"Nicht schön, aber selten.",
... pflegte meine Mutter zu sagen, wenn etwas auch nur in Ansätzen Schöpferisches irgendwie nicht ganz so gut gelungen war. Und es versteht sich von selbst, dass dieses "selten" ungesagt ein Anhängsel wie "blöd" oder "hässlich" hatte, denn andernfalls wäre es ja schön gewesen.
Ich stehe vorm Spiegel, betrachte meinen selbst verbrochenen Haarschnitt und tröste mich damit, dass sich damals, als ich noch zum Friseur ging, mitunter ein durchaus ähnlicher Effekt eingestellt hatte, für den ich obendrein noch mit teuer Geld bezahlen sollte. Und wer würde sich trauen, einem Profi mit der Anmerkung zu begegnen, dass man für "das da" keineswegs bezahlen wolle, weil ... blöd aussehen könne man von ganz alleine. Und damit die Steilvorlage für eine Erwiderung wie "Ich bin doch kein Gesichtschirurg!" liefern.
Also sage ich mir: "Es wächst ja wieder." und bedaure allenfalls, dass ich es nicht überhaupt, grundsätzlich und ganz lang einfach wachsen lassen kann. Das würde vieles vereinfachen. Aber da sind keine Pfunde, mit denen zu wuchern wäre.
So und weil ich ein armer Künstler bin, lebe ich regelmäßig mit diesem Effekt, der mich ein paar Tage lang nur flüchtig in den Spiegel schauen lässt, bis die gröbsten Folgen im wahrsten Sinne des Wortes verwachsen sind und ich feststelle, dass es doch eigentlich ganz gut ... naja, so viel halt wie "drin" ist. Und sowieso, tröste ich mich, sind Frauen mit über Fünfzig ja beinahe unsichtbar, wenn sie nicht gerade irgendwelche fürchterlichen Untaten begehen, dank derer man sie allenfalls belächelt. Dieses Pumuckl-Rot zum Beispiel, von dem ich hörte, dass es die Klimakteriumsfarbe ist. Ja, klar, wenn keiner mehr hinguckt, setze ich mir einen Korb Apfelsinen auf den Kopf; dann klappts vielleicht noch mal.
Ich bevorzuge solides Schwarz, auf dem Kopf und im Winter auch bei der Kleidung. Im Sommer ergänze ich gern mit Weiss, an wagemutigen Tagen mit Rot. Keíneswegs jedoch gehöre ich zur Fraktion derer, die im Kleiderschrank den Regenbogen haben. Und das nicht nur, weil es mir morgens schlicht zu anstrengend wäre, so viel Buntheit zu ertragen, sondern auch, weil nach meiner Meinung Farben auf die Leinwand gehören und in die Natur. Denn in der Natur sieht grundsätzlich keine Farbzusammenstellung blöd aus und auf der Leinwand lassen sich Fehler beheben. So eine Ü-Fü aus dem Farbtopf jedoch ist nichts anderes als peinlich.
Und während ich diese mehr oder weniger sinnträchtigen Betrachtungen anstelle, wird mir klar, dass weder mein Haarschnitt, noch all dies andere Zeugs mich wirklich und ernsthaft beschäftigt, sondern ich mich drücke. Vor dieser zwar grundierten, gleichwohl noch immer jungfräulichen Leinwand nebenan, die nach mir ruft, sie wolle schön und einzigartig werden. Jede von den inzwischen beinah Hundert hat das gerufen, doch nicht jeder konnt´ ich ihren Wunsch erfüllen.
Und mir fällt die Freundin ein, die mich gestern nicht ohne Hintersinn fragte, wie lange ich an einem Bild male. Ich sagte nicht, "Wenn ich erst einmal ...", sondern nannte willkürlich eine Zeit. Was die Rechenmaschine in ihrem Kopf zum Rattern und einen für sie erstaunlichen Stundenlohn hervor brachte. Ich sagte nichts von der Recherche, schlaflosen Nächten und eben solchen Zeiten wie jetzt, wo ich irgendwas tue, während ich in meinem Kopf wieder und wieder durchgehe, was ich wann und wie zu tun habe, damit dieser Anspruch "schön und einzigartig" funktioniert. Ich sagte auch nicht, dass das Glücksgefühl, etwas wirklich Gutes gemacht zu haben, sich erst viel später und manchmal gar nicht einstellt. Dass es zwischendurch Zeiten der Verzweiflung gibt, der totalen Erschöpfung und des unentwegten Gedankenkreisens, warum es nicht funktioniert und wie es noch funktionieren kann. Und dass es manchmal eben doch nicht funktioniert
und ich dann wütend werde und einen Stuhl umschmeisse und ein blutiges Messer in den Raum werfe.
Tag der Veröffentlichung: 24.08.2009
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