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Männermord
v. Erich Glavitza

Die Kugel trifft seine linke Schläfe und hinterlässt dort nur ein kleines, dunkelrotes Loch und reißt auf der anderen Seite, also jener Seite, an der sie austritt, ein handtellergroßes Stück aus dem Schädel und schlägt irgendwo in dieser gottverlassenen Wüste im Sand ein, und er bleibt stehen, so als wäre nichts geschehen, als wäre er nicht gerade erschossen worden und daneben steh ich, erschrocken vom Knall, der in der Stille der Wüste schockt, tiefer schockt, als in einer belebten Gegend, einem verkehrsreichen Stadtzentrum, in dem so ein Schuss im Stadtlärm untergehen würde, kaum hörbar wäre, wogegen hier so ein Schuss gleich noch einmal so laut knallt, und ich deshalb zusammengefahren bin, meinen Freund vor mir sehe, der erst unbeweglich, dann schwankend, immer mehr schwankend, schließlich wie ein Erdäpfelsack nach vorne fällt, nach vor sackt, mit seinen Händen sein Gesicht nicht schützt und deshalb der Länge nach hinfällt, tot, neben einem Mescalerokaktus im Death Valley liegt, hier, wo die Welt zu Ende scheint, ein Ende aus Hitze, Dürre, Sand und Stauden, mein Freund mit aufgerissenem Schädel, und mir hallt der Schuss noch immer im Ohr, und ich schleiche langsam und geduckt zu meinem Freund, blicke ängstlich nach links und rechts, kann aber niemanden sehen, keine verdächtige Bewegung im nahen Gestrüpp, während ich vor der Leiche knie, höre ich das Schlagen meines Herzens wie das Hämmern eines Presslufthammers und fürchte, es müsste weit in der Wüste zu hören sein, erkenne es als Zeichen meiner Erregung und versuche mich zu beruhigen, mir einzureden, ruhig zu bleiben in dieser kritischen Situation, das hätte nämlich mir auch mein Freund geraten und wäre er noch am Leben, hätte er sicher gesagt, ich dürfte in dieser kritischen Situation die Nerven nicht verlieren, und wäre er hier im Death Valley nicht hinterrücks, auf die gemeinste Weise ermordet worden, hätte er mich jetzt zur Ruhe und Besonnenheit ermahnt, hätte mir wieder meine Nervosität, meine, wie er sich ausdrückte, lächerliche Nervosität vorgeworfen und nicht verabsäumt, auch diesmal auf seine Kaltblütigkeit hinzuweisen, und ich hab ihm das auch immer abgenommen, ihm geglaubt, ihn deshalb bewundert, und es war mir dabei immer klar, dass ich in solchen kritischen Situationen niemals kühl und besonnen reagierte, aber diese Unbewegtheit kommt mir angesichts seiner Leiche lächerlich vor, und ich gehe zur Leiche und lege meine Hand auf seine linke Schulter und starre auf das kleine Loch auf seiner Schläfe, verklebt mit Blut, und es sieht nicht wie ein tödlicher Einschuß aus, denke ich, sondern eher wie eine Platzwunde, anders die Seite wo die Kugel ausgetreten ist und den halben Schädel weggerissen hat und ein fleischiger Krater klafft, aus einem Gemisch von Schädelknochen und Hirnbrei, und ich richte mich auf, fixiere den Horizont, der in der Hitze flimmert, in das dunkle Blau des Himmels hineinzittert, während mir der Schweiß in den Augen brennt, und ich versuche den Schweiß mit dem Ärmel meines T-Shirts aus den Augen zu wischen, aber das geht schlecht, dafür lindert das Reiben den Schmerz in den Augen und ich ärgere mich, dass ich meine Sonnenbrillen schon wieder nicht mithabe, ich immer meine Sonnenbrillen vergesse oder gleich verliere, während meinem Freund das nie passierte, solange ich zurückdenken kann, hatte er immer nur die teuersten Sonnenbrillen, so genannte Fliegerbrillen oder Jägerbrillen, die von Sonnenbrillenfachleuten als schwere Schießbrillen bezeichnet werden, und ich sehe sie vor mir, die schweren Brillen meines Freundes, die er niemals verloren hat, während ich meine Brillen immer verliere, darum stehe ich auch heute wieder einmal da ohne Brillen, mitten im grellflimmernden Death Valley ohne Brillen und ziehe das Schild meiner Baseballkappe tiefer, um meine Augen zu schützen, und bevor ich mich auf den Weg mache, schaue ich noch einmal auf meinen toten Freund, wundere mich, dass er noch immer unverändert im Sand liegt, und bin über diesen lächerlichen Gedanken überrascht, denn, so frage ich mich, was habe ich denn anders erwartet von einer Leiche, einem eben Ermordeten, dass er sich noch einmal umdrehte, mir winkte oder gar leise Servus sagte, und während ich ihn anstarre, fällt mir meine erste Begegnung mit dem Tod ein, als mein Großvater gestorben war und ich mit meinen Eltern in die Aufbahrungshalle durfte und zum ersten Mal eine Leiche sah, wie ich später meinen Schulfreunden erzählte, und auf eine Bewegung, ein Lebenszeichen meines Großvaters wartete, dabei seine Knollennase über den Kerzenleuchter anvisierte und minutenlang auf eine Bewegung wartete, nur um herauszufinden, dass tot doch nicht tot sei, und ich wende mich von der Leiche meines Freundes ab und stapfe mühsam durch den tiefen Sand und suche das dornige Gestrüpp nach Menschen ab, kann aber niemanden entdecken und denke, was für ein furchtbares Ende, aber wahrscheinlich hat er nicht viel gespürt, der Schuss muss ihn völlig unerwartet getroffen haben, er hatte nicht im Death Valley mit einem Anschlag, einem heimtückischen Attentat gerechnet, und ich denke, wo immer wir sind, keiner würde mit einem Anschlag auf sein Leben rechnen, einem Mordanschlag, und ich drehe mich nochmals nach meinem Freund um, und es fällt mir seine schwarze Lederjacke auf und erinnere mich an seine Vorliebe für Lederjacken, schwarze Lederhandschuhe, schwere Sonnenbrillen – und Cowboystiefel, die hatte er sich während eines früheren Amerikaaufenthalts gekauft, gleich im Geschäft angezogen und er ist dann sogar zu Hause damit herumgegangen, obwohl er dort mit seinen Stiefeln etwas sonderbar, um nicht zu sagen lächerlich wirkte, aber er scherte sich einen Dreck darum, ja, er war auch noch stolz, prahlte mit seinem Eigensinn, den er als Individualismus bezeichnete, ich nannte es Angeberei, fand die Stiefel einfach dumm, vermied aber in seiner Gegenwart das Stiefelthema, um ja keinen Streit vom Zaun zu brechen, wie ich überhaupt allen Streitereien mit meinem Freund ausgewichen bin, obwohl ich heute weiß, angesichts seiner Leiche weiß, dass es ein Fehler war, ein Versäumnis, ich hätte mich doch wehren müssen gegen seine Bevormundungen, ständigen Versuchen, mir seinen Willen aufzuzwingen, mich herumzukommandieren, über sechzig Jahre lang, denn das hatte schon in der Schule begonnen, als er mich erst zum Indianerspielen schleppte, dann zu widerlichen Sportkämpfen, immer nur Kämpfe und Mutbeweise, Bewährungen ohne Ende, nicht einmal mit dem Fahrrad durfte ich ruhig herumfahren, schon war er neben mir und forderte mich zu einer Wettfahrt heraus, die Straße war nicht hart genug, wir mußten in den Wald, ins Gelände und dass ich mir damals nicht das Genick gebrochen habe, ist reiner Zufall, wie es überhaupt reiner Zufall ist, dass ich neben meinem Freund überlebt habe, reiner Zufall, denke ich, und immer schwätzte er mir die Ohren voll mit seinen Geschichten von Mut, Ehre, Treue und Zusammenhalt und ähnlichem Unsinn, aber ich hatte nicht die Kraft ohne ihn zu leben, ihn fortzujagen, ihn einfach stehen zu lassen, denn gleichzeitig bewunderte ich ihn, durchschaute aber nicht sein idiotisches Theater oder wollte es nicht, hörte immer ergeben zu und gab ihm nach, und das war, wie ich heute angesichts seines Todes weiß, mein größter Fehler, aber ebenso ist mir klar, dass ich diesen Fehler nun einmal gemacht habe und nicht mehr gutmachen kann, und ich drehe mich noch einmal nach ihm um und stelle mir die Fliegen vor, wie sie am Einschussloch herumkrabbeln, und auf der anderen Seite, der noch blutigeren Seite, noch mehr Fliegen herumkrabbeln, und bei diesem Gedanken graut mir und wende mich ab und dabei fällt mir sein Ehrgeiz ein, sein grenzenloser Ehrgeiz, überall der Erste und Beste zu sein, denn nur der Erste, der Sieger würde etwas gelten, und wie er immer seinen großen Idolen folgte, nie war er sich gut genug, mit seinem Sosein zufrieden, eiferte ständig irgendwelchen Vorbildern nach und war doch nur eine schlechte Kopie, und dabei drängte er mir die widerlichen Geschichten seiner Helden auf, durchschaute aber nie deren Hohlheit, klammerte sich an Reklamegeschichten, üblen Zeitungstratsch, durchschaute nie was dahinter steckte und ich hörte ihm zu, statt zu widersprechen, obwohl ich nichts mehr hasste als diese ständigen Lügen, den Selbstbetrug, sein Streben ein starker, harter Mann zu sein, widerte mich grenzenlos an, aber auch dagegen begehrte ich nie auf, nur wenn ich allein mit mir war, verfluchte ich seine Geschichterln und Kitschromane, mit denen er mir auf die Nerven ging, immer nur starke Männer, hirnlose Schläger, gewissenlose Pistolenschießer, die einsam ihren Weg gehen, dabei war mein Freund geschwätzig, zog einen Vorhang der Geschwätzigkeit vor seine Unsicherheit, wann immer er befürchtete durchschaut zu werden, mitsamt seinen Lügen entlarvt zu werden, redete er alle nieder, auch mich, und ich wehrte mich nicht, wagte niemals ihm zu widersprechen, im Gegenteil, ich wollte ihm glauben, hielt sein Gerede für einen Ausdruck von Klugheit, war überzeugt, dass er sich eben besser mitteilen könne, und ich kämpfe mich weiter, Schritt für Schritt durch den Sand vom Death Valley, der Schweiß rinnt mir zu den Mundwinkeln, ich schlecke mit der Zunge am Salz und mir fallen spontan seine Pläne ein, billige Imitationen und Luftgespinste, alle nicht der Rede wert, und wie er von Misserfolg zu Misserfolg eilte, jedoch jeden dieser Misserfolge mit seiner Beredtheit in einen Sieg verwandelte, auf diesem Gebiet war er ein Meister und dauernd schleppte er mich mit, ich kam niemals zur Ruhe, war an ihn gekettet und er ließ mich nicht frei, musste mit auf den Sportplatz, obwohl jedweder Sport heftigen Widerwillen in mir hervorruft, er schleift mich ins Kino, in die Western und James Bond Filme, obwohl ich diese Mord und Totschlagfilme immer zutiefst hasste, ich war immer furchtsam gewesen, dauernd hatte ich Angst, hatte auch nie einen Hehl daraus gemacht, er aber lachte über meine Ängstlichkeit, und wenn wir gemeinsam mit Leuten zusammen waren, stellte er sich immer sofort in den Mittelpunkt, prahlte, log und produzierte sich mit widerlichen Angebereien, stellte mich als Tollpatsch bloß, als denjenigen, der mit seiner Unbeholfenheit und Dummheit kritische Situationen verursacht hätte, aber am Ende der Geschichte ist natürlich er rechtzeitig aufgetaucht und hat uns gerettet, wofür er reichlich Applaus einheimste, während ich mit rotem Kopf in der Ecke immer zu unbeholfen war, um mich zu wehren, nachher entschuldigte er sich bei mir, ich aber hätte ihn erwürgen können, war aber immer zu feig dazu, und ich erinnere mich an seine Prahlereien mit Weibern, er hatte doch immer denselben Typ, geile Katzen oder heiße Schwedinnen, wie er sich ordinär ausdrückte, während ich diese aufgedonnerten Brunftkühe mit ihren hochgeschnürten Brüsten, verpuderten Gesichtern und dem Gestank nach billigen Parfum immer verabscheute, und mit diesen Busenfetzen musste ich mich auch noch unterhalten, wie ich mich jetzt mitten im Death Valley erinnere, musste meine Zeit vergeuden, denn auch beim Heurigen, wo er sie weich klopfte mit seinen Sprüchen, musste ich immer dabei sein, aber meine Freundinnen machte er immer herunter, die wären alle naiv und hießen nichts, sagte er, wie er alles andere auch heruntermachte, zertrümmerte, zerstörte und kaufte ich mir eine Hose, die mir gefiel, war sie ihm zu weit oder zu eng, das Hemd hätte ich wohl in Bulgarien gekauft, das schöne Taschenmesser, das ich so gern hatte, wäre nichts als eine billige Imitation aus Korea, kaum mochte ich etwas, entwertete er es sofort, und mein Leben schien mir schon sinnlos, leer, unerträglich, eigentlich nicht wert weitergelebt zu werden, und ich wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe, ziehe den Rotz durch die Nase, bleibe hinter einer Staude stehen und lasse mich auf die Knie nieder, grabe mit beiden Händen eine Mulde, schiebe den Sand über meine Hose, über mein Knie, nehme die Winchesterbüchse Kaliber Vierundvierzig, ziehe den Entladehebel durch, eine leere Patronenhülse schnalzt heraus und ziehe noch einmal durch, bemerke eine volle Patrone und wundere mich, nur einmal geschossen zu haben, aber im Schreck habe ich das vergessen, denke ich und lege das Gewehr in die Mulde, schiebe mit beiden Händen Sand darüber, trete ihn mit meinen Cowboystiefeln fest, verwische mit einem Bündel aus Gestrüppzweigen die Spuren meiner Stiefelsohlen und gehe weg, ohne mich noch einmal umzudrehen.

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Tag der Veröffentlichung: 27.09.2008

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