Das Haus unter Denkmalschutz
Anne Koch
Es war am letzten Sonntag im November, die Sonne schien und es war eigentlich überhaupt nicht vorweihnachtlich.
"Ich habe Kaffee gekocht", rief Oma. Für die Kinder duftete eine Kanne Kakao und auf dem Tisch stand ein großer Teller mit Weihnachtsplätzchen.
"Du hast schon Plätzchen gebacken?", wunderte sich Mama.
Alle schauten zu Opa. Er hatte wie jedes Jahr einen Adventskranz gebunden mit 4 großen roten Kerzen. Der hing an roten Bändern mitten in der Stube. Mit ruhiger Hand zündete er nun die erste Kerze an. Augenblicklich war allen klar, es sieht nicht danach aus, aber heute ist der erste Advent und somit der Beginn der Weihnachtszeit.
Mama schenkte Kaffee und Kakao nach und die Plätzchen wurden immer weniger. Die beiden Kinder, Christel und Peter stellten fest, dass niemand so leckere Kekse backen konnte wie die Oma.
"Nehmt nur, ich kann den Teller noch einmal füllen", munterte sie die beiden auf.
Christel wollte gerade in einen Stern mit Schokoladenguss beißen, da stellte sie fest: "Aber wir haben ja noch gar keinen Adventskalender."
"Den gibt es erst am 1. Dezenber, solange müsst ihr euch noch gedulden", erklärte Mama.
Opa machte es sich bequem in seinem Sessel und man konnte es ihm an der Nasenspitze ansehen, jetzt würde er ganz sicher eine Geschichte erzählen.
"Als ich so groß war wie du Peter, da hatte ich einen ganz besonderen Adventskalender."
"Gab es denn das damals schon?", fragte Christel. Der Opa wiegte seinen Kopf ein paar mal und meinte dann: "Sicher, nur wir waren damals noch bescheiden und so ein Kalender hatte genau wie eurer 24 Türchen. Wir machten auch jeden Tag eine Tür auf - nur war bei uns ein buntes Bildchen zu sehen, während ihr ja heute zumindest ein Stück Schokolade erwartet."
"Ihr kennt doch alle dieses Haus, kurz vor dem Wald, vor lauter Tannen sieht man kaum etwas davon. Alles ist mit einem hohen Zaun eingezäunt und am Tor ist ein Schild: Betreten verboten. Die Fenster sind so staubig, dass man nicht hineinsehen kann und in dem Haus soll ein alter Mann wohnen mit einem Esel. Das Haus steht unter Denkmalschutz und ich glaube, auch der Mann und der Esel, denn die waren, als ich Kind war, auch schon da. Hin und wieder sieht man den Mann in die Stadt gehen, mit seinem Esel. Dann kauft er viele Sachen ein und der Esel trägt sie nach Hause.
Nun war auch so ein schöner Novembertag, wie heute und ich ging mit meinem Hund spazieren. Ich hatte mir fest vorgenommen von dem Haus etwas zu erfahren. Mit meinem Rex hatte ich Mut. Stück für Stück untersuchte ich den Zaun, ob da kein Schlupfloch war, durch das man in den Garten gelangen könnte. Nichts, ich habe noch nie einen so ordentlichen Zaun gesehen, alles war dicht. Meine Hoffnung galt jetzt dem Tor, vielleicht war das ja offen."
"Opa, was hattest du für einen Hund?", wollte Peter wissen.
"Einen Schäferhund, und ich habe ihn ganz allein versorgt, bin mit ihm spazieren gegangen und habe ihn gefüttert. Ich konnte ihm alles sagen und er hat mich nie verraten. Mit ihm habe ich gelernt Verantwortung zu tragen und es hat mir nicht geschadet."
"Wollt ihr jetzt wissen wie meine Geschichte weiterging?"
Ein kräftiges "JA" war zu hören. und alle warteten gespannt, dass Opa fortfuhr.
"Ich kam also an das große eiserne Tor. Wie ich auch daran zog und rüttelte, es war gut verschlossen. Die Sonne ging gerade unter und ich holte meine Taschenlampe aus der Jackentasche, um das Schild genau zu betrachten. Sofort fiel mir der Satz auf: Betreten verboten. Aber darüber stand noch etwas, mit kleineren Buchstaben. Ich streckte mich und las: vom 1. Januar bis 30. November - also war vom 1. Dezember bis 31. Dezember der Eintritt erlaubt.
Rex, sagte ich zu meinem Hund, das ist schon morgen, dann kommen wir wieder und sehen, ob das stimmt.
Was der Lehrer am nächsten Tag im Unterricht sagte und an die Tafel schrieb, ich habe nichts gesehen und gehört. Was in meinem Kopf herumschwirrte war die Frage, ob heute das Tor offen war. Als ich dann mittags nach Hause kam, wartete mein Hund schon auf mich an der Haustür.
Zuerst musste ich zum Essen an den Tisch, damit ich meine Mutter nicht erzürnte. Ich durfte mit Rex eine kleine Runde laufen, musste aber gleich wieder heim und meine Hausaufgaben machen. Ja, da war meine Mutter sehr streng, erst danach konnte ich machen, was ich wollte. Da ich in der Schule nicht aufgepasst hatte, brauchte ich doppelt so lange für meine Hausaufgaben. Rex, der sonst immer Ruhe ausstrahlte war heute ganz aufgeregt. Er wartete förmlich darauf, dass ich meine Bücher in die Tasche packte.
Endlich war ich fertig und zog meine Jacke über, nahm die Taschenlampe und die Hundeleine und los ging es. Wir ließen den Ort hinter uns und gingen Richtung Wald.
Den Hund konnte ich fast nicht halten, da sah ich es auch, das Tor war offen. Nun neige ich dazu, alles genau zu überprüfen, also schaute ich ob an dem Tor kein Mechanismus war, der das schwere Gitter zufallen ließe, sobald wir da durch gegangen wären. Nein, da war wirklich nichts. Mein Hund war schon vorausgegangen und saß staunend vor einem großen Tannenbaum, der zwar keine Kerzen hatte, aber an jedem Zweig leuchtete ein kleiner glitzernder Stern. Niemals vorher hatte ich so einen schönen Baum gesehen. Ein Fenster im Haus war beleuchtet, Ich nahm Rex an die Leine und ging auf das Fenster zu. Nun sah ich, dass dieses Haus viele Fenster hatte, genau 24 Stück. Das Haus war ein großer Adventskalender.
Wir waren am ersten Fenster angekommen und die Scheiben waren klar und sauber. Wir sahen eine Stube mit Tannenzweigen geschmückt und auf dem Tisch stand eine große rote Kerze. Das Licht flackerte warm und daneben stand auf einer Karte: Finde jemanden der einsam ist. Schenke ihm ein Licht, reich ihm deine Hand und ein dankbares Lächeln wird dich belohnen. - Was ich nun nicht so schnell begriff, mein Hund hatte es wohl verstanden, denn er wedelte vergnügt.
Wir machten uns auf den Heimweg und ich war sehr nachdenklich.
Mutter öffnete uns die Tür und bemerkte: "Du hast dein Türchen ja gar nicht aufgemacht, heute ist doch der 1. Dezember."
Ich dachte noch lange nach, was mir die Karte sagen wollte.
"Hast du die anderen Fenster auch noch angeschaut?", wollte Christel wissen.
"Ja und was hast du dann mit der Botschaft gemacht? Hast du da jemanden gefunden, der einsam war?", fragte Peter.
"Kinder", sagte Opa, "für heute habe ich genug erzählt, morgen werde ich vielleicht erzählen, wie es weiter ging."
Nach dem Abendessen pustete Opa die Kerze aus und Christel und Peter malten sich aus, wie Opas Geschichte wohl weiter geht.
Philipps Adventskalender
Angela Ewert
Genau weiß ich nicht mehr, wann es begann, aber ich glaube, als alle drei Töchter aus dem Haus waren. Irgendwann hatte ich angefangen, für unseren Sohn einen Adventskalender selbst zu basteln und mit Süßigkeiten zu füllen. Offenbar gefiel ihm meine Idee, denn er bestand von da an auf seinem individuellen Adventskalender.
Er war schon weit über zwanzig als ich ihn einmal fragte, wann ich denn endlich damit aufhören dürfe. Er meinte, solange er bei uns wohnt, bestimmt nicht! Da hatte ich mir ja etwas eingebrockt!
Mittlerweile war er in einer Phase, in der er sich nur noch gesund ernähren wollte und Süßes so gut wie tabu war. Ich musste mir also etwas anderes einfallen lassen und füllte die selbstgenähten kleinen Nikolausstiefel mit Drogerieproben und anderen Kleinigkeiten, wofür die Stiefel eigentlich zu klein waren.
Nachdem wir vor vier Jahren um- und er woanders hingezogen waren, dachte ich zunächst, ich sei nun befreit von dieser „Pflicht“.
Andererseits machte es mir aber auch Spaß, Kleinigkeiten für seinen Kalender zu suchen.
Nachdem der erste Adventskalender ausgedient hatte, besorgte ich mir festen roten Stoff und nähte daraus etwas größere Säckchen, in die auch Äpfel und Orangen passen und schrieb mit einem weißen Stift die Zahlen von eins bis vierundzwanzig drauf.
Zunächst wusste ich nicht so recht, wie ich die Säckchen aufhängen sollte. Dann besorgte ich mir bei IKEA eine lange Hakenleiste, die ich innen an die Bürotür meines Mannes mitsamt den gefüllten Kalendersäckchen hängte, denn unser Sohn arbeitet ja seit ein paar Jahren mit meinem Mann zusammen in dessen kleiner Firma. Beim ersten Mal nach seinem Auszug war er doch freudig überrascht, dass ich die Tradition fortführte.
So richtig gefiel mir das nicht mit dem Kalender an der Tür. Im vorigen Jahr entdeckte ich in einem Katalog einen stabilen stilisierten Weihnachtsbaum aus Eisen mit einem Stern an der Spitze. Der war genau richtig für Philipps Adventskalender und steht auch in diesem Jahr wieder im Büro auf dem Fensterbrett mit vierundzwanzig gefüllten Säckchen.
Für dieses Jahr habe ich mir wieder etwas Neues einfallen lassen. Ich habe ein Fahrzeug von Lego Technik gekauft – in vielen kleinen Einzelteilen - das ich in die Säckchen verteilt habe. Die Anleitung natürlich erst am Ende!
Und zum Nikolaus gibt’s auch was Süßes.
Das Geschenk in der Samstagszeitung Tteil 2)
Anne Koch
Christel und Peter machten zügig ihre Hausaufgaben, und hofften, dass Opa ihnen danach die Fortsetzung seiner Geschichte erzählen würde. Opa war immer zuverlässig und was er versprach, das hielt er auch.
Heute sah es aber ganz anders aus. Er war dabei ein Geschenk zu verpacken. Nun wollter er wissen wo die Zeitung vom Samstag war. Peter fand die Zeitung in der Papiertonne und brachte sie in die Stube. Opa breitete die Zeitung auf dem großen Tisch aus, stellte darauf einen festlich geschmückten Tannenzweig auf den er eine dicke rote Kerze befestigt hatte. Oma füllte eine Dose mit köstlichen Plätzchen und legte ein halbes Pfund Kaffee dazu.
Dann begann Opa das Ganze in die Zeitung einzuschlagen.
Christel staunte: "Ein Geschenk in Zeitungspapier? Habt ihr denn kein Weihnachtspapier?"
"Doch Christel das haben wir auch, aber es ist genau richtig so", sagte Oma lächelnd.
Opa zog seinen Mantel an, nahm das Geschenk und ging. "Und was ist nun mit der Geschichte von gestern?", fragte Peter entäuscht. Oma holte sich ihren Strickstrumpf, setzte sich zu den Kindern und versprach: "Wenn er zurück kommt wird er sie sicher noch erzählen und wenn nicht, dann ist ja morgen auch wieder ein Tag. Ich werde euch aber nun die Geschichte von dem Geschenk in der Samstagszeitung erzählen."
*Das schönste Mädchen in unserer Stadt ging mit Opa in die gleiche Schule. Alle Buben hatten nur Augen für sie und die Mädchen waren sehr eifersüchtig. Als dann die Schule beendet war und jeder einen Beruf anstrebte, war die "Schöne" nur noch an den Wochenenden im Elternhaus. Man erzählte sich, sie lernt etwas in der Modebranche. Tatsache war, dass sie von Woche zu Woche noch hübscher wurde. Alle jungen Burschen wollten mit ihr ausgehen und hin und wieder kam es vor, dass man ihr einen Heiratsantrag machte.
"Wenn ich einmal heirate, dann nur einen echten Prinzen", sagte sie dann lachend. Ob euer Opa ihr auch einen Antrag machte, habe ich nie erfahren. Die Jahre vergingen und sie kam zurück in die Stadt, wo sie ein Geschäft für Brautmoden eröffnete. Alle jungen Bräute ließen sich von ihr einkleiden und selbst die hässlichste Braut wirkte in ihren Kleidern wie eine Prinzessin. Weiterhin wies sie jeden Verehrer ab und nach ein paar Jahren fragte sie niemand mehr. Auch auf ihren Prinz hatte sie vergeblich gewartet.
In einer warmen Sommernacht, legte einer ihrer zurückgewiesenen Verehrer Feuer in ihrem Geschäft für Brautmoden. Plötzlich stand sie vor einem großen NICHTS. Was ihr blieb, war das elterliche Haus und ein paar Notgroschen, die aber auch bald aufgebraucht waren.
Niemand hatte Mitleid mit ihr und sie lebte fortan einsam und total zurückgezogen in ihrem Haus. Wenn man keine Kinder und keine Freunde hat, kann man im Alter sehr einsam sein. "
Oma machte eine kurze Pause und stellte Nüsse auf den Tisch.
Während die Kinder Nüsse knackten, erzählte Oma weiter.
"Seit die "Dame", und sie ist immer noch eine schöne Frau, gar nicht mehr das Haus verlässt, bringt Opa ihr jedes Jahr zum Beginn der Adventszeit einen Tannenzweig und eine Kerze. Das erste Mal wollte er es vor mir verheimlichen und nahm deshalb eine Zeitung in die er sein Geschenk verpackte. Sie hat sich so über die Zeitung gefreut, weil sie sich ein Zeitungs-Abo schon lange nicht mehr leisten konnte.
Deshalb also ein Geschenk in der Samstagszeitung."
Oma schaute zum Fenster hinaus und kleine weiße Flocken tanzten vom Himmel herab. Wir abgesprochen sangen alle zusammen das Lied "Schneeflöckchen, Weißröckchen", als Opa zur Tür hereinkam.
Opa schüttelte seinen Mantel und ein paar Flocken stoben durch die Stube. Die Kinder schauten ihn erwartungsvoll an.
"Ohne einen frischen, heißen Kaffee und ein paar von den guten Plätzchen, läuft bei mir heute nichts mehr!" Opa ließ sich in den Sessel fallen, als hätte er Schwerstarbeit geleistet.
Peter rückte das kleine Tischchen an den Sessel und Oma und Christel brachten Kaffee und Kekse. So mochte es der alte Herr.
"Wenn mir jetzt noch jemand meine Pantoffeln bringt, hätte ich keine weiteren Wünsche mehr", sagte er und fügte hinzu, "für heute."
Peter rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Schließlich getraute er sich zu fragen: "Opa, deine Geschichte von gestern, geht die noch weiter, oder ist die schon zu Ende?"
"Oh nein, die hat ja gestern erst angefangen."
Fortsetzung folgt....
Texte: Gitta Rübsaat
Bildmaterialien: Lizenzfreie Fotos
Cover: Manuela Schauten
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2020
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