.«, stellte Rolf fest und schwang sich von seinem grauen Wallach hinunter, übergab ihm einen der Lehrlinge und ergriff den Bogen auf seinem Rücken.
Absteigen?! Hier oben auf Igreds Rücken fühlte ich mich wenigstens noch so etwas wie halbwegs sicher, aber so? Schutzlos auf dem Boden herum laufen, während ein riesiger Eiswolf hier herum streifte.
»Rolf hat Recht«, sagte der erste Jäger und stieg ebenfalls ab.
Auch der König und Eric stiegen von ihren Pferden hinunter und ergriffen ihre Waffen, da drehte sich William zu mir herum. »Ihr müsst nicht mitkommen, M'Lady. Hier ist es sicherer für Euch.«
Ich wollte schon erleichtert aufatmen und nicken, als der Prinz leise lachte.
»Lady Evelyn hat keine Angst, William. Das hat sie doch gesagt, also kann sie ruhig mitkommen.«, sagte er und ergriff seine Armbrust.
William sah seinem Bruder kurz hinterher, als dieser an ihm vorbei zu den Büschen schlich, dann blickte er mich an, als wolle er mir sagen, dass ich immer noch hier bleiben konnte, wenn ich wollte. Innerlich jedoch trat ich mir in den Hintern und stieg von Igreds Rücken herunter. Dann gab William seinen Männern einen Wink und unsere kleine Gruppe, bestehend aus dem König, dem Prinzen, den beiden Jägern, Robert und meinem Vater, folgten den Pfotenabdrücken in den Wald.
William war sehr freundlich und zog mir Äste beiseite, damit sie nicht an meinem Kleid hängen blieben und auch Vater kümmerte sich darum, dass ich nicht stolperte. Der Prinz jedoch schlich vor uns her und schien sich nur dafür zu interessieren, den Monsterwolf zu erlegen.
Als wir auf einer kleinen Lichtung standen, knackte es plötzlich im Gebüsch.
Ich erstarrte und begann wie automatisch zu zittern.
»Hier irgendwo ist etwas«, flüsterte der Prinz vor uns.
»Er beobachtet uns.«, entgegnete Rolf leise.
William legte einen Pfeil in seinen Bogen ein. »Seit nicht albern, Rolf. Woher sollte dieses Tier wissen, dass wir hier sind?«
Plötzlich wünschte ich mir auch eine Waffe in die Hand, mit der ich mich wenigstens halbwegs verteidigen konnte.
Vater schob mich hinter sich. »Bleib hinter mir, Evelyn.«
Dagegen widersprach ich sicher nicht!
William machte ein paar Schritte vorwärts und hockte sich ins feuchte Gras. »Fell... Hier sind überall Haare.«, bemerkte er und hob ein Büschel weißes Fell auf. »Weißes Fell.«
»Eiswölfe sind nun mal weiß«, zischte Prinz Eric.
Plötzlich schoss aus dem gegenüberliegenden Gebüsch ein riesiger weißer Schatten, so groß wie ein junger Bär. Ich hörte die Jäger rufen und schreien und Schüsse von Armbrüsten und Bögen wurden abgefeuert. Ein paar trafen den Wolf sogar, doch der raste weiter, als hätte er keine einzige Verletzung.
Vater drängte mich rückwärts immer weiter zum Waldrand.
Der Wolf stürmte an den Jägern vorbei, warf sie dabei zu Boden und sprang kurz vor uns ab. Weiße Zähne blitzten und ich hörte mich schreien. Mitten im Sprung stürzte der Wolf ab und landete direkt vor Vaters Füßen - ein Pfeil steckte in seiner Seite.
Zitternd ließ ich den Blick wandern, mein Herz schlug mir bis zum Hals.
William stand dort, den Bogen in der Hand und schwer atmend. Als er zur Besinnung kam, kam er auf uns zu. »Alles in Ordnung?«
Vater nickte. »Nichts passiert.«
»M'Lady?«, fragte mich der König.
Schwach lächelte ich. »Mir geht es gut, danke Majestät.«
William nickte, dann warf er einen Blick auf den Wolfskörper, der vor uns auf dem Boden lag. Ich sah, dass das Tier noch atmete, was mich irgendwie beunruhigte. Winselnd versuchte es sich aufzurichten, aber Prinz Eric drückte es herunter, indem er einen Fuß auf den Rücken stemmte.
»Ein riesiges Vieh!«, rief Prinz Eric lachend.
Da gab's doch nichts zu lachen! Der Wolf hätte meinen Vater und mich beinahe umgebracht. Ich wusste nicht, was daran lustig sein sollte.
»Das muss der weiße Wolf von Torimstein sein...«, sagte Rolf nachdenklich.
»Unsinn«, beharrte der Prinz. »Ein normaler weißer Wolf. Mehr nicht. - nicht wahr, du Biest?« Er beugte sich zu dem Wolf herunter und zog ihm fest am Ohr.
Das Tier winselte.
Was sollte das?! Es machte mich beinahe wütend, dass er so respektlos mit diesem Tier umging. Selbst, wenn der Wolf Vater und mich angefallen hatte, das gab ihm noch lange nicht das Recht, sich so zu benehmen! Ich war entsetzt!
»Hört auf damit!«, knurrte ich und schob mich an Vater vorbei.
Prinz Eric fuhr zurück und starrte mich an. »Wie bitte?«
Innerlich war ich hin und hergerissen, ob ich mich wirklich dem Prinzen in den Weg stellen sollte, aber ganz ehrlich? Ich war einfach zu aufgebracht über dieses bodenlos freche Verhalten. Einen Prinzen hätte man besser erziehen müssen, schließlich kann er sich doch nicht alles rausnehmen, oder?
»Ihr sollt damit aufhören«, wiederholte ich mutig. »Das ist ein Lebewesen, genau wie Ihr eines seid. Hört auf und erweist diesem Tier wenigstens etwas Respekt, wenn es schon von der Waffe eines Mannes getötet werden muss.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass der König mich musterte, ignorierte das jedoch einmal, als der Jäger Rolf auf uns zukam und auf den Wolf hinab blickte.
»Eure Verlobte hat Feuer im Herzen, Euer Hoheit.«, sagte der zweite Jäger amüsiert.
»Darauf wollte ich auch noch zurückkommen, prima, dass Ihr mich daran erinnert«, fuhr ich fort und funkelte meinen ›Verlobten‹ an. »Sucht Euch ein anderes Eheweib, meine Jungfräulichkeit spare ich lieber für einen respektvollen Mann auf.«
Ich wandte mich ab und stapfte den Weg entlang, den wir gekommen waren. Als ich weit genug weg war, dass ich die Gruppe Männer nicht länger sah, lehnte ich mich keuchend an einen Baum und hielt mir eine Hand vor den Mund, um das Geräusch zu ersticken. Bei den Göttern! Was hatte ich gerade getan?! Ich hatte den Prinzen vor versammelter Mannschaft bloßgestellt, indem ich seinen Antrag zurückwies. Ich hatte ihn als respektlos beschimpft, als Tierquäler, als...
»Große Mutter, hilf mir!«, flüsterte ich verzweifelt.
Ich war so dumm, so naiv und dumm! Das hätte ich nicht tun sollen, geschweige denn dürfen. Ich hatte mich gerade mit dem Prinzen angelegt, ich konnte es nicht fassen. Und ich hatte vor rund sechs Männern von meiner Jungfräulichkeit gesprochen, als wäre es etwas ganz besonderes. Natürlich war es für mich etwas ganz besonderes und ich wollte es für einen Mann aufgeben, der mich gern hatte und, der mich wie nichts auf der Welt wollte. Der Prinz schien alles als Spiel zu sehen und alles, was er haben wollte, war eine Trophäe.
Ich wäre eine weitere gewesen.
Innerlich war ich unglaublich froh, auf Jeanne gehört zu haben und früh genug gemerkt zu haben, dass der Prinz nicht gut für mich war und ein Eheleben mit ihm mich nicht glücklich gemacht hätte, geschweige denn unsere Kinder, würden wir welche bekommen. Nein. Das war nicht das, was ich wollte.
Zitternd sank ich kurz an dem Baum herab und hockte da, was allerdings irgendwann anstrengend für die Oberschenkel wurde, sodass ich aufstand und mich auf den Weg zurück zum Pfad machte. Ich zog den Wolfsfellmantel enger um meine Schultern, stieg über die umgefallenen Baumstämme und kämpfte mich durch Gebüsche.
Endlich erreichte ich den Hang, der zum Pfad führte. Dort warteten die restlichen Jäger, die nicht mitgekommen waren und die Ritter.
Völlig aufgewühlt ging ich an Winston vorbei, der mich irritiert ansah und ergriff Igreds Zügel. Ich wollte nicht hier sein, wenn der Prinz zurückkam, sodass ich mich auf den Rücken meiner Fuchsstute schwang, ihre Zügel herum riss und sie antrieb.
»Lady Evelyn!« Der Prinz, oh nein!
»Schneller, Igred!«, spornte ich mein Pferd an und trat ihr in die Seiten, damit sie schneller lief. Nun galoppierte sie in einem halsbrecherischem Tempo den schlammigen Pfad hinab.
Plötzlich erklang Hufschlag hinter mir.
Nein! Ich wollte gar nicht wissen, was der Prinz mit mir machen würde, sobald er mich zwischen die Finger bekam. Würde ich eine Strafe vom König bekommen? Und wie enttäuscht würde Mutter sein? Bei den Göttern, ich hatte ihr wieder Schande bereitet.
Schnaubend rannte Igred weiter und weiter, zwischen zwei Büschen hindurch, die weit auf den Weg ragten. Die kleinen scharfen Äste zerkratzten mir die Wange und ich schrie auf, als mir mit einem Mal die Zügel aus der Hand flogen, weil Igred - vermutlich vom Schrei - bockte und den Kopf nach vorne riss. Mit einem wütenden Wiehern stieg sie und ich flog seitlich von ihr hinunter.
Hart kam ich auf und rollte den Hang hinunter in einen Graben, wo ich kurz das Bewusstsein verlor.
»Lady Evelyn!«
Das war nicht der Prinz...
Ich versuchte meine Augen zu öffnen, aber ein dumpfer Schmerz hinter meinen Augen verhinderte das. Ich kniff sie nur noch fester zu.
»Evelyn!« Scharren erklang neben mir, dann ließ sich ein Körper neben mir fallen. Sanfte Finger strichen mir über die Wange. »Könnt Ihr mich hören, Evelyn?«
Ich glaubte, dass ich nickte.
Wer war das? Die Stimme war seltsam verzerrt und fremd...
»Es ist alles gut. Mein Bruder wird Euch nichts tun, ich habe ihm untersagt, wegen der Sache eben, etwas zu tun.«
Der König!
»Es... tut... mir leid.«, presste ich hervor.
Leise lachte er. »Es ist alles in Ordnung, Lady. Euch trifft keine Schuld.«, erwiderte er. »Wenn Ihr meinen Bruder nicht heiraten wollt, dann muss er das wohl oder übel akzeptieren.«
Langsam nickte ich, dann fiel ich in ein schwarzes Nichts.
»Wie geht es Euch, M'Lady?«, fragte Jeanne und stellte eine Schüssel Wasser auf den Nachttisch neben mir.
Seit ein paar Stunden war ich regungslos in dieser Position verharrt, um die tierischen Kopfschmerzen zu ertragen, die mich seit zwei Tagen quälten. Ich kauerte auf meinem Bett sitzend, die Beine eng an meine Brust gezogen und den Kopf auf den Knien gelegt da und starrte zur Seite.
Als ich so tollkühn geflohen war, um einer Standpauke durch den Prinzen zu entkommen, war ich in einen Graben und auf einen Stein gefallen. Man konnte von Glück sagen, dass mein Schädel davon nicht zerplatzt war und ich noch lebte. Vater hatte mir daraufhin befohlen, bis zum Ende der Jagd auf meinem Zimmer und im Bett zu bleiben. Grauenvoll für mich, wenn ich hielt mich gerne an der frischen Luft auf.
»Wie soll es mir schon gehen? Ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen.«, zischte ich gequält und kniff die Augen zusammen.
Jeanne zuckte die Schultern. »Ich wollte nur höflich sein.«
Ich lächelte, verzog dann aber wieder das Gesicht. »Bringt mich nicht zum Lachen, das tut weh.«
»Ist in Ordnung. Ich bin schon still.«, lächelte sie und setzte sich auf die gepolsterte Bank, gegenüber dem Bett, griff nach ihrer Handarbeit und machte dort weiter, wo sie das letzte Mal aufgehört hatte.
Ich legte den Kopf zurück auf die Knie. »Du hast mir versprochen, dass du mir die Geschichte erzählst, wie du zur Mätresse von Robert McCain geworden bist.«
Plötzlich erstarrte sie in ihrer Bewegung und nickte langsam. »Das habe ich...«
»Werdet Ihr sie mir erzählen?«
Jeanne schwieg eine Weile, dann blickte sie aus dem Fenster, an dessen Scheibe die Regentropfen peitschten. Heute war kein guter Tag für die Jagd gewesen, aber die Männer hatten unbedingt dort hinaus gehen wollen. Nur verschwommen erinnerte ich mich an Jeannes Worte vor zwei Tagen, dass der Prinz den Wolf getötet hatte und zwar eigenhändig, kurz, nachdem ich geflohen war. Hatte er seine Wut an dem Tier ausgelassen? Ich hoffte es nicht.
»Ich werde Euch die Geschichte ein andermal erzählen. Dann, wenn ich sicher bin, dass Ihr sie verstehen werdet.«, wich sie mir aus.
Zwar interessierte mich die Geschichte sehr und am liebsten hätte ich nachgebohrt, aber ich wollte mir meine Freundschaft mit ihr nicht verscherzen und nickte verständlich. Vielleicht war es ihr im Moment unangenehm darüber zu sprechen und ich sah ein, dass ich Geduld brauchte, bis sie mir die Wahrheit sagte.
Ich ließ mich langsam wieder in die Kissen sinken und schloss die Augen.
Zwei Tage und zwanzig tote Wölfe später, ritten wir endlich heim.
Einen Tag, nachdem wir zurück in Winterfeste waren und die höllischen Kopfschmerzen endlich nachließen, würde das Fest stattfinden, dass die Jäger eine erfolgreiche Jagd hinter sich hatten.
Es war mir unangenehm unter Menschen zu gehen, Angst zu haben, dass sie etwas von dem Vorfall wussten und mich darauf ansprechen würden. Ich hatte das Gefühl, sie würden mich dann für die Wilde halten, als die ich geboren worden war... Außerdem war es unangenehm, wenn ich dem Prinzen begegnete, denn beim Rückweg hatte ich nicht darum herum kommen können, ihn anzutreffen. Er hatte mich keines Blickes gewürdigt.
Vielleicht war es gut so, wie es war und sich nichts schlimmeres ergeben hatte. Einer Konfrontation wollte ich in jedem Fall aus dem Weg gehen.
Apropos aus dem Weg gehen: Seit ich zurück in Winterfeste war, hielt sich Jeanne von mir fern. Wohl, um mich nicht in Schwierigkeiten zu bringen, da die Königin nach wie vor nicht wollte, dass ich als Lady mit einer Mätresse sprach.
Blinzelnd blickte ich auf, als es an der Tür klopfte, sodass ich in meinen Gedanken unterbrochen wurde.
Ich fand mich in meinen Gemächern an einem der Fenster stehen, gegen das stetig die Regentropfen peitschten. Ab und zu hörte man das Grummeln des Gewitterhimmels. Das Wetter überraschte mich nicht, denn es war das Ende des neunten Monats des gesamten Jahres, also Herbst.
»Herein!«, rief ich, strich mein Kleid glatt und wandte mich mit gefalteten Händen der Tür meiner Gemächer zu.
Die Tür öffnete sich und zu meiner Überraschung trat die Königin höchst selbst ein.
Rasch machte ich einen Knicks. »Majestät«, begrüßte ich sie.
»Lady Evelyn.«, erwiderte sie höflich und lief in meinem Zimmer umher. »Wie ich hörte, seid Ihr bei der Jagd vom Pferd gestürzt?«
Innerlich schluckte ich hart. Hatte der König oder die Prinz selbst etwas von dem Heiratsantrag erwähnt? William versprach mir doch, dass niemand etwas davon erfahren würde! Wie hatte ich nur so dumm sein können?
Geschlagen nickte ich. »Ja.«
Sie nickte verständnisvoll, wobei mir ihr Verständnis sehr ironisch vorkam. »Ich weiß, so ein gewaltiger weißer Wolf muss Euch wirklich zu Tode erschreckt haben.«
Ich stutzte. Was? Wer hatte ihr das denn erzählt?
Einen Moment dauerte es, bis ich begriff. Ihr Gemahl musste es ihr so gesagt haben, denn er hatte bei der Rückkehr gesagt, er will nicht, dass ich mich für diesen Vorfall schämen musste. Sie wusste nicht, was wirklich geschehen war. Mit dem Heiratsantrag und der Zurückweisung, die ich dem Prinzen gegenüber ausgesprochen hatte.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn ich hätte die Enttäuschung auf dem Gesicht meiner Mutter kein weiteres Mal ertragen.
»Allerdings. Es war ein großer Wolf.«, erwiderte ich passiv und faltete die Hände in Hüfthöhe. »Was kann ich für Euch tun, Majestät?«
Königin Lillith faltete ebenfalls die Hände und lächelte mich übertrieben freundlich an. »Ich wollte etwas Zeit mit Euch verbringen. Schließlich werdet Ihr Euer ganzes Leben am Hofe verbringen und da ist es doch besser, wenn man sich anfreundet, oder nicht?«
Bei ihr klang es so, als wäre Freundschaft, als würde sie einem tägliche eine Ohrfeige verpassen und die Ohren lang ziehen, aber ich hatte keine andere Wahl, als mich zu fügen und höflich zu nicken.
»Ihr habt wohl recht, Majestät.«, lächelte ich freundlich zurück, wobei meine Mundwinkel leicht schmerzten. Bei ihr musste ich ständig so tun, als würde ich lächeln.
»Seht Ihr? Und außerdem habe ich Euch viele Tage nicht gesehen, Ihr müsst mir unbedingt von der Jagd erzählen!«, rief Lillith euphorisch, hakte sich bei mir unter und führte mich aus meinem Zimmer.
Wir liefen den Gang entlang, langsam, als wären wir alte Freundinnen, die sich etwas umsahen, aber ich wusste, dass wir definitiv keine Freundinnen waren. Unsere Schritte wurden von dem Teppich auf dem Boden gedämpft und ab und zu grüßten wir einen Wachmann mit einem Kopfnicken. Schließlich betraten wir den Speisesaal, wobei ich mich fragte, was wir hier sollten? Das Fest begann erst in zwei Stunden.
»Ich habe Euch hergebracht, um Euch etwas zu zeigen, Lady Evelyn.« Nun klang die Königin ernster, als sie mich zur Wand gegenüber dem Tisch führte. Dort hingen gewaltige Gemälde, die allesamt als Motiv stolze Männer mit Wolfskronen auf den Köpfen zeigten. Die Könige der vergangenen Zeit.
»Weshalb zeigt Ihr mir das?«, wollte ich wissen und betrachtete die Bilder beinahe erfürchtig.
Sie lachte leise. »Seht Ihr dieses Gemälde? Damit begann die Blutlinie meines Mannes.«, erklärte sie, ohne auf meine Frage einzugehen. Dabei deutete sie auf das erste Bild an der Wand, das einen stattlichen Mann mitte vierzig zeigte, tiefschwarzes Haar und die Wolfskrone, die auf seinem Haupt saß.
»Wie war sein Name?«, fragte ich interessiert, denn die Geschichte der Könige interessierte mich wirklich.
»Thorim aus dem Hause Ulfrik.«, antwortete sie und schritt zum zweiten Gemälde.
Auf dem war ein Mann zu sehen, der ungefähr im selben Alter war, jedoch einen Bart in dem selben tiefschwarz hatte, wie sein Haar und auch auf seinem Kopf saß die Krone des Königs.
»Thorim II. Der Sohn des ersten Königs. Angeblich lebte er fast zwanzig Jahre länger als sein Vater, der nur fünfundfünzig geworden war und zeugte fünf Kinder.«, fuhr sie fort und ging zum nächsten Bild. »Herry war sein einziger Sohn. Ansonsten hatte er nur Töchter, die er in andere Häuser des Nordens einheiratete.«
»Mit wie viel Jahren kam König Herry auf den Thron?«, fragte ich neugierig und betrachtete das Bild des jungen Mannes.
»Mit neunundzwanzig, als sein Vater starb. Vorher hatte er eine junge Adelstochter geheiratet, die ihm bereits einen Sohn schenkte, sodass die Linie gesichert war. Nachdem auch Herry starb und sein erstgeborener Sohn auf den Thron kam, begann eine düstere Zeit in der Ahnenlinie. Sein Erstgeborener, Ian, starb nur zwei Winter nach seiner Krönung an einem seltenen Fieber. Sein kleiner Bruder Raphael bestieg daraufhin den Thron und starb nur wenige Monate später bei einem Jagdunfall mit einem Wolf. Der Jüngste, Harold, wurde danach König.«
»Starb auch er?« Wir liefen die Portraits ab, die Königin Lillith beschrieb und blieben an Harolds Gemälde stehen.
»Ja. Nur fünf Jahre nach seiner Krönung... einige abergläubische Bauern nannten diese Zeit auch, deb Fluch der Königsfamilie, da alle Söhne von Herry die kürzeste Amtszeit als König besaßen, die es im Norden jemals gab.«
»Das klingt traurig.«, murmelte ich.
»Muss es wohl sein, denn die Mutter der drei Söhne ließ sich daraufhin nach Felskliff an die Küste schicken. Irgendwann erhielt die neue Königin Mutter eine Nachricht, dass sich ihre Schwiegermutter ins Meer gestürzt hatte und verschollen war.«
Ich bekam eine Gänsehaut. Bei den Göttern, das war eine Tragödie epischen Ausmaßes. Einfach nur grauenvoll und traurig, das mir ganz unwohl wurde. »Wer wurde dann König?«
Lillith schritt zum nächsten Bild. »Harold hat ein Jahr vor seinem Tod ein Mädchen geheiratet, das aus einer verarmten Adelsfamilie stammte. Man sagt sich, dass er schon früh ein Auge auf sie geworfen hatte und als er König wurde, musste er alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um seine Berater und Barone zu überzeugen, dass sie die Richtige war, um Königin zu werden.«
Ich blieb stehen und betrachtete das Gemälde eindringlich, da mir der Mann darauf bekannt vorkam. »Was ist dann geschehen?«
»Er heiratete sie im Frühjahr und zeugte einen einzigen Sohn, der kurz nach seinem Tod geboren wurde.«
Langsam nickte ich, jetzt hatten wir fast das Ende erreicht. »Dieser Sohn... war der Vater von König Ulfrik.«
Königin Lillith lächelte leicht. »Ihr seid eine scharfe Beobachterin, Lady Evelyn. - Ja, dieser Sohn war König Thor. Er heiratete mit zwanzig Jahren ein fünfzehnjähriges, adliges Mädchen aus dem Hause der Rogue. Dann machte er ihr ein Kind. Ein Mädchen namens Brunhilde.«
Ich erinnerte mich an Brunhilde und daran, dass sie in ihrer Verhaltensweise nichts königliches an sich hatte. Nicht, dass es schlecht war, schließlich hatte sie sehr herzlich und freundlich gewirkt.
»Er schickte seine Tochter fort, da er enttäuscht war, keinen Sohn bekommen zu haben. Brunhilde wuchs auf Ihkart auf, wo sie Hauslehrer und Diener bekam und doch nie den Standard einer Prinzessin erfuhr. Thor war so enttäuscht darüber, dass er sich von seiner Frau abwandte und sich eine Mätresse anschaffte, die in der Burg leben durfte, wie eine Adlige... Tja. Der Hure machte er ebenfalls Kinder, alles Bastarde, die einen frühen Kindstod starben und nie gesund genug geboren wurden, als dass sie die ersten Monate ihres Lebens überlebten. Einige sagten sich, dass Thor seine Bastarde in die Erbfolge aufgenommen hätte, wären sie Knaben gewesen. Aber da seine Hure nicht stark genug war, um gesunde Kinder zu gebären, musste er sich wohl oder übel zurück ins Bett seiner Ehefrau legen. Schließlich gebar sie ihm einen Sohn, König Ulfrik.«
Diese Geschichte war beinahe genauso traurig wie die der drei Königssöhne. Ich erschauderte und bekam eine Gänsehaut auf den Armen unter den Ärmeln des Kleides.
»In den letzten Jahren seines Lebens trieb er seine Frau und seine Geliebte zur Verzweiflung und starb, blind und verrückt. Seine Mätresse folgte ihm nur wenige Monate später, seine Frau wenige Jahre.«, sagte sie und kam zum Vorletzten. »Tja... und die Geschichte meines Schwiegervaters kennt Ihr sicher schon. Ein Mann, der seine Frau verließ, inoffziell, um sich zu einer Hure zu legen. Der seine Söhne sich selbst überließ und dem die Thronfolge am Hintern vorbei ging.«
Schlussendlich schritt sie an dem Gemälde ihres Schwiegervaters vorbei, das einen stolzen Mann mit weißgrauem Haar zeigte, einem ebenso farbigen Bart und seiner Wolfskrone auf dem Haupt. Ein armer Mann, wie ich fand. Hatte nicht gemerkt, wie wichtig Familie war und hatte die eigenen Söhne im Stich gelassen und auch sein Weib.
Wir blieben vor dem letzten Bild stehen. Dem Bild von König William aus dem Hause Ulfrik. Er war auf dem Gemälde abgebildet, so stolz und stark, dass mein Magen kribbelte. Leicht hatte er das Kinn erhoben, als wolle er zeigen, dass nichts auf der Welt ihm etwas anhaben konnte. Die Augen strahlten blau wie Gletscher und doch reichten sie an die echten blauen Augen des Königs nicht im Mindesten heran. Das Haar schwarz wie Rabenflügel und eine Strähne hing ihm in der Stirn. Auf dem Bild sah er so aus, wie ich ihn noch nie im Leben gesehen hatte. Stolz, stark, unbesiegbar und allem auf der Welt gewachsen. In Wirklichkeit wirkte er trostlos, kaum anwesend und einsam.
»Der erstgeborene Sohn des Königs Ulfrik.«, sagte die Königin und schien dabei jedoch auf irgendwas zu warten.
Ich blickte sie von der Seite an. »Euer Ehemann.«
Sie hob den Kopf. »Allerdings. Als sein Vater noch auf dem Thron saß, veranlasste er mit meinem Vater, die Verheiratung an Prinz William. Mein Vater war natürlich hellauf begeistert und verschachelte mich an einen völlig Fremden, für den der ganze weibliche Norden geschwärmt hatte. Alle, bis auf mich.«
Ihr Ton wurde schnippisch, zickig und überheblich. Dafür hätte ich viele Worte gefunden. »Weshalb? Er ist ein gutaussehender Mann.«
»Ich wusste, dass Ihr so von meinem Mann denkt... Der große König William, viel gutmütiger als sein Tiere quälender, kleiner Bruder. - William war zu unserer Hochzeit betrunken, hat kaum seinen Schwanz hoch bekommen, um unsere Ehe zu vollziehen und als er es dann doch schaffte, hat er mir Höllenqualen bereitet und ich habe geschworen, ihm dafür das Leben zur Hölle zu machen.«, zischte sie und griff nach meinem Handgelenk, das noch immer blau angelaufen war. »Ihr könnt von Glück sagen, dass der König für Euch bürdet und Ihr diesen widerlichen Prinz Eric nicht heiraten müsst.«
»Woher wisst Ihr...?« Ich war vollkommen entsetzt darüber, woher wusste sie davon? Der König hatte alles unter Verschluss gehalten... oder nicht?
»Aber lasst Euch gesagt sein, ich will Euch nicht mehr in der Nähe meines Ehemannes sehen. Ich weiß, dass er ein Auge auf Euch geworfen hat, spätestens, als Ihr mit ihm auf der Treppe im Anwesen standet und ihm schöne Augen gemacht habt. - schaut nicht so, ich habe überall meine Spione. William wird der letzte seiner Blutlinie sein, weil ich die Schenkel nicht für ihn breit machen werde und Ihr, mit Eurem unschuldigen Verhalten und Eurem hübschen Dekolleté werdet ihn nicht dazu ermutigen, Euch darum zu bitten, es zu tun, haben wir uns verstanden?«
Mit bebendem Atem und klopfendem Herzen starrte ich diese Frau an. Sie war so voller Hass, dass sie ihrem eigenen Ehemann solche Dinge antat, damit er für eine Tat büßte, die er sicherlich längst bereute. Schließlich hatte er versucht, es wieder gut zu machen, indem er ihr ein eigenes Pferd schenkte. Ein Pferd, das nun mir gehörte, Igred. Sie musste gewusst haben, wie sehr es ihn verletzte, dass sie sein Geschenk so zurückgewiesen hatte. Wie konnte man nur so verbittert sein?
Ich zog mein Handgelenk aus ihrem eisernen Griff und presste die Lippen aufeinander. »Ja, Majestät.«
Sie richtete sich auf und hob das Kinn, wobei sie ein freundliches Lächeln aufsetzte. »Das freut mich zu hören, Lady Evelyn.«, sagte sie und ging an mir vorbei, dabei zischte sie noch leise: »Falls Ihr diese Abmachung brecht, wird das Konsequenzen nach sich ziehen.«
Ich erschauderte und krallte die Finger ineinander, bis sie verschwunden war. Dann betrachtete ich das Gemälde und fragte mich ernsthaft, was das zu bedeuten hatte. Schließlich hatte der König kein Auge auf mich geworfen, das war Schwachsinn. Weshalb drohte Königin Lillith mir dann?
Die Augen geschlossen und vor mich hin grübelnd über das, was vor anderthalb Stunden passiert war, saß ich auf der gepolsterten Bank in meinen Gemächern an meinem Schminktisch und ließ mir von Igrena die Haare hoch stecken. Noch immer fragte ich mich, was die Königin damit bewirken wollte, dass sie mich einschüchterte und mir Konsequenzen androhte, wenn ich mich dem König näherte oder mit ihm sprach. Natürlich war die Situation auf der Treppe im Jagdanwesen seltsam gewesen, aber da bedeutete noch lange nicht, dass der König etwas für mich übrig hatte. Das war völlig verrückt!
Und sie glaubte tatsächlich, dass ich für einen völlig fremden Mann die Beine breit machen würde, wenn er mich darum bat? Diese Frau war jenseits aller Vernunft, denn sie schien nur ihre Rachepläne im Auge zu haben und nicht mehr objektiv auf die Dinge blicken zu können. Sie wollte ihren Ehemann leiden sehen und nun zog sich mich mit in diesen ganzen Schlamassel hinein.
Ich seufzte angestrengt.
»Alles in Ordnung, M'Lady?«
»Nicht wirklich, Igrena.«, murmelte ich. »Ich glaube, ich habe mich mit der Königin angelegt.« Und mit dem Prinzen, fügte ich in Gedanken hinzu.
Igrena verharrte und starrte mich im Spiegel an. »Darf ich etwas dazu sagen, M'Lady?«
»Nur zu«, sagte ich und rieb mir die Augen, die ich heute nicht geschminkt haben wollte. Das kam mir so draufgeklatscht vor.
»Bitte, seid vorsichtig, was die Königin angeht. Sie ist eine mächtige Frau.«, warnte mich Igrena fürsorglich.
Ich nickte, stand aber entschlossen auf und hob das Kinn. »Und dennoch ist sie nur eine Frau. Eine Frau, die es sich mit dem mächtigsten Mann des Nordens verscherzt hat. - und nun helft mir, das Kleid anzuziehen.«
Zehn Minuten später steckte ich in einem blutroten Kleid mit goldenen Verzierungen, Stickmustern und Rüschen. Es war das perfekte Ballkleid, aufwändig, pompös und wunderschön. Ich fühlte mich wohl, auch, wenn das Korsett fürchterlich einschnürte. Ich drehte mich einmal vor dem Spiegel und lächelte. »Ich danke euch. Dann werde ich mich wohl auf den Weg machen.«
Igrena und Nimea nickten, dann zogen sie sich durch die Seitentür zurück und ich trat auf den Gang. Wachmänner standen wie Statuen an den Wänden, als ich den Weg zum Speisesaal entlang ging. Mir kamen immer wieder Barone und Fürsten entgegen, die adlige Ladys an den Armen hängen hatten, die leise in ihre Fächer kicherten.
Ich nickte ihnen immer nur freundlich zu und betrat dann den überfüllten Speisesaal. Auch dort hatten sich Adlige versammelt, direkt zwischen Dichtern, Barden und Halbweltsgestalten im Schein der Kristalllüster. Bemalte Fächer schoben die weingetränkte Luft durch den Raum und die mit Blumenmustern bestickten Kleider der Damen brachten sogar einen Hauch von Frühling an den Hof des Königs. Diener eilten mit Tabletts voller Limonade und teurem Wein der Vulkanlande durch die Räume und auf dem langen, dunklen Eichenholztisch standen kleine Kristallschalen mit Marzipankonfekt und die melodischen Klänge einer Laute wurden im Raum lauter.
Lachen mischte sich mit Glucksen, Kichern oder empörten Rufen.
Die Party war im vollen Gange, was wohl bedeutete, dass sie etwas früher als geplant begonnen und zu spät gekommen war.
Ich blieb neben dem Eingangsbogen stehen und beobachtete eine Gruppe junger Männer, darunter ein schwankender Älterer, die sich zu einem Tanz aufstellten. Die Damen vor ihnen kicherten nervös in ihre Fächer, dabei starrte jedoch die ältere Tanzpartnerin des schwankenden Mannes, erbost drein, als er ihr auf die Füße trat. Er musste schon einiger Gläser guten Vulkanweins gekostet haben.
Ich hob den Kopf, um die Leute besser beobachten zu können und nahm einen Kelch Wein, den mir ein Diener anbot. Dabei bemerkte ich den Flötenspieler, der herausfordernd zu dem Barden mit der Laute hinüber schaute und die beiden sich nur mit Blicken anheizten, wer von beiden der bessere Musiker war. Daneben stand eine Frau, deren besticktes, beiges Kleid leicht auf dem Boden schlurfte, was bedeutete, dass sie unter dem Reifrock heimlich aus ihren Schuhen geschlüpft war, um sich die schmerzenden Füße auf dem Holzboden zu kühlen. Eine andere Frau gab ihrem Liebhaber ein Zeichen und verließ unauffällig den Raum, während ihr Ehemann ahnungslos mit einem Baron plauderte und dabei ausfallende Gesten an den Tag legte. Neben dem Kamin stand ein junger Graf, der sich mit einem jungen, ahnungslosen Mädchen unterhielt und beim Sprechen immer wieder ihr Handgelenk oder ihr Gesicht streifte. Die Ärmste war so blind vor Verliebtheit, dass sie nicht merkte, dass sie nur für eine Nacht für ihn zu gebrauchen wäre.
»Amüsiert Ihr Euch?« Jeanne tauchte aus meinem Augenwinkel auf und lächelte mich an.
Wie gewohnt trug sie ein schwarzes, mit silbernen Blumenmustern besticktes Kleid, das meinem sehr ähnlich sah, jedoch lange Ärmel hatte und nicht wie ich, dass die Ärmel bis zum Ellenbogen reichten. Ihr Ausschnitt wurde mit Rüschen verziert und wirkte sehr edel und auffallend zurückhaltend.
»Naja... Feste sind nicht so meins, aber ja. Es ist unterhaltsamer, als den ganzen Abend auf seinen Gemächern zu bleiben.«, grinste ich.
»Allerdings. Dafür gibt es zu schöne Dinge, die man auf einem Fest tun kann. Tanzen, Flirten und Wein trinken.«, sie lächelte mich an. »Geht es Euch schon besser?«
Ich nickte. »Die Kopfschmerzen sind restlos verschwunden und die Wunde am Hinterkopf ist verheilt. Auch mein Arm wird besser.«
Jeanne betrachtete die blassen Flecken an meinem Handgelenk. »Ich bin froh, dass Ihr auf meinen Rat gehört habt. Es gab schon zu viele tragische Vorfälle in der Königsfamilie, ich wollte nicht, dass Ihr dazu gehört.«
»Ich verstehe.«
Plötzlich tauchte Ser Robert hinter Jeanne auf und schlang einen Arm um ihre Taille, vergrub seine Nase in ihrem schwarzen Haar und lächelte. Das hatte etwas sehr vertrautes. »Frauengespräche unter den Damen?«, fragte er neugierig.
Ich lächelte leicht, als Jeanne kicherte.
»Ganz gemheime Frauengespräche, Geliebter.«, grinste sie und drehte sich zu ihm um.
»Tanz mit mir«, bat er leise.
Jeanne warf mir einen Blick zu.
»Geht ruhig. Besser, wenn Ihr tanzen geht, bevor unsere große Königin noch mitbekommt, dass ich mit Euch spreche.«, grinste ich.
»Das wäre eine Tragödie!«, lachte sie ironisch, ergriff Ser Roberts Hand, der mir zunickte, und betrat mit ihm die Tanzfläche.
Eine Weile stand ich nur hier herum, beobachtete die Leute und wie sich einige junge Paare aus dem Raum schlichen, um ein Techtemechtel zu begehen und sich so der Raum leerte. Immer wieder hielt ich nach dem Prinzen oder dem Königspaar Ausschau, fand aber nur Königin Lillith am Rand mit ihren Hofdamen vor, mit denen sie redete. Einmal trafen sich unsere Blicke und ihrer war warnend.
Ich wandte mich ab, als hätte ich sie nicht bemerkt und grüßte meinen Vater, der kurz an mir vorbei ging, da er die Wache an der Mauer ablösen musste und dadurch quer durch den Raum musste.
Nach einiger Zeit tauchte Winston neben mir auf und reichte mir ein Tablett mit einem Kelch darauf.
»Danke, Winston, aber ich habe noch Wein.«, sagte ich verdutzt.
»In dem Kelch ist kein Wein für Euch, M'Lady.«, flüsterte er gedämpft, sodass ich ihn kaum verstand.
Verwirrt nahm ich den Kelch herunter und Winston eilte an mir vorbei aus dem Raum. Erst dann warf ich einen Blick in den Kelch. Darin lag ein Stück Papier, auf dem eine kurze Notiz stand:
Kommt in meine Gemächer, ich muss mit Euch sprechen.
Gezeichnet William.
Vollkommen verwirrt nahm ich den Zettel und stellte die Kelche auf eine Kommode neben dem Ausgang. Dann raffte ich meinen Rock und machte mich auf den Weg ins Obergeschoss, wobei mir natürlich nicht aus dem Kopf ging, dass ich der Königin damit Kanonenfutter geben würde. Aber der König wollte mir sprechen und er stand schließlich immer noch über der Königin. Außerdem konnte ich ihm auch nicht einfach widersprechen, schließlich hatte ich ihm gegenüber eine Pflicht. Er war mein Herrscher.
Mir kamen vereinzelt Frauen entgegen, die gerade noch versuchten, ihr schiefes Korsett wieder zu richten, als ich den Turm hinauf ging und im oberen Stockwerk ankam. Hier empfing mich Stille, denn hier durfte bekanntermaßen nur das Personal entlang durfte, aber selbst das schien sich verkrümelt zu haben.
Ich fragte mich, was der König mit mir besprechen wollte. Über die Sache mit seinem Bruder? Darüber hatte er seit dem Tag der Jagd auf den weißen Wolf nichts mehr gesagt. Oder wegen seiner Frau? Hatte sie ihm gesagt, was geschehen war oder hatte sie ihm eingeredet, das er mich bestrafen sollte? Meine Gedanken kreisten, sodass mir schon beinahe schwindelig davon wurde, dann stand ich auch schon vor der Tür zu seinen Gemächern. Zwei Wachmänner standen davor.
Ich zeigte ihnen die Nachricht, woraufhin einer der beiden nickte und die Tür öffnete. Er trat ein, ich dicht hinter ihm.
»Majestät? Hier ist Lady Evelyn, sie sagte, sie habe eine Nachricht von Euch bekommen.«, erklärte der Wachmann mit tiefer Stimme.
Mein Blick wanderte durch den Raum. Das hier war wirklich sagenhaft. Ein riesiges Gemach mit einem Kamin, dessen Feuer Wärme und Licht spendete. Darüber hing ein Wandteppich mit einer Szene aus einer Jagd darauf gestickt. Diese Arbeit musste Monate, wenn nicht, Jahre gedauert haben. Direkt vor dem Kamin befand sich ein Bärenfell, bei dem man auf den Kopf verzichtet hatte. Kommoden und Eichenschränke aus dunkler Eiche fanden an den Wänden Platz, auf dem brennende Kerzenhalter standen oder teure, verzierte Vasen. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, auf dem der König Papiere und Bücher über die Buchhaltung aufgeschlagen hatte. Daran schien er zu arbeiten, aber in der Mitte des Tisches stand eine Schale mit frischem Obst. Doch das Bett war umwerfend. Es war groß, sodass sicher fast drei Menschen hinein gepasst hätten und es stand ziemlich nahe an einem Fenster in einer räumlichen Abzweigung, wo es etwas versteckt war. Es war ein Himmelbett, über dessen gewaltige Gestelle dicke, rote Vorhänge hingen, die man zu ziehen konnte, wenn man seine Ruhe wollte. Der Bettbezug hingegen bestand aus leinenweißen Laken, Decken und Kissen. Insgesamt wirkte der Raum sehr gemütlich.
Der König selbst stand am Kamin, einen Arm gegen den Sims gestemmt und ins Feuer starrend, bevor er sich aufrichtete. »Danke, Cole. Sorg dafür, dass uns niemand stört.«
Der Ritter nickte und verließ den Raum.
Dann trat der König an mir vorbei und verschloss sein Gemach von innen. »Ich habe ernste Dinge mit Euch zu besprechen, da will ich nicht, dass uns irgendjemand stört.«, erklärte er auf meinen verwirrten Gesichtsausdruck hin.
»Ähm... natürlich, Majestät. Worum geht es?«
König William ging an mir vorbei zu seinem Tisch und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. Komisch, es sah gar nicht aus, als wäre er überhaupt auf dem Fest gewesen, das er selbst finanzierte, denn er trug eine normale, lederne Hose, Stiefel und ein lockeres Leinenhemd.
»Ich will Euch sagen, dass mir das Verhalten meines Bruders sehr leid tut. Er ist sehr schnell beleidigt, müsst Ihr wissen, wenn er nicht bekommt, was er will.«, erklärte er mir. »Und ich kann Eure Entscheidung vollstens verstehen. Schließlich geht der Hoftratsch sicher auch nicht an Euch vorbei wie ein Lufthauch. Mein Bruder hatte schon viele Frauen bei sich und Ihr wart einfach... nun ja, ein besonderes Prunkstück, das er gerne immer in seinem Bett gewusst hätte. Ich weiß, dass er sofort ein Auge auf Euch warf, als er Euch zum ersten Mal sah.«
Beschämt senkte ich den Blick und wurde sicher knallrot. »Es tut mir auch sehr leid, aber... all die Dinge, die ich bereits über ihn hörte. Ich kann nicht die Ehefrau eines solchen Mannes werden.«
»Deshalb ließ ich Euch zu mir schicken...«
»Nein. Ich kann Euren Bruder nicht heiraten.«, fiel ich ihm ins Wort.
Er lächelte mild. »Das will ich auch gar nicht und ich bin überaus froh, dass Ihr das genauso wenig wollt, denn... ich habe selbst ein Auge auf Euch geworfen.«
Ich versteifte mich und blinzelte wirr. Wie bitte?! Das war doch jetzt ein schlechter Scherz! Noch vor ein paar Stunden warnte mich die Königin, dass ich keine Dummheiten mit ihrem Mann begehen sollte, da bat mich der König in seine Gemächer und sagte mir solche Dinge? Das war doch verrückt!
»Wie meint Ihr das?«, hauchte ich.
Er stieß sich vom Tisch ab und kam auf mich zu, blieb zwei Armlängen von mir entfernt vor mir stehen. »Ich meine damit, dass ich Euch vom ersten Augenblick an, als Ihr in meinen Thronsaal kamt, wunderschön fand. Und meine Hoffnung, dass Ihr nicht nur schön, sondern intelligent, witzig, großherzig seid, hat sich bewahrheitet. Und wärt Ihr doch Ser Mortos' Mätresse gewesen, hätte ich alles getan, dass Ihr mir gehört... Ich schenkte Euch den Mantel und das Pferd meiner Frau, weil Ihr etwas besonderes seid.«
Vorsichtig ergriff er meine Hand und streichelte meinen Handrücken mit seinem Daumen, wobei mein Herz einen aufgeregten Hüpfer tat. Er wollte, dass ich ihm gehörte? Mir schoss eine warme, prickelnde Gänsehaut über den Rücken.
Nun trat er noch näher und berührte mein Gesicht mit seiner freien Hand, bevor er die Stirn an meine lehnte. Leicht schloss ich die Augen, wusste nicht, was ich hier überhaupt tat. Kurz flackerte der Gedanke auf, dass meine Mutter entsetzt über mein Verhalten wäre. Diese Nähe zu einem verheirateten Mann so zu genießen, aber verdammt! Es fühlte sich unglaublich an.
Er flüsterte: »Ich will Euch bitten, meine Mätresse zu werden.«
Ich zuckte zusammen und starrte ihn an. M-m-mätresse?!
Meine Gedanken wirbelten wie wild herum. Seine Worte verwirrten mich, seine Berührungen nur noch mehr und die Tatsache, dass er mich als Mätresse wollte, machte mir in gewisser Weise wirklich Angst. Oder sollte ich mich eventuell geschmeichelt fühlen? Ich wusste überhaupt nicht, was ich fühlen sollte.
Mätresse. Mätresse. Mätresse!
Dieses Wort hallte immer wieder in meinem Kopf nach, als ich mich von ihm löste und einen Schritt zurück trat. Mein Atem hatte sich verschnellert und ich legte eine Hand auf meinen Bauch, um mich zu beruhigen. Das alles war doch völlig verrückt! Der König ließ mich in seine Gemächer bestellen, um mir zu sagen, dass er mich gerne als Mätresse wollte? Konnte dieser Tag eigentlich noch verrückter werden? Ich meine, vor mir stand der König!
»Habe ich Euch beleidigt, M'Lady?«, fragte er erschrocken, da ich zwei Schritte von ihm wegtrat.
Ich schüttelte den Kopf und musste mich kurz sammeln. »Nein... aber... ich gab Euch nie einen Anlass, so zu empfinden.«, krächzte ich.
Plötzlich lachte er leise auf und grinste mich dann an. »Ist das Euer Ernst? Alles an Euch gab mir Anlass dazu, so zu empfinden.«, sagte er sanft und trat zu mir, ergriff meine Hände so, dass ich sie hätte zurückziehen können, wenn ich gewollt hätte - ich wollte nicht. »Allein wie Ihr durch diese Gänge schreitet und dabei diese Ruhe ausstrahlt und doch Leben in diese alten Gemäuer bringt... Ihr habt wieder Leben in mich gebracht. Habt mir eine Chance gegeben, wieder durchzuatmen und das Leben an sich zu genießen. Alles nur durch Eure Anwesenheit.«
Nun war ich noch verwirrter, als zuvor. Und niemand konnte mir sagen, was ich tun sollte. Egal, was ich tat, es würde nicht gut sein. Würde ich ihn zurückweisen, dann würde er sicher sehr nachtragend sein und, wenn ich seine Bitte annahm, würde meine Familie beschmutzt sein. Das konnte ich einfach nicht.
»Das... das ist unmöglich.«, flüsterte ich gequält.
»Ist es nicht. Ihr seid die Frau, die ich seid Jahren an meiner Seite will. Eine Frau mit Feuer in sich, temperamentvoll, warmherzig und stark.«, bekräftigte er seine Worte, dann strich er zart über meine Wange und mein Herz machte einen Hüpfer vor Aufregung. »Und doch zart wie die Blütenblätter einer Rose.«
»Meine Familie... ich...«
Er fuhr kurz zurück und blickte mich dann an. »Eure Familie. Darum geht es Euch? Habt Ihr Angst, ihr Schande zu machen?«
Er sagte es nicht unfreundlich, sodass ich mich traute zu nicken. Schließlich wusste ich nicht im mindesten, wie der Stand einer Mätresse war. Wie sie in der Gesellschaft aufgenommen und akzeptiert wurde. Ich hatte nur die Beziehungen zwischen Jeanne und den jeweiligen Menschen gesehen. Die Männer waren mit ihr ganz normal umgegangen, jedoch die Frauen... besonders die Königin war ihr nicht wohlgesonnen gewesen. - Die Königin! Sie würde mir den Kopf abreißen!
»Ich verspreche Euch, M'Lady, Ihr werdet keine Schande erfahren. Ihr würdet im Turm, nur wenige Meter von meinen Gemächern entfernt, Euer Gemach bekommen, ich gebe Euch Diener und Hofdamen, so viele Ihr wollt. Alles was ihr wollt, werdet Ihr bekommen. Kleider, Schmuck. Alles. Und Eurer Familie wird es auch an nichts mangeln, dafür werde ich sorgen.«, versprach er.
»Und was ist mit Eurer Frau?« Es klang bitterer, als beabsichtigt.
König William hob den Kopf und sah mich an. »Geht es Euch darum? Was meine Frau denken könnte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Es geht mir darum, dass sie Eure Frau ist... und ich nur eine Mätresse wäre.«
»Nur? Ihr wärt nicht nur eine Mätresse, Evelyn. Ihr wärt meine Lady. Ihr behaltet alle Titel, müsst Euch aber an den neuen Titel als Mistress gewöhnen. Ihr würdet alles bekommen und ich würde Euch wie meine Königin behandeln.«
Ich presste grübelnd die Lippen aufeinander und schaute mich im Raum um, nur um seinem intensiven blauen Blick zu entkommen, der mich schon im ersten Moment seit ich hier war, gefesselt hatte. Immer noch grübelte ich darüber und eigentlich sollte ich nicht überlegen müssen, denn eine Mätresse war eine Frau, die ihren Körper an einen Mann verschenkte. Aber er sagte, dass... dass ich seine Königin wäre. Seine Lady.
»Und«, fügte er hinzu, hob die Hand und streichelte mein Gesicht ganz zart, als wäre ich unendlich zerbrechlich. »wenn wir Kinder haben sollten, werde ich sie in die Thronfolge mit aufnehmen.«
Ich weitete die Augen und starrte ihn an, als wäre er eine Erscheinung. Das war nicht möglich, oder? Er wollte unsere Kinder, Bastarde, in die Thronfolge aufnehmen, wenn wir welche bekommen sollten? Das war... Ich war völlig überrumpelt von dieser Tatsache, dass ich blinzelnd inne hielt und auf seine Brust starrte.
Ich sollte das nicht empfinden, aber ich tat es. Es war Erleichterung, dass er diese Dinge sagte. Dass es mir als Mätresse besser gehen würde, als jetzt und, dass meine Familie auch mehr Anerkennung und Rang innerhalb des Hofes hatte. Und in diesem Moment dachte ich einfach nicht daran, wie mein Vater und meine Mutter reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass ich die Hure des Königs werden würde. Denn ich hatte mich längst entschieden. Mit dem Satz, dass unsere Kinder, meine Kinder in die Erbfolge der Königsfamilie aufgenommen wurden und die Tatsache, dass König William niemals mit seiner Frau Kinder haben würde, weil sie ihn abgrundtief hasste, beruhigten mich. Denn meine Kinder würden das Wichtigste sein. Meine eigene Mutter hatte für mich nicht da sein können und wäre sie es gewesen, hätte ich als Tochter einer Magd aufwachsen müssen, wäre ungebildet und hätte keine Zukunft. Meine Kinder könnten einmal Könige sein, wenn ich dieses Angebot jetzt annahm. Und selbst, wenn ich ebenfalls die Geburt meiner Kinder nicht überlebte, wäre ihre Existenz gesichert, durch ihren Vater. Meine Existenz war es nicht und nur durch Zufall war ich zur Adligen geworden.
»Sagt irgendwas, M'Lady. Bitte.«, flehte er leise, wohl, um mich nicht aus meinen Gedanken zu reißen, dann fügte er rasch hinzu: »Wenn Ihr das alles nicht wollt, Ihr müsst das nicht tun. Ich zwinge Euch zu nichts und werde nie wieder ein Wort darüber verlieren. Ihr habt mein Wort, als König.«
»Nein.«, sagte ich.
Geschlagen ließ er den Kopf hängen. »Ich... verstehe. Dann werde ich Euch wohl hinaus-«
»Ich meine ›Ja‹!«, sagte ich und lächelte leicht. Der Gedanke an meine zukünftigen Kinder beflügelte mich regelrecht.
William stutzte. »Ihr nehmt das Angebot an?«
Eifrig nickte ich.
Er lachte. »W-wow... Ehrlich gesagt hatte ich gezweifelt, dass Ihr... mir gehören würdet.«
Ich errötete und senkte den Blick.
Seine Finger hoben sachte mein Kinn an. »Ganz ehrlich. Ihr wisst nicht, was Ihr mir damit schenkt.«
In mir begann es warm zu prickeln, als er mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. »Dann klärt mich auf.«
Woher nur kamen diese Worte?! Ich war schlichtweg nicht mehr, ich selbst. Dieser Mann veränderte alles in mir, brachte mich dazu, Dinge zu tun, die ich sonst nie getan hätte. Allein, dass ich seine Bitte angenommen hatte, seine Mätresse zu werden! Mätresse! Ich musste unbedingt mit Jeanne sprechen, hören, wie ihre Geschichte lautete und mir vielleicht Tipps...? Ich wusste doch auch nicht, was ich hier tat!
Plötzlich begann er zu grinsen, dann legte er seine großen, rauen Hände an meine Wangen und beugte sich zu mir herunter. In meinem Innern tobte ein Feuerwerk, als er seine Lippen zart auf meine drückte. Mein Herz wummerte in meiner Brust, mein Bauch kribbelte und etwas tiefer zog es einmal kurz, was mich seufzen ließ. So etwas hatte ich noch nie gespürt und es fühlte sich auch viel zu gut an, als dass ich es jetzt noch unterbinden wollte. Meine Familie blendete ich vollkommen aus.
Meine Finger gruben sich in das Leinenhemd an seinen Seiten, während er den Druck auf meinen Lippen verstärkte. Leicht erwiderte ich seinen Kuss, nur zaghaft, da es mein erster Kuss war und ich noch vollkommen unerfahren, was das alles betraf.
Plötzlich zwang er meinen Mund vorsichtig auf und als ich ihm Einlass gewährte, schob sich seine warme, feuchte Zunge in meine Mundhöhle. Ich erbebte unter dem Gefühl, das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich zaghaft seine Zunge mit meiner anstubste.
Daraufhin zog er mich an der Taille enger an sich, sodass ich seinen muskulösen Bauch an meinen Brüsten fühlen konnte. Mein Herz klopfte wie wild weiter, dann jedoch löste er sich sanft von mir, lehnte seine Stirn an meine und ich schloss leicht die Augen, um die Nähe zu ihm zu genießen. Schließlich hatte ich gerade den König geküsst... das alles war so bizarr.
»Würdet Ihr heute Nacht bei mir bleiben, Evelyn?«
Er fragte mich sogar, ob ich bleiben würde? Ich hatte es für selbstverständlich gesehen, dass ich bleiben musste, aber er würde mich sogar gehen lassen, wenn ich wollte? Irgendwie fand ich das sehr liebenswürdig von ihm, denn eigentlich könnte er jetzt nach mir verlangen, wann immer er wollte.
Ich lächelte leicht. »Ihr fragt mich, ob ich bei Euch bleibe?«
William grinste mich spitzbübisch an. »Es ist nicht meine Art, einer Frau Befehle zu erteilen. Ich finde, fragen gehört selbst für einen König zur Grundausstattung.«
»Das ist sehr weise. Nicht viele tuen so etwas.«, murmelte ich.
Auf einmal beugte er sich zu mir und küsste meine Stirn. »Es sollte Standard sein.«, erwiderte er und sog tief den Duft meiner Haare ein. »Schon seid geraumer Zeit habe ich den Duft von Rosenblüten in der Nase... nun weiß ich, dass er von Euch stammt.«
Wieder begannen meine Wangen zu glühen und ich senkte beschämt den Blick. Bei den Göttern, dieser Mann war wahrlich nicht wie sein Bruder. Er war sanft und zärtlich, wie er mich eben geküsst hatte, und witzig und klug natürlich auch. Dieser Mann hatte einfach alles, was ich jemals bei einem Mann gewollt hatte. Und nun war ich seine Mätresse und unsere Kinder würden einmal Könige und Königinnen sein. Ich war glücklich. Ja. Man konnte sagen, dass ich im Moment sehr glücklich war.
»Kommt und wärmt Euch am Feuer auf, Ihr seid eiskalt. Ich schenke Euch Wein ein.«, sagte er und klang nicht länger trostlos, so wie sonst. Ein ganz neuer, zuversichtlicher Ton mischte sich in seine Stimme. Ob das an mir lag?
Ich gehorchte und ging zu dem Kamin hinüber und erst, als ich die Wärme auf meiner Haut fühlte, bemerkte ich, dass mir wirklich etwas kalt war. Leicht rieb ich die Finger aneinander und streckte sie zum Feuer.
Warme Finger streiften meinen Nacken und ich erschauderte. Dann tauchte Williams Hand an meiner Seite auf und hielt mir einen Kelch mit dunkelrotem Wein hin.
»Den habe ich aus den Vulkanlanden inportieren lassen. Johannesbeerwein. Habt Ihr so einen schon einmal gekostet?«, fragte er ehrlich interessiert.
Ich nahm den verzierten Kelch aus seiner Hand und betrachtete die Flüssigkeit. »Nein. Bisher habe ich nur Traubenwein getrunken. In den Vulkanlanden werden auch Johannesbeeren angebaut?«
»Allerdings. Die Weinhändler dort haben die beste Auswahl in ganz Eós. Sie bauen auch Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren an. Dementsprechend auch die Farbe und Süße der Weine. Meist werden die Weine auch mit Zucker von Zuckerrüben versetzt, damit er nicht so bitter wird. Probiert.«
Kurz sah ich ihn an, dann nahm ich einen Schluck und staunte. »Der ist wirklich köstlich.«
Der König lächelte mich an, dann nahm er mir den Kelch aus der Hand und stellte ihn auf den Kaminsims, bevor er seine Hände an meine Wangen legte und mich küsste. Ich keuchte auf, als er eine Hand löste und meine Taille packte, mich eng an sich zog.
Und dann hob er die Hand und fing an die Schnüre meines Korsetts zu öffnen. Bebend sog ich den Atem ein, während er es immer weiter aufzupfte, mich dabei ganz sanft und zart küsste. Ich wusste nicht genau, wohin mit meinen Händen, weshalb ich sie einfach baumeln ließ. Je weiter er das Korsett öffnete, desto mehr verloren meine Brüste an Halt. Schließlich war das Korsett geöffnet und er streifte es mir samt der Ärmel vom Körper. Darunter befand sich mein Unterkleid.
Als ich den Kopf hob, bemerkte ich, dass sein Blick dunkler wurde und er wie hypnotisiert auf meine Lippen starrte, die wund und rot vom Küssen waren. Erneut streckte er die Hände nach mir aus, diesmal aber, um meinen Rock zu lösen. Sein Gesicht war meinem ganz nahe, ich spürte seinen warmen süßen Atem auf meinem Gesicht und erbebte immer wieder, meine Knie waren schon lange weich und ich wurde etwas mutiger, streckte mich ihm entgegen und berührte seine weichen Lippen mit meinen.
Sofort sprang er darauf an, legte eine Hand an meinen Hals und erwiderte den Kuss sehnsüchtig.
Es war, als wäre ich plötzlich wie ausgehungert. Mein Körper verzehrte sich nach seinen Berührungen, erwarteten sie sehnsuchtsvoll und war wie ein glühender Lavastrom. Meine Haut wurde überempfindlich, mein Herz pumpte Blut rasend schnell durch meinen ganzen Körper und überall kribbelte es, wo er meine Haut berührte. Und all meine Gedanken waren wie ausgelöscht. Der Gedanke an die Königin, die mir wohl versuchen würde, das Leben zur Hölle zu machen; der Prinz, der noch immer abweisend zu mir war und ich es eigentlich ganz gut fand; und meine Eltern, die vermutlich am enttäuschtesten sein würden, dass ihre Tochter sich zur Hure gemacht hatte. Aber all das wurde von dem übermächtigen Gedanken ausgelöscht, dass ich vermutlich den Mann gefunden hatte, der mich mehr wollte, als alles andere auf der Welt. Der sogar unsere Bastardkinder zu Königen machen würde. Im Moment war ich nicht mehr Herrin meiner Sinne.
Ich hörte dumpf, wie der Überrock auf dem Boden landete, dann zerrte er ungeduldig an den Kissen, die man unter die Röcke positionierte, um den Eindruck zu erwecken, das Kleid wäre besonders bauschig. Schließlich schaffte er es die Kissen zu lösen und warf auch dies zu Boden. Dann stand ich nur noch im Unterkleid vor ihm, war wie benebelt.
Seine Hände griffen nach meinem Gesicht, sodass ich mich in sein Leinenhemd krallte und den Kuss, der darauf folgte, erwiderte. Er war so sanft und doch so fordernd und sinnlich, dass mir die Luft zum Atmen weg blieb. Küssend erforschte ich seinen Mund und er meinen. Unsere Zungen tanzten einen wilden Tanz und für einige Momente vergaß ich sogar, dass er der König war.
Er war ein Mann, der mich nur durch Küsse zum Schmelzen bringen konnte. Ein Mann, der mich so sehr wollte, dass er sogar seine Bastarde auf den Thron setzen würde. Ich wusste, dass das alles ein gefährliches Spiel war, aber bei den Göttern, ich wollte im Moment einfach nicht vernünftig sein.
Langsam löste sich William von mir, seine Hände jedoch keines Wegs. Sie wanderten hinauf zu meinen Trägern, die nur durch dünne Schnüre gehalten wurden und zogen die Schlaufen geschickt auf. Dabei hatte er die Stirn die ganze Zeit an meine gelehnt.
Dann rutschte auch mein Unterkleid herunter und bauschte sich um meine Füße. Ab da schaltete mein Gehirn komplett aus. Bisher war ich noch nie nackt vor einem Mann gewesen, niemand hatte meinen Körper bisher gesehen und ich selbst hatte ihn nur beim Waschen betrachtet.
Langsam trat König William zurück, wobei ich seine Körperwärme sofort vermisste. »Ich wusste, seit dem ersten Augenblick, dass sich unter diesen Kleidern das Paradies eines jeden Mannes befindet.«, raunte er eherfürchtig.
Ich erbebte und wurde knallrot, als ich spürte, wie sich bei seinen Worten, meine Brustwarzen aufrichteten. Beschämt legte ich meine Arme darüber.
»Nicht!«, flüsterte er inbrünstig und ergriff sanft meine Handgelenke. »Ich will Euch ansehen.«
Nur zaghaft senkte ich die Arme wieder und blickte ihm ins Gesicht, während er meinen Körper betrachtete. Zart strichen seine Fingerkuppen über meine Seiten bis zur Hüfte und wieder höher bis zur Seite meiner Brüste. Mein Schoß krampfte sich zusammen, als er den Daumen über meine linke Knospe gleiten ließ.
Ich schloss die Augen.
William atmete angestrengt aus. »Ihr seid wunderschön.«
Ich spürte, wie er meine linke Brust vorsichtig umfasste, was mich zugegebener Maßen, sehr erregte. Meine Lippen waren leicht geöffnet, als er meine Brust los ließ und meinen Bauch hinunter streichelte. Sein Daumen fuhr zart um meinen Bauchnabel herum, wobei ich einmal mehr erbebte.
»Ich muss dich haben - jetzt!«
Ich öffnete die Augen, schloss sie aber wieder, weil er seine Lippen stürmisch auf meine drückte und plötzlich schlang er die muskulösen Arme fest um meine Taille, fuhr mit seinen großen Händen über meinen Rücken hinunter zu meinem Po, den er fest umfasste und mich hoch hob. Erschrocken quietschte ich und krallte mich in seinem Nacken fest. Zum ersten Mal spürte ich sein weiches Haar unter meinen Fingerspitzen und war fasziniert davon.
William trug mich zu seinem Bett hinüber und setzte mich auf die Kante, wobei ich ihn los lassen musste und seine Nähe sofort vermisste. Die weichen Bettbezüge reizten meine überempfindliche Haut aufs Äußerste und das Ziehen in meinem Schoß wurde so grauenvoll, dass ich hätte weinen können. Alles in mir schrie förmlich nach Berührungen.
Er stand vor mir, wie ein junger Gott und blickte mit dunklen Augen zu mir herunter, bevor er den Saum seines Leinenhemdes packte und es sich in einer einzigen, flüssigen Bewegung über den Kopf zog. Es landete in der Nähe meines Kleides und mein Blick war starr auf seinen Oberkörper gerichtet.
Sein Körper war muskulös, mit einem perfekten, flachen Bauch, harten Muskelsträngen, die ich nur zu gerne berührt hätte. Um seinen Bauchnabel wuchs weicher, schwarzer Flaum, der im Bund seiner Hose verschwand.
Bevor ich ihn berühren konnte, beugte er sich herunter und zerrte die Stiefel von seinen Füßen, dann richtete er sich auf, griff in mein Haar und beugte sich über mich, sodass ich keine Wahl hatte, als mich auf die Matratze sinken zu lassen. Weiter beugte er sich hinab und küsste mich leidenschaftlich.
Ich erwiderte den Kuss nur allzu gerne, schloss dabei die Augen und verdrängte das seltsame Nacktheitsgefühl, das ich verspürte. Ein kühler Lufthauch streifte meine Brüste und meine Knospen zogen sich süß und folterähnlich zusammen, sodass ich in den Kuss wimmerte.
In meinem Kopf wirbelten die Gedanken hin und her. Ich lag mit dem König nackt im Bett und würde gleich meine Jungfräulichkeit an ihn verlieren. Das war doch absolut verrückt! Wie es sich wohl anfühlen würde, einen Mann in sich zu haben? Ich wusste es nicht, wollte es aber herausfinden. Bei diesem Gedanken, wie er in mir war, zog sich mein Unterleib fest und qualvoll zusammen.
William küsste über meine Wange zu meinem Ohr, wobei er mit den Zähnen an meinem Ohrläppchen zupfte, dann küsste und leckte er über meinen Hals. Ich keuchte und reckte ihm meinen Brustkorb entgegen, indem ich den Rücken wie automatisch durchdrückte. Meine Hand lag auf seiner muskulösen Brust und ich spürte sein Herz darin wummern.
Benebelt schloss ich die Augen, während er meinen Hals mit Küssen und Zähnen bearbeitete und an meiner empfindsamen Haut saugte. Mein Körper fühlte sich gar nicht mehr so an, als wäre es meiner, denn mein Gehirn war wie ausgeschaltet, nur mein Körper reagierte, tat die Dinge instinktiv und ohne zu wissen, was richtig und falsch war.
Als er sich zu meinen Brüsten vorgearbietet hatte, knabberte er an meinen Brustwarzen, zupfte an ihnen und leckte über sie, was mich beinahe um den Verstand brachte. Wimmernd schob ich meine Finger in sein Haar und formte ein Hohlkreuz, wodurch ich ihn noch fester an mir spürte.
Plötzlich ließ er sich seitlich von mir herunter rutschten und schob einen Arm unter meinen Nacken, womit er mich näher zog. Seine freie Hand legte er auf meine Taille. Erneut presste er seinen sinnlichen Mund auf meinen und ich erwiderte von Hormonen gesteuert seinen Kuss.
Seine Finger blieben aber nicht auf meiner Taille, sondern wanderten meinen Bauch hinab, immer weiter, bis er kurz vor meinem Unterleib stoppte. Der Kuss war stürmischer geworden, denn auch ich konnte mich kaum noch kontrollieren, sondern küsste ihn wild und vereinnahmend, wollte unbedingt berührt, gestreichelt, geküsst, geliebt werden.
Ich wimmerte, als er mit einem Finger durch meine nackte Spalte fuhr und dabei das kleine Knöpfchen streifte, das einer Frau mehr Lust bereitete, als irgendwas sonst. Ich erbebte und atmete an seinen Lippen hektisch ein und aus. Mein Körper wurde mit einer Gänsehaut überzogen, als er diese Geste wiederholte.
»Du bist so weich...«, raunte er an meinen Lippen.
Ich winselte zur Antwort und drückte mich ihm entgegen, da ich das Gefühl seiner Finger wieder erleben wollte. Aber er hatte andere Pläne, denn er rollte sich wieder auf mich drauf und küsste mich vereinnahmend. Gierig erwiderte ich den Kontakt seiner Lippen mit meinen und presste mich eng an ihn heran.
»Mein König!«, hauchte ich an seinem Mund.
Er presste sich mit dem gesamten Körper an mich, wobei ich etwas hartes an meinem Oberschenkel fühlte. Bei den Göttern, das war sein Glied! Ich stöhnte wolllüstig auf. Seine Lippen umschlossen erneut meine Brustwarzen, aber dabei blieben sie nicht. Er küsste mich am Bauch, an den weichen Kanten, die meine Rippen unter meiner Haut verursachten, dann tauchte er seine Zunge in meinen Bauchnabel.
Ich begriff, was er im Begriff war zu tun. Er wollte mich dort unten... Heilige Mutter!
Ich wollte ihn schon aufhalten, da ich nicht wusste, ob ihm mein Körper gefiel, aber da drückte er meine Schenkel schon auseinander und presste seinen Mund auf die heiße, feuchte Haut. Ich glaubte kurz aufzuschreien von diesem neuen, seltsamen Gefühl, dann drückte ich den Rücken durch, um ihn noch besser zu fühlen.
Mit seiner Zunge tänzelte er über meine heiße Haut und jagte Stromstöße von meinem Haaransatz bis in meine Zehenspitzen hinunter. Ein Feuerwerk der Sinne tobte in meinem Innern und fragte mich einmal mehr, wie ich es fertiggebracht hatte, den König auf mich aufmerksam gemacht zu haben.
Nach kurzer Zeit fing er bei seinen Zungenschlägen an zu knurren, wie ein Berglöwe und umfasste meine Oberschenkel mit seinen Händen, um mich an Ort und Stelle zu halten. Mein Körper war ein einziger pulsierender Haufen, den ich kaum unter Kontrolle hatte und in meinem Schoß bahnte sich ein süßer Krampf an.
Aber noch bevor dieser seinen Höhepunkt erreichte, erhob sich König William, ergriff meine Hände und zog mich in eine sitzende Position. Blinzelnd blieb ich auf der Bettkante sitzen, als er sich durchs dichte, schwarze Haar fuhr und dann näher an mich heran trat.
»Öffne meine Hose.«, sagte er dunkel und kehlig vor Lust.
Auf mich?! Bei den Göttern, ich wusste gar nicht, dass ich solch eine Wirkung auf Männer hatte. Auf den König!
Blinzelnd starrte ich seine Lederhose an und schluckte nervös. Wie sollte ich das denn...? Ich schüttelte den Kopf und ließ einfach meinem Instinkt freien Lauf. Meine Finger griffen nach den Schnüren, unter denen sich eine deutliche Ausbuchtung abzuzeichnen begann und biss mir nervös auf die Unterlippe, als ich sie aufzupfte. König William schob die Hose von seinen Hüften und warf sie irgendwo in den Raum.
Und direkt auf Augenhöhe befand sich die Männlichkeit des Königs. Er war dunkel und groß und reckte sich mir fordernd entgegen. Eingerahmt wurde sein Glied von schwarzem Haarflaum.
Ich spürte auf einmal seine Hand an meiner Wange und blickte zu ihm hoch. Vorsichtig deutete er auf sein Glied und ich begann, trocken zu schlucken. Ich sollte...?
Du meine Güte... in Ordnung. Ich bekam das hin, ich würde eine gute Mätresse sein. Diese kranken Gedanken!
Ich schüttelte entschieden den Kopf und berührte zaghaft seine Bauchmuskeln, beugte mich hoch und öffnete den Mund.
Erregt keuchte William auf, als ich die Lippen zaghaft und unerfahren wie ich nun mal war um sein Glied schloss und leicht daran saugte, so wie er es bei mir gemacht hatte. Seine Pranke schloss sich in meinem Nacken um mein Haar und hielten es zu einem Rossschweif zusammen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie er entspannt die Augen geschlossen hatte und sein Gesicht gen Decke richtete. Unsicher saugte ich etwas fester an seiner Eichel, die samtig weich unter meiner Zunge war. Unter meinen Lippen und meiner forschenden Zunge, wurde sein Glied an sich immer härter und größer, weshalb mir kurz der angstvolle Gedanke kam, wie er bloß in mich hinein passen sollte.
Auf einmal zog er die Hüfte zurück, sodass ich den Kontakt zu seiner Haut verlor, beugte sich hinunter und küsste mich besitzergreifend.
Er packte unvermittelt meine Taille und warf mich regelrecht auf die Matratze, kam sofort hinterher gekrochen und beugte sich weit über mich. Dann berührten sich unsere nackten Körper. Seine Brust war an meine Brüste gepresst, seine harten Oberschenkel berührten die Hinterseite meiner Beine, wodurch er sich zwischen meine Beine schob und sie mit seinen Hüften spreizte.
Meine Hände waren in seine Schultern gekrallt, in die warme, weiche Haut, unter denen die Muskeln spielten, als wollte er mich beeindrucken. Aber das hatte er schon längst getan.
William stützte sich auf den Ellenbogen ab, dann sah er mir lange und tief in die Augen, streichelte sanft mein Gesicht mit einer Hand, schob mir die verirrten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mit der anderen Hand, löste er die Haarnadeln aus meiner Frisur, was definitiv angenehmer war.
»Wo warst du mein Leben lang?«, fragte er, schien aber keine Antwort zu erwarten, denn er schob seine Hüfte vor und verdrehte lustvoll die Augen.
Ich quietschte auf, da ich einen unangenehmen Druck an meiner Scheide fühlte. Meine Hände krallten sich tief in seine Haut und ich presste das Gesicht an seinen Hals, zuckte, wenn er weiter in mich eindrang und es noch mehr weh tat. Ich stöhnte vor Schmerz durch zusammen gepresste Lippen, als der Schmerz unerträglich wurde und ich mich schon versuchen wollte, unter ihm hervor zu winden.
Plötzlich keuchten wir beide auf, als er mein Jungfernhäutchen zerriss und unsere Unterleiber sich berührten. Schwer atmend lagen wir übereinander, aneinander gepresst, mit rasenden Herzen und benebeltem Verstand. Und der Schmerz hörte schlagartig auf, als er sich kurz zurück zog und sich dann der Länge nach erneut in mich schob.
Mit einem Stöhnen legte ich den Kopf in den Nacken und hielt mich an seinen Armen fest, als er sich auf die Hände stützte und eine Hand an meine Wange legte. Ich war überrascht, als er zwei Tränen fort wischte. Hatte ich vor Schmerz geweint? Das hatte ich gar nicht bemerkt.
Keuchend blickte er mich an. »Habe ich dir wehgetan?«
Kaum noch anwesend schüttelte ich den Kopf und lächelte. »Alles gut, Majestät.«
Grinsend beugte er sich hinunter und nahm meine Unterlippe zwischen die Zähne, dadurch drückte er sich mit dem Unterleib wieder fester gegen mich und ich stöhnte leise auf. »Ich mag es, wenn du mich so nennst.«
Mein Schoß krampfte sich um seinen Schaft zusammen und ich erzitterte bei seinen Worten. »Verlasst Euch darauf, das noch öfter zu hören.«, grinste ich zurück und küsste ihn feurig.
Er knurrte an meinen Lippen, packte meinen Oberschenkel mit einer Hand und richtete sich dann auf. Langsam zog er sich zurück, was mir schon die wildesten Laute entfahren ließ, stieß wieder in mich und fing mit einem gemäßigten Tempo an.
Wimmernd krallte ich die Finger in das Laken unter mir und presste die Schenkel an seine Seiten. Daraufhin packte er meine Hüfte und hob mein Gesäß an, um noch tiefer und schneller in mich eindringen zu können. Lust und eine kleine Spur Schmerz mischte sich in meinem Innern zu einem gefräßigen Ball.
Auch, wenn ich es nicht zugab, so hatte ich mir die Vereinigung mit einem Mann schon öfter heimlich vorgestellt. Manchmal, wenn ich nachts in meinem Bett gelegen hatte und mir vorstellte, wie es sich wohl anfühlte, sich einem Mann hinzugeben, leise Nichtigkeiten mit ihm zu flüstern und dieses Vertrauen zu spüren, dann hatte ich das leichte Ziehen im Unterleib schon gefühlt, aber in solch einem Ausmaß. Nein. Das war noch nie so vorgekommen.
Der König erhob sich über mich, einem Gott gleich, mit schwarzem Haar, das ihm wirr in der Stirn hing, kristallblauen Augen, die zu mir herunter blickten, jede Regung ausmachten. Er beschleunigte sein Tempo, wodurch ich beinahe pausenlos stöhnen musste. Haut klatschte an Haut, das leise feuchte Schmatzen erfüllte den Raum und jagte mir eine Gänsehaut nach der anderen über das Rückgrat. Auch William stieß beinahe animalische Geräusche aus, beugte sich zu mir herunter und küsste mich stürmisch.
Aber unser Kuss blieb nicht lange aufrecht, denn seine Bewegungen waren zu erregend, als dass wir uns aufs Küssen konzentrieren konnten. Unsere Lippen lagen aneinander, dann spürte ich, wie sich in meinem Unterleib etwas anbahnte.
Dann fuhr seine Hand auf meinen Po nieder und der süße Schmerz verwandelte sich in einen alles zerreißenden Krampf in meinem Schoß. Beinahe kreischte ich vor Lust und presste meinen Körper so nahe an Williams wie es ging. Zwischen dem rauschenden Blut in meinen Ohren, hörte ich ihn heftig stöhnen und etwas heißes und feuchtes breitete sich in meinem Unterleib aus.
Erschöpft blinzelte ich, als er eine Hand an meine Wange legte und mir einen zärtlichen Kuss gab. »Meine Geliebte.«, hauchte er und berührte meine Nasenspitze mit seiner.
Noch nie fühlte ich mehr Frieden. Nicht in meinem Körper und nicht in meiner Seele. Nie mehr, als in diesem Augenblick, der einfach perfekt war.
Williams sanfte Finger tanzten nur wenige Minuten nach meinem ersten Mal auf der Haut meines Armes und verursachten dort eine leichte Gänsehaut, da ich noch immer nicht wirklich realisierte, was eben geschehen war. Eben hatte ich meinem König, dem Mann, dem mein Vater unterstellt war, meine Jungfräulichkeit geschenkt, weil er der Mann war, der mich um alles in der Welt gewollt hatte. Er versprach mir, dass ich ein besseres Leben haben würde, als ich es jetzt hatte. Ein noch besseres Leben und, dass meine Eltern sich nicht für mich schämen müssten, sondern stolz sein konnten, dass ich die Geliebte des Königs war und meine Kinder einmal den gleichen Titel annehmen würden, wie ihr Vater.
Blinzelnd schmiegte ich mich enger an seinen warmen Körper. Halb lag ich auf seiner Brust, spürte seine Nase in meinem Haaransatz, sein linker Arm um meinen zierlichen Rücken, die Hand seines rechten Armes ruhte auf meinem Oberschenkel, den ich über seinen Bauch gelegt hatte. Ich spürte sein Herz direkt unter meinem Ohr und der Klang des stetigen Pochens wirkte sehr beruhigend auf mich. Über unseren Beinen und meinem Po lag die weiße Decke, ein Überlaken und weiches Fell, das wohl von einem Kaninchen stammte, um unsere langsam auskühlenden Körper zu wärmen.
Sachte fuhr William mit seinen Fingern unter mein Haar, schoben es beiseite und berührten meine Tättoowierung, die mich mein ganzes Leben als Highländerin zeichnen würde. »Und dabei sollen Highländer und die Nord Feinde sein... ich glaube, wir haben gerade das Gegenteil bewiesen.«, raunte er sanft in mein Haar.
Leise lachte ich und streichelte seine Brust. »Und... Ihr meint es wirklich ernst?«
Er hob den Kopf und sah mich verständnislos an.
»Dass unsere... Bastarde in die Erbfolge aufgenommen werden?«
Leicht lächelte er und legte seine Hand an meine Wange, die vorher noch auf meinem Bein geruht hatte. »Ich gebe dir mein Wort, Evelyn. Mein Wort als König... und als Liebhaber.« Er beugte sich zu mir und küsste mich leidenschaftlich, was mein Inneres sofort wieder in Wallung brachte.
Ich erwiderte seinen Kuss willig, dann löste ich mich von ihm und blickte ihn an.
William streichelte meine Wange, dann lehnte er sich zurück ins Kissen und zog mich wieder eng an sich. Ich biss mir auf die Unterlippe und kuschelte mich an ihn.
»Außerdem«, fügte William hinzu. »werden es für mich keine Bastarde sein. Sie werden mein und dein Blut in sich tragen. Sie werden unsere Kinder sein, unsere Prinzen und Prinzessinnen.«
Unbehaglich wand ich mich und setzte mich auf. »Und... was ist, wenn ich Euch keine Kinder schenken kann?« Nur zu gut erinnerte ich mich an die Geschichte, die mir die Königin vor einigen Stunden erzählt hatte. König Thor hatte ebenfalls eine Mätresse gehabt, die ihm nur kränkliche Kinder geboren hatte, die alle im frühen Kindsalter starben. Und dann hatte sich Thor zurück zu seiner Frau gelegt...
William blickte mich an, dann setzte auch er sich auf. »Was soll dann sein? Du wärst immer noch meine Königin.«
Zweifelnd blickte ich ihn an. »Wirklich? Ich... habe gehört, dass Euer Großvater auch eine Mätresse hatte und sie ihm nur kranke oder tote Kinder geboren hat. Und er hat sich auch zurück zu seiner Frau gelegt.«
Leise lachte William auf. »Und weil dieser Mann mein Großvater war, glaubst du, ich sei auch so einer? Nein, Evelyn. Ich will nur dich. Du bist das einzige, das ich jemals gewollt habe. Durch dich bin ich wieder lebendig.«, erklärte er mir wahrheitsgemäß. »Und glaub mir. Bevor ich mich zu Lillith ins Bett wage, kastriere ich mich freiwillig zum Eunuchen.«
Beschämt lächelte ich. »Verzeiht, dass ich gezweifelt habe.«
»Es ist in Ordnung zu zweifeln. Das macht dich vorsichtig. Komm her, ich will dir etwas schenken.«, sagte er und legte sich wieder hin.
Als ich mich wieder neben ihn legte und meinen Kopf auf seine Brust legte, beugte er sich zu seinem Nachttisch. »Noch ein Geschenk? Ich glaube, Ihr verwöhnt mich, Majestät.«, kicherte ich.
Er schloss gerade die Schublade und verbarg einen kleinen Gegenstand in seiner Hand, ehe er sein Gesicht in meinem flammenrotem Haar vergrub. »Wenn ich dich verwöhnen wollte, würde ich deine Schenkel spreizen und dich auf der Stelle nehmen.«
Mein Schoß zog süß und quälend bei seinen Worten und ich biss mir auf die Unterlippe. »Davon habt Ihr mir ja bereits eine Kostprobe gegeben.«, flüsterte ich zurück.
Leise lachte er. »Bring mich nicht in Versuchung, Kleines.«, wisperte er. »Schließlich war ich seit fast drei Jahren nicht mehr in einer Frau... und in Zukunft will ich nur in dir sein.«
Ich erschauderte, dann schmiegte ich mich fester an ihn. »Was habt Ihr da?«
William küsste sanft meine Stirn, dann öffnete er seine Hand und ich blinzelte benommen. In seiner Handfläche lag ein Medallion aus reinem Silber. Es war rund und zeigte überraschenderweise highländische Runen darauf. Es sah einfach atemberaubend aus und musste sicher teuer gewesen sein.
»Das kann ich nicht annehmen, Majestät!«, sagte ich bescheiden und setzte mich erneut auf, um ihn besser ansehen zu können.
»Nimm es an. Du bist meine Geliebte und du bekommst alles. Alles, was ich dir auch schenken würde, wärst du mein Weib.«, erklärte er mir und setzte sich auf. »Komm, dreh dich um, ich lege es dir an.«
Wieder biss ich mir auf die Unterlippe, gehorchte ihm aber und drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Das kühle Metall streifte meine heiße Haut, dann legte er das Amulett um meinen Hals und schloss die Silberkette. Ich seufzte unter dem kühlen Gefühl des Metalls und seiner Fingerkuppen, die meinen nackten Nacken streiften.
»Ich habe es vor drei Jahren für Lillith anfertigen lassen und wollte es ihr zur Hochzeit schenken. Sie hat es abgelehnt und fühlte sich beleidigt, highländische Runen zu tragen... im Nachhinein konnte ich nocht nicht einmal sagen, weshalb ich Runen darin eingravieren ließ. Vielleicht war es ein Zeichen gewesen? Dass irgendwann du auftauchen würdest und es eigentlich für dich bestimmt war.«, raunte er in meinen Nacken und küsste ihn.
Meine Gedanken wirbelten herum. Wie grausam und taktlos war die Königin denn bitte? Dass sie ein so wundervolles Geschenk zurückwies und ihm auch noch sagte, dass sie sich beleidigt fühlte. Ich war innerlich empört, aber auch glücklich, denn vielleicht war es wirklich ein Zeichen, dass es für mich bestimmt war. Zwar war ich jemand, der nicht sehr regelmäßig die Tempel besuchte und den Göttern huldigte, aber ich glaubte dennoch an bestimmte Zeichen und Wunder. Vielleicht war dies eines von diesen Zeichen.
Leicht schloss ich die Augen, als er sanft mit einer Hand meine Schulter streichelte und mein Rückgrat sanft und zärtlich mit seinen Lippen bearbeitete.
»Glaubt Ihr an Schicksal?«, fragte ich neugierig.
Er grunzte leise und ließ sich in die Kissen fallen. »Nachdem ich dich im Thronsaal zum ersten Mal erblickte, ja. Seitdem glaube ich an das Schicksal.«
Eine Weile schwieg ich, ließ die Geschehnisse auf mich wirken und verarbeitete die Erinnerung an mein erstes Mal mit einem Mann im Bett. Wenn ich daran dachte, wie er mich berührt hatte und wie ich ihn berührte, erschauderte ich unwillkürlich. Gedankenverloren kämmte ich mein Haar mit meinen Fingern durch und schloss summend die Augen. Da spürte ich Williams Finger an meiner Lendenwirbelsäule und drehte fragend den Kopf zu ihm.
»Hm?«
Er grinste. »Nichts... ich genieße nur den Anblick. Ich darf doch hoffen, dich nun öfter in meinem Bett sitzen zu sehen?«
Ich kicherte selbst. »Schließlich bin ich jetzt Eure Mätresse? Gehört das nicht zur Berufsbeschreibung?«
»Schlaues Mädchen.«, flüsterte er und zog mich an sich. »Morgen werde ich gleich Diener los schicken, die das Turmzimmer in Ordnung bringen sollen. Und dann bekommst du eine ganze Schar an Kammerzofen und Hofdamen.«
»Nein«, sagte ich und blickte ihn an, während ich meinen Kopf auf seiner Schulter bettete.
»Wie ›Nein‹?«
»Ich möchte keine Schar an Dienern und Zofen haben, Majestät. Ich möchte nur Igrena und Nimea behalten. Sie reichen mir vollkommen.«
Plötzlich lächelte William mich herzlich an und drückte mich enger an sich. »Du steckst voller Überraschungen.«, murmelte er und küsste meine Stirn, dann zog er ein Laken heran und legte es über uns, wobei ich meine Füße in das Ende wickelte. Ich mochte es nicht, wenn sie kalt wurden.
Schließlich kuschelte ich mich eng an meinen Geliebten und fragte mich beim Wegdösen, wie es dazu hatte kommen können, dass ich nun König Williams Mätresse war. Manchmal spielte das Schicksal seltsam mit uns Schachfiguren. Und heute, so glaubte ich, hatte ich mich in den König des Nordens verliebt.
Vom fröhlichen Zwitschern der Vögel wurde ich am nächsten Morgen geweckt. Ich musste im Elysium sein, denn ich lag in einem weichen und warmen Paradies und fühlte einen seltsamen Frieden in mir, der sogar anhielt, als ich die Augen öffnete. Da erst bemerkte ich, dass ich überhaupt nicht in meinen Gemächern war, sondern in denen des Königs. Nun erinnerte ich mich auch wieder daran, was geschehen war. Er hatte mich zu sich rufen lassen und hatte mich gebeten, seine Mätresse zu werden... und ich hatte angenommen.
Müde rieb ich mir die Augen, wobei ich einen harten, muskelbepackten Körper direkt hinter mir fühlte. Weiches Haar kitzelte meine Schulter und der warme und stetige Atem des Königs streichelte meine Haut. Mir entschlüpfte ein Lächeln, wenn ich daran dachte, was gestern geschehen war.
Ich hatte ihn berührt, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. Hatte ihn im Mund gehabt und mich von ihm besteigen lassen. Das war so unglaublich, dass ich es nicht glauben würde, würde dieser Mann nicht hinter mir liegen und schlafen, nackt an meinen Körper gepresst.
Etwas umständlich schob ich die Decke von meinen Schultern, da mir bereits warm genug war, dann strich ich vorsichtig über Williams Arm, den er um meine Taille geschlungen hatte.
Verschlafen hob er den Kopf und stemmte sich etwas hoch, um mich ansehen zu können. Sein Haar war völlig zerzaust, was ihn irgendwie unschuldig aussehen ließ. Ich kicherte leise und strich ihm über die Wange.
»Guten Morgen.«, lächelte ich.
Er grinste zurück und küsste meine Handfläche. »Guten Morgen. Und? Wie hat meine Lady geschlafen?«
Ich streckte mich genüsslich und setzte mich dann auf, die Decke über meiner Brust. »Die Lady hat prima geschlafen. Bei Euch war es so schön warm und gemütlich.«
»Das freut mich ja zu hören.«, grinste er, dann setzte er sich auf und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Aber so gerne ich auch den ganzen Tag mit dir hier in meinem Bett verbringen würde, als König von gleich drei riesigen Festungen kann ich nicht immer frei machen, wenn ich es will.«
Enttäuscht blickte ich ihn an, dann starrte ich auf meine Finger und nickte. »Ich verstehe. Viele Pflichten und so...«
William seufzte gequält auf. »Bitte schau nicht so. Komm her.« Er streckte die Arme aus und zog mich eng an sich, wobei er meine Beine über seinen Schoß zog und meine Haut dort streichelte. »Ich verspreche dir, ich bin so schnell wie möglich wieder hier. Und dann haben wir genug Zeit nur für uns. Ich lasse uns ein Frühstück aufs Zimmer bringen und ich schicke deine Zofen hierher und spätestens heute Abend ist das Turmzimmer fertig, um deine Kleidung dort hin zu bringen.«
Ich lachte leise, als er sich so entschuldigte. »Spätestens bei Frühstück war ich schon zufrieden.«
William lachte ebenfalls und küsste meine Stirn, bevor er mein Gesicht sanft anhob und seine Lippen weich und zart auf meinen Mund drückte. Ich erwiderte den Kuss, spürte seine sanften Hände, die über meinen schlanken Hals strichen. Schließlich löste er sich mit einem frustrierten Seufzer.
»Ich beeile mich.«, brummte er, dann rutschte er zur Bettkante und stand auf.
Ich hingegen legte mich wieder hin und beobachtete ihn, wie er nackt durchs Zimmer hechtete und seine Kleidung zusammen suchte. Mein Blick fiel dabei auf seinen straffen Hintern. Und mit diesem Mann hatte ich gestern geschlafen? Das war unfassbar! Kaum möglich, kaum real!
William setzte sich auf die Bettkante, als er die Hose angezogen hatte und zog die Stiefel an, dann drehte er sich zu mir und berührte meinen Fußknöchel sanft, als wäre sogar diese unbedeutene Stelle meines Körpers für ihn heilig. Schließlich wandte er sich ab, als müsse er sich dazu zwingen und schnappte sich das Leinenhemd vom Boden, zog es über und ging zur Tür.
»Bis gleich, Geliebte.«, raunte er.
In meinem Innern herrschte Chaos. »Bis gleich, Geliebter.«, flüsterte ich, dann war William auch schon fort und ich blieb verwirrt, ängstlich und völlig überfordert in dem riesigen Bett liegen, auf dessen Matratze drei kleine Blutstropfen von meiner verlorenen Unschuld zeugten. Und plötzlich war ich wie gelähmt. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen?! Ich war... eine Frau, die Sex mit einem Mann hatte, wenn er es wollte. Und er war nicht irgendein Mann, sondern der König! Meine Eltern... Bei den Göttern, was würde Vater sagen, wenn er es wusste? Er würde enttäuscht sein, dessen war ich mir sicher. Enttäuscht, dass ich die Hure des Königs war. Und gestern hatte ich mich von dem Gedanken, dass unsere Kinder einmal Könige sein würden, so einlullen lassen. Was war, wenn ich gar keine Kinder bekommen konnte? Dann war alles umsonst.
Zitternd, da mir plötzlich kalt wurde, zog ich die Decke über meine Schultern und kaute auf meiner Unterlippe herum. Was nur hatte ich mir dabei gedacht? Ich kannte ihn doch überhaupt nicht und dann ließ ich mich darauf ein, seine Mätresse zu werden. Ich hoffte nur, dass ich gestern keinen riesengroßen Fehler begangen hatte.
Alles in mir war praktisch willenlos in seiner Nähe gewesen, nur zu gerne hatte ich mich auf ihn und seinen Körper eingelassen, ohne wirklich über die Konsequenzen nachzudenken. Gestern erst hatte mir die Königin gedroht, mir das Leben zur Hölle zu machen, falls ich es wagen sollte, ihrem Ehemann zu nahe zu kommen. Allein das hätte in meinem Kopf, die Alarmglocken klingeln lassen müssen. Aber ich war schlichtweg überfordert damit gewesen, hatte auf das Kribbeln im Bauch gehört, das mich dazu getrieben hatte, mit ihm das Bett zu teilen.
Ich fuhr hoch, als es an der Tür klopfte, und hielt mir ungeschickt die Decke über die Brust. »Wer ist da?«
»Nimea und Igrena.«, kam es von der anderen Seite.
Ich atmete erleichtert aus, dann rief ich sie hinein und wickelte mich in die dünne Decke ein, stand auf und blieb in der Mitte des Raumes stehen. Igrena und Nimea kamen zu mir herein, senkten ihre Blicke und blieben dann, nachdem sie die Tür geschlossen hatten, vor mir stehen.
Nun hatte ich wohl einiges zu erklären und mir war nicht unbedingt wohl dabei, ihnen zu erklären, dass ich mich für den König zur Hure gemacht hatte. »Der König hat Euch her geschickt, nehme ich an?«
Igrena nickte zögerlich und blickte mich unsicher an. »Das Personal redet, M'Lady.«
Ich hob eine Augenbraue, das hatte ich erwartet. »Egal, was sie reden, ich werde es vor euch beiden nun klar stellen. König William hat mich gestern Abend in seine Gemächer gerufen, damit ich seine Mätresse werde. Und ich habe sein Angebot angenommen und lag diese Nacht bei ihm. Ich bekomme ein neues Zimmer und er bot mir an, neue Diener und Mägde zu bekommen, aber ich möchte euch beide als meine Zofen behalten. Ihr bekommt bessere Zimmer, dürft mit mir speisen und mir Gesellschaft leisten, wenn der König nicht nach mir verlangt. Wie zuvor werdet ihr mir beim Ankleiden helfen, mein Zimmer in Ordnung halten und mir bei sonstigen Dingen mit Rat und Tat zur Seite stehen... und nun stelle ich euch frei, ob ihr meine Hofdamen sein wollt.«
Igrena blickte unsicher zu Nimea, die mich anschließend mit wachen Augen anblickte. Nimea nickte leicht und schenkte mir ein kleines Lächeln mit einer süßen, weißen Zahnreihe. Sie schien heute gute Laune zu haben.
Erwartungsvoll blickte ich Igrena an.
Diese rieb sich die Finger an ihrem Kleid. »Also... darf ich eine Frage stellen, M'Lady?«
Ich nickte.
Plötzlich schaute sie mich mit glitzernden Augen an. »Wie war es, bei dem mächtigsten Mann des Nordens zu liegen?«
Neugieriges Stück!, lachte eine Stimme in meinem Hinterkopf und ich wurde rot und kicherte mädchenhaft. »Unbeschreiblich.«, erwiderte ich grinsend.
Igrena kicherte leise und Nimea lächelte mit geschlossenen Lippen.
Ich lächelte ebenfalls etwas schüchtern, bevor ich die Hände auf Hüfthöhe faltete und meinen Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle brachte. »Bitte, Igrena, bring mir eine Schale Wasser, damit ich mich säubern kann und Nimea, bitte hol mir ein Kleid und Schuhe.«
Die beiden gehorchten sofort und eilten los. Als ich alleine war, setzte ich mich zurück auf das Bett und berührte meine eigenen Lippen mit den Fingern. Die Lippen, die der König des Nordens vor nur wenigen Stunden geküsst hatte. Die Erinnerung daran, bereitete mir Bauchkribbeln und ich seufzte leise auf, da sich die Erinnerung einfach zu gut anfühlte.
Schließlich tauchte Igrena wieder auf und ich legte das Laken beiseite, um mich zu säubern. Als es sich nicht länger so klitschig zwischen meinen Schenkeln anfühlte, war mir schon sehr viel wohler in meiner Haut.
Texte: Peawyn Hunter
Bildmaterialien: Büsra Yalaman alias sunshineandbirds (erstellt); Peawyn Hunter
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2015
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