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Ich werde alt.

Nicht, daß ich Angst davor hätte. Manchmal, wenn ich mit morgenmatten Augen vor den Spiegel trete, an dem Spiegel rumrubbele, um festzustellen, daß nicht der Spiegel, sondern meine Augen matt sind, erkenne ich nach einigem Bemühen das Gesicht, das ich einst hatte. Ich fand mich damals nicht schön, muß aber heute sagen, daß ich so übel dann auch wieder nicht war. Aber vor allem war ich jung. Mit Ende zwanzig, zwei Kinder an der Hand, sah ich jünger aus als diese heutigen präsexuellen Mädchen, die sich so viel Farbe ins Gesicht schmieren, daß man ihr Alter nicht mehr erkennt. Sie benutzen Grundierungen, Make-up, allerhand Farben und Stifte, deren Namen ich auch heute noch nicht kenne. Sie färben ihre Haare alle paar Wochen um. Sie sehen alt aus, noch ehe sie´s wirklich sind, und kriegen mit dreißig Tränensäcke und erste Runzeln an allen möglichen Körperstellen, weil sie so viel unter der Sonnenbank gelegen haben. Ich damals, im gleichen Alter, benutzte bestenfalls diesen Stift um die Augen, der - wie ich meinte - das Beste an mir betonen sollte. Das Näpfchen mit dem blauen Lidschatten reichte ewig, weil ich es zumeist nur am Wochenende öffnete, wenn man tanzen ging. Erst etliche Jahre später, weit jenseits der dreißig, wechselte ich zu dem grünen, der mir viel besser steht. Inzwischen nehme ich von diesem Augenzeugs gar nichts mehr. Ich vertrage es nicht. Schon nach kurzer Zeit beginnen die Augen zu brennen und zu jucken, und wenn man dann reibt, verschmiert alles und man sieht albern aus. Hernach ist es viel schlimmer als ohne all das.
Nie wieder werde ich diesen klaren Blick von damals haben.
Heute, wenn ich morgens im Bad bin, dauert alles ein bißchen länger als damals. Schon allein deshalb, weil ich ohne Dusche nicht in die Gänge komme. Vermutlich ist diese tägliche Duscherei nicht gut für die Haut, schon gar nicht für die alte, der man ohnedies nachsagt, sie würde langsam, aber sicher austrocknen, aber ohne Dusche verharre ich im nächtlichen Traumland und bin für den Alltag nicht zu gebrauchen. Mich verfolgen die oft schlechten Träume. Und zuweilen, wenn mich das Traumgeschehen gar zu sehr bedrängt, ertappe ich mich dabei, wie ich im Selbstgespräch mit jenen Traumgestalten auf dem Klo sitze bis mein Blick auf den Wecker fällt, der auf der Waschmaschine steht, und feststelle, daß ich gut daran täte, mich zu sputen.

Das Ritual nach dem Duschen ist ein ewig gleiches, über Jahre hin eintrainiert, damit nicht gar zu viel Zeit für eine Sache draufgeht, für die man früher kaum mehr als fünf Minuten brauchte. Inzwischen benutze auch ich Make-up. Meine Haut ist nicht mehr schön. Der hohe Blutdruck hat sie allzu sehr gerötet und auch hier und da ein Äderchen platzen lassen. Ich decke also all diese Unschönheiten ab, um hernach festzustellen, daß da scheinbar noch mehr Falten sind als zuvor. Ich habe schon alles Mögliche ausprobiert, aber das Resultat, so sehr mir auch Verjüngung versprochen wurde, wird selten besser. Manchmal denke ich, daß es dieses Produkt nun ist. Aber dann, an irgend einem Morgen sehe ich, daß da wieder (oder immernoch?) diese Falten sind und neuerdings auch Schatten unter den Augen, die mich von der jungen Frau mit den zwei Kindern an der Hand, die ich einst war, unterscheiden.
Ich bin beinahe fünfzig, inzwischen Großmutter, und ich trauere nicht der Jugend nach, sondern diesem klaren Blick, den ich damals hatte. Ich klappte morgens die Augen auf, reckte mich einmal und sprang aus dem Bett. Ich verliebte mich ständig, und nur selten wußte das Objekt meiner Begierde von meinen Gefühlen. Ich meinte lange Zeit, noch nicht reif für die Liebe zu sein. Irgendwann, so wußte ich, würde sie da sein, ganz echt und ganz richtig. Gerne rede ich mir ein, auch ich sei einmal ein fröhliches, unbedarftes Kind gewesen, ganz genau so wie all die anderen auch. Ich hätte gelacht, dumm geplappert und das ganze Leben für ein Abenteuer gehalten. Jedoch nehme ich an, daß es mit dieser fröhlichen Unbedarftheit, sofern sie jemals da war, aufhörte als ich fünf war. Da drückte man mir das rote Köfferchen, das ich zum Arztspiel hatte, nunmehr gefüllt mit Buntstiften und einem Zeichenblock, in die Hand und schickte mich zur Vorschule. Dort waren Kinder, so alt wie ich, die ich noch am Besten fand, wenn sie wirklich lustig waren. Das mochte ich später auch in der richtigen Schule. Im Zeugnis der ersten Klasse stand über mich: "Ihren Nachbarn hat sie oft etwas Lustiges zu erzählen." Es schien, als hätte man nur Spaß, wenn man selber spaßig war. In Wahrheit jedoch konnte ich mit Gleichaltrigen nie etwas anfangen. Bereits als ich vier Jahre alt war, klingelten die Nachbarn bei meiner Mutter, um ihr zu erzählen, daß ich im Sandkasten (demselben, in dem mein Sohn sich später prügelte) auf dem Spielplatz eingeschlafen war. Schon damals müssen mich die anderen gelangweilt haben.

Ich habe mir angewöhnt, allerhand zu trinken. Wasser, Saft, Tee - egal. Hauptsache: flüssig, damit meine alte Haut nicht gar so sehr verschrumpelt. Die Schönen aus dem Fernsehen behaupten es ja alleweil, daß sie auch mit sechzig noch so faltenfrei sind, weil sie brav ihre drei Liter täglich trinken. Aber vermutlich ist diese Sache mit dem vielen Trinken genau so ein Gerücht wie es so viele im modernen Alltag gibt. Da wird eine PR-Maschine in Gang gesetzt, deren geistige Produkte sich über Jahrzehnte halten und am Ende alle Bereiche durchziehen. Vermutlich sind diese PR-Maschinen die gleichen, die den prominenten Sechzigjährigen raten, lieber nichts von ihren Schönheits-OPs zu erzählen. Zum einen, weil Natürlichkeit in ist, zum anderen hat man vielleicht einen Vertrag mit einem Wasserhersteller. Manchmal tragen diese Damen tatsächlich diese kleinen, hübschen Kunstwerke von Wasserflaschen herum, die jeder gleich an der Form, spätestens aber am Etikett erkennt, das - ganz zufällig - in Richtung Kamera gedreht ist. Übrigens möchte ich in deren Haut nicht stecken, also in der Haut dieser prominenten Frauen, die bis an ihr selig Ende zum Schönsein verdammt sind. Was ja doch gleichzeitig eine Reduzierung dessen ist, was sie womöglich auch sind: Menschen mit Erfahrung. Bei Frauen will man nicht ihre Erfahrung sehen. Sie sollen ansehnlich sein, solange man sie sehen kann. Und wenn sie´s nicht mehr sind, dann sollen sie sich gefälligst aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Mit ein bißchen Glück kriegen sie dann noch ein paar nette Synchronrollen oder dürfen Hörbücher vorlesen. Da möchte man dann lieber keine Schauspielerin mehr sein, sondern die Normalfrau bleiben, die man eben ist. Obschon auch die Normalfrau nicht gänzlich frei von derlei Erwartungsdruck ist.

Meinem Sohn, neulich, als er lästerte, "die Weiber" würden sich alleweil dieses Zeugs ins Gesicht schmieren, um den Männern zu gefallen, versuchte ich es zu erklären. Noch am wenigsten die Männer sind es, für die ich es tue. Und am Ende nicht einmal ich selbst. (Obwohl wir Frauen gern behaupten, wir täten es nur für uns.) Sondern die anderen Frauen, deren Blicke ich zuweilen auf mir ruhen sehe, taxierend auf eine Weise, die mich irgendwo im System unterzubringen versucht, nicht selten in dem Bemühen, mich möglichst irgendwo weit unterhalb der eigenen Wertigkeit einzuordnen. Man merkt es immer, wie diese Taxierung ausgefallen ist. Allerdings ... seit einiger Zeit beobachte ich, daß jüngere Frauen mich entweder gar nicht mehr anschauen oder aber mit einem Blick, mit dem sie vermutlich auch ihre Mütter bedenken. Je nach Typ und Qualität des Kontakts zur eigenen Mutter schwingt darin entweder Aufsässigkeit oder ein schwacher Abglanz von Ehrerbietung. Sie sehen mich nicht mehr als Frau, nicht mehr als Konkurrenz (die ich ja auch nicht bin; es wären, gegebenenfalls, andere Gewässer, in denen wir fischen - wenngleich ... im Zweifelsfall nimmt so ein Mann natürlich lieber eine Jüngere). Sie wissen, daß sie allemal im Vorteil sind, wäre ich so schön wie auch immer. Aber ich bin´s nicht. Das macht die Sache noch leichter. Ich bin eines von diesen armseligen Geschöpfen, das seine beste Zeit lange hinter sich. Daß diese Zeit einst auch bei ihnen kommen wird, können und wollen sie sich nicht vorstellen. Schon gar nicht, daß das viel schneller geht, als so ein junges Ding sich das überhaupt vorstellen kann.

Auch ich, dermaleinst, konnte mir nicht vorstellen, alt zu werden. (Heute hoffe ich, nicht nur alt, sondern möglichst lang am Leben und dabei gesund zu sein, denn was nützt einem das schönste Alter, wenn man sich mies dabei fühlt?) Ich erinnere mich an diesen Logiergast meiner Eltern, ein Ungar im Alter von Anfang vierzig, der ein Auge auf mich geworfen hatte. Da war ich schon Mutter, aber noch jung genug, seine Tochter zu sein. Als ich mich in seine Nähe beugte, um an seinem teuren Parfüm zu schnuppern, hätte er mich beinahe geküßt. Heute denke ich, ich hätte eine von diesen Gelegenheiten ergreifen sollen. Er war zwar nicht unbedingt mein Typ, aber durchaus gut aussehend, kultiviert und hatte einen respektablen Job. Ich hätte mir von ihm ein weiteres Kind machen lassen können und wäre bar aller Sorgen gewesen. Inzwischen würde ich perfekt ungarisch sprechen und je einmal im Jahr nach Budapest und Wien zum Einkaufen fahren. Ich hätte die ungarische Küche gelernt und einmal im Monat deutsches Essen gekocht. Damit die Kinder und dann die Enkel ihre deutschen Wurzeln nicht vergessen. Im Sommer hätte ich meine Familie in unser Ferienhaus am Balaton eingeladen und im Winter wären wir ein paar Tage nach Deutschland gekommen. Ach, was hätte ich es doch gut haben können ...

Für ihn wäre ich auch heute noch jung; wahrscheinlich ist er jetzt so um die Siebzig.

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Tag der Veröffentlichung: 27.06.2008

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