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Vorsichtig und, so hoffte er, unbemerkt warf er einen Blick durch den Türspalt.
Sie saß da, wie sie es nach seinem Gefühl schon seit Jahren tat, vor ihrem PC und betätigt den Mundhebel ihres Rollstuhles, mit dem sie alle möglichen Dinge tun konnte. Meistens schrieb sie, Kurzgeschichten, obwohl sie ihr Leben lang schon einen Roman hatte schreiben wollen. Aber das wäre zu aufwändig gewesen, anstrengend auch. Und dann kam gesprächsweise auch oft der Gedanke, sie würde so einen Roman vielleicht nicht mehr zu Ende bringen können. Sie hatte es, auch als sie noch auf ihren beiden Beinen stehen und laufen konnte, immer gehasst, Dinge halb fertig zu lassen. Damals, am Tag nach der Geburt des Enkelkindes, musste sie unbedingt und um jeden Preis das Gästezimmer zu Ende malern, bis morgens um halb vier. Als ob die Tochter gleich übermorgen käme und sich auf ewig dort einnisten würde!

Kurze Zeit später war Marie wirklich zu ihnen gezogen, aus ganz praktischen Erwägungen. Er allein hätte seine Frau, die nach ihrem Treppensturz mit der Leiter am Arm unbeweglich im Bett lag, nicht versorgen können.

In der Küche saß Marie, eine Tasse Kaffee neben und die Zeitung vor sich. Sie sah von der Zeitung auf, als er eintrat. Und zum ersten Mal wurde ihm wirklich bewusst, dass seine Tochter deutlicher gealtert war, als es ihrem Alter zukam. Drei oder vier schmale weiße Strähnen zogen sich durch ihr ansonsten braunes Haar; auch um die Augen waren kleine Falten, die keine Lachfalten sein konnten.
" Schläft der Kleine noch? "
Sie lächelte.
" Der Kleine ist einen halben Kopf grösser als du und schon an der Uni. Willst du auch einen Kaffee? "
Er nickte, setzte sich an den Tisch und nahm sich den Sportteil der Zeitung.
Durch das Küchenfenster schien eine tief stehende Herbstsonne. Die Zeitung unbeachtet vor sich, schaute er nach draussen in den Garten, wo der letzte Nachtreif in der Sonne zerfloss und den Blättern Lichtpunkte aufsetzte. Er fand es merkwürdig, dass er dachte, wie gut es ihnen geht, aber es war genau das, was er fühlte.
Auch Marie schob ihre Zeitung beiseite.
" Um zehn kommt der Lektor. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen sie eine weitere Auflage drucken. "
" Gut. Ich gehe noch kurz an den PC und schaue nach Post."
Die Kaffeetasse in der Hand stand er auf und ging nach oben.

Nachdem er seinen PC hoch gefahren hatte, öffnete er sein Mail-Programm. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er öffnete die Mail seiner Frau, die vor wenigen Minuten unten am PC abgesendet worden war:
" WIR HA BEN DOCH DAS BEST E DRAUS GEMAC HT, ODER?!

BEIM NÄC STEN MAL KOMM DOC H ZU MIR R EIN."

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Tag der Veröffentlichung: 01.11.2008

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