Ich sah dich, als ich mich an den Tisch im Gartenrestaurant setzte. Nur einen Tisch weiter hast du allein gesessen. Als ich Platz nahm, fiel mein Blick nur zufällig auf dich – wie man sich halt so umguckt, wenn man allein ist und sich „neu“ irgendwo hinsetzt. Naja, und als ich dann saß, saßest du mir halt gegenüber.
Ich machte es mir gemütlich. Ich war gut drauf, denn es war warm, die Sonne schien, ein lauer Wind brachte etwas Abkühlung von der Ostsee herüber. Ich hatte schon ein paar Kilometer mit dem Rad hinter mir und die Pause jetzt redlich verdient.
Ein Blick in die Karte, obwohl ich wusste, was ich wollte, und dann guckte ich wieder auf dich. Ganz unbewusst erst. Aber du wendetest schnell den Kopf ab, als ich hinüberschaute, das machte mich ein wenig wacher. Zumindest begann ich dich wahr zu nehmen. Eigentlich wirktest du ganz „normal“. Gesicht und Augen waren zwar durch eine große Sonnenbrille verdeckt, die dich im Ansatz mondän wirken ließ, aber deine Figur war fraulich. Du trugst ein leichtes Sommerkleid, dessen Muster an braune Blumen erinnerte. Es sah aber hübsch aus. Deine Füße steckten nackt in offenen Schuhen. Ganz in Ordnung also, bis auf die Sonnenbrille. Sowas finde ich doof. Naja, ich muss sagen, dass es angebracht war bei diesem Sonnenschein, aber irgendwie hätte ich dir gern in die Augen geguckt, um mir einen „Gesamteindruck“ zu verschaffen. Und auch die Chance für ein Augenspiel war vertan. Ich musste innerlich zwar grinsen, als ich sah, wie du den Kopf in meine Richtung drehtest, um dann schnell wieder wegzusehen, aber so hatte es gar keinen Sinn. Naja, und verunsichern wollte ich dich ja auch nicht. Deshalb begann ich dich zu ignorieren. Eiskalt.
Das klappte zunächst auch ganz gut, weil die Kellnerin kam. Höflich, wie ich bin, schaute ich die dann an, fragte nach Nuss-Sahne-Torte und bestellte dann ein Stück, dazu Cappuccino und Wasser. Als sie sich bedankt hatte und mit ihrem Zettel entschwand, fuhr ich fort damit, dich zu ignorieren. Ich guckte mir den Himmel an, die Bäume, sah einem Vogel zu und beobachtete ein quängelndes Kind, das an seiner genervten Mutter zupfte. Zwischendurch pfiff ich ein kleines Lied – aber ganz leise und so vor mich hin. Nur aus Versehen schaute ich ein paarmal zu dir herüber. Ganz kurz nur, damit du ja nicht auf die Idee kämest, ich würde dich angucken. Und auf deiner Seite sah’s wohl ähnlich aus. Denn immer, wenn ich rüberguckte, gucktest du schnell weg. Und dann guckte auch ich schnell weg, damit klar war, dass ich dich ignorierte.
Die Kellnerin brachte mein Gedeck, und über das leckere Tortenstück vergaß ich dich ganz. Doch als ich den Teller zurückschob und meinen Cappuccino an den Mund führte, fiel mein Blick dann wieder auf dich. Wieder schautest du schnell weg. Ich fand’s langsam ein blödes Spiel, grinste jedoch vor mich hin und widmete mich meinem Heißgetränk. In beiden Händen hielt ich’s, und über den Tassenrand grinste ich weiter zu dir hin. Ich sah den Wind an deinem Kleidchen zupfen und dachte, was wohl wäre, wenn er von unten zwischen deine Beine bliese und das Kleid hochschlüge. Ich hätte fast gelacht bei diesem Bild, sah dich panisch aufspringen und mit allem, was du hast, den Stoff wieder runterdrücken. Dabei wäre das gar nicht gegangen, denn du saßt ja drauf, auf deinem Kleid.
Trotzdem kam mir der Gedanke, wie du wohl aussehen würdest darunter – ich bin halt auch nur ein Mann. Ich folgte imaginär dem Weg deiner Beine, während ich am Cappuccino nippte. Ich sah ein Höschen blitzen, darüber den Bauch, der ein wenig vibrierte, und eine schöne volle Brust mit appetitlichen Nippeln. Wie sich das wohl alles anfühlte, dachte ich, und wie es sich für dich wohl anfühlte, wenn ich fühlte. Und mein Schmunzeln wurde breiter. Plötzlich merkte ich, dass ich dich während der ganzen Zeit angestarrt haben muss, und wahrscheinlich schautest du nun mich an, denn deine Brille zeigte in meine Richtung. Heiß spürte ich meine Ohren rot werden, obwohl du mich ja gar nicht ertappt haben konntest – es sei denn, du wärest Gedankenleserin. Fast hätte ich aufgelacht bei der Idee. Aber nun kam die Kellnerin, um bei dir abzukassieren, und das brachte mich wieder zur Besinnung. Auch ich winkte ihr.
Die Kellnerin kam herüber. Ich konnte dich nur aus den Augenwinkeln sehen und so irgendwie um die Kellnerin rum. Aber ich war gespannt darauf, wie du aussehen würdest in deinem Kleid, wenn du stehst. So quasi als Entschädigung, weil ich deine Augen nicht zu sehen bekam. Doch dann musste ich das Kleingeld in meinem Portemonaie zusammenklauben und verlor dich aus dem Blick.
Als ich aufschaute und der Kellnerin einen Zehner entgegenhalten wollte, warst du plötzlich direkt vor mir und gingst langsam vorbei. Immer noch konnte ich deine Augen nicht sehen. Merkwürdig war aber, dass deine Hand leicht über meine Schulter strich. Nicht zufällig, das ließest du mich spüren ...
Texte: Robert Kühl
Bildmaterialien: Aleksandar Mijatovic, Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2013
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