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Prolog




Prolog

Es war soweit, die letzten Prüfungen waren bestanden und wir hatten es geschafft. Wenn es mir auch so vorkam, als wären wir erst vor ein paar Monaten auf dem Campus eingezogen, so verging die Zeit fast wie im Flug. Nach harten Zeiten des Lernens, Arbeitens und Feierns wurden unsere Mühen belohnt. Wir waren bestens ausgebildete Manager, spezialisiert auf die Wirtschaft, mit Nerven aus Drahtseilen. Wir fühlten uns allem gewachsen und jetzt war es an der Zeit, der gnadenlosen Realität ins Auge zusehen. Es gäbe nichts, was wir nicht schaffen könnten und für alles würde eine Lösung gefunden. Wie oft uns dieser Satz in den Vorlesungen eingetrichtert wurde, war er uns in Fleisch und Blut übergegangen. Die Devise lautete ´Niemals aufgeben´. Doch wurde all die Euphorie, es geschafft zu haben, von einem für mich lästigen Übel überschattet.

Seit Beginn meiner Studienzeit, war ich nicht ein einziges Mal wieder zu Hause gewesen. Ich kam aus einfachen, fast ärmlichen Verhältnissen. Das Geld für mein Studium hatte ich mir hart erarbeiten müssen und konnte auf keine finanzielle Unterstützung von Seiten meiner Eltern hoffen. Auch wenn ich ihr einziges Kind war. So kam die Zusage der Uni einem Befreiungsschlag gleich. Endlich konnte ich dem kleinen öden Kaff, in dem ich aufwuchs, entfliehen. Jetzt stand die Welt mir offen, ich konnte mit diesem Abschluss in jedem Land arbeiten. Studenten der University of Finance and Management, die auf diesem Fachgebiet ausgebildet waren, waren überall gern gesehen. Unser Ruf eilte uns voraus und öffnete uns Tür und Tor.

Nach dem letzten Telefonat mit meiner Mum bekniete sie mich, ihnen endlich mal wieder einen Besuch abzustatten. Sonst konnte ich bestens den Uni-Kram vorschieben und mich so heraus winden und es immer wieder aufschieben. Doch dieses Mal hatte ich mich breitschlagen lassen und versprach, für ein paar Tage zurückzukehren, um dann auf ewig zu verschwinden und immer könnte ich die Arbeit vorschieben.

Es war nicht, dass meine Eltern ein rotes Tuch für mich waren, aber ich wollte anders leben als sie, besser. Das kleine, in die Jahre gekommene Haus, in das es an allen Enden und Ecken hinein regnete, wenn der Wind den Regen nur stark genug unter die gesprungenen Pfannen peitschte. Was zu oft passierte, da es unweit des Pazifischen Ozeans in einem kleinen Reservat, in dem es dreihundertsechzig Tage im Jahr regnete, neben eben so alten und morschen Hütten stand. Der knarrende Holzboden, die immer schiefer werdende Treppe in die erste Etage und die undichten Holzfenster,machten das Desaster perfekt.

Immer wieder wurde uns in den Vorlesungen eingebläut, dass wir die Besten wären, wenn wir den Abschluss in der Tasche hätten und sollten die Besten nicht auch bestens leben. Ich wollte nicht das Schicksal meiner Mum teilen. Sie kam frisch von der Uni, sie war viel versprechend und hatte einen überdurchschnittlichen Abschluss in Jura hingelegt, sie war ein Ausnahmetalent. Bevor sie sich damals in die Arbeitswelt stürzte, wolle sie noch mal ein paar Wochen ausspannen und sich selbst finden. Ja und was sie fand, war meinen Dad. Arm wie eine Kirchenmaus, nichts konnte er ihr bieten, außer sich selbst. Seine dunklen Augen, seine Ausstrahlung, er war anders, als die Typen, die sie kennengelernt hatte und so hatte er es ihr angetan und zack, war sie mit mir schwanger. Eine einmalige Karriere einer jungen aufstrebenden Anwältin, vollkommen ruiniert. Ihm zuliebe blieb sie und sie brachten sich von Tag zu Tag über die Runden. Mein Dad hatte nie einen Beruf gelernt. Er jobbte und nahm an was sich im bot, doch nie war es von Dauer. Als ich mich einmal ganz schrecklich mit ihr gestritten hatte, warf ich es ihr vor den Kopf, dass sie ihr Leben weg geworfen hätte. Schlagartig verflog ihre Wut über mich und sie meinte, dass kein Geld dieser Welt sie glücklicher gemacht hätte, als mein Dad es jeden Tag tat. Ich fand ihre Weltanschauung kindlich naiv und konnte nicht verstehen wie man die Glitzer und Glamour- Welt von Los Angeles gegen ein Leben im ewig verregneten La Push tauschen wollte. Niemand konnte es wert sein, dass man wegwarf, wofür man so hart schuften musste.

Doch war das Zwischenmenschliche,auch ein Punkt, der mich nur widerwillig zurückkehren ließ. Als die Zusage der Uni ins Haus flatterte, hielt ich es nicht für nötig, meinem damaligen Freund darüber zu unterrichten. Ich verschwand mit Sack und Pack, bei Nacht und Nebel, ohne dass ich wenigstens versucht hätte, es ihm zu erklären. Wir stellten uns schon eine gemeinsame Zukunft vor, aber leider völlig unterschiedlich. Seine Ziele waren lange nicht so hochgesteckt wie meine. Er war mit seinem Leben zufrieden und strebte nicht nach Höherem. Ihn störte nicht die Einfachheit, die das Leben in La Push ihm bot, er nahm es an. Er machte sich nichts aus schnellen Auto, teuren Klamotten oder Luxusreisen. Es war bedauerlich, da er wirklich einiges drauf hatte, er hätte es weit bringen können, aber der nötige Ehrgeiz fehlte. Er war wie mein Dad, doch war ich nicht wie meine Mum. Die alles der Liebe wegen, aufgab. Ich dachte, es würde mir schwerer fallen, ihn zurück zulassen. Da er meine erste große Liebe war. Wäre ich geblieben, hätten wir irgendwann geheiratet und eine Fußballmannschaft an Kindern in die Welt gesetzt. Aber die Uni in Los Angeles lockte mich verführerisch und bot so viel Abwechslung und Möglichkeiten, dass für ihn dort ohnehin kein Platz geblieben wäre. Anfänglich hatte er mir immer noch Briefe geschrieben, die aber ungelesen im Müll gelandet waren. In stillen Stunden,dachte ich anfänglich oft an ihn. Wie er mit meiner Entscheidung und meinem plötzlichen Verschwinden fertig geworden war. Ob er mich hasste und verachtete für das, was ich ihm antat oder ob er es verstand und mir verziehen hatte. Ich hatte keine Ahnung was aus ihm geworden war. Ich war unfair, eiskalt und rücksichtslos, doch wollte man im Leben etwas erreichen, so musste man Abstriche machen und wenn nötig, über Leichen gehen. Dass lernte ich in den Jahren in Los Angeles. Das Leben war eine Hure, man musste es zu nehmen wissen und man hätte eine Menge Spaß.

Damn what you do here




Chapter 1

„Wann geht dein Zug?“ Murmelte Ally über ihre Koffer gebeugt. Leise seufzte ich und verdrehte die Augen über ihre Frage. „In zwei Stunden.“ Demotiviert ließ ich mich zurück aufs Bett fallen und sah ihr zu, wie sie ihre letzten Sachen in Kisten verstaute. Wenn ich zu Anfang nicht viel davon hielt, mir dieses Zimmer mit ihr zu teilen, war sie doch zu einer guten Freundin geworden und jetzt, da es hieß Abschied nehmen, war ich mir sicher, sie würde mir ganz schrecklich fehlen, war sie in den vergangenen Jahren meine Ersatzfamilie. „Dann bringe ich dich erst zum Bahnhof und mach mich dann vom Acker.“ Kurz sah sie auf, da meine Reaktion auf sich warten ließ. Ich drehte mich auf die Seite und ihr den Rücken zu. „Das ist lieb von dir.“ Jammerte ich etwas wehmütig. Die Matratze wackelte, dann fühlte ich wie ihre Hand über meinen Rücken strich.

„Alue, es ist doch nur ein Besuch, du bleibst doch nicht für immer. Du kommst wieder.“ Sie versuchte mich aufzumuntern, aber der Erfolg blieb aus. Es war eine verhasste Reise in meine Vergangenheit, die ich nur widerwillig antrat. Postkarten und Telefonate würden meiner Meinung nach als Kontakt vollkommen ausreichen. Es würde mir nicht wieder passieren, dass ich mich so bequatschen lassen würde. „Ich weiß, du hast recht.“ Schnaufte ich und drehte mich zu ihr.
Ally strahlte über das ganze Gesicht. Im Gegensatz zu mir freute sie sich, für einige Zeit nach Hause zurückzukehren, ehe sie sich eine Wohnung suchte und sich in die Arbeit stürzte, sie hatte auch keine zwanzigstündige Zugfahrt vor sich. Ihre Eltern wohnten im Westen von LA, ein paar Stunden im klimatisierten Auto und sie wäre da. Ihre Eltern hatte ich öfters gesehen oder mit ihnen telefoniert, als mit meinen.

„Wenn du zurück in LA bist, lassen wir es krachen. Standesgemäß.“ In Gedanken und leise seufzend nickte ich und sah an ihr vorbei ins Nichts. „Was hältst du du davon, wenn wir den ganzen Krempel ins Auto laden und dann irgendwo was trinken gehen. Der alten Zeiten wegen.“ Sie kniff mir ein Auge zu, stupste vor meine Hüfte, da ich wieder nicht antwortete. „Ally, ich habe so keinen Bock zurück in dieses öde Kaff. In dem es nichts gibt, außer Bäume und noch mehr Bäume.“ Maulte ich und rollte mich ergeben zurück auf den Rücken. Sie begann mir in die Seite zu pieken. „Wie lautet unser neues Lebensmotto!“ In stolzer Pose saß sie auf der Bettkante und reckte eine Faust in die Luft. „Niemals aufgeben.“ Knurrte ich leise und genervt. Resigniert sackte sie wieder zusammen und sah mich mitleidig an. „Ich würde dich ja begleiten....“ Sang sie mit leiser Stimme, aber das wäre das Letzte, was ich wollte. Niemand sollte je erfahren, aus was für Verhältnissen ich kam und wie ich aufgewachsen war. In gewisser Weise schämte ich mich für meine Herkunft und alles würde ich dafür tun, damit es unter dem Deckmantel des Schweigens versteckt bliebe. „Das willst du nicht.“ Versuchte ich es abzutun. „Na dann, einpacken und was Trinken gehen.“ Schnaufte ich, um vom Thema abzulenken. Ich raffte mich auf, nahm meine beiden Koffer und den Rucksack, mit Schwung warf ich die Tür auf, die mit einem lauten Krachen gegen die Wand schlug. Ertappt sah ich mich zu ihr um. „Das ist jetzt auch egal.“ Zuckte Ally mit den Schulter und schob mich vor sich her durch die Tür.

Allys Range Rover war bis unter die Decke vollgestopft und platzte fast aus allen Nähten, als sie die letzte Kiste obendrauf quetschte und die Klappe mit Wucht zuschlug, damit sie ihr nicht wieder entgegen fiel. Meine Gepäckstücke hatten auf der Rückbank ihren Platz gefunden, so würde es später einfacher sein, sie auszuladen. Seufzend warf ich die hintere Tür zu. „Hast du eigentlich schon was von deinen Bewerbungen gehört?“ Sie sah ums Auto herum. „Du nicht?“ Ich schob die Lippen vor und schüttelte den Kopf. „Mittlerweile sind es drei Zusagen, aus denen ich wählen kann.“ Leichtfüßig tänzelte sie auf mich zu und hakte mich ein. „Das wird schon noch, wirst sehen.“ Ihr sonniges Gemüt war unverwüstlich, doch wenn man deprimiert sein wollte, schwer zu ertragen. Sie hatte leicht reden, ihr fiel immer alles in den Schoß, nie musste sie sich für irgendetwas über die Maßen anstrengen. Geld hatte sie von Haus aus und brauchte dafür keinen Finger krumm machen und würde sie auf dem freien Arbeitsmarkt nichts Interessantes finden, könnte sie immer noch in die Firma ihres Dads einsteigen. Sie lebte auf der Sonnenseite des Lebens. Wenn wir auch was unsere Ausbildung betraf, die selben Voraussetzungen hatten, war sie von Anfang an bessergestellt. Ich war gewohnt mich irgendwie durchzuschlagen, zwar war es nicht verkehrt, wenn man wusste, wie man mit harten Bandagen kämpfte, doch wäre es eine angenehme Abwechslung, wenn ich auch mal die Hände in den Schoß legen könnte und mir alles zuflöge. Aber es war wie es war, da half alles Jammern nicht.

„Ins Loui´s auf ´n Kaffee oder doch ins Hole und was Stärkeres?“ Ich hob den Kopf und sah, wie sie mein Gesicht musterte. „Ins Hole.“ Grinste ich und fände, ein bisschen Alk würde die spätere Fahr erträglicher machen. „Dann wollen wir mal.“ Mit Schwung marschierte sie los und zog mich neben sich her.

Das Hole war eine ziemlich heruntergekommene Kaschemme, aber die Drinks waren bezahlbar und somit stand es ganz oben auf meiner Liste der Lokalitäten in LA. Ally steuerte unseren gewohnten Platz an und warf sich auf die Bank. Postwendend trabte die Saftschubse an und nahm laut Kaugummi kauend unsere Bestellung auf. „Weißt du was...“ Entschlossen sah sie mich an und unterbrach meine Versuche, einen Bierdeckel in seine Bestandteile zu zerlegen. „Du kannst mich jeder Zeit anrufen und ich hole dich zurück. Versprochen.“ Lächelnd senkte ich den Blick und begann auf ein Neues, den Bierdeckel zu bearbeiten. „Okay.“ So etwas würde ich nie von ihr verlangen, diese ewig lange Strecke zu fahren um mich aus diesem Nest zu holen. Es war auch weniger, dass ich gezwungen würde dort zubleiben, viel mehr war es ein Gefühl, dass mich beschlich und wissen ließ, ich könnte nicht einfach wieder gehen. Alles nur Einbildung, total bescheuert, doch war es allgegenwärtig und beunruhigte mich zusehends, mit jeder vergangenen Minute etwas mehr.

Mit den Getränken verirrten sich auch Eric und Nuno an unseren Tisch. Gleichgesinnte, mit denen wir nicht nur das Studium hinter uns gebracht hatten, sonder auch unsere spärliche Freizeit. „War klar, dass wir euch hier finden.“ Foppte Eric uns, schob Ally ein Stück zur Seite und nahm neben ihr Platz, auch Nuno quetschte sich neben mich auf die Bank. Einen Moment sah ich ihn an, dann beugte ich mich zu ihm. „Hast du schon ein Jobangebot?“ Er sah auf und stutzte einen Moment. „Wir Natives haben es immer schwerer auf dem Jobmarkt an Stellen zu kommen. Erst recht, wenn es sich um leitende Positionen handeln.“ Seufzend sah er wieder weg und schüttelte den Kopf. Sollte es tatsächlich an meiner und seiner Herkunft liegen, waren wir nicht gern gesehen, nur weil ich zur Hälfte dem Stamm der Quileute angehörte und er ein Plain Cree war. Doch würde seine Sicht der Dinge einiges erklären. Somit versuchte meine Vergangenheit mir erneut einen Strich durch die Rechnung zu machen, um mich zu einem Leben zu verdammen, wie ich es kannte und hasste. War es einer der Gründe, warum meine damaligen Freunde sich mit weniger zufrieden gaben. Wusste sie, dass es erfolglos wäre, eine Karriere anzustreben? War es nicht ihre Einfachheit und der mangelnde Ehrgeiz, der sie davon abhielt, sondern ihr Wissen, es wäre zwecklos, was sie um einiges schlauer machte, als ich es anscheinend war. Ich hätte nicht noch frustrierter werden können. Der Anblick meines nahenden Drinks war eine wahre Freude.

Sechs Cocktails später, war ich der festen Überzeugung, ich könnte die Weltherrschaft an mich reißen und es gäbe nichts, was mich aufhalten konnte. Außer vielleicht die zwanzig Stufen, die aus diesem Schuppen hinauf in die Realität führten.
„Alue, wir müssen los, wenn du deinen Zug noch erwischen willst.“ Schrie Ally und versuchte, die lauten wilden Technoklänge zu übertönen. Schielend winkte ich ab und lehnte mich gegen Nuno, der über meine etwas besoffene Gestalt lachte. „Du wirst den ganzen Zug voll kotzen.“ Giggelte er mir ins Ohr. „Scheiß Feuerwasser.“ Gab ich glucksend zurück und schielte hingebungsvoll. Ally hatte sich an Eric vorbei geschoben, wartend stand sie vor dem Tisch und tippte mit einem Finger auf das Ziffernblatt ihrer Uhr. Schnaufend ließ ich den Kopf hängen, doch auch Nuno kroch aus der Bank und schlörrte mich an einem Arm hinter sich her. Als ich auf meinen Beinen stand, fand ich den heutigen Seegang ganz beachtlich. Er ließ sich nicht lang bitten und klemmte mich unter seinen Arm, damit die arme Ally mich nicht die Stufen hinauf bugsieren musste.

Die Sonne schien so hell, dass ich mir schützend eine Hand über die Augen hielt. „Ich hol den Wagen, wartet hier mit ihr.“ Rief Ally und joggte los. Mein Gesicht klemmte seitlich an Nunos Brust, ich schloss die Augen und rutschte langsam hinunter. „Hey, hey. Bleib ma´ wach.“ Er rüttelte an mir herum, mit zusammengekniffenen Augen sah ich zu ihm auf und fand, er war nie schöner. Er grinste breit. „So voll hab ich dich noch nie erlebt.“ Ich wollte ihm antworten, doch statt Worten kam ein beachtlicher Rülpser über meine Lippen. Eric und Nuno prusteten los. „Meine Hochachtung, jeder andere hätte gekotzt.“ „Das nenne ich mal Körperbeherrschung. Respekt!“ Mit diesen Worten bewunderten sie die Laute aus meine Mund. Kurz überlegte ich, einen neuen Anlauf zu starten, aber entschied mich dann doch um und hielt einfach meine Klappe, bevor noch mehr heraus käme als warme Luft.

„Eric, hilf mir ma´. Da, daaa. Nimm ihr Bein. Ahhh, du sollst es nicht verbiegen, nur hochheben.“ Ich wurde hin und her geschüttelt und hörte, wie Nuno Anweisungen gab und die beiden mich ins Auto manövrierten. Kurz drauf fühlte ich einen leichten Druck um meine Hüfte und hörte, wie der Sicherheitsgurt einrastete. „Bist du sicher, dass du sie heile in den Zug bekommst?“ Keuchte Nuno leise. „Irgendwie wird es schon gehen.“ Winkte Ally ab. „Sonst komm ich mit.“ Bot er an, hilfsbereit wie er nun mal war. „Hmmm, vielleicht keine schlechte Idee. Dann guck mal ob du zwischen den Koffern noch irgendwo Platz findest.“ Nachdem es ein paar Mal laut rumpelte, fiel die Tür hinter mir zu. „Gut, dass es nicht so weit ist.“ Ertönte seine Stimme von hinten, leicht gequält. Voll wie ein Eimer lehnte ich den Kopf zurück und lächelte Ally etwas debil an. Leise hörte ich sie kichern, dann warf sie den Wagen an, legte den ersten Gang ein und fuhr los.

„Aleu. Wach werden.“ Zwitscherte das glockenhelle Stimmchen von Ally. Mit geschlossenen Augen lächelte ich, aber machte keine Anstalten ihrem lieblichen Gesang Folge zu leisten. „Lass ma´, ich mach das.“ Flüsterte Nuno, der neben ihr in der Beifahrertür zu stehen schien. „Aleu! Raus jetzt, sonst kannst du nach Hause laufen!“ Diese seine Worte, haute er in einem Kasernenton raus, dass mir die Haare im Begriff waren auszufallen. „Was ´n mit dir los?“ Lallte ich heiser und drehte den Kopf. „Siehst du geht doch.“ Feixte er Ally an, die sich ein leises Lachen nicht verkneifen konnte. Müde blinzelte ich sie an, Nuno warf mir meinen Rucksack auf den Schoß, dass ich mit einem leisen Stöhnen quittierte. „Nimm du die Koffer, dann nehme ich sie.“ Schlug er vor und lud sie aus, Ally stieß sicherlich dankende Stoßgebete gen Himmel, dass sie Rollen hatten. Er nahm mir den Rucksack wieder ab und setzte ihn auf, nahm meinen Arm und beförderte mich aus dem Wagen. So schnell es ging, liefen wir durch den Bahnhof und suchten das Gleis. „War das acht oder neun?“ Keuchte Nuno im Stechschritt und Ally hatte Mühe mitzuhalten. „Acht dreiviertel.“ Gluckste ich und stand kurz vor einem Lachkoller. „Witzig, Aleu.“ Knötterte er und schlörrte mich weiter.

„Zurück, zurück!“ Schrie Ally. „Es ist hier, er ist schon angeschlagen.“ Nuno machte galant eine neunzig Grad Drehung, was mich noch ein bisschen schwindeliger werden ließ und folgte Ally auf die Rolltreppe. „Scheiße der steht da schon, gib Kitt.“ Hetzte er sie und versuchte, uns an ihr vorbei zu quetschen. Vor der, zum Glück, noch offenen Zugtür, übergab er mich für einen Moment an Ally, um meine Koffer rein zu hieven. „Ohhh Ally. Du wirst mir so schrecklich fehlen. Ich hab dich ja so lieb.“ Jaulte ich ihr die Ohren voll und hing um ihren Hals. „Wir sehen uns doch bald wieder. Ich hab dich auch lieb.“ Flüsterte sie leise und drückte mich noch mal, bevor Nuno mich unter den Armen packte und in den Zug beförderte. An die Wand gelehnt stand ich da und grinste winkend vor mich hin. „Die findet ihren Platz niemals und die Koffer wird sie auch verlieren.“ Mutmaßte er, schnaufte und ließ die Schultern hängen. „Ein paar Minuten haben wir noch, bin gleich wieder da.“ Mit einem Satz sprang er die paar Stufen hinauf und schnappte sich die Koffer, ich stand noch immer grinsend und winkend an die Wand gelehnt und Ally belächelte meinen Zustand, eben so winkend. Kurz drauf stand er wieder neben mir. „So, ab geht’ s, Königin Cocktail, immer geradeaus.“ Er schob mich vor sich her, an etlichen Sitzreihen vorbei und bugsierte mich in ein kleines Viererabteil, quetschte meinen Rucksack zu den Koffern auf die Ablageflächen. „Hab ´ne schöne Reise, Kleine.“ Fest drückte er mich und küsste meine Wange. „Danke, großer starker Mann.“ Himmelte ich ihn an, schnell setzte er mich auf den reservierten Sitz, kurz winkte er noch und machte sich joggend vom Acker.
Der Zug rumpelte los und das monotone Geräusch, gepaart mit dem Gewackel, ließ mich binnen Sekunden einschlafen.

„Hallo? HALLO? Kann ich da mal bitte durch!“ Mokierte sich eine zickig kreischende Stimme. „Zieh mal die Beine ein.“ Ertönte es sanft von links und ich tat, wie mir geheißen. Noch vom Schlaf benommen stutzte ich, einen Spalt öffnete ich die Augen. Ich saß in dem fahrenden Zug, das war schon mal eine erfreuliche Nachricht, aber mein Kopf tat grausig weh, weniger schön. Doch was mich jetzt völlig aus der Bahn warf, dass Nunos Stimme mich gerade gebeten hatte, die Beine einzuziehen. Entsetzt wirbelte ich herum und sah neben mir, in das bekannte Gesicht. „Alter, was in Himmelsnamen machst du hier?“ Pflaumte ich ihn entsetzt an. „Hab Pech gehabt, die Türen waren zu und ich kam nicht mehr raus, habe Ally aber noch gewunken.“ Na das war mal beruhigend. „Dann steigst du an der nächsten Haltestelle aus.“ Es war weniger eine Frage, viel mehr ein Befehl. „Ich musste mir eine Fahrkarte kaufen und ich hatte keine Ahnung, wo ich dann wäre und wann und wie ich wieder zurück käme, jetzt begleite ich dich nach Hause.“ Bei seinen Worten entglitten mir meine Gesichtszüge. „Du kannst nicht mitkommen!“ Bölkte ich ihn an. Ein leises, pikiertes Räuspern drang vom Sitz gegenüber, ermahnende Blicke der Zicke, die sich den Weg zu ihrem Sitz frei schreien musste. Wenn es mir schwer fiel, zügelte ich meine Stimme und zischte nur leise. „Du hast noch nicht mal Klamotten mit.“ Mit diesem Argument versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass es ein Schwachsinnsplan war. „Da mach dir mal keine Sorgen.“
Entspannt verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und rutschte tiefer in den Sitz. Wild fuchtelte ich mit meinen Armen herum und suchte nach Worten, die zu verhindern wussten, dass er tatsächlich mitkäme. „Das geht einfach nicht.“ Angepisst verschränkte ich sie vor der Brust und sah ihn entschlossen an. „M.....meine Eltern mögen keine Fremden.“ So wie ich es rüber brachte, hätte ich es mir auch nicht abgenommen. Grinsend sah er sich das Schauspiel an, dass ich veranstaltete. „Hör ma´zu Schätzchen. Deinetwegen sitze ich hier. Hättest du nicht so viel gesoffen, hätte ich dich nicht in den Zug tragen müssen.“ Wir stritten wie ein altes Ehepaar. Verachtende Blicke trafen mich vom Sitz gegenüber. Ich verdrehte die Augen und wollte keifend Einwände einlegen, aber mit seinen Worten entwaffnete er mich. Laut schnaufend warf ich mich in den Sitz, sah zum Fenster hinaus und schmollte. Mir wollte einfach nichts einfallen, dass er freiwillig diese unfreiwillige Reise abbrach.

Nach gut einer Stunde des Anschweigens hielt der Zug im Bahnhof von Santa Barbara. Auffordernd sah ich zu ihm rüber, doch er hatte den Kopf zurück gelehnt und die Augen geschlossen. Ich war stinkwütend, zum Ersten auf mich und meinen überschwänglichen Alkoholkonsum, der mir die ganze Kacke eingebrockt hatte und zum Zweiten über Nunos Uneinsichtigkeit, wieder kehrt zu machen. Aus dem Stand hätte ich so ein bisschen loskotzen können. Nach nicht einmal fünf Minuten ging das Geruckel wieder los und der Zug fuhr an.

Die Tür des Abteil wurde schwungvoll aufgerissen. Ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der seine besten Zeiten schon länger hinter sich hatte, mit seinem Liebchen im Schlepptau, betrat die Szenerie. Sie war gefühlte fünfzig Jahre jünger, doch ihr Gesichtsausdruck ließ schon ahnen, sie wäre dumm wie ein Eimer Schrauben.

„Junger Mann, das ist einer unserer Sitze. Wir haben reserviert.“ Maulte er Nuno direkt an und piekte gegen seine Schulter. Etwas verwirrt öffnete er die Augen und musterte den Kollegen mit misstrauischem Blick. „Nicht gucken, aufstehen.“ Forderte dieser und stemmte seine kleinen dicken Arme, in seine von Röllchen verdeckten und fast nicht vorhandenen Hüften.
„Du hast nicht reserviert?“ Tat ich entrüstet und hielt mir eine Hand vor den Mund, er sah mich genervt an. „Ich werd mal sehen, ob ich irgendwo anders noch einen Platz ergattern kann.“ Gähnend erhob er sich und war über einen halben Meter größer als der kleine Feldwebel, der ihn hochjagte. Müde schlich er aus dem Abteil, es war nicht das Schlechteste, dass er mal nicht da war, so müsste ich nicht die ganze Zeit stinksauer auf ihn sein.
Die beiden Granaten richteten sich erst einmal häuslich ein, Thermoskanne, Bütterchen und ´ne Tüte Chips, erklärte so einiges. Das er seine Schuhe nicht auszog, um sie seiner Schnalle auf den Schoß zu legen, damit sie sie massierte, war alles. Zum Glück saß er mir schräg gegenüber, sonst wäre meine Armfreiheit auf einen Schlag drastisch minimiert worden.

Ich legte den Kopf zurück und wollte versuchen, die Zeit mit Schlaf zu überbrücken, aber nach nicht mal einer halben Stunde sägte Moppi los, als würde er einen ganzen Wald roden, da half auch das ätzende Räuspern seiner Nachbarin nichts. Genervt stand ich auf, nahm meine Tasche und stolpert über seine Beine in den Gang, mit dem Ziel, den Speisewagen aufzusuchen, um Koffein zu besorgen. Wie ich auf den Gang fiel, sah ich Nuno ein Stück weiter auf dem Boden hocken, die Arme verschränkt und den Kopf gesenkt. „Was machst du hier?“ Sagte ich leise und hockte mich neben ihn. „Es ist nichts mehr frei.“ Völlig geschafft drehte er den Kopf und sah mich mit seinen schokobraunen Augen an. Mit dem Blick konnte ich ihm in dem Moment nicht böse sein. „Auch ´n Kaffee?“ Unterbreitete ich ihm meinen Waffenstillstand. Seufzend nickte er und rappelte sich hoch.
Mit dem ersehnten Heißgetränk in der Hand stellen wir uns erneut in den Gang und sahen aus dem Fenster, wie die Welt vorbei zog und es zu dämmern begann.

„Sag mal, wie stellst du dir das eigentlich vor? Einfach so bei meinen Eltern aufzuschlagen. Was soll ich denen denn erzählen, wer du bist?“ Er fasste sich ans Kinn und tat, als müsste er angestrengt nachdenken. „Boah Aleu, ich bin ein Freund. Mach es nicht so kompliziert.“ Mit Schwung warf er seinen Arm um meine Schulter und lächelte aufmunternd. „Kompliziert ist es so oder so.“ Murmelte ich vor mich hin und konnte mich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass er tatsächlich die Absicht hatte mitzukommen und er sehen würde, wo ich her käme.
Mit jedem Halt, den der Zug einlegte, füllten sich die freien Gänge mit Passagieren, die auch nicht reserviert hatten. Es wurde ziemlich voll und das Gedrängel ging mir anständig auf die Nerven.

„Ich muss mich hinsetzen.“ Schnaufte ich, als eine siebenköpfige indische Familie an uns vorbei zog, um neben Nuno ihr Lager aufzuschlagen. „Wir sehen uns später.“ Trällerte er gespielt fröhlich, doch die Fröhlichkeit verflog abrupt, als die Mutter der Horde ihm ihren Koffer über die Füße schliff. Ihre vermutliche Entschuldigung klang wie rückwärts aufgesagte satanistische Verse in Mickey Maus- Sprache. Ein schmerzverzerrtes Gesicht und leises ´Aua´, ließ mich weich werden. „Na komm schon mit.“ Bölkte ich aus einiger Entfernung über die Köpfe sämtlicher Anwesenden, die vereinzelt zu mir herum schnellten, die Erleichterung über meine Worte stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Aber du weißt schon, dass du auch nur einen Platz hast.“ Wissend nickte ich vor mich hin und schob die Tür des Abteils auf. Mrs. Feldwebel hatte ihr Füße und sämtliche Reiseutensilien auf meinem Sitz geparkt. Gekünzelt räusperte ich mich. „Das ist mein Platz. Ich habe reserviert.“ Klugscheißerisch grinste ich sie an und schnaufend begann sie ihr Zeugs anderswo zu verstauen. „Und jetzt?“ Flüsterte Nuno, der hinter mir stand. „Setz dich.“ Sagte ich eben so leise und nickte zum Sitz. Er wurde aus meinen Worten nicht ganz schlau und meine Absicht blieb ihm verborgen. Etwas verhalten schob er sich an mir vorbei und nahm Platz. Gifftig schaute Mrs. Feldwebel dabei zu. Er war darauf bedacht, seinen Ellenbogen bei sich zu behalten, aus Angst sie würde ihn abbeißen oder anfressen. Jetzt, da er endlich saß, tat ich einen großen Schritt über sämtliche Beine, die meinen kurzen Weg kreuzten. Irritiert sah Nuno mich an, behutsam setzte ich mich auf seinen Schoss. „Ist auch nur für die nächsten zwölf Stunden.“ Flüsterte ich und kniff ihm ein Auge zu. „Besser schlecht gesessen als gut gestanden.“ Kicherte er und schien mit meiner Idee einverstanden.

Das ewig andauernde Schnarchen von Moppi trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Damit ich ihm nicht sein Lebenslicht aushauchte, wühlte ich in meinem Rucksack nach dem Mp3- Player. „Auch einen?“ Fragte ich Nuno, der immer tiefer Luft holte und wie es schien, kurz vor dem Ausbruch stand. Ich hielt ihm einen der Stöpsel hin, den er dankend annahm. Zwar verschwand das lästige Gesäge nicht völlig, aber es floss fast harmonisch in die dröhnenden Bässe ein.
Schon nach kürzester Zeit tat mir dermaßen der Arsch weh und ich wusste nicht, wie ich die noch übrig gebliebenen Stunden rum kriegen sollte. So versuchte ich die seitliche Position und legte meinen Kopf an Nunos Schulter, ungewohnt vertraut, aber so war es leichter auszuhalten. Mein noch freies Ohr lag an seiner Schulter, die den letzten Rest des Waldsterbens verschluckte.
Von der Seite betrachtete ich unauffällig sein Profil, er sah über mich hinweg aus dem Fenster. Bei seinem Anblick hoffte ich inständig, das mir die ein oder andere Begegnung mit meiner alten Clique erspart bliebe und es nicht zu unangenehmen Aussprachen oder Anschuldigungen käme. Diesen Gedanken,hätte ich zu gern aus meinem Gedächtnis verbannt.

Die Nacht war der absolute Horror, wenn nicht gerade irgendwelche fremden Menschen, die Abteiltür aufschoben, um nachzusehen ob bei uns noch ein freier Platz zu ergattern war, wurde geschnarcht, gehustet oder aufs Klo gerannt. Im Gegensatz zu Nuno hatte ich es noch fast komfortabel, da ich zwischen ein paar Postionen wählen konnte. Er hingegen saß, wie er saß und konnte nur den Kopf von einer Seite auf die andere drehen. Doch war es so allemal besser, als die Nacht stehend auf dem Gang zu verbringen.

Als ich dieses Mal die Augen aufschlug, war die Sonne im Begriff sich ihren Weg zu ebnen. Aber man konnte schon anhand des Wetters erkennen, dass wir uns Washington unaufhaltsam näherten. Ein dichter, grauer Wolkenschleier trübte das sonst unvergleichliche Bild der auf gehenden Sonne. Mir war kalt und es ließ mich leicht schaudern. Nuno hatte seine Arme um mich gelegt und drückte mich etwas fester an sich. Ich glaube, ihm war gar nicht bewusst, was er tat, da er zu schlafen schien. Vielleicht war es eine Art Instinkt, das Männer wärmten, was auch immer auf ihrem Schoß saß.
Das Leben auf dem Gang erwachte und wurde mit jeder vergangenen Minute lauter. Nuno seufzte leise und begann sich zu recken, soweit es möglich war. Gerädert und mit kleinen verschlafenen Augen sah ich ihn an, eben so erwiderte er meinen Blick. „Guten Morgen Sonnenschein. Wie hast du in unserer Prachtsuite genächtigt?“ Grinsend schloss er erneut die Augen. Ich knurrte nur leise vor mich hin und setzte mich auf. Kurz verschwendete ich einen Gedanken daran, mich auf der Zugtoilette etwas frisch zumachen. Doch mein letzter Klogang hielt mich davon ab, aus Angst vor irgendwelchen ansteckenden und unerforschten Bazillen. „Wie spät ist es?“ Knötterte ich leise und war zu faul, auf meine eigene Uhr zu sehen. „Kurz nach acht.“ Gähnte er und sah sich die anderen verschlafenen Gesichter an, die uns immer noch beiwohnten. Ich kramte in meinem Rucksack nach einem Kaugummi, damit der grausige Geschmack im Mund besser würde und während ich wühlte, fiel mir eine Dose Cola in die Hände. Das passende Frühstück, nach so einer Nacht.

„Guck ma´.“ Nach diesem Fund strahlte ich regelrecht und hielt ihm die Dose entgegen. Erleichtert atmete ich auf, ohne groß zu überlegen öffnete ich sie und ein ordentlicher Schwall des Gesöffs regnete auf Nunos Shirt. Entsetzt betrachtete ich die großen, brauen Flecken auf seinem ehemals schneeweißen Oberteil. „Sorry.“ Flüsterte ich schuldbewusst und war versucht, es abzulecken. Ich fand es viel bedauerlicher, dass dieses kostbare Getränke so unachtsam verschwendet wurde, als dass ich einen Gedanken daran verschwendete, dass es sein einziges Shirt war. Er seufzte laut und warf den Kopf in den Nacken. Dann schälte er sich eilig aus dem nassen und klebrigen Stück Stoff und zauberte, zu dieser frühen Stunde, ein verzücktes Lächeln auf die weiblichen Gesichter dieser illustren Runde. Ja, er konnte sich durchaus sehen lassen.

Er hielt es mir hin. „Kannste trocken pusten.“ Immer noch sah ich ihn demütig an. „Ohne was an is´aber auch ein bisschen kalt.“ Stellte ich flüsternd fest. „Irgendwelche Vorschläge?“ Ich sah kurz rauf zu meinen Koffern. „Willste eins von mir?“ Was anderes fiel mir nicht ein, ich konnte mir weder eins aus den Rippen schneiden, noch auf die Schnelle eins stricken. Er sah mich völlig verständnislos an. „Was?!“ Maulte ich und fand es jetzt nicht so dramatisch. Wortlos schob er mich von seinem Schoß, stand auf und holte einen der Koffer herunter, stellte ihn vor mich und ich tat, wie mir befohlen. Ein Stück öffnete ich den Reißverschluss und griff hinein. Als ich die Hand wieder heraus zog, hielt ich ein weit ausgeschnittenes, rosafarbenes Oberteil in der Hand, verziert mit Schnörkeln und Schmetterlingen. Er verschränkte die Arme vor seiner nackten breiten Brust und zog eine Braue hoch. Sah gar nicht schlecht aus, wie er so da stand und mich ansah.

Kichernd stopfte ich es wieder zurück und der nächste Griff, war …... sagen wir, akzeptabel. Ein schlichtes, schwarzes Langarm- Oberteil mit einem normalen Rundhals, unisex würde ich behaupten. Er zog es über. „Und?“ Fragte er nach meiner Meinung. Jetzt bloß nix Falsches sagen, es wäre wie ein Bumerang und ich war miserabel darin, Dinge die mir um die Ohren flogen, zu schnappen. „Es ist sehr......körperbetont.“ Murmelte ich und fand, dass es sich lohnte, hinzusehen. „Das hört Mann gerne.“ Presste er sarkastisch durch die Zähne und wuchtete mit Schwung den Koffer wieder zurück. „Ich geh mir ´n Kaffee holen. Willste auch einen?“ In der Tür drehte er sich nochmal um und sah mich an. Vorsichtig nickte ich und er verschwand. Wäre er mal mit seinem Arsch lieber wieder nach Hause gefahren, jetzt hatte ich seinetwegen auch noch ein schlechtes Gewissen, die passende Stimmung um nach Jahren das erste Mal nach Hause zurückzukehren. Wäre es nach mir gegangen, würde ich in Port Angeles direkt wieder umdrehen und zurück ins sonnige Los Angeles fahren. Ich hatte schon die Faxen dicke, bevor ich überhaupt angekommen war.

Nach fast einer Stunde schlug Nuno wieder auf, ohne Kaffee, leicht irritiert sah ich ihn an und er winkte mich zu sich auf den Flur, postwendend kam ich seiner Auffordernd nach und schob die Tür hinter mir zu. „Gibt keinen Kaffee mehr.“ Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen war es der erste für mich erkennbare Moment, in dem es ihm fast leid zu tun schien, mit mir gekommen zu sein. Gut so, vielleicht würde er sich doch noch zu meinen Gunsten umentscheiden. „Was soll' s, wir sind ja bald da.“ Tat ich es ab, zuckte ich mit den Schultern und wollte wieder seinen, meinen, unseren Platz einnehmen. Vorsichtig hielt er meinen Arm fest, überrascht drehte ich mich nochmal um und sah ihn an. Etwas verlegen lächelte er, strich vorsichtig über die Stelle, die er festhielt, sagte aber nichts, leicht erwiderte ich sein Lächeln und setzte meinen Weg fort. Nach dem ich mich mit in den Sitz gekuschelt hatte, sah ich noch mal hinaus zu ihm. Er stand vor einem der Fenster, den Kopf dagegen gelehnt. Es war gerade schon eine komische Situation, doch brachte das Aufeinanderhocken so etwas vielleicht zwangsläufig mit sich.

Mom, come on




Chapter 2

Nuno hob die Koffer von der Ablagefläche und orgelte sie durch die ziemlich schmale Abteiltür. „Lass mich auch einen nehmen.“ Drängte ich mich auf und warf meinen Rucksack über die Schulter. „Geht schon.“ Murmelte er und marschierte vor mir her. Mir war etwas unwohl, als ich zum Fenster hinaus in die mir leider viel zu bekannte Umgebung sah. Früher waren wir oft in Port Angeles, um in den Schaufenstern anzusehen, was wir uns ohnehin nicht leisten konnten oder um die Zeit totzuschlagen.

Ruckelnd kam der Zug zum Stehen, wir fädelten uns zwischen die anderen Passagiere und ich gab Nuno die Koffer an, kalter Wind und Nieselregen schlug uns entgegen. Als wir auf dem Bahnsteig standen, kramte ich meine Jacke aus dem Rucksack, es war gewohnt kalt und ungemütlich. Nuno zog die Schultern hoch und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Kalt hier.“ Stellte er fest, kniff etwas die Augen zusammen und sah in den dunkelgrauen Himmel über unseren Köpfen. „Ich hab noch ´ne Kapuzenjacke im Koffer. Interesse?“ Er überlegte einen Moment und nickte dann ergeben. Schnell hatte ich sie heraus geholt und er zog sie über. Sie saß schon ein bisschen frettchenhaft, aber konnte er nicht wählerisch sein, er wollte es nicht anders. „Schick biste.“ Foppte ich ihn, schnappte mir einen der Koffer und ging grinsend an ihm vorbei. „Ja, ja, voll lustig.“ Schnaufte er und äffte mich nach. Schnellen Schrittes verließen wir den Bahnhof und machten uns auf den Weg zur Bushaltestelle, von dort aus würde es Non- Stop nach La Push gehen.

„Ist ja ganz nett hier.“ Bemerkte er und ließ den Blick schweifen. „Hmmm.“ Knurrte ich und war immer noch versucht, mein Versprechen zu brechen und auf der Hacke umzudrehen. Viel lieber würde ich dieselbe Horrorfahrt auf mich nehmen, als nach Hause zufahren.

Doch als der heranfahrende Bus seine Türen öffnete, war es etwas spät, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich orderte die Fahrkarten und Nuno kümmerte sich um eine Sitzgelegenheit. Jetzt hieß es, noch eine geschlagene Stunde durch die Gegend juckeln und wir wären dort, wo ich nie wieder hin wollte.

Ich hatte wenig Lust mich zu unterhalten, so hatte ich die Stöpsel des Mp3- Players in den Ohren und leise säuselte die Musik, während wir uns unaufhaltsam dem Ziel näherten. Nuno rupfte gefühlte fünfhundert Mal an den Ärmeln der Jacke, um sie so lang zu ziehen, dass sie über seine Handgelenke reichte. Sein leicht verzweifelter Gesichtsausdruck ließ mich grinsen.

Als der Bus in Forks hielt, tippte Nuno mir aufs Bein und forderte meine Aufmerksamkeit. „Wir müssen aussteigen.“ Irritiert sah ich ihn an. „Ne, ist noch ein Stück.“ Versicherte ich ihm, dann mischte sich der Busfahrer ein. „Hier ist Endstation.“ Maulte er etwas genervt. „Der fährt doch bis La Push.“ Bölkte ich durch den halben Bus. „Schon seit Jahren nicht mehr.“ Klöpperte er zurück und öffnete die hintere Tür. „Das kann nicht wahr sein.“ Knurrte ich und schob Nuno vor mir her nach draußen in den strömenden Regen. „Ist es von hieraus noch weit?“ Fragend sah er mich an und zog die Kapuze über seinen Kopf. „Kommt drauf an wie man ´weit´ definiert.“ Ich zog einen Flunsch und war einen Moment etwas ratlos, als mein Handy klingelte. Es war meine Mum, sie wollte wissen, wann ich da wäre. Nach einer kurzen Begrüßung maulte ich sofort los und beschwerte mich über die unzureichende Infrastruktur und dass sowas in LA undenkbar wäre. Beschwichtigend redete sie auf mich ein und wollte sich um eine Fahrgelegenheit für mich kümmern, sie hatte ja keine Ahnung von Nuno und ich behielt es noch ein bisschen für mich. Nach nicht mal fünf Minuten rief sie erneut an und meinte, ein ehemaliger Freund würde mich holen. Das war es, was ich zu Verhindern versuchte, dass irgendwer meiner alten Freunde überhaupt wusste, dass ich da wäre.

„Wer?“ Sie räusperte sich. „Jacob Black, erinnerst du dich noch an ihn?“ Ich biss die Zähne aufeinander und hätte losbrüllen können. Natürlich erinnerte ich mich an ihn. „Äh, ist nicht nötig. Bis gleich.“ Würgte ich sie ab und legte einfach auf. Ich schob das Handy in meine Hosentaschen. „Wir laufen.“ Fauchte ich und zog den Koffer hinter mir her. „Warum ist es nicht nötig, dass uns jemand abholt?“ Plärrte Nuno und schien wenig Lust zu haben, bei dem Sauwetter zu laufen. „Lass gut sein.“ Versuchte ich seiner Frage aus dem Weg zugehen. „Erklär' s mir, ich versteh' s nicht.“ Ich wirbelte herum. „Wenn es dir nicht passt, dann......“ Mir fiel nichts Glorreiches ein, ohne dass ich ihn beleidigt hätte, zischend drehte ich mich wieder um und lief weiter. „Aleu, warte.“ Er holte mich ein und ging neben mir. „Was ist los mit dir, so kenne ich dich gar nicht. Je näher wir deinem zu Hause kommen, umso schlechter wird deine Laune.“ Und damit hatte er ausnahmslos Recht. Die Hilflosigkeit der Situation, schwappte über meine Wut. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern blieb ich stehen. „Ich möchte darüber nicht reden.“ Mit einer Hand hob er mein Gesicht. „Du hast noch nie darüber geredet oder irgendwas von deiner Vergangenheit erzählt. Warum?“ Ich seufzte leise. „Können wir nicht einfach weiter gehen?“ Bat ich ihn mit leiser Stimme. Er schien die Verzweiflung in meinen Augen zu sehen und nickte langsam. So ging es weiter, die lange Straße entlang von Fork nach La Push.

Wir waren eine geschlagenen Stunde unterwegs, als wir das Willkommens- Schild von La Push passierten. „Deine Eltern wohnen in einem Reservat. Das ist cool.“ Stellte er anerkennend fest. „Ja, so was von.“ Flüsterte ich sarkastisch. Auf der gegenüberliegenden Seite kam uns jemand entgegen, mit gesenktem und sturem Blick geradeaus ging ich weiter, aus Angst, mich könnte irgendwer erkennen. Ich hatte keine Ahnung wer es war, doch dieser jemand grüße und Nuno grüßte artig zurück. Der Regen sickerte langsam aber sicher durch meine Jacke und es war ekelhaft, alles klebte und war kalt.

„Ist in der Nähe das Meer?“ Fragte Nuno und etwas Freudiges klang in seiner Stimme. „Wirst du gleich sehen.“ Wir bogen nach links ab, von hier aus konnte man nicht nur das kleine Haus meiner Eltern sehen, sondern auch den Pazifischen Ozean. „Das ist echt abgefahren.“ Kurz blieb er stehen und genoss den Anblick des tobenden Meeres. Die schnurrenden Rollen des Koffers, den er zog, ließen mich wissen, dass er mir wieder folgte.

Ich hievte den Koffer auf die kleine Veranda, als jemand meinen Namen aussprach und ich unweigerlich zusammenzuckte. „Hallo Alue.“ Mein Kopf schnellte herum. Ein Haus weiter stand Jake vor der Haustür unter einem kleinen Vordach, als hätte er auf mich gewartet, er wusste, Dank meiner Mum, dass ich auf dem Weg war.

„Hallo.“ Grüßte ich ihn etwas unterkühlt und war mehr als überrascht, wie sehr er sich verändert hatte, wie erwachsen und männlich sein Gesicht aussah, etwas gleichgültig wandte mich ab und Nuno zu. „Wie geht’s dir?“ Erkundigte Jake sich trotz meiner unfreundlichen Geste, in seine Stimme schwang ein leicht zynischer Unterton und das gefiel mir gar nicht.

„Gut.“ Hielt ich mich kurz und warf erneut einen schnellen Blick hinüber. Er hatte sich auf die Umrandung gelehnt und beobachtete uns neugierig. „Ich bin Jake.“ Stellte er sich Nuno vor, der sich unsere kleine Unterhaltung kommentarlos anhörte. „Nuno.“ Gab er zurück, aber lange nicht so unterkühlt wie es tat. Jake joggte leichtfüßig zu uns herüber und hielt ihm die Hand entgegen. „Nett dich kennenzulernen.“ Nuno nickte und ergriff sie. „Ja, find ich auch.“
Jake stand zwei Stufen unter mir und sah auf. „Schön, dass du dich mal wieder sehen lässt.“ Sein Ausdruck war für mich nicht zu deuten. Langsam nickte ich, musterte etwas misstrauisch sein Gesicht und würgte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Ihr habt es ja echt schön hier.“ Lenkte Nuno mit einem Blick aufs Meer ab, da ihm auffiel, wie unbehaglich die Situation für mich war. „Yap.“ Jake folgte seinen Blicken. „Surfst du?“ Nuno nickte und Jakes Augen begannen zu funkeln. Somit entbrannte eine heiße Diskussion über die Vor- und Nachteile irgendwelcher Fachbergriffe, die ich im Ansatz schon nicht verstand. Ich verdrehte die Augen und tippte etwas drängend mit dem Fuß auf den Boden. „Wenn ihr Lust habt, kommt heute Abend vorbei.“ Lud Jake uns ein. Entsetzt riss ich erst die Augen und dann den Mund auf, um es abzuwenden, aber Nuno war schneller. „Ja klar, warum nicht.“ Sie gaben sich erneut die Hand. „Cool.“ Grinste Jake und lief wieder zurück. Bevor er im Haus verschwand, hob er noch kurz eine Hand. „Schicke Jacke.“ Lachte er Nuno an und dann war er weg. „Du kennst echt nette Leute.“ Verständnislos, über seine Feststellung sah ich Nuno an, schüttelte kurz den Kopf und klopfte an die Tür, die im selben Moment geöffnet wurde.

Mit ausgebreiteten Armen trat meine Mum heraus. „Ist das schön, dich endlich mal wieder zusehen.“ Fest drückte sie mich und küsste meine Wange. „Hey Mum.“ Presste ich gequält hervor. „Oh, wer ist das denn?“ Sie ließ von mir ab, ging ein paar Schritt auf Nuno zu und strahlte ihn an. Brav stellte er sich vor und hielt ihr die Hand hin, doch er kannte meine Mum nicht. Ungefragt wurde auch er nach gewohnter Tradition gedrückt, die typische Herzlichkeit meiner Mum kannte keine Grenzen. Etwas überrascht sah er mich an und erwiderte es. „Schö,n dass du deinen Freund mitgebracht hast.“ Kichernd stieß sie mir in die Seite. „Er ist nur ein Freund.“ Verbesserte ich sie. „Na klar.“ Übertreiben kniff sie mir ein Auge zu. Stöhnend verdrehte ich die Augen. Wir karrten die Koffer rein. „Er sieht aber verdammt gut aus, hast eben den Geschmack deiner Mutter.“ Flüsterte sie lachend und spielte auf seine Herkunft an, als ich den Koffer an der Treppe abstellte. Er konnte seine indianische Herkunft genau so wenig verleugnen wie ich und das war Grund genug für meine Mum, ihn zu mögen. „Ihr seid ja triefnass. Zieht euch erstmal um, ich mach uns einen Kaffee.“ Sang sie fröhlich, warf Nuno ein entzücktes Lächeln zu und entschwand in die Küche.

„Stimmt, deine Mum mag Fremde überhaupt nicht.“ Zärgerte er mich leise lachend, als wir die Koffer hoch schleppten. Ich warf die Tür meines ehemaligen Zimmers auf, der Anblick war unverändert. „Das....“ Ohne hinzusehen, nickte ich in Richtung des Bettes. „.... müssen wir uns teilen.“ Wenig von meinen Worten beeindruckt, stellte er die Koffer an die Seite und zog sich Jacke und Shirt aus. „Wo kann ich das hinhängen?“ Suchend sah er sich um und ich ihn einmal mehr an. „Gib her.“ Mit einer schnellen Handbewegung nahm ich es ihm ab, brachte es ins Bad und warf es über die Heizung. Zurück in meinem Zimmer, öffnete ich die Koffer um mir was Trockenes heraus zu suchen. Unweigerlich hielt ich das rosafarbene Shirt aus dem Zug in der Hand und grinste Nuno an, der auf der Bettkante saß. „Nicht in diesem Leben.“ Lachte er und hob abwehrend die Hände. „Es wäre sicherlich eine Augenweide.“ Giggelte ich und suchte, ob ich noch irgendetwas fand, was ihm passen könnte und nicht direkt an ein Mädchen erinnerte. Das selbe Shirt, das er vorher von mir trug, fand sich dann noch mal in einem babyblau. „Das bringt deine Augen unwahrscheinlich zur Geltung.“ Ich versuchte, mir das Lachen zu verkneifen, prustete dann aber trotz allem los. „Na gib schon her.“ Maulte er und zog es über. „Körperbetont. Ich gewöhn' mich langsam dran.“ Schnell schnappte ich mir trockene Sachen und sprintet aus dem Zimmer, bevor er noch etwas Geeignetes fand, was er nach mir hätte werfen können.

In bequemen und trockenen Gammelklamotten kehrte ich ins Zimmer zurück. Mein Blick fiel auf seine Hose, die auch durchgeweicht war. Er bemerkte meine Blicke und hob eine Braue. „Ich hätte da noch eine 1 a Hüfthose, die zaubert dir einen Knackarsch....“ Nicht, dass er den auch so hatte. „Alue....“ Schnaufte er. Ich drehte auf der Hacke um und stand keine zwei Minuten später mit einer Jogginghose in seiner Größe wieder im Türrahmen. „Wo haste die denn jetzt her?“ Verwundert und ein bisschen erleichtert sah er mich an. „Mein Dad und du, ihr habt dieselbe Größe.“ Ich warf sie ihm zu und beugte mich erneut über meinen Koffer, um meinen Kulturbeutel zu finden und ins Bad zu bringen. Nuno hielt es nicht für nötig, sich im Bad umzuziehen und wie ich es mir so ansah, fand ich, es war nicht von Bedarf. Nachdem ich alles was nötig war, an die Orte gebracht hatte, wo sie benötigt wurden, setzte ich mich neben ihn aufs Bett, ließ mich nach hinten fallen und schloss die Augen. Die Symptome des Schlafmangels, waren auf dem Vormarsch. Aber nicht nur bei mir, Nuno hing genauso in den Seilen. Ich rollte mich auf die Seite und wollte nur einen Moment, meinen leicht strapazierten Rücken ausruhen, doch siegte die Müdigkeit.

Lautes Gelächter weckte mich. Blinzelnd sah ich mich um und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich allein war. Ich erkannte die Stimme meines Dads, die gewohnt tief, das Lachen durchbrach, gefolgt von dem glockenhellen Gelächter meiner Mum, in das Nuno einsetzte.´Ach du Scheiße´, schoss es mir durch den Kopf. Ich war so schnell auf den Beinen, dass mein Gleichgewichtssinn mir einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Wankend tat ich einen Schritt nach dem anderen. An der Treppe angekommen, lauschte ich angestrengt. Zwar konnte ich sie hören, aber keines ihrer Worte verstehen. Wie auf Samtpfoten schlich ich sie hinunter und lief durch den kleinen Flur. Vor hier aus konnte ich sehen, wie sie zusammen am Küchentisch saßen. Ihr Miteinander wirkte so vertraut, dass mein Erscheinen mir fast überflüssig vorkam.
Doch bevor ich ungesehen wieder nach oben entschwinden konnte, wurde mein Auftauchen entdeckt. „Mein Schatz!“ Strahlte Dad, er war sofort auf den Beinen und auf dem Weg zu mir. „Hey.“ Lächelte ich leicht gequält, als er mich an seine breite Brust drückte. „Sag mal, bist du noch gewachsen? Wie geht es dir? Du siehst ja hundemüde aus. Gott, bist du dürr, gibt es in Kalifornien nichts zu essen?“ Stellte er mit entsetztem Blick fest, als er mich wieder ansah. Etwas hilflos nickte ich einfach mal und ehe ich wusste wie mir geschah, schob er mich in die Küche und verfrachtete mich auf einen der Stühle. „Kaffee?“ Trällerte Mum und ohne meine Antwort abzuwarten, goss sie ihn in die Tasse vor mir. „Jetzt schon.“ Murmelte ich etwas kleinlaut und griff nach dem Zucker. Nuno grinste mich von der Seite an, langsam drehte ich den Kopf. „Hättest du keine Ohren, würdest du im Kreis grinsen.“ Knurrte ich und mir gefiel nicht, wie er grinste. Wahrscheinlich hatten meine Eltern sämtliche Anekdoten meiner Jugend raus gehauen und mich bis auf die Knochen blamiert. Es wunderte mich fast, dass nicht irgendwo Fotoalben herumlagen, in denen ich als Einjährige, nackig und frisch gebadet auf einem Handtuch lag. Oder die kleine Holzdose, in der sich mein komplettes Milchzahngebiss befand.
Ihre Unterhaltung kam wieder ins Rollen, ich saß zwischen ihnen und macht gelegentlich nur ´hmmm´und ´aha´. Sie verstanden sich blendend mit Nuno, es war auch nicht schwer, ihn zu mögen. Er strahlte Selbstbewusstsein und Fröhlichkeit aus, war hilfsbereit und hatte immer Zeit oder ein offenes Ohr, wenn man ihn brauchte. Sie mussten ihn einfach mögen.

„Ach, bevor ich es vergesse...“ Begann Mum und sah abwechselnd zu Nuno und mir. „....wir sind am Samstag eingeladen.“ Jeder meiner Muskeln verspannte sich bei ihren Worten. Einladungen waren nie gut, schon gar nicht hier, zu viele Menschen, die ich wahrscheinlich überhaupt nicht wiedersehen wollte. Nuno im Gegensatz sah neugierig, fast begeistert aus. Unter dem Tisch hätte ich ihn am liebsten dafür getreten. „Und bei wem?“ Maulte ich in meine Kaffeetasse und trank einen Schluck, der mir fast wieder aus der Nase schoss, als Mum uns aufklärte. „Bei den Camerons. Du glaubst es nicht, aber Jared wird tatsächlich heiraten. Wer hätte das gedacht.“ Sie sah etwas verträumt vor sich hin, als könnte sie ihren Worten selber nicht ganz trauen. Das war tatsächlich eine Überraschung, war Jared immer einer der Draufgänger, der mitnahm was er bekam, sich aber nie festlegen wollte. Ich überlegte, wie ich mich aus dieser Nummer herauswinden könnte. „Mum, die wissen doch gar nicht dass ich hier bin, ihr könnt doch nicht einfach ungefragt noch jemanden mitbringen.“ Ich hoffte, ihr damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie sah etwas ertappt weg. „So ist es nicht ganz.“ Druckste sie herum und friemelte an der Tischdecke. Mit eine hochgezogenen Braue sah ich sie an. „Sie wissen, dass du hier bist.“

Resigniert fiel mein Kopf auf die Tischplatte. „Mum.“ Jaulte ich und es trat ein, was ich mit allen Mitteln versuchte abzuwenden. „Sie freuen sich alle, dich endlich mal wieder zusehen. Unsere kleine Weltenbummlerin.“ Ich machte ein würgendes Geräusch. „Ich war nur in LA, das ist immer noch Amerika.“ Wenn man es auch kaum glauben konnte, denn die Unterschiede hätten gravierender nicht sein können. „Es wird bestimmt schön.“ Ihre Hand griff über den Tisch und fuhr aufmunternd über meinen Arm, zum guten Schluss tätschelte sie meine Hand. „Ich habe dir auch schon ein Kleid und Schuhe besorgt.“ So setzte sie dem ganzen die Krone auf. Dieser ´freudige´ Anlass, wäre Grund genug für mich, meine Koffer zu nehmen und den Weg bis LA zu laufen. Nuno kicherte leise, schön, dass es ihn so amüsierte, es waren auch nicht seine ehemaligen Freunde, die sicherlich einen ordentlichen Brass auf ihn hatten. „Und was ist mit ihm?“ Ich nickte in Nunos Richtung und führte mich auf wie eine garstige Schwester, die ihrem Bruder das selbe Unheil wünschte. „Natürlich kommt Nuno mit.“ Bestimmte sie, stand auf und strich ihm über die Schulter. Nuno sah zu ihr auf und lächelte sie zuckersüß an, alter Schleimer.

„Ich zeig dir mal das Kleid.“ Lächelte sie und verschwand aus der Küche. Ich sah mich schon in reichlich Tüll und Rüschen gewickelt und aufgeplustert wie ein Wattebausch. Genervt sah ich Nuno an, der sich unter schlimmsten Umständen versuchte, das Lachen zu verkneifen, mit wenig Erfolg.
Mum kam mit einem Kleiderschoner in der Hand zurück und strahlte. Ich traute mich kaum hinzusehen. „Du wirst wunderschön aussehen.“ Flüsterte sie und zog die Hülle ab. Wenn ich es auch nicht für möglich hielt, war ich angenehm überrascht. Sie hielt ein hellrosafarbenes, schmal geschnittenes, bodenlanges Kleid aus Seide in Händen, das nur von schmalen Trägern gehalten wurde und aus einem Karton, den sie sich unter den Arm geklemmt hatte, holte sie die passenden, viel zu hohen Schuhe heraus. „Wow.“ Entfiel es Nuno, ich hingegen starrte es nur an. „Los, probier' es mal an.“ Bat sie mich etwas drängend und marschierte ins Schlafzimmer. „Na los, nicht so schüchtern.“ Scheuchte mein Dad mich auf und ich folgte ihr, wenn immer noch etwas zögerlich.

„Mum! Ich kann mich allein anziehen.“ Maßregelte ich sie und wies mit dem Kopf zu Tür. „Ja, ja bin schon weg.“ In der Tür drehte sie sich noch mal um. „Willkommen zu Hause, mein Schatz.“ Sie war überglücklich, dass ich meinen Weg hierher gefunden hatte.

Ich stand vor der Spiegeltür des Kleiderschranks und besah mir diesen Traum von Kleid. Es saß wie für mich gemacht und es schmeichelte nicht nur meiner Figur, sondern auch meiner dunklen Haut. Ich drehte mich von links nach rechts und besah mich aus jeder Perspektive. Ich hätte wahrscheinlich einen Handstand machen können und es hätte immer noch atemberaubend ausgesehen. Es klopfte an der Tür. „Schätzchen, brauchst du Hilfe?“ Ertönte ungeduldig die Stimmer meiner Mum. „Ich komme.“ Rief ich zurück und stöckelte auf den ungewohnt hohen Hacken los, dann warf ich die Tür auf und schritt wie eine Grande Dame in den Flur und von dort in die Küche. Mit großen Augen wurde ich bewundert. „Du solltest öfters Kleider tragen.“ Stotterte Nuno und sah mich mit offenem Mund an, den ich mit einer Handbewegung wieder zuklappte. „Und das macht es perfekt.“ Sagte Mum und legte mir einen passenden Schal um die Schultern, der etwas zurück rutschte und in meinen angewinkelten Armbeugen landete. Wenn es auch wirklich das schönste Kleid war, was ich bis jetzt besaß, so machte es den Anlass, zu dem ich es ausführen sollte, nicht reizvoller. Nachdem es ausgiebig bestaunt und für gut befunden wurde, schmiss ich mich wieder in mein Gammelzeugs und meine Lieblings- Vans.

Ich hatte mir vorgenommen, Jakes Einladung zu boykottieren, ich fand es heuchlerisch, mich wider zu ihnen zu gesellen, als wäre nichts gewesen. Ich wusste gar nicht, ob ich es überhaupt wollte. Am meisten fürchtete ich die Begegnung mit Sam. War er derjenige, den ich auf die mieseste Tour, ohne Erklärung, ohne den Hauch einer Chance, sitzen ließ. Vor dieser Begegnung schlotterten mir echt die Knie, da auch ich überhaupt keinen Schimmer hatte, wie es mir dabei gehen würde. Vielleicht würde auch der seltene Fall eintreten und es wäre völlig in Ordnung, so war das eine Überlegung, die ich mir sehnlichst wünschte. Aber was wäre, wenn alte Gefühle geweckt würden, dieser Gedanke ließ mich schaudern. Ich ging auch fest davon aus, dass er jemand anderen an seiner Seite hatte. Immer hin war er ein schniekes Kerlchen, auf jeden Fall vor ein paar Jahren. Ich war mir sicher, sie würden alle bei Jake herumlungern und so könnte ich ungestört einen kleinen Strandspaziergang unternehmen, ohne einem von ihnen in die Fänge zugeraten.

„Sollen wir?“ Fragend sah ich Nuno an und zog meine Jacke über. Nickend stand er auf und wünschte meinen Eltern noch einen schönen Abend. Natürlich ließ meine Mum ihn so nicht gehen, der Junge könnte sich ja erkälten, so zwang sie ihm noch eine Jacke meines Dads auf und es machte den Eindruck, er genoss die Fürsorge meine Mum. Vor dem Haus schlug ich den Weg zum Strand ein, Nuno sah mich irritiert an. „Kommst du nicht mit?“ Fragte er etwas erstaunt und ging langsam zu Jakes Haustür. „Ich brauch' ein bisschen frische Luft.“ Murmelte ich, winkte ab und lief langsam dem Stand entgegen. Ich konnte hören, wie er anklopfte, dann leises Gemurmel. Kurz warf ich einen Blick über meine Schulter und sah wie Jake in der Tür stand und mir nachsah, sein Ausdruck schien etwas gekränkt. Noch bevor er die Tür schloss, wandte ich den Blick ab und ging unbeirrt weiter. Wenn ich die Idee unbehaglich fand, dass Nuno allein dorthin marschierte, sie konnten ihm ja erzählen was sie wollten und selbst, wenn sie ihm die Wahrheit erzählten, herzlos würde ich so oder so dastehen. Ich wusste gar nicht, was ich mir so einen Kopf darüber machte, erfahren würde er es wahrscheinlich so oder so, früher oder später.

Ich lief den First Beach entlang und musste feststellen, dass sich in all den Jahren überhaupt nichts verändert hatte, als stünde die Welt hier still und Zeit hätte keine Bedeutung. Würde ich in hundert Jahren hier entlang schlendern, würde es unter Garantie immer noch genau so aussehen. Es war schon fast unheimlich, bedeutete Stillstand nicht auch Rückschritt. War Veränderung nicht der Antrieb dieser Welt, der alles am Laufen hielt? Ich verwarf diese viel zu schwierigen, elementaren Gedanken und begann, vereinzelte im Sand liegende Steine vor mir her zu schießen. Der ohnehin schon graue Himmel verdunkelte sich weiter durch die untergehende Sonne, doch der Regen hatte aufgehört. Ich lief den Strand so weit, bis ich an die Felsen kam, die den First vom Second Beach trennten. Ich drehte mich um und lehnte mich dagegen, weit legte ich den Kopf in den Nacken und betrachtete das schnelle Dahinziehen der immer dunkler werdenden Wolken.

Ich hatte in diesem Moment überhaupt keinen Plan, wie ich mich fühlte. Auf der einen Seite fühlte ich nichts, auf der anderen Seite war genau dass das Problem. Sollte ich mit diesem Ort nicht sehr viel mehr verbinden und Gefühle über mich herein brechen, dass ich es verfluchen würde. Es verwunderte mich, aber es fühlte sich keinen Moment schlecht an. Dann versuchte ich meine Gedanken auf das Wesentliche zu fokussieren und das war in dem Fall mein Leben nach dieser kleinen Stippvisite. Doch selbst zu diesem Thema wehrten meine Gedanken sich, irgendetwas Produktives an den Tag zu legen, als hielt eine fremde Kraft alles außen vor. Als wäre der einzige Sinn, warum man hier war, einfach nur zu sein. Kein Denken, keine Erinnerung, nur eine absolut freie Fläche. Es war wohltuend, die ungeliebten und schwierigen Gedanken nicht denken zu müssen, es war fast zu leicht, einfach nur zu sein. Langsam rutschte ich den Felsen herunter und hockte mich hin. Noch nie konnte ich so abschalten und an nichts denken. Doch jetzt, da so einfach war, merkte ich wie voll mein Kopf sonst war, wer und was alles meine Aufmerksamkeit forderte und sie auch bekam, ob verdient oder nicht.

War das die Selbstfindung, die meine Mum vor Jahrzehnten hoffte, hier anzutreffen? Glückwunsch, mich hatte es soweit ereilt, dass mir klar wurde, wie lieblos mein Leben in den letzten Jahren verlaufen war. Es war wenig erstrebenswert, einfach nur zu funktionieren, aber das Ausschalten der Gefühle war eine nötige Konsequenz. Da der dafür vergeudete Platz viel sinnvoller genutzt werden konnte. Vielleicht mit noch einem mies bezahlten Job, um das sauer verdiente Geld den Leuten in den Rachen zu werfen, die mir einbläuten, wie eiskalt man zu sein hatte, um jemand zu werden, der die Bewunderung anderer wert war.

Somit verteufelte ich nicht nur meine Herkunft, sondern auch noch das, was aus mir geworden war. Langsam aber mit schauriger Gewissheit, stieg Wut in mir hoch. Hatte ich denn alles falsch gemacht? Das war einer der Momente, in denen ich am liebsten meine sieben Sachen gepackt hätte und wie gewohnt bei Nacht und Nebel in ein anderes Leben entschwunden wäre. Flucht! Es war eine grandiose Sache, wenn die Vergangenheit mich nicht wieder irgendwann, irgendwo einholte und mir einmal mehr zu verstehen gab, dass man nicht vor sich selber davonlaufen konnte. Fehler waren dazu da, dass man sie machte, wenn es auch weniger schmerzhaft war, aus den Fehlern anderer zu lernen. Das Studium war mein Alleingang, meine Entscheidung, von der nur die Wenigsten erfuhren und niemandem räumte ich ein Mitspracherecht ein. Niemand durfte mit mir abwägen, ob es richtig oder falsch wäre. Ich fand ,es war damals der richtige Weg für mich. Aber wäre ich ehrlich mit mir und würde ich endlich aufhören, mir glaubhaft etwas vorzumachen, könnte ich mir vielleicht eingestehen, dass ich schon lange nicht mehr glücklich war. Doch würde mit diesem Geständnis auch die Einsicht kommen, ich wäre an meinem Traum gescheitert. Das Leben musste im Gleichgewicht gelebt werden, doch mein Leben geriet aus den Fugen und fand nicht den Weg zurück. Ich hätte schreien und toben können, da jeder der Menschen, die hier lebten, die ich zurück ließ, es mir vorhalten könnten, wie elendig ich gescheitert war. Doch diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Ich war noch nicht fest genug auf den harten Boden der Realität aufgeschlagen, als dass ich meinen Stolz aufgegeben wollte.

Ich sprang auf die Beine und trat den Heimweg an. Schon vom weiten sah ich die Häuser, gemütliches, warmes Licht schien aus den Fenstern. Der Gedanke, dass Nuno Zeit mit den Leuten verbrachte, die mir einst so viel bedeuteten, fühlte sich komisch an. Er drinnen bei ihnen und ich draußen, außen vor, allein. Es war damals meine Entscheidung, die ich traf, jetzt musste ich damit leben. Je näher ich kam, um so lauter wurde das Stimmengewirr. Ich erkannte Jakes Lachen, dann Leah, die etwas erzählte. Bei ihrer Stimme ließ ich die Schultern hängen, ungewollt seufzte ich. Leah und ich hatten viele schöne und vor allem lustige Stunden miteinander verbracht. Ich stufte Jakes Einladung als Versuch ein, einander wieder etwas besser kennen zu lernen und vielleicht zu verzeihen. Aber war ich mir auch bewusst, dass sicher nicht jeder wie er handeln würde. Dazu würde ich auch Leah zählen. Tiefer vergrub ich meine Hände in den Jackentaschen und schlich die Stufen der Veranda hinauf. Doch bevor ich die Tür aufschloss, kam mir in den Sinn, wie Nuno später rein kommen wollte, er hatte keinen Schlüssel und da ich nicht wollte, dass er weder meine Eltern noch mich aus dem Bett holte, rang ich mich, wenn auch nur widerwillig, dazu durch, ihm meinen Schlüssel zu bringen. Ich schloss die Tür auf und lehnte sie an, dann ging ich ein Haus weiter.
Im Vorbeigehen warf ich einen Blick durchs Fenster. Nuno sah auf der Couch zwischen Jake und Embry, rechts von ihnen saß Leah. Doch konnte ich nicht alle sehen, deren Stimmen ich durch das auf Kipp gestellte Fenster hörte. Vor der Tür kratzte ich allen Mut zusammen und klopfte leise. Es dauerte einen Moment, bis sie geöffnet würde. Überrascht sah Jake mich an. „Hey, komm rein.“ Bat er mich, das überschwängliche Lachen wich. Kurz schüttelte ich den Kopf, als ich wieder auf und nur für einen Moment an ihm vorbei sah, trafen mich Pauls Blicke. Sie waren verachtend, für einen Augenblick musterte er mich abfällig, dann wandte er sich den anderen wieder zu. Es fühlte sich so grauenhaft an. „Gibst du den bitte Nuno?“ Flüsterte ich etwas kleinlaut, senkte erneut den Kopf und hielt ihm den Schlüsseln hin. „ Ja klar, kein Problem.“

Wie schon vorhin, als ich den Weg zum Strand eingeschlagen hatte, sah Jake mich bedauernd an. Er hielt seine Hand unter meine und vorsichtig ließ ich den Schlüssel hinein gleiten. „Danke.“ Murmelte ich und war im Begriff zu gehen. „Aleu.“ Nach ein paar Schritten drehte ich mich noch mal um. Jake hatte die Tür ein Stück zugezogen, etwas misstrauisch beobachtete ich sein Näherkommen. Er hob eine Hand und legte sie auf meine Schulter. „Ich freue mich wirklich, dass du wieder hier bist.“ Seine Worte waren aufrichtig, das verrieten seine Augen, sein Gesicht, seine ganze Körpersprache. Gequält versuchte ich ihm ein Lächeln zu schenken und nickte. „Gute Nacht.“ Hauchte ich und setzte meinen Weg fort. „Bis morgen.“ Rief er mir hoffnungsvoll nach und hob eine Hand. Auf der Veranda drehte ich mich noch mal zu ihm um und nicht nur seine Stimme klang voller Hoffnung, sein Blick war bittend. „Ja. Bis morgen.“ Flüsterte ich und verschwand ins Haus.

Ich fühlte mich hundsmiserabel, als ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch schlich. Könnte Jake nicht so wie Paul, einen Mordsbrass auf mich haben, dann wäre es so viel leichter. Sie würden mich hassen, ich würde sie links liegen lassen und in ein paar Tagen würde ich verschwinden, wie ich es schon einmal getan hatte, ohne schlechtes Gewissen, ohne Menschen zurück zulassen, die ich wieder zu mögen begann und sie so auch vermissen würde.

Nachdem ich fix und fertig im Bett lag, schweiften meine Gedanken zu Ally und es lenkte mich etwas ab. Ich fragte mich was sie gerade machte, sie fehlte mir und ich nahm mir vor, sie morgen mal anzurufen. Ihr sonniges Gemüt würde mich vielleicht anstecken und ich könnte meine momentane Situation aus einem anderen Blickwinkel sehen und dem ganzen etwas Positives abgewinnen. Diesen Gedanken nachhängend schlief ich ein.

Ein leises Rumpeln und warme Hände ließen mich müde die Augen öffnen. Schemenhaft sah ich, wie jemand über mich gebeugt war und mich vorsichtig zur Seite schob. Ich vermutete, es war die Umgebung und die Gedanken, die ich für gewöhnlich mit meinem zu Hause verband. „Sam?“ Hauchte ich verschlafen und kam der sanften Bitte dieser Hände nach und rutschte etwas an die Seite. Wenn es auch schon lange her war, schien er immer noch ziemlich tief in meinem Inneren verankert.
„Nein, ich bin' s.“ Vernahm ich Nuno leise und hätte mich für meine Worte ohrfeigen können, somit erfuhr er Dinge, die ihn nichts angingen. Er kroch neben mich ins Bett und warf leise seufzend die Decke über sich. Nach einem Moment der Stille räusperte er sich leise.

„Er ist nett.“ Flüsterte Nuno dicht an meinem Ohr. „Wer?“ Fragte ich etwas irritiert und war wacher, als es mir lieb war. Das Gefühl, das er mit seinem unerwarteten Erscheinen in mir wach rief, in Verbindung mit meinen Gedanken, erfüllte mich mit ungewohnter Wärme. „Sam. Er ist echt nett.“ Die Wärme wich und Wehmut machte sich breit. „Hmmm.“ Knurrte ich leise und drehte ihm den Rücken zu, ich wollte nicht weiter an Sam denken und bereuen. Ich wusste, wie nett er war, wie unbeschreiblich ansteckend sein Lachen war, wie liebevoll seine Hände waren, wie gut er immer gerochen hatte und wie unbeschreiblich er mich mit seinen wunderschönen dunkelbraunen Augen angesehen hatte. „Er hat dich vermisst.“ Mit diesen seinen Worten, wollte ich Nuno den Hals umdrehen. Mein Magen brannte und zog sich zusammen. Allein der Gedanke, dass Sam vorhin, als ich an Jakes Tür geklopft hatte, da war, war schwer genug zu ertragen und Nuno machte es unerträglich. „Lass' gut sein.“ Knurrte ich und schnaufte wütend. Doch schien er den Ernst der Situation nicht zu erkennen. „Er hat es mir selbst gesagt.“ Flüsterte Nuno erneut und schien sich zu mir zu drehen. Wütend wirbelte ich herum und erwischte ihn mit der Hand im Gesicht. „Aua.“ Maulte er leise vor sich hin. „Wenn du weiterhin vorhast, die Nacht in diesem Bett zu verbringen, dann halt verdammt noch mal deine Klappe!“ Das wenige Licht der Laterne, die einige Meter entfernt am Straßenrand stand, ließ mich erkennen, wie entsetzt er mich ansah. „Ist das angekommen!“ Fauchte ich, um unmissverständlich klar zu machen, dass dieses Thema hier unerwünscht war. Vorsichtig nickte er und verlor kein Wort mehr, über gar nichts, er tat es mir gleich und drehte mir den Rücken zu.

The day before




Chapter 3

Grelles Licht vertrieb den Schlaf, ich versuchte blinzelnd die Augen zu öffnen, doch es war so hell, dass ich sie sofort wieder schloss. Ich drehte mich auf die Seite, um der Helligkeit irgendwie zu entkommen und drückte mein Gesicht gegen Nunos Seite, der friedlich und leise vor sich hinsägte. Angenehm dunkel wie es jetzt war, konnte ich in Ruhe wach werden. Ich sortierte meine Gedanken und prompt fiel mir unsere kleine Auseinandersetzung der letzten Nacht ein. So nahm ich mir vor, so zu tun als wäre nichts gewesen und es auf sich beruhen zulassen. Nuno konnte nicht wissen, in was für ein Wespennest er stach, es war nicht seine Schuld. Doch begann der Gedanke an mir zu nagen, was er gestern erfahren hatte, wie viel er wusste und wie es Sam ginge. Diese Fragen würde ich ihm nie stellen, wie sehr sie mich auch quälen würden und nach meinem Ausbruch würde ich wetten, dass er das Thema nicht noch einmal ansprechen würde.

Das leise Schnarchen verstummte und wurde von einem lauten Gähnen und eben so lautstarken Recken ersetzt. Er begann rum zu rumpeln und die angenehme Dunkelheit entfernte sich. „Nicht bewegen.“ Maulte ich leise und hielt ihn fest. Er machte ein nicht zu deutendes Geräusch, dann kicherte er leise. „Lichtscheues Gesindel.“ Flüsterte er heiser. „Hmm.“ Knurrte ich und drückte mein Gesicht fester an ihn. Er war so schön warm und seine Haut roch nach einer Mischung aus Duschgel und Weichspüler. „Hast du gut geschlafen?“ Er legte seine Hand auf meinen Rücken und fuhr langsam auf und ab. „Es geht.“ Murmelte ich, wieder so friedfertig wie er es von mir kannte. Ich war niemand, der leicht aus der Haut fuhr, doch wenn es um bestimmte Themen ging, war ich wie ein Tornado, der aus dem Nichts kam. Wütend, laut und unberechenbar.
„Wie war gestern dein Strandspaziergang?“ Tastete er sich langsam vor. „Sandig.“ Meine Konversationsfreudigkeit hielt sich um diese fast noch nachtschlafende Uhrzeit arg in Grenzen. Es lag mir auf der Zunge, zu fragen wie sein gestriger Abend verlaufen war. Aber ich redete mir ein, ich würde es gar nicht wissen wollen, was würde es auch bringen.

Mittlerweile war ich soweit, dass ich einen nächsten Anlauf wagen wollte und der grellen Helligkeit eine zweite Chance gab. Meinen Arm zog ich zurück und drehte mich auf den Rücken. „Ach Sonnenschein, du siehst traumhaft aus.“ Lachte er und steckte mir seinen Finger ins Ohr, denn er vorsorglich schon mal abgeleckt hatte. „Ahhhhh.“ Mit diesem Geräusch schnellte ich hoch und war voll und ganz wach. „Boah, bist du ekelig.“ Beschwerte ich mich und bohrte mit der Bettdecke in meinem Ohr, um es wieder trocken zu legen. Lachend rollte er sich auf die Seite und mit einem kleinen Schubs beförderte ich ihn komplett aus dem Bett. Unter lautem Gestöhne sah er wieder über den Rand des Bettes und dass mit so einem dummen Gesicht, dass auch ich losgeierte. „Wie ich sehe, bist du schon aus dem Bett, dann mach ma´ Kaffee.“ Er zog eine Braue hoch, wenn seine Augen auch alles waren was ich sah, verrieten sie, dass er grinste. Seine Hand wanderte langsam zurück auf die Matratze und sein Zeigefinger signalisierte mir, dass ich näher kommen sollte. Etwas beugte ich mich vor.
„Näher.“ Flüsterte er. Schon bei seinem Getue musste ich lachen und konnte kaum noch an mich halten. Weiter beugte ich mich vor. „Noch näher.“ Zwitscherte er, als könnte er kein Wässer trüben. Mittlerweile hing ich mit meiner Stirn fast vor seiner. „Und jetzt?“ Giggelte ich los. „Wir beide gehen heute shoppen.“ Breit grinste er und entblößte seine strahlend weißen Zähne. „Hääääh? Shoppen?“ Gerade wollte ich mich wieder zurück fallen lassen, als er meine Gesicht schnappte und es festhielt. Er quetschte es so zusammen, dass ich aussah wie ein Fisch, eingeklemmt in einer Bustür und passend bewegte ich schielend den Mund dazu. Er kicherte. „Wenn du in so einem atemberaubenden Fummel aufkreuzt, kann ich schlecht in den Jogginghosen deines Dads gehen.“ Womit er wahrscheinlich Recht hatte, aber um etwas dergleichen zu bekommen, müssten wir zwangsläufig nach Port Angeles. Allein schon der Gedanke, wieder eine Stunde nach Forks zu laufen, um von da aus eine weitere Stunde im Bus zu verbringen, hielt meine Euphorie in Grenzen. Der Gedanke ließ mich schnaufen. „Na komm schon, dass wird lustig.“ Er ließ mein Gesicht los und ich fiel zurück auf die Kissen. „Aber nur weil du, du bist.“ Maulte ich. „Du bist ein Schatz.“ Schon war er auf den Beinen und auf dem Weg ins Bad.

Wir saßen am Küchentisch und ich sah völlig erstaunt zu, wie er die fünfte Schüssel Cornflakes in sich hinein schaufelte. „Da kann man sich ja ´n Schwein von halten.“ Nuschelte ich in meine Tasse. „Jungs in dem Alter haben eben einen gesunden Appetit.“ Lächelte meine Mom hingerissen und schob ihm die Packung rüber. Jungs? Der Gute war noch ein Jahr älter als ich. Und ich war auch keine Mädchen mehr. Wie vom Donner getroffen sah er auf seine Uhr. „Ohhhh, wir müssen los.“ Noch während er aufstand, schob er sich den Rest hinter die Kiemen. Es wunderte mich, dass er es plötzlich so eilig hatte, eigentlich war es ja egal, wann wir uns aufmachen würden. Er trabte in den Flur und stand schon mit den Jacken parat. „Bleib ma´ locker.“ Versuchte ich seinen Enthusiasmus zu bremsen. Ich raffte mich auf, er stand hinter mir und zwängte mich in meine Jacke.
„Bis später, Mrs. Hunter.“ Trällerte er und schob mich, ohne dass auch ich mich verabschieden konnte, zur Haustür hinaus. Nuno sprang die Stufen hinunter, als ich ihm folgte, traf mich fast der Schlag.

Jake stand neben unserem Haus und schien zu warten. „Na, kann´s los gehen?“ Grinste er Nuno an und gab ihm die Hand. „Na aber sowas von. Hab auch die Modeberaterin eingepackt.“ Kurz nickte er in meine Richtung. Ich stand noch immer wie angewurzelt und starrte sie an. So aus dem Stehgreif hätte ich Nuno den Hals umdrehen können, denn wie es aussah, würde Jake uns begleiten. Am liebsten hätte ich auf der Hacke umgedreht und wäre wieder rein gegangen und dieser Ausflug hatte sich für mich erledigt. Doch mein Gewissen, war der festen Überzeugung, ich könnte Jake nicht schon wieder vor den Kopf stoßen. Mein Gewissen und ich liefen heute nicht konform.

Die beiden marschierten schnurstracks zu Jakes Auto. Alles in mir sträubte sich, dass konnte meiner Meinung nach nicht gut gehen. Erst als die Türen geöffnet waren, drehte Jake sich zu mir um. „Kommst du?“ Wenn er mich auch versöhnlich anlächelte, musste ich mich ganz schön überwinden um seiner Frage nachzukommen. Fast mechanisch setzte ich mich in Bewegung und konnte Nuno gerade noch davon abhalten, nach hinten in den Wagen zu klettern, denn eine Stunde Fahr müsste ich nicht neben Jake verbringen.
Knatternd sprang der Wagen an. „Oh Auspuff?“ Fragte Nuno, als er den Sicherheitsgut anlegte. Jake schnaufte. „Hab schon alles versucht, aber irgendwie bekomm' ich das nicht hin.“ Er legte den ersten Gang ein und fuhr los, ein Formel Eins Wagen war ein Scheißdreck dagegen. „Wenn du willst, schau ich es mir mal an.“ Bot Nuno sich an. Hier wurden keine zarten Bande der Freundschaft geknüpft, es waren massive Drahtseile und es gefiel mir überhaupt nicht. Doch Jake war überaus begeistert, dass er Verstärkung bekam und nahm die Hilfe gerne an.

Hätte man mir am Tag meiner Ankunft verraten, wie sich alles entwickeln würde, wäre ich hundertprozentig wieder zurückgefahren oder ich hätte Nuno aus dem Zug geworfen. Irgendwie vermischte meine Vergangenheit sich mit meiner Gegenwart und Zukunft, dabei hatte ich jahrelang alles daran gesetzt das dies nicht geschehen würde, bis gestern sogar erfolgreich, aber jetzt war alles für die Katz'.

Die beiden fachsimpelten, was mit dem Auspuff wohl los war, ob der Krach überhaupt daran lag und was Jake schon alles versucht hatte. Irgendwann blendete ich ihre Unterhaltung aus und sah aus dem Fenster. Bis der Name ´Sam´ fiel. Mein Kopf schnellte herum und Jake sah mich abwartend im Rückspiegel an. Wie es schien, hatte er mit genau so einer Reaktion gerechnet. „Ja, Sam hat eine Hebebühne.“ Wenn er sich auch mit Nuno unterhielt, sah er mich dabei an. Etwas kniff ich die Augen zusammen und erwiderte böse seinen Blick. Er grinste wissend, fast überlegen. Am liebsten wäre ich nach vorne geschnellt, hätte meine Hände um seinen Hals gelegt und anständig zugedrückt. In mir begann es zu brodeln, fast unkontrolliert. Tief und gleichmäßig holte ich Luft und versuchte mich zu beruhigen, bevor ich den Punkt überschritt, an dem es kein Zurück mehr gäbe. Es machte den Anschein, Jake bevorzugte eine andere Art des Heimzahlens, die nicht weniger schmerzhaft war. Ja, Gleiches mit Gleichem. Ich drehte mich so zur Seite, dass ich nicht mitbekam, ob er mich ansah oder nicht. So versuchte ich auch nicht mehr hinzuhören, damit Jake nicht noch mehr Öl in mein Feuer gießen konnte und ich ihm kein Futter mehr für seine Sticheleien gab.

Seit gestern hatte sich das Wetter kaum verändert. Es war grau und trostlos, gelegentlich begann es zu regnen, ich sah zu wie sich kleine Rinnsale an der Seitenscheibe bildeten und hinunterliefen. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meiner Lethargie. Ein Blick auf das Display hätte mich in wahre Jubelschreie ausbrechen lassen, es war Ally. Als hätte sie gewusst, dass ich etwas Aufmunterung dringend nötig hätte.
„Sag mir, dass bei dir die Sonne scheint.“ Begrüßte ich sie und zur Antwort bekam ich glockenhelles Gelächter. „Und bei dir herrscht Dauerregen?“ Ich seufzte laut. „So kann man dass sagen. Und zwar in allen Bereichen.“ Kurz sah ich nach vorn und mir blieb nicht verborgen, dass die Unterhaltung eingestellt wurde und die ganze Aufmerksamkeit der Herren mir zuteil wurde. „Ist dein privater Sonnenschein doch noch irgendwie aus dem Zug gekommen?“ Lachte sie. „Äh, nein. Der sitzt vor mir.“ Nuno drehte sich um und grinste. „Ist das Ally?“ Kurz nickte ich. „Schöne Grüße aus dem wunderschönen La Push!“ Bölkte er so laut, dass ich es nicht noch mal wiederholen musste. Ally ließ ihn zurück grüßen und besann sich dann wieder auf das Wesentliche. „Und ist es so schlimm wie befürchtet?“ Kurz und bitter lachte ich auf. „Schlimmer.“ Leise seufzte sie. „Mein Angebot steht. Wenn du es nicht mehr aushältst, hole ich dich.“ Ihre Worte war so verführerisch, zu gern hätte ich es angenommen. „Es wird schon gehen. Irgendwie.“ Es war vergebens, wenn man versuchte, Menschen von Dingen zu überzeugen, an die man selber nicht glaubte. „Aleu.“ Tadelte sie mich. „Jetzt lass hören, was dich so nervt.“ Aber wie sollte ich, der Feind hörte schließlich mit. „Ja, nee, ist grad´ schlecht.“ Zum Glück war Ally nicht auf den Kopf gefallen und sie verstand, ohne dass ich es in Worte fassen musste. „Okay, ruf mich an. Wenn du ungestört bist. Dann kotzt du dich anständig aus, danach wird es dir besser gehen.“ Ich beneidete sie um ihre Zuversicht. „Mach ich, grüß deine Eltern.“ Mit diesen Worten beendete ich das Telefonat. Aber selbst wenn wir ungestört wären, was hätte ich ihr sagen sollen? Das meine ehemaligen Freunde, die ich ohne ein Wort sitzenließ und nach LA abgehauen war, mich dissten? Noch während ich das Handy in meine Hosentasche stopfte, sah ich auf und begegnete Jakes undurchschaubarem Blick.

„Aleu. Sag schon. Wie ist der?“ Nuno lief in der Herrenabteilung vor mir auf und ab. Er hatte den zehnten Anzug an, keine Ahnung warum. Alle vorhergegangenen sahen ebenfalls gut aus, aber er war schlimmer als eine Horde Mädchen mit einem unbegrenzten Kreditkartenlimit. Ich ließ den Kopf zurück über die Lehne des Stuhles hängen. „Toll! Er ist toll! Nimm ihn und wir gehen.“ Ich hörte, wie er schnaufte und mit meiner halbherzigen Aussage wenig zufrieden war. „Jake, was meinst du?“ Wandte er sich jetzt an mein Gegenüber. Jake hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und gab zu allem seinen professionellen Kommentar ab, unermüdlich, ohne zu maulen oder zu jammern, dafür hätte ich ihn würgen können. Somit gab er Nunos Perfektionismus immer schön Futter und wenn nicht ein Wunder geschähe, wäre es die erste Nacht, die ich in einem Kaufhaus verbringen müsste. Dann erhob Jake sich und machte einen auf Herrenausstatter. Er zuppelte an der Jacke, krempelte an den Ärmel und ich wartete nur darauf, dass er Nuno die Hose höher zog. Genervt stützte ich den Kopf mit meinen Händen und sah mit einer hochgezogen Augenbraue zu. „Kannst du mal einen Schlips aussuchen?“ Bat Jake mich, ohne aufzusehen. „Damit hänge ich dich am nächsten Kleiderständer auf.“ Knurrte ich leise. „Hast du was gesagt?“ Erkundigte er sich und lächelte zuckersüss. Übertrieben und zynisch erwiderte ich sein Lachen. „Nichts lieber als das.“ Schnaufend stand ich auf und verkroch mich in die Ecke mit der meisten Auswahl.

Ich war versucht, dass hässlichste Stück Stoff mitzubringen, dass ich nur finden könnte. Doch damit würde ich meine Zeit hier nur noch mehr in die Länge ziehen. Ratlos stand ich vor der Wand, an der sie baumelten, in allen erdenklichen Farben, Längen, Breiten und Musterungen. Aber noch bevor ich auch nur im Ansatz etwas auswählen konnte, schlug Jake neben mir auf. „Und? Freust du dich auf morgen?“ Betont langsam drehte ich den Kopf und sah ihn entgeistert an. „Gibt' s einen Grund?“ Blaffte ich ihn an. „So eine Hochzeit ist doch ein freudiges Ereignis.“ Wollte er mich jetzt vollends auf hundertachtzig bringen? „Bin schon völlig aus dem Häuschen.“ Gähnte ich und wandte genervt den Blick ab, ich wollte ihn nicht wissen lassen wie gerne ich ihm an die Kehle gesprungen wäre, aber ich war mir sicher, er wusste um die Wirkung seiner Worte. Da er die weitere Auswahl und Beratung wieder übernommen hatte, kehrte ich zu Nuno zurück, um mich mit einer fadenscheinigen Ausrede davon stehlen zu können. Mit schnellem Schritt ging ich auf ihn zu. Er strahlte und war dermaßen gut gelaunt, dass ich ihn schütteln wollte. Ja mir fiel auf, dass alle sich freuten, nur mich beschlich dass dumme Gefühl, dass es desaströs enden würde. Ich öffnete gerade den Mund, als er mich packte und tanzenderweise durch die Gegend wirbelte. Wie auf Eiern stakste ich herum und versuchte, ihm nicht auf die Füße zu treten. „Was machst du da?“ Lachte er und spielte auf meine wankenden Versuche an. „Kannst du nicht tanzen?“ Legte er nach und brachte meine Laune auf ein neues Tiefstniveau.

Mit schnellen Bewegungen befreite ich mich von seinen Händen. „Klar kann ich das.“ Tat ich es ab und legte erstmal eine gepflegte Hackeschrittkombo, abgewandelt mit ein bisschen Shuffle, hin. „Immer noch die Alte.“ Lachte Jake, als er mit einem Arm voller Schlipse wieder antrabte. „Ich meine Walzer und so ´n Zeug.“ Überlegend sah ich Nuno an. „Sowas brauchte ich noch nie. Bis jetzt.“ Doch erst in dem Moment schwante mir, worauf es hinaus laufen würde. Ohne ein Wort meinerseits, dass ich es auf Teufel komm raus lernen wollte, nahm Jake meine Hand, seine Andere legte er auf meinen Rücken und drückte mich näher an sich. „Ist gar nicht schwer, du musst einfach nur deinem Gefühl folgen.“ Wäre ich meinem Gefühl gefolgt, konnte ich ihm jetzt zwei Tampons anbieten, die sein Nasenbluten stoppen würden. In seinen Armen versuchte ich mich noch hölzerner zu bewegen, da ich nicht mal gefragt wurde, ob ich es überhaupt wollte und ich hasste Bevormundung wie nichts anderes. Jake legte den Kopf schräg und sah mich an. „Du bist immer noch genau so bockig wie früher.“ Wenn er noch einmal die Worte ´wie früher´benutzte, müsste ich ihn an Ort und Stelle kastrieren, unschön aber nötig. Meine Schmerzgrenze war erreicht und ich rang mich dazu durch, bevor es tatsächlich noch Verletzte gab, zu gehen.

„Ruf an, wenn du fertig bist.“ Knurrte ich Nuno im Vorbeigehen an und strafte ihn mit bösem Blick, wenn er auch nichts dafür konnte. Dann verließ ich im Stechschritt das Geschäft, ohne mich noch einmal umzusehen. Wenn ich die vergangenen Stunden mit Jake schon unerträglich fand, durfte ich gar nicht an morgen denken. Es würde ein Spießrutenlauf.
Je weiter ich mich von ihnen entfernt und somit auch meine Gedanken in eine andere Richtung lenken konnte, ebbte die Wut ab.
Lustlos schlich ich an den Schaufenstern der Mall vorbei. Ein lautes, bekanntes Lachen ließ mich aufmerksam werden und versetzte mich gleichzeitig in höchste Alarmbereitschaft. Drei Geschäfte von mir entfernt, traten Leah und Kim heraus, sie waren bester Laune und wie es schien, hatten sie eine Menge Spaß.
Es war der Moment, wenn man sich furchtbar erschreckte und der Magen sich zusammen zog, fast ein bisschen panisch, doch Hauptsache man würde nicht gesehen. Ich drehte mich fast zu schnell zum Schaufenster und studierte gespielt interessiert die Auslage. Zum Glück war es ein Juwelier und kein Fachgeschäft für Herrenunterwäsche oder Stützstrümpfe. Ich betete, unentdeckt zu bleiben, das wäre das Letzte, wonach mir heute der Sinn stand. So ein Glück, dass sie gerade heute und zur selben Uhrzeit hier waren, war für mich ein klein bisschen Zufall zu viel. Während ich weiter zur Salzsäule erstarrte, vernahm ich, wie ihre Stimmen an mir vorbei glitten. ´Gleich ist es geschafft´, versuchte ich mich zu beruhigen, da mein Herz mir bis zum Hals schlug. Erst als ich sie kaum mehr vernahm, sah ich vorsichtig über meine Schulter und hätte fast laut schreiend einen Satz zur Seite getan.

Jared stand dicht neben mir und grinste mich breit an. „Hallo Aleu.“ Ich hatte keine Ahnung, wo in Himmelsnamen der herkam. Ein Schritt tat ich zurück, um den Abstand zu wahren. „Oh, hey.“ Stottert ich etwas überrumpelt und versuchte so zu tun, als wäre ich freudig überrascht. Ein ganzes Stück hinter ihm stand Paul, er musterte mich verachtend. „Wie geht’
s?“ War das Dümmste, dass mir einfiel.“ Er nickte. „Könnte nicht besser sein.“ Er besah mich von oben bis unten. „Du siehst gut aus.“ Mir war so unwohl in ihrer Gegenwart, dass Flucht die einzige Möglichkeit war, die in Frage käme. Doch Paul erlöste mich, wahrscheinlich ohne es zu wollen. „Jetzt komm, Jared. Das ist Zeitverschwendung.“ Wenn seine fiese Absicht auch nur zu gut ankam, waren seine Worte wie eine liebliche Melodie in meinen Ohren. „Na dann. Bis morgen.“ Er flüsterte und beugte sich ein Stück zu mir. Nickend bog ich mich zurück und lächelte gequält. Er drehte mir den Rücken zu und folgte Paul. Ich machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung. Nach ein paar Metern drehte ich mich nochmal um und sah, wie er mit Kim und Leah sprach, die sich darauf hin fast den Hals verrenkten und mich in der Masse zu suchen schienen, noch schneller wurde mein Schritt. Erst in sicher Entfernung wurde ich langsamer. Ich war versucht mich auf den Boden zu schmeißen, zu heulen und zu toben wie ein kleines Kind. Nur um meinen Unmut und meine Wut auszudrücken. Wenn ich vielleicht im Unrecht war, so fühlte ich mich trotz allem ungerecht behandelt und ihre Katzenfreundlichkeit war mir so zuwider. La Push war nicht mehr mein zu Hause, was mir mit jedem ihrer Worte bewusster wurde. Aber wollte ich dort auch gar nicht mehr zu Hause sein. Ich hatte ein Leben, ein anderes, ein besseres, dass redete ich mir wieder einmal glorreich ein.

Ich besorgte mir einen Coffee- to- go und suchte mir eine etwas abgelegene Bank, um nicht entdeckt zu werden, um für mich zu sein und über meine momentane Situation zu brüten. Jetzt als ich alles noch mal Revue passieren ließ, kam mir der Gedanke, ´War Sam auch dabei? Hatte ich ihn nur nicht gesehen?´. Nur kurz schloss ich die Augen, um mich besser konzentrieren und erinnern zu können, kam dann aber zu dem Entschluss, wenn er dabei gewesen wäre, hätte ich es gewusst, ohne ihn sehen zu müssen. Denn dass war schon früher so, wenn er in der Nähe war, konnte ich es fühlen. Doch hatte ich damals einen ganz anderen Draht zu ihm, mittlerweile war es nicht mal mehr ein Bindfaden. Ich tat es ab, was half es, wenn ich mich damit jetzt noch verrückter machen würde, als ich es ohnehin schon war. Ich besah mir die Leute, die an mir vorbei flanierten. Familien, genervte Paare, unglücklich aussehende Singles, ich fragte mich, ob ich auch diese ewige Traurigkeit für andere ausstrahlte, getreu nach dem Motto `keiner will mich´. Es sah so jämmerlich aus. Doch so war es nicht. Obwohl, wenn ich ehrlich war, hatte ich keinen Plan ob mich jemand wollte. Zu lange hatte ich für diese Beziehungskisten keine Zeit, keinen Kopf und kein Herz. Und jetzt stellte sich mir zum ersten Mal, seit ich Sam verlassen hatte, ernsthafte die Frage, würde ich gewollt werden, von irgendwem? Nur um meiner Selbstwillen?
Wow, die Selbstzweifel begannen nicht zu nagen, sie bissen ganze Stücke ab. War ich überhaupt noch liebenswert? Ich war es mal vor Jahren, soviel stand fest. Aber heute? Ich merkte wie ich immer mehr zusammensackte und sicherlich diesen leidenden Singleausdruck drauf hatte. Bis das Klingeln meines Handys mich erlöste.

„Wo treibst du dich rum?“ Fragte Nuno, wie es schien, hatten sie ihre Shoppingtour erfolgreich beendet. „Seit ihr endlich fertig?“ Schnaufte ich und erhob mich langsam, endlich würde es zurück gehen. „Ja, haben gerade noch Jared, Kim, Leah und Paul getroffen. Wollten noch was trinken gehen. Stehen hier vor Starbucks, kommst du hier hin?“ Leise knurrte ich, da mir nicht gefiel, was ich hörte. „Äh, ich muss noch was erledigen. Ruf an, wenn ihr fahrt.“ Ohne seine Antwort abzuwarten legte ich wieder auf, ging die paar Schritte zurück zur Bank und sackte erneut zusammen. Was ein toller Tag, hätte ich das vorher gewusst, wäre ich im Bett geblieben.

Es vergingen geschlagene zwei Stunden, bis Nuno endlich anrief und mich erlöste. Ich war genervt, müde und hatte Hunger, eine äußerst explosive Mischung. Langsam schlug ich den Weg aus der Mall zum Parkplatz ein und hoffte, dort nicht noch auf die anderen zu treffen.
Mit meinen Blicken suchte ich den Parkplatz nach Jakes alter Scheuder ab, mein Orientierungssinn hatte Ähnlichkeit mit einem Brummkreisel. Ein schwarzer Van kam mir entgegen und wurde auf meiner Höhe langsamer. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich hinein und erkannte Leah auf der Rückbank. Mit traurigem Blick sah sie mich an und hob kurz eine Hand. Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen und sah dem Wagen nach, ohne ihren Gruß zu erwidern. Mit jeder bewussten Begegnung meiner ehemaligen Freunde fühlte ich mich schlechter, wie eine Verräterin, eine elendige Heuchlerin, die in dessen Nähe nichts mehr verloren hätte. Ich war definitiv fehl am Platz.

„Da bist du ja. Dachte schon du hättest dich wieder mal heimlich davon gemacht.“ Grinste Jake, als ich sie endlich gefunden hatte. Für nur einen winzig kleinen Moment wollte ich aus der Haut fahren, ihn anspringen und schütteln, ihn anschreien, was für ein verdammtes Problem er hatte. Ich biss die Zähne aufeinander, um nicht Dinge zu sagen, die ich nie wieder zurück nehmen könnte. Mit Wucht warf ich den Beifahrersitz nach vorne, dass ich dachte, die Windschutzscheibe würde klirrend ihren Weg an die frische Luft finden. „Was ist mit dir?“ Fragte Nuno, leicht über mein Benehmen irritiert und steckte den Kopf ins Auto. „Steig ein, ich will nach Hause.“ Fauchte ich ihn an, so war er wieder einmal derjenige, der abbekam, was seinem Sitznachbarn galt. Mit verängstigtem Gesicht reichte er mir seine unzähligen Taschen und Tüten nach hinten, die ich neben mir auf die Bank stopfte.

Jake kurvte vom Parkplatz und endlich ging es zurück und ich wäre nicht länger gezwungen, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Immer wieder sah ich ihn im Rückspiegel an und überlegte, ob es dass wert wäre, wenn ich ihm seine dummen Sprüchen heimzahlte. Seine Sticheleien rumorten tief in meinem Innern und ich wusste, er musste mir mein Verschwinden nur entsprechend vorwerfen und somit auch, wie sehr ich Sam verletzte hatte, ich war sicher, das Echo würde er nicht überleben. Selbst wenn er damit im Recht wäre, wer bekam schon gerne seine Fehler vorgehalten? Ich war weder reumütig, noch stimmte ich ihnen zu und ich vermutete genau das war der Casus knaxus. Vielleicht hatten sie mit einer winselnden Entschuldigung gerechnet, dass ich mich anbiederte und sie anflehte, mir zu verzeihen. Doch sollte jeder Einzelne von ihnen mich besser kennen. Ich war unbezwingbar stolz, wahrscheinlich würde ich mir eher die eigene Zunge abbeißen, bevor ich ihnen nachgab. Doch wäre falscher Stolz nicht das erste Mal der Grund für ein unglückliches Leben.

Es war nicht mehr weit bis wir in die Straße bogen, in der ich den Großteil meines bisherigen Lebens verbracht hatte, mit dem Wahnsinnsblick auf das Meer, der andere verzauberte und zuweilen auch gefangen hielt, manchmal ein Leben lang. Ein seltsam melancholisches Gefühl machte sich breit und ließ mich zweifeln. Nicht nur an dem, was ich getan hatte oder im Begriff war zu tun, sondern an meinem ganzen Sein. Alles was ich war, was mich ausmachte, was ich aus anderen machte. Ich begann mit dem Gedanken zuspielen, Allys Angebot anzunehmen. Wäre es befreiend, einfach wieder zugehen, ohne Erklärung, ohne zurück zu sehen.

„Wir sind da.“ Sagte Nuno, der schon ausgestiegen war und mir seine Hand entgegen hielt. Ich war so in Gedanken, dass ich alles andere komplett ausgeblendet hatte. Erst gab ich ihm seine Taschen an, dann half er mir Gentleman- like aus dem Wagen. „Gehts dir gut?“ Murmelte er leise und begann die Taschen über seinen Arm zu hängen. Kurz sah er auf und mich an. Sein Blick war besorgt, mit einer Hand fasste er unter mein Kinn und hob es an. Mich plagten Selbstzweifel und es blieb ihm nicht verborgen. Nur kurz sah ich an, dann wandte ich den Blick wieder ab und schob seine Hand von mir. „Ja. Alles gut.“ Flüsterte ich, drehte ihm den Rücken zu und ging zur Veranda.
„Das sollten wir wiederholen.“ Rief Jake mir nach. Ich blieb wie angewurzelt stehen, ballte meine Hände zu Fäusten und wollte meiner Wut Luft machen. Wahrscheinlich würde es mich gar nicht so anfressen, wenn Jake einfach seine Klappe halten würde. Er wollte mich sicher soweit bringen, dass mir irgendwann der Kragen platzte. Da war der Weg, den er einschlug, gar nicht so verkehrt. Doch wollte ich für ihn nicht länger so leicht zu durchschauen sein. Langsam stieß ich die Luft aus und drehte mich um. „Sollten wir.“ Ich versuchte, es möglichst entspannt und locker rüber zu bringen. Zu allem Überfluss lächelte ich, ohne dass es gequält, gespielt oder gekünstelt aussah. Auch wenn es Schauspiel auf hohem Niveau war. In dem Moment konnte ich in seinem Gesicht lesen, dass es ihn irritierte. Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten ging ich die Stufen rauf und schloss die Haustür auf.

„Bin wieder da.“ Rief ich in den kleinen Flur und lief die Treppe zu meinem Zimmer hinauf, ohne eine Antwort abzuwarten. Meine Schuhe schoss ich in eine Ecke, warf meine Jacke über den Schreibtischstuhl und mich ins Bett. Die Decke zog ich mir über den Kopf und wollte von der Welt nichts mehr hören oder sehen. Sie war feindlich, sie hasste mich. Aber wenn ich hier war, stand ich ihr in nichts nach.

Kurz lugte ich unter der Decke hervor, als Nuno samt Taschen ins Zimmer stolperte. Er stellte sie zur Seite und setzte sich aufs Bett. Mit einer Hand fuhr er sich durchs Gesicht, dann sah er mich an. „Was ist hier passiert?“ Ohne seine Frage zu beantworten sah ich ihn weiter an. Meine Schlussfolgerung war, er wusste immer noch von nichts. Was es nicht besser machte, im Gegenteil, es wäre erlösend wenn mir jemand diese Antworten abnähme und er mich ohne mein Beisein verurteilte und mich ebenso verachtete wie die anderen es taten. „Was hast du gegen diese Menschen? Was haben sie dir getan? Ist es Grund genug für mich, sie auch nicht zu mögen?“ Seine Fragen ließen mich schnaufen. Nuno war auf meiner Seite, wenn man von Seiten überhaupt reden konnte. Er verdächtigte die anderen, nur ein Wort von mir und er würde mit ihnen brechen. Er war loyal, er zog in Erwägung, ich wäre das Opfer, er war ein Freund. Selbst wenn er Jake, wie es schien, mochte. Würde er unsere Freundschaft noch immer über alles andere stellen. Der Kloß in meinem Hals wuchs und ich fühlte mich hundeelend. Wie er da saß und mich mit seinen treuen Augen ansah. Als wartete er nur darauf, mir den Rücken zu stärken und für mich in die Bresche zu springen, mich zu beschützen. Doch sollten wohl eher die anderen vor mir geschützt werden. Ich fühlte mich winzigklein, verloren und verstoßen.

Nach einer Zeit des Schweigens griff ich vorsichtig nach seiner Hand. „Nimmst du mich in den Arm?“ Es beantwortete nicht seine Fragen, doch sagte so viel aus, dass es ihm zu reichen schien. Ich drehte ihm den Rücken zu, den ich kurz drauf an ihn kuscheln konnte. Sein Arm lag warm auf meiner Seite und seit einer gefühlten Ewigkeit fühlte ich mich geborgen. Als brauchte ich nicht länger umher irren, als hätte ich mein schützendes Segel gefunden. Ich schloss die Augen und in Gedanken war ich um Jahre zurück. Es war nicht länger Nuno, dessen Wärme ich in mir aufsog, es war nicht länger sein Duft, den ich einatmete, es war nicht länger seine Hand, die ich hielt. Ich versuchte das Beben meiner Brust zu unterdrücken, doch leise fanden Tränen ihren Weg. Sie kamen spät, um Jahre zu spät, doch jetzt da ich Sam so nahm war, war der Verlust allgegenwärtig. Hier konnte ich nicht davon ablenken, so wie ich es in LA tagtäglich tat, fast wurde ich gezwungen, mich damit auseinander zusetzen, auch wenn es noch so weh tat. Mit dem Verlust vor Augen, wollte ich nicht wissen, wie es Sam erging. Ich fällte die Entscheidung, er musste damit leben. In dem Moment, als es mir klar wurde, was für grauenhafte Schmerzen meine Entscheidung mit sich brachte, verfiel ich tiefer in meinen Selbsthass. Wie konnte ich damals so gewissenlos handeln, wo war mein Mitgefühl, mein Verständnis, meine Rücksicht? Friss oder stirb, er hatte nie eine Wahl. Ich war ein Unmensch, ein Monster.
Immer hatte ich es eilig erwachsen zu werden, doch wird einem erst bewusst was es heißt erwachsen zu sein, wenn man eigene Entscheidungen traf und noch viel mehr, wenn man mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen leben musste.
Nunos Hand fuhr tröstend über meine und etwas fester schloss sein Arm sich um mich. So wollte ich liegen bleiben, bis zum Tag meiner Abreise. Ich wollte nicht auf diese Hochzeit, ich wollte niemanden mehr begegnen. Wobei das Schlimmste mir immer noch bevorstand und es versetzte mich fast in Panik. Allein der Gedanke ließ die Luft knapp werden und beschleunigte meinen Puls. Wie sollte ich ihm jemals wieder in die Augen sehen können? Ich hoffte, ich müsste es vielleicht gar nicht und durch einen glücklichen Zufall würde mich ein Meteorit erledigen oder auf dem Weg zur Kapelle würde ich einem Berglöwen zum Opfer fallen. Das wäre dann wohl Glück im Unglück.

„Was ist den hier los? Seid ihr so erledigt?“ Der Klang der Stimme reichte, um zu wissen, wer in meinem Zimmer stand. Ich überhörte ihn geflissentlich und hoffte, dass wenn ich mich tot stellte, er wieder abzischen würde. „Hey Mann, ist schon so spät?“ Murmelte Nuno müde und drehte sich zu Jake. „Sam hat den Karren schon hoch gebockt.“ Leise seufzte ich. Nuno stand auf und nahm seine tröstliche Wäre mit. Ich hörte wie Jake fragte, ob ich schlief und wie zum Beweis stöhnte ich leise vor mich hin. „Ja, ihr ging es nicht so gut.“ Da war der Freund, den ich hier so nötig brauchte, der mich schützte und mir den Rücken stärkte. Der mir in dem ganzen, selbst eingebrockten Chaos meiner Vergangenheit ahnungslos zur Seite stand. Es war der erste Moment, in dem ich dankbar war, dass er den Zug nicht mehr rechtzeitig verlassen konnte. War es Fügung? War er die Stütze, die ich hier dringend brauchte, um das alles irgendwie auszuhalten? Ich begann, Gedanken daran zu verschwenden, ihm zu erzählen wie die Dinge lagen und tief in mir hoffte und redete ich mir ein, er würde mich verstehen oder mir meinen Alleingang als menschlich anrechnen.

Jake machte ein nicht zu deutendes Geräusch, dann hörte ich, wie sie leise flüsternd das Zimmer verließen. Jetzt da die Luft Jake- frei war, öffnete ich die Augen und sah zum Fenster hinaus in den grauen Himmel. Hier schien so selten die Sonne, dass es zusätzlich auf meiner Seele lastete. Da ich es hier als ziemlich unerträglich empfand, begann ich zu überlegen, wann ich das letzte Mal wirklich glücklich war und das Leben, so wie es war, liebte. So glücklich dass ich die Welt umarmen wollte. Ich wusste es nicht, zu lang war es her, als alles noch einfach war.

"Aleu?" Erklang die Stimme meines Dads. Müde drehte ich mich zu ihm. Er stand im Türrahmen, sein Blick wandelte sich und nahm einen besorgten Ausdruck an. "Was hat mein Mädchen?" Langsam kam er näher und setzt sich auf die Bettkante, so wie er es früher hundertfach getan hatte, wenn ich als Kind krank war. Er nahm meine Hand und tätschelte sie. "Soll ich dir einen Tee machen?" Das war sein Allheilmittel, Tee schaffte jedes Problem aus dem Weg, wenn auch nur für den Augenblick. Kurz nickte ich und wollte wieder Kind sein. Zwar arm, aber beschützt und geliebt im Schoße meiner Eltern.

Save the best for last




Chapter 4

Kurz drauf war mein Dad mit dem Problemlöser zurück und setzte sich erneut auf die Bettkante. Eine Weile schwiegen wir uns an und er besah sich mein niedergeschlagenes Gesicht. Dann begann er wie aus dem Nichts zu erzählen, was sich in der letzten Zeit Belangloses zugetragen hatte. Er schaffte es tatsächlich, mir ein kleines Lachen abzuringen, als er erzählte, dass bei den Calls renoviert wurde und da Embry der Mann im Hause war, wollte und konnte er es sich nicht nehmen lassen, es selbst in die Hand zunehmen. Doch nachdem er einen randvollen Eimer Tapetenkleister auf dem nagelneuen Laminat vergossen hatte, holten sie meinen Dad zu Verstärkung. Er meinte, Embry wäre handwerklich genau so begabt wie ein häkelnder Elefant. Dad malte mit seinen Worten Bilder und ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Embry war schon immer eher ein Feingeist und für handwerkliche oder schwere Arbeiten gänzlich ungeeignet. Ich stellte mir seine Entschlossenheit vor, es zu schaffen und genau so seine Verzweiflung, als er sich eingestehen musste, dass es einfach nichts für ihn war. Manchmal war es nicht das Verkehrteste, wenn man einsah, dass man manches nicht allein schaffen konnte und es zeugte von wahrer Größe, wenn man sich Hilfe holte.

Nach einigen Stunden, die mir wirklich gut taten und es mir sichtlich besser ging, verabschiedete meine Dad sich ins Bett. Ich war ihm dankbar für seine kleinen, aufmunternden Geschichten. Mittlerweile war es Abend geworden und Dunkelheit hatte Einzug gehalten. Ich stand auf und schlenderte zum Fenster, sah hinüber zum Meer, auch wenn es in der Nacht verschwunden war, hörte ich es durch das gekippte Fenster leise rauschen. Es gab so typische Geräusche, die ich unweigerlich mit meinem zu Hause verknüpfte und das Meer war eines davon. Genau so wie Gerüche, die salzige, meeresschwere Luft oder wenn Mom meine Lieblingsbrownies backte oder sie ihr Parfum auflegte, das schon seit ich denken konnte, immer ein und dasselbe war. Es roch blumig, süß, so unverkennbar. Waren dass Dinge, die ich liebte und wie ich jetzt feststellte, schrecklich vermisst hatte. Wie es schien, gab es hier doch etliches, dass ich mochte und es waren für mich einzigartige, unersetzliche Erinnerungen.

Ein leises Husten ließ mich die Vorhänge noch ein Stück weiter zur Seite schieben. Ich sah zwei dunkle Schatten, die nebeneinander her liefen, dann unverständliches Gemurmel. Sie blieben stehen, als würden ihre Wege sich dort trennen. Noch etwas mehr strengte ich meine Augen, meine Ohren an und da war es, das unverwechselbare tiefe Lachen, das ich einst so sehr liebte. Eine gefühlte Ewigkeit hatte ich es vermisst. Ich merkte wie mir warm wurde, mein Magen sich zusammen zog und ich nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Er war es. So nah, nur ein paar Meter entfernt und doch unerreichbar.
Ich wünschte ich wäre unsichtbar, nur um einen kurzen Blick aus der Nähe zu erhaschen, ihn einmal ansehen, in seinen Augen zu lesen, ohne dass er mich sehen könnte und nur ein letztes Mal seine weiche, warme Haut zu berühren. Sehnsucht, nach so langer Zeit. Es war lächerlich, fast erbärmlich. Aber war es genau das, was ich in dem Moment empfand. Sie gingen noch ein Stück weiter, jetzt im Schein der Laterne erkannte ich Nuno, doch Sams Gesicht blieb im Dunkel verborgen. ´Nur noch einen Schritt´, sagte ich leise, als würde ich ihn anfeuern, damit meine drängende Neugierde befriedigt würde. Sah er immer noch aus wie früher? Oder hatte sein Gesicht sich eben so verändert wie Jakes und war vom Jungen zum Mann gereift? Aber wie es schien, blieb der sehnlichste Wunsch unerfüllt. Ich war drauf und dran hinunter zu laufen, um unter irgendeiner fadenscheinigen Ausrede zu ihnen zu stoßen. Doch war ich in diesem nervenaufreibenden Augenblick völlig unkreativ und hätte mich wahrscheinlich um Kopf und Kragen geredet. Sonst war ich nicht auf den Mund gefallen, doch jetzt fast sprachlos. Ich hörte, wie sie sich verabschiedeten und sich die Hände gaben.
´Nein, nein, noch nicht gehen´, flehte ich ungehört und stieß aus Unachtsamkeit eine Vase von der Fensterbank, die mit lautem Gepolter auf den Boden schepperte. Ertappt warf ich noch einen schnellen Blick aus dem Fenster und sah wie Nuno hinauf schaute, grinste und eine Hand hob. Wie ein albernes, pubertierendes Mädchen duckte ich mich und wünschte, ich würde im Erdboden versinken. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen, Gott, war das peinlich. Ich hatte keine Ahnung, ob Sam mich gesehen hatte, doch hoffte ich jetzt fast, dass es nicht so war.Was würde er nur von mir denken?

Noch ehe ich mich ins Bett werfen konnte, kam Nuno die Treppen hoch gestürmt und warf mit Schwung die Tür auf. „Hah!“ Breit grinste er mich an. Etwas erstaunt erwiderte ich seinen Blick und wunderte mich leicht, seine überschwänglich gute Laune ließ auch mich lächeln. „Was ist?“ Fragte ich grinsend und knetete etwas nervös die Hände hinter meinem Rücken. „Wir müssen üben.“ Bestimmte er, warf die Tür zu und kam näher. „Häh?“ Was bitte wollte er so spät am Abend üben? Doch als er mich schnappte und sich in Positur brachte, wusste ich was die Uhr schlug. „Gib' s auf, das ist so sinnvoll, wie Topf schlagen auf einem Minenfeld.“ Schnaufte ich und versuchte, mich galant aus einen Armen zu winden. „Ah, ah, ah, hier geblieben.“ Er zitierte mich zurück und Widerworte wären zwecklos, wenn er etwas unbedingt wollte, hatte er ein Durchsetzungsvermögen, das bewundernswert war. Man konnte es schon fast hartnäckig nennen. „Du willst doch morgen mit mir tanzen.“ Versuchte er mir glaubhaft einzureden. „Hab ich eine Wahl?“ Mit großen Augen sah ich zum ihm auf, seine Hand lag auf meinem Rücken und die andere hielt vorsichtig, fast zaghaft meine. „Nein mein Herz, die hast du nicht.“ Kicherte er und setzte zum Walzer an.

Nach gut zwei Stunden des sinnlosen Herumschiebens hatte ich die Schnauze voll und Nuno Plattfüße. „Ich will ins Bett, ich bin müde.“
Maulte ich in seinen Armen hängend, als würden wir am 'Vierundzwanzig Stunden Hardcore Tanzmarathon' teilnehmen. „Es klappt doch schon viel besser.“ Versuchte er mich aufzumuntern. Stimmt, bei dem letzten Tanz war ich ihm nur zehnmal auf die Füße getreten und nicht wie anfänglich, bei jedem zweiten Schritt. Aber nichts desto trotz, konnte ich Nuno überzeugen, dass es Zeit fürs Bett war.

„Nuno, Alue mein Schatz. Ihr musst aufstehen. Es wird Zeit.“ Flüsterte meine Mom und strich sanft über meine Wange. Als ich die Augen aufschlug, stand sie dicht über mich gebeugt und lächelte. „Es ist noch dunkel draußen.“ Beschwerte ich mich leise und schloss die Augen erneut. „Morgen, Momma Hunter.“ Krächzte Nuno und war auch schon unter den Lebenden. „Möchtest du Rührei zum Frühstück?“ Fragte sie ihn leise und er seufzte vor Entzückung. „Unbedingt.“ Die beiden ergänzten sich ganz wunderbar. Meine Mom war eine Glucke mit Leib und Seele und Nuno liebte es, gehegt und gepflegt zu werden. Mich fragte sie erst gar nicht, mir reichte immer schon eine Tasse Kaffee, aber die war Pflicht. Auf leisen Sohlen verließ sie das Zimmer und ich war versucht, mich der bleiernen Schwere des Schlafes erneut hinzugeben. Doch wusste Nuno das gekonnt zu vereiteln. „Wenn du nicht aufstehst, stecke ich dir den Finger ins Ohr.“ Kicherte er leise. „Dann wirst du einen qualvollen Tod sterben.“ Prophezeite ich flüsternd, ohne ihn anzusehen. Ich konnte hören wie er trocken schluckte. Es ließ mich leicht dämonisch kichern und plötzlich war er schneller aus dem Bett, als dass ich bis drei hätte zählen können. „Mach die Tür hinter dir zu.“ Murmelte ich, drehte mich auf die Seite und zog die Decke höher. Es war so schön warm und kuschelig, ich wollte einfach noch nicht aufstehen. Ich wollte nicht, dass dieser Tag schon begann. Für mich war es noch tiefste Nacht und genau dort wollte ich noch eine kleine Ewigkeit bleiben. Im Dunkeln, im Ungewissen, in meiner kleinen Welt.

Es fühlte sich an, als wäre ich nur für Minuten eingenickt, als ich erneut geweckt wurde, dieses Mal nicht ganz so leise und entspannt. „Alue, jetzt aber. Weißt du wie spät es ist?“ Meine Mom hatte Nerven wie Drahtseile, doch wenn es etwas gab, was sie auf den Tod hasste, dann war es wenn man sich verspätete. Einen Spalt öffnete ich die Augen, imme hin war es mittlerweile hell draußen. „Wir haben noch einiges zu erledigen, Sue ist gleich da und liegst immer noch im Bett. Wie sieht das denn aus.“ Mokierte sie sich und zog mir die warme Decke weg. Das war ein ganz schlechter Einstieg in diesen ohnehin wenig gemochten Tag. „Mom, die Hochzeit fängt doch erst um zwei an.“ Beschwerte ich mich und versuchte, mein mangelndes Interesse so zu rechtfertigen. „Nichts da, raus jetzt.“ Schnaufend setzte ich mich auf die Bettkante und sah sie grimmig an. „Sieh' dich mal an. Wir haben noch einiges zu tun.“ Sie besah sich meine Haare, die wild in sämtliche Himmelsrichtungen standen und dass, trotz ihrer Länge. Ich hätte nichts dagegen, wenn die Eintages- Grippe Einzug hielt oder die Pest oder Cholera, aber wenn man so was mal gebrauchen konnte, war natürlich nichts der Gleichen verfügbar. Leise vor mich hin meckernd verzog ich mich ins Bad und ging duschen.

Im Bademantel schlurfte ich nach unten und hörte sie schon wie einen kopflosen Hühnerhaufen gackern und wie sollte es anders sein, Nuno mittendrin. Sue saß am Küchentisch, meine Mom stand hinter Nuno, sie hatte ihre Hände auf seine Schultern gelegt und lachte. Im Rahmen der Küchentür blieb ich mit verschränkten Armen stehen. „Hey Sue.“ Begrüßte ich sie kurz und hob eine Hand. „Mein Gott, bist du erwachsen geworden.“ Mit diesen Worten und einem leicht gerührten Lächeln stand sie auf. Ich ging ihr entgegen und wir drückten einander. „Lilly, sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Mit beiden Händen ergriff sie meines und sah mich an. „Schön dich mal wiederzusehen, es ist ja ewig her.“ Kurz nickte ich, sie küsste meine Wange und wir setzten uns beide. Mom drehte uns für einen Moment den Rücken zu, dann kam sie mit einer Schale in der einen und mit einem Pinsel in der anderen Hand zurück. Etwas misstrauisch besah ich mir ihr Tun. Sie zog meinen Stuhl herum und schob das Handtuch auf meinem Kopf etwas nach hinten. „Was hast du vor?“ Ich wich ein Stück zurück. „Wir werden dich noch ein bisschen aufhübschen.“ Lächelte sie und begann, mir das weiße Zeugs aus der Schale mit dem Pinsel ins Gesicht zu kleistern. „Ist das wirklich nötig?“ Maulte ich und wich dem nächsten Pinselstrich auf. „Hör auf zu zappeln, sonst hast du es gleich überall.“ Ich hätte sie so oder so nicht davon abbringen können. Also ließ ich es still über mich ergehen. „Sue wird dir gleich die Haare hochstecken, du wirst wunderschön aussehen.“ Meine Mom war voll in ihrem Element, die stand total auf diesen Mädchenkram, dem ich noch nie etwas abgewinnen konnte. Jemand griff nach meiner Hand und kurz zuckte ich zurück. „Ich lackiere sie dir nur.“ Ertönte Sues sanfte Stimme. Gott, ich war in der Beautyhölle gefangen und es gab kein Entrinnen.

Allein der Gedanke, dass ich für dieses völlig überflüssige Tara aufgestanden war, ließ mich innerlich fluchen. Kurz bevor sie mir mit den Gurkenscheiben die Sicht nahm, sah ich wie Nuno interessiert in die Schale sah, einen Finger eintunkte und probierte, ob es essbar war. Sein angeekeltes Gesicht bescherte mir einen Lachflash. „Du bist so ein Horst.“ Lachte ich ihn aus und zu allem Überfluss begann er sich das Zusammengematschte auch ins Gesicht zu schmieren. „Uh, Mr. Crowfeather, was sind wir eitel.“ Zog ich ihn auf. „Ja, ja, der Mann von heute achtet auf sich.“ Breiter wurde sein Grinsen. Er verteilte es, dass es fast an eine Kriegsbemalung heran kam. So war das das Letzte, was ich sah, jetzt sah ich mir die Gurken von Nahem an.

„Was ist denn hier los?“ Hörte ich die etwas entsetzte Stimme meines Dads. „Och Gott Junge, was ist los? Biste nicht schnell genug weg gekommen?“ Vor lauter Prusten, wären mir fast die Gurken von den Augen gefallen. „Armer Junge.“ Wiederhole ich Bruchstücke meines Dads. „Das macht Mann heute. Sollten Sie mal ausprobieren“ Versuchte Nuno seine Gesichtsmaske zu rechtfertigen und meinem Dad anzupreisen. „Ja Phil. Wir haben noch was übrig.“ Kicherte Sue. „Keine Zeit.“ Versuchte mein Dad das Schlimmste abzuwenden. „Ich hab noch Männersachen zu erledigen.“ Dann murmelte er irgendwas von ´Baum fällen und ´jagen gehen´, was uns alle lachen ließ. Kurz drauf hörte ich wie die Haustür ins Schloss fiel, er hatte die Flucht ergriffen

Nach einer gefühlten Ewigkeit unter dieser klebrigen Matsche wurde ich endlich erlöst. Doch dann ging es weiter mit sämtlichen Cremes und Make up. Ich war fast verwundert, dass Nuno das Make up ausschlug. Doch jetzt wusste ich, warum Mom mich mitten in der Nacht geweckt hatte, es dauerte tatsächlich Stunden, ehe sie mit mir fertig waren. Sie benahmen sich, als wäre ich diejenige, die heiraten würde, doch das würden sie bestimmt nicht mehr erleben.

Mit hochgesteckten Haaren und akkurat angemalten Gesicht saß ich noch immer in der Küche. Sue hatte sich verabschiedet und meine Mom rödelte im Bad. Ich musste mich nur noch umziehen, doch das schob ich vor mir her. Mit den Gedanken hing ich immer noch dem gestrigen Abend nach. Als Nuno mit Sam fast vor unserer Haustür stand. Wenn ich gestern alles gegeben hätte, ihn endlich mal wiederzusehen, wurde mir jetzt bei dem Gedanken fast übel. Wahrscheinlich, weil ich heute keine Wahl hatte. Gestern konnte ich entscheiden, heute musste ich, ob ich wollte oder nicht. Ich würde ihm begegnen, früher oder später und diese Gedanken gefielen mir gar nicht mehr. Da die Fluchtmöglichkeiten doch sehr eingeschränkt waren.

„Wie sehe ich aus?“ Mit diesen Worten riss Nuno mich aus meinen Überlegungen. Er lief in der Küche auf und ab, warf sich in Pose und schenkte mir sein schönste Lächeln. Er hätte ohne weiteres die Laufstege dieser Welt beschreiten können. „Wow, du siehst echt heiß aus.“ Grinste ich und nickte anerkennend. Kurz drauf schlug auch mein Dad auf, geschniegelt und gebügelt, die beiden machten richtig was her. „Willst du dich nicht mal langsam umziehen?“ Fragte Dad und richtete seine Manschettenknöpfe. „Ich glaube, das sollte ich.“ Indem hörte ich meine Mom die Treppe herunter schreiten. Keine zwei Sekunden später stand sie zwischen Nuno und Dad. Sie sah wunderschön aus. Ein knielanges, figurbetontes schwarzes Kleid schmeichelte ihrer ohnehin schlanken Figur. „Du siehst toll aus, Lilly.“ Flüsterte Dad und küsste ihre Wange. Sie lächelte, dann sah sie mich an. „Und du gehst im Bademantel?“ Etwas sackte ich zusammen, um mich dann aufzurappeln und in ihrem Schlafzimmer zu verschwinden. In der Spiegeltür des Kleiderschrankes besah ich mir, was Mom und Sue fabriziert hatten, ich musste sie loben, sie hatten ganze Arbeit geleistet und ich war mit meinem Aussehen tatsächlich mal zufrieden. Meine langen dunklen Haare waren zu einem Meisterwerk zusammengesteckt und auch der Lidstrich verlieh dem Ganzen etwas dramatisches.

Indem mein Dad schon leicht nervös an der Tür klopfte, öffnete ich sie und trat heraus. „So noch schnell ein Foto.“ Meine Mom hatte die Kamera parat und schob mich mit der anderen Hand näher an Nuno, der bereitwillig seinen Arm um mich legte. „Wo bleibt nur das Taxi.“ Murrte Dad und sah auf seine Uhr. „Wir können doch schon mal raus gehen, es wird bestimmt jede Minute da sein.“ Sagte Mom leise und schoss gefühlte hundert Fotos. Dann machten wir uns auf den Weg nach draußen. Ich war ganz froh, dass es heute mal nicht regnete, sonst hätten Mom und Sue sich das Theater mit meinen Haaren sparen können. Aber nichts desto trotz war der Himmel grau und wolkenverhangen.
Nachdem wir noch nicht mal eine Minute vor der Tür standen, kamen Jake und Billy aus ihrem Haus. Kurz grüßten wir sie, dann sah Dad wieder auf die Uhr. „Sollen wir euch mitnehmen?“ Bot Billy an und Jake schob ihn weiter zum Wagen. „Alle passen wir doch nicht rein.“ Rief Mom rüber. „Dad und du ihr könnt doch schon mal fahren, sobald das Taxi da ist, kommen Nuno und ich nach.“ Sie schienen einen Moment zu überlegen, fanden die Idee dann doch nicht so schlecht und quetschten sich auf die Rückbank. Jake verstaute noch schnell Billys Rollstuhl im Kofferraum. Er war ungewohnt schick, noch nie hatte ich ihn so aufgebrezelt gesehen. Er warf die Klappe zu und wandte sich uns noch mal zu. „Bis gleich.

Hoffentlich findest du den Weg.“ Er grinste breit und dieses Mal, konnte ich es mir nicht verkneifen und hielt ihm den ausgestreckten Mittelfinger hin, sein Grinsen wurde noch breiter. Dann warf er sich in den Wagen und sie fuhren davon.

„Was hat er immer mit dem ´abhauen und den Weg finden´?“ Fragte Nuno und sah ihnen hinter her. „Ist ´ne lange Geschichte.“ Versuchte ich es abzutun, doch war dieses Mal seine Neugier dermaßen geweckt, dass er sich damit nicht zufrieden gab. „Erzähl schon.“ Genervt verdrehte ich die Augen und wusste, ich würde aus der Nummer nicht so einfach wieder raus kommen. Ein paar Schritt lief ich auf und ab. Jetzt konnte ich mir überlegen, ob ich ihn anlügen sollte oder mit der Wahrheit heraus kam. Doch was sollte ich ihm Scheiß auftischen, wenn ihm irgend jemand anders dann die Wahrheit erzählte. Und wieder war es eine der Situation die ich verfluchte, da mir keine andere Möglichkeit blieb und ich da einfach durch musste. Ich seufzte und ließ die Schultern hängen.

„Als ich mein Studium begann, bin ich einfach abgehauen, ohne einem von ihnen davon zu erzählen, ohne mich bei irgendwem zu verabschieden und nie wieder habe ich mich bei ihnen gemeldet. Ich war einfach weg und habe sie ahnungslos zurückgelassen. “ Okay, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, wenn ich ihm meine inneren Abgründe darlegte, aber jetzt war seine Reaktion abzuwarten. „Es ist das erste Mal, nach der langen Zeit des Studium, dass ich wieder hier bin und du kannst dir vorstellen, dass mich nichts hierher gezogen hat.“ Schuldbewusst senkte ich den Blick, aber nicht weil ich bereute was ich getan hatte, sondern viel mehr, dass seine Worte weniger verächtlich ausfielen. Eigentlich heuchelte ich das Schuldbewusste nur vor.

Er sah mich an und schien zu überlegen. „Wir machen alle Fehler.“ Seine Stimme war weder erbost noch abwertend, sie war ruhig und sanft, wie gewohnt. Er tat ein paar Schritte und legte seinen Arm um meine Schultern. „Man sollte über manche Schwächen hinwegsehen können.“ Seinen Blick heftete er aufs Meer. Überrascht von seinen Worten betrachtete ich sein Profil. Ich hatte nicht so ganz damit gerechnet, denn so wie es schien, legte er viel Wert auf Familie, aber wie es aussah kannte er sich mit menschlicher Schwächen aus und verurteilte sie nicht vorm Zug. Wieso und warum auch immer. Es tat gut, dass es endlich gesagt wurde und er nicht von mir enttäuscht war, da er es von jemand anderem erfahren musste. Ich folgte seinem Blick, eine Zeit standen wir stumm nebeneinander und jeder hing seinen Gedanken nach. Erst das Hupen des Taxis riss uns aus unserer Starre.

Nachdem ich runter gebetet hatte wo wir hin mussten, trat der Fahrer bleifußmässig aufs Gaspedal. Etwas verängstigt sah ich Nuno an und zog kurz die Mundwinkel nach unten, dann aber sah ich es als meinen ersehnten Meteoriten- und Berglöwenersatz. Bei dem Fahrstil hatten wir gute Chancen, niemals an der Kapelle anzukommen. Doch nach nicht einmal zehn Minuten, stiegen wir zwar völlig verängstigt, aber dennoch lebendig aus dem Höllentaxi. Unsicher sah ich mich um und rechnete mit dem Schlimmsten. Doch hatten sich weitestgehend alle Gäste schon in der Kapelle eingefunden. Nur hier und da schienen noch einige Gäste etwas zögerlich oder warteten noch auf irgendwen. Nuno bot mir seinen Arm an und wir stiegen die Stufen empor. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich auf wackeligen Beinen die Kapelle betrat. Fast alle Bänke waren besetzt. Ich verkroch mich in die hinterste, während Nuno weiter nach vorn marschierte und sich zu meinen Eltern gesellte, die uns einen Platz frei gehalten hatten. Mom verbog sich den Kopf und winkte mich zu ihnen, aber ich lehnte kopfschüttelnd ab. Sie zuckte die Schultern und wandte sich wieder nach vorn. Systematisch suchte ich die Bänke ab, ob ich ein bekanntes Gesicht oder immer hin einen Hinterkopf sah, doch war es so voll, dass ich niemanden entdeckte, aber so standen die Chancen gut, dass auch ich unentdeckt bliebe. Etwas reckte ich mich und sah zwischen etlichen Köpfen hindurch bis zum Altar. Jared stand schon wie aus dem Ei gepellt und wartete auf seine Braut. Paul, als Trauzeuge neben ihm und sie kicherten wie Zehnjährige. Pauls Lachen hatte mich schon früher immer angesteckt und so war es heute nicht anders. Breit grinste ich in mich hinein und für einen Moment konnte ich die leicht aufsteigende Panik vergessen. Erst als die Orgel wie ein Donnerschlag einsetzte, zuckte ich erschrocken zusammen.

Die Brautjungfern machten in lavendelfarbenen Kleidern den Anfang. Von denen kannte ich keine. Wahrscheinlich waren es Freundinnen oder irgendwelche Verwandten von Kim. Dann beschritt die Hauptakteurin die Szenerie, von ihrem stolzen Dad geführt. Ihr Kleid war atemberaubend. Sie strahlte Glück und Zufriedenheit aus, Dinge, um die ich sie beneidete. Zwar wäre Jared der Letzte, den ich heiraten wollen würde, doch um diese Zuversicht, die sie in sich trug, war ich wirklich neidisch. Sie sah weder nach links noch nach rechts, ihr Blick blieb auf ihren Bräutigam geheftet, der ihn genau so erwiderte. Sie hatte die Hälfte des Weges schon zurückgelegt, als sich noch ein paar der geladenen Gäste in die Kapelle stahlen. Ich achtete nicht großartig auf sie und sah Kim verzaubert hinterher. Wäre ich nicht nach Los Angeles gegangen, hätte ich diesen Weg vielleicht auch schon beschritten. Wehmut machte sich breit und lag bleiern auf meiner Seele. Erst als ich angestoßen wurde und zu meiner Linken sah, wurde ich abgelenkt und Seth grinste mich breit und freudig überrascht an. Mittlerweile war er größer als ich und sah auf mich hinab.

„Du bist tatsächlich hier.“ Stieß er hervor und noch ehe ich mich versah, warf er seine Arme um mich und drückte zu. Ein lautes fröhliches Glucksen entwich seiner Kehle, so laut, dass die Leute in der Bank vor uns sich um drehten. Zaghaft erwiderte ich seine Umarmung. „Wie geht es dir?“ Flüsterte er und scherte sich nicht um die zischenden Geräusche, die ihn verstummen lassen sollten. „Ganz gut.“ Presste ich durch die Zähne, da er mich immer noch mit gefühlten fünf Bar an sich drückte. Ich war mehr als überrascht, dass er überhaupt keine Berührungsängste hatte und nicht diesen abscheulichen Groll gegen mich hegte. Selbst wenn es gerechtfertigt war. Dann endlich wurde sein Klammergriff lockerer und ich stand wieder auf meinen Füßen. „Du siehst echt toll aus!“ Flüsterte er erneut und beugte sich zu mir. Leise bedankte ich mich und wir wandten uns wieder dem Geschehen zu, doch immer wieder warf ich verstohlene Blicke zu ihm. Gott, er war so groß geworden und doch besaß er immer noch seinen kindlichen Charme.

Nach einer guten Stunde war das ganze Theater vorbei und die Bänke leerten sich. Ich verharrte mit gesenktem Blick in meiner Starre. Die Massen zogen an mir vorbei und Seth blieb an meiner Seite. „Lach mal, Sonnenschein.“ Flüsterte jemand, der an mir vorbei ging. Kurz hob ich den Blick und Nuno kniff mir ein Auge zu. Etwas versuchte ich zu lächeln, eher halbherzig.
Draußen gesellte ich mich zu einen Eltern und versuchte mich, so gut es ging hinter Nuno zu verstecken. Seth stand noch bei uns und unterhielt sich mit ihnen. Kurz drauf setzte sich der ganze Tross in Bewegung, um den Saal zu stürmen, der sich unweit der Kapelle befand. Paul lief ein paar Meter vor uns, er war der Letzte, dem ich heute in die Arme laufen wollte, er würde mich wieder nur zur Minna machen. Nuno drehte sich zu mir um und bot mir seinen Arm, den ich einmal mehr dankend an nahm. Aus für ihn unersichtlichen Gründen verlangsamte sich mein Schritt, bis ich fast stehen blieb. „Ist was?“ Mit fragendem Blick wandte er sich an mich und ich verrenkte mir den Hals, fast war ich mir sicher, Sam unter diesen unglaublich vielen schwarzhaarigen Menschen ausgemacht zu haben. Am liebsten hätte ich Nuno gebeten mich hochzuheben, damit ich mehr sah, um mich seelisch darauf vorbereiten zu können, dass es jetzt soweit wäre. Doch nach kurzer Zeit, war ich mir nicht mehr sicher, ob er es war oder nicht. „Alles okay.“ Murmelte ich und beschleunigte wieder.

In den Räumlichkeiten angekommen, scharrten sich die Gäste um das Brautpaar, um ihre Glückwünsche zu überbringen und die Geschenke los zu werden. Ich verschob es auf einen Zeitpunkt, da sie nicht mehr so belagert würden. So widmete ich meine volle Aufmerksamkeit der Saftschubse, die mit einem Tablett voller Champagner ihre Bahnen zog. Jedes Mal wenn sie wieder an mir vorbei lief, langte ich zu und prickelnd floss es meine Kehle hinunter. Das war das einzig Positive an solchen Festivitäten, Alk im Überfluss und umsonst. Ich flanierte an den Tischen vorbei und zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass es eine festgelegte Sitzordnung gab. Meine Eltern hatten ihre Plätze schon gefunden und ich ging davon aus, dass mein Platz sich an ihrem Tisch befinden würde. Doch nach keinen zwei Minuten wurde ich eines besseren belehrt und nachdem ich einige der Tischgruppen abgegrast hatte, fand ich meinen Namen an dem Katzentisch. Das stand umgangssprachlich für den Kindertisch.

Immerhin hatten sie Nuno auch hierher verfrachtet, zudem noch Seth, womit ich sehr zufrieden war, dann noch Collin und Brady. Das war eine für mich ertragbare Runde, zwar war es gesellschaftstechnisch degradierend, aber was erwartete ich, sicher keinen Platz am Tische des Brautpaares. Den hätte ich bekommen, wenn Paul heiraten würde, aber nur um mich jede Minute quälen und erniedrigen zu können. Der Tisch lag abgelegen, etwas versteckt hinter einer der breiten Säulen, die das Dach des Saals trugen, ich hoffte den Tag mit viel Gesöff und weitestgehend ungesehen hinter mich zubringen.

Nach und nach wurden die Plätze eingenommen. Nuno hatte sich in die ewig lange Schlange gefädelt, um zu gratulieren. Bis der hier aufschlagen würde, war ich mir sicher, würden noch Stunden vergehen. Langsam schlenderte Seth auf mich zu und grinste. „Erst sehen wir uns so lange gar nicht und jetzt...“ Er nahm zu meiner rechten Platz und streckte seine Beine lang unter dem Tisch aus. „Hast du schon gratuliert?“ Kurz sah ich zu der Menschenmasse, dann wieder zu ihm. „Ich bin doch nicht bescheuert, guck dir mal die ganzen Verrückten an. Nää, das mach ich später.“ Er begann mit dem Besteck, das auf den Tischen lag, zu spielen. Ich meinte, ein Rollenspiel von Star Wars wieder zu erkennen, da er Geräusche von Chewbacca imitierte. Bis die Gabel auf den Boden fiel. Leise kicherte ich und schüttelte leicht den Kopf. Er hingegen setzte seine Unschuldsmiene auf und tat, als wäre nichts gewesen. Mit einem Arm hangelte er die Gabel wieder nach oben und tauschte sie mit Collins. Er hatte sich kein Stück verändert, hatte immer noch den Schalk im Nacken und war für einen Lacher gut. Es war genau das, was ich heute zur Ablenkung brauchte, er war mein Ally Ersatz. Ein Sonnenschein mit Hörnern. Er entpuppte sich auch noch als spitzenmäßiger Freizeitkellner und karrte mir literweise Schampus an den Tisch, als er die Nase voll hatte von der Rennerei, brachte er schlussendlich die ganze Flasche und nachdem die halb geleert war, fand auch Nuno seinen Weg zu uns. Mittlerweile leicht angetütert, versuchte ich nicht mehr nicht gesehen zu werden, sonder winkte fröhlich allen zu, die ich kannte und auch denen, die ich nicht kannte.

Nach einer kleinen Ansprache wurde das Buffet eröffnet und alle Ausgehungerten stürzten sich drauf, als wäre es das letzte Mal, dass sie in dieser Woche etwas Essbares zwischen die Kiemen bekämen und Paul allen voran. Der Appetit war mir schon vor Tagen vergangen und ich hielt mich an die flüssigen Angebote. Nuno und die restlichen Herren, die diesem Tisch beiwohnten, stürzten sich in die Schlacht am Buffet und kehrten wider Erwarten, mit vollen Tellern und unverletzt zurück. Gelegentlich pickte ich etwas von Nunos Teller, was besonders gut aussah und wie es schien war er nicht sonderlich futterneidisch. Ich erntete noch nicht mal verwunderte Blicke seinerseits. Dunkel erinnerte ich mich dran, dass er mal etwas von Geschwistern erwähnt hatte, er schien das Teilen gewöhnt.

Ich ließ den Blick schweifen und ging jeden Tisch ab, den ich von hier aus sehen konnte. Und ich fand sie alle an einem Tisch versammelt, bis auf Sam. Das warf natürlich die ein oder andere Fragen auf, die mir aber niemand beantworten konnte, ohne mich auf direktem Wege zu durchschauen. Also wunderte ich mich weiter und lehnte mich zurück.

Nachdem die knurrenden Mägen besänftigt waren, erhoben sich fast im Minutentakt diejenigen, die einen Tost ausbringen wollten. Die einen lobhudelten, die anderen waren Meister des Zynismus und wieder andere schwelgten in der Vergangenheit, doch am Ende wünschten ihnen alle nur das Beste. Nach einer kurzen Zeit, als niemand mehr das Wort ergriff, hoffte ich es wäre vorbei. Aber da nahm nur jemand Anlauf.

Paul erhob sich und schepperte mit dem Löffel gegen sein Glas, dass ich dachte, es würde in Scherben auf die weiße, frisch gestärkte Tischdecke regnen. Kurz räusperte er sich und sah dann breit grinsend auf. Seine Rede glich sehr der der anderen, so dass ich fast nicht mehr hinhörte. Ich schwenkte mein Glas vor mir hin und her, besah mir das Aufsteigen der kleinen Blubberblasen und auf sah ich erst wieder, als Nuno mir etwas zu fest in die Seite stieß. „Aua.“ Maulte ich leise und sah zu ihm rüber. Sein Blick war mit großen, fast erschrockenen Augen auf Paul geheftet. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass nicht nur Paul mich zynisch anlächelte, sondern der komplette Saal mich anglotzte.

Was bitte ging denn jetzt ab? Hatte ich irgendeine Pointe nicht mitbekommen, Dreck im Gesicht oder hatte ich vor Langeweile angefangen zu singen? Sicher war ich mir nicht und genau so unsicher machte mein Blick die Runde.
„Da hat sich doch glatt ein Ehrengast unter die Horde geheuchelt.“ Ertönte Paul Stimme fast theatralisch. Unmerklich zuckte ich zusammen, tat es Nuno gleich und starrte ihn entsetzt an. Doch mit so etwas hätte ich fast rechnen müssen, es war halt Paul. „ Ladies und Gents, nach Jahren des Verschwindens ist sie fast wie der Phoenix aus der Asche empor gestiegen und weilt heute unter uns. Aleu Hunter!“ Zu allem Überfluss begann er zu klatschen, doch niemand setzte mit ein. Entweder würde ich gleich still und heimlich in einer rosa Energiewolke verpuffen oder mit einem lauten ohrenbetäubenden Knall explodieren, ich hatte mich noch nicht entschieden. Jake drückte Paul wieder auf seinen Stuhl und versuchte zu retten, was zu retten war.

„Dieser verfluchte Wixer.“ Knurrte ich leise und schwor mir, dass ich ihn für diese Vorstellung büßen lassen würde. Dass er eine Stinkwut auf mich hatte, stand ihm zu, doch mich hier, vor versammelter Mannschaft dermaßen bloß zustellen. Da war er weit über die Grenzen des Erträglichen und des guten Geschmacks geschossen. Nuno tätschelte meinen Arm, doch war ich so auf hundertachtzig, dass ich ihm die Hand abbeißen wollte. „Mach dir nichts raus, er ist ein Idiot.“ Schnaufte Seth und schüttelte den Kopf. Kurz sah ich noch mal zu Paul, er grinste mich immer noch triumphierend an, doch schien seine Aktion, seinen Wunsch nach Rache, etwas befriedigt zu haben. Sofort wandte ich den Blick wieder ab, sonst wäre ich aufgestanden und hätte..... Keine Ahnung ihm vielleicht in den Haaren gezogen oder gekniffen oder ich hätte mich in den unglaublichen Hulk verwandelt, aber in meinem Zustand wäre es höchstens der unglaubliche Alk geworden und ich hätte ihn voll gekotzt. Obwohl selbst diese ekelhafte Überlegung, durchaus ihren Reiz hatte. Fiel dass dann auch unter ´die Waffen einer Frau´?

Nach und nach kamen die Unterhaltungen an den Tischen wieder in Gange. Es wunderte mich, dass keine typisch blöden Hochzeitspielchen gespielt wurden. Ich hätte dann gerne eins mit Macheten oder Fackeln und Paul als Partner, das wäre ein Spaß geworden. So musste ich mich vorerst damit begnügen, ihn in Gedanken abzumurksen. Mit voranschreitender Stunde begaben Jared und Kim sich auf die großzügige Tanzfläche und hauten tatsächlich den traditionellen Hochzeitswalzer raus und das in einer Perfektion, die jeden anderen wie einen Körperklaus dastehen ließ. Sie glitten über das Parkett und sahen sich dabei völlig verliebt in die Augen. Wenn ich ihnen ihr Glück gönnte, war es mir doch fast zu viel der Liebe. Vielleicht beneidete ich sie auch einfach nur um das, was sie hatten.

Nuno wippte neben mir erst nur mit dem Fuß, dann begann er auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. „Was ist los? Musste Pipi?“ Fragte ich wenig charmant und spielte mit dem Gedanken, mich vom Acker zu machen, von mir aus würde ich auf diesen Hackenbrechern bis nach Hause stöckeln. Hauptsache weg hier. „Wir gehen jetzt tanzen.“ Beschloss er, stand auf und hielt mir auffordernd seine Hand entgegen. „Niemals.“ Knurrte ich und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Wozu hab ich mir den gestern die Füße platt treten lassen?“ Reizend von ihm, dass er mich an meine überragenden Künste erinnerte. Grund genug es abzulehnen. „Sonnenschein, tanz mit mir.“ Jammert er etwas mitleidig und legte den Dackelblick auf. Noch immer verharrte ich in meiner Abwehrhaltung. „Muss ich mir erst Hilfe holen?“ Flüsterte er grinsend und beugte sich zu mir, dann sah er demonstrativ zu Paul. „Wenn ich mit dem fertig bin, dann kannst du Hilfe holen. Weil er die dann braucht!“ Fauchte ich. „Na komm Katze, fahr die Krallen wieder ein. Nur einen Tanz, dann hast du für heute deine Ruhe vor mir.“ Der Gedanke war verlockend. Schnaufend ergriff ich seine Hand und stand auf.

Schon allein der Weg zur Tanzfläche gab mir das Gefühl, ich würde von allen Seiten begafft. Wäre ich narzisstisch verlangt, wäre dieser Moment erstrebenswert, doch so wünschte ich mir einmal mehr, in einem Loch zu verschwinden. Wir liefen an Mom und Dad vorbei, sie nickten mir aufmunternd zu. Für sie war es auch äußerst demütigend, was Paul abgezogen hatte, aber wie es schien, nahm er es mit der Rücksicht auch nicht so genau. Hauptsache er bekam die Genugtuung, nach der er lechzte.

Nuno war so nachsichtig, dass wir uns nach ganz hinten verzogen und nicht direkt im Fadenkreuz der Judges zappelten. Es war auch nicht wirklich ein Tanz, gut, bei uns zu Hause hieß es Schmusebackenblues, doch würde ich sicher keine Tanzschule finden, die etwas Dergleichen anbieten würde. Nach nicht mal einem halben Lied schob Nuno sich ein Stück von mir, abwartend sah ich ihn an. „Aleu, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Kurz nickte ich und wartete jetzt mit Spannung, was passieren würde. „Und genau deshalb muss das jetzt sein.“ Er ließ meine Hände los und trat noch einen Schritt zurück. Was hatte er vor? Wollte er sich die Kleider vom Leib reißen und einen auf Nightfever oder Pulp Fiction machen, mit ganz viel Pech käme noch Dirty Dancing in Frage. Aber noch bevor ich diese Gedanken zu Ende denken konnte, schlitterte Jake in meinen Dunstkreis und grabschte nach meiner Hand. Drückte mich so fest an sich, dass alles Wegschieben vergebens war. „Sag mal, tickst du?“ Versuchte ich ihn möglichst leise anzukeifen, um nicht wieder die Aufmerksamkeit dritter auf uns zuziehen. Sonst hieß es nachher `Ja, ja die von den Hunters macht nur Stunk´.

„Schimpf doch nicht immer mit mir.“ Lächelte er und klimperte mit seinen langen Wimpern. Ich hatte nur ein Knurren für ihn übrig. Ein Song wurde schmusiger, als der vorhergegangene. Gott, wo sollte das noch enden? „So. Es ist Zeit.“ Haute er nach Minuten des Schweigens raus. „Zeit? Zeit für was?“ Giftete ich ihn erneut an. Aber Jake Blicks ging an mir vorbei und er grinste wissend. Ich wollte ihm mit voller Absicht den Fuß mit meinen Pfennigabsätzen durchbohren. Als sich vorsichtig eine Hand auf meinen Rücken legte. Ich hoffte es wäre Nuno, der mich endlich wieder erlösen würde, sonst stände es ganz schlecht um Jake und sie müssten noch einen Notarzt rufen. Ich ließ ihn los, als ich dann aber Nuno mit Leah auf der anderen Seite der Tanzfläche entlang galoppieren sah, drehte ich mich irritiert um.

Für nur einen Schlag setzte mein Herz aus, um dann einen Sprint hinzulegen.
„Darf ich?“ Brummte Sams Stimme samten tief. Mit großen Augen und offenem Mund starrte ich ihn an. Er nickte Jake zu, nahm meine Hand und verringerte den Abstand zwischen uns auf ein Minimum. Seine bekannte Wärme jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Ungewohnt gewohnt, lange vermisst und doch als wäre es das erste Mal. Er senkte den Kopf, sah mich an und ich konnte in seinen Augen lesen. Ihr Ausdruck war nicht verächtlich, kalt oder missgünstig, sie waren liebevoll, einfühlsam, nicht von Hass zerfressen. Erst jetzt erwachte ich aus meiner Starre und sah abrupt nach unten, um dem nicht länger standhalten zu müssen, unsicher und sichtlich überrumpelt. Unkontrolliert begannen meine Hände zu zittern, während seine mich sicher hielten und führten. Ich wusste nicht, ob es der Moment wäre, einen Ohnmachtsanfall hinzulegen oder der Moment, den ich mir in den vergangenen Tagen mehr als einmal vorgestellt hatte. Zögerlich sah ich zu ihm auf. Er hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert, zwar war sein Gesicht markanter und maskuliner geworden, doch hatte es gleichzeitig nichts von seiner Sanftheit verloren. Eine perfekte Mischung.

Jared nebst Gattin schwoften an uns vorbei. „Na das sieht doch spitzenmäßig aus.“ Grinste er, kniff uns ein Auge zu und Kim lächelte hingerissen. „Sie gehören einfach zusammen.“ Hörte ich sie flüstern. Wieder senkte ich den Blick, wenn ich auch kurz vor einem Herzinfarkt stand, hätte ich ihn nicht loslassen wollen. Ich sah zur Seite und suchte Nuno in der Masse. War er eingeweiht, wusste er davon und es war seine Aufgabe mich auf die Tanzfläche zu lotsen oder war das alles rein zufällig passiert? Wirr kreisten die Gedanken und ich konnte sie nicht sortieren. Zu erschreckend, zu vertraut war es, ihm nach so langer Zeit so nah zu sein. Mein Blick blieb an Jake hängen, der dem DJ etwas zu schrie, der darauf hin nickte und sich seinem Laptop zu wandte. Keine Ahnung was der schon wieder im Schilde führte, war er doch immer für eine Überraschung gut, wie auch immer sie ausfiel.

Das laufende Lied verstummte nach ein paar Sekunden und dann wurden ganz andere, viel zu vertraute Töne angeschlagen. Die Erinnerungen wach riefen, dass ich Jake mit einem Kampfschrei den Hals umdrehen wollte. Ich hörte wie Sam leise seufzte, sah wie er leicht den Kopf schüttelte und lächelte. Todbringende Blicke warf ich Jake zu, die er grinsend erwiderte. Es erklangen die ersten gesungenen Zeilen von ´With or Without you´, es war seit einer gefühlten Ewigkeit Sam und mein Lied. Es rissen nie verheilte Wunden auf, hier in seinen Armen, von so vielen Menschen umgeben, musste ich schwer an mich halten, dass Tränen ihren Weg nicht fanden. So groß waren die Abstriche, die ich in den letzten Jahren machen musste und noch ein bisschen bewusster wurde mir, was ich geopfert hatte. Für diesen einen Song, der mich der Verzweiflung so nach brachte, wie ich sie noch nie ertragen musste, wollte ich so tun, als hätte uns nie etwas getrennt. Ich entzog ihm meine Hand, etwas verwundert sah er mich an, dann legte ich sie um seinen Hals und meinen Kopf an seine breite Brust und wir tanzten, wie wir es früher so oft getan hatten. Ich hörte wie er die Luft einsog und seufzend ausstieß. Ich schloss die Augen, um mir vorzustellen mit ihm allein zu sein. Seine Wange lang sanft an meiner Schläfe und ich atmete seinen wunderbaren, bekannten Geruch ein. Einen Moment, nur ein Lied lang, kehrte meine Welt zurück in ihre Bahnen, die sie vor langer Zeit verlassen hatte und jetzt war es wieder im Gleichgewicht, es war vollkommen. In Gedanken ließ ich die mit Sam verbrachten Jahre Revue passieren. Sah sein stolzes Gesicht, als er mir sein erstes eigenes Auto präsentierte, sein ertapptes Gesicht, wenn er vor lauter Stress mal wieder unseren Jahrestag vergessen hatte und jede alltägliche Situation, die er mit seiner unbeschreiblichen Art, zu etwas ganz besonderem machte. Und jetzt war ich hier, von seinen starken Armen gehalten, zu unserem Lied tanzend. Ich verfluchte Jake und doch wollte ich ihm danken.

Nichts desto trotz war ich hin und her gerissen. Nicht wissend was es bringen sollte, aber doch war es so episch und allumfassend, dass ich es nicht ausschlagen wollte. Ich war so unglaublich dumm, dass ich es mir noch schwerer machte, als es ohnehin schon war. Aber schlich sich der Gedanke ein, warum war er nicht wütend und sann auf Rache, bittersüß, so wie Paul es tat, nur um Genugtuung zu erfahren. Natürlich war Paul schon immer ein Hitzkopf und Sam das ganze Gegenteil, aber doch fragte ich mich, warum er so reagierte, wie er es tat. Oder war das Wachrufen der Vergangenheit seine Art der Revange. Rache hatte tausend Gesichter.

Seine Arme schlossen sich fester um mich, als konnte er meine zweifelnden Gedanken lesen und er mir so demonstrieren wollte, dass er mich nur festhielt, nicht mehr und nicht weniger.

Fear to fail




Chapter 5

Die letzten Töne verhallten und ich war mir sicher, jeden Moment würde ich aus diesem Traum erwachen. Noch immer lag mein Kopf an seiner Brust, ich hörte das kräftige Schlagen seines Herzens, nach wie vor waren meine Augen geschlossen, da ich tief in mir nicht wollte, dass es endete.

„Danke.“ Flüsterte er leise, erst jetzt sah ich zu ihm auf und sein Blick ließ meine Knie weich werden. Sein Ausdruck war eine Mischung aus der Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches und zu meinem Entsetzen, Dankbarkeit. Das schmerzte mehr als jedes böse und erniedrigende Wort von Paul oder jede Stichelei von Jake. Ein glühend heißer Dolch bohrte sich in mein Herz und ich konnte, wenn auch nur ansatzweise, fühlen was ich ihm angetan hatte.

Wahrscheinlich wäre ich besser damit zurecht gekommen, wenn er mich angeschrien oder komplett gemieden und ignoriert hätte. Wie konnte er nur so verdammt liebenswert sein, nach meiner miesen Tour, nach all der Zeit. Da ich ihn weiter nur ansah und nicht in der Lage war, auch nur zusammenhängend zu denken, ergriff er erneut das Wort.
„Möchtest du was trinken?“ Er lächelte. Ich hingegen nickte nur etwas ungläubig, da ich immer noch nicht fassen konnte, dass das gerade tatsächlich passierte. Sanft legte er meinen Arm um seinen, tat einen Schritt und vergewisserte sich, dass ich ihm folgte. Nicht für einen Moment konnte ich den Blick von ihm abwenden. Hätte irgendwas meinen Weg gekreuzt, hätte ich es mit vollem Karacho umgerannt oder wäre fürchterlich auf die Fresse gefallen.

Ohne dass er mich fragte, orderte er zwei Ginger Ale. Er hatte meine Vorlieben nicht vergessen. Während wir warteten und ich ihn immer noch wie das siebte Weltwunder anglotzte, wandte er sich wieder zu mir. „Wie geht’ s dir?“ Etwas legte er den Kopf schräg und schenkte mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Dieser liebevolle Ausdruck, seine sanften brauen Augen, wie er leicht lächelte und mich ansah, als wäre ich ihm das Liebste auf der Welt. Wollte er die Wahrheit? Wollte er tatsächlich wissen wie es mir ginge? Würde ich nicht sofort eine Valium bekommen, würde ich vor Nervosität aus den Latschen kippen. „Es geht.“ Stotterte ich mit viel zu hoher Stimme, die meinen inneren Hypercaine wunderbar ans Licht beförderte. „Möchtest du doch lieber was Stärkeres?“ Er nickte zum Barkeeper und grinste. Eigentlich war das eine hervorragende Idee, aber es machte einen schlechten Eindruck, wenn man eine Flasche Wodka oder Rum bestellte. „Das habe ich doch jetzt.“ Plapperte ich verzaubert drauf los und erst nachdem es gesagt war, wurde ich mir meiner Worte bewusst und erstarrte. „Äh......ich......verdammt.“ Jedes meiner Worte ließ ihn genau hinhören und hingerissen über meine Unbeholfenheit, lächelte er.

„Oh man Sam, du hast nichts gelernt. Sie ist die Mühe nicht wert.“ Entsetzt über diese, leider Gottes, wahren Worte, sah ich links an Sam vorbei, der sich eben so echauffiert umdrehte. Paul stand lässig an die Theke gelehnt, die Lippen vorgeschoben, eine Braue hochgezogen und der ewig währende, abschätzige Ausdruck dominierte sein eigentlich hübsches Gesicht. Mit schmalen Augen ließ er seinen Blick auf und abgleiten, um schlussendlich an meinen Augen hängen zu bleiben. Diese Worte aus seinem Mund, konnten nicht mehr Schaden anrichten, als Sam es gerade mit netten Aufmerksamkeiten geschafft hatte. Aber war ich jetzt an dem Punkt, dass mir schlussendlich der Kragen platzte und es reichte, doch wäre es hier ein denkbar schlechter Zeitpunkt. Ich hatte nicht vor, den Hochzeitscrasher zu mimen.

„Du und ich, draußen. Jetzt!“ Knurrte ich, drehte auf der Hacke um, ohne seine Antwort abzuwarten und marschiert zur Tür, die ich mit reichlich Schwung aufwarf und sie gegen die Wand donnerte. Mittlerweile war es dunkel draußen, aber zu meiner Verwunderung immer noch trocken. Entschlossen ging ich die paar Stufen hinunter auf den kleinen Vorplatz und hörte, wie Paul mir folgte, ich hörte sein dreckiges Lachen und die Vorfreude klang in seiner Stimme, wie lange er darauf warten musste und jetzt war es endlich soweit. Dann drehte ich mich zu ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich war angespannt wie ein Flitzebogen und wartete die aufgestauten Aggressionen, die ich gegen ihn hegte, endlich los zu werden. Langsam kam er näher, grinste überlegen, arrogant und fast ein bisschen zu cool. Hinter ihm tauchte Sam auf, der oben an den Stufen stehen blieb. Jake hechtete durch die Tür und wollte sich, so wie es aussah, zwischen uns werfen. Doch Sam stoppte ihn. „Paul! Lass gut sein!“ Rief Jake, aber seine Bitte blieb ungehört.

„So Mrs. Los Angeles, da wären wir. Willst du endlich zu Kreuze kriechen, dass wir dich mit offenen Armen wieder in unserer Mitte aufnehmen.“ Er lachte bitter auf. Ein paar Minuten sah ich mir seine überhebliche Art wortlos an und wiegte ab. „Du bist so eine verdammte Heuchlerin. Du hattest Sam nie verdient.“ Er stand keine Armlänge von mir entfernt und zog eine Fratze, mit dem letzten Satz, der anprangerte und der Wahrheit entsprach, schaltete mein Verstand aus und der Instinkt ein. Mit dem rechten Arm holte ich Schwung und verpasste ihm dermaßen eine auf seine große Fresse, dass er tatsächlich verstummte. Im ersten Augenblick war es unbeschreiblich befreiend, da er mit so einer Aktion nicht gerechnet hatte, taumelnd ging er ein paar Schritte zurück, sah mich ungläubig an und es dauerte etwas, bis er realisierte was tatsächlich geschehen war. Und dann...... setzte sein Verstand aus und er ging auf mich los wie ein Berserker. Da konnten und wollten weder Sam noch Jake bei zusehen und mit einem Satz standen sie neben uns. Jake schnappte Pauls Arm, dessen Hand sich fast mit Schallgeschwindigkeit meinem Gesicht näherte. Sicher hätte es Scheiße weh getan, aber ich hätte es ertragen und dann hätte ich ihm dreckig ins Gesicht gelacht. Was für ein armseliges Würstchen er war, was wollte er mir schon vom Leben und von der Welt erzählen, nie war er aus diesem verschissenen Nest raus gekommen. Was war schon körperliche Gewalt gegen Seelische. Ich hatte mehr mitgemacht, als er es mit seinen Fäusten hätte aufwiegen können.

„Hmm, Lahote du kleines Arschloch, haste die Fresse dick!“ Provozierte ich ihn und ging noch ein Stück auf ihn zu. Ich legte denselben Blick auf, den ich die ganze Zeit von ihm ertragen musste. Brüllend setzte er sich zur Wehr und riss an den Armen, die ihn zurückhielten. Arrogant stemmte ich die Arme in die Hüften und belächelte leicht sein Theater. „Lasst ihn nur los.“ Entgegnete ich ruhig und entschlossen, Sam und Jake sahen sich verwundert an. „Das bringt doch nichts.“ Versuchte Jake es abzuwenden und zu schlichten, er hatte ganz schön zu kämpfen, die eine Hälfte von Paul in Schach zuhalten. „Es muss nicht immer irgendwas bringen. Lasst ihn los, sonst ist es unfair.“ Erwiderte ich, vielleicht einen Tacken zu gnädig. „Hah, unfair. Als wenn du wüsstet, was es bedeutet.“ Brüllte Paul mich an, doch nach und nach fasste er sich und hörte auf sich wie ein wilder Stier zu benehmen.

„Krümm´ihr nur ein Haar.“ Drohte Sam flüsternd, doch war es laut genug, dass ich es mitbekam und ich konnte es nicht fassen. Entgegen jeder Vernunft, jedem logischen und menschlichen Denken beschützte er mich. Meine starke und entschlossene Fassade bröckelte und fiel Stein für Stein.

„Warum?“ Flüsterte ich und sah Sam vorwurfsvoll an, der meinen Blick mit derselben Verzweiflung erwiderte. „Sam! Warum?“ Ich wurde lauter, fast ungehalten, ich konnte sein Handeln nicht verstehen. Er ließ von Paul ab, sah zu Boden und ließ die Schultern hängen, doch war kein Wort von ihm zu hören, was mir auch nur im Ansatz Klarheit gebracht hätte.

„Und wir gehen jetzt rein.“ Knurrte Jake entschlossen und schlörrte Paul, der mich immer noch vernichtend ansah, ohne weitere Gegenwehr hinter sich her. Mit einem Schritt stand ich vor Sam, senkte auch etwas den Kopf, um ihn ansehen zu können. Seine Augen waren geschlossen, er sah aus, als müsste er unsäglichen Schmerz aushalten. Zögernd hob ich die Hände und legte sie auf seine Wangen. Als hätte er nur darauf gewartet, fanden seine Hände meine und er schmiegte sich leise seufzend hinein. „Sam.“ Hauchte ich und wollte ihm den Schmerz nehmen, den ich ihm bescherte. Er sollte es mir aufbürden, alles was ihn bedrückte, was ihn niederdrückte. Ich würde es aushalten und vielleicht würde es meine Schuld ein Stück weit aufwiegen.

„Beschütz´ mich nicht. Hasse mich.“ Hauchte ich mit zitternder Stimme. Er schüttelte leicht den Kopf und sah mich dann mit diesem atemberaubenden Blick an. „Wie sollte ich hassen, was meine Welt ist?“ Er durfte so etwas nicht sagen, noch nicht mal sollte er es denken. Seine Ehrlichkeit, jedes ehrlich gesprochene Wort, versetzte meinem Gewissen Hiebe und meinem Herzen Stiche. Für nur einen kurzen Moment schloss ich die Augen, um die Tränen zuhalten, die still hochstiegen und mir das Reden nahe zu unmöglich machten. Seine Hand löste sich von meiner, sanft fuhr er mir über die Stirn und an der Wange hinunter, ich genoss seine zaghaften warmen Berührungen, erschrocken darüber, dass es so war, sah ich ihn wieder an.

„Du bist ein Schwan.“ Stellte ich überrascht fest. Er belächelte meine Schlussfolgerung. „Ja, kann schon sein.“ Jetzt schmiegte ich meine Wange in seine fast unmenschlich große Hand. Nur Sekunden später fühlte ich, wie er seine Stirn an meine legte. „Wie am ersten Tag....“ Hauchte er. „Nein, hasse mich.“ Bat ich erneut, hob etwas das Gesicht, dass unsere Nasen sich fast berührten, ich hörte wie er die Luft einsog. „Sag mir wie.“ Fast war es ein Flehen, als könnte ich ihm Hass beibringen und erklären und so sein Leben vereinfachen. Hätte ich es gekonnt, ich hätte es getan, doch mit Selbsthass, da kannte ich mich sehr viel besser aus.

„Du hast mir so unbeschreiblich gefehlt.“ Seine Hände fuhren langsam um mich herum und er drückte mich näher an sich. Ich versuchte das aufsteigende Schluchzen zu unterdrücken, aber immer stark sein zu müssen, forderte seinen Tribut, die Grenze dessen was erträglich war, wurde schon vor Monaten überschritten. Resigniert fiel die Anspannung von mir ab, das, was hier stattfand, war ein aussichtsloses Unterfangen. Zwar mit einer gemeinsamen Vergangenheit, aber ohne gemeinsame Zukunft, grundloses Quälen, Begehren, Vermissen und doch war ich für diesen Augenblick unendlich dankbar, ihm so nah sein zu können.

Er beschwor das warme Gefühl in mir herauf, den Sinn und Unsinn des Lebens. Bei ihm fühlte ich mich lebendig, ich musste nicht funktionieren, ich musste einfach nur ich sein, ohne Aufgabe, ohne Bestimmung. Ich musste ihm keinen Nutzen bringen, ich musste nicht beweisen wer und was ich war. Denn war Sam der Einzige, der es wusste. Er kannte mich besser, als ich mich selbst
Aus alter geliebter Gewohnheit legte auch ich meine Arme um ihn und seufzte. Fast war es, dass die Luft um uns zu flirren begann, ungeachtet der Zeit die Sonne aufging und mir einen Weg aufzeigte, den ich einst ausschlug, um meinen selbstzerstörerischen Egotrip anzutreten.

„Es tut mir leid.“ Flüsterte ich und es war aufrichtig. Es tat mir leid was ich ihm angetan hatte und nie könnte ich es wieder gut machen. Selbst wenn man Größe bewies und es Dinge gab, die man verzeihen konnte, so blieben sie doch auf Lebenszeit im Gedächtnis und bei den kleinsten Anzeichen würden sie wieder an die Oberfläche katapultiert werden. Alte Ängste auf ein Neues geweckt und Misstrauen wäre die logische Folge.

„Nein.“ Flüsterte er, hob meinen Kopf, dass ich ihn ansah. „Manchmal ist es nötig, dass Dinge geschehen, die uns wehtun, uns verzweifeln lassen. Sie lehren uns und machen uns zu besseren Menschen. Auch wenn man es selber nicht erkennt. Wenn die Menschen es erkennen, die uns wichtig sind, ist es alles was zählt.“ Sein Gesicht war mir so nah, dass ich seine Wärme fühlte, seine Augen, wie sie mich ansahen, liebevoll und verzeihend. Wie konnte er dem Ganzen etwas Positives abgewinnen? So gut wie er mich kannte, hatte ich das Gefühl, ihn überhaupt nicht zu kennen. Oder hatte LA mich so abstumpfen lassen, dass ich nur das Schlechte in allem sah und den Blick für das Wesentliche verloren hatte. Vielleicht würde es besser, aber nie wieder gut.

„Wusstest du, dass ich zurückkomme?“ Ich kam mir vor als würde ich eine Kristallkugel befragen, die mir alle Antworten darlegen könnte, die ich selber nicht fand. Mit einer Hand klopfte er vorsichtig auf Höhe seines Herzens. „Gewusst? Nein. Gehofft? Jeden vergangen Tag.“ Mit beiden Händen griff ich seine und drückte sie gegen seine Brust. „Hoffen?“ Flüsterte ich bitter und konnte ihn nicht ansehen. „Es gibt keine Hoffnung.“ Meine Verbitterung schwang in jeder Silbe mit. „Sag das nicht.“ Bat er mich leise, sein Ausdruck wurde fast etwas ängstlich. „Wenn wir nicht mehr hoffen, was bliebe dann?“ Ja, was bliebe dann. „Sie mich an.“ Hauchte ich. „Fühle wie ich fühle und du wirst wissen, was bleibt.“ Es schien ihm sichtlich zu zusetzen, was aus mir geworden war. „Angst. Zu versagen, zu enttäuschen, zu zweifeln, zu leben. Vor dem nächsten Tag, der nächsten anbrechenden Stunde, vor mir selbst.“ Die Verbitterung wich und wurde durch grauenhafte Wahrheit ersetzt. Etwas kniff er die Augen zusammen. „Was haben sie mit dir gemacht?“ Seine Frage war berechtigt, nicht mehr viel war von dem einst so lebenshungrigen, fröhlichen Mädchen übrig. Im Vergleich zu früher, war ich nur noch ein trauriger Abklatsch meiner selbst und er konnte sich in dieser Sekunde sein eigenes Bild davon machen. Sie hatten mir die Unschuld genommen, als hätte man einem kleinen Kind den spannendsten, den undurchschaubarsten Zaubertrick verraten und ihm somit unmissverständlich klar gemacht, es gäbe keine Magie, kein Feenstaub, alles nur ein Trick, fauler Zauber, Augenwischerei, grau in grau.
„Oh Gott, Aleu.“ Erneut schlossen seine Arme sich um mich, als wollte er mich nicht nur vor Paul schützen, sondern vor der ganzen Welt. Und dieses Mal ließ ich ihn, ohne Fragen zustellen. Weil es vielleicht genau dass war, was ich wollte, beschützt sein. Nur um für einen Moment meine Zweifel, mein Versagen, meine Ängste zu vergessen. Doch sie kehrten zurück wie ein Bumerang und schlugen ein wie Napalm.

Ich sah zu Boden, als ich mich vorsichtig aus seinen Armen wand. „Es war schön....“ Kurz geriet ich ins Stocken und musste mich selbst überwinden auszusprechen wie es war und zusehen, wie viel Zerstörung meine Worte einmal mehr brachten. Kompliment und Dolchstoß in einem. „....dich wiederzusehen.“ Langsam ging ich rückwärts und hob eine Hand. Seine Arme waren halb nach mir ausgestreckt, er sah mich fragend und irritiert zugleich an. „Mach' s gut. Sam.“ Zögernd drehte ich ihm den Rücken zu und ging. Das war es, was ich zu verhindern versuchte als ich nach Los Angeles ging. Ihn so zu sehen, wie ich ihn zurück lasse, Abschied nehmen, der so brutal war und an mir riss, dass es unmenschlich war. Wieder ließ ich ihn ahnungslos zurück, ohne das Wissen, dass es für mich nichts schönes gab, wenn er mich mit seinen starken Armen hielt, dass er nicht nur meine Welt war, dass er mein Leben war und ohne ihn alles Stück für Stück seinen Sinn verlor und wertlos wurde.

Erhobenen Hauptes, bis ich mir sicher war, dass die Dunkelheit mich verschlungen hatte, ging ich weiter. Um dann die Maske fallen lassen zu können und mit Recht um das weinte, was einst auf Hoffnung und Liebe gebaut wurde, was jetzt ohne Zukunft war.

Ohne das irgendwer Bescheid wusste, schlug ich den Weg nach Hause ein. Laufen war eine gute Alternative, um nachzudenken, ungestört zu weinen, einfach allein zu sein. Nach ein paar Minuten entledigte ich mich von diesen grauenhaften Halsbrecher- High- Heels und lief barfuß weiter. Mittlerweile hatte ich mehr Make up an den Händen als im Gesicht. Laut zog ich die Nase hoch, als ich Motorengeräusche vernahm, doch dessen ungeachtet lief ich weiter und schluchzte vor mich hin.

„Steig bitte ein.“ Bat Jake mit ruhiger Stimme, als er im Schritttempo neben mir herfuhr. Sein Golf knatterte, als wollte er die letzte Fehlzündung von sich geben, um dann das Zeitliche zu segnen. Stur blieb mein Blick geradeaus gerichtet und ich schenkte ihm nicht die Beachtung, die seine nette Aufmerksamkeit verdient hätte. „Aleu. Kleine. Steig ein. Bitte.“ Mit ruhigen Worten versuchte er sich Gehör zu verschaffen. Ich blieb stehen und schnaufte laut, dann sah ich zu ihm rüber. Er warf die Beifahrertür auf und sah mich bittend an. Zu gerne hätte ich ihn wieder mal angeschrien, um einmal mehr meinen Frust los zu werden. Doch hätte er es mir bestimmt wieder vorgeworfen, zu Recht. Er war oft genug zur falschen Zeit am falschen Ort, aber oft auch hatte er es drauf angelegt. „Warum lässt du mich nicht einfach laufen?“ Knurrte ich verständnislos. „Es ist dunkel und du hast noch nicht mal Schuhe an.“ Er zog die Brauen hoch und nickte auf meine nackten Füße. Es waren nicht seine Argumente, die mich überzeugten oder mein Gewissen, das mich quälte, sondern viel mehr, dass es keine fünfzehn Grad waren und ich zitterte wie ein Junkie auf Entzug. Also tat ich worum er mich bat und stieg ein. Er stellte die warme Heizungsluft in den Fußraum und seufzend schloss ich die Augen und genoss, dass das Leben in meine Füße zurückkehrte. Nachdem mir halbwegs warm war, verlangte es in mir nach Erklärungen.

„Wessen Schnapsidee war das?“ Jakes Erklärungsdrang hielt sich arg in Grenzen und fürs Erste schwieg er, da er wusste, wenn ich etwas hörte was mir nicht gefiel, erst recht bei diesem sensiblen Thema, würde ich hochgehen wie die Apollo 13. „Ist das wichtig?“ Murmelte er dann leise.
Tief holte ich Luft, um die Wichtigkeit meiner Frage nicht mit Tritten oder Schlägen untermalen zu müssen. „Jake!“ Knurrte ich erneut und kämpfte gegen die aufsteigende Wut. „Wessen Idee!“ Es war nicht länger eine Fragte, es war ein Befehl. „Ist ja gut.“ Maulte er und sah kurz zu Seitenscheibe hinaus, als wollte er Zeit schinden.
„Meine.“ Murmelte er dann aber kleinlaut. Ich gab ein zischendes Geräusch von mir, das unterstrich, wie ich dazu stand. „Ich sollte viel weniger Paul verhauen, sondern dich. Verdient hättest du es.“ Abschätzig musterte ich ihn. „Ja, wahrscheinlich.“ Presste er zynisch durch die Zähne und sah wieder nach vorn.

„Du bist echt undankbar.“ Durch das laute Rauschen der Lüftung dachte ich erst, ich hätte mich verhört. „WAS?“ Fauchte ich sofort los. „Du hast schon richtig verstanden.“ Wow, jetzt wollte er es aber wirklich wissen. Doch nahm ich mir vor, nicht direkt aus der Haut zufahren, wenn er so anfing, gab es sicherlich noch eine Steigerung. „Danke Jake, Danke, dass du meinen Aufenthalt zu einem absoluten und kaum überbietbaren Alptraum gemacht hast. Stimmt, diesen Dank bin ich dir mehr als schuldig.“ Aus schmalen Augen sah ihn an und reckte theatralisch die Fäuste in die Luft. „Du kapierst überhaupt nichts.“ Knurrte er und man konnte zusehen, wie er mit seiner Fassung rang.
„Halt sofort an!“ Auf so eine Diskussion hatte ich keine Lust, schon gar nicht, dass er mir vorhielt, von dem ich selber wusste, dass es ein Fehler war und ein stinkwütender Jake war noch nie zu unterschätzen. Doch verringerte er das Tempo nicht. „SOFORT!“ In dem ich die Tür öffnete, zwang ich ihn meiner Aufforderung nachzukommen. Er ging in die Eisen und noch ehe der Wagen zum Stehen kam, hatte ich ein Bein draußen.

Scheppernd warf ich die Tür zu, schnaufend und mit schnellem Schritt lief ich weiter, Jake war noch nicht fertig mit seiner Ansprache und rannte hinter mir her. „Wenn du es Sam zu liebe nicht einsiehst, gestehe es dir selbst ein was für einen Bockmist du gebaut hast und hab den Arsch in der Hose und entschuldige dich wenigstens bei ihm dafür. Du hast keine Ahnung, was er mitgemacht hat. Eiskalt und herzlos. Das bist nicht du!“ Mit jedem seiner Worte wurde ich schneller. „Ich habe keine Ahnung warum, aber..... ALEU!!“ Er war außer sich vor Wut, da ich ihm nicht zuhören wollte packte er meinen Arm und hielt mich fest. Keifend drehte ich mich zu ihm. „Lass mich los!“ Zischte ich. Aus seinen tiefbraunen Augen sah er mich an, fixierte meinen Blick und für einen Moment kehrte unbehagliche Stille ein.

„Er liebt dich. Immer noch.“ Mit samtweicher Stimme flüsterte er verzweifelt diese Erklärung der Liebe. Ein gezielter Vorwurf, voll ins Schwarze. „Die ganzen Jahre hat er gewartet, dass du zurück kommst. Er will niemand anderen. Er lebt.....“ Kurz brach er ab und sah zu Boden, um erneut aufzusehen seine Blicke waren flehend. „......für dich.“ Ich war mir sicher, Jake sah die Wirkung seiner Worte, die aufsteigende Panik in meinen Augen, die Angst, die dumm und wahrscheinlich auch unbegründet war. Die mich aber trotz allem zwang, an dem festzuhalten was vor Jahren seinen Lauf nahm und ich tat was ich gelernt hatte, meine Gefühle zu ignorieren und bei Seite zu schieben, um nicht schwach zu wirken und Fehler einzugestehen.

Tief atmete ich durch, schluckte den Kloß hinunter und verdrängte jegliches Gefühl. „In ein paar Tagen bin ich wieder weg. Spar´ dir die Mühe. Wie Paul schon sagte, ich bin es nicht wert.“ Die Entschlossenheit, die meine Worte wider spiegelten, bestärkten mich nur für den Augenblick. Seine Hände streifte ich wehrlos ab, drehte mich um und lief weiter.
„Das bist nicht du!“ Schrie er mir nach. Er wiederholte dieses Satz unzählige Male, doch jedes Mal wurde er leiser. Als würde er sich selbst überzeugen wollen, nur um zu erkennen, dass er an seinen eigenen Worten Zweifel hegte und doch zugleich machte ihn meine augenscheinliche Uneinsichtigkeit wütend.
Jake, so wie alle anderen sollten sich damit abfinden. Ich war so. Das war es, was die Stadt der Engel aus mir gemacht hatte. Eine gestrandete Seele, die trotz aller Verzweiflung wieder zurückkehren würde um den einst gewählten Weg weiterzugehen. Um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ich menschlich gesehen, gescheitert war.

Eine geschlagene Stunde saß ich auf den Stufen der Veranda und hoffte, irgendein Bewohner dieses Hauses würde vor den Blacks zurück sein. Heute hatte ich keine Nerven mehr für Jakes Vorwürfe und sein Gezeter. Mir war arschkalt, meine Hände und Füße büßten langsam das Gefühl ein. Als ich von weitem Scheinwerfer näher kommen sah. Jetzt hieß es hoffen und bangen. Etwas versteckte ich mich hinter dem Geländer um nicht sofort entdeckt zu werden. Kurz drauf kam die Erlösung, es war ein Taxi und Nuno derjenige, der ausstieg, jetzt betete ich nur noch, dass er den Schlüssel meiner Eltern dabei hatte. Wortlos sah ich ihm zu, wie er bezahlte, ausstieg, näher kam und sich zu mir setzte. Ungefragt, ohne ein Wort zu verlieren, nahm er mich in den Arm und rückte näher, dass ich meine Kopf an seine Schulter lehnen konnte.

„Willst du drüber reden?“ Kurz schüttelte ich den Kopf. „Dachte ich mir.“ Entgegnete er und sah weiter verloren in die Dunkelheit. Doch ließ ihn das Thema nicht los. „Was hast du Sam gesagt?“ Nuno sah mich an und wartete auf eine Antwort, die ich ihm aber schuldig blieb. „Der war fix und fertig.“ Sein Arm, der um meine Schultern lag lockerte sich, auf eine Art und Weise, dass ich das Gefühl hatte zu fallen. Doch waren genau dass Dinge, die ich überhaupt nicht wissen wollte, es machte alles nur noch unerträglicher, aber ändern würde es doch nichts.

„Ich bin ein böser Mensch.“ Maulte ich gekränkt wie ein kleines Kind und hoffte, ein paar aufbauende Worte, Bauchpinselei und Unterstützung von ihm zu bekommen. „Hmmm.“ Schnaufte er und etwas erschrocken fuhr mein Kopf zu ihm herum, da es nicht die Antwort war, die ich gehofft hatte zuhören. „Guck mich nicht so an.“ Etwas abwehrend hielt er die Hände hoch und zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung was zwischen dir und Sam abgegangen ist. Eins kann ich dir sagen, selten taten mir Menschen leid, aber ihn hätte ich vorhin am liebsten in den Arm genommen.“ Der Unterton seiner Stimme war anklagend und vorwurfsvoll.

„Du benimmst dich schon fast an wie deine ´neuen Freunde´!“ Zickte ich ihn an. Sein Gesicht wurde verständnislos. „Wenn du nur ansatzweise wärst wie sie....“ Knurrte er. Autsch, das saß, verletzt starrte ich ihn weiter an. Solche Worte war ich von ihm nicht gewohnt und hätte auch nie damit gerechnet. Ich dachte seine Loyalität ginge über das hier hinaus. „Wie lange warst du mit Sam zusammen?“ Dieses Gespräch entwickelte sich so, wie ich es heute nicht mehr ertragen wollte. Wütend sprang ich auf. „Was hat das hier mit zu tun? Es ist schon ewig her.“ Keifte ich und fühlte mich ungerecht behandelt. „Er ist dir nicht so egal, wie du es gerne hättest. Das weißt du und das weiß ich.“ Knurrend musterte ich sein Gesicht und kehrte ihm den Rücken. „Ich hätte nie gedacht, dass du so verdammt herzlos bist.“ Seufzend ließ ich die Schultern hängen. Dann wandte ich mich um und ihm wieder zu. „Selbst wenn er mir nicht egal wäre, was würde es ändern? Wäre es in deinen und in den Augen der Anderen fürsorglicher, wenn ich ihm die paar Tage die große Liebe vorheuchel', um dann wieder zu verschwinden? Damit alles wieder von Neuem beginnt? Das alles hier, ist meine Vergangenheit. Nuno versteh´ es doch, ich habe hier keine Zukunft!“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Warum nicht? Du hattest alles. Alles, was andere Menschen sich sehnlichst wünschen! Liebevolle Eltern, Freunde die für dich durch die Hölle gegangen wären und was machst du? Verletzt jeden für den du dankbar sein solltest und spielst dich dann als die große Märtyrerin auf! Das ist charakterschwach.“ Er sah mich mit demselben verachtenden Blick an wie Paul, ehe er den Kopf abwandte. Mit offenem Mund musterte ich ihn und war einmal mehr sprachlos. Weil jedes seiner Worte der Wahrheit entsprach. Doch im Inneren wehrte ich mich gegen jedes einzelne. Ich war undankbar und lernte erst zu schätzen was ich hatte, als ich alledem den Rücken kehrte. Doch sollte ich dankbar für ein Leben am Rande der Mittelmäßigkeit sein? Nein, nicht ich.

Selbst jetzt als ich Nuno kein Contra mehr gab, hatte er sich immer noch nicht alles von der Seele gefaselt. „Warum bist du nicht mit ihm zusammen nach LA?“ Ich war es müde über dieses ewig wiederkehrende Thema zu sinnieren. „LA hätte ihn aufgefressen, genau so erbarmungslos, wie ich gefressen wurde.“ Es tat weh auszusprechen wie es war. Entweder würde ich mir gleich noch einen gepflegten Anfall gönnen oder laut losheulen. „Mein Gott, trau ihm mal was zu, er ist kein Kind, er ist erwachsener als du.“ Nuno grub rücksichtslos in meinen Wunden, wie ein Kind im Sandkasten.
„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ Über seine offensichtliche Uneinsichtigkeit, dass er mich nicht verstehen wollte, wurde ich erneut ungehalten. „Es geht doch hier nicht um Seiten.“ Verständnislos schüttelte er den Kopf. Schnell tat ich ein paar Schritte auf ihn zu und beugte mich etwas über ihn. „Doch, sehr wohl tut es das!“ Böse funkelte ich ihn an und betonte jedes einzelne Wort.
„Oh Aleu! Stell solche Fragen nicht, die Antwort würde dir nicht gefallen.“ Einen Moment besah ich sein Gesicht, er erwiderte meinen Blick und hielt ihm stand. „Das war alles, was ich wissen musste.“ Zischte ich leise und ging kopfschüttelnd ein Stück zurück.

Wieso hatte ich nicht alles daran gesetzt, Nuno auf halben Weg aus dem Zug zu werfen? Ich hatte drängender und resoluter auftreten müssen, auf meine Forderung hätte ich bestehen sollen, ohne Wenn und Aber. Wenn unser Weg uns jetzt wieder zurück nach Los Angeles führen würde, nahm ich ein Stück meiner Vergangenheit mehr mit. Ungewollt und doch allgegenwärtig. Erinnerungen, wie sie nicht schmerzlicher sein konnten.

„Aleu, du weißt, dass du mir wichtig bist.“ Seine Töne wurden einfühlsamer und erlangten so eher meine Aufmerksamkeit wieder. Abwertend zischte ich, als Antwort auf seine Worte. „Tu mir nur einen Gefallen.“ Bat er mich mit leiser Stimme. „Sprich mit ihm. Beantworte seine Fragen und sag ihm, dass er es wert ist, geliebt zu werden. Er verliert den Glauben an sich. Sein Herz zu brechen ist schlimm genug. Aber brich ihn nicht.“ Mir jagte ein Schauer über den Rücken und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, bei dem Gedanken, was ich aus Sam gemacht hatte und Nunos sanfte Worte drangen tief und brachten etwas tief in meinem Innern in Bewegung.

„Ich denk drüber nach.“ Weder konnte noch wollte ich ihm hier und jetzt ein Versprechen geben, ohne zu wissen, ob ich es halten könnte. Langsam erhob er sich, eine Zeit sahen wir uns schweigend an. Dann angelte er den Schlüssel aus seiner Jacketttasche und verschwand im Haus. Die Tür lehnte er an. Wenn ich mir vorhin nichts sehnlichster wünschte, als endlich ins Warme zukommen, wollte ich jetzt doch lieber allein sein und wenn es auch bedeutete, hier draußen zu frieren.

Wieder setzte ich mich auf die Stufen, stützte den Kopf mit meinen Händen und seufzte vor Verzweiflung. Das Gefühl des Hin- und Hergerissen sein machte mich mit jeder Minute unruhiger und rastlos. Wenn es auch schon spät war, schlafen könnte ich doch nicht. Unaufhörlich schweiften meine Gedanken immer wieder zurück zu den vergangenen Momenten mit Sam. Sie beschworen Gefühle herauf, die so wunderschön und einmalig in ihrer Einzigartigkeit waren. Denn nie hatte ich jemand anderen geliebt oder lieben können, es gab immer nur ihn für mich. Ja, wir waren Schwäne.

Mit einen Mal, als würde mich ein heißer Blitz durchfahren, war die Dringlichkeit in Nunos Worten kaum mehr auszuhalten. Er hatte Recht, ich war Sam Erklärungen schuldig und allem voran wäre eine Entschuldigung fällig, die von Herzen kam und ehrlich gemeint war. Wenn ich mit so kleinen Gesten sein Leid etwas lindern könnte, sollte ich doch alles dran setzen und mich in meinen feigen Arsch treten.

Ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf und rannte zielstrebig im Stechschritt ins Haus, die Treppen hinauf in mein Zimmer, warf die Tür auf und überraschte Nuno, der sich gerade umzog. Ungeachtet dessen, dass er nur in Boxershort da stand und mich irritiert ansah, marschierte ich zum Koffer, holte mir eilig Klamotten zum Umziehen heraus und verschwand wortlos im Bad.

Nach nicht mal fünf Minuten war ich umgezogen, hatte die restliche Farbe von meinem Gesicht gewaschen, die fünftausend Haarnadeln entfernt, schnell versucht meine Haare durch zukämen, es dann doch aufgegeben und einen unordentlichen Zopf gebunden. Ich riss die Badtür auf, stürmte in den dunklen Flur und prallte gegen Nuno. Der dort herum lungerte und wartete, dass ich endlich fertig wurde. „Aua.“ Plärrte er, als ich ihm mit Schuhen auf die Füße trat. „´Tschuldigung.“ Murmelte ich und fegte an ihm vorbei, die Treppe wieder herunter und zur Tür hinaus. Als gerade meine Eltern aus Jakes Wagen krochen.

„Schatz, wo willst du den noch hin?“ Fragte meine Mom verwundert und besah sich, wie ich an ihnen vorbei lief. „Ich bin später wieder da.“ Winkte ich ab und sah wie Jake in meine Richtung blickte und den Mund öffnete. „Halt die Klappe.“ Fauchte ich postwendend und zeigte drohend mit dem Finger auf ihn. Verdutzt sahen sie sich jetzt untereinander an und Jake tat wie ihm geheißen. Dann joggte ich los, den schmalen Schotterweg entlang, den ich früher so oft gelaufen war. Wie auch dieses Mal würde er mich zu Sam bringen. Inständig hoffte ich, dass er immer noch in dem Haus wohnte, von dem ich wusste. Als ich an dem Waldstück vorbei rannte, hatte ich die Hälfte geschafft und mein Magen begann nervös zu rumoren, mit jedem Schritt schlug mein Herz schneller und das Blut rauschte in meinen Ohren.

Auf diesem Stück des Weges gab es keine Beleuchtung, was ich früher immer ziemlich beängstigend fand, aber jetzt nahm ich es kaum wahr. Im Gegenteil, fast fühlte ich mich besser, umgeben, beschützt und verschlungen von der Dunkelheit. Je näher ich meinem Ziel kam, umso langsamer wurden meine Schritte, bis ich nur noch ging. Von weitem sah ich den gewohnten Anblick des Holzhauses. In den Fenstern war es dunkel, ich begann zu zweifeln. War es eine Überreaktion, hätte es doch noch Zeit bis morgen? Ich sollte ihn nicht um seinen wohlverdienten Schlaf bringen. Wenn ich auch begann, meine Aktion noch mal gründlich zu überdenken, ging ich nichts desto trotz weiter. Ein kurzer Blick durchs Fenster würde wohl niemanden schaden.

Langsam schlich ich näher. Angespannt sah ich mich um, nur der volle Mond tauchte alles um mich in kühles Licht. Ich ging um das Haus zu dem Fenster, von dem ich wusste, es war seines. Ein unstetes Flackern, wie es von einem laufenden Fernseher ausging, nahm ich war und ging die letzten Schritte. Vorsichtig spähte ich um den Rahmen des kleinen Ausschnitts in mein früheres Leben.

Er lag seitlich auf dem Bett, den Kopf leicht gesenkt. Ich konnte nicht sagen ob er schlief oder nicht. Alles was ich sah, war so wunderbar bekannt, es hatte sich nichts verändert. So wie er jetzt da lag, wäre mein Part vor ihm zu liegen, dass er mich in seinen starken Armen halten konnte und unzählige Male haben wie so zusammen fern gesehen. Doch was mir im Sekundentakt mehr zusetzte, noch immer stand das Foto von ihm und mir auf seinem Nachttisch, unberührt, ein Denkmal vergangener Zeiten, die mit so viel Gefühl gefüllt waren. Es wurde ein paar Wochen vor meinem Verschwinden aufgenommen, damals wussten wir beide noch nicht, was auf uns zukäme. Dass es wahrhaftig etwas gab, dass uns trennen könnte, wusste in dem Moment keiner von uns. Beide mit strahlenden Gesichtern, fest hatte er mich an sich gedrückt und ich hielt seine Mitte umschlungen. Doch die süße Freiheit, Flucht in die schillerndste Stadt, die Amerika zu bieten hatte, verführte, blendete mich und betrog mich um ein Leben in Liebe. Bei diesem Anblick wog mein Herz schwer und ich besann mich auf mein Anliegen´, warum ich hergekommen war. Sollte ich oder sollte ich es doch lieber auf ein anderes Mal vertagen oder es ganz lassen. Ich war in Gedanken, haderte mit mir und starrte vor mich hin. Als eine kleine Bewegung meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie von unsichtbarer Hand geführt, hob er den Kopf und sah mich mit seinen tiefbraunen Augen an. Als hätte er gewusst, dass ich da war.

Bring me to life




Chapter 6

Fast erschrocken darüber, dass er doch nicht zu schlafen schien, ging ich ein paar Schritte zurück, mit großen völlig überraschten Augen starrte ich ihn an. Panik durchfuhr mich, ich drehte mich um und ging schnellen Schrittes, versuchte erneut in die Dunkelheit abzutauchen. Doch ehe ich es konnte, hallte mein Name durch die Stille der Nacht, gerufen von der einen Stimme, die einer bassig tiefen, unverkennbaren Melodie glich. Kurz zuckte ich und blieb dann stehen wie festgenagelt. Weglaufen wäre zu beschämend, wenn es auch alles war, was ich in dem Moment wollte. Es war zum verrückt werden, wenn die Feigheit über den Mut wuchs und mich fast zu grandios dummen Taten hinriss.
´Jetzt oder nie´, versuchte ich mich anzuspornen, nahm das letzte bisschen Mut zusammen, und drehte mich zögerlich wieder um. „Hey.“ Murmelte ich knapp, als ich langsam zurück ging. „Hey.“ Wiederholte er und ein erleichtertes Lächeln umspielte seine perfekten Lippen, dass mich noch etwas nervöser werden ließ. Er zog die Haustür zu und ging mir ein Stück entgegen. Mein Herz legte wieder an Geschwindigkeit zu, mit jedem Schritt, den wir aufeinander zu taten. Ein vorsichtiges Annähern, unbeholfen senkte ich immer wieder den Blick, doch nur um erneut aufzusehen, um ihn zu sehen.

„Na, noch wach.“ War das einzig Geistreiche, was mir einfiel. Er lachte leise und kniff etwas die Augen zusammen. „Ja.“ Kurz vor mir blieb er stehen, vergrub die Hände in den Hosentaschen und sah etwas unsicher zu Boden. „Was machst du hier?“ Fragte er leise mit tief brummender Stimme. Etwas druckste ich herum. „Es hat gerade nicht geregnet. Dachte, ich geh' ein bisschen spazieren.“ Verwundert zog er eine Braue hoch. „Nachts.“ Stellte er fest und besah sich mein Gesicht ganz genau. Noch nie konnte ich ihm was vormachen, er hatte mich immer schon durchschaut. „Ja. Da ist es schön ruhig. Keine anderen Menschen, weißt schon.“ Nickte ich und zog die Schultern hoch. „Und dann......bist du zufällig hier vorbei gekommen?“ Flüsterte er weiter. „Die bekannten Wege.“ Redete ich mich um Kopf und Kragen, mein gekünsteltes Lachen war quiekend hoch. „Okay.“ Natürlich wusste er es besser und durchschaute mich.
„Ach Bullshit.“ Seufzte ich, senkte den Blick um dann erneut aufzusehen. „Sam.....“ Unruhig friemelte ich an meinen Fingern und suchte nach passenden Worten, soweit es die überhaupt gab. Erwartungsvoll und mit großen Augen, was ihm jetzt gewahr würde, sah er mich an. „......ich möchte mich bei dir entsch...“ Er unterbrach mich. „Nein.“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Das ist vergangen und das sollte es auch bleiben.“ Es irritierte mich, dass er keine Entschuldigung hören wollte, war es doch das, worauf die anderen jede Minute drängten. Aber was wollte er dann? „Kann ich es irgendwie wieder gut oder ein bisschen besser machen?“ Wisperte ich und hoffte, er wäre gnädig und würde mich ein Stück weit von meiner Schuld entbinden. Einen Moment überlegte er, doch wandte er nicht ein Mal den Blick ab, an dem ich nicht festmachen konnte, wie seine Reaktion ausfallen würde. Dann wie aus dem Nichts hielt er mir seine Hand entgegen, die ich fragend ansah.

„Hallo, ich bin Sam Uley.“ Grinste er und kniff mir ein Auge zu. Jetzt verstand ich gar nichts mehr und genau so sah ich ihn an. Vorsichtig legte ich meine Hand in seine, warm umschloss sie meine Finger und er schüttelte sie kurz. „Kommst du hier aus der Nähe?“ Verwirrt zeigte ich hinter mich, war aber immer noch sprachlos und glotzte in an. „Ich wohn´ hier vorne. „ Er nickte hinter sich. „Und wie heißt du?“ Fragte er neugierig, aber in keinem Augenblick gespielt. „Aaaaaleu Hunter.“ Stotterte ich immer noch ungläubig und zog die Brauen hoch. „Wie außergewöhnlich.“ Bemerkte er lächelnd und man hätte tatsächlich meinen können, er hörte ihn heute zum ersten Mal. „Aleu.“ Er betonte es besonders und es ließ mich lächeln, genau so wie ihn. „Schön, dass ich dich kennenlernen darf.“ Es war seine Art, meine unausgesprochene Entschuldigung anzunehmen, Vergangenes hinter sich zu lassen und neu zu beginnen. „Lust ein Stück mit mir zu laufen? Es regnet gerade nicht.“ Kurz sah er hinauf in den nachtschwarzen Himmel. Noch immer lächelnd nickte ich. „Sehr gerne.“ Er drehte sich um und schlug den Weg zum Strand ein.

Langsam schlenderten wir nebeneinander her und warfen uns verstohlene Blicke zu. Keiner sprach ein Wort, doch jeder grinste vor sich hin. Das anfänglich unbehagliche Gefühl ebbte ab und etwas Neues, dass ich nicht benennen konnte, nahm Gestalt an. Nach und nach wurde das Rauschen der Wellen lauter und der Boden sandiger. „Und Sam Uley, machst du das öfters? Mit fremden Mädchen nachts am Strand spazieren gehen?“ Grinste ich. Er holte tief Luft, streckte die Brust raus und richtete sich gerade auf. „Andauernd.“ Haute er lässig raus und schnalzte, sackte aber im selben Moment zusammen und kicherte auch. „Ein Schwerenöter?“ Stellte ich übertrieben fragend fest und zog eine Augenbraue hoch. „Man hat so seinen Ruf.“ Zu allem Überfluss kniff er mir wieder ein Auge zu. Würde ich ihn nicht schon mein ganzes Leben lang kennen, wäre es bei seinem Aussehen durchaus denkbar. Doch sein Charakter machte ihn viel schöner und einzigartiger, als er augenscheinlich war. „Ich hab dich hier noch nie vorher gehen.“ Dieser geliebte beruhigende Ton in seiner Stimme, ließ mich leise seufzen. „Ich war ´ne Zeit weg.“ Wie ich es aussprach, musterte ich sein Gesicht während ich weiter neben ihm herging, sein Blick blieb geradeaus gerichtet und er nickte. Das spitzbübische Lächeln wich und er betrachtete mich. „Bist du nur zu Besuch?“ Diese Frage wog so schwer, so entscheidend, dass ich sie unbeantwortet ließ, sie nahm die Leichtigkeit dieses Moments und weckte das wehmütige Gefühl. Ich betrachtete ihn eben so, wandte dann aber den Blick ab, da es mir von Herzen leid täte ihm darauf zu antworten.

Ein Stück gingen wir noch, dann setzen wir uns in den Sand und sahen aufs Meer, das glitzernd das Mondlicht wider spiegelte, mystisch und geheimnisvoll. Ein Meer voller Fragen, voller Anschuldigung, voller Vorwürfe, doch ließ sein Charakter nicht zu, dass er sie mir stellte oder er mir ein schlechtes Gewissen machte. Wenn ich vorhin dachte, mit ihm zu tanzen wäre er wundervollste Moment, den ich seit einer gefühlten Ewigkeit erlebt hatte, so war dieser Moment an Vertrautheit nicht zu überbieten. Weder dass ich ihn berührte, noch dass unser Lied gespielt wurde, noch dass ich ihn ansah. Wir saßen einfach nur schweigend nebeneinander. Doch das wunderbarste war, es waren keine Worte von Bedarf, ein atemberaubender Moment. Einfach nur für den anderen da zu sein, ohne es zu verlangen, ohne Selbstverständlichkeit, einfach nur weil wir es wollten, den anderen in diesem Augenblick wertzuschätzen, ein unbezahlbares Gefühl.

Langsam hob er seine Hand und hielt sie mir entgegen. Ich sah ihn unsicher an, sein Ausdruck war hoffnungsvoll und sein zaghaftes Lächeln wärmte mich. Für einen Augenblick besah ich seine Hand, wie sie darauf wartete und stumm bat, dass ich sie berührte. Ich tat, worum sie mich wortlos bat und behutsam berührte ich sie erst mit den Fingerspitzen, fuhr sanft über seine Handfläche, um dann meine Finger mit seinen zu verschränken. Geräuschvoll atmete er aus, sah zum Meer und hielt sie ganz fest.

Er gab mir nicht nur das Gefühl, dass sich zwischen uns nichts verändert hatte, sondern dass er tatsächlich nur darauf gewartet hatte, dass ich meinen Weg zurück zu ihm finden würde und es okay wäre. Keine Vorwürfe, keinen Groll, keine Verachtung, kein Wort nach dem `Warum´. Großmut, wie ich ihn in diesem Moment erfuhr, hatte ich für unmöglich gehalten. Die engstirnigen und kleinkarierten Menschen, die ich die letzten Jahre ertragen hatte, nahmen mir die Hoffnung auf etwas dergleichen, bis ihre hinterwäldlerische Ansicht die meine wurde. Dabei hatte ich mir eingeredet, wie weltoffen und tolerant Los Angeles wäre, weit gefehlt, keiner derer blickte je über den Tellerrand.

Kurz sah er mich an, drückte meine Hand und wandte lächelnd den Blick wieder ab. Wow, was so eine kleine Geste für Auswirkungen hatte. Sonst war ich kaum mehr mit Worten aufzumuntern und er schaffte es durch einen Blick, eine kleine Berührung, die mir nach so langer und entbehrungsreicher Zeit endlich wieder Hoffnung schenkte und aufzeigte, wie wichtig es war, dass man liebte und geliebt wurde.

Situationsbedingt seufzte ich leise. Es fühlte sich richtig an, das Falsche zu tun. Oder war es doch eher das Richtige, das sich nicht fälschen ließ. Ich hatte keine Antworten, auch wollte ich sie jetzt nicht finden. Ich genoss und verliebte mich in diesen Augenblick. Wenn er auch nicht ewig währte, aber jetzt und hier konnte ich sagen, dass ich Glück empfand und es war fast überwältigend. So einfach und simpel, er bedurfte nicht viel und doch war es genug.

Bis auf das Rauschen der Wellen war es still, absolut nichts war zu hören. Aber mit voran schreitender Zeit erklang ein leises, kaum wahrnehmbares Pochen, ein Klopfen, hoffnungsvoll, verzaubernd. Es war das Schlagen eines müden Herzens, das erneut zum Leben erweckt wurde. Stetig wurde es lauter und legte an Schlägen zu, lebenshungrig, gierig lechzte es nach fast vergessenen Momenten, nur um sich zu vergewissern, dass es lebte und nicht nur dem Zweck diente, Blut durch diesen Körper zu pumpen. Sondern dass Leben hieß, Glück empfinden zu dürfen, in einem Ausmaß, dass es vor Freude zerspringen wollte. Fast übermütig polterte es in meiner Brust und stieß immer wieder gegen meine Rippen, als wollte es mir die Richtung zeigen, die ich einschlagen sollte, die gut für uns wäre.

Ich wollte ihn ansehen und mich vollständig fühlen, nur er konnte die Leere in meinem Innern verscheuchen, die mittlerweile einen festen Platz eingenommen hatte. Aber war es als würde ich es mich nicht trauen, aus falscher Angst, was passieren würde. Doch spielte Angst in den vergangenen Jahren eine dermaßen große Rolle, dass ich es leid war, mich ihr zu unterwerfen, aus falschem Respekt vor den Konsequenzen. Langsam und unsicher zwang ich mich, meinem drängenden Wunsch nachzukommen. Es wäre falsch, es zu unterdrücken, hier musste ich nicht mit Konsequenzen rechnen, so hoffte ich. Hier musste ich einfach nur ich sein. Doch warf es für Sekunden die Frage auf, wusste ich überhaupt noch wer ich war, hatte ich mich in dem ganzen Durcheinander selbst verloren und musste jetzt, nach dem ich als Mensch wieder gewollt wurde, mich erst selber suchen und finden? Somit wäre es beruhigend an der Seite dessen zu sein, der wusste, wer ich war, der mich in dem Wirrwarr fand und ans Licht führte. Der immer für mich da war, ob ich es verdiente oder nicht, bedingungslos.

Bedingungslos, es war so ein weitreichendes allumfassendes Gefühl, dass selbst der Gedanke daran mich einschüchterte. Ich hatte es nicht verdient, viel mehr hatte ich es verspielt, dass irgendwer mir irgendetwas bedingungslos entgegen brachte. Doch ging es hier nicht nicht um irgendwen oder irgendwas. Es war Sam und seine Art auf mich zu zugehen, sein Großmut, wie er auf sanfte Weise versuchte mir die Angst zu nehmen und Zuversicht schenkte. Es war fast wie Magie, ein Zaubertrick, dessen Auflösung im Dunkel lag und niemand ihn verraten könnte, vielleicht aus mangelndem Wissen oder weil es überhaupt kein Trick war. Sondern Magie in ihrer reinsten und einfachsten Form. Bei ihm war die Welt eine andere. Hier wurden keine Träume zerstört, hier wurden sie geboren.

Er bemerkte meine Blicke, wie ich ihn ansah. Behutsam fuhr ich mit dem Daumen über seine Hand, als wollte ich mich vergewissern, dass er echt war und ich ihn mir nicht einbildete. „Schön, dass du hier bist.“ Flüsterte er und seine Stimme verschmolz mit dem sanften Rauschen. Zaghaft und doch beharrlich gab er mir die Gewissheit, er war mein Fels, der mich vor rauer See schützte, mein Schild, das mir Sicherheit gab, mein Herz, dss mir Leben schenkte. Kurz nickte ich, würde ich meinen Gefühlen gestatten auszudrücken wie ich empfand, hätte ich mich in seine Arme geworfen und ihn wissen lassen, wie unglaublich wichtig er für mich war. Aber war es nie ratsam, solch weltenverändernde Worte zu sprechen ohne die Zuversicht, sie und allem voran ihn, halten und das geben zu können, was er verdiente.
Zu gern hätte ich ihm Fragen gestellt, doch hielt ich mich zurück, da ich befürchtete über die Vergangenheit zu stolpern und ihn durch meine Unachtsamkeit, meine Unbeholfenheit vor den Kopf zu stoßen. So beließ ich es dabei, einfach mit dem zufrieden zu sein, was er mir in diesem Moment gab und es war mehr, als ich es hätte erwarten können.

Ich wusste nicht exakt, wie viel Zeit vergangen war, ich schenkte ihr keine Beachtung, hier war sie bedeutungslos. Wenn sonst mein Leben aus Einhaltung von Terminen bestand, die Zeit mein Leben einteilte und bestimmte, war es unbeschreiblich, sich jetzt nicht darum scheren zu müssen. Nach und nach wurde die Luft feucht und legte sich als Tau nieder. Kurz schüttelte ich mich, da mir kalt wurde und selbst die Wärme, die von Sams Hand ausging, nicht mehr genügte um mich warm zuhalten. „Ich bring dich nach Hause.“ Sagte er leise, stand auf und half mir Gentleman- like hoch. Nicht für einen Wimpernschlag ließ er meine Hand los. Wir hatten den Löwenteil der Nacht nebeneinander verbracht, ohne große Worte, doch fühlte ich mich ihm so verbunden, als hätte ich ihm mein Leid geklagt und er hätte mich aufgefangen und meine Seele tröstend weich gebettet. Allein seine Anwesenheit wirkte dermaßen beruhigend auf mich, dass ich loslassen konnte, loslassen der Dinge, von denen ich dachte, sie würden einen Großteil von mir ausmachen, dabei war es jetzt fast, dass ich sie nicht mal kennen würde. Sie waren mir fremd, unnötiger Ballast, den ich abstreifen musste, um wieder ich sein zu können.

Meine Hand glitt aus seiner, fast entsetzt wandte ich binnen Sekunden meinen Kopf und sah ich zu ihm auf, doch im selben Moment legte er seinen Arm um meine Schultern, zog mich ganz nah an sich, dass seine wohlige Wärme mich erschauern ließ. Ich war ihm zu tiefstem Dank verpflichtet, allem voran, dass es ihn für mich gab und er trotz allem das Gute in mir sah. Seine Liebe glich der eines Schwans. Einmal sein Herz verschenkt, gab es keine andere, die es erreichen könnte, die an ihn hätte appellieren könnte. Er liebte monogam, doch nicht weil die Gesellschaft es ihm auferlegte. Nein, weil er es wollte und sein unerschütterlicher Glaube an die eine große Liebe unbezwingbar war. Ich fragte mich, wenn er es versucht hätte, jemand anderen an seinem Leben teilhaben zulassen, ob er heute glücklich wäre, mit einer anderen, vielleicht schon verheiratet und ein oder zwei kleine Sams um ihn herum tobten. Dieser Gedanke schmerzte und bescherte mir ein ungutes Gefühl. Wenn es auch anmaßend war, so hätte ich ihn nie teilen wollen. Ich war so egoistisch, dass ich ihn lieber unglücklich und allein wüsste, als dass er das fand, worauf es im Leben ankam.

Alte Gewohnheiten stiegen hoch, als hätte ich sie nie abgelegt, automatisch schmiegte ich meinen Arm um seine Hüfte und kuschelte mich an ihn. Sein leicht verträumtes Lächeln, ein langgehegter Wunsch, der erneut Gestalt annahm und ihn, wie es schien, Glück und Zufriedenheit empfinden ließ.

Ich sah hinab, unsere Schritte verliefen im Einklang, wie ein perfekt funktionierendes Uhrwerk, doch nur eine kleine ungeplante Störung würde es aus dem Gleichgewicht bringen und es würde nicht nur verstellt werden, sondern zum totalen Stillstand kommen.
Fast zu schnell hatten wir den Weg zurückgelegt, doch wollte ich so wie er mich an seiner Seite hielt und alle wunderbaren Gefühle in mir hinauf beschwor, bis ans Ende dieser Welt mit ihm gehen. Doch was man sich wünschte und wie man am Ende handelte, stand in einem anderen Buch geschrieben.

Das nächtliche Schwarz wich dem Rot der aufgehenden Sonne. Der Himmel war wolkenlos, ein seltener Anblick und doch fast verheißungsvoll. Die Luft war klar und sauber, das Durchatmen befreiend. Einen Augenblick waren wir von diesem Schauspiel gefesselt. Dann, ohne Vorwarnung umschlossen mich seine Arme und fest drückte er mich. Mit Leichtigkeit schmiegte ich mich an seine breite Brust und erst als seine Umarmung sich lockerte, sah ich zum ihm auf. „Danke.“ Flüsterte ich und sein geliebter Anblick brachte Wärme, von der ich mir sicher war, sie würde ein Leben lang anhalten. Allein die Erinnerung würde mich durch eisige Zeiten bringen, ohne das sie an Intensität verlor.

„Es war mir ein Vergnügen, Aleu Hunter.“ Wie ein Gentleman der alten Schule beugte er den Kopf, nahm meine Hand und küsste sie. Spitzbübisch sah er auf und grinste, unschuldig und doch so verführerisch. Unzählige Male hatte er mich so angesehen, aber in diesem Moment ließ ich mich hinreißen, entzog ihm meine Hand, damit sie auf seinen Wangen Ruh fanden. Etwas stellte ich mich auf die Zehenspitzen und reckte mich ihm entgegen. Sanft legte ich meine Lippen auf seine und ein leises Seufzen entwich meiner Kehle. Warm, weich, bekannt und doch unbeschreiblich. Nach bedauerlich kurzer Zeit endete, was sinnenraubend begann. Mein Atem ging schnell und mein Herz musste sich erst wieder sammeln, hatte es sich in dem wilden Pochen fast überschlagen. Seine Stimmung nahm eine abrupte Wendung, er sah zu Boden und wirkte niedergeschlagen und beunruhigt.

„Sehe ich dich wieder?“ Fragte er leise, doch sah er mich nicht an. „Ja.“ Platzte es fast aus mir heraus. Es würde ohnehin ein Martyrium, die kommenden Stunden ohne ihn zu überstehen, aber mit dem Wissen, es gäbe ein Wiedersehen, sollte es ein Leichtes sein. Was waren schon ein paar Stunden mit Gewissheit im Gegensatz zu Jahren im Ungewissen. Etwas zog er die Nase kraus und biss grinsend auf seine Unterlippe, meine kaum zu unterdrückende Überschwänglichkeit veranlasste ihn dazu. „Gute Nacht.“ Säuselte er und wandte sich zögerlich ab. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch zu mir. „Gute Nacht.“ Hauchte ich, hob kurz die Hand und bedauerte dass die Nacht schon vorüber war. Ich sah ihm so lange nach, bis er hinter dem Wäldchen verschwunden war.

Wie benommen taumelte ich zu den Stufen und ließ mich fallen. Was waren das für Stunden, was machte er mit mir. War ich mir bewusst, was ich erneut herauf beschwor? Konnte ich halten, was ich ihm wortlos versprach. Oder war es nur ein Wiedergutmachen dessen, was ich ihm angetan hatte, aber warum erfüllte es mich dermaßen, dass ich in der Lage war Zuversicht, zu empfinden? Es verwirrte mich, machte mich himmelhoch jauchzend und doch unsicher wie nie, alles geben wollen ohne zu nehmen, ohne zu verletzen.

Minuten vergingen und ich saß da, starrte gedankenverloren vor mich hin und wusste nicht, was ich denken sollte und ob ich es überhaupt jemals wieder konnte. Verwirrt, durcheinander und doch ließ ich die vergangene Nacht immer wieder Revue passieren. Versuchte mich an jeden Ausdruck zu erinnern, der über sein liebes Gesicht huschte, jede Bewegung, jedes Geräusch und noch viel intensiver, jede Berührung, die mich selbst jetzt noch genießerisch die Augen schließen ließ. Ich beschwor es herauf wie einen geliebten Traum, fühlte seine sanften warmen Hände, hörte das tiefen Brummen seiner Stimme, sein Geruch unverkennbar wie ein Fingerabdruck. Mein Kopf war von meinen Händen gestützt und ich träumte diesen Traum ein Stück weiter, malte mir Situationen aus, die ich mir gedanklich nur hätte in Erinnerung rufen müssen, doch Neues begann mit Neuem. Einmal mehr raubte mir der Gedanke an seine Nähe die Luft.

„Hey Frühaufsteher.“ Zerrissen leicht gekeuchte Worte die angenehme Stille, von der ich dachte, dass ich mit ihr allein wäre. Ertappt riss ich die Augen auf und Jared stand vor mir. Etwas nach vorn gebeugt, seine Hände auf die Knie gestützt und nach Atem ringend. „Jared.“ Stellte ich überrascht fest und besah mir sein Tun. „Was machst du hier?“ Fragte ich vorsichtig. „Wonach sieht es denn aus?“ Schnaufend setzte er sich neben mich. „Keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht nach einer Hochzeitsnacht.“ Stieß ich unüberlegt hervor. Grinsend sah er mich an und machte ein schnalzendes Geräusch. Kurz hielt ich ihm die Hand hin, die er fragend begutachtete, aber im selben Moment annahm. „Glückwunsch. Vielleicht ein bisschen spät, aber besser spät als nie.“ Breit grinste ich und wollte sie wieder zurück ziehen, doch er hielt sie fest. „Besser spät als nie.“ Wiederholte er den letzten Satz und zog eindringlich die Augenbrauen hoch. Dann gab er meine Hand frei, doch ließ ich seine Worte ungeachtet. „Habt ihr noch schön gefeiert?“ Versuchte ich es in eine andere Richtung zu lenken, da ich ahnte, auf was er anspielte. „Feucht fröhlich. Paul war so knüppeldick, dass Embry und Seth in nach Hause tragen mussten.“ Kurz hielt er inne und sah mich prüfend an, mir graute es schon fast vor dem was jetzt kommen würde. „Was?“ Fragte ich etwas verhalten. „Schon gut.“ Er schien seinen Gedankengang zu verwerfen, was natürlich meine Neugier zu Tage förderte. „Na komm. Sag schon.“ Bohrte ich vorsichtig nach. „Hast du Nuno noch gesehen?“ Er runzelte die Stirn und sah mich fragend an. Kurz nickte ich. „War er allein?“ Ich hatte keinen Plan, auf was er hinaus wollte. „Ja.“ Murmelte ich zögerlich und versuchte ihm anzusehen, was ihn beschäftigte. „Hmmm.“ Machte er und schien erneut zu überlegen. „Jetzt mal nicht so geheimnisvoll.“ Ermunterte ich ihn auszusprechen worüber er sich den Kopf zerbrach. „Zwischen Leah und ihm, da geht was.“ Auf meine Reaktion wartend sah er mich weiter an. Aber wollte ich nicht in seinem Beisein die Hände vors Gesicht schlagen und verständnislos den Kopf schütteln. „Ist das so?“ Fragte ich und versuchte mir nichts anmerken zulassen, doch war meine Stimme abermals verratend hoch. „Na ja, wie dem auch sein.“ Kurz klopfte er mit den Händen auf seine Oberschenkel und stand auf. „Mein Weib wartet sicher schon sehnsüchtig. Hau rein.“ Er joggte los, ich warf ihm ein ´Gute Nacht´ hinterher und er sah etwas belustigt über seine Schulter, dann wieder nach vorn.

Nuno und Leah? Wollte er meinen Fehler eins zu eins übernehmen und ein weiteres gebrochenes Herz am Strand von La Push zurücklassen oder was dachte er sich dabei. Ich war nicht böse auf ihn, doch ich war mir der Konsequenzen bewusst. Aber nichts desto trotz waren manche Fehler dazu da, dass man sie mehr als einmal beging. Noch etwas mehr Futter für meinen wirren Schädel, von dem Müdigkeit mehr und mehr Besitz ergriff. Ich sollte ins Bett, aber doch wollte ich noch ein bisschen hier sitzen, die Ruhe genießen und meinen Gedanken nachhängen. Doch alles esthalten dieses heran brechenden Tages war aussichtslos und bevor ich auf diesen Stufen sitzend dem Schlaf zum Opfer fiel, raffte ich mich hoch und taumelte hundemüde die Treppe hinauf, schloss auf, nach weiteren Stufen öffnete ich langsam meine Zimmertür. So leise es ging zog ich Schuhe und Jacke aus, der Rest war nicht mal halb so wichtig und angezogen wie ich war, krabbelte ich über Nuno. Der sich leise stöhnend auf die andere Seite drehte. Meine Arme und Beine waren so unsagbar schwer, dass ich das Gefühl hatte, sie würden in der Matratze versinken und indem ich die Augen schloss, sank ich ein einen tiefen, friedlichen Schlaf.

Allmählich wurde ich wach, schlug blinzelnd die Augen auf und alles war..... anders. Bunter, heller, von einer Intensität, einer Leichtigkeit, die ich so noch nie erfahren hatte. Ich fühlte mich gut. Ich fühlte mich unglaublich. Es fühlte sich an, dass mir mein schwerwiegendster Fehler verziehen worden war, ohne das es von dem Einen, der als Einziger das uneingeschränkte Recht besäße, angeprangert oder ausgesprochen wurde. Einen Augenblick genoss ich die Leichtigkeit des Seins, schwerelos und doch so sehr an etwas gebunden, dass es sich in einem Ausmaß widersprach und es gab nichts vergleichbares. Es gab keinen Spielraum, kein Wenn und Aber. Eigentlich würde es mich erdrücken und zur Flucht antreiben, doch auf wundersame Weise schenkte es mir Flügel und verlieh mir Lebendigkeit. Vor Zufriedenheit seufzend drehte ich mich auf die Seite, stützte den Kopf mit meinem Arm. Es ließ mich grinsen als ich an mir hinunter sah und immer noch komplett angezogen war.

Leichtfüßig warf ich die Beine über die Kante des Bettes und lief leise vor mich hinsummend ins Bad. Kurz sah ich auf meine Uhr, im ersten Moment erschrak ich, dass sich der Tag langsam aber stetig dem Nachmittag neigte und niemand es für nötig gehalten hatte, mich zu wecken. Doch es war egal, es war so unwichtig, dass ich daran nicht weitere Gedanken verschwenden wollte. Meine Klamotten warf ich von mir und verkrümelte ich mich unter die Dusche.

Mit einem Handtuch um mich geschlungen lief ich trällernd zurück ins Zimmer und angelte mir frische Sachen aus dem Koffer. Das war auch eine Annehmlichkeit, die es nur zu Hause gab, dreckig warf man die Klamotten in den Wäschekorb und keine zwei Tage später bekam man sie sauber und wunderbar duftend zurück. Luxus pur, wenn man mit so unwichtigen Dingen nicht seine Zeit verschwenden musste. Angezogen stand ich mitten im Zimmer, reckte mich lautstark und ausgiebig, als die Tür geöffnet wurde.

„Hallo.“ Erklang ein schüchternes und etwas zögerliches Stimmchen. Überrascht fuhr ich herum und sah, wie Leah ihren Kopf ins Zimmer steckte. „Hey.“ Lächelte ich und freute mich, sie zu sehen, wenn ich mich auch gleich fragte, was sie hier machte. „Wie geht’ s dir?“ Fragte sie leise und erwiderte mein Lächeln, ich hätte fast drauf geschworen, dass es nicht ihr eigentliches Anliegen war, sich nach meinem Befinden zu erkundigen. „Gut.“ Nickte ich. „Und dir?“ Auch sie begann zu nicken. „Hast du Nuno gesehen?“ Nachdem was ich von Jared erfuhr, überraschte mich die Frage nicht all zu sehr und es klärte die Situation. „Heute noch nicht.“ Prüfend musterte ich ihr Gesicht. Einen Moment schien sie zu überlegen. „Falls du Sam suchst, sie basteln an Jakes Auto. Mal wieder.“ Sie verdrehte grinsend die Augen. „Okay.“ Murmelte ich und sah etwas ertappt zu Boden. Zwar hätte ich sie nie nach ihm gefragt, aber es war schön zu wissen, was er gerade tat und wo ich ihn finden könnte. Indem sie es aussprach, hörte ich wie die Haustür zugeworfen wurde. Leah wandte sich ab und ging zur Treppe, ich folgte ihr.

„Leah.“ Ertönte Nuno und sein völlig verliebter Unterton war nicht zu überhören. „Ich hab dich gesucht.“ Säuselte sie und stieg Stufe für Stufe die Treppen hinunter. „Du warst nicht an der Garage.“ Er hatte nur Augen für sie und sah ihr verzaubert zu, wie sie sich grazil auf ihn zu bewegte. Erst als ich meine Arme auf dem Geländer abstützte und ihn mit einer hochgezogenen Braue ansah, erlangte auch ich seine Aufmerksamkeit. Er musste sich einen Moment sammeln und nach Worten suchen. „Äh..ich...ähh.....war mit Embry Ersatzteile besorgen.“ Kurz räusperte er sich und sah zu Boden. Dann streckte er ihr die Hand entgegen, auf die sie zuwarten schien. „Na wach?“ Murmelte er leise und warf mir nur noch einen kurzen Blick zu. Ohne meine Antwort abzuwarten traten sie die Flucht durch die Haustür an.

Selbst dass er meine Fehler zu wiederholen schien, konnte meine Laune heute nicht trüben. Er war alt genug und Leah hatte lang genug mit ansehen müssen, was passieren konnte, somit waren sie ihres Glückes Schmied und ich würde einen Teufel tun und ihm vorhalte,n wie falsch es war. Ich konnte schlecht anderen Menschen vorwerfen, was ich einst selber nicht anders gemacht hatte.

Noch immer euphorisch lief ich die Treppe herunter in die Küche. Niemand schien hier zu sein, schnell warf ich die Kaffeemaschine an und schnappte mir die Tageszeitung. Eilig blätterte ich durch den Lokalteil, den ich für völlig langweilig und über hielt. Ein Artikel aus Los Angeles ergatterte dann meine volle Aufmerksamkeit. Ein weiteres großes Wirtschaftsunternehmen wollte dort sesshaft werden. Ich war in meine Lektüre dermaßen vertieft, dass ich erst mitbekam, dass mein Dad neben mir stand, als er seine Hand auf meine Schulter legte und ich hochschreckte. „Dad!“ Keuchte ich und hielt mein Herz. „Na, na, was sind wir denn so schreckhaft.“ Lachte er über meine Gebärde, ließ von mir ab und widmete sich dem Kühlschrank. „Hast du gut geschlafen?“

„Hmm.“ Murmelte ich und hatte mich schon wieder in das immer wichtiger werdende Stück Papier vertieft. „Dad?“ Fragte ich noch immer in Gedanken. „Die Neuzeit hat hier nicht zufällig Einzug gehalten und ihr hab euch einen PC zugelegt?“ Schallend begann er zu lachen. „So ein überflüssiges Zeug brauchen wir nicht.“ Mit so einer Antwort hatte ich gerechnet und las interessiert weiter. Neben den ausufernden Dimensionen, die dieses Unternehmen an den Tag legte, wurde mit diesem Artikel auch direkt dazu aufgerufen, dass noch unglaublich viele Stellen zu vergeben waren. Ich faltete die Zeitung so, dass der Artikel die Schlagzeile bildete, es könnte auch für Nuno interessant sein, soweit ich wusste, hatte sich bei ihm noch nichts Konkretes ergeben.

„Was hat mein Engelchen den heute noch Schönes vor?“ Fragte Dad, als er die Milchtüte ansetzte. Ich sah ihm zu, wie er sie leer zog und in den Müll warf. „Ich werde gleich das Tor in die Zukunft aufsuchen.“ Grinste ich verschwörerisch und hoffte, der Souvenirladen, in dem Embrys Mum arbeitete, immer noch im Besitz eines Hotspots war, womit ich mich mit dem einundzwanzigsten Jahrhundert vernetzten könnte. Ohne das ich es konkret benannte, wusste Dad, wo mein Weg mich hinführen würde. Er war einen Blick auf die Uhr über dem Türrahmen. „Dann solltest du dich aber beeilen, heute macht die Zukunft eher Feierabend.“ Im Vorbeigehen küsste er meine Stirn und verschwand ins Wohnzimmer.

Schnellen Schrittes lief ich die Treppe hinauf und holte meinen Laptop. „Bis später.“ Brüllte ich in den kleinen Flur bevor ich die Haustür hinter mir zuwarf. Das Wetter war überraschend gut. Hier und da trügten ein paar dicke Wattewolken das Bild des wunderschönen blauen Himmels. Ich hätte drauf geschworen, wenn es die seltenen Tage gab, an denen sich die Sonne blicken ließ, wäre über der grauen Wolkenbrühe der Himmel trotzdem grau, aus Gewohnheit. Kurz überlegte ich, ob ich den Weg an den Garagen vorbei nehmen sollte, nur um einen kurzen Blick zu ergattern. Doch rang ich mich dazu durch, es mir für den Rückweg aufzusparen, wenn ich etwas mehr Zeit hatte. Jetzt hatte ich etwas zu erledigen, was durchaus wichtig war, ich konnte keine Ablenkung gebrauchen und Sam war Ablenkung, Verwirrung und Wunder in einer Person. Ich lief an dem Haus der Blacks vorbei, um dahinter rechts abzubiegen. Nach einer guten halben Meile sah ich den kleinen Souvenrladen und wunderte mich, dass weder die Ständer mit den Sonnenbrillen draußen stand noch der mit dem Sandspielzeug, dass ich zu Kindertagen in sämtlichen Ausführungen mein eigen nennen durfte. Als ich bis auf ein paar Meter heran getreten war, sah ich das kleine Schild in der Tür hängen. ´Closed´ und dieser Anblick hätte mich gestern noch vor Wut, über die mangelnden Möglichkeiten was den Ersatz betraf, hochgehen lassen wie eine selbst gebastelte Rohrbombe. Aber heute, es war zwar bedauerlich, doch nicht zu ändern. Einen Moment stand ich etwas verloren herum und überlegte, dann setzte ich mich auf den kleinen Absatz, der den Laden vom Strand trennte, öffnete den PC und fuhr ihn hoch. Verträumt sah ich aufs Meer, wie es unermüdlich die Wellen an den Strand trieb. Doch war es nicht mehr so wild und tobte so sehr wie die letzten Tage, es war fast beruhigend und entspannend zuzusehen, wie es sich immer auf ein Neues wiederholte, gleichbleibend monoton und doch so abwechslungsreich, dass man sich kaum satt sehen konnte.

Mein uralter, aber immer noch funktionstüchtiger Laptop, den ich Ally einst abgekauft hatte, surrte leise auf meinen Knien und ich öffnete die Datei mit meiner Standardbewerbung, kurz überflog ich sie und befand sie immer noch für gut und sie ließ wenig zu beanstanden. Als ich sie wieder schloss, öffnete ich den Ordner mit den Fotos. Als erstes strahlte mich Ally an und bei ihrem Anblick kicherte ich leise vor mich hin, sie war echt ´ne schräge Nudel und fehlte mir. Dann folgten Bilder mit Nuno und Eric, von sämtlichen Events und durchfeierten Nächten. Fast wehmütig dachte ich daran zurück. Es war hart und meistens ätzend, aber unsere Freizeitgestaltung war immer das Highlight, das mich durchhalten ließ. Leise seufzte ich und blätterte weiter durch die Fotos.

Schon fast am Ende angekommen, warteten dann die Bilder, die mich noch vor einiger Zeit in eine Depression stürzt hatten. Bilder von zu Hause, meiner Clique, meines alten Lebens. Das letzte Jahr hatte ich mich kaum mehr getraut, sie anzusehen, so sehr setzte es mir zu, doch zugegeben, dass es mir tatsächlich in diesem Ausmaß fehlte, hätte ich nie. Verträumt blieb ich an einem Bild hängen auf dem wir ausnahmslos alle versammelt waren. Wir waren ein Team, jeder kannte und mochte den anderen, es gab nie Gerede oder böses Blut, bis zu dem Tag als ich ging, jetzt würde Paul mich am liebsten an den Marterpfahl binden und warten bis mich die Wölfe holten. Tja, so änderte sich alles. Bis auf das, von dem ich am allermeisten ausging, dass es Geschichte wäre. Es war immer wieder erstaunlich, wie sehr man von Menschen überrascht werden konnte, von denen man dachte, sie in- und auswendig zu kennen.

„Na, alten Zeiten hinterher trauern.“ Ließ mich eine Stimme dicht an meinem Ohr erschrocken zusammenzucken. Wie im Affekt schlug ich den Laptop zu und sah Paul, der sich von hinten weit über mich gebeugt hatte. Mein Ausdruck wandelte sich von überrascht zu feindselig, während seiner gleichbleibend ausdruckslos blieb. Da er so nah bei mir stand, konnte ich gut den blauen Fleck an seinem Kinn erkennen, der wie es schien, wohl auf mein Konto ging. Es sei denn, er hatte sich gestern noch irgend jemand anderen zum Feind gemacht oder so voll wie er war, was Jared mich wissen ließ, auf die Mappe gefallen oder wo gegen gelaufen war. Zuzutrauen wäre es ihm.

„Was willst du.“ Knurrte ich im höchsten Maße unfreundlich und stand völlig unter Strom. Hier waren keine starken Arme, die ihn davon abhalten könnten, zu Ende zu bringen, was er gestern Abend lauthals angefangen hatte. „Was sollte ich von dir wollen?“ Fragte er, doch klang es weder abwertend noch garstig. Es klang wie eine ernstgemeinte Frage. „Gar nichts.“ Grollte ich und hoffte, er würde so schnell verschwinden wie er aufgetaucht war, ich wusste nicht warum, aber ich traute ihm nicht mal so weit, wie ich spucken konnte. Weder mein Benehmen noch meine geknurrten Worte konnte ihn davon überzeugen, dass es besser wäre wenn er ginge. Im Gegenteil, zwar tat er einen Schritt zur Seite, doch nur um sich hinzusetzen. Irritiert und verwundert, dass er meine Nähe nicht mied und mich wie sonst schon fast im gewohnten Maß demütigte, mir Vorhaltungen machte, war mir überaus suspekt. Doch kam mir der Gedanke, dass Sam ihm vielleicht ein paar Takte zu dem Thema gegönnte hatte und Paul sich auf Grund dessen am Riemen riss. Unwahrscheinlich, aber in Betracht zu ziehen. Doch selbst wenn es so wäre, machte es diese Situation nicht annähernd erträglicher.

„Stimmt. Ich will nichts von dir.“ Fast flüsterte er. „Nicht mehr.“ Über seine Worte zog ich die Stirn in Falten und alles in mir bereitete sich auf die Flucht vor. Ich sah ihn nicht an, mein Blick blieb stur geradeaus gerichtet. „Ja dann.“ Mit diesen Worten stand ich auf, klemmte meinen Laptop unter den Arm, ohne ihn in der Tasche zu verstauen, ich wollte nur noch weg. „Und wieder tust du es.“ Sagte er jetzt um einiges lauter. Schnaufend drehte ich mich noch mal zu ihm. „Was tue ich?“ Grimmig musterte ich sein Gesicht. „Du läufst weg.“ Gab er locker zurück, doch war immer noch keine Gefühlsregung zu erkennen und ich hasste es, wenn Menschen für mich undurchschaubar waren. Im ersten Moment war ich sprachlos, es sollte ihm doch nur Recht sein, so könnte es seine Meinung, die er von mir hatte, glaubhaft untermauern.

„Mir ist heute nicht nach Demütigung.“ Zickte ich zurück und wandte ihm wieder den Rücken zu. „Du bist mir was schuldig.“ Grollte er plötzlich. Bitter lachte ich auf. „Dir schulde ich gar nichts.“ Keifte ich zurück, ohne mich umzudrehen und ging unbeirrt weiter. „Aleu Hunter! Du schuldest mir sehr wohl was.“ Die Wut in ihm nahm Überhand und meine mangelnde Reaktion schürte sie zusehends. Ohne mich weiter auf dieses Spielchen einzulassen, legte ich einen Schritt zu. Er lief an mir vorbei, um sich mir in den Weg zu stellen. Ich versuchte, mein Entsetzen und meine aufsteigende Angst nicht durchklingen zulassen.

„Erst willst du nichts von mir und im nächsten Moment bin ich dir was schuldig? Entscheid dich mal.“ Nach wie vor fand ich, das Angriff immer noch die beste Art der Verteidigung war. Noch immer besah er sich wütend mein Gesicht, doch mischte seines sich mit Traurigkeit, Verzweiflung, ich hatte keine Ahnung und verstehen konnte ich es auch nicht. „Was ist dein Problem?“ Fauchte ich, da er mich mehr und mehr verunsicherte. Sein Atem war wohl hörbar und untermalte seinen Blick, dann wirbelte er wild gestikulierend herum, doch war es nur ein tiefes Knurren, das seiner Kehle entstieg. Als wüsste er sein Anliegen nicht in Worte zufassen sollte.

„Du kannst nicht nach so langer Zeit hier auftauchen und so tun, als wäre nichts gewesen und dass sich zwischen dir und Sam nichts verändert hat.“ Jetzt war ich völlig konfus. Wenn er es als Freund von Sam nicht nachvollziehen konnte, war das legitim, doch beantwortete es nicht, was ich ihm schuldig war. „Was?“ Polterte ich heraus und schüttelte verständnislos den Kopf. „Was hat das mit dir zu tun?“

Er ging ein paar Schritte zurück, als würde ihn der Mut oder die Entschlossenheit verlassen. Doch sah er mich immer noch an. „Du bist mir was schuldig.“ Wiederholte er sich, doch seine Stimme wurde leiser und dünner. Wenn ich vor Minuten noch eiligst weg wollte, war jetzt mein Kampfgeist geweckt und ich würde erfahren, was er mir vorenthalten wollte. „Sag´s mir.“ Forderte ich ihn schnippisch auf und ging ihm nach. „Solange du noch die Chance dazu hast.“ Fletschte ich hinterher und wollte ihn aus seiner Reserve locken. Mein Schritt wurde schneller, selbstbewusst richtete ich mich auf, um ihm zu signalisieren, dass er so mit mir nicht umspringen könnte.

„Du wirst wieder gehen?“ Fragte er und es ließ die Spekulation zu, dass es ihn erschreckte. „Jetzt bin ich hier, also, raus damit.“ Ich konnte ihm gegenüber nicht diesen weichgespülten Ton anschlagen, dafür war mein Groll zu groß, lieber hätte ich ihn geschubst oder keine Ahnung. Er war mein Blitzableiter und es tat so gut, ihm gestern was auf seine überhebliche Klappe zuhauen. Auch würde ich nicht darauf wetten, dass ich es nicht wieder täte, würde er den Bogen einmal mehr überspannen und das hatte er in Perfektion drauf, könnte ich für nichts garantieren.

Meine Schritte beschleunigten sich, fast war es ich würde ihn vor mir her scheuchen und er versuchte nicht länger, mir den Weg zu versperren, sondern vor mir zu flüchten. Ich wurde ungehalten, da ich es nicht leiden konnte, wenn jemand etwas anzettelte, es nicht zu Ende brachte und ich dann mehr oder weniger doof sterben würde. „Was schulde ich dir? Eine Entschuldigung? Niemals. Einen Anruf? Wofür? Einen Brief? Ich weiß gar nicht, ob du überhaupt lesen kannst.“ Meine Haltung wurde mit jedem gesprochen Wort, mit jedem gegangenen Schritt arroganter und überheblicher. Abrupt blieb Paul stehen, ich hatte Gewissheit, er war völlig entsetzt, so wie er mich ansah. „Mein Gott, wie sehr du dich verändert hast.“ Wisperte er und betrachtete weiter mein Gesicht.

„PAUL! WAS VERDAMMT SCHULDE ICH DIR?“ Wenn er auch wehrlos wirkte, schrie ich ihn an und macht meinem Unmut über sein irrationales Verhalten Luft. Dann völlig unerwartet wendete sich das Blatt, sein Mut war wieder auf dem Vormarsch und entschlossen ging er die letzten Schritte auf mich zu, packte mich bei den Oberarmen, dass ich schmerzlich die Luft einsog. „Dich.“ Knurrte er und seine dunklen Augen funkelten. „Du schuldest mir dich.“ Indem er es aussprach, lockerte sich sein Griff und wurde erträglich. Ich starrte ihn an und war überzeugt, dass ich mich verhört hatte. Kopfschüttelnd streifte ich sein Hände ab. „Du tickst doch nicht mehr ganz richtig.“ Schnell ging ich ein paar Schritte, um mich noch ein letztes Mal wutentbrannt zu ihm umzudrehen. „Spinn dir nicht so einen Scheiß zusammen! Ich schulde dir gar nichts!“ Und dieses Mal schrie ich es.

Nach gut hundert Metern vergewisserte ich mich, dass er mir nicht nach kam und Gott sei Dank, er tat es nicht. Wie um alles in der Welt kam er auf dieses schmale Brett? Ich strengte meine grauen Zellen an und reiste erneut in die Vergangenheit und grub nach irgendwelchen Anzeichen, die seine Forderung hätten erklären können, aber da war nichts, noch nicht mal an irgendwelche fadenscheinigen Andeutungen konnte ich mich erinnern. Auch an kein Abkommen dergleichen. Er musste einfach durchgeknallt sein. Es gab hier immer nur Sam für mich, wieso sollte es sich in dem Ausmaß geändert haben, dass er für mich auf diese Weise interessant wäre. Paul und ich waren immer nur befreundet, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich seine Freundschaft auch immer zu schätzen wusste, konnte ich mir seine Worte nicht erklären und mit meinem jetzigen Wissen, noch viel weniger seinen anfänglichen Groll, seine Abneigung, fast Hass. Ganz davon abgesehen das es grotesk war, spielte ich mit dem Gedanken, es Sam zu erzählen, damit es nicht zu Missverständnissen käme. Doch was, wenn er es falsch aufnehmen und mich trotz allem missverstehen würde, müsste ich es darauf ankommen lassen? Oder dem lieben Friedenswillen meine Klappe und es für mich behalten sollen. Vielleicht war es aber auch nur eine Masche, aber was genau er damit bezwecken wollte, erschloss sich mir nicht im Geringsten. Aber was, wenn mein Ego sich wieder einmal dermaßen etwas darauf einbildete und er unter dem Strich von unserer einstigen Freundschaft sprach, von nicht mehr und nicht weniger. Doch wenn es so war, hatte er sich reichlich zweifelhaft und wie ich fand, zweideutig ausgedrückt. Ich zweifelte, dass es gut wäre wenn ich einen Abstecher an den Garagen vorbei machte, es beschlich mich ein ungutes Gefühl, doch was wenn es genau das war, worauf Paul es abgesehen hatte, dass ich sie mied und somit auch Sam. Wollte ich es Paul tatsächlich so einfach machen?

On the border of heaven, earth and sea




Chapter 7

Noch bevor ich mich zu irgendeiner Variante durchringen konnte, erklang mein Name, ich wurde aus meinen Gedanken gerissen und hob den Kopf. Sam winkte mir von Weitem zu und signalisierte, dass ich zu ihm kommen sollte. Somit wurde mir die Entscheidung abgenommen. Mit seinem Anblick stahl sich ein schüchternes Lächeln auf meine Lippen und ich war froh ihn zu sehen, wenn auch gleich etwas unsicher. Doch die Leichtigkeit, die mich vorhin fast übermannte, war wieder auf dem Vormarsch. Ich überlegte, wie ich ihn begrüßen sollen. Ihm einfach die Hand geben oder ihn umarmen oder sollte ich mich erneut hinreißen lassen und ihn küssen. Fragen über Fragen und selten war ich so planlos wie in diesem Moment. Kurz sah ich an ihm vorbei und erkannte Jake und Embry wie sie um die Ecke der Garage sahen, sie schienen genau so gespannt zu sein wie ich, was jetzt passieren würde. Kurz vor Sam blieb ich stehen, doch er ging mir fröhlich grinsend entgegen, er schien einen Plan zu verfolgen und ehe ich mich versah, schnappte er mich und wirbelte mich wild durch die Luft, dann hielt er inne und küsste meine Wange. Schön, dass wenigstens einer sich seiner Sache sicher war. „Wie geht’s dir?“ Flüsterte er dicht an meinem Ohr und machte keine Anstalten mich los zu lassen und zurück auf meine Füße zustellen. Leise kichernd schlang ich meine Arme um seinen Hals, um ihn noch ein bisschen fester an mich zudrücken. „Jetzt gut.“ Flüsterte ich und erwiderte seinen Kuss. Er roch so unglaublich gut, dass ich kurz die Augen schloss, meine Wange warm an seine schmiegte, um diesen Augenblick ewiglich festzuhalten. Seine Anwesenheit war so tröstlich und verscheuchte ausnahmslos jeden niederschmetternden Gedanken.

Als ich jetzt die Augen wieder, sah ich, wie Jake noch immer um die Ecke sah und mehr als zufrieden lächelte, dann tat er es Embry gleich und zog sich zurück. Unsere Umarmung lockerte sich und ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Sam betrachtete wohlwollend meine Erscheinung, es sah es aus als wäre er stolz. Doch fragte ich mich, auf was?

Er nickte zu meinem Laptop. „Arbeit?“ Fragte er knapp, doch sein wärmendes Lächeln blieb beständig. „So ähnlich.“ Winkte ich ab. Er streckte mir die Hand entgegen, erleichtert griff ich nach ihr und zaghaft zog er mich hinter sich her. Als wir um die Ecke bogen, waren so gut wie alle versammelt, bis auf Paul. Doch darüber war ich eher erleichtert. Jakes Wagen war hochgebockt, Nuno und besagter Eigentümer standen drunter, fuhrwerkten herum, waren dreckig wie Sau, mit ölverschmierten Händen und Tarnflecken in ihren Gesichtern. Unerwarteterweise wurde mir von allen freundlich zu genickt und es war nichts von der erwarteten Ablehnung zu spüren .
Es war ein ulkiges Bild, zwei arbeiteten, der Rest stand und saß drum herum und schlug die Zeit tot. Nachdem mein Blick die Runde gemacht hatte, fiel mir ein unbekanntes Gesicht auf. Sie hatte ich hier noch nie gesehen, doch schien meine Anwesenheit sie nicht sonderlich zu interessieren. Eher wenig begeistert drehte sie mir prompt wieder den Rücken zu und strafte mich mit Nichtachtung. Na ja, ich hatte keinen Plan wer sie war, zu wem sie gehörte oder was sie hier machte und deswegen war es mir ziemlich egal und ich nahm es so hin.

Sam setzte sich neben Jared auf einen Reifenstapel und zog mich auf seinen Schoss. Fest umschlossen mich seine Arme und er kuschelte sich an meinen Rücken. Es war mir weder unangenehm noch befremdlich, es war schön, dass sich nichts verändert hatte und mir wurde bewusst, wie wichtig Beständigkeit war. Ich sah Nuno und Jake zu wie sie sich ordentlich einen abbrachen und wie automatisch begann ich Sams Hände zu streicheln, dass er mit leisen Seufzern quittierte. Es fühlte sich an, als müsste er die verpassten Kuscheleinheiten der vergangenen Jahre nachholen.

„Sam, hilf mal.“ Knurrte Jake mit verzerrtem Gesicht, als er unter größter Anstrengung versuchte den Schraubenschlüssel zu drehen, erfolglos. Sam drückte sein Gesicht gegen meinen Rücken und knurrte zur Antwort. Wenn ich auch versuchte aufzustehen, hielt er mich immer noch an sich gedrückt. „Bro, was ist?“ Maulte Jake, da es ihm nicht schnell genug ging. Sams Arme lockerten sich und ich tat einen Schritt zu Jared, nachdem Sam Jakes Aufforderung nachkam, nahm ich seinen Platz ein. Kim und Leah saßen auf irgendwelchen alten Kisten mir gegenüber, immer wieder sah Kim rüber, bis sie aufstand und sich zu mir und Jared gesellte. „Na.“ Flüsterte sie leise, ich rutschte und machte ihr Platz. „Noch mal herzlichen Glückwunsch.“ Lächelte ich und wir drückten uns kurz. Da ich noch nicht dazu gekommen war ihr zu gratulieren und es somit nachholte. „Danke.“ flüsterte sie und hielt mir stolz ihren Ehering entgegen. Den ich wohlwollend betrachtete. „Da hat er sich aber nicht lumpen lassen.“ Giggelte ich und stieß Jared in die Seite. „Für mein Weib ist das Beste gerade gut genug.“ Haute er raus und streckte die Brust raus. Etwas bog er sich um mich, um ihre Hand zunehmen, die sie mir noch immer entgegenhielt, ergriff und küsste sie hingebungsvoll. Man konnte zusehen, wie sie dahin schmolz und verliebt seine Wange streichelte. Wow, die Beiden waren tatsächlich für einander bestimmt und ich mitten in all dieser Liebe und überschäumenden Gefühlsduselei. Etwas kam ich mir fehl am Platze vor.


***Sam***

Kurz sah ich zur ihr rüber. Es erinnerte an die Zeit meines Lebens. Wie sie mit Kim und Jared dasaß, vertraut, als wäre sie nie fort gewesen. Unzählige Male hat ich sie herbeigesehnt, dass sie wieder hier wäre, bei mir und mein Leben vervollständigte, wie sie es sonst in jedem vergangen Augenblick getan hatte. Die letzten Jahre waren kein Leben, im weitesten Sinne ein Überleben, mehr schlecht als recht und als ich dann von Jake erfuhr, dass sie sich aufgemacht hatte und tatsächlich hier wäre, hatte es mich dermaßen umgehauen, dass ich mich fürs erste überhaupt nicht darüber freuen konnte. Als hätte mein Hirn seine Arbeit eingestellt, wie betäubt. Wenn man sich etwas ewig lange sehnlichst wünschte und es dann unglaublicherweise in Erfüllung ging, glich es einem Schock. Doch die Freude kam.

Es war ärgerlich, dass ich erst so spät zur Hochzeit kommen konnte und ich hatte das Gefühl, die Stunden bis es soweit war zogen sich wie altes Kaugummi, unerträglich und doch euphorisch wie nie. Wenn ich auch versuchte es mir nichts anmerken zulassen, war ich so angespannt und zeitweise kopflos. Weil ich nicht den geringsten Plan hatte, wie sie reagieren würde, wenn ich auf sie träfe. Sie hätte auch fertig mit mir sein können und schon lange jemand anderen an ihre Seite. Nuno hielt ich anfänglich für diesen jemand und es wäre mir unmöglich gewesen ihn zu mögen, doch glücklicherweise traf das nicht zu. Es wäre bedauerlich, da er schwer in Ordnung war.

Als ich sie dann das erste Mal sah, nach der ganzen vergangenen Zeit, wie Jake sie in seinen Armen hielt und in dem Moment meinen Part eingenommen hatte, war ich sprachlos. So wunderschön, vollkommen, grazil und doch so zierlich und verwundbar. Jake hatte sich schön was zusammen gesponnen, von dem weder er noch ich wussten, ob es aufgehen würde. Doch war meine eigentliche Absicht ein letzter Tanz, nicht mehr und nicht weniger. Sie ein letztes Mal berühren und ihr nah sein zu können. Noch einmal, damit ich mich auf meine Weise verabschieden könnte. Doch als sie mich dann ansah und ihre Unsicherheit spürbar war, wusste ich, dass sie mich nicht vergessen hatte und selbst so kleine, unscheinbare Anzeichen schenkten Hoffnung. In dem Moment, als ich ihre Hand nahm und ihr näher kam, war all der Kummer und Schmerz vergessen, als wäre er nie existent gewesen, eher wie ein schlechter Traum, der mit jeder Minute verblasste und es zählte nur das Hier und Jetzt. Es war eigentlich völlig überflüssig, das Jake anleierte und unser Lied gespielt wurde. Als sie mir da ihre Hand entzog, war ich fast sicher, dass es etwas über das Ziel hinaus ging, doch wie sich dann an mich schmiegte und leise seufzte, war ich dem Himmel näher als je zuvor. Ein lang gehegter Traum nahm in dem Moment erneut Gestalt an.

Mehr als einmal hatte ich mit Jake über ihre Rückkehr gesprochen und insgeheim hoffte ich, es wäre von einem Happyend gekrönt, doch wollte ich mir nichts vormachen. Ich ging davon aus, dass der Tag, an dem sie wieder gehen würde käme, doch so wollte ich jede Minute, die sie hier war, mit ihr genießen. Ein paar Stunden, ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Ich verlangte und erwartete nichts von ihr. Das, was sie mir gab, war mehr als ich hoffen durfte. Natürlich hatte ich mir meine Zukunft anders vorgestellt, aber wie so oft im Leben war es nötig zu improvisieren.
Auch die anderen hatten sich eingeklinkt und ihre Meinung drüber abgegeben, bis auf Paul waren alle ziemlich versöhnlich. Sicherlich waren sie enttäuscht, doch jeder war bereit, ihr eine zweite Chance einzuräumen. Wir machten alle Fehler, wenn auch nicht in dem Ausmaß, aber es war menschlich und in jeder Hinsicht verzeihlich. Aber Paul sträubte sich gegen jedes nette Wort, gegen jeden Versuch, sie auch nur im Ansatz zu verstehen. Für ihn war es Verrat auf hohem Niveau, der nicht hingenommen werden durfte. Ich erfuhr, was er sich auf der Hochzeit geleistet hatte, abgesehen von dem Versuch, den ich selber mit ansehen musste. Er hatte sie vor allen bloßgestellt. Aber er konnte es nicht gut sein lassen, er konnte nicht darüber hinwegsehen wie wir es taten. Uns drei verband schon etwas Besonderes, war es doch Paul, der sich einst dazu durchrang und uns beiden einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gab. Auch wenn es brenzlig wurde und die Fetzen flogen, war er derjenige, der die Wogen immer wieder glättete. Bis zu einem gewissen Maß schuldeten wir ihm Dank. Doch so, verstand ich seinen unbändigen Wunsch nach Genugtuung nicht. Sollte man nicht dem Menschen, den man mag und schätzt, schwerwiegende Fehler leichter verzeihen können. Auch hatte ich ihm ein paar Worte gegönnt, nachdem ich von dem Vorfall erfahren hatte, aber er beharrte auf seinem Standpunkt und wie es schien, wollte er sich nicht davon abbringen lassen, unbelehrbar.

Wenn sie jetzt wieder hier war, so hatte sie sich doch in einem Maß verändert, dass es mir fast Angst machte. Sie war verbittert, misstrauisch, hoffnungslos, vom Leben enttäuscht. Sie schien an die falschen Menschen geraten zu sein, die ihr nicht nur die Zuversicht nahmen, sondern alles, worauf es im Leben ankam.

Ich wollte die Zeit mir ihr nicht vergeuden und dem hinterher hängen, was vergangen war, auch wollte ich keine Zukunft planen, von der ich nicht wusste, wie sie aussehen würde. Viel lieber wollte ich die Zeit, die wir gemeinsam hatten genießen. Minute für Minute. Einfach nur für sie da sein und das für sie sein, was sie in dem Moment brauchte.

Für mich ging es nicht darum. etwas zu verzeihen, das Entschuldigungen ausgesprochen wurden oder um des Vergessenswillen, es war, wenn auch nur für Jetzt, der Anfang etwas Neuem. Wie lange es dauern würde oder wie intensiv es war, es war ein neues Stück unserer Geschichte. Strahlend, schimmernd, neu wie ein frisch gepresster Penny.

***Sam Ende***

Kim und Jared erzählten lachend und kopfschüttelnd von ihren Hochzeitsvorbereitungen. Was für Missgeschicke vorgefallen waren und wie überraschend gut am Ende doch noch alles hin gehauen hatte. Kurz sah ich auf und mir blieb nicht verborgen, wie Sam mich ansah und ich fühlte ich war zu Hause.

Nach dem die beiden ihre Geschichte losgeworden waren, stand Jared auf und warf einen prüfenden Blick auf die Arbeit der anderen. Kim machte ohne ersichtlichen Grund einen etwas unruhigen Eindruck, ein bisschen hin und her gerissen. Dann rang sie sich durch auszusprechen, was ihr auf der Seele brannte.

„Erzähl mir von Los Angeles.“ Bat sie mich leise, wie es schien sollte es niemand mitbekommen, da es sicherlich nicht das Lieblingsthema der Anwesenden war. Ich legte die Stirn in Falten und ihre drängende Neugier war mir unangenehm. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Versuchte ich es abzutun und ihr freudig aufgeregter Ausdruck wich. „Aleu.“ Tadelte sie mich leise und zog etwas ungläubig die Augenbrauen hoch. „Es ist die atemberaubendste Stadt, da tobt das Leben, die Stars. Das ist aufregend. Du hast wenigstens schon was erlebt in deinem Leben.“ Sie seufzte und es hatte den Anschein, sie war mit ihrem jetzigen Leben unzufrieden. Unmerklich zuckte ich zusammen. Kim sprach wie ich, dachte wie ich, bevor ich mich hinreißen ließ und meiner Heimat, meiner Familie, meinen Freunden, meinem wohlbehüteten Leben den Rücken kehrte. Nur weil man etwas erlebt hatte, hieß es noch lange nicht, dass es gut oder nachahmenswert war. „Es ist nicht so toll wie man denkt.“ Etwas betreten sah ich zu Boden und fühlte die aufsteigenden Zweifel der vergangenen Jahre. Ich wollte niemanden mit meinem Wiedererscheinen dazu veranlassen, meine gravierend dummen Fehler zu wiederholen, aus falscher Abenteuerlust oder weil man dachte, es existierten Dinge zwischen Himmel und Erde, die es wert wären, Zelte abzubrechen, die so tief verankert waren, dass man am Ende nur enttäuscht werden konnte.

„Das glaub ich nicht.“ Versuchte sie mir erneut Dinge zu entlocken, die es so wie sie vermutete, nicht gab. „Viel Stress, viel Arbeit, kaum Zeit für andere Dinge.“ Leierte ich etwas gelangweilt und doch fast gewohnt herunter, aber die Art, wie sie fragte und das, was in ihren Augen aufblitzte, beunruhigte mich zusehends, doch war ihr anzusehen, dass sie sich mit meinen Blankoantworten nicht zufrieden gab. Als ich wieder aufsah, ging ihr Blick ins Leere, ihre Gedanken waren nicht länger hier oder bei unserem Gespräch, sie waren auf und davon zu unbekannten Abenteuern, die sich nur ihrer Phantasie so gut anfühlten.

Selbst wenn sie diesen irrwitzigen Gedanken aussprechen würde, Jared wäre der Erste, der ihr den Wind aus den Segeln nähme. Er wäre hier nicht weg zu bekommen. Und das war gut so. Hätte ich damals jemanden von meinem Vorhaben erzählt und es wäre auf mich eingewirkt worden. Ich wollte mir einreden, dass man mich eines Besseren hätte belehren können, aber tief in mir wusste ich, dass nichts und niemand auf der Welt mich davon abgebracht hätte. Vielleicht war es auch nur ein Spleen, der Kim zu solchen Fragen veranlasste, der typische La Push Koller, aber auch das ging vorbei und bald wäre alles wie immer. Ich hoffte, dass sie nicht von meiner Sorte war und sie erst zu schätzen lernte, was sie hatte, wenn es Geschichte wäre.

„Das ist hinüber.“ Rissen mich Nunos Worte aus meinen Gedanken, die kreisten, mich gefangen halten wollten und unermüdlich ihre Bahnen zogen. Kurz schüttelte ich den Kopf, als könnte ich sie so verscheuchen und versuchte mich weiter auf die Anderen zu konzentrieren. „Da muss Ersatz her, dann röhrt er auch nicht mehr so laut.“ Nuno hielt irgendetwas undefinierbar dreckig Schwarzes in Händen, drehte es hin und her und strich darüber. Ich hatte keinen Plan, was das war oder welchem Zweck es diente. „Sam? Kannst du fahren?“ Jake sah auf und Sam an. Der kurz nickte. Wie es schien widerstrebte es ihm, aber was tat man nicht alles für die Lieben. Jake schnappte sich ein altes Handtuch, versuchte notdürftig seine Hände und und sein Gesicht zu säubern und warf es dann Nuno zu.

„Möchtest du mitkommen?“ Fragte Sam leise und beugte sich zu mir. Kurz fuhr ich mit den Fingerspitzen über die Kontur seiner Wange und lächelte ihn selig an. Wenn ich auch jede Minute mit ihm verbringen wollte so konnte ich mir dennoch Schöneres vorstellen als mit ihm, Jake und Nuno über irgendeinen Schrottplatz zu flanieren und brauchbares Material zu suchen. „Ich warte hier.“ Flüsterte ich eben so leise. Sein Ausdruck wurde bedauerlich, als wüsste er nicht ob ich tatsächlich noch da wäre, wenn er zurück käme. Meine Antwort ließ ihn seufzen.

„Wir sind doch gleich wieder zurück.“ Sagte Jake und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Sam verdrehte die Augen, sah mich aber im selben Moment wieder an. „Bis gleich.“ Vorsichtig nahm er mein Gesicht und hauchte einen kurzen, aber dennoch verführerisch süßen Kuss auf die Lippen, es ließ mich genießerisch die Augen schließen. Die Wärme seiner Hände verschwand, erst jetzt öffnete ich die Augen und sah ihnen nach.

„Weib, lass uns nach Hause, ich hab Hunger.“ Der Anfang des Satzes kam etwas machohaft rüber, aber den zweiten Teil jammerte Jared wie ein kleines Kind. „Wann hast du das mal nicht.“ Schnaufte Kim und stand auf. „Kommst du mit?“ Fragte sie und sah Leah an. „Du wolltest doch noch in den Katalog sehen. Die Schuhe sind echt der Hammer.“ Schwärmte sie und seufzte entzückt, auch Leah erhob sich nickend. „Alue?“ Jetzt sah sie mich an. „Hä?“ Machte ich etwas irritiert. „Möchtest du auch mit?“ Kurz schüttelte ich den Kopf. „Ich pass auf Embry auf.“ Lächelte ich und er sah das erste Mal, seit ich hier war, von seinem Handy auf und warf einen überraschen Blick in die Runde, da er nichts mitbekommen hatte. „Okay, dann vielleicht bis später.“ Verabschiedeten sich die Drei und machten sich auf den Weg. Das Mädel, von dem ich immer noch nicht wusste wer sie war, lungerte vor den Garagen herum, dann konnte ich sie nicht mehr sehen. Sehr seltsam wie ich fand. Niemand schien sich um sie zu scheren oder sich für ihr Anwesenheit zu interessieren. Sie war wie übelriechende Luft. Man bemerkte sie, rümpfte die Nase und war froh wenn sie wieder verschwunden war.

Binnen Sekunden widmete Embry sich erneut seinem Handy und ich lief etwas planlos durch die Garage, trat mit großen Schritten über das umher liegende Werkzeug, besah mir, was in den Regalen stand und auf der Werkbank lag. Nicht, dass mich dieses Zeugs interessierte, doch wollte ich nicht, dass Embry sich gezwungen fühlte, mich zu unterhalten oder noch schlimmer und es zu dieser grauenhaft peinlichen Stille kam und alles sich fremd anfühlte. Da Embry und ich eigentlich nie Kommunikationsprobleme hatten, aber Ausnahmesituation blieb Ausnahmesituation. Reden ist Silber und aus der Entfernung Schweigen war Gold.

„Alter, da bist du ja. Wo sind die anderen?“ Ich erkannte Pauls Stimme, die schnell näher kam, ich war so hinter dem Auto positioniert, dass er mich nicht sehen konnte. Kurz ließ es mich erschauern als ich an unsere kleine Auseinandersetzung dachte, seine Worte, die für mich keinen Sinn ergaben, aber im inbrünstigen Ton der Überzeugung ausgesprochen wurden. Am liebsten wäre ich durch einen anderen Ausgang, den es natürlich nicht gab, geflüchtet, ohne dass er mitbekäme, dass ich überhaupt anwesend war. Seine Stimme klang immer noch wütend, er schnaufte und als ich etwas um den Wagen herum sah, konnte ich sehen, dass er ein paar Schritte von Embry entfernt stand und sich genervt durchs Gesicht fuhr.

„Die anderen besorgen Ersatzteile. Was is´los?“ Murmelte Embry nebensächlich und wenig interessiert, wandte den Blick nicht von seinem Telefon. „Wo ist Cat?“ Knurrte Paul und sah erst in die dunkle Garage, es ließ mich etwas zur Seite weichen, dann sah er wieder nach draußen. Na immer hin wusste ich jetzt, wie sie hieß und mit wem sie zu tun hatte, es beruhigte mich aber in keinem Moment. „Keine Ahnung.“ Murrte Embry, aber Pauls Frage schien seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Er hob den Kopf und sah mit suchendem Blick ins Innere der Garage. Doch auch für ihn stand ich etwas versteckt. „Der Zug ist jetzt sowieso abgefahren.“ Grollte Paul und trat stinksauer gegen den Reifenstapel, seine Worte ergaben einmal mehr keinen Sinn für mich. „Halt die Klappe.“ Zischte Embry leise und ich konnte sehen, wie er den Hals reckte und versuchte mich im hinteren Teil der Garage zu erspähen. „Wieso, es war die beste Idee, seit die Verräterin abgezischt ist. Konnte doch keiner ahnen, dass die wieder auftaucht.“ Angestrengt lauschte ich Pauls Worten, wenn ich auch im selben Augenblick dran zweifelte, dass es gut wäre alles zu erfahren, was sich in meiner Abwesenheit zugetragen hatte. „Paul!“ Maßregelte Embry ihn erneut. „Was?“ Knurrte dieser zurück und schien ungehalten über Embrys Versuche, ihn zum Verstummen zubringen. „Cat passt perfekt zu Sam.“ Ich fragte mich, wann Paul unter die Kuppler gegangen war.

Das war also ihre Aufgabe, sie war für Sam hier, um ihn auf andere Gedanken zubringen. Eigentlich eine nett gemeinte Geste, dass Paul sich um Sams Gefühlsleben kümmerte, wenn nicht ich diejenige wäre, die ersetzt werden sollte. Die Erkenntnis, dass ich so einfach ausgetauscht werden sollte, auf der einen Seite als ein Freund von Sam, nachvollziehbar. Wahrscheinlich wollte er ihn nicht länger leiden sehen. Doch auf der anderen Seite, auf meiner Seite, ein Schlag in den Magen. Selbst das Sam und ich allmählich wieder zueinander fanden, schien Paul nicht davon abzuhalten, seinen Plan weiter zu verfolgen. Warum sonst war sie hier und das fand ich überaus bedenklich. Doch warf es die Frage auf, wollte sie Sam um seiner Selbstwillen oder wollte Paul, dass sie Sam wollte? Ging nur von ihr überhaupt keine Gefahr aus? War Paul derjenige, der gefährlich für mich, für uns werden könnte oder es schon war?

Ich hatte genug gehört, mehr konnte und wollte ich nicht lauschen und mehr wollte ich mir nicht zusammen reimen. Spekulationen waren von jeher kritisch zu betrachten, da es nur Mutmaßungen waren, aber ob, wieso und warum, diese Fragen blieben unbeantwortet. Gefährliches Halbwissen. Tief atmete ich ein und aus. Ein weiteres Mal wünschte ich mir einen anderen Ausweg. Doch meine Gedanken schlugen einen anderen Weg ein, wie scharfe Rasierklingen fuhren sie meinen Rücken hinunter. Was wäre, wenn sie tatsächlich die bessere Wahl wäre? Ich hatte keinen Plan wie es sich für mich weiter entwickeln würde. Was käme? Was passierte? Was blieb?

Als Außenstehender betrachtet konnte ich Paul und seine Kuppelversuche sogar verstehen, es fast gutheißen. Doch war mein Egoismus dermaßen ausgeprägt, dass in meinem Verständnis nur ich die Eine für Sam sein konnte. Keine Cat und auch sonst keine andere. Nicht, dass ich die Bessere wäre, nein, ich war nicht gut für ihn. Meine Anwesenheit war für ihn vielleicht aus Gewohnheit und geliebten Erinnerungen über die Maßen wichtig. Aber was bliebe, wenn es keine gemeinsame Vergangenheit für ihn und mich gegeben hätte. Würde er sich erneut Hals über Kopf in mich verlieben, wenn er mich nicht kannte und so wie ich jetzt war? Waren genau diese Gedanken das, was Paul in mir herauf beschwören wollte, um mich zu verunsichern und an Sam und mir zu zweifeln. Damit ich dann auf gewohnte Art und Weise lautlos verschwinden würde, Chaos hinterließ und Pauls Weissagung eintrafen.

Diese verwirrenden und doch fast zukunftsnahen Gedanken veranlassten mich, diesen Ort fluchtartig verlassen zu wollen. Aber wollte ich nicht beschämend an ihnen vorbei und hinaus rennen. Etwas wollte ich mir von dem letzten bisschen Würde noch bewahren und aufrecht erhalten. Doch würde ich mich, was auch immer geschah, wenn Paul wüsste, dass ich hier war, auf keine schwachsinnige und überflüssige Diskussion einlassen. Grazil und erhobenen Hauptes wollte ich an ihm vorbei schweben, unnahbar, distanziert und überlegen. Wenn ich es in Gedanken vor mir sah, so schoben sich die realitätsnahen Bilder davor. Wie ich panisch an ihnen vorbei stolperte und höchstwahrscheinlich böse und vor ihren Füßen auf die Fresse fallen würde. Meine Entschlossenheit schwand mit jedem weiteren Gedanken und am liebsten hätte ich mich unentdeckt in eine Ecke verzogen, um abzuwarten, bis die Luft Paulfrei wäre.

Ich haderte, welchen Gedankengang ich in die Tat um setzen sollte. Überlegte hin und her, doch war es vertrackt. Wie auch immer ich mich entscheiden würde, wäre es doch die Falsche.

Stimmengewirr, das sich unaufhaltsam näherte. Bis ich das tiefe Brummen herausfiltern konnte, das ich besser kannte als meine eigene Stimme, und ich wusste, wer da im Anmarsch war. Erst erkannte ich Sam, als nächsten Nuno und Jake erkannte ich an seinem unverwechselbaren Lachen. Kurz schloss ich die Augen und knurrte leise, da mir jetzt die Entscheidung, einfach abzuwarten, genommen wurde. Im selben Moment fragte ich mich, wie sie so schnell zurück sein konnten.

Sam erschien als Erster und trat in mein Sichtfeld. Kurz begrüßte er Paul, nicht überschwänglich, eher kühl und etwas reserviert. Paul hielt es genau so, doch sein Gesicht verriet, dass es ihm nah ging. Aber Sam lief unbeirrt an ihm vorbei, weiter ins Innere. Irritiert blieb er stehen, als er mich hinter dem Wagen stehen sah. Etwas zog er die Brauen zusammen, sagte jedoch nichts und verriet nicht meine Anwesenheit. Ein Stück hob er fragend die Hände und wartete auf meine Reaktion. Doch da diese ausblieb, kam er langsam näher, bis auch er hinter dem Auto verschwunden war und neben mir stand. „Alles okay?“ Flüsterte er knapp und sah auf mich hinab. Mein Blick wechselte von ihm zu Paul und ich schnaufte leise, dann aber versuchte ich überzeugend zu nicken. „Warum stehst du hier?“ Ihn schien mein Verhalten zu verwundern. „Hat Paul....“ Wenn er auch immer noch flüsterte, wurde sein Ton scharf, drohend und er schien mit jeder vergangenen Sekunde, in der geschwiegen wurde, ungehaltener. Noch bevor er seinen Satz beenden konnte, schnitt ich ihm flüsternd das Wort ab. „Es ist okay.“ Langsam hob ich die Hand und berührte zögerlich die Seine und als ich über die warme und weiche Haut seines Handrückens fuhr, wurde er wie auf Knopfdruck ruhiger. Als wäre eine Berührung von mir wie ein Beeinflussen seiner Gefühle und Negatives wandelte sich in Positives. Der finstere, fast feindselige Ausdruck seines Gesichts wich und es wurde so liebevoll wie ich es kannte und liebte.

„Jake.“ Sagte er im lauten Ton und es ließ mich leicht zusammenzucken. Was hatte er vor? Mit schreckgeweiteten Augen sah ich ihn an, auch er wandte den Blick nicht ab. „Hä?“ Ertönte es vom Garageneingang. „Kannst du mit Paul das restliche Werkzeug von dir holen.“ Es war nicht wie eine Frage formuliert, es war schon fast im Befehlston vorgetragen. „Muss das jetzt sein?“ Maulte Jake zurück und es hatte den Anschein, dass er nicht in geringsten Lust hatte, Sams Aufforderung nachzukommen. „Ja!“ Sams Ton ließ keine Zweifel offen, dass er es ernst meinte. Kurz wandte ich den Blick ab und sah nach vorn. Paul Gesicht sprach Bände. Seine Lust schien sich auch in Grenzen zu halten, doch außer ein lautes genervtes Schnaufen war nichts weiter von ihm zuhören. Ich war mir sicher, wenn es auch völlig hirnverbrannt war, schien er vor Sam gehörigen Respekt zu haben, als wollte er durch Wiederworte nicht noch weiter in seiner Gunst sinken. Doch ging es hier nicht darum, Sam anzubiedern. Sie waren doch Freunde und somit gleichgestellt. Und so taten Jake und Paul, was Sam sagte. Ich sah wieder zu Sam, doch nur für ein paar Sekunden. Sah wie er mein Gesicht musterte, seine Hand hob und mir ein paar widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn strich. Dann sah ich wieder zurück und beobachtete, wie Embry sich den Hals verbog und ihnen mit seinen Blicken folgte. „Und?“ Fragte Sam abermals laut. „Die Luft ist rein.“ Gab Embry zurück. Er schien Sams Verhalten nicht irritierend oder verwunderlich zu finden, auch hinterfragte er es nicht. Fast schon zu routiniert war das Zusammenspiel der beiden.

„Und wir beide machen jetzt einen kleinen Spaziergang und unterhalten uns ein bisschen.“ Sein Ton war nicht mehr so harsch und laut. Er wandte mir den Rücken zu, tat ein paar Schritte und drehte sich erneut um. „Kommst du?“ Bat er mich leise. Nach wie vor sah ich ihn an und fragte mich, wann er zu einer Respektsperson mit diesem dermaßen großen Einfluss heran gereift war. Sollte ich es bedenklich finden, dass die Anderen sprangen wenn er etwas sagte, oder sollte ich viel mehr beeindruckt sein. Aber das war ich nicht. Ich konnte es noch nie leiden, wenn jemand mir versuchte, Vorschriften zu machen. Versetzte ich mich jetzt zu sehr in die Anderen? Was ich an ihrer Stelle tun würde? Sicher alles, nur nicht die Befehle befolgen. Doch sollte ich nicht außer Acht lassen, dass Sam es tat, damit ich ungesehen davon kam. Somit tat er es für mich und ich sollte mich zu Dank verpflichtet fühlen. Aber würde er alles von mir abhalten, was in irgendeiner Weise unangenehm für mich wäre, wäre es auch eine Art der Bevormundung. Doch wollte ich nicht zu schnell Schlüsse ziehen. Vielleicht war es auch nur eine Ausnahme und er würde seine Autorität nicht noch mal in diesem Ausmaß missbrauchen.

Langsam setzte ich mich in Bewegung und folgte ihm über das umher liegende Werkzeug nach draußen. Als ich an Embry vorbei ging, konnte ich ihn nicht ansehen. Falsche oder berechtigte Scham, es war egal und fühlte sich schäbig an. Tief vergrub ich meine Hände in den Hosentaschen und folgte Sam, der in die entgegengesetzte Richtung, in die Jake und Paul verschwunden waren, ging. Ein Stück lief ich hinter ihm, mir war unwohl in meiner Haut. Da ich ahnte, über was er mit mir reden wollte. Ich war mir sicher, es ging um Paul und meinen kleinen Zwist, von dem Sam zwar nichts wusste, es aber sicherlich ahnte. Er hatte für so etwas eine Antenne. Aber noch lief er wortlos vor mir her, sah sich mehr als einmal nach mir um und lächelte aufmunternd. Mit diesem Lächeln vertrieb er das schlechte Gefühl Stück für Stück.

Ich hatte keine Ahnung, wo er hin wollte, doch lief ich ihm wie ein Lemming hinterher, als sein Name hinter uns gerufen wurde. Im selben Moment drehten wir uns um. Jake und Paul waren zurück und standen soweit von uns entfernt, dass ich ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Doch wie Paul die Arme vor der Brust verschränkt hielt, sagte mehr als tausend Worte. Jake warf die Arme in die Luft und ließ sie mit Schwung baumeln. Es sah nach einer Art Unverständnis oder Protest aus, dann wandte er sich ab und verschwand in der Garage. Paul stand noch immer da und sah in unsere Richtung. „Na komm.“ Versuchte Sam meine Aufmerksamkeit zu erlangen, aber noch immer sah ich Paul an und wünschte, sein Gesicht erkennen zu können. Mit der Entfernung zwischen uns war es leichter zu ertragen. Sams Arm legte sich langsam um meine Hüften und sachte schob er mich weiter. Erst jetzt sah ich wieder, wo ich hintrat. Auch ich legte einen Arm um seine Hüften und schmiegte mich an seine Seite. Seine Wärme zu fühlen, ihn zu berühren und seinen Duft einzuatmen war so beruhigend. Seine Anwesenheit war wie ein tröstendes Pflaster auf einem geschundenen Kinderknie. Dann, nach ein paar Metern, warf ich erneut einen Blick über meine Schulter. Paul hatte sich keinen Meter bewegt, sein Benehmen machte mir langsam aber mit schauriger Gewissheit Angst. Seltsam, untypisch, unerklärlich.

„Ihr wart schnell zurück.“ Unterbrach ich nach ein paar Minuten die Stille, die weder unangenehm noch befremdlich war. Kurz sah er mich an, dann wieder geradeaus. „Wegen Todesfall geschlossen.“ Fasste er den Grund knapp und emotionslos in Worte. Stumm nickte ich vor mich hin, unsere kurze Unterhaltung erstarb. Weiter liefen wir den Weg entlang, der parallel zum Strand führte. Wie es mir schien planlos, einfach drauf los, ohne Ziel oder Bestimmungsort. Ich machte mir Gedanken, um wen es sich bei dem Todesfall handelte. Wer, wann und wie diese Welt verlassen hatte. Aus mir unbekannten Gründen empfand ich Mitleid mit den Hinterbliebenen, ohne sie zu kennen, ohne zu wissen, ob der oder die Verstorbene ein liebenswerter Mensch war. Wir bogen links auf einen kleinen Schotterweg, dessen Schlaglöcher noch mit dem Regen der vergangenen Nacht gefüllt waren, er brachte uns ohne Umschweife zum Strand. Nach und nach neigte sich der orangeglühende Feuerball dem Horizont entgegen und tauchte alles, was uns umgab, in traumgleiches Licht. Hier an der Grenze von Himmel, Erde und Meer.

Abrupt blieb ich stehen und bewunderte, wie die herannahende Nacht die Sonne verscheuchte und ihren Siegeszug vorantrieb. Sams Arm rutschte von meiner Taille, mit langsamen, fast schlurfenden Schritten ging er weiter und schob den groben Sand vor sich her. Für einen Moment beobachte ich sein Tun, die wohlbekannte Kontur seines Körpers, die gewohnte Bewegung, sein Gang, wie er den Kopf drehte, wie er die Hände in den Jackentaschen vergrub. Jede Einzelheit, jedes Detail an ihm erinnerte mich daran, dass ich genau hier hergehörte. Zu ihm, an seine Seite. Nicht das Zwitschern irgendwelcher Vögel sollte mich morgens wecken. Es sollte auf ewig seine tiefe, bassige Stimme sein, die mir eine wohlige Gänsehaut über den Rücken jagte.

Je mehr Zeit ich hier verbrachte, um so unverständlicher wurde mir, wie ich so lange auf all das verzichten konnte und trotz allem weiter existierte. Die Wärme seiner Zuneigung, die mein Inneres immer wieder auf ein Neues in riesigen Wellen überflutete. Die kurzen und zaghaften Berührungen, ein Blick, ein Lächeln. Meine lang vermisste Droge, die die Welt ein wenig wärmer und heller werden ließ und für die ich doch nie Ersatz fand. Einmalig und unverwechselbar. Es gab nicht nur schwarz und weiß. In seiner seiner Nähe erkannte ich nicht nur die unzähligen Grauabstufungen, sondern mit fast erschreckender Klarheit die Symmetrie des Universums. Alles was wirklich wichtig im Leben war, worauf es ankam. Aber noch viel mehr die Unwichtigkeit der Dinge, die ich beinahe gottgleich angebetet hatte.

Der Gedanke, diesen Ort irgendwann erneut hinter mir zu lassen, war zu ertragen, wenn auch schwer. Doch der Gedanke, Sam erneut zu verlassen brannte wie Feuer und fraß sich unaufhörlich in mein Gedächtnis. Wie eine Art der Vorbereitung, als sollte ich mich an diesen Schmerz gewöhnen, da ich ihn dann mein Leben lang mit mir herum tragen müsste. Die Flammen züngelten durch meine Venen auf geradem Wege zu meinem Herzen.
Wenn allein der Gedanke an den Verlust dermaßen schmerzte, wollte ich mir nicht ausmalen wie es sich anfühlen musste, wenn der Tag der Tage anbräche. Es war nicht angsteinflößend, es war, als wäre der Tag an dem ich starb, mit Datum und Stunde festgehalten und die Uhr tickte, laut, unaufhaltsam und wenn es etwas gab, was ich zu gut wusste, dann, dass man die Zeit nicht zurückdrehen konnte.

Ohne einen für mich ersichtlichen Grund drehte Sam auf der Hacke um, blieb stehen und besah sich, wie ich in den letzten schimmernden Strahlen der untergehenden Sonne verharrte und diesen Moment, in dem ich so klar wie nie sah und es doch so unwirklich erschien, nur für eine kleine Ewigkeit festhalten wollte.

„Seine Frau...“ Sagte er leise, doch laut genug, dass ich ihn über das Rauschen der Wellen verstand. Fragend wandte ich den Blick zu ihm. „..... sie ist gestorben.“ Etwas legte ich den Kopf schräg. Sein Gesicht, das ernst wirkte, ließ einen Hauch der Traurigkeit erahnen, die sich unter der Oberfläche ausbreitete.
„Kanntest du sie?“ Genau beobachtete ich seine Reaktion auf meine Frage, aber sie war nicht untypisch für die Situation. „Nicht besonders gut.“ Entgegnete er, zuckte mit den Schultern und sah für einen Moment zu Boden. Aber warf es die Frage auf, worum er trauerte. Noch bevor ich Mutmaßungen darüber anstellen konnte, sah er wieder auf. „Es ist wohl das Grausamste, was einem Mann widerfahren kann.“ Jetzt klang seine Stimme brüchig, als fiel es ihm schwer auszusprechen, wie er empfand. Kurz nickte ich. „Das ist grausam.“ Die Stimmung wurde schwermütig, bedrückend und doch war sie von ehrlichen Gefühlen erfüllt. „Davor habe ich Angst.“ Brummt er und sein Ausdruck untermalte seine gesprochenen Gefühle. Etwas zog ich die Brauen zusammen, mir war nicht ganz klar wovon er sprach.
„Das ich irgendwann einen Anruf bekomme und erfahren muss, dass ich allein auf dieser Welt bin. Und ich nicht bei dir war.“ Entsetzt darüber, dass er Gewissheit zu haben schien und davon ausging wir würden wieder getrennt werden, vielleicht bis zum Ende unserer Tage, war schockierend. Hatte er nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer, dass es für uns ein gutes Ende gab? Wie auch immer es aussehen würde. Er drängte mich nicht, ihn vom Gegenteil überzeugen, er war nicht wütend auf Grund der Aussichtslosigkeit. Es war schlimmer. Er bedauerte, er bedauerte Geschehnisse, die noch nicht statt gefunden hatten und für ihn doch so real und gewiss waren, dass es ihn verzweifeln ließ. Seine Worte machten mich sprachlos und ich erfuhr, wie grausam es war, den leiden zu sehen, für den man alles sein wollte und am Ende doch diejenige war, die ihm unmenschliche Schmerzen zufügte. Doch so musste es nicht kommen, ich war hier, ich wollte ihm glaubhaft versichern, dass alles gut werden würde. Aber wer wäre ich, dass ich so etwas voraussagen könnte. Ich wusste nicht, wie die Zukunft aussah, ich wusste nicht, wie die nächste Entscheidung ausfallen würde, nichts wusste ich. Bis auf eines und das wollte ich ihm versprechen, schwören, prophezeien. Dass er die Liebe meines Lebens war und es auf ewig bliebe.

Wie er seine Angst und Bedenken aussprach, ließ mir den Hals enger werden. Bestürzt sah ich ihn an und schüttelte ungläubig den Kopf. „Womit quälst du dich?“ Flüsterte ich mit erstickter Stimme. Etwas bitter lachte er auf, doch nur um in derselben Sekunde wieder ernst zu werden. „Du wirst wieder gehen und ich kann nicht für dich da sein. Auf dich aufpassen und dich beschützen.“ Es war so typisch für ihn. Ein Beschützer mit Leib und Seele. Schon früher war er immer um mein Wohl besorgt und bis zum heutigen Tag hat sich nichts geändert. „Sei jetzt für mich da.“ Bat ich leise und sah von unten zu ihm auf. Mit drei langen Schritten stand er vor mir, sein Ausdruck unverändert leidend. „Jetzt und bis zum letzten Tag.“ Flüsterte er, als seine starken Arme mich umschlossen und er mich an sein breite Brust drückte. Es lag ebenso viel Inbrunst wie Schmerz in seinen Worten und ein leises Schluchzen konnte ich nicht unterdrücken. War sein Schmerz doch immer auch meiner.

Decided


Chapter 8

`Wenn die Ratlosigkeit über dich hereinbricht wie ein Donnerschlag und du nicht im Ansatz eine Vorstellung hast wie es weiter gehen soll, ist es einfacher, es zu übersehen, um irgendwie weitermachen zu können.´

*

Ein Hauch von Normalität, wenn nur mittelmäßig inszeniert, war es doch alles, was mich abhielt verrückt zu werden. Ich glaube, Sam ging es nicht anders. Doch war er der Stärkere von uns beiden. Wenn wir auch versuchten, den anderen es nicht merken zu lassen, klammerten wir uns hoffnungslos aneinander und raubten unserem verzweifelten Gegenüber zeitweise die Luft zum Atmen.

Es gab zwei unvergessliche Momente in meinem Leben. Als ich ihn zum ersten Mal sah und wenn er seinen letzten Atemzug täte. Doch die vielen kleinen Augenblicke dazwischen waren so kostbar und unersetzlich wie die Liebe zu ihm.

Mit voranschreitender Zeit war es mir öfters vergönnt, zu vergessen. Doch wenn die Nacht sich mit all ihrer Dunkelheit und erdrückenden Schwere senkte und Fragen zurückbrachte, auf die die Antworten ferner lagen, als der Raum zwischen Erde und Venus, waren die brennenden Zweifel zurück, im Schlepptau der Angst. An manchen Tagen überwogen sie und selbst mit dem Erwachen des nahenden Morgen gerieten sie nicht in Vergessenheit. Selten verging eine Nacht in der ich ihm nicht beim Schlafen zusah und Tränen ihren Weg fanden. Doch nicht aus Angst, aus Dankbarkeit, dass es ihn für mich gab und mit jeder weiteren Nacht reifte tief in mir eine Entscheidung. Die Zeit forderte nach Entscheidungen, bevor ihm oder mir die Kraft dazu fehlte.

*

Er lag mit dem Gesicht zur mir, entspannt und friedlich. War die Nacht ein Ort des Vergessens für ihn, die wahr gewordene Hölle für mich. Ich lag ganz dicht bei ihm, seine breiten Schultern nahmen mir fast die Sicht auf das Fenster, das mich wissen ließ wenn die dunklen Stunden ein Ende fanden und ein neuer Tag seinen Anfang nahm, in dem es wieder hieß `Durchhalten, koste es was es wolle´. Doch dieser Morgen war anders. Die Herbstsonne verbreitete ihr warmes, schmeichelndes Licht und ließ erahnen, wie weit das Jahr voran geschritten war. Noch ein paar Wochen, ehe die Bäume ihre Blätter verloren und die wunderschönen Rot- und Gelbtöne dem tristen Grau wichen. Wie jede vergangene Nacht der letzten Wochen hielt ich seine Hand und ließ sie erst los, wenn seine Gedanken wieder bei mir waren und das Gefühl des Alleinseins erträglich wurde. Sein Atem ging langsam und regelmäßig, ein beruhigendes Geräusch. Wie Balsam für geschundene Seelen, Beständigkeit in dem Chaos der Unwissenheit.

Leise seufzte ich und fragte mich, wie lange ich noch mit so wenig Schlaf auskäme, ehe ich über den Rand des Wahnsinns sprang und komplett durchdrehte.
Ein Ast der großen Buche, die unweit des Fenster stand, wog im Wind sachte hin und her. Die Sonne brach sich tausendfach in den Tautropfen, die wie abertausende Diamanten im Gras ruhten. Es war fast zu idyllisch, als dass ich es ertragen konnte. Ich schloss die Augen und wollte sie nur einen Moment ausruhen. Sam drehte sich unter leisem Stöhnen auf den Rücken, drückte leicht meine Hand. Mit immer noch geschlossenen Augen versuchte ich ihm ein Lächeln zu schenken. Kurz drauf fühlte ich seine Hand, wie sie tröstend über meine Wange fuhr.

„Konntest du schlafen?“ Flüsterte er angenehm leise. Ein Moment von vielen, doch liefen warm Tränen über meine Wangen. Wenn ich auch immer darauf bedacht war, meine Verzweiflung so gut es ging vor ihm zu verbergen, war es mir jetzt unmöglich. Das dicke Fell, das ich mir in Los Angeles zulegen musste, hier konnte man zusehen, wie es dünner und dünner wurde. Immer öfters fühlte ich mich schutzlos und verletzlich, wenn Sam nicht bei mir war, weshalb ich mir nicht vorstellen konnte, jemals wieder ohne ihn zu sein. Er war mein schützender Panzer. Ohne dass ich hinsah, fühlte ich, wie er sich wieder zurück zu mir drehte, näher an mich heranrobbte und fest seinen Arm um mich legte.

„Es geht weiter, du wirst sehen.“ Flüsterte er abermals. Doch war ich mir nicht sicher, warum ich weinte. Die Dauerbelastung, die Erleichterung, endlich entschieden zu haben, oder doch um das, was ich aufgab. Das was ich aufgab, war nichts in Vergleich zu dem, was ich gewann.

Vorsichtig strich er über die Spuren, die meine Tränen hinterließen. Zitternd sog ich die Luft ein, drückte mich näher an ihn, meine Hand ruhte auf seinem Rücken und ich vergrub mein Gesicht an seiner nackten Brust. Wir waren eins. Symbiotisch, Leben ohne den anderen, undenkbar, unmöglich.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, in der wir aneinander gekuschelt dalagen und den anderen einfach nur fühlten. Doch war Zeit jetzt nicht von Bedeutung. Mit dem Entschluss, den ich fasste, war es spürbar, wie die Erleichterung Stück für Stück eintrat. Tief konnte ich durchatmen, ohne dass es mich anstrengte. Ich genoss es, seine warme Haut unter meiner Hand zu fühlen. Sein Herzschlag, der rhythmisch, stark und lebensbejahend pochte, wandelte sich zu einer Melodie. Bittersüß, verführerisch, als lockte sie mich, zu riskieren, um endlich das Leben zu beginnen, das für mich vorgesehen war. Es war so weit und ich akzeptierte mein Schicksal, es war fast zu einfach, wenn man zu kämpfen gewohnt war.

Sanft küsste er meine Stirn. Seine Lippen verharrten und ließen mich hingerissen seufzen. Blinzelnd öffnete ich die Augen und betrachtete die makellose Haut seiner Brust. Langsam wanderte mein Blick höher, mit der Nase fuhr ich seinen Hals entlang. Seine Haut roch nach einer Mischung aus Sommer und Wärme. Zaghaft zog ich eine kleine Spur aus Küssen darüber, hinauf zu seiner Wange.

„Ich liebe dich.“ Hauchte ich, bevor unsere Lippen sich fanden. Es war Jahre her, dass ich diese Worte ihm gegenüber geäußert hatte. Obwohl ich es jeden vergangenen Tag hätte tun können. Da es der Wahrheit entsprach. Egal wie weit man von einander entfernt war, oder wie sehr man sich über den anderen geärgert hatte. Liebe kannte diese Grenzen, diese Einschränkungen nicht.

Nach kurzen atemberaubenden Minuten gab er meine Lippen frei und sah mich an. Ein kleines Lächeln, verschönerte sein ohne hin makelloses Gesicht. „Und ich ….. liebe dich.“ Das erste Mal seit ich wieder zurück gekommen war, hatte ich den Eindruck, dass ich ihn aufmuntern konnte, seinen Tag etwas heller machte. In seinem Ausdruck lag immer etwas Bedauern und Wehmut, doch jetzt verjüngte es sich in Sekunden und strahlte. Ich fand es beeindruckend, was Worte in der Lage waren zu bewirken und so sollte er erfahren wie die Zukunft für uns aussah. Für mich war es eine Bürde, für `uns´zu entscheiden, hingegen es für ihn, der blanke Horror sein musste, nichts tun zu können und nur zu hoffen, dass der andere zu seinen Gunsten entschied.

„Du bist wunderschön.“ Sein Gesicht, nur eine Handbreit von meinem entfernt, mit beiden Händen nahm ich es. Seine Worte zauberten auch mir ein Lächeln aufs Gesicht. „Kommst du den Rest deines Lebens damit klar?“ Begann ich zu grinsen. Etwas irritiert legte er den Kopf schräg, man konnte ihm fast ansehen wie sein Hirn die Arbeit aufnahm. Dann wie auf ein stummes Kommando weiteten sich seine Augen. „Du.....ich.... äh....wir....!“ Stotterte er drauf los. Wissend begann ich zu nicken. „Ja.“ Sein Blick jagte erst euphorisch, dann nachdenklich über mein Gesicht.

„Ich bleibe.“ Lächelte ich und fragte mich, ob es für ihn doch nicht so eine überragende Mitteilung war. Noch etwas näher beugte er sich zu mir. „Du bist dir ganz sicher? Hast es dir gut überlegt?“ Wenn er versuchte, zurückhaltend zu sein, nahm ich seine aufgeregten kleinen Gesten war. Wie er unaufhörlich meine Seite entlang strich, nervös auf seiner Unterlippe kaute und immer wieder fragend die Augenbrauen zusammenzog. Kleine Schrulligkeiten, die ich so sehr an ihm mochte und die ihn verrieten, wenn sich etwas in seinem Innern tat. Es hatte viel Schönes, einander so gut zu kennen und Worte so oft überflüssig waren.

Er stützte beide Hände links und rechts neben meinem Kopf auf die Matratze. „Du bleibst also.“ Vergewisserte er sich mit ruhiger Stimme. Langsam nickte ich und wartete darauf, dass er endlich verstand und realisierte was ich ihm mitzuteilen versuchte. Er sah an mir vorbei, sein Blick verlor sich im Nichts, ungläubig, fast etwas misstrauisch. Dachte er ich würde über etwas dermaßen existentielles Witze reißen und in der nächsten Sekunde aufspringen und rufen ´April, April`?

Er ging sogar noch einen Schritt weiter und begann mich mit jedem vergangenen Moment zu verunsichern. Er setzte sich auf, zog die Knie an und legte seine Arme darauf. Er überlegte. Vielleicht ob es überhaupt ein Grund wäre sich zu freuen. Oder war es eher das langersehnte Geschenk, das man sich sehnlichst wünschte und es mit Erhalten seinen Reiz verlor? Aber nein, so war er nicht, so war er nie. Doch sollte ich nicht außer Acht lassen, dass ich lange fort war und Menschen sich änderten. Doch würden solche Gedankengänge nicht sein Verhalten, sein Leiden der letzten Wochen erklären. Doch was, wenn er das Leid zu lieben gelernt hatte und es sich in diesem Moment in Rauch auflöste. Müsste er eine neu begonnene und geschätzte Liebe betrauern?

Ich tat es ihm gleich, setzte mich auf und rutschte soweit zurück, dass ich an die Wand gelehnt saß. Zwischen uns klaffte eine große Lücke, die mir falsch vorkam. Abwartend musterte ich ihn immer wieder. Wenn er sonst wie ein offenes Buch für mich war, hatte er es soeben mit sieben Siegeln verschlossen und kam mir fremd vor.

Kurz und fordernd räusperte ich mich. Er konnte doch nicht einfach da sitzen und nachdenken. Während mich die Zweifel plagten und aufzufressen drohten. Noch bevor die sonst so geschätzte Stille zwischen uns unangenehm wurde, klopfte es an der Haustür. Abwartend fiel mein Blick wieder auf ihn. Aber nichts. Er rührte sich kein Stück, machte keine Anstalten dem Fordern nachzukommen. Er saß da, still, bewegungslos, als würde er einen Film verfolgen, der nur in seinem Kopf stattfand.

Wiederholt klopfte es, energischer als zuvor und so nahm ich mir die Freiheit seine Aufgabe zu erledigen. Zögernd stand ich auf, in der Zimmertür drehte mich erneut um. Als würde er gar nicht mitbekommen was geschah. Leise seufzte ich, lief durchs Wohnzimmer zu Haustür. Den Türknopf schon in der Hand, haderte ich und öffnete nur widerwillig.

Wie so oft hätte ich auf mein Bauchgefühl hören sollen. Indem die Tür aufschwang, erkannte ich Paul, der mich missgünstig beäugte. Hatte ich ihn die letzten Wochen so gut wie nie gesehen. Er mied mich, aber so war es mir recht. Sein Verhalten hatte sich nicht geklärt und da ich Sam damit nicht auch noch belasten wollte, kehrte ich diese Geschehnisse unter den Deckmantel des Schweigens. Vielleicht kam irgendwann die Zeit für ein offenes Gespräch, doch momentan konnte und wollte ich nicht auf Konfrontationskurs gehen. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und bevor ich einen überragenden Koller hinlegte, vertagte ich es auf einen günstigeren Zeitpunkt.

Doch nicht nur Paul, auch die anderen, hatten wir weitestgehend aus unserem Leben verbannt. Nicht mit böser Absicht, doch verlangte es Sam, so wie mir, nach Zeit für einander. Da es bis vor ein paar Minuten nicht absehbar war, wie es weiter ging. Doch selbst jetzt, da ich Sam sagte wie unsere Zukunft aussehen könnte, wurde es durch sein Verhalten nicht einfacher.

„Ist Sam da?“ Knurrte Paul verachtend. Schnaufend sah ich an ihm vorbei, zur Tür hinaus und überlegte einen Moment zu lange. „Hallo? Ist das angekommen!“ Setzte er eben so unfreundlich nach. „Wie man es nimmt.“ Flüsterte ich und noch immer wollte ich ihn nicht ansehen. Meine Antwort war nicht, was er hören wollte, grob schob er mich an die Seite und verschaffte sich Eintritt.

„Sam!“ Seine wütende Stimme hallte durch die kleinen Räume des Hauses. „Es ist kein guter Zeitpunkt.....“ Versuchte ich ihn auf höflicherweise zum Gehen zu bewegen.

„Es war kein guter Zeitpunkt an dem ´Du´ wieder aufgetaucht bist.“ Raunzte er, als er sich zu mir umdrehte. Seine Augen fast schwarz vor Ungehaltenheit, funkelten kampfeslustig. Erneut seufzte ich, ging kommentarlos an ihm vorbei und ließ in einfach stehen. Doch wie es schien, erachtete Paul diesen Moment als überaus geeignet, mir erneut Vorhaltungen zumachen. Ich erschien ihm schwach und wehrlos, ein einfaches Opfer, um seiner Wut erneut Luft zu machen.

„Du bist Gift für ihn.“ Zischte er leise, aber dennoch gut hörbar. Ich blieb stehen, hielt einen Moment inne und horchte in mich, ob ich mir krafttechnisch einen Ausraster leisten konnte. Doch so wie die Wut hochkochte, war sie wieder verschwunden. Keine Kraft, keine Chance etwas dergleichen zu erwidern und mich auf sein Niveau herab zulassen.

„Lass gut sein, Paul.“ Erwiderte ich müde und wollte zurück, um zu sehen ob bei Sam schon der Abspann lief. Noch bevor ich den kleinen Flur erreicht hatte, schreckte ich zusammen.

Sam stand in der Zimmertür, sah mich an. Selbst aus der Entfernung sah ich das kleine Funkeln der Rinnsale auf seinen Wangen. Es irritiert mich, sollte nicht Freude Anstelle von Trauer seine Gesicht dominieren?

„Sam?“ Flüsterte ich fragend und war beunruhigt wie schon lange nicht mehr. Ich war nicht einfach nur beunruhigt, ich hatte Angst, Angst um ihn. Paul nutzte die Gunst der Stunde, da er hoffte, Sam sein Anliegen, dass ihn herführte, vorzutragen. Er trat hinter mich und sah ebenfalls in den dunklen Flur, der an der Zimmertür endete, in der Sam wie eine Engelserscheinung stand, umgeben von den gleißenden Strahlen der Sonne. Ich wartete nur auf den Augenblick, dass seine Flügel vorschnellten, sich ausbreiteten und ich mich schützend unter ihnen verkriechen konnte. Ein trockenes Schlucken war alles was ich noch von Paul vernahm.

Es mussten Minuten vergangen sein, aber genau konnte ich es nicht sagen. Nicht für auch nur einen Wimpernschlag wandte Sam seinen Blick ab. Paul hinter mir, trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Es wunderte mich, dass er verstummt war. Auch dass er noch nicht die Flucht ergriffen hatte. Da schien seine Neugier, was sich hier zutrug, größer zu sein als der Respekt, den er vor Sam hegte.

Sams Gesicht, das für die vergangenen Momente fast versteinert wirkte, bat mich wortlos näher zukommen. Wie von unsichtbarer Hand geführt musste ich nicht drüber nachdenken. Er rief mich, stumm und ich war für ihn da, so wie ich es immer sein sollte.

Einen Schritt von ihm entfernt kamen meine Füße zum Stillstand, als wollte ich ihm die Möglichkeit lassen, sich umzuentscheiden, falls es nötig wäre. Doch so wie ich stehen blieb, ging er langsam und doch unaufhaltsam auf die Knie. Sein Anblick, die Situation, es war so ein trauriger und emotionaler Augenblick, dass ich, wenn keine Zuschauer anwesend wären, vor Rührung geweint hätte.

Ein Mann wie ein Fels, auf Knien, mit diesem zweifelnden und doch hoffnungsvollen Ausdruck, war fast zu viel für meine niedergemetzelte Gefühlswelt. Noch konnte ich das Beben meiner Brust unter Kontrolle halten, aber war es doch nur eine Frage der Zeit, ehe meine Selbstbeherrschung sich verabschiedete.

Sicher, überzeugt und in keiner Sekunde hadernd, streckte er seine Hand nach mir aus. Ich wollte mich in seine Arme werfen und ihm meine Liebe schwören, dass ich auf ewig sein wäre und er der Eine für mich war. Doch noch ehe ich es in Betracht ziehen konnte, dies vor Paul zu tun, kam Sam mir und meinen Gedanken zuvor, als ich zaghaft meine Hand in seine legte.

„Aleu Hunter.....“ Beim bassigen Klang seiner Stimme, schloss ich kurz die Augen und sog stockend die Luft ein, die immer so viel süßer roch, wenn er bei mir war. Sein Blick war stark und entschlossen.

„.....werde meine Frau.“

Noch bevor ich auch nur in der Lage war, etwas auf seine Bitte zu erwidern, ertönte Pauls Stimme hinter mir. Leise, aber doch voller Entsetzen.

„Ach du Scheiße!“ Fluchte er leise, stampfende Schritte und das Knallen der Haustür ließ mich wissen, dass wir endlich allein waren. Auch tat Pauls Getue der Situation keinen Abbruch. Ein neuer Augenblick, unberührt, nicht zu überbieten in seiner Einzigartigkeit, der sich bei den Unvergessenen einreihte.

Etwas legte ich den Kopf schräg und ging ebenfalls auf die Knie. Ihm war anzusehen wie ernst es ihm war und doch waren seine Befürchtungen greifbar. Meine andere Hand fand an seiner Wange Ruh, als alle Dämme brachen.

Dinge, die lange aufgeschoben und durch mein Verschwinden unmöglich gemacht wurden, fanden ihren rechtmäßigen Zeitpunkt, wurden ausgesprochen und gleichermaßen erhört.
Seine Hand lag warm auf meiner, er schmiegte sich hinein und schloss die Augen.

„Ich würde es lieben, deine Frau zu sein.“ Flüsterte ich zwischen den Schluchzern, die mich auf ein neues schüttelten. Erlösend breitete er seine Arme aus und fing auf, was vor viel zu langer Zeit seinen Anfang nahm. Dass so, wie ich es umgesetzt hatte, von Vornherein zum Scheitern verurteilt war. Da ich ohne ihn zwar existierte, aber doch niemals lebte. Er stand auf und hob mich mit hoch. Seine Umarmung lockerte sich und als ich ihn jetzt wieder ansah, war er mein Sam. Grinsend, fröhlich, einfach glücklich. War dies das letzte Bild welches ich all die Jahre vor Augen hatte. Hätte ich mich von ihm verabschiedet und wäre mit dem Bild, das ihn verzweifelt darbot, gegangen, hätte ich ihn niemals verlassen können.

Er drehte mir den Rücken zu und ging zum Nachttisch. Mit einem schabenden Geräusch öffnete er die oberste Schublade und griff hinein.
Als er sich wieder zu mir drehte, hielt er ein schwarzes samtenes Kästchen in Händen. Er sah auf und sein Lächeln war überwältigend. Gott, ich wollte ihn festhalten und nie wieder loslassen.

In meinem kurzen Leben musste ich Lektionen lernen, die so schmerzhaft, aber dennoch nötig waren. Damit ich endlich erkannte was das Leben ausmachte und ich dankte dem Allmächtigen, dass Sam mein Schwan war.

Mit langsamen Schritten kam er zurück, kurz vor mir öffnete er das Kästchen und hielt es mir entgegen. Ich war nicht nur sprachlos, ich glaube, mir klappte sogar der Mund auf. Das musste man ihm lassen, er hatte Geschmack. Vor mir ruhte auf Samt gebetet ein Meisterwerk der Schmiedekunst. Verschnörkelt, filigran, zu schön um es in Worte zu fassen und in keinster Weise kitschig, billig oder gar übertrieben.

Vorsicht nahm er ihn heraus und griff nach meiner Hand. „Damit wäre es offiziell.“ Zaghaft schob er ihn auf meinen Finger und er passte wie für mich gemacht. „Du bist echt gut vorbereitet.“ Waren meine wenig ruhmreichen und etwas gestammelten Worte. Leise kicherte er. „ Er wartet sein Jahren auf seinen Einsatz.“ Überrascht sah ich zu ihm auf und konnte nichts erwidern. Noch bevor ich meine Sprache und passende Worte wieder fand, klopfte es erneut an der Tür.

„Die sind heute lästiger als Schmeißfliegen.“ Grummelte Sam und sah an mir vorbei zur Zimmertür hinaus. Noch immer etwas debil glotzte ich ihn an und nickte hilflos.

Er ging an mir vorbei, doch nur um mich im letzten Moment mitzuschleifen, etwas stolperte ich hinter ihm her.
An der Tür angekommen stand ich hinter ihm und wäre so, für den unerwarteten und anscheinend wenig gewollten Besuch, unsichtbar. Doch Sams Arm schnellte nach hinten, legte sich um meine Schultern und langsam schob er mich neben sich. Als wollte er unsere Zusammengehörigkeit demonstrieren. Noch immer war ich etwas überrumpelt und überrascht. Die Freude, kaum fassbar, so überragend, dass es sicherlich seine Zeit brauchte ehe ich verstand.

Noch bevor er die Tür öffnete, hörten wir zischenden Protest. Sam zog leicht verwundert die Brauen hoch und warf die Tür auf.
Paul stand mit Jared, den er am Oberarm festhielt, vor der Tür. Es war ein schräges Bild. Wie es schien hatte Paul auf die Schnelle keinen anderen auftreiben können und da Jared in nächster Nähe wohnte, musste er dran glauben.

„Boah Paul, lass' meinen Arm los.“ Maulte er leicht angesäuert und schlug Paul Hand weg.
„Na los, sag´s ihm.“ Knurrte Paul und wieder funkelte er mich böse an. Jareds Blick wurde fragend, er wusste nicht so wirklich, was er hier bezwecken sollte.
„Was?“ Keifte er.
„Wie hirnverbrannt es ist zu heiraten.“ Paul sah abwechseln zwischen Sam und mir hin und her. Auffordernd nickte er Jared zu.
„Alter! Dir ist schon klar, dass ich selber erst vor kurzem geheiratet habe!“ Jared schüttelte fassungslos den Kopf. „Komm mal wieder klar. Idiot.“ Knurrte er noch hinterher, machte eine abwertende Handbewegung und ging. Sam, so wie auch ich, standen noch immer wortlos da. Sam sah ihn herausfordernd an und ich wartete nur auf den Moment, dass sie sich lauthals schreiend an die Kehle sprangen.
„Was ist dein Problem?“ Fragte er dann sehr diplomatisch. Pauls Atem ging schnell, hörbar schnaufte er, als versuchte er seinem Ärger nicht noch mehr Spielraum zu geben und er völlig ausrastete.
„Sie wird dich umbringen!“ Bei diesen seinen Worten war meine Schmerzgrenze erreicht. Ich drehte mich um und wollte nichts weiter von seinem Geschwätz hören, als meine Blicke Sams Gesicht für nur einen Wimpernschlag einfingen, war sein Ausdruck nicht zu deuten. Nicht nur Verärgerung über Pauls Worte, sondern auch eine stumme Bitte.

„Hörst du dich eigentlich noch selber?“ Sams Stimme wurde tiefer, drohender und in dieser Verbindung, war das kein gutes Zeichen.
„Du gehst jetzt besser.“ Er beugte sich drohend vor. Ich tat einen Schritt zurück, nahm seine Hand und hoffte einmal mehr, dass meine Berührung ihn etwas besänftigte.
„Es wäre nicht das erste Mal. Du wirst noch an meine Worte denken.“ Paul klang nicht mehr so kampfeslustig, wie es schien war er im Begriff aufzugeben. Vielleicht erkannte er die Aussichtslosigkeit der Situation und fand sich langsam aber sicher damit ab.
„Wir waren eine Familie.“ Das Bedauern war in seiner Stimme deutlich zu hören.
„Nein!“ Jetzt würde Sam erneut energisch. „Wir ´sind´ eine Familie.“

Ich tat einen weiteren Schritt und sah um Sam herum. So verzweifelt wie ich ihn die vergangenen Tag erlebt hatte, sprang eben dieser Ausdruck auf Paul über. Langsam ging er rückwärts und schüttelte den Kopf. Er tat mir leid, ich wollte nicht, dass ihre Freundschaft aufgrund meiner Rückkehr Schaden nahm.

„Es ist nichts mehr wie es war.“ Nur ein Flüstern, wie das Rauschen des Windes in den Bäumen.
„Paul.“ Sagte ich leise und machte weitere Schritt, streckte meine Hand nach ihm aus, ehe Sam mich davon abhielt, jemanden trösten zu wollen, der es nicht wollte, der mich zu alledem verachtete und mir sicherlich die Schuld dafür gab, dass es soweit kam.

Sanft schob Sam mich zurück in das kleine Wohnzimmer und schloss ohne ein weiteres Wort die Tür. Mein schlechtes Gewissen flammte genauso auf wie einige Fragen. Doch noch ehe ich sie stellen konnte, riss Sam erneut die Tür auf und sprintete hinaus. Völlig überrascht brauchte ich ein paar Sekunden, es vergingen weitere Sekunden bis ich in der Tür stand und ihm hinter her sah. Was in Gottes Namen hatte er vor?

Er griff Pauls Arm und zog ihn grob herum. Ein Anblick, der mir fremd war. Seine drohende Haltung, seine Stimme, nur ein Zischen und zu leise, als dass ich sie verstehen konnte. Bei Sams Worten wurden Paul Augen schmal, aus denen das Unverständnis sprach. Er holte Luft und setzte an seinen Standpunkt zu verteidigen, aber wie es schien wollte Sam davon nichts hören. Er ließ ihn kaum zu Wort kommen.

Verständnislos schüttelte Paul den Kopf und ließ ihn sichtlich entmutigt hängen, als Sam ihm den Rücken zu wand und ging.
„Das nächste Mal.....“ Erhob Paul die Stimme und setzte an auszusprechen, wozu er die vergangenen Minuten nicht kam. Sam fuhr herum und mit Blicken brachte er Paul zum Verstummen.
„Du hast mir dein Wort gegeben.“ Knurrte Sam um seinen Blicken Nachdruck zu verleihen.

Aus dem Schlafzimmer schrillte mein Handy, doch wie sollte ich diese Szenerie hinter mir lassen. Meine Fragen waren drängender als jedes sich ankündigende Telefonat. Wie Sam zurück kam nahm er mir fast gänzlich die Sicht auf Paul. Erst als ich einen Schritt zur Seite tat, damit er an mir vorbei konnte, sah ich nur noch wie Paul wutentbrannt vor einen Stein trat. Dann schloss sich die Tür.

Für noch einen Moment blieb ich wie angewurzelt stehen. Sams Zorn erfüllte den Raum und ließ mich erschauern. Dann langsam, wie in Zeitlupe drehte ich mich zu ihm. Sein Atem ging schnell, seine Augen schwarz vor Rage.
„Sein Wort?“ Fragte ich fast etwas eingeschüchtert, aber doch drängend. Er schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig.“
„Wichtig genug um.....“ Begann ich zu widersprechen. Aus schmalen Augen sah er mich an und mir wurde klar, dass es an dem Punkt besser war, nicht weiter nach zu bohren, so verstummte ich. Aber sollte der Neubeginn unseres gemeinsamen Lebens mit Geheimnissen einen ungünstigen Start nehmen. Das wäre eine neue unschöne Erfahrung, denn so etwas hatte es zwischen uns nie gegeben.

Mit langsamen Schritten folgte ich ihm ins Schlafzimmer und versuchte die drängende Neugier im Zaum zu halten. Von der Seite sah ich ihn abwartend an und hatte keinen Schimmer, ob ich je erfahren würde, welchen Pakt Sam und Paul geschlossen hatten. Den er mit allen Mitteln versuchte unter Verschluss zu halten.

Fest warf er die Türen des Kleiderschrankes auf, dass sie sich gefährlich in die falsche Richtung bogen und bedrohlich unter seiner Kraft ächzten. Dann wühlte er unkoordiniert drin herum, als wüsste er gar nicht, was genau er dort suchte. Ich setzte mich aufs Bett und besah mir sein Tun.

„Wir sollten nicht lang warten.“ Murmelte vor sich hin. Sicher war ich mir nicht, ob er mit mir oder doch mit dem Schrank sprach. So bevorzugte ich die Strategie des Abwarten. Da ich nicht reagierte, sah er kurz über seine Schulter, um sicher zu gehen, dass ich anwesend war.

„Meinst du nicht?“ Seine Wut war noch nicht gänzlich abgeebbt, die kleine Zornesfalte auf seiner Stirn verriet seinen Gemütszustand. „Womit?“ Fragte ich vorsichtig nach, um nicht erneut für Stimmung zu sorgen. Er brach seine sinnfreie Suche ab und drehte sich zu mir. Jetzt konnte ich mit ansehen, wie sein Gesicht sich entspannte und er leicht lächelte. Er tat ein paar Schritte und hockte sich vor mir auf den Boden. Seine Hände lagen warm auf meinen Knien. Er sah zu mir auf, legte etwas den Kopf schräg. „Du und ich.“ Flüsterte er. „Für immer.“

Kaum merklich begann ich zu nicken und erwiderte sein Lächeln. Es war ein wunderschöner Gedanke. ´Er und ich, für immer.´, fast zu schön um wahr zu sein. Seine leisen Worte zogen ihre Bahnen in meinem Kopf und mit jeder neu begonnenen Runde klangen sie süßer, verführerischer und ich war überzeugt, dass es möglich war. Ein Leben an der Seite dessen, der mich kannte wie niemand anders, der wusste wie ich fühlte, wie ich tickte und unsere Herzen im Einklang schlugen.

„Ich kümmere mich darum.“ Bot er an. Er wusste, dass ich wenig Wert auf einen bestimmten Tag oder eine Uhrzeit legte. Es wäre doch nur eine Zahl, eine Nummer, ohne Bedeutung. Es zählten andere Dinge. Momente, Augenblicke, die man nicht an einem Datum festmachen konnte. Die einfach geschahen, ohne Einfluss. Egal wann, egal wo, egal wie. Ohne Prunk und aufgesetztes Theater, schlicht und einfach Ich konnte ihm zu hundert Prozent vertrauen, vertrauen darauf, dass er für uns richtig entscheiden würde. So wie er es immer getan hatte. Es gab nur eine Sache, der wir uns gewiss waren und das war, was unsere Welt zusammen hielt. Das Gefühl füreinander. Solange wir uns dessen bewusst waren, hätte der Himmel einstürzen können, wir wären zusammen und nur das zählte.

Wir wurden von Naturkräften verbunden zusammengehalten, wie die Sonne und der Mond, frei und doch eins.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für einen bekennenden Sam Uley Fan. Liebe Jule, ich hoffe es gefällt dir.

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