Das Kürbisfest
Ausgehöhlt liegt er da, der große dicke Kürbis.
Die nächsten Tage wird es Kürbissuppe geben.
Und für den Keller machen wir eingelegten Kürbis.
Aber davon will ich ein andermal erzählen.
Heute wird gefeiert.
Das Kürbisfest findet heute statt.
Nein, es ist kein Halloween.
Am 30.10. feiert man ein Kürbisfest, das jedes Jahr schöner und aufregender wird.
Manch einer denkt an das vergangene Jahr, an die Menschen, die uns in den letzten 12 Monaten verlassen haben.
Es wurden Freunde verloren.
Neue Bewohner sind dazu gekommen. Sie sollen heute im Kreis der anderen sich zuhause fühlen. Die Einrichtung, das Seniorenwohnheim, ist ihre neues Domozil.
Erst am Beginn der Woche ist eine reife Dame dazu gekommen. Noch vorsichtig sieht sie sich um, kennt noch nicht alle Namen, vergißt sie wieder. Darum tut gerade ihr ein Lächeln gut.
Am Montag wieder zum Dienst gekommen. Denn am Wochenende habe ich frei. Da wäre ich, hätte mich die Kollegin nicht mit einem Schrei geschockt, ins Zimmer der 96-jährigen Dame gerannt, die noch am Freitag nach dem Abendessen still in ihrem Bett eingeschlafen ist.
Die Tochter und die Enkelin haben sie diese Woche beerdigt.
Solche Wege zum Friedhof gehören auch zu meinen Diensten.
Ich kann da nur mit leisen tröstenden Worten helfen.
Ich muss zuversichtlich meine Stimme laut klingen lassen und weiß tief in meinem Inneren.
Der Tod gehört zum Leben dazu.
Aber gerade deshalb habe ich diesen Beruf ausgewählt.
Wer mich kennt, meint, immer ein Lachen auf den Lippen.
Doch in meinem Kopf klingt dann das Lied von Mary: Wer immer lacht, dem glaubt man nicht, das er auch Weinen kann.
Es gibt für uns Jugendliche, die sich für diesen Beruf entschieden haben, den Gesprächskreis und die Mentoren.
Da dürfen wir auch mal traurig sein.
Dann fällt ein Lächeln wieder leicht, ein neuer lustiger Spruch verläßt unsere Lippen.
Alle feiern heute Abend mit uns das Kürbisfest.
Die alten Damen und Herren sind schon ganz aufgeregt.
Sie, die sonst bereits nach 17:oo Uhr sich auf den geruhsamen Abend vorbereiten, wuseln durch die Gänge, müssen noch mal schnell ihre auswendig gelernten Gedichte hervorholen und sind aufgeregt wie in ihren Jugendtagen.
Die neue Leitung im Haus will heute Abend anwesend sein.
Die Schwestern und Pfleger falten die Hände und hoffen, dass alles gut wird.
Wir Praktikanten räumen noch schnell das Geschirr weg, wischen die Tische ab und schauen bei den Bewohnern nach, die ihre Betten nicht mehr verlassen können.
Es ist laut und bunt.
Lachen und Stimmengemurmel klingt in allen Gängen.
Vorsichtshalber behalte ich den Feuerlöscher im Blick.
Eine aufregende Geschichte aus dem Vorjahr macht die Runde.
Da hat doch tatsächlich ein Eimer gebrannt.
Aber die Feuerwehr ist nur 500 Meter weiter und schnell vor Ort gewesen.
Zu einem Fest wie diesen gehören die Kerzen dazu, die in den ausgehöhlten Kürbisköpfen brennen. Es sieht gespenstisch aus,
wenn die Schatten an die Wände geworfen werden.
Viele Geschichten machen die Runde.
Die heute alten Leute waren in ihren Jugendtagen genauso wild und stürmisch, wie wir es heute sind.
Die Jugend von heute ist nicht schlechter, nein, sie hat nur so viele Möglichkeiten. Mancher weiß ja garnicht mehr, was alles geht.
Ja, vor vielen Jahren gab es keine Drogen, keinen Computer hört man den alten Mann erzählen, der auch heute wieder auf seinen Sohn wartet.
Der Sohn verdient gut, kann sich vieles leisten.
Nur das Wichtigste fehlt ihm und seinem Vater.
Zeit, einmal eine Stunde ungestört plaudern.
Ich stehe fasziniert mit offenem Mund da, wenn das Paar aus dem hinteren Zimmer zusammen singen. Die beiden haben ihre Lebenspartner vor Einzug in dieses Domizil verloren und sich in ihren späten Jahren gefunden und ergänzen sich.
Wer sagt denn, dass Liebe ein Recht der Jugend ist.
In den reifen Jahren geht sie viel tiefer, ist viel intensiver.
Man diskutiert und streitet nicht mehr so oft, man kennt nicht, was der nächste Tag bringt.
Glückliche Gesichter an einem Freitagabend, in der Hoffnung, das alle im nächsten Jahr in dieser frohen Runde wieder zusammen sitzen können.
Es braucht gar nicht viel, um zufrieden zu sein.
Tag der Veröffentlichung: 30.10.2009
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