Als du mich neulich verteidigt hast gegen diesen Dummkopf hinter uns, der irgend etwas Unflätiges sagte ... da habe ich mich nicht gefreut. Ich dachte, dass jedes Wort an diesen Kerl verschwendet wäre. Und wenn es etwas zu sagen gegeben hätte, dann hätte ich das selbst gekonnt.
Überhaupt frage ich mich, wie es kommt, dass wir in diesen alltäglichen Situationen so sehr aneinander vorbei denken. Du und ich, wir gehören doch zur gleichen Generation. Wir haben vielleicht nicht die gleichen Schulen besucht, aber doch ähnliche Dinge gelernt. Wir hatten nicht das gleiche Elternhaus, aber doch Eltern mit ziemlich ähnlichen Ideen. Auch die gehörten ja zu einer Generation.
Woran also liegt es, dass nicht nur du und ich, sondern Männer und Frauen überhaupt oft so unterschiedliche Einschätzungen abgeben, oft so verschieden handeln?
Jetzt sag bloß nicht, es läge daran, dass ich eine Frau bin und du ein Mann. Das bringt mich auf die Palme, auch ohne dass du weiter erklärst. Denn: Was ist so eine Frau, das ihre Verteidigungsbedürftigkeit ausmacht? Von Eierstöcken und der üblichen Zubehör mal abgesehen, sind wir doch sehr ähnlich, also da im Oberstübchen. Ausgestattet mit den gleichen kulturellen und intellektuellen
Wertvorstellungen, größtenteils jedenfalls.
Ich, ja gut, mag es, wenn Männer noch den Knigge beherrschen. Das kann auch durchaus der alte Freiherr sein und nicht nur so´n neumodisches Zeugs. Ich habe ihn gelesen und finde diese Spielregeln sehr praktisch. Man muss sich nicht über alles und jedes verständigen. Man weiss, wie man sich in dieser und jener Situation zu verhalten hat, wer wann wen vorstellt, vorangeht etc. Ansonsten gäb´s ja viel zu oft ein unglaubliches Gerangel.
Ich mag es auch, wenn Männer mir die Tür auf halten oder meinen Mantel zur Garderobe bringen oder schwere Dinge für mich tragen. Von all dem weiss ich selbstredend auch, wie es geht, hab all das schon getan und auch nichts Schlimmes dabei gefunden. Wenn ich mich trotzdem freue, dass du es tust, für mich, liegt es an der Wertschätzung, die der Sache innewohnt. Es heisst: Du weisst, ich kann es, aber du willst es für mich tun, weil du mich respektierst, magst oder was auch immer. Obwohl es da Dinge gibt, die erwarte ich von dir auf jeden Fall, nicht nur bei mir. Nenn es Achtsamkeit, gute Erziehung oder wie auch immer. Mit gedankenlosen Holzklötzen an meiner Seite möchte ich keinen Umgang pflegen.
Und was nun war an der Sache mit diesem Kerl anders?
Ahja, es ging um Kopfgeschehen, die Entscheidung, ob man handelt oder besser ignoriert. Zu einer Zeit, da ich mich schon für´s Ignorieren entschieden hatte, bist du mit deinen Worten reingeplatzt. Die völlig unnötig waren, vielleicht einen weiteren, grösseren Konflikt heraufbeschworen hätten. Kann schon sein, dass meine Entscheidung die einer schwachen Frau war: Stärke zeigen durch Schweigen, oder so. Während du dich entschieden hast wie ein Mann: Woll´n doch mal sehen, wer stärker ist!
So betrachtet, wären wir nie wirklich aus dem Urwald heraus gekommen. Was wohl auch stimmt, ginge es allein um die genetische Ausstattung. Aber da ist doch noch viel, viel mehr. Wir sind in eine sehr viel modernere Welt hinein geboren und in der erzogen worden, Jungs wie Mädchen. Kaum erkennbar noch, dass unsere Erziehung anders war.
Und doch mag der Vater dem Sohne bei dieser oder jener Gelegenheit erklärt haben, was man so tut, wenn es um Frauen geht. Und wenn der´s nicht tat, dann irgendwer anders. Vielleicht gab´s auch Frauen, die darlegten, was sie gern möchten und was nicht? Und jede wollte es ein wenig anders.
Die Freundin aus der neunten Klasse fand´s vielleicht prima, wenn du dich für sie prügelst.
Die aus der zwölften mochte es, wenn du ihr die Tür aufhieltest (du warst der Erste, der das tat).
Die aus dem fünften Semester gab sich stets ganz cool, aber als ihr ein Mitstudent einen Streich spielte, rief sie anklagend: "Nun tu doch was!"
Deine Frau später fand es selbstverständlich, dass du die Familie ernährst; einer musste ja bei den Kindern bleiben. Und das warst nicht du.
Über all die Jahre bist du durch die Welt gewandert und hast dich gewundert. Jede Frau brachte neue Herausforderungen und schwierige Erkenntnisprozesse. Was genau will denn nun die und was will sie auf keinen Fall? Sie sprechen ja nicht drüber. Jedenfalls nicht, ehe es Streit gibt, weil mann sie allzu sehr missverstand. Sie erwarten, dass man sich benimmt, wie sie es sich vorstellen. Mann soll "normal" sein.
Aber was ist das?
Oh, ja, ich weiss: Du magst Frauen. Und nur, weil sie so kompliziert sind, möchtest du nicht auf sie verzichten. Aber du möchtest auch nicht unbedingt ständig über sie nachdenken. So hast du dir angewöhnt, lieber oft ein bisschen mehr als zu wenig zu tun. Die Debatten wegen zu viel getaner Dinge sind am Ende ja auch weitaus weniger schwierig, als hätte man zu wenig getan. Zurück bleibt die versöhnliche Feststellung, dass du es gut gemeint hast. Und nur der gute Wille zählt.
Vielleicht stört mich an der Sache nur das: Wenn du mich beschützt, wo ich nicht beschützt werden will oder muss, dann fühle ich mich übergangen, in meiner Entscheidungsfreiheit beengt. Dann habe ich das Gefühl, es sei nicht mehr weit bis dahin, dass du mir die Kittelschürze anziehst und mich zum Kochen und Bierholen in die Küche schickst. Mit diesem Bild im Kopf finde ich es plötzlich gar nicht mehr so toll, eine Frau zu sein.
Ich weiss nur nicht: Ist das nun mein oder dein Problem?
Texte: -
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2008
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