Wir schrieben das Jahr 1969. Sohnemann war Ende Oktober gerade 5 Jahre alt geworden und wir wohnten seit knapp drei Monaten, zusammen mit meinem Vater, in Köln. Natürlich hatte es zuvor jedes Jahr einen schönen Adventskranz mit vier Kerzen gegeben. In diesem Jahr hatte ich allerdings ein wunderschönes Adventsgesteck von meinem Arbeitgeber geschenkt bekommen. Das hatte er zwar eigentlich seiner jungen Geliebten zugedacht, aber die war wohl mal wieder richtig sauer auf ihn, weil er sie nach einer Vorstandssitzung nicht besucht hatte, sondern vor Müdigkeit wohl gleich nach Hause zu Frau und Kinder gefahren war, um auszuschlafen.
Er ließ sie maulen und nahm das Gesteck wieder mit.
So kam ich in den Genuss eines vermutlich sehr teuren, wunderschönen Gestecks mit einer dicken weißen Kerze, die fast den Durchmesser einer Untertasse hatte. Auch Peter fand Gefallen an dem schönen Gesteck und durfte wie immer die Kerze am späten Nachmittag wieder auspusten.
Auch in seinem Kindergarten gab es natürlich einen Adventskranz und am Montag brannte dort auch die erste Kerze. Und – das fand ich eine nette Idee – jedes der insgesamt zwölf Kinder in der Gruppe durfte sie vor dem Nachhausegehen auspusten. Die Betreuerinnen zündeten also zwölfmal die Kerze wieder an, damit jedes Kind mal pusten konnte.
Am Freitagvormittag vor dem 2. Advent rief mich die Leiterin des Kindergartens an. Ich wurde schon ganz blass, weil ich natürlich sofort Angst hatte, Sohnemann sei etwas passiert.
„Nein, nein“, beruhigte sie mich, „keine Sorge, es ist nur … wie viele Kerzen hat denn Ihr Adventskranz?“
„Wie viele Ker…, also eine dicke in der Mitte, wieso?“
Ich hörte es kichern: „Na ja, Ihr Sohn hat mich vorhin gefragt, ob er fürs Wochenende eine Kerze mitnehmen dürfe, er würde sie auch ganz bestimmt am Montagmorgen wieder zurück bringen.“
„Was, was sollte das denn, verstehe ich nicht.“
„Peter sagte, Sie hätten nur eine Kerze zuhause und da könnte man ja am 2. Advent gar nicht richtig feiern und auch keine zwei Kerze auspusten!“
„Ach Du je, da hätte ich ja im Traum nicht dran gedacht. Was haben Sie ihm denn gesagt?“
„Ich habe ihm versucht zu erklären, dass die Erwachsenen das nicht so genau nehmen und gerne mal nur eine Kerze hinstellen, die dann halt immer wieder angezündet wird.“
„Und wie hat er reagiert?“
„Ehrlich gesagt, nicht so glücklich. Er meinte, er würde dann den 2. Advent hier feiern und zwei Kerzen ausblasen.“
„Gut, dass Sie mich angerufen haben. Ich werde hoffentlich noch einen mit vier Kerzen bekommen, danke!“
„Ach, da wird er sich freuen, dann sag ich ihm, dass ich das leider nicht darf, weil ich sonst Ärger mit meinen Vorgesetzten bekomme. Wundern Sie sich nicht, wenn er heute etwas traurig guckt, wenn Sie ihn abholen.“
Da ich Peter erst gegen halb vier abholen musste, düste ich gleich los und erstand tatsächlich noch einen normalen Adventskranz aus Tannengrün mit vier dunkelroten Kerzen in einem Blumengeschäft um die Ecke. Dazu noch ein wenig Zierkram und fertig war der Wunschtraum meines Sohnes. Das wunderschöne teure Gesteck verbannte ich in mein eigenes Zimmer und auf den Couchtisch im Wohnzimmer drapierte ich den „richtigen Adventskranz“.
Tatsächlich sah ich zuerst ein ziemlich mürrisches Gesicht, als er aus der Tür des Kindergartens kam. Erst wollte ich gar nicht fragen, was denn los sei, aber das fand ich dann feige. Also fragte ich ihn gleich: „Was ist denn los, war es heute nicht schön?“
Er guckte auf den Boden und murrte nur: „Ach nix!“
Da es nur einige Schritte von Kindergarten bis zu unserem Haus waren, bohrte ich nicht weiter und so trottete er stumm neben mir her.
Im Flur befreite ich ihn zunächst von Mantel, Schal und Mütze und sagte dann: „Hast Du Lust auf einen warmen Kakao?“
„Au ja, aber ohne Haut, ja?“
„Na klar, zieh Dir mal noch die Schuhe aus, ich habe schon alles vorbereitet.“
Zusammen gingen wir dann ins Wohnzimmer. Peter setzte sich und wollte gerade nach seiner Tasse greifen, da sah er den neuen Adventskranz. Seine Augen wurden rund und runder – er rutschte vom Sessel und tippte auf jede Kerze. Dann strahlte er mich an: „Wir haben ja doch vier Kerzen, dann kann ich ja am Sonntag zweimal pusten!“
Ich habe nur kurz überlegt, ob ich ihm vom Anruf der Leiterin erzählen solle, nein, ich wollte es so lassen. Er hopste vor Begeisterung um den Tisch herum und am 2. Adventssonntag hibbelte er schon mit den Beinen, bevor wir überhaupt mit unserer Nachmittagsrunde fertig waren. Und wieder strahlte er wie ein Honigkuchenpferd, als er endlich seine Bäckchen aufblasen durfte, um dann erst eine und dann, nach kräftigem Luftholen, die 2. Adventskerze auch noch auspusten konnte - so wie all die Jahre zuvor.
Als ich Sohnemann am Montagnachmittag vom Kindergarten abholte, tauchte hinter ihm die Leiterin auf. Mit lachenden Augen streckte sie ihre rechte Faust mit gestrecktem Daumen hoch. Sohnemanns 2., 3. und 4. Advent waren gerettet – Halleluja!
Schneeflocken rieselten in der Nacht leise auf den Boden und verliehen der Welt ein geheimnisvolles Flair. Nach und nach wurden Wege und Pflanzen von einer weißen Decke eingehüllt. Der Wetterdienst hatte für die nächsten Tage noch weitere Schneefälle angekündigt, sodass dies noch nicht alles sein würde.
In einem kleinen Ort stand der 4-jährige Nick am frühen Samstagmorgen im Schlafanzug und mit Kuscheltier im Arm in der Schlafzimmertür. Dort zögerte er einen kurzen Moment bevor er laut jauchzend mitten auf das große Bett sprang. Aufgeregt und voller Energie rief er lauthals: "Papa! Juli! Aufstehen! Es hat geschneit!" Dabei rüttelte er an den Schultern seines Vaters Martin und riss gleichzeitig Juliane, Martins Freundin, die Decke weg.
Leise brummend versuchte Juliane ihre Decke zurück zu erobern, hatte aber ohne die Augen zu öffnen keine Chance. Gähnend drehte sie sich auf die Seite und blinzelte Nick verschlafen an. Verstohlen warf sie einen Blick auf den Radiowecker: 6:25 Uhr. "Es ist doch noch viel zu früh zum Aufstehen. Komm leg dich noch was zu uns", versuchte sie Nick zu überzeugen.
"Ich will aber Schlitten fahren", maulte Nick, kuschelte sich aber gleichzeitig zu Martin, der mittlerweile auch wach war, unter die Bettdecke.
Martin warf Juliane einen fragenden Blick zu, sie nickte kurz zur Bestätigung und drehte sich dann auf die andere Seite um noch ein bisschen zu schlafen. "Weißt du, Nick", erklärte Martin. "Im Moment ist es noch viel zu dunkel und damit auch zu gefährlich zum Schlitten fahren. Wir schlafen jetzt alle noch ein bisschen. Nach dem Frühstück packen wir dann deinen Schlitten ins Auto und suchen einen richtig tollen Berg."
Resigniert seufzte Nick leise und murmelte schließlich: "Na gut ..." Wenige Minuten später war er mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen eingeschlafen und auch Martin und Juliane fanden noch etwas Schlaf.
Gegen acht Uhr war dann jedoch die Nacht endgültig vorbei. Nick hielt nichts mehr im Bett und so blieb auch den Erwachsenen keine Möglichkeit mehr, noch ein wenig zu schlafen.
Leise tapste Juliane in dicken Socken über die, dank Fußbodenheizung, warmen Fliesen im Flur und bereitete in der Küche das Frühstück für die kleine Patchworkfamilie vor. In der Zwischenzeit deckten Martin und Nick zusammen den großen, runden Esszimmertisch in der Nische, die direkt ans Wohnzimmer anschloss. Gemütlich saßen sie anschließend um den Tisch, frühstückten, tranken Kaffee oder Kakao und freuten sich gemeinsam auf den bevorstehenden Schlittenausflug.
Juliane liebte den Winter, zumindest solange sie nicht selbst hinterm Steuer eines Autos sitzen musste. Ihr Blick wanderte durch den weihnachtlich dekorierten Raum, um schließlich am Fenster zu verharren. Mit verträumtem Blick betrachtete sie die winterliche Landschaft vor dem Haus. Das kleine Häuschen, das Martin und sie sich im Frühjahr gekauft hatten, lag in Sackgassenlage direkt am Waldrand. Im Sommer konnten sie Nick draußen spielen lassen, ohne dass sie alle fünf Minuten gucken mussten, ob er nicht gerade auf die Straße lief. Doch im Moment war von dem sonst so vertrauten Grün draußen nichts mehr zu sehen. In Gedanken sah sie sich selbst, wie sie mit ihrer jüngeren Schwester Jessica als Kinder über die verschneiten Wiesen getollt war. Ihre Schwester und sie, sie waren einander so nah und doch manchmal so fern.
Ein leiser Seufzer drang aus Julianes Mund und sie strich sich gedankenverloren eine lockige Strähne aus dem Gesicht. Erst Nicks Kichern holte sie in die Wirklichkeit zurück. "Na, du hast ja heute gute Laune", sagte sie grinsend und zwinkerte Nick zu.
"Klar hab ich das! Wir gehen gleich Schlitten fahren." Dann stockte er kurz und blickte Juliane mit großen Augen an. "Du kommst doch mit, oder?"
"Natürlich. Denkst du ich lass mir eine Schlittenfahrt mit dir entgehen?"
"Nein", lachte Nick und kletterte von seinem Stuhl rüber auf Julianes Schoß. "Ich hab dich lieb", murmelte er leise und kuschelte sich an sie.
"Ich hab dich auch lieb", erwiderte Juliane mit einem seligen Lächeln. Verstohlen wuschelte sie Nick durch seinen blonden Lockenschopf. 'Manchmal sieht er aus wie ein kleiner Engel.'
Nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten, wurde blitzschnell der Tisch abgeräumt damit sie schon bald losfahren konnten. Nick rannte die ganze Zeit über aufgeregt durch den Flur. Immer wieder klangen Sätze wie "Wo sind die Handschuhe?" oder "Ich find den blöden Schal nicht!" durch die Wohnung. Irgendwann hatten die drei es dann aber endlich geschafft und es konnte losgehen. Warm eingepackt - Nick in einem molligwarmen blauen Schneeanzug, Martin und Juliane in Skihose und Skianorak - stapften sie den kurzen Weg von der Haustür zur Garage durch knöcheltiefen Schnee. Während Martin die beiden Schlitten im Kofferraum verstaute, schnallte Juliane Nick schon mal an und machte es sich anschließend auf dem Beifahrersitz bequem.
"Wohin sollen wir denn fahren?", fragte sie Martin als dieser das Auto rückwärts aus der Garage fuhr.
"Ich dachte, wir fahren ins Grüblertal. Da soll's einen super Hang geben zum Schlittenfahren und zur Not sogar ein kleiner Skilift falls wir keine Lust mehr haben, den Schlitten immer wieder den Berg hochzuziehen. Ist ein Tipp von einem Arbeitskollegen." Konzentriert lenkte Martin den Astra von der Seitenstraße auf die Hauptstraße. Der Schnee knirschte unter den Rädern und als sie um die Ecke bogen, rutschte der Wagen hinten leicht weg.
Nick jauchzte glücklich auf dem Rücksitz und summte leise die Melodie von "Schneeflöckchen, Weißröckchen". Zwischendurch hauchte er die Scheibe an und malte mit dem Finger Strichmännchen auf die beschlagene Stelle. "Wann sind wir da, Papa?"
"Dauert nicht mehr lange, Nick", antwortete Martin grinsend. Er hatte die Frage schon viel eher erwartet und war erstaunt, dass sein Sohn so lange durchgehalten hatte, ohne sie zu stellen.
"Du kannst dir ja schon mal überlegen, mit wem du zuerst die Piste runtersausen willst", schlug Juliane vor und drehte sich auf dem Sitz so, dass sie Nick ansehen konnte ohne sich den Hals zu verrenken.
"Das ist doch wohl klar. Mit dem, der schneller fährt." Aus Nicks Stimme klang der Brustton der Überzeugung, doch sein Blick wanderte zwischen seinem Vater und dessen Freundin hin und her. Es schien fast so, als würde er abwägen, wer von den beiden wohl schneller fahren würde.
Juliane lachte leise und drehte sich wieder nach vorne. Aus dem Autoradio erklang leise Weihnachtsmusik und untermalte die winterliche Atmosphäre, die draußen an ihrem Auto vorbeizog noch zusätzlich.
Eine halbe Stunde später bog Martin auf den bereits gut gefüllten Parkplatz am Ski- und Rodelhang Grüblertal ein. Der Wagen stand kaum in seiner Parklücke als Nick auch schon versuchte aus dem Auto zu kommen, was ihm durch die Kindersicherung jedoch verwehrt blieb. Lachend stiegen Martin und Juliane aus und Martin öffnete die hintere Tür damit auch Nick aussteigen konnte.
Kurz darauf bahnten die drei sich mit den beiden Schlitten im Schlepptau ihren Weg zwischen den parkenden Autos in Richtung Piste. Lautes, freudiges Jauchzen, Jubelrufe und Gekreische schallten ihnen entgegen. Den knirschenden Schnee unter den Füßen und vom Himmel fallende Schneeflocken im Gesicht, stiefelten Martin und Juliane den Berg hinauf. Nick lief ein paar Meter vor ihnen her und ließ sich zwischendurch immer wieder laut lachend in den Schnee fallen.
"Ich bin ein Schneeengel", rief er laut als er auf dem Rücken liegend die Arme neben sich durch den Schnee bewegte.
Martin lachte kurz auf und murmelte leise brummend: "Wohl eher ein Schneebengel ... So früh, wie du uns heute Morgen geweckt hast."
"Wo bleibt ihr denn?", rief Juliane ihren beiden Männern zu, die sie mittlerweile überholt hatte. "Wenn ihr euch nicht beeilt, fahr ich gleich ohne euch ins Tal."
Lachend sprang Nick auf und rannte hinter Juliane her. Mit Schwung sprang er auf den Schlitten, den diese hinter sich herzog. "Jetzt musst du mich ziehen", meinte er mit breitem Grinsen und funkelnden Augen.
Aus Spaß stöhnend und schnaufend legte Juliane die nächsten Meter zurück. "Nick, was hast du gefrühstückt? Du bist viel zu schwer", kicherte sie und blieb stehen, um dem Jungen die Mütze wieder zurechtzurücken.
Endlich waren sie am oben angekommen. Nick blickte, den Finger an die Nasenspitze gelegt, zwischen Martin und Juliane hin und her, die ihn wiederum abwartend anguckten. Nach einem Moment des Überlegens stellte er sich vor seinen Vater und meinte mit leiser Stimme: "Bist du sauer, wenn ich zuerst mit Juli fahr? Ich glaub, sie hat Angst alleine zu fahren."
Nur mühsam unterdrückte Martin ein lautes Lachen. "Nein, Nick, ich bin nicht sauer. Fahr ruhig mit Juli und pass gut auf sie auf." Dabei streichelte er seinem Sohn liebevoll mit dem Handrücken über die Wange.
"Na dann komm mal her, mein Beschützer", ging Juliane auf das Spiel ein und klopfte vor sich auf den Holzsitz. Sie hatten sich bewusst für zwei alte Holzschlitten entschieden, da diese ihrer Meinung nach einfach mehr hergaben als diese neumodischen Plastikschüsseln mit denen man quasi direkt über den Boden schrappte.
Nick kletterte belustigt grinsend zu Juliane auf den Schlitten und lehnte sich vertrauensvoll nach hinten in ihre Arme. Die Beine auf der kleinen Stange zwischen den beiden Holmen gestützt, drehte er seinen Kopf leicht zur Seite und grinste über die Schulter.
"Bereit?", fragte Juliane und erntete ein begeistertes Nicken. "Gut. Dann halt dich fest. Wär doch gelacht, wenn wir nicht vor Papa unten ankämen, oder?"
"Jaaaaaa", rief Nick freudig und umklammerte mit seinen Armen Julianes Beine.
Diese schob mit Hilfe ihrer Füße den Schlitten an und stellte sie nach ein paar Schüben auf die Oberseite der Kufen. Da die Piste recht gut präpariert war, rutschte der Schlitten ohne große Probleme los und sie fuhren lachend und vor Freude kreischend in rasanter Fahrt ins Tal. Julianes Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden unter ihrer Mütze hervor lugten, wehten wie eine kleine Fahne in ihrem Nacken.
Martin beobachtete den Beginn der Talfahrt zuerst noch einen Moment. Glücklich dachte er daran, wie froh er war, dass sich Nick und Juliane so gut verstanden. Natürlich würde Juliane niemals Nicks Mutter ersetzen können, die bei dessen Geburt gestorben war, aber sie gab sich wirklich alle Mühe, dem Jungen ihre Liebe zu zeigen. Dem Jungen - und auch ihm selbst. Schließlich versetzte auch er seinem Schlitten einen anständigen Schub und fuhr den beiden hinterher.
Im Tal angekommen, warteten Juliane und Nick ungeduldig, dass Martin endlich nach kam. Nick wedelte wild mit seinem rechten Arm und sprang wie ein Flummi auf und ab, als er seinen Vater erkannte. Nur mühsam schaffte es Juliane, Nick davon abzuhalten seinem Vater auf der Piste entgegen zu rennen.
Sie stiefelten noch einige Male den Berg hinauf und rodelten ins Tal, bevor sie am Nachmittag wieder nach Hause fuhren. Dort angekommen machten sie es sich im Wohnzimmer bei Kerzenschein mit einer heißen Tasse Kakao und Plätzchen gemütlich. Im Hintergrund spielte der CD-Player Weihnachtsmusik. Den Rest des Tages verbrachten sie im Warmen, genossen die Nähe, die an diesem Tag mit den Händen zu greifen schien und spielten das ein oder andere Gesellschaftsspiel.
Am Abend fielen Nick die Augen schon zu, bevor er seinen blonden Schopf auf dem Kopfkissen zur Ruhe bettete. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen murmelte er vor dem Einschlafen noch ein leises: "Das war ein schöner Tag."
Martin und Juliane betrachteten den Jungen noch einen Moment bevor sie sich wieder ins Wohnzimmer zurückzogen um noch ein wenig ihre Zweisamkeit zu genießen. "Manchmal sieht er wirklich aus wie ein kleiner Weihnachtsengel", murmelte Juliane als sie ihren Kopf auf Martins Schulter legte.
Martin legte seinen Arm um die Schulter seiner Freundin und zog sie ein Stück näher an sich. "Genau wie du ..."
Endlich war Hellmut fertig mit seinem Theologie-Studium! Ich hatte es kaum noch abwarten können, weil ich endlich von zu Hause weg wollte. Wegen der damaligen Wohnungssituation mussten wir die ersten vier Ehejahre noch bei meinen Eltern leben. Wir hatten inzwischen schon zwei Töchter und wollten endlich für uns sein und aus der Enge heraus und selbst über unser Leben bestimmen.
1974 begann das Vikariat für Hellmut und wir zogen im Sommer etwa 100 km weg aufs Land. Er wollte nicht aufs Land, aber ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen und freute mich sehr. Vikare konnten sich selten aussuchen, wohin sie geschickt wurden.
An unser erstes Weihnachtsfest im Pfarrhaus kann ich mich leider nicht erinnern. Hellmut sagt, wir waren in Rostock. Und als ich dort sah, dass es unser Zimmer nicht mehr gab – meine Eltern hatten inzwischen ihr Schlafzimmer dorthin verlegt, weil es sowieso das eigentliche Schlafzimmer war – wollte ich sofort wieder nach Hause! Wir waren angekommen.
Dann nahte das zweite Weihnachtsfest für unsere kleine Familie. Wir freuten uns schon sehr darauf. Katrin war vier Jahre alt und Anna drei. Sie erlebten also schon die ganze Weihnachtsaufregung recht bewusst mit. Zwei oder drei Tage vor Heilig Abend bekam Katrin Fieber. Dann folgte Anna und einen Tag vor Heilig Abend machte ich auch schlapp und legte mich ebenfalls ins Bett. Hellmut musste am Heiligen Abend mehrere Gottesdienste halten. Das schaffte er gerade noch. Er stellte noch unseren Weihnachtsbaum auf….dann legte auch er sich zu uns ins Bett!
Weihnachten interessierte keinen von uns mehr. Wir glühten zu viert. Noch nie war es so heiß in unserem Ehebett!
Unter dem Baum lagen einige Pakete aus dem Westen, die wir zur Bescherung öffnen wollten. Aber die Bescherung interessierte niemanden. Das einzige, was uns interessierte, waren Orangen und Mandarinen. Darauf hatten wir einen regelrechten Heißhunger. Also schauten wir in unsere Pakete und tatsächlich waren in fast jedem Paket welche von den heiß ersehnten Früchten, so dass wir uns reichlich mit Vitaminen versorgen konnten.
Am ersten Feiertag ging es langsam wieder aufwärts mit uns und am zweiten holte mein Bruder uns nach Rostock, damit wir am großen Weihnachtsputenessen der Familie teilnehmen konnten. Unseren Weihnachtsbaum habe ich erst geschmückt, als wir wieder zu Hause waren.
Denken Sie mal an die Schlagzeilen der letzten Wochen, nur Mord, Totschlag, Entführung hunderter Schulmädchen, Enthauptung von „Ungläubigen“, Brutale Gewalt in Syrien, in Libyen, im Irak und Iran, Krieg in Gaza, brutale Gewalt der Islamisten in Indonesien, die dort einen Gottesstaat errichten wollen!
Die Türkei lässt die Kurden nicht passieren, dafür lässt der türkische Präsident einen Palast mit 1000 (eintausend) Zimmern bauen, die Stromkosten dafür betragen pro Tag bis zu 250 000.- €!
Der Clou ist ja, dass dem Herrn die tausend Zimmer nicht reichen, jetzt soll noch eine Residenz mit 250 Zimmern persönlich für ihn errichtet werden!
Heute empfängt die Türkei den katholischen Papst, ob der Präsident der Türkei die Situation der Christen in der Türkei erwähnen wird?
Was ist aus den über zweihundert Schulmädchen geworden, die von Islamisten entführt worden sind? Sehr hämisch verkünden diese „Gotteskrieger“, dass die meisten Mädchen verheiratet wurden und auch schon schwanger sind!! Sind die Enthauptungen der zwei Männer schon vergessen?
Kann der syrische Präsident machen was er will? Er lässt Nagelbomben auf Zivilisten werfen, gibt ein Teil seiner Giftgas Vorräte großzügig ab, so spart er sich die teure Entsorgung, den größten Teil behält er!
Israel und der Gaza bekämpfen sich mal wieder, wieder trifft es in der Hauptsache die Zivilbevölkerung oder glauben Sie, dass drei-, vierjährige Kinder diesen Krieg begreifen oder gar wollen?
Braucht der Iran die Atombombe? Warum nicht, der Ami, der Russe, der Chinese, die Franzosen und noch viele mehr haben sie auch, die Atombombe!
Der nahe Osten brennt und die Flammen leuchten bis in den fernen Osten!
Putin brauchte ein großes Spektakel, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die Olympiade reichte nicht, das Formel eins Rennen auch nicht, der Diebstahl der Krim rüttelte einige etwas auf, plus dem Spektakel in der Ukraine, als das allgemeine Interesse nach lässt, wird eben mal ein Passagierflugzeug abgeschossen, 200 Tote, aber es war keiner!!!!
Der Herr im Kreml braucht die Aufmerksamkeit der Welt und er weiß, wie er sich die beschaffen kann!
Ach ja, da ist ja noch die Ebola Epidemie, aber auch nicht mehr so interessant, etwas Neues muss her!
Jetzt kreuzt die russische Kriegsmarine mit vier Schiffen im Ärmelkanal herum, ein Lump, wer dabei etwas Schlechtes denkt!
In Amerika erschießen weiße Polizisten farbige Kinder, wohl gemerkt: unbewaffnete Kinder, stopp, eines der Kinder hatte eine Spielzeugpistole!!!! Anklagen wegen Mord?! I wo, alles in Ordnung - alles rechtens!
Eine Menge Menschen protestieren in vielen Städten dagegen, was bringt es?
Gehen Sie heute Abend auf einen Weihnachtsmarkt oder haben gar eine Weihnachtsfeier in der Firma?
Frohe Weihnachten allerseits!
Zu den Weihnachtsbräuchen gehört auch, am heutigen 4.Dezember, den Zweig eines Obstbaumes, bevorzugt einer Kirsche, ins Wasser zu stellen. Dieser Zweig sollte dann an Hl. Abend blühen, Licht in den Winter bringen und Glück für das neue Jahr.
Einer Legende nach wurde Barbara von ihrem eigenen Vater angeklagt und enthauptet. Auf ihrem Weg in den Kerker blieb ein Zweig an ihrem Kleid hängen und blühte am Tage ihres Todes.
Die Hl. Barbara wurde zwar inzwischen aus dem Hl. Kalender gestrichen, da ihre Existenz laut Kirche nicht belegbar ist, aber sie wird noch immer als Schutzpatronin verschiedener Berufszweige verehrt. Die bekanntesten sind die Bergleute. Egal ob die Existenz dieser Heiligen belegbar ist oder nicht, ihr haben wir einen schönen Brauch zu verdanken.
Als ich ihre Geschichte las, kamen mir aber ganz andere Gedanken. Auch in unserer Zeit werden Mädchen und junge Frauen von ihren Vätern misshandelt, missbraucht und in einigen Ländern sogar getötet. Dies meistens aus Gründen der Ehre. Auch wenn die Hl. Barbara wegen ihres Glaubens sterben musste, so ging es auch hier für ihren Vater um die Ehre. Sie tat etwas, was ihm missfiel. Und so sollte die Hl. Barbara auch eine Schutzpatronin für diese Frauen und Mädchen sein.
Der Zweig als ein Symbol dafür, dass zu jeder Zeit Leben neu erblühen kann. Vielleicht mit unserer Hilfe, wenn wir nicht wegschauen.
"… und wenn du auch schön artig bist, dann bringt dir der Nikolaus auch ganz viele schöne Geschenke."
Liebevoll drückte die Mutter ihrer Tochter Lisa einen Gute Nacht Kuss auf die Stirn, deckte sie behutsam zu und löschte das Licht, bevor sie die Tür zum Kinderzimmer hinter sich schloss.
Lisa lag im Bett und Müdigkeit wollte sich so gar nicht bei ihr einstellen. Dazu war sie viel zu aufgeregt. Bald sollte es doch passieren! Wie konnte ihre Mutter da erwarten, dass sie schläft? Sie wusste, bisher hatte noch niemand den Nikolaus zu Gesicht bekommen. Im Kindergarten hatte sie alle ihre Freundinnen und die, die nicht ihre Freundinnen waren, ausgefragt. Und niemand hatte ihn bisher persönlich getroffen. Sie wollte das erste Kind auf der Welt sein, welches dem Nikolaus bei der Arbeit zuschaute. Und wenn er ihre blank geputzten Schuhe mit Süßigkeiten vollgestopft hatte, wollte sie ihn zu einem Glas Milch und Kekse einladen. Quasi als ein Dankeschön und damit er, gut gestärkt, auch die anderen Kinder glücklich machen konnte.
Es musste einfach klappen.
Sie überlegte, ob sie alle Vorkehrungen getroffen hatte. Sie wusste, dass im Kühlschrank die Milch stand. Gläser waren auf der Anrichte und die Kekse?
Oh je! Wo hatte Mama denn die Kekse hin getan? Ohne Kekse könnte sie den Nikolaus nicht zu einem Glas Milch und Kekse einladen!
Ihr Herz begann wild zu pochen. Ihr toller Plan war gerade dabei sich in Nichts aufzulösen. Genauso wie der Nikolaus, wenn er aus dem Haus verschwindet, nachdem er die geputzten Schuhe mit schönen Dingen gefüllt hatte.
Lisa überlegte. Sie musste die Kekse finden. Dann fiel ihr plötzlich der Papa ein und ein Gedanke überkam sie. Papa isst doch so gern Kekse. Was ist, wenn Papa alle Kekse aufgegessen hatte? Erschrocken setzte sie sich auf, strampelte die Bettdecke zur Seite, ging zur Tür und betätigte den Lichtschalter.
Sie suchte in den Schränken, in der Spielzeugtruhe und sogar in ihrer Sockenschublade. Doch sie fand nichts.
Nicht eine Tafel Schokolade oder ein paar Gummibärchen, welche sie dem Nikolaus, statt der Kekse, hätte anbieten können. Ihr Blick wanderte zum Regal, wo ihr Sparschwein sie von oben herunter anlächelte. Sie zog ihren kleinen Hocker unter dem Tisch hervor und schob ihn leise an die Wand, denn die Eltern durften es nicht mitbekommen.
Ganz vorsichtig stieg sie hinauf. Bevor sie nach dem Sparschwein griff, deutete sie ihm mit ihrem Zeigefinger vor dem Mund an, dass es gaaaaanz leise sein sollte. Ihre Hand tastete am Regal entlang, bis sie endlich etwas Kaltes fühlte, sie zog es zu sich heran und hielt dabei den Atem an. Es gab keinen Laut von sich. Lisa atmete erleichtert aus und schüttelte es, doch es klimperte nicht. Sein Bauch war leer. Traurig legte sie das kleine Schwein zur Seite und seufzte. Sie hätte dem Papa wohl doch nicht das teure Geburtstagsgeschenk machen sollen. Nun hatte sie kein Taschengeld mehr übrig behalten um ein paar Kekse zu kaufen. Verzweifelt setzte sie sich an den Bettrand, legte den Kopf auf ihren Händen ab und starrte aus dem Fenster.
Der Mond schien hell und sie konnte sogar einige Sterne zwischen den Schäfchenwolken erkennen, als ein tiefer Gähner sie wie einen Löwen wirken ließ, der gerade brüllen wollte. Doch kein Laut kam aus ihrem Mund heraus. Sie löschte das Licht, legte sich in ihr Bett und erinnerte sich an die Worte, bevor ihre Mutter ihr einen Gutenachtkuss gegeben hatte.
Bin ich denn auch artig gewesen? Wie lange, sagte Mama, dauert es noch, bis der Nikolaus kommt? Zwei Tage? All die Aufregung war zu anstrengend und sie schlief ein.
Als Lisa am nächsten Tag vom Spielen bei ihrer Freundin zurückkam, lief sie aufgeregt in die Küche.
"Mama! Wann kommt noch mal der Nikolaus?" Voller Erwartung und mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihre Mutter an und sie lächelte zurück.
"Der Nikolaus kommt in der Nacht vom fünften auf den sechsten Dezember. Nun zieh‘ dir erst einmal die warmen Sachen aus und dann essen wir."
Lisa ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie rannte in ihr Zimmer, schmiss ihre Winterjacke auf den Boden und zog sich mühsam die Stiefel von den Füssen, welche mit einem Rums gegen die Wand flogen und in der Ecke liegen blieben. Sie zog sich die Hausschuhe an, ging ins Badezimmer und wusch sich die Hände. Dann war sie fertig und ging in die Küche, wo sie bereits ihre Eltern erwarteten. Es gab Buchstabensuppe. Lisa liebte es, aus den Buchstaben Wörter zu formen. Auch wenn sie noch nicht Lesen oder Schreiben konnte, hielt es sie nicht davon ab, mit dem Löffel einige Buchstaben an den Rand des Tellers zu schieben und ihre Eltern nach der Bedeutung des Wortes zu fragen.
"Mama! Was heißt das?"
Lisa tippte mit ihrem Finger auf das Wort am Tellerrand. Dabei berührte ihr Zeigefinger einen der Buchstaben und blieb an der Fingerkuppe kleben. Lisa schob den Finger in den Mund, leckte sich genüsslich den Buchstaben von der Hand ab und grinste ihre Mutter an.
Die Mutter drehte den Kopf und versuchte das Wort zu enträtseln. "MSWAFSF"
Lisa hob die Augenbrauen. "Was?" Sie konnte ihren überraschten Gesichtsausdruck nicht verbergen.
"Anscheinend hast du nicht genügend Vokale."
Lisas Augen wurden riesengroß. Sie hatte keine Ahnung, worüber ihre Mutter da gerade sprach, die in ein schallendes Gelächter ausbrach.
"Vokale, mein Schatz, das sind Buchstaben wie ein A oder ein E oder ein I".
"Ieh? Wieso ieh? Was ist denn so schlimm daran?", unterbrach Lisa sie.
Die Mutter lachte erneut laut auf.
"Wenn du in die Schule gehst, wirst du das alles noch lernen. Doch jetzt iss‘ Deine Suppe erst einmal auf, sonst wird sie kalt."
Als alle mit dem Essen fertig waren, half Lisa ihrer Mutter das Geschirr abzuräumen.
"Hast du denn auch schon deine Schuhe sauber gemacht und blank geputzt?"
Lisas Hand schnellte zur Stirn. Das hatte sie ja total vergessen! Beschämt schüttelte sie den Kopf.
"Nee, noch nicht. Das mache ich aber sofort", versprach sie der Mutter und rannte aus der Küche.
Das hatte sie ja total vergessen. Der Nikolaus packt seine Geschenke ja immer in die sauberen Schuhe! Ob die riesige Giraffe, die sie sich so sehnlichst wünschte, auch in die Schuhe passte? Lisa rannte in ihr Zimmer und überlegte, welche Schuhe sie nehmen sollte. Da sie sich nicht entscheiden konnte, begann ich alle ihre Schuhe zu putzen.
In der Zwischenzeit machte die Mutter die Fensterbank sauber und legte dort ein kleines Deckchen hin.
Darauf stellten sie immer die geputzten Schuhe.
Lisa saß zwischen all ihren Schuhen und schaute sich um. Gummistiefel? Flip Flops? Sandalen? Sie schüttelte den Kopf und entschied sich für die schönen roten Lackschuhe und legte sie auf die Fensterbank. Das gefiel ihr. Die roten Lackschuhe passten so gut zu dem roten Deckchen mit den goldenen Sternen. Zufrieden ging sie in ihr Zimmer um sich für die Nacht fertig zu machen, als ihr plötzlich wieder einfiel, dass sie ja noch Kekse brauchte.
Vorsichtshalber ging sie zum Kühlschrank und schaute nach, ob noch etwas Milch vorhanden war. Ihr Blick wanderte zur Kühlschranktür und erleichtert zog sie die Packung heraus, stellte jedoch fest, dass die Milchtüte fast leer war.
"Mama! Haben wir noch Milch? Und wo sind die Kekse?" Rief sie quer durch die Wohnung.
"Nein Schatz. Das ist der Rest an Milch. Morgen gehe ich erst wieder einkaufen! Trink Apfelsaft, wenn du Durst hast. Hast du denn noch Hunger?" Ihre Mutter klang überrascht, da das Essen noch nicht lange her war.
Mit hängenden Schultern ging Lisa in das Wohnzimmer. "Nein. Bin nicht mehr hungrig." Traurig suchte sie ihr Zimmer auf. Wie sollte sie denn nun den Nikolaus einladen? Es war kaum noch genug Milch für sie alleine da. Und es gab auch keine Kekse. Ob der Nikolaus sich auch mit einem Glas Apfelsaft zufrieden geben würde?
Als Lisa das Wohnzimmer betrat, sah sie, wie ihre Mutter gerade die Gardine zuziehen wollte.
"Nein Mama! Warte noch! Da fehlt noch was!", schrie Lisa fast verzweifelt und lief aufgeregt in ihr Zimmer. So viele Schuhe und Stiefel hatte sie geputzt und sie glänzten alle fast wie neu. Die Mühe musste doch auch belohnt werden. Sie holte die gelben Gummistiefel sowie die braunen langen Winterstiefel und stellte die zwei Paar Stiefel auf die Fensterbank zu den roten Lackschuhen.
Zwar passten alle nicht mehr auf das Deckchen, doch immerhin war die Fensterbank lang genug und reichte für ihre Schuhsammlung aus. Zufrieden sah sie sich das Werk und klatschte grinsend in die Hände.
"Jetzt kannst du die Gardine zuziehen", forderte sie ihre Mutter auf.
Die Mutter schaute kopfschüttelnd auf die Fensterbank, strich Lisa über das Haar und lachte. "Sind das nicht zu viele Schuhe?“
Lisa schüttelte den Kopf. „Dann kann der Nikolaus mir mehr Süßigkeiten bringen und muss nicht mehr so schwer tragen“, grinste sie ihre Mutter frech an.
„Da bin ich ja mal gespannt", sprach sie und zog die schwere Gardine zu.
In dieser Nacht wollte Lisa nicht einschlafen. Sie war einfach zu doll aufgeregt, denn sie wollte ja dem Nikolaus begegnen. Hatte sie ihre Schuhe gut genug geputzt? Zweifel kamen in ihr auf. Sie stand auf und schlich ins Wohnzimmer. Ihre Finger zitterten, als sie hinter die Gardine lugte und ein Seufzer entschlüpfte ihr. Der Nikolaus war noch nicht gekommen. Alle Schuhe waren leer. Sie nahm die Stiefel und betrachtete sie noch einmal. Glücklich stellte sie fest, dass die Winterstiefel sauber waren, obwohl sie keine braune Schuhcreme mehr hatte. Sie wartete noch einen Moment und schaute aus dem Fenster. Der Himmel war klar und der dicke, runde Mond leuchtete hell.
Langsam wurden ihre Füße kalt und sie entschied sich, zurück ins Bett zu gehen, damit ihr unter der Decke wieder warm wurde.
Unruhige wälzte sie sich hin und her, als plötzlich ihre Augen schwer wurden und sie einschlief.
Am nächsten Morgen kam die Mutter ins Zimmer.
„Aufstehen. Du musst in den Kindergarten. Und der Nikolaus war auch da. Möchtest Du nicht mal nachschauen, was er Dir gebracht hat?"
Lisa war plötzlich hellwach.
„Was? Der Nikolaus war schon da?“
Ihr kleines Herz schlug wild. Sie hatte den Nikolaus verpasst! Dabei wollte sie doch so gern mit ihm ein kleines Schwätzchen halten, damit sie ihren Freundinnen davon erzählen konnte. Verärgert über sich selbst, schmiss sie die Bettdecke zur Seite und rannte im Nachthemd ins Wohnzimmer. Einige Schritte vor dem Fenster kam sie zum Stehen.
Die Mutter folgte ihr zum Fenster, öffnete die schwere Gardine und Lisa schaute auf die roten Lackschuhe und die zwei Paar Stiefel, als sie plötzlich ein ungutes Gefühl beschlich. Vielleicht war der Nikolaus ja sogar noch in der Nähe und wusste, dass sie ihn gern sprechen und mit ihm ein Glas Milch trinken und Kekse essen wollte? Sie schluckte und schaute sich um, doch außer ihrer Mutter war niemand zu sehen. Etwas Glitzerndes erregte ihre Aufmerksamkeit. Es lugte aus den Winterstiefeln heraus. Voller Freude sah sie, dass in jedem Schuh etwas steckte.
Langsam näherte sie sich dem Fenster und blickte hinaus in den Himmel. Außer einigen Wolken konnte sie nichts entdecken. Sie reckte ihren Kopf und drückte die Nase an der Fensterscheibe platt, doch nirgends war der Nikolaus oder sein Schlitten zu entdecken.
Schulterzuckend nahm sie die Stiefel und die roten Lackschuhe von der Fensterbank, stellte alles auf den Fußboden, setzte sich in die Mitte und schaute hinein. Zuerst die Gummistiefel. Sie zog eine Tüte Süßigkeiten aus dem einen Stiefel und hielt sie hoch in der Luft. Die durchsichtige Tüte mit der Schokolade glitzerte im Licht des Wohnzimmers. Zufrieden lächelte sie ihre Mutter an. Dann griff sie ein weiteres Mal in denselben Stiefel und zog … ein zusammen geknülltes Stück Zeitung heraus!
Lisa hoffte, irgendetwas darin zu finden. Vielleicht hatte der Nikolaus ja kein Geschenkpapier mehr? Doch sie fand nichts. Ihre kleine Hand griff tiefer in den Stiefel und zog ein weiteres Stück zusammengeknüllter Zeitung heraus.
Der Nikolaus hatte alle ihre Stiefel mit Zeitungspapier gefüllt und nur ein paar Süßigkeiten oben drauf gelegt. Verblüfft sah sie ihre Mutter an.
"Wie gut, dass ich den Nikolaus nicht zu einem Glas Milch eingeladen habe. So geizig wie der ist."
Beleidigt stand sie auf, drückte der Mutter das zerknüllte Zeitungspapier in die Hand und verschwand mit den Süßigkeiten in ihrem Zimmer.
Die Mutter folgte ihr.
"Vielleicht waren das ein Paar Stiefel zu viel?" Und ihre Hand streichelte über Lisas Kopf, die gerade dabei war einen Nikolaus aus Schokolade auszupacken, um ihn zu verputzen.
Ein Zwerg kommt und macht die Haustür auf zur „Rentier-WG“ und Rudolph und seine beiden Freunde, Comet und Donner betreten ihre Gemeinschaftsstube. Das kann man ja eigentlich nicht so sagen, Comet humpelt, Donner hat sich den Hals verrenkt und kann gar nicht mehr geradeausschauen und Rudolph lässt sich gleich neben der Haustür fallen.
„Mann oh Mann, hab ich einen Durst“, jammert er. „Stell dich nicht so an, wir haben auch Durst und Hunger“, schimpft Comet. „Habt ihr Kekse mitgebracht?“, kommt es von Dancer, der ganz hinten in der Ecke unlustig an einer Handvoll Heu knabbert. „Ja, ein Apfel wäre gut“, wirft Blitzen ein. Dasher dagegen steht auf Nüsse, „Vielleicht Nüsse? Habt ihr Nüsse bekommen?“ „Seht ihr Nüsse, Kekse oder Äpfel? Wenn wir welche hätten, dann hätten wir jetzt keinen Hunger mehr!“.
Rudolph steht wieder auf und sucht nach frischem Heu. „Besser wie nix“, denkt er. Endlich kommen die Zwerge mit einem großen Kübel Wasser. „Na endlich ihr lahmen Wichtel, wollt ihr, dass wir verdursten? Wir haben vier Tage schwer gearbeitet und wären dabei fast ums Leben gekommen.“ Rudolph übertreibt wieder ganz fürchterlich, dabei ist es ihm ja noch ganz gut gegangen. Donner und Comet sind da schon schlechter dran. Vixen war so sauer, er sprach kein Wort mit den Ankömmlingen. Warum hatte man ihn nicht gebraucht? Und überhaupt, warum musste der Weihnachtsmann den Schlitten überhaupt ausgerechnet an den Nikolaus ausleihen? Der war noch nie mit einem Rentierschlitten gefahren. War doch klar, dass da alles schief gehen musste! Dazu noch ohne Vixen, der beim Start und bei der Landung immer für gutes Gelingen sorgte, sein Orientierungssinn ist einmalig.
Ja, mit dem dummen Esel fing alles an. Er wollte auf gar keinem Fall den Schlitten ziehen, wie jedes Jahr, nein, er verweigerte die Arbeit. Seine Arbeitsbedingungen gefielen ihm nicht mehr, Nachtarbeit, unwegsame Wälder, nein, das sei unter „Eselsniveau“, ließ er den Nikolaus wissen. Daraufhin beschwerte sich dieser beim Christkind. Nach langem Überlegen kam das Christkind zu folgendem Urteil: „Der Weihnachtsmann soll dem Nikolaus seinen Schlitten und die Rentiere ausleihen.“ „Auf gar keinem Fall“, tobte der Weihnachtsmann, „Ich bin der Herr der Rentiere, ohne mich werden sie nicht gehorchen.“
Aber das Christkind hatte einen Befehl ausgesprochen und niemand konnte daran rütteln. Dem Nikolaus wurde ganz mulmig bei dem Gedanken mit neun Rentieren, einem fremden Schlitten und der angeborenen Flugangst, auf seine alljährliche Nikolaustour zu gehen. Die Zwerge, Wichtelmänner und Wichtelfrauen, beluden den Schlitten genau nach der Liste vom Nikolaus. Dieser holte sich noch eine warme Mütze extra, um seine Ohren zu schützen.
Dann sollte es Ernst werden, die Zeit drängte und das Christkind trieb zur Eile an. Die Wichtelfrauen waren noch dabei den Schlitten mit Tannenzweigen auszuschmücken und der Nikolaus schritt über den Hof zur Rentier-WG. Dasher, Dancer, Prancer und Vixen weigerten sich vor den Schlitten gespannt zu werden. Auch Cupid und Blitzen zeigten ihm ihr Hinterteil. Nein, auf so eine abenteuerliche Reise, würden sie sich nicht begeben. Der gutmütige Rudolph gehorchte sofort und Comet und Donner schlossen sich ihm an. Der Nikolaus ist aber ein kluger Mann und sagte: „Wer nicht freiwillig mitkommt, kann mir am Ende nichts nutzen.“ Im Grunde genommen war er froh, nur drei Tiere vor dem Schlitten zu haben: „Lieber drei gute Freunde, als neun Gegenspieler!“
Die Rentiere waren also bereit, es fehlte nur Knecht Ruprecht. Ja, wo war er denn, der treue Knecht des Nikolaus? Das Christkind wusste genau, wo er sich wieder mal aufhielt. „Der ist in der Backstube und nascht und steckt sich alle Taschen mit Plätzchen voll.“ „Ja, ein paar leckere Kekse für unterwegs sind nicht von der Hand zu weisen“, dachte der Nikolaus und eilte in die Backstube. „Komm, Ruprecht, mein treuer Geselle, wir müssen los!“, mahnte er und steckte sich schnell die Taschen voll mit dem süßen Zuckerwerk.
Gleich danach spannten die beiden die Rentiere ein, vorn Rudolph und dahinter Comet und Donner. Dann stiegen sie auf den Schlitten, das Christkind winkte und der Weihnachtsmann grinste hämisch. Rudolph setzte an zum Anlauf und schon schwebten sie zwischen Himmel und Erde. Fortsetzung folgt am 10.12. ...
Als der Nikolaus in das gemütlich und komfortabel eingerichtete Wohnzimmer des Weihnachtsmanns eintrat, sah er, dass an der wunderschön gedeckten Tafel der Weihnachtsmann und das Christkind saßen. Der Weihnachtsmann sowie das Christkind blickten auf, ihre lebhafte Unterhaltung verstummte und beide begannen gleichzeitig an zu lachen, als sie den Nikolaus erblickten.
„Ihr braucht gar nicht so zu lachen“, rief ihnen der Nikolaus leicht entrüstet zu, „So schlimm war es nicht und zum Glück ist niemanden etwas passiert.“
„Wir haben ja nur die spektakulären Bruchteile von den fantasievollen Elfen gehört und allein schon die Vorstellung, dass nur noch eure Beine aus dem Schnee heraus schauten, ist so witzig!“, erwiderte das Christkind lachend.
„Komm, setz dich zu uns und fang an zu erzählen“, forderte ihn der Weihnachtsmann ermunternd auf.
„Wartet, ich muss erst mal deinen wirklich sehr warmen Mantel und die Mütze ausziehen. Wo soll ich ihn denn hinlegen?“ fragte der Nikolaus schwitzend, denn das Wohnzimmer war durch das prasselnde Kaminfeuer gut geheizt.
„Ach, leg ihn einfach dort über den Stuhl“, während der Weihnachtsmann ihm antwortete, läutete er mit einem kleinen goldenen Glöckchen. Innerhalb von Sekunden betrat der Elfe Friedolin den Raum und als er den Nikolaus erblickte begann er schelmisch zu grinsen.
„Lieber Friedolin, der Mantel müsste leider noch mal gereinigt werden, sonst hat er in der Heiligen Nacht nicht seine richtige Zauberkraft und ich bleibe sonst unter Umständen noch in irgendeinem Schornstein stecken“, sagte der Weihnachtsmann lachend zum Elfen Friedolin, dabei klopfte er sich auf seinen gewaltigen, dicken Bauch.
„Keine Sorge, bis zur Heiligen Nacht ist er wieder wie neu“, meinte Fridolin zuversichtlich. Im gleichen Atemzug fragte er den Nikolaus freundlich: „Lieber Nikolaus, darf ich dir eine heiße Tasse Kakao mit einem großen Schlag Sahne bringen?“ „Sehr gern“, erwiderte der Nikolaus lächelnd.
Während der Nikolaus langsam durch den Raum zur gedeckten Tafel ging, versuchte er seine Kleidung etwas zu richten, anschließend setzte er sich neben das Christkind auf einen mit roten dicken Kissen gepolsterten Stuhl. Als er die Fülle auf dem Tisch erblickte, rief er entzückt:
„Meine Güte, ihr lasst es euch aber wirklich gut gehen. Traumhafte Kuchen und wunderschöne verzierte Plätzchen und das in Hülle und Fülle. Das sieht aber alles sehr lecker aus.“
„Greif zu und erzähle“, forderte ihn der Weihnachtsmann schmunzelnd auf.
„Zuerst nochmals meinen herzlichen Dank an euch beide. Dir liebes Christkind, dass du den Weihnachtsmann gefragt hast, damit ich seinen tollen und bequemen Schlitten sowie die Rentiere nutzen durfte. Sicher hätte ich es heute Abend sonst nicht geschafft, zu all den vielen lieben Kindern zu kommen. Dir lieber Weihnachtsmann für deine Hilfe, “ versuchte der Nikolaus sich zu bedanken. „Halte jetzt bitte keine Lob- und Dankesreden, wir haben dir gerne geholfen, aber nun erzähle uns doch endlich, was genau geschah“, unterbrach ihn der Weihnachtsmann, der vor lauter Neugier bereits rote Ohren hatte.
„Nachdem die Elfen mir den Schlitten mit den Rentieren brachten, zog ich, wie du mir ausrichten ließest, als erstes deinen roten Mantel und deine Bommelmütze über. Hans Muff, mein Begleiter und Helfer setzte sich neben mich in den Schlitten, nachdem wir den riesigen Sack mit den kleinen Präsenten verstaut hatten. Mein goldenes Buch mit allen Eintragungen von den Kindern lag vor mir auf den Knien. Zuerst ging ja noch alles gut. Wir wollten ja nur noch in dieses kleine Dorf. Da klingelte plötzlich das Handy von Muffy.“
„Ist Muffy der Spitzname von Hans Muff“, fragte der Elfe Friedolin, der gerade die heiße Tasse Kakao auf den Tisch vor dem Nikolaus abstellte. „Danke für den Kakao. Ja, er ist zwar ein kauziger grober Kerl, ist aber mit einem guten Herzen ausgestattet, nur kann er keine Unartigkeiten leiden und ihr wisst ja, dass er dann schnell wild wird.“ „Seit wann hat er denn ein Handy, ich dachte so etwas benutzen nur die Menschen?“, fragte das Christkind verwundert.
„Wohl schon seit einiger Zeit und am laufendem Band klingelte oder piepste es, bis es sich dann ausgepiepst hatte“, sagte der Nikolaus irgendwie erleichtert, dabei nahm er seine heiße Tasse Kakao vorsichtig in die Hand, um einen Schluck zu trinken.
„Wie und weshalb hat es sich denn ausgepiepst?“, wollte jetzt der Weihnachtsmann wissen.
„Ihr werdet es gleich erfahren“, sagte der Nikolaus schmatzend, denn er hatte sich schnell einen kleinen Keks in den Mund gesteckt.
„Also, wir waren gerade im Anflug zu diesem Dorf, da wurde plötzlich das Rentier Rudolph sehr nervös, denn unter uns, besser gesagt, genau in unserem Landeanflug standen die Windräder mit ihren rot blinkenden Lampen. Der Schlitten schlickerte mehr als gefährlich hin und her. Muffy gurrte mir irgendetwas zu. Ich verstand erst nicht, was er sagte, bis ich es mit meiner Nase erschnupperte“, begann der Nikolaus zu erzählen.
„Was hast du denn erschnuppert“, fragte der Elfe Friedolin, der immer noch am Tisch stand und zuhörte. „Was wohl? Eines der Rentiere ließ uns den Duft der großen weiten Welt um die Nase wehen. Hätte ich bloß früher das Gestammel von Muffy verstanden. So versuchte ich bei der elenden Schaukelei, mein goldenes Buch, die Zügel und auch noch zur gleichen Zeit die Nase zuzuhalten“, entgegnete ihm der Nikolaus immer noch kopfschüttelnd und angewidert, denn ihm stieg schon wieder dieser Geruch in die Nase.
„Das ist doch innerhalb von Sekunden wieder weg. Aber Comet und Donner haben schon längere Zeit mit Blähungen zu kämpfen“, versuchte der Elfe Friedolin die Rentiere zu verteidigen und den Weihnachtsmann gleichzeitig vorzuwarnen.
„Na ja, was dann folgte“, fuhr der Nikolaus fort, machte aber eine kleine Pause, dass Friedolin fragte.
„Was folgte denn?“
„Nicht nur die blinkenden Lichter der Windräder machten den Rentieren, insbesondere Rudolph mit seiner roten Nase, zu schaffen. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel strahlte ein wahnsinnig riesiger weißer Laserstrahl in den Nachthimmel. Mit voller Wucht traf dieser Strahl die Rentiere. Sie wurden alle dermaßen geblendet, dass die Leittiere die Orientierung verloren und wir steil nach unten schossen. Kurz bevor wir den Erdboden erreichten, konnten die Rentiere sich abfangen. Doch ausgerechnet in den einzigen Baum, der gerade dort im Weg stand, krachten wir hinein. Bei dem Aufprall riss die Deichsel ab, der Schlitten blieb in den Ästen hängen. Muffy und ich wurden so heraus geschleudert, dass wir einen Hechtsprung in den Schnee machen mussten. Und das hatten sicher die Überwachungselfen gesehen“, der Nikolaus machte eine Pause und steckte sich einen weiteren Keks mit Nüssen in den Mund.
Ich habe mir gerade euren spektakulären Hechtsprung vorgestellt!“, meinte der Weihnachtsmann lachend und auch das Christkind musste ebenso lachen.
„Ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“, entgegnete der Nikolaus etwas zynisch.
„Nimm es uns bitte nicht krumm, aber stell‘ es dir selbst einmal bildlich vor“, bat ihn das Christkind freundlich. Das musste selbst der Nikolaus laut lachen und verschluckte sich prompt dabei. Der Weihnachtsmann sprang auf und klopfte dem Nikolaus auf den Rücken.
Als sich der Nikolaus erholt hatte, erzählte er weiter.
„Zum Glück waren wir in einer unheimlich großen Schneewehe gelandet! Nachdem ich mich frei gebuddelt hatte, schaute ich mich um und sah, dass Muffy immer noch kopfüber im Schnee steckte. Sofort half ich ihm, sich zu befreien. Anschließend mussten wir feststellen, dass alle Rentiere verschwunden waren. Wir riefen jeden einzelnen mit Namen. Muffy versuchte es mit seinem Handy, aber es funktionierte nicht mehr. Da wurde er ein wenig wild und ich musste ihn erst mal beruhigen. Das war ein richtiger Kraftakt. Er heulte eine Zeitlang herum und brabbelte die ganze Zeit, dass er sich jetzt nicht mehr mit den Tieren unterhalten konnte. Nachdem er sich aber etwas beruhigt hatte, schaute er mich mit seinen großen durchdringenden und kohlschwarzen Augen an und fragte: „Was jetzt?“ Der Nikolaus holte erst mal Luft und griff nach seiner Tasse Kakao.
„Ein Handy, mit dem man mit allen Tieren sprechen kann, finde ich klasse. Aber von wem hat er sowas?“, fragte das Christkind. Der Nikolaus und der Weihnachtsmann schauten sich fragend an.
„Von uns Elfen hat er es bekommen, weil wir uns damit untereinander besser verständigen können“, erklärte ihnen der Elfe Friedolin, noch immer stehend. Da forderte ihn das Christkind freundlich auf, Platz zu nehmen, was er dann auch sofort machte, denn er war ja auch neugierig, wie es nun weiter ging. Nachdem sich der Elfe gesetzt hatte, erzählte der Nikolaus weiter.
„Was jetzt? – Ja was sollen wir jetzt machen, lass mich mal kurz überlegen“, sagte ich zu Muffy. Ich überlegte und meinte dann: „Wir können nur auf Schusters Rappen unsere Aufgabe heute Abend erledigen.“ Muffy war immer noch etwas angesäuert, weil sein Handy einfach nicht funktionieren wollte, dennoch machten wir uns schließlich auf den verschneiten Weg zum Dorf. Die Kinder warteten sicher schon ungeduldig. Wir kamen in ein kleines Wäldchen und ratet mal, wen wir dort am späten Abend trafen.“
„Keine Ahnung, lass uns doch nicht so zappeln“, meinte der Weihnachtsmann.
„Wir trafen einen Waldarbeiter, der gerade bei der Fütterung der Tiere des Waldes war. Stellt euch vor, ohne zu zögern, legte Muffy den großen schweren Sack ab, griff nach der Harke und verteilte das Heu in Windeseile. Der Waldarbeiter hatte glänzende Augen und wusste gar nicht wie er sich bedanken sollte. Überglücklich, dass alle Arbeit bereits erledigt war, wollte er uns ins Dorf mitnehmen. Da nicht genug Platz im Führerhaus des Traktors für uns alle war, setzten Muffy und ich uns auf die mit Heu ausgelegte Ladefläche des Anhängers. Während der Fahrt hielten wir die ganze Zeit Ausschau nach den Rentieren, aber leider konnten wir sie nicht entdecken.“
„Da konnte Muffy aber seinen geliebten Tieren helfen und sicher war er anschließend besser gelaunt, oder?“, fragte der Elfe Friedolin.
„Ja, du hast recht, seine Stimmung hat sich um Einiges gebessert, zwar brabbelte er immer noch, aber fröhlicher“, beantwortete er die Frage des Elfen Friedolin, dabei nahm er seine Bischofsmütze ab und legte sie beiseite.
„Könnte ich vielleicht noch eine Tasse von dem köstlichen Kakao bekommen?“, fragte der Nikolaus den Elfen. Friedolin schnipste mit den Fingern, fast gleichzeitig öffnete sich die Tür und herein trat die kleine Elfin Frieda mit einer großen dampfenden Tasse Kakao. Sie stellte den Kakao vorsichtig auf den Tisch und verschwand so schnell, dass der Nikolaus Mühe hatte, ihr zu danken. Nachdem der Nikolaus einen Schluck vom köstlichen Kakao, der wieder mit einem dicken Schlag Sahne als Häubchen versehen war, gekostet hatte, erzählte er weiter.
„Als wir den ersten Hof erreichten, in dem die Lausebengel Tim und Tom wohnen, erlebte ich eine seltsame Überraschung“, fing der Nikolaus an, doch er wurde vom neugierigen Weihnachtsmann unterbrochen. „Was für eine seltsame Überraschung?“
Der Nikolaus überging die Frage und erzählte weiter.
„Gerade wegen diesen beiden Lausebengeln, die es wirklich faustdick hinter den Ohren haben, ist Muffy mit mir unterwegs gewesen. Also, die Lausebengel standen mit zitternden Knien und hochroten Köpfen vor uns, ich schlug mein goldenes Buch auf und was musste ich feststellen?“
„ Sag schon“, forderte der Weihnachtsmann ihn ungeduldig auf.
„Ja doch, also ich schlug mein goldenes Buch auf, in dem alle guten Taten sowie alle Verfehlungen der Kinder notiere, da konnte ich nur noch die guten Taten sehen. Alles andere war seltsamer Weise verschwunden. Ich war total verdutzt und musste meine Verwunderung überspielen. Den beiden Lausebengeln ist wohl ein Stein vom Herzen gefallen, als ich nur von ihren guten Taten sprach, obwohl Muffy dabei ab und zu gefährlich knurrte. So besuchten wir noch einige Kinder, überall das Gleiche, keine Eintragungen ihrer Missetaten.“
„Da waren sicher die Kinder alle überglücklich“, meinte das Christkind dazwischen, dass ja immer mit allen unartigen Kindern Mitleid hatte.
„Ja, ich glaube auch. Als wir dann in die letzte gute Stube kamen, da trafen wir auch den Waldarbeiter wieder und sein kleines Töchterlein trug uns gerade ein wunderbares Gedicht vor, als sein Sohn rufend herein gestürmt kam,
„Papa, Papa, seit wann haben wir denn Rentiere in unserer Scheune?“. Er stockte und blieb wie angewurzelt stehen als er uns erblickte. Da sagte ich zu ihm „Guten Abend Mick, schön, dass du unsere Rentiere gefunden hast, warte aber bitte einen Augenblick, wir wollen doch noch das schöne Gedicht deiner Schwester zu Ende hören.“ Ich bedankte mich noch bei dem kleinen Mädchen und überreichte ihr eine kleine Überraschung. Im Anschluss gingen wir gemeinsam mit Mick hinaus zur Scheune. Als er das Scheunentor vorsichtig öffnete, erblickten wir zuerst die rote Nase von Rentier Rudolph, der uns fröhlich angrinste. Plötzlich gurrte und knurrte Muffy. Er erzählte mir mit kurzen Worten, dass hinter der Scheune bereits die Elfen warteten, sie hätten den Schlitten und eine neue Deichsel dabei.
Für Mick, den wirklich braven Jungen war es ein besonderes Erlebnis, als er die vielen Elfen beim Einspannen der Rentiere beobachten durfte. Auch Mick erhielt ein kleines Geschenk als wir in den Schlitten stiegen und uns auf den Rückflug machten“, endete der Nikolaus.
„Da hattet ihr ja wirklich einen abenteuerlichen Abend und zum Glück ist niemand zu Schaden gekommen“, meinte das Christkind abschließend.
Es begab sich vor langer, langer Zeit, als die Winter noch kalt waren. Die Menschen waren arm und hatten wenig Freude.
Da beschloss das Christkind eines Tages, die Menschen zu besuchen, um ihre Wünsche zu erfahren.
Sie ging von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt und von Haus zu Haus.
Sie befragte viele Menschen nach ihren Wünschen.
Arme Menschen wollten mehr Geld, Reiche wollten ihren Reichtum nicht verlieren, Kranke wollten gesund sein, Gesunde wollten ihre Gesundheit behalten.
All das waren berechtigte Wünsche, doch irgendetwas fehlte dem Christkind. Es wusste nur nicht was. Und so beschloss sie noch einen letzten Bauernhof zu besuchen, bevor sie in den Himmel zurück kehrte um über all die Wünsche nach zu denken.
Sie klopfte an die Tür und sang ihr Lied: „Lasst mich ein ihr Kinder, ist so kalt der Winter. Öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren.“
Die Bäuerin öffnete die Tür und das Christkind trat ein. Der Bauer saß am Tisch und schnitzte. „Was machst du da?“, fragte sie ihn. „Ich schnitze Krippenfiguren“, antwortete er „Ich verkaufe sie. Es hilft uns etwas über den Winter. Meine Frau strickt Socken, die sie auch verkauft.“
Da fiel der Blick des Christkindes auf den kleinen Sohn der Familie, der mit einem Holzklotz spielte. Sie wollte wissen, was er da spielt. Der Junge sah sie an und erklärte: „Ich tu so, als ob der Holzklotz ein Wagen mit Pferden davor wäre und spiele damit. Das Christkind lächelte. „Dann wünscht du dir bestimmt einen richtigen kleinen Spielzeugwagen mit geschnitzten Pferden davor?“
Wieder sah sie der Junge an. „Nein“, sagte er. „Ich wünschte, dass es mehr Freude unter den Menschen gibt.“
Endlich wusste das Christkind, was ihm an den Wünschen der Menschen gefehlt hatte. Jeder wünschte sich etwas für sich und niemand dachte an andere. Bis auf diesen kleinen Jungen.
„Weißt du was?“, sagte das Christkind. „Ich habe genau denselben Wunsch wie du.“
Ihr Blick fiel wieder auf den Bauern, der immer noch seine Figuren schnitzte.
„Und ich weiß auch schon, wie wir unseren Wunsch erfüllen können“, ergänzte sie.
Sie kehrte noch einmal zurück zu all den Menschen, die Figuren schnitzten, Zinnfiguren gossen, kleine Männchen aus Zwetschgen und Nüssen bastelten, strickten, Plätzchen buken oder was auch immer sie taten, um etwas dazu zu verdienen. Und sie lud sie alle ein, am Freitag vor dem ersten Advent mit ihren Waren auf den Hauptmarkt der Stadt zu kommen.
Die Leute waren neugierig, was das Christkind vorhatte und als sie schließlich zum Hauptmarkt kamen, staunten sie nicht schlecht.
Über Nacht hatte das Christkind mit ihren Weihnachtswichteln eine kleine Stadt aus Holz gezimmert mit Dächern aus rot und weiß gestreiftem Tuch.
Freudig machten sich die Menschen daran, in den Buden ihre Waren aus zu breiten. Immer mehr Menschen kamen auf den ersten Christkindlesmarkt und hatten ihre Freude an den vielen schönen Sachen, die es dort zu kaufen gab.
Auch das Christkind freute sich darüber so sehr, dass es empor schwebte zum Balkon der Kirche und von dort aus eine Willkommensrede hielt.
Und bis zum heutigen Tag eröffnet das Christkind jedes Mal am Freitag vor dem ersten Advent den Nürnberger Christkindlesmarkt.
Und wer da kommt, ob groß, ob klein, der soll willkommen sein.
Die Vorweihnachtszeit ist die schönste Zeit im Jahr! Dies gilt nicht nur für kleine Kinder, sondern auch für große, welche im Herzen Kinder geblieben sind.
Wenn in den Städten der Weihnachtsrummel beginnt, sich die Menschen in den Gassen drängen und jeder in aller Eile seine Einkäufe tätigen will, dann ziehe ich mich mit meinen drei Vierbeinern in die Stille der Berge zurück. Da habe ich Zeit, da darf ich mit Chandy, Tiamo und Flo Spaziergänge unternehmen, anschließend die Wärme der heimeligen Stube genießen und die langen Abende mit Lesen verbringen.
In der vergangenen Nacht hat es ganz leicht geschneit und es liegt erstmals in diesem Winter eine dünne Schneeschicht über den Bergen und im Tal.
Heute haben wir nach dem Frühstück bereits einen langen Marsch unternommen. Wieder an der Wärme, habe ich meine tierischen Freunde mit großen Frottiertüchern trocken gerubbelt und jetzt liegen alle drei eingerollt auf ihren Lieblingsplätzen und dösen vor sich hin.
Ich habe keine Zeit für ein Nickerchen, will ich doch heute die ersten „Guetzli“ backen. Schon bald ziehen würzige Düfte durch unsere Wohnung. Es riecht herrlich nach Nüssen, Zimt, Koriander, Nelkenpulver und Lebkuchengewürz. Eifrig werkle ich in der kleinen Küche, rühre und knete, forme Plätzchen und lege sie in ordentlichen Reihen auf verschiedene Backbleche. Die Arbeit geht mir flink von der Hand. Das Backen dauert bei jedem Blech nur wenige Minuten sonst sind die Süßigkeiten zu hart. Anschließend verziere ich sie mit flüssiger Schokolade oder Zuckerguss.
Dezembertage sind kurz und so dämmert es draußen schon bald. Mein Tageswerk aus der privaten Konditorei trage ich zum vollständigen Auskühlen auf die Terrasse. Bei Tageslicht wäre dies äußerst ungeschickt, würden die Bergdohlen mit ihren Sperberaugen die Plätzchen doch in Kürze entdecken, mit lautstarkem Gekreische sämtliche Kollegen herbeirufen und sich gemeinsam daran gütlich tun.
Nun geht’s an Aufräumen der Küche, das gehört eben auch dazu. Bald sind die Teigschüsseln gespült, Pfannen und Kellen ebenso und in der Geschirrspüle versorgt. Den Rest erledigt die Maschine. Alle Krümel sind weggeputzt und bald herrscht Ordnung in meinem kleinen Küchenreich.
Befriedigt über meine gut geratenen Plätzchen lege ich mich aufs Sofa und genieße die weihnachtliche Musik aus dem Radio. Der Realität ein klein wenig entrückt, stupst mich eine warme, feuchte Schnauze an. Bald sind es drei heftig wedelnde Ruten, die mich von allen Seiten umkreisen und bedrängen. „Ja, ja, ich verstehe euch genau. Ihr wollt in den Schnee, aber jetzt habe ich auch eine Pause verdient“, murmle ich und drehe mich mit einem Ruck gegen die Wand. Die wieder eingekehrte Ruhe ist nicht von langer Dauer, ich erhebe mich, steige in die gefütterten Winterstiefel und greife zu Windjacke und Leinen. Hui, jetzt sind meine drei Wildfänge kaum mehr zu bremsen.
Vor dem Haus umfängt uns die stille Nacht mit eisiger Kälte und ich bin mit einem Schlag wieder hell wach. Das Führen dreier Hunde bin ich geübt. Die beiden Collies teilen sich eine einzige Leine und Flo, von wesentlich kleinerer Statur, habe ich an einem dünneren Modell festgemacht. Wir staunen alle vier, denn die Schneeschicht ist über den Tag um etliche Zentimeter angewachsen. Der trockene Neuschnee knirscht unter meinen Stiefeln und meine vierbeinigen Kollegen tänzeln voll Übermut neben mir her.
Auf dem schmalen Fußgängerweg biegen wir ums Haus und tauchen ein in die Dunkelheit, weg von den Straßenlaternen. Vor uns steigt die uns so vertraute große Matte an, welche hinter dem Haus in einer Senke endet. Doch halt! Mit einem Ruck bleibe ich stehen, die Hunde fest im Griff. Ungefähr dreißig Meter vor uns, erkenne ich die Silhouette eines äsenden Rehes im wabernden Bodennebel der Mulde am Steilhang. Mit einem leisen Zischlaut verhindere ich ein Jaulen oder Bellen meiner Vierbeiner.
Sachte hebt das Reh seinen schlanken Kopf und äugt in unsere Richtung. Scheinbar stehen wir gegen den Wind und so kann uns das scheue Tier nicht wittern. Beruhigt senkt es seinen Kopf, scharrt mit den Vorderläufen den Schnee weg und knabbert an den dürren Grashalmen, welche zum Vorschein kommen. Doch plötzlich hebt es den Kopf, dreht sich blitzschnell und hetzt in großen Sprüngen den Hang hinauf. Ein zweites Tier, das wir zuvor gar nicht bemerkt haben, setzt sich in Bewegung und folgt seinem Artgenossen in hohen Sprüngen hinterher. Bald sind beide in der Dunkelheit der kalten Nacht verschwunden.
Wir verharren noch einen Moment, bevor wir uns ebenfalls Richtung Wald in Bewegung setzen. In weiten Schlaufen folgen wir der verschneiten Teerstraße und ich komme arg ins Keuchen, denn der Weg führt steil bergan. Meine Vierbeiner traben freudig vor mir her, kehren auf mein Rufen sofort um, umrunden mich, um möglichst schnell wieder an vorderster Stelle zu sein. Ich bin froh, mich für keine Jagdhunde entschieden zu haben. Meine Hunde sind treue Hüter und obwohl sie mir jede Stelle anzeigen, wo vor kurzer Zeit die beiden Rehe die Straße überquert haben, folgt keiner von ihnen den deutlichen Wildspuren im Schnee.
Am Waldrand bleibe ich kurz stehen und drehe mich Richtung Dorf. An den Dachrändern der hübschen, kleinen Chalets sind Lichtschläuche angebracht, die großen Hotels sind prächtig beleuchtet und im fahlen Mondschein sehe ich vielerorts Rauch aus dem Kamin aufsteigen.
Ich stecke meine Hände tief in die Jackentaschen, ziehe fröstelnd die Schultern hoch, drehe mich und folge dem Wanderweg in den Wald hinein. Hier oben ist mir jeder Weg vertraut. Der frische Schnee erhellt die klare Nacht und das schwache Mondlicht hilft mir bei der Orientierung. Angst kenne ich nicht, habe ja drei Beschützer bei mir. Eine magische Kraft zieht mich immer weiter den Berg hinauf. Der Weg vor mir erscheint im Mondlicht immer heller, im Gegensatz zur dunklen Nacht in meinem Rücken. Vorsichtshalber rufe ich meine Hunde zurück und mache ihre Halsbänder an den Leinen fest. Sicher ist sicher! So fühle ich mich mächtig stark.
Nach einigen hundert Metern glaube ich eine Waldlichtung, auf der ich am Tag schon dutzendmal gestanden habe, erreicht zu haben. Tatsächlich, vor mir lichten sich die Bäume zu dem vom hellen Mondlicht erstrahlten freien, runden Platz. Ich biege mit meiner vierbeinigen Begleitung vom Waldweg ab und steuere direkt Richtung Lichtung, verharre aber nach wenigen Schritten – denn, was sehe ich zwischen den letzten Fichten? Den Schlitten des „Samichlaus“? Gross und schön parkt er mitten auf dem freien Platz. Die vorne hochgezogenen Kufen schimmern im Mondlicht und auf der Ladefläche türmen sich pralle Säcke voll Heu und Gras.
Die beiden stolzen Hirsche hat der bärtige, alte Mann bereits ausgespannt. Bedächtig trotten sie der Futterstelle auf der Waldlichtung zu. Sack um Sack schleppt Nikolaus zur Futterkrippe. Heute trägt er nicht seinen prächtigen roten Mantel mit dem weißen Saum. Er hat sich einen derben, braunen Umhang über die Schultern geworfen. Ganz feine Schneekristalle haben sich im rauen Stoff verfangen und glitzern im Mondlicht hell und klar. Neugierig lugen glänzende Augenpaare zwischen den Bäumen hervor. Die Mutigsten der Waldbewohner haben ihre Scheu abgelegt und sind aus dem schützenden Dunkel ins Licht hinausgetreten. Einige von ihnen zupfen die ersten Gräser direkt aus der Hand des bärtigen Mannes. Die Vorsichtigeren warten noch einen Augenblick, aber dann siegt der Hunger.
Alle drängen zur „Chrüpfe“. Diese Nacht gehört den Tieren! Die Menschenkinder haben ihre Äpfel, Nüsse und Schokolade bereits vor Tagen erhalten. Heute ist der Nikolaus nur für die Tiere da! Jetzt zieht er Nüsse aus der Manteltasche und rollt sie auf den Waldboden. Geschwind huschen Eichhörnchen herbei, schnappen sich die getrockneten Nüsse, flitzen unter Nikolaus‘ Mantel durch und verschwinden wieder in der schützenden Dunkelheit.
Keiner hat uns entdeckt und so soll es auch bleiben. Ganz vorsichtig stapfe ich Schritt um Schritt zurück und ziehe meine drei Vierbeiner mit mir. Nach wenigen Metern hat uns die Nacht verschluckt, aber wir haben den Zauber dieser Winternacht gesehen. Vier Paar Augen können sich nicht täuschen!
Heute ist „Heilig Abend“ für alle Tiere…
Kurzer Rückblick zum Ende der Vorgeschichte:
„Komm, Ruprecht, mein treuer Geselle, wir müssen los!“, mahnte er und steckte sich schnell die Taschen voll mit dem süßen Zuckerwerk. Gleich danach spannten die beiden die Rentiere ein, vorn Rudolph und dahinter Comet und Donner.
Zu gern hätten sie jetzt ein Stündchen geschlafen, aber Nikolaus erklärte seinen Gefährten, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Und außerdem, wenn sie wieder daheim wären, dann hätten sie Zeit genug zum Schlafen. Also gehorchten die Rentiere und schwangen sich erneut durch die dunkle Nacht. Rudolph fielen fast die Augen zu und Comet und Donner machten immer das was Rudolph machte. Der Nikolaus schnarchte schon wieder und Knecht Ruprecht hatte sich den Pulli bis über die Augen hinauf gezogen.
Rudolph sah nur noch verschwommen und es schneite dicke Flocken. Dann entdeckte er die Häuser und setzte zur Landung an. Oh je, da tauchte direkt vor seinen Augen ein Windrad auf, zwar konnte er rechtzeitig ausweichen, aber der Schlitten kam ins Trudeln und da der Nikolaus schlief, verfehlte er auch noch die geplante Landebahn. Zu seinem Unglück war auch noch ein knochiger Baum im Weg und der Schlitten landete unsanft in den Ästen.
Überall flogen Päckchen durch die Luft. Der Nikolaus war gar nicht mehr im Schlitten und Knecht Ruprecht auch nicht. Rudolph konnte sich aus seinem Geschirr befreien und als er den Nikolaus und seinen treuen Knecht mit dem Kopf im Schnee stecken sah, hatte er nur einen Wunsch: Ganz schnell weg von hier! Er hatte noch nie einen Unfall verursacht, in seiner Panik beging er nun auch noch Fahrerflucht.
Er eilte in den nahen Wald, dort wollte er sich verstecken. Der gute alte Nikolaus wartete nicht bis ihm jemand zur Hilfe kam, er befreite sich selbst aus seiner unbequemen Lage. Auch Ruprecht strampelte mit den Beinen bis er wieder Boden unter den Füßen hatte. Zum Glück hatte es kräftig geschneit, so war wohl niemand zu Schaden gekommen. Aber im Baum jammerten noch zwei Rentiere. Es half ihm nichts, der Knecht musste auf den Baum steigen und die beiden Gesellen befreien. Dabei fielen sie in den Schnee.
"Nein", sagte Comet, "ich kann nicht mehr weiter, mein Fuß ist kaputt." Tatsächlich, er war auch schon geschwollen. Donner klagte: „Mein Kopf ist ganz schief, ich kann nicht mehr geradeaus gucken!“ Knecht Ruprecht sammelte die Päckchen ein und steckte sie in seinen großen Sack. Jetzt musste der Nikolaus zuerst die letzten Kinder beschenken, bevor es Tag wurde. Donner und Comet sollten hier warten. Wieder jammerte Donner: „ Wo ist das Christkind? Wenn wir es brauchen ist es nicht da!“ Und wo ist Rudolph?“, fragte Comet. „Ja richtig“, jetzt merkte es auch der Nikolaus, dass Rudolph gar nicht da war. „Zuerst die Kinder, dann haben wir Zeit und werden Rudolph suchen.“ Die beiden Rentiere legten sich unter den Baum, sie wollten zum Christkind beten, das sollte sie holen. Dazu kamen sie aber nicht mehr, denn sie waren viel zu müde und schliefen gleich ein.
Währenddessen trabte Rudolph durch den tiefen Schnee, er hatte den Kopf gesenkt, weil er sich schämte. Er würde beim Forsthaus auf den Nikolaus warten und ihn um Verzeihung bitten. Vielleicht ist er dann nicht mehr böse, dachte das Rentier. Am Forsthaus stand eine Tür offen, die in einen kleinen Stall führte mit frischem Heu und Wasser, wie für ihn gemacht. Natürlich, diese Einladung kann man ja nicht ausschlagen, dachte Rudolph und ging hinein. Gerade in dem Augenblick kam der Junge aus dem Forsthaus, um noch einmal nach dem Nikolaus Ausschau zu halten. Da erblickte er Rudolph. An seiner leuchtend roten Nase erkannte er ihn sofort. „Ich werde die Tür einen Spalt offen lassen, für den Fall, dass er dem Nikolaus vorausgeeilt war. Dann kann er jederzeit wieder gehen.“, dachte der Junge und lief ins Haus zurück, weil er den Nikolaus schon kommen sah.
Nikolaus und sein treuer Knecht fanden auch sofort die beiden einsamen Häuser und klopften an. Der Bauer bat die beiden Nachtwandler in sein Haus und als die Kinder beschenkt waren, bot er ihnen an, sie mit dem Auto zum Schlitten zu bringen. Er versprach ihnen zu helfen den Schlitten aus dem Baum zu holen.
„Leider geht das nicht“, bedauerte der Nikolaus, „wir müssen noch ins Forsthaus, da wartet auch noch ein braves Kind auf uns.“ Der Bauer ließ sich nicht beirren, er würde den Nikolaus und seinen Gesellen nicht allein laufen lassen, nein, er wollte unbedingt den Schlitten vom Baum herunterholen.
Er richtete den Traktor und einen kleinen Anhänger und fuhr zum Forsthaus. Dort waren der Nikolaus und Knecht Ruprecht dabei, den Jungen zu beschenken. „Danke“ jubelte der Junge, „das Geschenk ist wunderschön, aber ich habe auch eines für Euch.“ Voller Spannung folgten sie dem Jungen in den Stall. Der Nikolaus strahlte über sein ganzes Gesicht, als er Rudolph erblickte und der machte ein paar Luftsprünge vor lauter Freude, weil ihm keiner einen Vorwurf machte.
Der Bauer hielt was er versprochen hatte, brachte alle zu dem Baum, in dem oben der Schlitten hing und unter dem zwei Rentiere schliefen. Ganz zum Schluss bekam Comet noch einen Verband an den Fuß, und als alles wieder einsatzbereit und der Bauer wieder fort war, packte Ruprecht die leckeren Plätzchen aus. Die wurden bis auf den letzten Krümel aufgegessen. Dann spannte Knecht Ruprecht die Rentiere an und Rudolph nahm Anlauf zum Start.
Als sie beim Mond vorbei kamen, schaute der ganz grimmig. Der Nikolaus hatte noch ein kleines Päckchen, das warf er dem Mond zu und rief: „Für Dich du treuer Freund.“
*Dass in dem Päckchen eine neue Pfeife für den lieben Mond war, verrate ich Euch nicht, denn dann ist es ja keine Überraschung mehr.
Es klingelte. Rolf blickte überrascht von seiner Zeitungslektüre hoch. Wer mochte das sein? In den letzten 30 Jahren, die er im obersten Stockwerk dieses Mehrfamilienhauses wohnte, hatte er das Geräusch der Türklingel nur selten vernommen. Meistens war es der Postbote gewesen. Er lebte sehr zurückgezogen, ohne nennenswerte Kontakte zur Außenwelt. Wobei er kein verbitterter Griesgram war, sondern sich in seiner selbst gewählten Einsamkeit schlichtweg wohlfühlte. Rolf war den Umgang mit anderen Menschen nicht gewohnt, sie verunsicherten ihn.
Seine Eltern waren früh gestorben, sodass er schnell auf eigenen Füßen stehen musste. Die Arbeit als Buchhalter gab ihm die nötige Sicherheit und erlaubte ihm, auch beruflich seinem Wunsch nach Abgeschiedenheit zu entsprechen. Ein paar belanglose Liebschaften in jüngeren Jahren bestätigten ihm, dass er auch in diesem Bereich ein Leben ohne Turbulenzen vorzog. Seit einem knappen Jahr genoss er ein Dasein als Frührentner. Die größte Aufregung der letzten Zeit war gewesen, dass sein ebenso eigenbrötlerischer Nachbar verstorben und in dessen Wohnung eine Frau mit ihrem erwachsenen Sohn eingezogen war. Die neuen Nachbarn verhielten sich sehr ruhig und zurückhaltend, sodass es außer einer kurzen Vorstellung noch zu keinerlei Kontakten gekommen war.
Rolf öffnete also die Wohnungstür und blickte in das grinsende Gesicht des jungen Mannes von nebenan. »Kannst du mir sagen, wo der nächste Postkasten ist? Zur Post in die Stadt kann ich nicht, und ich muss den hier abgeben.« Aufgeregt schwenkte Martin einen Briefumschlag durch die Luft.
Rolf musterte den Mann eingehender und stellte dabei fest, dass dieser etwas ungewöhnlich aussah. Auch das Verhalten sprach nicht gerade für einen Mann in den Zwanzigern. Er betrachtete den Besucher ein bisschen skeptisch, entgegnete aber freundlich: »Da muss ich überlegen. Früher war hier in der Straße einer, aber die haben in den letzten Jahren viele Postkästen abgebaut. Der nächste müsste in der Birkenstraße stehen, aber die ist ein ganzes Stück von hier entfernt. Und bei dem Wetter heute ...«
Er sah, wie sich das fröhliche Gesicht seines Gegenübers verdüsterte. »Oh, Mama hat gesagt, ich darf alleine nicht weit vom Haus weggehen. Aber der Brief muss doch los.« Sowohl Kopf als auch Schultern senkten sich sichtbar.
Auf eigentümliche Weise berührten dieser junge Mann und sein Stimmungswechsel Rolf. Die Belange von anderen Menschen hatten ihn nie sonderlich gekümmert, aber entgegen seiner Gewohnheit erwiderte er: »Ich fahre nachher noch in die Stadt und muss auch bei der Post vorbei. Wenn du möchtest, nehme ich den Brief mit und gebe ihn für dich ab.« Spontan hatte er sich entschlossen, den jungen Mann auch zu duzen.
Schlagartig erhellte sich dessen Miene. Er rief begeistert aus: »Echt? Das machst du? Das ist richtig nett von dir!«
Bevor Rolf wusste, wie ihm geschah, hatte Martin ihn schon in seine Arme gezogen und einmal fest an sich gedrückt. Glücklich streckte er ihm daraufhin den Brief mit einem »Danke schön!« entgegen.
Rolf nahm ihn an sich, immer noch überrumpelt von dem unerwarteten Gefühlausbruch. Seine Verwunderung steigerte sich noch, als er die Adresse erblickte: »An den Weihnachtsmann« stand auf dem Umschlag, sonst nichts. »Was ist das?«, entfuhr es ihm.
Martin blickte seinen Nachbarn ratlos an. »Ein Brief an den Weihnachtsmann. Steht doch drauf. Den habe ich heute Morgen geschrieben.« Wie zur Bekräftigung des soeben Gesagten nickte er eifrig.
»Ja, aber ... Ein Brief an den Weihnachtsmann? Noch dazu ohne Adresse und Briefmarke?« Rolf konnte seine Verwirrung nicht verbergen.
»Wo der wohnt, weiß doch jeder!«, behauptete Martin. »Und Briefmarken braucht man für die Post an den Weihnachtsmann nicht. Weißt du das denn nicht?« Martin schaute Rolf an, als hätte dieser ihn soeben gefragt, welche Farbe die Sonne hätte.
»Nein, das war mir neu. Mit so etwas kenne ich mich nicht so gut aus.«
Rolf zog sich in seine Wohnung zurück und starrte ratlos auf den Briefumschlag in seiner Hand. Den konnte er doch nicht bei der Post abgeben. Was würde der Postbeamte von ihm denken? Er würde ihn einfach in den Postkasten werfen, dann hatte er zumindest sein Versprechen gegenüber Martin eingehalten.
Er ließ sich auf sein Sofa nieder und dachte über seine neuen Nachbarn nach. Die Frau war zu bedauern. Nicht nur, dass sie einen offensichtlich zurückgebliebenen Sohn hatte, sie war ebenfalls körperlich behindert. Sie hinkte stark und hatte einen verkrüppelten Arm. Manchen Menschen spielte das Leben wirklich übel mit. Und dabei waren beide augenscheinlich herzensgute und freundliche Menschen. Rolf hatte sie öfter beobachtet und sich über den herzlichen Umgang zwischen der unscheinbaren Frau und ihrem lebenslustigen Sohn gewundert.
Es rührte ihn auf eigentümliche und für ihn ungewohnte Art, wenn er sah, wie fürsorglich Martin mit seiner Mutter umging, ihr zum Beispiel die Einkaufstaschen abnahm oder ihr auf offener Straße einfach so zärtlich einen Kuss auf die Wange drückte.
Nachdenklich blickte er auf den Brief. Was hatte so ein besonderer junger Mann wohl für Wünsche an den Weihnachtsmann? Sicherlich das neueste Handy, einen Laptop oder sonstiger neumoderner Schnickschnack. Ob er da hineinschauen sollte? So ein Brief war doch sowieso Unsinn. Absurderweise blickte er aus den Augenwinkeln verstohlen um sich, als ob in seiner Wohnung heimliche Beobachter lauerten, und entschied sich dann, seiner Neugierde nachzugehen. Er schaute lange auf die paar Zeilen, die ihm in fehlerhafter und krakeliger, aber offensichtlich um Ordentlichkeit bemühter Schrift entgegen sprangen:
Liber Weihnachtsmann!
Ich möchte das meine Mama entlich Glüklich wird
jezt wo Papa wek ist.
Ein neua Fusbal wär auch tol
aber das andere is das wichtikste auf der welt.
Dan freuhe ich mich ser.
Dein Martin
Ein paar Tage später stand Martin wieder vor seiner Tür. Als Rolf öffnete, streckte ihm der junge Mann einen kleinen Plastik-Tannenbaum entgegen und sagte aufgeregt: »Guck mal, ist der nicht schön! Das ist das erste Mal, dass wir einen Weihnachtsbaum haben.«
Rolf, der Martins Freude beim Anblick des kitschigen und zudem noch recht ramponierten Weihnachtsbaums gar nicht teilen konnte, wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Aber Martin setzte seinen Redefluss schon fort: »Ich habe den bei dem Sperrmüll am Ende der Straße gefunden. Aber die bunten Lampen gehen nicht. Kannst du die heile machen? Männer können das doch. Ich möchte Mama damit überraschen.«
Rolf hatte zwar Zweifel, dass dieses hässliche Bäumchen Martins Mutter glücklich machen würde, bat den aufgeregten Jungen aber in seine Wohnung, um sich die Elektrik eingehender anzusehen. Martin begleitete Rolf und plapperte munter weiter: »Hast du zu Weihnachten einen richtigen Tannenbaum? So einen großen? Das sind ja die tollsten, aber die sind zu teuer. Und der ganze Schmuck dafür. Das können wir uns nicht leisten. Wir haben nicht so viel Geld, unser Umzug war auch teuer. Aber der da ist auch schön.« Stolz über seinen erfolgreichen Beutezug grinste Martin vor sich hin.
»Nein, ich kaufe mir nie einen Weihnachtsbaum. Ich bin ja alleine, da lohnt sich das nicht«, antwortete Rolf. Nachdenklich schaute er auf seinen jungen Nachbarn: »Ihr hattet wirklich noch nie einen Weihnachtsbaum? Auch nicht, als du ein Kind warst?«
»Nein, Papa hat das verboten. Weihnachten fand er blöd, das koste nur Geld. Sowas gab es bei uns nicht«, erklärte Martin mit trauriger Stimme.
»Oh, das ist aber schade«, war alles, was Rolf erwidern konnte, der sich in dem Moment mit einem Anflug von Sehnsucht an die Weihnachtsfeiern aus seiner Kindheit erinnerte. Wie konnte ein Vater seinem Kind denn die natürliche Freude am Weihnachtsfest verwehren? Dieser Gedanke ließ eine ungeahnte Wut in Rolf aufkeimen. »Und wo ist dein Papa jetzt?«, fragte er deshalb.
»Da«, antwortete Martin und zeigte mit dem Finger trotzig auf den Fußboden.
Rolf folgte seinem Fingerzeig stirnrunzelnd. »Wie meinst du das?«
»Na, da unten«, kam die Antwort. Und mit einem Blick an die Decke setzte Martin fort: »Nach oben in den Himmel kommen nur die guten und lieben Menschen. Mein Papa war böse. Der hat immer nur geschimpft und uns angeschrien. Hat auch Mama gehauen. Richtig doll. Das ist böse.«
Entsetzt starrte Rolf seinen Nachbarn an. »Ja, so etwas ist ganz böse«, bestätigte er fassungslos. Was hatten dieser junge Mann und seine Mutter nur für ein Leben führen müssen?
Aber Martin war gerade erst in Fahrt gekommen: »Und er hat Mama beschimpft. Weil sie so ein Krüppel ist, bin ich auch ein Krüppel geworden. Ein Idiot. Hat Papa immer gesagt.« Hilfesuchend blickte er den älteren Mann an. »Aber ich bin kein Idiot, oder? Mama sagt, ich bin der liebste und tollste Junge auf der Welt.«
Rolf musste schwer schlucken, beeilte sich aber zu sagen: »Da hat deine Mama vollkommen recht. Du bist wirklich ein ganz toller junger Mann.« Unbeholfen tätschelte er Martins Arm, war er solche Gesten doch gar nicht gewohnt. »Lass dir von niemandem so einen Unsinn einreden. So etwas sagen nur ganz dumme und schlechte Leute. Und die bekommen dafür früher oder später ihre Strafe.« Mit einem Blick auf den Fußboden setzte er verschwörerisch hinzu: »Da unten.«
Von da an war die Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Männern besiegelt. Martin besuchte seinen Nachbarn täglich. Martins Mutter Ilona trat alsbald auch an Rolf heran und erklärte ihm entschuldigend, wenn er sich von Martin belästigt fühle, solle er ihm das sagen. Er sei das gewohnt, und wenn man ihm etwas sage, befolge er das auch. Aber Rolf versicherte ihr, dass er gerne Zeit mit ihrem Sohn verbringe und seine Anwesenheit als angenehm empfinde. Ilona lud ihn daraufhin zum gemeinsamen Kaffee zu sich ein, und Rolf konnte nicht leugnen, dass er auch Gefallen an dieser schüchternen Frau gefunden hatte, die in ihrer Zurückhaltung und Bescheidenheit Rolf sehr ähnlich war.
Ein paar Tage vor Weihnachten, als Rolf wieder zum Kaffeebesuch bei seinen Nachbarn war, konnte Martin seine Vorfreude auf das bevorstehende Fest kaum noch verbergen. Endlich durfte er Weihnachten feiern! Aufgeregt erzählte er Rolf: »Heiligabend gehen wir in die Kirche. Da steht immer ein riesengroßer geschmückter Tannenbaum. Da freue ich mich am meisten drauf. Einmal waren wir da nämlich heimlich zu Weihnachten. Als Papa geschlafen und das nicht mitgekriegt hat.« Er grinste erst seine Mutter, dann Rolf an. »Kommst du mit?«, fragte er unvermittelt.
»Ich? In die Kirche?«, fragte Rolf überrascht. Als er Ilonas schüchternen Blick auffing, den er als durchaus erwartungsfroh auslegte, entgegnete er rasch: »Wieso eigentlich nicht? Ja, ich komme gerne mit, wenn deine Mutter nichts dagegen hat.«
An den nächsten beiden Tagen tat Rolf sehr geheimnisvoll und war viel unterwegs. Zwei Tage vor Heiligabend schellte er bei seinen Nachbarn an. Als Ilona die Tür öffnete, nestelte er nervös an seinem Hemdkragen herum: »Ich ... ich wollte fragen, ob Sie und Ihr Sohn übermorgen nach der Kirche zu mir zum Essen kommen möchten? Nichts Besonderes, aber ich kann einen ganz passablen Kartoffelsalat zubereiten. Dazu ein paar Heißwürstchen ...« Er wusste vor lauter Verlegenheit nicht, wo er hinschauen sollte, fing dann aber Ilonas schüchternes Lächeln auf. »Gerne!«, rief sie erfreut aus, und somit war der gemeinsame Heilige Abend besiegelt.
Als Rolf abends im Bett lag, musste er noch lange an Ilonas glückliches Gesicht denken. So strahlend hatte er sie noch nie erlebt. Richtig hübsch hatte sie dabei ausgesehen. In seinem Magen und um sein Herz herum machte sich eine wohlige Wärme breit.
Am Heiligen Abend traf Rolf in seiner Wohnung noch die letzten Vorbereitungen, bevor er pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt vor Ilonas Wohnungstür stand. Er hatte sich Gedanken gemacht, ob sein Anzug mit Krawatte nicht etwas zu dick aufgetragen sei. Nachher fühlte Ilona sich an seiner Seite unwohl, wenn sie, wie gewohnt, in einfacher Hose und Pulli neben ihm saß. Aber er hatte sich doch dafür entschieden. Da war ihm nach Jahren, ach Jahrzehnten, mal wieder feierlich zumute – dann wollte er das auch richtig ausleben!
Als Ilona ihm die Tür öffnete, blieb ihm bei ihrem Anblick der Mund offen stehen. Sie trug ein atemberaubendes dunkelblaues Kleid. Ihre Haare, die sie zum ersten Mal offen trug, fielen ihr in Wellen auf die Schultern und umrahmten ein hübsches Gesicht, dessen Vorzüge dezent durch Schminke betont wurden. Sie lächelte ihn schüchtern, aber doch strahlend an, und ihre Augen funkelten im gleichen Ton wie ihr Kleid. »Ilona, du siehst wunderschön aus«, rutschte es Rolf atemlos heraus. »Ähm, Entschuldigung, Sie sehen ...«
»Nein, nein. Lass uns ruhig beim Du bleiben«, lächelte Ilona glücklich, die bei diesem Kompliment ebenso wie Rolf errötet war.
Martin blickte hinter seiner Mutter hervor: »Du, Rolf, sollen wir unseren Tannenbaum zu dir rüberstellen? Für unsere Feier nachher? Du hast ja keinen.«
Rolf rief sich das hässliche kleine Monstrum vor Augen und wiegelte schnell ab: »Ach, lass den lieber bei euch stehen. Wir werden auch ohne den eine schöne Feier haben.«
Rolf wusste gar nicht, was ihm an dem Kirchgang am besten gefallen hatte. Die festlich geschmückte Kirche, die feierliche Stimmung, die Weihnachtslieder. Die glücklich wirkenden Menschen ließen in ihm die Erinnerung an längst vergessene Weihnachtsfeste aus seiner Kindheit hochkommen. Am meisten gefiel ihm, dass sich Ilona auf dem Hin- und Rückweg bei ihm eingehakt hatte, als sei es das Natürlichste der Welt, dass sie vertrauensvoll bei ihm Halt suchte. Dazu Martins unbändige Freude, mit der er um die beiden herumsprang, eifrig nach Schneeflocken schnappte und dabei glücklich und fürchterlich schief alle Weihnachtslieder sang, die er kannte. Rolf war überwältigt von diesem Gefühl, sich in Gesellschaft anderer Menschen so wohl und unbeschwert zu fühlen.
Die Krönung des Abends war die Weihnachtsfeier bei Rolf. Als dieser die Tür zu seiner Wohnung aufschloss und Ilona und Martin in das Wohnzimmer führte, welches zum ersten Mal in weihnachtlichem Glanz erstrahlte, blieb Martin in andächtigem Staunen im Türrahmen stehen. »Rolf«, flüsterte er. »Du hast ja einen Weihnachtsbaum. Der ist noch schöner als der eben in der Kirche. Das ist der schönste Baum, den ich je gesehen habe.«
Rolf nickte stolz und erfreute sich an dem Anblick des überglücklichen jungen Mannes. »Ja, den habe ich extra für dich ausgesucht und geschmückt«, ergänzte er und legte einen Arm um ihn.
»Extra für mich?«, fragte Martin in ungläubigem Staunen und drückte Rolf ganz fest an sich, als dieser bestätigend nickte. Mit erstickter Stimme fügte er hinzu: »Du bist der beste Mann, den ich kenne.«
Ilona, die ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, trat zu den beiden Männern, schmiegte sich vorsichtig an Rolf und umschloss ihren Sohn mit einem Arm. »Das ist das schönste Weihnachtsfest, das ich je erlebt habe.«
Und Martin ergänzte mit einem seligen Lächeln: »Und das Tollste ist, dass der Weihnachtsmann meinen größten Wunsch erfüllt hat.«
Beim Stöbern in meinen alten Fotoalben entdeckte ich zwei Fotografien aus dem Jahr 1963. Schaue ich in die Gesichter der Kinder kommt es mir vor, als wären die Bilder erst gestern entstanden.
Ich möchte Euch zunächst aber die Geschichte zu den Bildern erzählen. So wie ich sie noch in Erinnerung habe und sie mir erzählt wurde. Auf den Fotos bin ich sieben Jahre alt. Ich hatte eine Taufpatentante, die ich abgöttisch liebte. Ich nannte sie „Omi Hillmann“, wir alle nannten sie so. Sie schmunzelte jedes Mal, wenn wir sie so nannten und ließ es quasi über sich ergehen. Sie war für mich meine Omi, denn als Kind hatte ich nur eine Oma väterlicherseits, die ich höchstens einmal im Jahr sah, weil sie in Frankfurt wohnte und meine Familie wohnte in Bremen.
„Omi Hillmann“ war eine gütige Frau mit schlohweißen Haaren, die ihr bis über die Hüfte fielen. Sie trug ihre Haare stets zu einem Zopf gebunden und zum Dutt hochgesteckt. Ich liebte es, wenn ich bei ihr übernachtete und ihr die Haare kämmen durfte. Aber ich schweife ab. Meine „Omi“ war eine sehr gläubige Frau und nicht sehr vermögend. Sie hatte ein kleines Haus und es reichte für ein gutes, aber bescheidenes Leben.
Meine Patentante hatte keine Kinder, ihr Mann, den ich nie kennenlernen durfte war sehr früh verstorben. Wir waren ihre Ersatzfamilie. Sie spendete regelmäßig Geld an ein Kinderheim in der Nähe Bremens. Dort lebten ihre anderen Patenkinder. Sie erzählte uns viel von ihrer damaligen Heimat Schlesien. Als Kind konnte ich nicht verstehen, weshalb meine „Omi“ traurig wurde, wenn sie von ihrer alten Heimat sprach. Die Kinder, die sie unterstützte, hatten keine Eltern mehr, es waren Aussiedlerkinder. Für mich als Kind klang der Ausdruck furchtbar und ich verstand die Zusammenhänge nicht. Aber ich verstand und sah, dass meine „Omi“ einen warmherzigen Gesichtsausdruck bekam, wenn sie von diesen Kindern sprach.
In unserer Familie war es Tradition, dass wir jeden Sonntag einen Ausflug machten. Wir besuchten Wildgehege, Tanzlokale (ich liebte es, wenn ich mit meinem kleinen Bruder wie die Erwachsenen auf der Tanzfläche tanzen durfte :-)) ) oder gingen in Parks und Wäldern einfach nur spazieren.
Der erste Adventssonntag am 1. Dezember 1963 wurde ein besonderer Tag. Ich war ganz aufgeregt, denn meine Mutti erzählte mir, dass wir die Patenkinder von „Omi Hillmann“ im Heim besuchen würden. Am Vormittag durfte ich zusammen mit Mutti Geschenke für die Kinder einpacken. Auf dem Küchentisch lagen unzählige Plätzchen und Süßigkeiten (leider keine selbstgebackenen Kekse, denn meine Mutter konnte nicht backen und kann es bis heute nicht (lach)). Auf jedes fertige Päckchen klebte ich eine weihnachtliche Oblate und war ganz stolz auf die schönen Päckchen. Zuvor hatte ich mein Zimmer durchforstet und Spielsachen, von denen ich mich trennen konnte herausgesucht.
Meine Eltern hatten mir gesagt, dass sich die Kinder in dem Heim sehr über unsere Spielsachen freuen würden, denn sie hätten kaum welche. Mein Sammeleifer war geweckt, denn ich konnte es gar nicht glauben, dass es Kinder gab, die kein oder nur sehr wenig Spielzeug besaßen. Ich kramte fast mein ganzes Zimmer leer, bis meine Mutti einschritt. Wir suchten dann die schönsten Sachen heraus und ich durfte sie in eine große Holzkiste legen.
Meine Eltern, mein Bruder, meine „Omi Hillmann“ und ich waren reisefertig. Aufgeregt stieg ich in unser damaliges Auto. Wie ich heute weiß, war es ein Ford 17m. Wir fuhren über Landstraßen und die Fahrt kam mir sehr lang vor. Mein kleiner Bruder wurde quengelig und das war das sichere Zeichen, dass wir mindestens schon eine halbe Stunde unterwegs gewesen sein mussten. Unser Fahrtziel war ein kleines, beschauliches Dorf ca. 50 km von Bremen entfernt.
Wir hielten vor einem großen Gehöft mit einem weißen Anbau. Jahre später erzählte meine Mutter mir, dass das Kinderheim in einem sehr alten, umgebauten Bauernhof untergebracht war. Es war eine kirchliche Einrichtung und bot ungefähr zwanzig Kindern ein Zuhause.
Als ich aus dem Auto ausstieg, überkam mich ein mulmiges Gefühl. Der gesamte Hof war matschig und ich hatte Angst, meine Sonntags-Schuhe zu beschmutzen. Aus dem kleineren Haus kam uns eine Frau entgegen. Sie lachte und ich fand sie nett. Sie umarmte meine „Omi“ und ließ sie fast nicht mehr los. Die Sprache, in der sie sich unterhielten war mir fremd. Noch heute erinnere ich mich, dass ich meine Mutti anstieß und sie fragte, weshalb „Omi“ so komisch spricht und meine Mutti mir nur ein gezischtes „Pssssssssssssstt“ entgegenbrachte. Ich war ziemlich froh, als mir die fremde Frau die Hand gab und mich verständlich ansprach. Wir wurden herzlich aufgefordert, das Haus zu betreten. Innen war es kühl, sehr kühl. Noch heute spüre ich die Kälte, wenn ich an dieses Heim denke. Es roch moderig und war dunkel. Und still. Die Stille war bedrückend.
„Wo sind denn die Kinder?“, entfuhr es mir. Strafend sahen mich meine Eltern an. Waren wir in einer Kirche? Ich war verunsichert und den Tränen nahe.
Die Frau, die uns begrüßt hatte, öffnete eine schwere Holztür und dann sah ich die Kinder. Sie saßen an einem geräumigen Tisch und schauten in unsere Richtung. Mein Bruder versteckte sich hinter meinem Vater und ich nahm schüchtern die Hand meiner Mutter. Auf dem Tisch lagen Tannenzweige. Es roch nach Wald. Über dem Tisch hing ein wuchtiger Kranz aus Tannenzweigen. In der Mitte des Kranzes brannte eine große, rote Kerze.
Die fremde Frau stellte uns vor, die Kinder erhoben sich von den Stühlen und begrüßten uns. Ich hatte keine Angst mehr. Nur mein Bruder versteckte sich noch immer hinter meinem Papi. Der Angsthase :-)).
Meine „Omi“ umarmte zwei Jungen und ein Mädchen. Sie mussten sich wohl näher kennen. Lächelnd sagte sie mir, dass dies ihre anderen Patenkinder seien. Bis auf einen Jungen waren sie viel größer und älter als ich, aber ich hatte keine Scheu und mochte sie auf Anhieb.
Während die Erwachsenen Kaffee und Kuchen genossen, zogen die drei Kinder mich fort. Sie fragten meine Eltern, ob mein Bruder und ich mit nach draußen kommen dürften. Ich durfte, mein Bruder war zu klein und blieb bei meinen Eltern im Haus. Ich war froh, dem düsteren Gebäude zu entkommen. Wir liefen in einen ehemaligen Stall.
Das fremde Mädchen zeigte mir in einer Ecke etwas, was ich nie zuvor gesehen hatte. Ganz vorsichtig beugte ich mich über die Pappkiste. Darin maunzten mich vier Katzenbabys an. Sie waren so niedlich. Bis heute glaube ich, dass in diesem Augenblick meine grenzenlose Liebe zu Katzen entfacht wurde. Ich durfte eines der Kätzchen in meinen Armen halten und augenblicklich schossen mir Gedanken durch den Kopf, dass ich es mitnehmen möchte. Das schwarz-weiße Bündel in meinen Armen zappelte, jaulte und ich legte es vorsichtig zurück in den Karton.
Die Kinder zeigten mir die Umgebung, die ehemaligen Ställe und alles, was sie mir zeigten war für mich neu und ungewöhnlich. Ich war ein Stadtkind und kannte das ländliche Wohnen nicht. Zum Schluss durfte ich mir das Zimmer der drei Geschwister anschauen. In dem dunklen, recht kleinen Zimmer standen ein Etagenbett und ein Einzelbett für das Mädchen. Ich empfand die Einrichtung lieblos und es roch wieder so komisch muffig.
Der große Junge hieß Peter, sein jüngerer Bruder Carl und das Mädchen Monika.
Monika zog mich auf ihr Bett und holte etwas unter ihrem Kopfkissen hervor. Es war eine Puppe. Sie legte mir die Puppe in den Arm und flüsterte mir zu „pass gut auf Ilse auf“. Ich schaute Monika erschrocken an. Noch heute spüre ich die Beklemmung, die mich bei ihren Worten umfing. Ich konnte doch nicht ihre Puppe behalten. Sie war sehr hübsch, aber…das ging doch nicht. Monika ließ nicht locker und ich war völlig überfordert. Ich hatte daheim so viele Puppen. „Ilse“ war bestimmt Monikas liebster Schatz und niemals hätte ich die Puppe mit nach Hause nehmen können.
Meiner „Omi“ und ihrer Diplomatie hatte ich es zu verdanken, dass „Ilse“ nur auf den damals gemachten Bildern in meinen Armen lag, sozusagen adoptiert für ein paar Stunden und ich ohne sie zurückfuhr. Ich war erleichtert und sehr, sehr froh. „Ilse“ hätte es mit Sicherheit nicht schön gefunden, so jäh von ihrer geliebten Puppenmutti getrennt zu werden.
Ich lernte an diesem unvergessenen Tag sehr viel. Damals war mir nicht klar, was ich lernte.
Unsere mitgebrachten Geschenke für alle Kinder wurden mit leuchtenden Augen ausgepackt. Ich hatte viel mehr mitgenommen als ich brachte, doch das wusste ich als kleines Mädchen damals nicht. Wir verabschiedeten uns am Abend. Auf meinem Weihnachtswunschzettel stand:
Ein süßes Kätzchen
Ich weiß nicht genau weshalb, aber wir besuchten die Heimkinder nie mehr. Meine geliebte „Omi Hillmann“ starb, als ich zwölf Jahre alt war. Von meiner Mutter erfuhr ich, dass mein Vater jahrelang nach dieser Begegnung das Heim mit großzügigen Spenden bedachte. Das Heim wurde Mitte der siebziger Jahre geschlossen.
Mein Kätzchenwunsch ging leider erst ein paar Jahre später in Erfüllung. Sie hieß „Mohrle“ und war schwarz-weiß.
~ Auf den Bildern auf der nächsten Seite seht ihr:
Oben links Monika - In der Mitte Peter mit der getigerten Katzenmama im Arm - Oben rechts Carl, ich glaube, er spielte damals ein imaginäres Musikinstrument - Unten links mein kleiner Bruder Uwe - Unten rechts bin ich mit . - Puppe „Ilse“ im Arm zu sehen
Auf dem zweiten Bild von rechts nach links: Peter, Monika, Carl, Ute und Uwe ~
Da sitzen sie wieder, hintereinander, nebeneinander, die Wege schmückend. Wichtel in allen erdenklichen Farben, Größen und Ausschmückungen.
Jedes Jahr zieren sie diese Wege und in jedem Jahr kommen neue dazu, ab und an geht auch einer in andere Lebensbereiche, doch die meisten sind jetzt schon von Anfang an dabei. Rot bemalt, mit Filzzipfelmütze und einige auch mit Bart. Erst nur in den Fensterbänken, dann kamen immer weitere dazu.
Und nun sind alle Wege verziert, mit großen in den Regalen, die die Laternen halten. Auf den Türsimsen sitzen kleine Fingerhutwichtel und begrüßen jeden Ankommenden. An den Fenstern stehen sie und verabschieden auch dort jeden der wieder geht. Manche tragen leuchtendes Rot, andere sind in den unterschiedlichsten Lilatönen. Es gibt auch ein paar, die haben ein grünes Gewand und sogar Gartenwerkzeug dabei. Ein ganz großer steht an der Bürotür und ist mit Weiß und Glitzer verziert. Dieser Wichtel erinnert an wichtige Termine, denn er hält eine Tafel in der Hand und jeden Tag stehen dort die Namen derjenigen, die Geburtstag haben und wer bei welchem Wichtel sein Geschenk holen darf.
Jeder Wichtel hat seinen Namen und jeder neue wird in die Gemeinschaft mit einem Namen eingebracht. Als ganz besonderer Wichtel kam letztens Sebastian dazu. Gleich am Eingang hat er seinen Platz gefunden. Er begrüßt jeden ins Haus kommenden und an ihm ist auch der große Korb angebracht, in dem jederzeit die Dinge zu finden sind, die Tage vorher irgendwo im Haus verloren gingen.
Dänische Julenisse: Wenn sie aus den Häusern verschwinden, so sagt man, bringt das kein Glück
Bild ©Nanny Ogg Otso
Zu Weihnachten sind Hund und Katz ganz friedlich.
Man freut sich auf Geschenke - denn gemütlich,
so ist es doch am besten. Doch Natur
verleidet einem nonchalant die Tour.
Der alte Argwohn bricht sich Bahn. Kumpan?
Wie soll man sich vertrauen? Blöder Plan.
Und dennoch wär Vertrauen wirklich schön;
wir könnten uns gewiss eins a verstehen,
wenn wir die Friedenszeit nur klüglich nutzten.
Es muss zu schaffen sein; die Waffen wetzten
wir viel zu oft; drum lass uns wetzen just
for fun. Gespann: Das Rasen und die Rast -
im Einklang sein mit beiden Modi - wie
gelingt's? Ach, führte Fantasie Regie,
Natur wär zu besiegen; lass es fetzen!
Ein Lehrgang: Lern, den Widerpart zu schätzen.
So harren Seit' an Seite Hund und Katze,
dass man Besinnlichkeit nur nicht verpatze:
Die Chance, das Weihnachtsfeeling zu erhaschen.
Mit Feindschaft geht uns dieses durch die Maschen.
Ich muss Dich loben, Bravsein ist Tortur.
Die Friedenszeit ist schwer; darum der Schwur:
Ja, wir geloben kein Wauwau, Radau,
kein Fauchen - selbst das Mauzen ganz genau
im Ton, Harmonik sei mit uns. - Ich freu
mich auf die Friedensfeste; dass man bau
an solchem Meisterwerk zusammen, denn
dann hält's eventuell; im Weg das 'Wenn' -
Bedingungen, die nicht erfüllt ... man hofft.
Man muss sich selbst besiegen - ziemlich oft.
ENDE
Den ganzen Tag über war der Schnee in großen Flocken aus grauen Wolken auf die Erde geschwebt. Er hatte die Dächer und Straßen des alten Städtchens unter einer dicken, weißen Decke versteckt, sodass es aus der Ferne aussieht wie ein verträumtes Wintergemälde aus vergangenen Zeiten.
Nun ist es Nacht und die Luft beißend kalt und so klar, dass die unzähligen funkelnden Sterne derart nah scheinen, als könnte man sie mit der Hand greifen und vom tiefblauen Firmament pflücken. Doch kaum jemand bemerkt etwas von der Schönheit dieser bezaubernden Dezembernacht. Die meisten Menschen liegen in ihren behaglichen Betten und schlafen, als die Glocke der Kirchturmuhr mit ihren feierlichen Schlägen die Mitternacht verkündet. Bis auf die wenigen erhellten Fenster, die ihren Lichtschein auf die verschneiten Straßen schicken, liegt das Städtchen in schläfriger Dunkelheit und Stille.
Doch was ist das? Meister Kowaks Backstube ist taghell erleuchtet. Wie kann das sein? Hat etwa jemand vergessen, das Licht zu löschen? Nein – da wird ja tatsächlich noch geschafft! Es ist Friedhelm, der sich hinten in der Bäckerei tummelt, Meister Kowaks Lehrling, der erst seit wenigen Monaten bei ihm arbeitet. Er ist nicht etwa in die Bäckerei eingebrochen, sondern hat die Erlaubnis seines Meisters, allein und in aller Ruhe sein Handwerk üben zu dürfen. In der lärmenden Geschäftigkeit des täglichen Betriebs kommt er nicht dazu und er fühlt sich zwischen den Gesellen und anderen Lehrlingen, die bereits so viel mehr können als er, ein wenig unsicher. Doch hier zu dieser späten Stunde schaut ihm niemand auf die Finger.
Gerade beugt er sich über eines der besten Weihnachtsrezepte seiner Mutter und fährt mit einem klebrigen Finger über die Zeilen. In den letzten Stunden war er sehr fleißig gewesen, hatte eine Torte und verschiedene Plätzchen gebacken, die ihm recht gut gelungen waren und in der Stube duftet es verführerisch weihnachtlich nach Zimt, Mandeln und Kardamom, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber das Wichtigste hat er sich bis zum Schluss aufgehoben.
Friedhelm ist verliebt, bis über beide Ohren, und zwar in die zierliche Anna, die er erst vor wenigen Wochen bei einem Freund kennengelernt hat. Er möchte sie mit den leckersten Zimtsternen überraschen, die er kennt, gebacken nach dem gut gehüteten Rezept seiner Urgroßmutter.
Die besten und frischsten Zutaten stehen bereit und Friedhelm geht ans Werk. Nur selten wurde ein Teig sorgfältiger und liebevoller zubereitet, ausgerollt und ausgestochen als dieser. Bei der Zubereitung der Glasur aus Puderzucker, ist er mit seinen Gedanken völlig bei seiner hübschen Freundin. Und als Friedhelm die Glasur – ganz besonders dick – auf die Sterne streicht, muss er an Annas rote Lippen denken und den süßen Kuss, den er von ihr erhalten hat und sein Herz läuft schier über vor Liebe und Sehnsucht. Die Zimtsterne sehen wirklich gut aus und er schiebt das Blech zufrieden in den Ofen. Während der Wartezeit räumt Friedhelm die Backstube auf, die aussieht, als hätte eine Schlacht zwischen rivalisierenden Kriegern stattgefunden, die sich mit Mehl und Teig bombardiert hatten. Aber bald ist die Unordnung beseitigt und schon kann er die Zimtsterne aus dem Ofen nehmen.
Oh je! Da ist aber etwas gehörig schief gelaufen und Friedhelm sieht auch sehr unglücklich aus. Die Zimtsterne, die ein weißes Häubchen schmücken sollte, genau wie bei den eingeschneiten Dächern der Stadt, haben einen roten Zuckerguss. Rot! Wer hat jemals etwas von roten Zimtsternen gehört? Wie hatte das nur passieren können? Friedhelm kann sich das nicht erklären. Er hatte Anna doch so mit seinem Können beeindrucken wollen und jetzt das! Nun weiß er nicht genau, was er machen soll. Er ist schrecklich müde und ihm bleibt nur wenig Zeit zum Schlafen übrig, bevor sein Arbeitstag beginnt. Auch hätte er vor Weihnachten keine Gelegenheit mehr, die Backstube erneut zu benutzen und sein eigener Backofen funktioniert nicht. Die Zimtsterne lässt er abkühlen, bevor er sie in ein durchsichtiges Tütchen steckt, das er mit einer schicken roten Schleife verschließt.
Dann schüttelt er den Kopf. Nein – er kann Anna unmöglich rote Zimtsterne schenken. Es hilft nichts. Mit vor Müdigkeit brennenden Augen rührt er einen neuen Teig an. Diesmal denkt er nur daran, so schnell wie möglich fertig zu werden. Als er das Blech aus dem Ofen nimmt, kann er sich nicht einmal darüber freuen, dass ihm völlig normale, weiße Zimtsterne entgegen lachen. Schnell schafft er Ordnung, bevor er das Licht löscht, abschließt und durch den Schnee nachhause stapft. Das Tütchen mit den roten Zimtsternen hat er völlig vergessen und es steht noch einsam und verlassen da, wo er es abgestellt hat.
In Kowaks Bäckerei beginnt der Arbeitstag um drei Uhr morgens, damit die Frühaufsteher unter den Kunden gleich ihre frischen, warmen Brötchen oder duftendes Brot kaufen können. Bis dahin geht es in der Stube recht hektisch zu. Weder seine Kollegen noch Friedhelm selbst, der kaum Zeit hat, an etwas anderes als seine Arbeit zu denken, achten auf die roten Zimtsterne. Als später Grit, die vorne im Geschäft bedient, den Ständer mit den Weihnachtsplätzchen auffüllt, glaubt sie, sie wären für den Verkauf bestimmt. Grit nimmt das Tütchen mit und stellt es einfach zwischen die anderen ins Regal.
Ja, und da stehen sie nun neben den Ingwerplätzchen, Butterspekulatius, Berliner Brot und Spritzgebäck, inmitten der Tüten mit weißen Zimtsternen – und keiner will sie haben! Da fallen dann schon mal Bemerkungen wie „Igitt – was ist denn das?“, „Unverschämt. So etwas kaufe ich nicht!“, „Wer lässt sich denn so was einfallen?“. Die Kunden sind sich alle einig, dass rote Zimtsterne unerhört sind und unnützer neumodischer Kram, und das auch noch zu Weihnachten. Nach und nach verschwinden die Plätzchen aus dem Regal, werden wieder ersetzt und nur die roten Zimtsterne bleiben übrig. Aber einen Tag vor Heiligabend sind sie plötzlich weg. Wenn jemand Grit danach gefragt hätte, wer das Tütchen gekauft hat, dann hätte sie das nicht mit Sicherheit beantworten können. Aber da Friedhelm seine Zimtsterne total aus dem Gedächtnis verloren hat, interessiert sich auch niemand dafür.
~*~
Der erste Weihnachtsfeiertag ist für Friedhelm alles andere als geruhsam. Er springt früh aus den Federn, räumt auf, putzt die Fenster, saugt und wischt, bis seine kleine Wohnung nur so glänzt. Er hat Anna zu Kaffee und Abendessen eingeladen und möchte einen guten Eindruck auf sie machen. Der Kuchen steht bereit und im Kühlschrank lagern Kesselchen mit Rotkohl und Rouladen, die er bei seiner Mutter abgestaubt hat und die nur noch aufgewärmt werden müssen. Er ist ziemlich nervös und schaut alle paar Minuten auf die Uhr, und als es pünktlich um vier an der Tür klingelt, versetzt ihm das einen freudigen Stich ins Herz.
Mit vor Kälte geröteten Wangen und in dicke Wintersachen verpackt, steht Anna vor der Tür und lächelt Friedhelm an. Beide sind ein wenig verlegen und Anna bricht das Eis, indem sie ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gibt und er sich daran erinnert, sie hereinzubitten.
Nach dem Kaffee überreichen sie sich die Geschenke. Anna hat ihre Gaben in einer weihnachtlich bedruckten Papiertasche mitgebracht und er schaut erwartungsvoll hinein. Das Erste, was ihm ins Auge fällt, ist ein durchsichtiges, mit einer roten Schleife verziertes Tütchen, das ihm nur allzu bekannt vorkommt. Darin sind die misslungenen Zimtsterne, für die er sich zu sehr geschämt hat, um sie Anna zu geben. Überrascht schaut er seine Freundin an und weiß gar nicht, was er sagen soll.
Anna merkt, dass etwas nicht stimmt und glaubt, sich rechtfertigen zu müssen. „Die habe ich in so einer kleinen Bäckerei entdeckt. Es waren die einzigen roten Zimtsterne. Ich weiß nicht warum, aber die sprangen mich regelrecht an und ich konnte einfach nicht daran vorbei gehen. Ich hatte das Gefühl, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Nein, Anna, hast du nicht. Im Gegenteil.“ Seine Gefühle kann Friedhelm nur in einem langen Kuss ausdrücken.
Anna hat das erkannt, was nicht einmal er selbst gesehen hat: All seine Liebe für sie, die er in die Zimtsterne mit hinein gebacken hat. Und dank der roten Zimtsterne, die sonst keiner haben wollte, weiß er jetzt ganz genau, dass Anna die Richtige für ihn ist.
Angefangen hat alles bei einem Spaziergang an Weihnachten 1995 mit meinem Freund.
Die Straßen waren verschneit. Überall roch es nach Festtagsbraten, Plätzchen, Kaminfeuer. Und alles, was man sich sonst noch zu dieser Zeit wünscht, lag in der Luft. Hinter den Fenstern konnte man so manchen festlich geschmückten Christbaum sehen. Und hinter einem niedrigen Wohnzimmerfenster sahen wir etwas ganz Besonderes. Auf der Fensterbank stand ein wunderschön geschmücktes und erleuchtetes Miniatur-Weihnachtsdorf aus Porzellan. Ich staunte mit meinen 30 Jahren wie ein kleines Kind. Die Häuschen, die Landschaft und die Figuren. Ein kleines Dorf voller Frieden und ohne die vielfach erlebten Familienstreitigkeiten. Ich war hin und weg.
Nach Weihnachten erspähte ich im Trubel des Umtauschwahns und in der Manie Gutscheine einzulösen, einen Laden, der im Ausverkauf ein paar Miniaturhäuschen für 1 DM pro Stück hatte. Ich griff zu. Und seit dieser Zeit gilt für mich immer der Spruch „nach Weihnachten ist vor Weihnachten“. Auf den Flohmärkten gerate ich bei jedem Lichterhaus innerlich in verzücken. Das lasse ich mir natürlich nicht anmerken, ich will ja schließlich noch um den Preis feilschen. Bietet jemand ausrangierte Eisenbahnen an, dann halte ich Ausschau nach Laub- und Nadelbäumen, sowie allfarbige Mooshecken.
Und in den Kinderwühlkisten findet man das ein oder andere heimische Haus- oder Wildtier.
Inzwischen, 19 Jahre später, umfasst das Städtle eine Altstadt mit Stadtmauer und Fachwerkhäusern, sowie einen gediegenen Stadtteil mit Bahnhof, Weihnachtszug und einer Straße, die sich ein paar Oldtimer, mit festlich geschmückten Pferdeschlitten teilen.
Es gibt eine Burg. Sie ist eingebettet in einen bewaldeten Berg, der mit vielen Tieren bevölkert ist.
In einem abgelegenen Tal am Fuße eines anderen Berges steht ein Bauernhof mit all seinen Nutztieren.
Mehrere Kirchen bieten den Chören und Musikgruppen vor ihren Portalen einen Platz zum Singen und Musizieren.
Ein großer, zugefrorener See in Altstadtnähe, beherbergt den Weihnachtsmarkt. Ein Dutzend Stände mit Basteleien, Leckereien, fliegenden Händlern säumen das Eis. In der Mitte steht eine Tanzfläche mit Tannenbaum, aber die Schmuckstücke sind ein beleuchtet Riesenrad und der fliegende Weihnachtsmann.
Und all das umfasst circa 5 qm und ist mit 60 Häusern und über 100 Figuren bevölkert.
Es dauert drei Abende (und einige Phantasie) die Stadt aufzubauen. Es ist eine schöne Zeit, auf die ich mich immer wieder sehr freue.
Danke, dass ihr mich in diesem Jahr auf meinem Spazierweg begleitet habt.
Sohnemann ging in den Kindergarten und er war damals gerade vier Jahre alt geworden. Am 5. Dezember war am Nachmittag der Besuch vom Nikolaus angesagt, allerdings ohne den „bösen“ Knecht Ruprecht. Die Mütter hatten zuvor bei einem Elternabend beschlossen, das sei zu viel Aufregung, zumal der Nachmittag ohne Eltern stattfinden sollte.
Einige Tage zuvor hatten wir für unser Kind ein Päckchen gepackt mit einem Geschenk und allerlei Süßigkeiten und mit seinem Namen versehen. All diese Vorbereitungen versprachen also, dass dies ein schöner, unvergesslicher Nachmittag für unsere Kleinen werden würde. Natürlich hatte jedes Kind zuvor auch ein Gedicht gelernt, um es dann aufsagen zu können.
Da der Kindergarten nur um die Ecke war, marschierte Peterchen voller Vorfreude los, in Erwartung des Nikolauses und allem, was noch kommen sollte. Um kurz nach 17 Uhr, es war ja bereits dunkel, holte ich ihn wieder ab. Einige Kinder waren schneller draußen und zeigten stolz ihre Tüten und Geschenke. Alle hatten rote Bäckchen und die Augen leuchteten – nur mein Sohn trottete langsam mit gesenktem Kopf aus der Tür. In seinem Gesichtchen funkelte nichts und mein erster Gedanke war, er hat was schrecklich Unangenehmes erlebt. Selbst seine Nikolaustüte schlenkerte lustlos an seinem Ärmchen. Natürlich fragte ich ihn sofort: „Schatz, was ist denn los, hat Dir jemand weh getan oder was ist passiert?“
Er schüttelte nur den Kopf und zog mich vom Kindergarten weg in Richtung unseres Hauses. Dort angekommen setzte ich ihn dann zu mir auf den Schoss und wollte nun genauer wissen, was geschehen war. „Nun erzähle doch mal, wie hat Dir denn der Nikolaus gefallen und was hat er Dir denn geschenkt?“
„Das war nicht der Nikolaus“, brummelte er an meiner Schulter, „das war nur ein Vertreter!“ Jesses, was war denn da passiert?
„Wie nur ein Vertreter?“
„Es gibt gar keinen Nikolaus, haben die gesagt.“
„Wer hat das gesagt?“
„Der doofe Jochen und der Klaus wusste das auch!“
„Und das glaubst Du so einfach?“
„Ja, die sind ja bald 6 und Tante Lisa hat das dann auch gesagt, weil einer allein könnte das gar nicht schaffen. Weil es so viele Kinder gibt.“
„Hm, na ja, ist das denn so schlimm, wenn es so wäre?“, ich wusste nicht so recht, was ich nun tun sollte, wenn sogar die Lisa als Kindergärtnerei … .
„Du magst doch auch keine Vertreter, hast du mal gesagt, als da einer Zeitungen verkaufen wollte!“
„Ja, Schatz, aber das ist doch was anderes. Der Nikolaus will doch nichts verkaufen, der hat Dir doch was gebracht, nicht wahr? Hast du dich denn gar nicht darüber gefreut? Du hast es mir noch gar nicht gezeigt.“
„Doch.“, nickte er jetzt ein klein wenig zufriedener, rutschte von meinem Schoss und holte sein neues Feuerwehrauto. Ich war beruhigt – bis zu seiner nächsten Frage: „Ist der Weihnachtsmann auch nur ein Vertreter?“
Hin- und hergerissen, was ich nun damit machen solle, nickte ich nur, weil ich befürchtete, dass ihm mit Sicherheit gar bald auch diese Illusion geraubt würde. Ergeben nahm er dies zur Kenntnis und meinte dann: „Und das Christkind gibt es ja auch nicht, das weiß ich schon lange, weil die das ja damals tot gemacht haben.“
Und damit beendete er von sich aus diesen Aufklärungsmarathon und spielte in seinem Zimmer mit seinem neuen Auto. Einige Zeit später, es war Schlafenszeit für Sohnemann, las ich ihm noch eine Geschichte vor und ich hatte das gute Gefühl, dass er die ganzen Offenbarungen ganz gut überstanden hatte. Natürlich kam auch der obligatorische Gutenachtkuss und er kuschelte sich recht zufrieden in seine Zudecke. Ich erhob mich und ging Richtung Tür.
Da hob er nochmal den Kopf, strahlte mich an und meinte: „Mama, wann ist Ostern, dann kommt ja bald der Osterhase und ich bin ja so froh, dass es wenigstens den noch gibt, darauf freue ich mich jetzt schon ganz dolle!“
Diese Zuversicht und kindliche Freude konnte und wollte ich ihm nun nicht auch noch rauben, gab ihm den genauen Ostertermin und überließ ihn seinen Träumen vom Osterhasen.
Nele ging gerne zu ihrem Großvater. Er war zwar schon alt und roch manchmal etwas seltsam, aber er konnte wunderbare Geschichten erzählen. Nicht von Feen, Hexen, Drachen und Prinzen, sondern von Dingen aus der Zeit, als Opa selbst noch ein Kind war. Was gab es für eigenartige Sachen! Nele erfuhr, dass Telefone früher Schnüre und keine Tasten, sondern so eine komische Scheibe hatten, wo man seine Finger hineinstecken musste. Oder, dass die Fernseher einst winzig klein waren und keine bunten Bilder zeigten.
Gerne spielte Nele mit ihrem Opa ein Spiel. Sie sagte dann irgendein Wort, dass sie aufgeschnappt hatte und der Großvater musste dann darüber etwas erzählen. Heute hatte Nele gehört, wie Papa zur Mama sagte: „Schade, dass es keine Eisblumen mehr gibt!“. Sie konnte sich nicht vorstellen, was das war – Eisblumen!
Aufgeregt lief Nele zum Opa, sie war begierig darauf, zu erfahren, was das war. Kaum hatte sie ihre dicke Jacke ausgezogen, plapperte sie auch schon los: „Opa, Opa, was sind Eisblumen? Was sind Eisblumen? Sag mir das, bitte, bitte!!!!“ Der Großvater lächelte und antwortete: „Nun, setz dich erst einmal hin, meine Kleine. Ich habe dir einen heißen Kakao gemacht. Den trinkst du doch so gerne.“ Er goss seiner Enkelin ein und legte seinen Kopf auf seine Hände. So konnte er Nele direkt in die Augen sehen.
„Also, weißt du, Nele, früher als ich so klein war, wie du heute, gab es noch keine Heizungen in den Wohnungen. Wir hatten Kohleöfen. Da war es dann mollig warm, ganz besonders wenn man direkt davor saß. Und draußen war es bitterkalt...“
„Und wo sind jetzt die Eisblumen, Opa? Du wolltest von Eisblumen erzählen“, unterbrach Nele und zappelte mit ihren Beinchen. Das tat sie immer, wenn sie aufgeregt war.
„Nur Geduld, Nele. Die Fensterscheiben waren damals noch ganz, ganz dünn, nicht so dick wie jetzt. Dann bildeten sich dort im Winter wunderschöne Muster, die man Eisblumen nannte. Du weißt doch wie eine Schneeflocke aussieht, Nele? So sahen die auch aus, nur viel größer!“
„Wie groß Opa? Wie groß?“
Der Großvater überlegte und sagte dann: „Hmm, so groß wie deine Händchen würde ich sagen. Die Eisblumen bedeckten manchmal die ganze Scheibe, so das man kaum noch hinausschauen konnte. Ja, das war wirklich wunderschön. Aber seit vielen, vielen Jahren hat man das nicht mehr gesehen.“
„Warum nicht, Opa? Warum nicht?“
„Ich habe dir doch erklärt, dass unsere Fensterscheiben jetzt dicker sind. Und es hat keiner mehr einen Kohleofen. Tja, und so kalte Winter gibt es auch nicht mehr.“
„Gibt es nirgendwo mehr Eisblumen, Opa? Nirgendwo? Nicht auf der ganzen Welt?“
„Hmm, in Sibirien vielleicht. Aber das ist viel zu weit.“
Nele kamen die Tränen. Sie sagte schluchzend: „Ich will aber Eisblumen sehen, Opa! Kannst du nicht irgendwo mit mir und Papa und Mama hinfahren, wo es noch Eisblumen gibt? Das wünsche ich mir zu Weihnachten, ich möchte auch gar nichts anderes haben!“
„Hmm, in sechs Tagen ist Heiligabend, Nele. Vielleicht wird dein Wunsch doch noch erfüllt.“
Ihm war eine Idee gekommen. Er erinnerte sich an den Brocken. So weit er wusste, war es dort immer sehr kalt und im Winter lag dort viel Schnee. Und selbst, wenn an den Fenstern der Gaststätte keine Eisblumen wären, wäre es ein tolles Erlebnis für die Kleine. Darum sagte er: „Nun, Nele, wenn du bis Weihnachten ganz, ganz artig bist, wird der Weihnachtsmann vielleicht doch noch Eisblumen für dich finden.“
Am Morgen des Heiligen Abend erwachte der Opa sehr früh. Er ging zum Fenster. In der Nacht hatte es ein wenig geschneit, aber jetzt war es ordentlich kalt. Der Himmel strahlte im schönsten Blau, keine Wolke war zu sehen. Er rieb sich die Hände. Das hatte ja sehr gut geklappt. Mit seiner Tochter und dem Schwiegersohn hatte er vereinbart, dass man zu viert in den Harz fahren würde. Von Wernigerode aus, wollte man mit der Brockenbahn bis an die Spitze des Berges fahren.
„Sind wir gleich da?“, quäkte Nele schon, als sie von Hannover losgefahren waren. Diese Frage wiederholte sie noch ein paar Dutzend mal. In Wernigerode angekommen, staunte Nele über den vielen Schnee. Noch aufgeregter war sie, als sie die alte Dampflok sah, die schnaubend auf den Gleisen stand. Mächtige Dampfwolken stiegen aus der Lok empor. Es roch gar nicht gut, aber das war Nele egal. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen.
„Wir haben heute eine wunderbare Fernsicht. Sie haben wirklich Glück. Fast das ganze Jahr liegt dichter Nebel über die Spitze des Brockens. Heute jedoch nicht. Man kann sogar bis Braunschweig sehen!“, erklärte ihnen ein Mann am Bahnsteig. Er trug eine dunklen Uniform mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. Nele stieg mit ihren Eltern und dem Großvater in eine der altmodischen Wagons. Sie setzten sich, und Nele durfte am Fenster Platz nehmen. Noch immer war der Himmel strahlend blau.
„Und gibt es jetzt Eisblumen? Gibt es Eisblumen“, rief Nele aufgeregt und zappelte mit ihren Beinen. „Lass dich überraschen, Nele. Ich habe vorhin noch mit dem Weihnachtsmann telefoniert“, antwortete der Opa. Langsam setzte sich der Zug ruckelnd in Bewegung. Nach ein paar Meter wurde es plötzlich dunkel. Nele schrie auf. „Du musst keine Angst haben, Nele! Das ist nur ein Tunnel. Gleich wird es wieder hell“, sagte ihr Vater und streichelte seiner Tochter über den Kopf. Und tatsächlich behielt er Recht.
Die Fahrt dauerte einige Zeit. Nele staunte, dass der Schnee draußen immer mehr wurde. Die Bäume bogen sich von den Massen, die auf ihnen lag. „Gleich sind wir da, Nele.“, erklärte ihre Mutti. „Sehen wir dann die Eisblumen? Sehen wir dann die Eisblumen?“, rief das Mädchen aufgeregt.
Kaum hatten sie den Zug an der Bergstation verlassen, stürmte Nele auch schon hinaus und wollte wegrennen. In der Ferne hatte sie eine Holzhütte gesehen. Ihr Vater konnte sie gerade noch festhalten. Der Mann in der Uniform hatte nicht zu viel versprochen. Das Wetter war wunderschön, auch wenn es bitterkalt war. Sie stapften durch den dicken Schnee. Knirschend gab er nach. Sie gingen zu einen kleinen Turm mit einer Kuppel, der Brockenherberge.
Und tatsächlich, als sie im Inneren des Gasthauses waren, sah Nele an den Fenstern zum ersten Mal in ihrem Leben Eisblumen. Sie bedeckten fast die ganze Fensterscheibe, so wie der Opa das beschrieben hatte, und waren noch viel, viel schöner, als sie sich das vorgestellt hatte.
„Danke, danke!“, rief Nele überglücklich und strahlte über das ganze Gesicht. Ihr größter Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Vorwort
Als ich durch Zufall diesen Jungen kennenlernte, erfasste ich das erste Mal die unglaublichen Dimensionen, die ein wirklich kranker Mensch erleiden konnte, und letztlich auch musste. Für ihn war ich ein fremder Mensch, der ihm aber zuhörte, und ihn in seinen Ängsten, seinen Überlegungen und seinen Träumen nicht unterbrach, und seine eigenen Empfindungen nicht mit den üblichen Phrasen, wie wird schon wieder, oder du wirst sehen wenn..., belegte. Er wollte wie ein normaler, mitteilsamer Mensch behandelt werden, jemand der sich offenbarte. Dann hörte er von meinem gesundheitlichen Problem. Seit dem hat sich unser beider Leben verändert.
Zwei Träume
Ich lernte durch Zufall bei einem Krankenhausbesuch einen sehr tapferen Jungen mit Namen Niko kennen, dessen Name eine Ableitung von Nikolaus bedeutet. Seinen Geburtstag feierte er am 6.Dezember 2013, dem Nikolaustag, an dem er 11 Jahre alt wurde. Niko leidet seit seinem fünften Lebensjahr an akuter lymphatischer Leukämie, der ALL, und verbrachte bald die Hälfte seines Lebens im Krankenhaus.
Der Leidensweg dieses Jungen ist selbst für Hartgesottene eine kleine Herausforderung, denn die Heilungschancen für ihn sind nur noch auf 20% aller ärztlichen Erwartungen zusammengeschrumpft. Fast hatten die behandelnden Ärzte seinen Blutkrebs im Griff, als man im ganzen Körper Streukrebs feststellte. Für alle Beteiligten eine ungeheure Belastung, aber wie der Junge mit dieser Krankheit umgeht, ist nicht nur bemerkenswert, sondern auch zu bewundern.
Hier ist seine ganz persönliche Geschichte:
„Hallo, mein Name ist Niko, ich wurde am 6. Dezember 2013 - 11 Jahre alt, und bin seeeeehr entfernt mit dem heiligen Nikolaus verwandt. Er hat mich immer beschützt, gerade dann, wenn ich ihn im Traum herbeigerufen hatte, und ich ihm von meinen Schwierigkeiten erzählte. Ich habe seit 6 Jahren Leukämie, eine besonders schwere Art, die nur mit ganz grässlichen Medikamenten besiegt werden kann. Eine der Schwestern im Krankenhaus heißt Monika, sie nimmt mir meistens mein Blut ab, weil sie darin eine sehr große Erfahrung hat. Nur leider ließ sich das Blut sehr schwer in eine große Spritze pressen, weil es zu dickflüssig war. Man gab mir tagelang Verdünnungsmittel, welches fürchterlich roch. Aber es half soweit, dass man etwas aus der Vene entnehmen konnte.
Nach der Blutverdünnung durfte ich das erste Mal wieder aufstehen und ein wenig in der Station herumlaufen. Ich würde so gerne mit dem Fußball spielen, besser noch, Fußballprofi werden. Der Arzt sagt, dass ich dazu noch viel Geduld aufbringen müsste. Ich träume oft davon, ein guter Stürmer zu sein und viele Tore zu schießen. Ich glaube, ich werde an meinem Geburtstag noch einmal den heiligen Nikolaus bitten, mir zu helfen, vielleicht gelingt es ja doch noch.
Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich einen Kopf ohne Haare. Schwester Monika meinte, die Haare wachsen irgendwann wieder nach. Hier auf meinen Bildern von früher hatte ich viele Haare auf dem Kopf, so möchte ich wieder aussehen, dann werde ich lange nicht mehr zum Frisör gehen. Aber ich glaube, jetzt muss ich noch mehr Geduld zeigen, denn nun habe ich überall im Körper Krebsgeschwüre. Der Arzt sagt, ich müsste jetzt noch tapferer sein, als vorher, aber immer fest daran glauben, dass ich wieder gesund werde. Und ich will wieder gesund werden. Ich weiß, dass man am Krebs sterben kann, und ich nicht sehr weit davon entfernt bin. Ich glaube, man weiß, wann es soweit ist, so etwas fühlt man bestimmt. Doch ich habe noch nichts gefühlt, also werde ich versuchen, noch durchzuhalten.“
Niko schaute mich mit seinen dunkelbraunen Augen fest an, nickte dazu und meinte: „Ich würde mich freuen, wenn du mich wieder besuchst, denn so viele Besucher kommen nicht mehr zu mir, nur meine Eltern und meine beiden Brüder. Meine Schulfreunde denken sowieso, ich wär schon tot, bin ich aber nicht. Wenn du nächstes Mal kommst, können wir uns weiter unterhalten, ich werde im Moment sehr müde.“
Ich verließ mit einer sehr nachdenklichen Miene das Krankenzimmer. Dieser Junge hatte mir selbst sehr viel Kraft gegeben, die ich für den eigenen Krebs sehr gut gebrauchen konnte. Es bestärkte mich darin, diesen willensstarken Jungen weiter zu besuchen.
Das tat ich dann auch, denn meine Aufenthalte zum Erhalt meiner Chemo-Infusion im Krankenhaus nutzte ich, um Nico zu besuchen. Wir spielten "Mensch ärgere dich nicht", verschiedene Kartenspiele, oder ich las ihm vor. Inzwischen wusste er auch von meiner Krankheit, und er versuchte mich in seiner Kindlich-Erwachsenen-Art auf zu richten. Inzwischen richten wir uns beide gegeneinander auf. Wenn ich von der Chemo komme, meine eigenen körperlichen Probleme wachsen, er mich mit seinen braunen Knopfaugen fragend anschaut, vergesse ich bald meinen eigenen Krankheitsstatus. Wenn er sich besonders schlecht fühlt, rede ich ihm gut zu. Inzwischen hatte er wieder Geburtstag und wurde 12 Jahre alt. Seine ganz neue Chemotherapie scheint bei ihm anzuschlagen, ihm geht es so viel besser, dass er über Weihnachten nach Hause kommen kann.
Wir verabredeten gegenseitig, auch weiterhin im Gesundheitswettbewerb zu bleiben.
Die Freundschaft zwischen diesem Jungen und mir wuchs inzwischen zu einem wahren Bestandteil unserer gegenseitigen Gedanken. Ich weiß nicht, ob er mir mehr Kraft gibt in dieser doch sehr komischen Situation, oder ich ihm unbewusst eine Aufgabe erteilt habe, an die er sich klammert, um dabei seine Krankheit vielleicht zu besiegen, wer weiß?
Weihnachtliche Gedanken
Es braust und orgelt durch die Gassen,
dazu Eiskristalle, die sich niederlassen.
Die Natur erstarrt, es ist bitterkalt,
kein Platz draußen für Jung und Alt.
Es schneit und schneit, man ist bereit
zum Wiegenfest der Weihnachtszeit.
Die Kinder schreiben`s Christkind an,
ob es die Wünsche auch erfüllen kann?
Ein Familienfest in vielen Dimensionen,
Erwartungshaltung weckt die Illusionen,
sehr perfekt soll diese Feier sein,
man plant und hetzt zum Stelldichein.
Es wird gebacken, gekocht und sich geschunden,
für ein paar wenige gemeinsame Stunden.
Man fiebert dieser Zeit entgegen,
Kirchgänger holen sich den Segen,
Geschenke werden herumgereicht,
man ist zufrieden, oder vielleicht
auch nicht, man erwartet zu viel
im Konsumrausch und Gefühl.
Muss es immer mehr oder größer sein?
Nein, denn die Tradition holt Euch wieder ein.
Weihnachtsfeste so wie ich sie als Kind und Jugendliche erlebte
Die ersten Weihnachtsfeste, an die ich mich erinnern kann, erlebte ich in der Zeit des zweiten Weltkriegs.
Die Bescherung fand damals in meinem Elternhaus immer erst am ersten Weihnachtstag morgens um 5.00 Uhr statt. Am Heiligabend, spätabends, wenn ich schon im Bett lag und eigentlich schlafen sollte, schmückten meine Eltern den Weihnachtsbaum und bereiteten den Gabentisch vor. Trotz des Krieges und es fast nichts mehr gab, gelang es ihnen immer wieder, irgendwo noch eine Puppe und ein paar andere Sachen zu organisieren.
Die Puppe, an die ich mich erinnere hatte einen Porzellankopf, schwarze Zöpfe, echte Haare, Glasaugen, die sie auf und zu machen konnte und das Wort „Mama“ rief sie auch, wenn man sie schaukelte. Jedes Jahr zu Weihnachten hatte sie ein neues Kleidchen an, welches meine Mutter liebevoll genäht hatte Ich nannte sie „Gisela“ nach der Tochter einer Nachbarin, die vier Jahre älter als ich und mein großes Vorbild war. Ich erinnere mich an ein Weihnachtsfest, an dem ich eine wunderschöne Puppenstube bekam, naturgetreu unserer Wohnstube und unserem Schlafzimmer nachgebaut. Mein Vater hatte sie gebastelt.
Da ich mit vier oder fünf Jahren noch an das Christkind glaubte, machte ich mir keine Gedanken darüber, wie die Eltern trotz der schlechten Zeit, fast alle meine Wünsche erfüllen konnten.
Ich schlief in dem Alter noch in einem Kinderbett im Elternschlafzimmer. Vor Aufregung war an Schlaf natürlich nicht zu denken. Ich nervte meine Mutter alle paar Minuten mit der Frage: „Mama, war das Christkind schon da, stehen wir jetzt auf?“
Aber auch diese Nacht war einmal zu Ende und dann war es so weit. Während meine Mutter mir beim Ankleiden half, zündete mein Vater am Weihnachtsbaum die Kerzen an. Elektrische Kerzen gab es zu der Zeit noch nicht. Die Wachskerzen verbreiteten mit den Tannenzweigen einen weihnachtlichen Duft, den ich nicht beschreiben kann, den muss man einfach erlebt haben und den ich heute vermisse. Der Weihnachtsschmuck am Baum war übrigens jedes Jahr der Gleiche. Ich erkannte ihn immer wieder und hatte so meine Lieblingskugeln, z.B. die silberfarbenen, in denen ich mich spiegeln konnte, gerne mochte ich auch die kleinen Glöckchen, die Vögelchen und die kleinen Trompeten.
Nachdem ich mein Gedicht „Denkt euch ich habe das Christkind gesehen" aufgesagt hatte, dabei warf ich immer wieder einen neugierigen Blick zum Gabentisch, durfte ich endlich meine Geschenke in Empfang nehmen.
Bevor ich mich mit den neuen Spielsachen beschäftigen konnte, gesellten wir uns zu meinem Bruder. Er war zehn Jahre älter als ich und saß schon am Klavier. Er spielte Weihnachtslieder und wir sangen kräftig mit. Ich konnte als Kind alle Strophen der Lieder aus dem Weihnachts-notenbuch mitsingen. Mein Lieblingslied war: „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen.“ In der zweiten Strophe heißt es:
Zwei Engel sind herein getreten,
kein Auge hat sie kommen seh`n,
sie geh`n zum Weihnachtstisch und beten,
und wenden wieder sich und gehen.“
Ich schaute dann immer zur Tür, ob nicht auch zu uns die Weihnachtsengel herein treten würden. Aber sichtbar waren sie nicht, vielleicht beteten sie unsichtbar für uns. So ist es vielleicht auch zu erklären, dass unsere Familie vom Bombenhagel verschont blieb.
In den ersten Jahren nach dem Krieg liefen die Bescherungen nach dem gleichen Schema ab, nur mit dem Unterschied, dass wir anschließend den Frühgottesdienst in der Kirche besuchten. Und ganz wesentlich, ich durfte am Heiligabend bis 24.00 Uhr aufbleiben, durfte am Radio noch die Glocken aus aller Welt anhören, erst dann musste ich ins Bett. Als ich dann nicht mehr an das Christkind glaubte, durfte ich auch am Nachmittag des Heiligabend mithelfen, den Baum zu schmücken, Das war für mich schon der erste Höhepunkt des Festes.
Später, so mit 15 Jahren, nachdem ich von Freundinnen und Klassenkameradinnen erfahren hatte, dass bei ihnen die Bescherung schon am Heiligabend statt fand, konnte ich meine Eltern überreden, es auch so zu handhaben. Inzwischen schmückte ich den Baum alleine. Der Christbaumschmuck war immer noch der gleiche, nur ein paar Kugeln, die in den Jahren zuvor zu Bruch gegangen waren, wurden durch neue ersetzt. Und ganz wichtig, die Wachskerzen wurden durch elektrische ausgetauscht, was ich sehr bedauerlich fand. Aber etwas Gutes hatte es doch: Nun brauchte der mit Wasser gefüllte Eimer nicht mehr neben dem Baum stehen.
Die Gedichte, die ich nun unter dem Weihnachtsbaum aufsagte, wechselten auch von Jahr zu Jahr, je nachdem, welches ich gerade in der Schule gelernt hatte.
Die Weihnachtlieder am Klavier spielte ich nun und mein Bruder begleitete mich mit der Klarinette. Zu unserem Repertoire gehörte in jedem Jahr auch das Lied „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen.“ Und ich hoffte jedes Mal, dass die beiden Engel, wenn auch nicht sichtbar, so doch für uns unsichtbar herein treten und für uns beten würden.
Auch heute noch nach über 70 Jahren ertappe ich mich dabei, wie ich zur Tür schaue, ob ich die beiden Engel sehen kann, wenn wir das Lied singen. Ich habe das Gefühl, dass sie wenn auch unsichtbar für uns, mich nun schon über 70 Jahre beschützt haben.
Tief in meinem Herzen bin ich halt immer noch ein wenig Kind geblieben.
Wir schreiben den 20. Dezember 2009. Der Winter hat das kleine Örtchen im Oberbergischen Kreis feste im Griff. Klirrende Kälte und eine erste Schneedecke verleihen dem zweiten Bielsteiner Weihnachtsmarkt eine ganz besondere Atmosphäre. Eisblumen hängen in den Fensterscheiben der renovierten Burg, Dampf steigt aus Glühwein-, Tee- und Kakaotassen. In kleinen Stahlkörben brennende Holzscheite können kaum über die Kälte hinwegtäuschen. Leise Weihnachtsmusik schallt aus den Boxen, zwischendurch unterbrochen von einer Rede oder einem Auftritt auf der Bühne, die auf dem Vorplatz der Burg aufgebaut ist.
Am Nachmittag macht sich ein vermummtes Paar, eine junge Frau Anfang 20 und ein etwas älterer Mann, auf den Weg durch die verschneiten Straßen. Ihr Ziel: der Stand des Johannes Hospiz auf dem Weihnachtsmarkt. Dort würden sie für zwei Stunden Quarkbällchen und schwedischen Glühwein verkaufen. Dick eingepackt in mehrere Lagen Klamotten, gefütterte Jacken und warmen Schuhen, Handschuhe, Schal und Stirnband stapfen sie mit knirschenden Schritten durch den knöcheltiefen Schnee. Zum Glück haben sie es nicht weit und können nach nicht einmal zehn Minuten Fußmarsch die windgeschützte Holzhütte betreten. Eine wohlige Wärme, gepaart mit frischer, eiskalter Luft von draußen empfängt die beiden.
"Hallo, Michael", begrüßen sie den Chef der Johanniter, den die junge Frau bereits seit mehreren Jahren kennt.
"Hallo ihr beiden. Schön, dass ihr helfen kommt. Noch ist es ruhig, aber ich denke, gleich geht es los." Michael weist die beiden, die ihm aufmerksam zuhören, kurz in die anstehenden Arbeiten ein.
Die nächsten Minuten sind zuerst noch ruhig, doch mit der aufziehenden Dämmerung füllen sich der Platz und die Straße rund um die Burg zusehends. Immer mehr Menschen strömen auf den Markt, bleiben hier und dort stehen. Und auch in den vielen Holzbuden und an den Pavillons, wo es Heißes vom Grill gibt, fängt geschäftiges Treiben an.
Auch am Stand des Hospizes wissen die fleißigen Helfer bald nicht mehr, was sie zuerst machen sollen. Sie sind zu viert in der kleinen Holzhütte, stehen sich aber nicht im Weg, sondern ergänzen sich gegenseitig fast schon perfekt. Ob Glühwein oder Quarkbällchen, Geld einnehmen oder Wechselgeld rausgeben, alles läuft Hand in Hand. Zwischendurch tauschen sie ihre Positionen, wärmen ihre Hände an dem kleinen Heizofen oder trinken mal schnell einen Glühwein. Jedes Mal, wenn sie etwas von dem heißen Glühwein trinken, macht sich für eine kurze Zeit lang Wärme in ihren Körpern breit. Doch kaum ist diese verflogen, zieht die Kälte wieder durch alle Ritzen herein.
Die Zeit verfliegt wie im Sturm und blitzschnell sind die zwei Stunden, die das Paar eigentlich helfen wollte vorbei. Sie bemerken jedoch, dass es jetzt erst richtig los geht und da für die folgende Schicht ursprünglich nur zwei Personen eingeplant waren, das Treiben aber nicht nachließ, erklärten sie sich bereit, noch etwas zu bleiben. Dankbar wurde das Angebot der beiden angenommen.
Irgendwann - nach fast vier Stunden in der kleinen Holzhütte - macht sich das Paar wieder auf den Heimweg. Glücklich und zufrieden stapfen sie Hand in Hand durch die klirrende Kälte zurück. Sie freuen sich auf zuhause, auf die Wärme der Wohnung und vielleicht ein schönes Bad zu Zweit ...
Doch wir wollen unser Paar nun alleine lassen, unser Blick wandert noch mal über den Platz, die Straße entlang. Irgendwann erlöschen die Lichter an den Hütten, die Musik verstummt und zurück bleibt die Macht des Winters, der in der folgenden Nacht eine weitere Ladung Schnee und Kälte über das Land bringen wird.
Eigentlich verbrachte ich Weihnachten immer zu Hause. Zumindest den Hl. Abend. Erst in meinem Elternhaus und dann zusammen mit meinem Mann. Selbst nach seinem Tod war mein zuhause immer noch unser altes Häuschen. Und es war keine Frage für mich, dass ich auch am Hl. Abend dorthin gehörte.
Aber dann wurde ich vor ca.10 Jahren von einem Freund eingeladen, Weihnachten bei ihm im Norden zu verbringen. Ich wusste, dass es ein Fest anderer Art werden würde. Denn von dem ganzen Festtagsrummel, so warnte er mich im Voraus, wolle er nichts wissen. Trotzdem stieg ich an einem kalten Dezembertag am Würzburger Hbf. in den Intercity nach Hamburg. Vorsichtshalber hatte ich mit Platzkarte gebucht, denn ich wollte diese lange Reise in Ruhe mit einem Buch verbringen.
Bei meiner Ankunft in Hamburg hatte ich mich eigentlich auf den Besuch eines der Weihnachtsmärkte gefreut. Zumindest hatte er es mir unter Vorbehalt versprochen. Doch wie Männer oft sind, wurde der Markt schnell als uninteressant abgetan. Er hatte ihn während der Wartezeit auf mich schon besichtigt. Meine Enttäuschung wurde aber schnell von Verständnis abgelöst. Schließlich hatten wir noch eine gute Strecke mit dem Auto zu fahren, in einen kleinen Ort bei Heide. Die Heizung im Auto war kaputt, und er hatte mir fürsorglich eine warme Decke und Handschuhe mitgebracht.
Auf seinem alten Hof wurde ich dann von den beiden Hunden begrüßt. Es war gleich beiderseitige Zuneigung. Der ruhige Schäferhund und der lebhafte Bordercollie wichen kaum mehr von meiner Seite. Ich fühlte mich gleich wohl. Und siehe da auf dem Tisch lag sogar eine Weihnachts-decke. Das hatte ihm seine Mutter aufgetragen. Am Fenster meines Schlafzimmers im ersten Stock leuchtete dann noch eine Lichterkette im Fensterrahmen. Damit schon mehr als erwartet. Ein kleines Geschenk hatte ich ihm auch mitgebracht.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, von ihm keines zu bekommen, hätte mich nicht gestört. Und das bemerkte er wohl auch. Beim gemeinsamen Einkauf erstand er, praktisch denkend, nach Rückfrage ein Paar warme Kniestrümpfe für mich. Ja, die konnte ich in diesem Winter gut gebrauchen. Denn vor uns lag eine herrliche Schneelandschaft mit entsprechenden Temperaturen.
Das Einpacken erließ ich ihm. Und trotzdem fuhr er nochmals los um Geschenkpapier zu kaufen. Und das nur für einen kleinen Weihnachtsbaum den wir, schon fertig geschmückt, noch im letzten Moment erstanden hatten. Und der sah in seinem schlichten Pflanztopf etwas mickrig aus. Dafür konnte er dann nach den Feiertagen im Garten eingepflanzt werden. Wie viel Weihnachten wollte ich denn noch? Zumal es noch einen herrlich knusprigen Entenbraten geben sollte.
Die Tage verliefen friedlich in einer warmen Stube mit zwei Hunden, dem Besuch eines kleinen Weihnachtsmarktes und einem Abstecher nach Hamburg. Mutter sollte schließlich auch etwas vom Weihnachtsbraten haben.
Silvester verbrachten wir trotz Einladung auch im gemütlichen Haus und beobachteten die Feuerwerke der etwas entfernten Siedlung. Und dann am Neujahrstag ein Strandspaziergang in St.Peter Ording, bei beißender Kälte. Auf dem Hinweg machte sich der kalte Wind noch nicht so bemerkbar, aber heimwärts bedauerte ich jeden Ahnungslosen, der den Rückweg noch vor sich hatte. Trotzdem war es wunderschön. Wie diese ganze Weihnachtszeit fern von zu hause.
Es war ein wunderschöner Wintertag. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel und ließ den Raureif auf den Tannen- und Fichtennadeln festlich glitzern. Der Wald trug ein strahlend weißes Festkleid und funkelte wie mit Edelsteinen besetzt. Doch kalt war es für alle Lebewesen; auch für die Tiere des Waldes. Wer sich nicht bewegte oder ein windstilles, sonniges Fleckchen gefunden hatte, der konnte heftig frieren.
Für die Tannenmeisen war das Wetter genau richtig. Sie hüpften von Zweig zu Zweig und flogen von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, wobei sie ständig nach Futter Ausschau hielten.
Trotz des Winters fanden sie reichlich Insektenlarven, die überall in der Baumrinde steckten. Besondere Happen waren verpuppte Schmetterlinge. Als Reserve konnten sie jederzeit auf die Samen in den Tannen-, Fichten- und Kiefernzapfen zurückgreifen. Die würden nie alle werden.
Die kleinen Vöglein mit den großen weißlichen Kopfseiten kannten sich gut aus im gesamten Revier.
Wenn sie mal eine reichere Mahlzeit einnehmen wollten, dann flogen sie einfach zu den Futterhäuschen in der Nähe der Menschen, wo sich viele Vögel versammelten. Dabei ließen sie das ganze Jahr über - auch jetzt im Winter - ihr munteres "Wiize-wiize" hören. Und den flinken Äuglein der kleinen bunten Sänger entging nichts.
Da, in der Achsel eines starken Nadelzweiges, dicht an den Stamm gedrängt, hockte ein winziges graubraunes Wesen, nicht größer als unsere Tannenmeise, welche eine Runde um den Baum herum flog, dann ihren Hals in die Richtung des schlanken Stammes reckte, um sich schließlich geradewegs auf dem Ast nieder zu lassen, auf welchen sich das kleine Tierchen verkrochen hatte.
"Wiize-wiize, wer bist denn du?"
"Ich bin die Haselmaus."
"Wieso sitzt du dann in einem Weihnachtsbaum?"
Die jungen Nadelbäume wuchsen nämlich auf dem guten Boden einer Schonung für Weihnachtsbäume.
Sie trugen sattes Grün.
"Ich musste vor dem Fuchs flüchten. Er hat unseren Bau unter der Wurzel des Haselstrauches entdeckt und ihn mit seiner Schnauze und den Pfoten auseinander gewühlt, um uns zu fressen. Ich konnte gerade noch an ihm vorbei schlüpfen. Auf dem Boden hätte er mich gekriegt, weil er durch seine langen Beine ja viel schneller ist als ich. Aber klettern kann er nicht! Das war meine Rettung. So lief ich den Tannenbaum hinauf, bis in die obersten Zweige. Fürs Erste war ich gerettet. Aber jetzt kommt der Hunger, und ich traue mich nicht hinunter auf die Erde. Und kalt ist es auch. Ich friere so sehr. In unserem Bau war es so schön warm."
Über das kleine Mausgesichtchen rannen die Tränen.
"Ich werde verhungern und erfrieren."
"Ach, liebe Mausi, du muss nicht weinen", sagte die gute Meise. "Komm mit in meine Stube. Heute ist Weihnachten. Ich lade dich ein."
Die Haselmaus folgte der Meise, die sich zwei Äste weiter unten niederließ, mit den Augen. Dann lief sie am Baumstamm hinunter.
"Schau, hier ist der Eingang. Komm, folge mir."
"Oh, wie gemütlich!" staunte die Maus. Hinter dem runden Eingangsloch war es angenehm warm, und in der kleinen Höhlung befand sich ein einladendes, mit Federn ausgepolstertes Nest. Das hatte sie nicht vermutet. Dahinter lagen ein paar Tannen-und Kiefernzapfen.
"Komm, mach es dir bequem. Und hiermit", die Tannenmeise zeigte mit dem Schnabel auf einen der Zapfen, "können wir deinen ersten Hunger stillen."
Sie ließen sich die Samen der Nadelbäume schmecken und betrachteten durch das Türloch den Nachthimmel, an welchem inzwischen Tausend Sterne leuchteten.
"Weißt du was", sagte die Meise, "du kannst hier bleiben. Ich habe noch zwei weitere Wohnungen in den Bäumen nebenan. Diese hier schenke ich dir, weil heute Weihnachten ist!"
"Ach bist du lieb. Hab Dank dafür!"
Überglücklich küsste das Mäuschen den kleinen Vogel auf seinen weißen Seitenfleck.
Nur wenige Sterne leuchteten am Firmament. Die Nacht war klar, fast Wolken frei.
Eine einzelne Schneeflocke machte sich bereit, taumelnd der Erde entgegen zu eilen.
Fast wie betrunken schwankte sie im leichten Wind, der die sibirische Kälte noch unerträglicher machte, abwärts.
Der junge Mann blickte hinauf. Hinauf in den klaren Nachthimmel. Gerade einmal 22 Jahre alt, zeigten seine Züge doch schon tiefe Spuren des Alterns. Nicht nur der Hunger hatte seine Wangen einfallen und sein Gesicht alt und schmal werden lassen. Auch die Traurigkeit, welche in seinem Blick lag, ließ erkennen, dass er schon mehr, sehr viel mehr erlebt und gesehen hatte, als man es von seinem erst jungen Leben erwarten durfte.
Gerade als er den Blick gen Himmel richtete, landete die Schneeflocke unterhalb seines rechten Auges und ließ ihn für einen Moment blinzeln. Fast wie eine Träne wirkte es, als die Flocke auf seiner Haut zu schmelzen begann, was sein Gesicht noch trauriger, noch hoffnungsloser erscheinen ließ.
Seit drei Jahren steckte er schon in dieser, längst zerschlissenen Uniform. Drei Jahre erst und doch, fast ein ganzes Leben lag zwischen dem Damals und dem Diesseits.
Niemand hatte ihn jemals gefragt, ob er es gut hieß. Ob er die Uniform und diesen Krieg wollte, über dessen Sinnhaftigkeit er sich niemals Gedanken gemacht hatte.
Und nun?
Nun stand er hier, weit entfernt der Heimat, die ihm heute, am Heiligem Abend, noch ferner vorkam, als in all den vielen vergangenen Tagen, seitdem er als Soldat die Grenze ins russische Reich überschritten hatte.
Als man ihn gefangen genommen hatte, schien es ihm fast wie eine Erlösung. Der Krieg ist aus, dachte er damals. Für mich ist dieser Krieg aus. Die vorgehaltenen Maschinenpistolen der russischen Soldaten konnten ihm keinen Schrecken mehr einjagen. Die Worte, die man ihm entgegen geschleudert hatte, in einer Sprache, die er nicht verstand, wirkten auf ihn nicht bedrohlicher, als die Kommandos die er in den drei Jahren als Soldat von seinen Vorgesetzten empfangen hatte.
Der Krieg ist aus, war alles, an das er denken konnte.
Mit den Händen versuchte er, seine Uniformjacke noch fester um seinen frierenden Körper zu ziehen. Ein unsinniges Unterfangen. Das wusste er selbst, mussten es doch mehr als 30 Grad Minus sein, hier in dieser Nacht, an diesem verlorenem Ort, irgendwo in den Weiten Sibiriens, wohin man ihn und seine Kameraden geschafft hatte, gleich nach ihrer Gefangenschaft.
Der gefrorene Schnee knirschte unter seinen Schritten, als er sich wieder den Lagerbaracken zuwendete, in denen sie untergebracht waren.
An die 30, aus grobem Holz errichtete, lang gestreckte Gebäude standen dort in der unendlichen Weite Sibiriens, schienen sich vor der erbarmungslosen Kälte und der Weite des Himmels zu ducken. Nirgends war ein Zaun zu sehen. Wohin hätte man auch flüchten sollen, außer dorthin, wo im Winter der eisige Tod auf einen wartete und im Sommer glühende Hitze?
Zu groß war der Hunger nach Leben, um dort hinauszugehen.
Missbilligende Blicke seiner Kameraden trafen ihn, als er die Tür zu einer der Unterkünfte aufdrückte, brachte doch sein Eintreten einen Schwall eisiger Luft mit in den Raum, in dem an die 50 Männer auf einfachen, mit Strohsäcken versehenen Holzgestellen saßen, die des Nachts als Betten dienten.
In einer Ecke des Raumes glühte ein kleiner Ofen wummernd vor sich her, der es aber doch nicht schaffte, den Raum mit Wärme zu füllen. Hier drinnen war die Luft fast unerträglich. Die Ausdünstungen von 50 Männern hatten die Luft geschwängert und es dauerte jedes Mal Minuten, bis man sich an diesen Gestank gewöhnt hatte, wieder frei atmen konnte und ihn schließlich nicht mehr wahrnahm.
Sie alle waren einmal so grundverschieden gewesen und doch, jetzt, hier in diesem Lager, schienen sie sich alle ähnlich.
Männer, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Dienstränge. Hier in diesem Lager waren sie eins geworden. Brüder in ihrer Hoffnungslosigkeit, vereint durch einen kleinen Funken, der Sehnsucht Leben zu dürfen.
Sie alle trugen dieselben Spuren des Krieges und des Hungers mit sich herum. Sie alle blickten aus den gleichen, tief in ihren Gesichtern liegenden, traurigen Augen einer Welt entgegen, von der sie nicht wussten, ob sie noch ein Teil von ihr waren oder jemals wieder sein durften.
Der junge Mann drängelte sich zu seinem angestammten Platz durch. Ließ sich schließlich zwischen zwei seiner Kameraden nieder, die unwillig Platz machten.
Es war ungewöhnlich still in dieser Nacht, der Heiligen Nacht 1944.
So wie auch er, hingen die Männer ihren Gedanken nach, ließen sich von ihnen forttragen, träumten von ihren Familien, glücklichem Kinderlachen unter dem Weihnachtsbaum. Träumten von der wohligen Wärme daheim, vom Tannenduft und dem Glanz der Kerzen.
Sie alle träumten von der Heimat. Einer Heimat, von der sie nicht wussten, ob sie sie jemals wiedersehen werden.
Nur das Knacken des brennenden Holzes im Ofen unterbrach hier und da manchmal die bedrückende Stille.
Schmerzhaft wurde es dem jungen Mann bewusst, auch er trug das schier unerträgliche, bohrende Heimweh in sich.
Wieder richtete er sich auf, hielt er es doch nicht länger aus, ein Teil all der Traurigkeit zu sein.
Es zog ihn wieder hinaus, dort wo die beißende Kälte die Gedanken freimachte und die Sehnsucht erträglicher schien.
Es würde bald wieder Schnee geben, dachte er, als seine Blicke über den dunklen Nachthimmel schweiften. Eisige Windböen peitschten über die kahle Landschaft, wirbelten staubgleich den Schnee auf, dort wo er nicht zu einer festen Masse aus Eis erstarrt war.
Noch immer stand er da, den Blick in der unendlichen Dunkelheit gefangen, als ihm plötzlich jemand zaghaft auf die Schulter klopfte.
Erschreckt wirbelte er herum.
Vor ihm stand eine Frau, die ihm schüchtern entgegen blickte.
Klein und unförmig in ihrem dick, mit allerlei Tüchern eingewickeltem Körper, stand sie vor ihm. Ihr fest um den Kopf gewickeltes Wolltuch ließ nur wenig von ihrem Gesicht erkennen. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie ihm ein, in einfaches Wachspapier gewickelte, Päckchen entgegen hielt.
"Spasibo", danke, sagte er. Eines der wenigen russischen Worte, die er gelernt hatte.
Dabei nahm er vorsichtig das Päckchen aus ihren, ihm entgegen gestreckten Händen entgegen.
Schnell drehte sich die Frau gleich darauf um und verschwand, ihren Körper gebückt gegen die Kälte stemmend, in der Dunkelheit.
Minuten noch schaute er ihr hinterher. Schon längst hatte die Nacht sie verschluckt, als er immer noch da stand und in die Richtung blickte, in der sie verschwunden war.
Erst jetzt öffnete er vorsichtig, mit klammen, steifgefrorenen Fingern das Päckchen. Das Lächeln, welches sich warm auf seinem Gesicht ausbreitete, ließ für einen kurzen Augenblick den Jungen hinter dem altem Gesicht erkennen.
Ebenso vorsichtig, wie er es soeben ausgepackt hatte, wickelte er das steife Wachspapier über den Inhalt. Dann eilte er seiner Baracke entgegen.
Wieder diese missbilligenden Blicke seiner Kameraden, als er die Tür zu ihrer Unterkunft aufstieß.
Doch dieses Mal ließ er sich nicht davon beirren, eilte, so schnell es die Masse der Körper zuließ, in die Mitte des Raumes, wo er sich auf den Boden niederließ.
Beäugt von seinen Kameraden öffnete er vorsichtig das Päckchen.
Ein einfacher Kiefernzweig kam daraus hervor. Eine einzige rote Schleife, vielleicht ein ehemaliges Haarband, zierte diesen und eine weiße Wachskerze kullerte über den Holzboden.
Ein Raunen ging durch den Raum.
Gebannt schauten die Männer ihm zu, wie er vorsichtig die grünen Verästelungen des Kiefernzweiges in Ordnung brachte, wie er die rote Schleife in Form zupfte und schließlich die Kerze auf dem Zweig befestigte. Einer der Männer drängelte nach vorne, holte fahrig eine Schachtel Streichhölzer aus den Tiefen seiner zerschlissenen Jacke und entzündete mit zitternden Händen die Kerze.
Auch jetzt waren sich die Männer ähnlich, ähnlich in ihrem Lächeln, ähnlich in dem sanften Licht des Kerzenscheins, welches die Falten des erlittenen der vergangenen Jahre, das sich in ihre Gesichter gegraben hatte, in Züge voller Hoffnung verwandelte.
Sie alle starrten auf den Boden zu ihren Füßen. Die, die weiter hinten im Rau gesessen hatten, drängelten nun nach vorne. Auch sie wollten dieses kleine Wunder sehen.
Niemand konnte den Blick abwenden und nur hier und da hörte man leises Gemurmel aus der Gruppe der Männer.
Zuerst war es nur ein heiseres Brummen, welches nach und nach zu einem melodischem Summen anstieg, bis dann schließlich die ersten, zaghaften Worte erklangen und in die sibirische Nacht emporstiegen. Nach und nach stimmten alle Männer mit ein, bis der Chor anschwoll, die Hoffnungslosigkeit ersterben ließ und der Fröhlichkeit ihren Platz einräumte.
"Stille Nacht, heilige Nacht"
Drei Jahre sollte der junge Mann in diesem russischen Lager für deutsche Kriegsgefangene bleiben, bevor er endlich zurück in die Heimat durfte.
Ein paar weitere Jahrzehnte sollten vergehen, bevor ich selbst auf die Welt kam und er mein Vater wurde.
Ich weiß nicht sehr viel über sein Erleben im Krieg, noch viel weniger weiß ich über sein Leben, dort in dem sibirischen Lager. Doch nach dem er mir dieses Erlebnis geschildert hatte, wurde mir bewusst, bei all den Weihnachtsfesten, die wir gemeinsam feiern durften, war er nur mit einem Teil bei mir und seiner Familie. Mit einem Teil seiner Gedanken war er immer auch in diesem sibirischem Lager, wo eine kleine russische Frau es geschafft hatte, ihm und seinen Kameraden die Seele der Heiligen Nacht vor die Füße zu legen.
Hoffnung.
Neugierig schaute sich Fridolin um. So sah das neue Quartier aus. Mama Emma hatte Heu aufgeschichtet, das verführerisch duftete. Heute Abend würde er gern ins Bett gehen. Vater Bernward trug die kleine Schwester Mimi auf dem Arm, die verträumt am Mäusedaumen lutschte. Fridolin konnte sich gar nicht an den letzten Winter erinnern. Er war damals noch jünger als Mimi, aber er wusste, dass die Familie im Winter Wärme brauchte. So zogen sie hinter eine Fußleiste in eine Menschenwohnung.
Die Eltern hatten ihn ermahnt, immer schön leise zu sein. Sie würden sowieso viel schlafen, aber Fridolin dachte gar nicht daran. Er war ein neugieriger Mäusejunge. Die Menschen waren gefährlich, sie mochten Mäuse nicht und deswegen hatten sie meist einen Kater, der mitten im Raum lag und so tat, als ob er schlief. Dabei beobachtete er alles ganz genau. So hatte es der Vater ihm erklärt.
Im Sommer war alles einfacher, hier in der Winterwohnung eher langweilig. Die Fußleiste hatte ein kleines Loch und Fridolin saß dort und schaute nach draußen in eine völlig fremde Welt. Gegenüber sah er ein Fenster. Draußen fielen dicke Flocken vom Himmel. Schnee hatte die Mama ihm erklärt. Der sah schön aus, aber wer jetzt draußen herumlief, konnte leicht erfrieren. Am nächsten Morgen trank er artig seinen Kakao, zog Mimi am Schnurrbarthaar, bis sie quietschte und schaute sich Bilderbücher an.
Papa war schon früh losgezogen, um die letzten Getreidekörner, die der Schnee noch nicht bedeckt hatte, in Sicherheit zu bringen. Plötzlich hörte Fridolin Geräusche. Schnell lief er zu der Öffnung und was er sah versetzte ihn in Erstaunen. Die Menschen schleppten einen riesengroßen Baum ins Wohnzimmer. Zwei kleine Menschen standen auch im Raum und er sah, dass ihre Augen vor Freude leuchteten. Mama Emma hatte sich hinter ihn gestellt. Leise flüsterte sie:
„Das sind Kinder, du bist ein Mäusekind und das sind Menschenkinder. Eigentlich sollst du nicht immer so neugierig sein, aber wenn du ganz leise bist, darfst du noch ein Weilchen zuschauen.“ Fridolin nickte und musste schlucken. Menschenkinder – würden sie mit ihm spielen? Aber das war zu gefährlich. Er seufzte, sie waren riesig und er dagegen winzig.
Inzwischen war der Baum aufgerichtet. Es roch herrlich nach Tannengrün. Wie oft hatte er im Sommer unten diesen Bäumen gespielt und an den Zapfen geknabbert. Unter dem Baum bildete sich eine Pfütze, denn der Schnee, der auf den Zweigen lag, wurde zu Wasser. Auch das erstaunte den kleinen Mäusejungen. Gern wäre er zu dem Baum gelaufen und hätte von dem Weiß geschleckt. Papa Bernward war inzwischen nach Hause gekommen und zog ihn mit sich fort.
„Du sollst nicht so neugierig sein Fridolin“, sagte er mit ärgerlicher Stimme und zog ihn ein wenig am Mäuseohr, „wir bekommen Ärger, wenn uns die Menschen oder der Kater entdecken.“ Abends spielten die Eltern mit ihm noch ein wenig Mäusekniffel und er vergaß für ein Weilchen die Welt hinter der Fußleiste.
Am nächsten Morgen mussten die Eltern einige Dinge erledigen. Sie ermahnten Fridolin artig zu sein und ein Auge auf Mimi zu haben, die in ihrem Körbchen schlief. Es würde nicht lange dauern. Zunächst schaute er Mimi beim Schlafen zu. Sie wackelte mit den Öhrchen und machte kleine glucksende Laute mit ihrem Mund. Wenn er an ihrem Fuß kitzelte, dann zuckte sie mit dem Näschen. Obwohl sie ihn oft nervte, liebte er Emma von ganzem Herzen.
Plötzlich hörte er Geräusche und sofort rannte auf Zehenspitzen zu seinem Ausguck. Was war denn das? Der Baum sah ganz anders aus. Er leuchtete und war bunt geschmückt. So etwas hatte Fridolin noch nie gesehen. Auch roch es lecker nach süßen Schleckereien. Am Kamin gegenüber hingen dick gestrickte Socken. So hängte Mama Emma immer seine Stümpfe auf, allerdings waren sie dann frisch gewaschen und zunächst nass. Was ging hier vor? Plötzlich hörte er seine Eltern. Später würde er Mama fragen, sie war klug und konnte ihm bestimmt erklären, was die Menschen vorhatten. Frische Gurke hatten sie mitgebracht, das war ein Festschmaus für den kleinen Mäusejungen.
Vorm Einschlafen fragte er die Mutter und erzählte ihr schuldbewusst, dass er schon wieder durchs Löchlein geschaut hatte. Sie kratzte sich nachdenklich am Ohr.
„Wenn der Winter beginnt, feiern die Menschen. Sie holen sich einen Baum in die Stube und schmücken ihn festlich. Sie singen und dann gibt es Geschenke, die unter dem Baum liegen. Dieses Fest nennen sie Weihnachten. Wo die Geschenke herkommen, weiß ich allerdings auch nicht.“
Fridolin kannte die Menschen inzwischen ein wenig. Manche waren groß andere klein, auch die Haare variierten. Einige hatten sogar welche im Gesicht. Die kleinen Menschen gefielen ihm am besten. Sie waren so ähnlich wie er selber. Was die Mutter erzählte, machte ihn noch neugieriger. Schade, dass er nicht durch das Loch in die fremde Welt schlüpfen durfte.
So vergingen die Tage, draußen türmte sich der Schnee und es war bitterkalt. Der Vater kam oft mit einer roten Nase und kalten Pfoten nach Hause. Sie hatten zwar Vorräte gesammelt, aber immer wieder gab es einen frischen Leckerbissen, den er von seinen Streifzügen mitbrachte. Nachts kuschelten sie sich eng zusammen und Fridolin träumte davon, dass er mit den Menschenkindern unter dem Baum Geschenke auspackte.
Eines Nachts wurde der kleine Mäusejunge von lauten Geräuschen geweckt. Lautlos schlich er zu der kleinen Öffnung in der Fußleiste. Im Kamin rumpelte und pumpelte es. Mit weit aufgerissenen Augen sah Fridolin, wie etwas Rotes, Zotteliges auf den Boden polterte. Ein Menschenmann mit Haaren im Gesicht, die ganz lang und weiß waren stand im Zimmer. Er hatte einen großen Sack dabei. Zunächst schaute er sich um. Auf dem kleinen Tisch stand ein Becher und daneben lagen Kekse. Mit leisem Ächzen setzte sich der Rotgekleidete auf den Sessel und knabberte von dem Gebäck. Danach öffnete er den Sack und legte hübsch verpackte Päckchen in unterschiedlicher Größe unter den Baum. Auch in die Socken stopfte er einiges. Fridolin erkannte Zuckerstangen, die herrlich dufteten. Auf einmal musste er niesen.
„Hatschi“ in dieser Stille hörte sich das wie ein Donner an. Das zottelige rote Etwas drehte sich um und erschrak fürchterlich, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber direkt vor das Mäuseloch. Dabei verlor er seine Mütze, von der Fridolin völlig begraben wurde. Stockfinster wurde es. Fridolin konnte nichts sehen, sein Herz pochte vor Angst ganz laut. Langsam hob er den Mäusekopf schob sich mit den Pfoten nach vorn und sah direkt in die Augen vom Weihnachtsmann.
„Potzblitz, wer bist du denn?“ polterte der Weihnachtsmann mit lauter Stimme. Fridolin piepste ganz leise:
„Ich bin der Mäusejunge Fridolin und wohne mit Mimi und meinen Eltern hinter der Fußleiste.“
Der Weihnachtsmann fing an zu lachen, so dass sein gewaltiger Bauch wackelte.
„Du musst vor mir keine Angst haben, ich tue dir bestimmt nichts. Komm, nimm einen Keks und beruhige dich wieder. Warte mal….“
Er wühlte in seinem großen Sack und holte ein paar Nüsse und noch andere Leckereien hervor. Dann brach er von der großen Tanne einen kleinen Zweig ab und überreichte alles dem kleinen Mäusejungen.
„Hier", sagte er, "damit kannst du dir und deiner Familie eine Freude machen, Weihnachten ist das Fest der Liebe und das gilt für Mensch und Tier. Ich bekomme nicht oft Besuch, wenn ich mit meinem Rentierschlitten durch die Luft sause und durch den Kamin krieche. Das ist oft sehr anstrengend. Ich werde langsam alt. Meine Mütze steht dir aber gut“, lachte er, diesmal aber leiser, denn er wollte niemanden aufwecken. „Du hast sicherlich schon erkannt, dass ich der Weihnachtsmann bin?“
Fridolin hatte sich wieder beruhigt und war ein wenig stolz, dass er nun wusste, wer die Geschenke unter den Baum legt. Auch gefielen ihm die Leckereien, die er bekommen hatte. Sogar eine Zuckerstange war dabei. Seine Schwester würde Augen machen, seine Eltern vielleicht schimpfen, aber letztendlich war alles gut ausgegangen.
„Weißt du was“, sagte der Weihnachtsmann, „im nächsten Jahr treffen wir uns hier wieder, und damit du mich nicht vergisst, ernenne ich dich zur Weihnachtsmaus.“
So wurde unser Fridolin eine Weihnachtsmaus. Morgen würde er alles seinen Eltern erzählen, aber jetzt war er doch ein wenig müde und musste gähnen. Als er sich umdrehte, war der Weihnachtsmann verschwunden. Hatte er das alles geträumt? Aber nein, die rote Mütze lag immer noch am Boden und das Naschwerk war auch noch da. Als er aus dem Fenster schaute, sah er einen fliegenden Schlitten mit Rentieren. Hoffentlich bekam der Weihnachtsmann keine kalten Ohren, so ganz ohne Mütze, dachte Fridolin.
Ganz hell funkelten die Sterne am Nachthimmel.
„Gute Nacht Weihnachtsmann, bis nächstes Jahr“, winkte Fridolin ihm hinterher. Dann schlüpfte er durch das kleine Mäuseloch zurück und verkroch sich im warmen Heu. Ganz eng kuschelte er sich an Mama und Papa.
Einer meiner Brüder hätte ein Weihnachtsengel werden können. Aber er entschied sich, erst am 28. Dezember auf die Welt zu kommen, zwischen den Jahren, wie man hier sagt. Das war 1953.
Erst 2011 wurde es wieder spannend, als unsere zweite Tochter verkündete, ihr zweites Kind könnte ein Christkind werden. Nein, stimmt gar nicht – ihr errechneter Geburtstermin war der 28. – also der Geburtstag meines Bruders.
Das hieß also, in dem Jahr würden wir uns zu Weihnachten nicht sehen, denn in dem hochschwangeren Zustand reist man nicht mehr und hat auch nicht so gern die Bude voll Besuch. Die Wetten liefen, ob es zu Weihnachten etwas würde…
Wir telefonierten natürlich am Heiligen Abend. Anna stöhnte und seufzte und mochte gar nicht mehr. Sie konnte sich kaum noch rühren vor lauter Kind, aber es tat sich noch nichts.
Dann kam als nächstes ein Anruf von Anna – zwei Tage später am Vormittag! Da war schon alles passiert und sie erschöpft, aber vergnügt mit Mann und Baby auf dem Heimweg von einem Geburtshaus. Wir waren verblüfft!
Später entdeckte ich auf meinem Handy eine Nachricht von Anna, die sie um 6 Uhr früh geschickt hatte, dass es losginge und sie auf dem Weg zum Geburtshaus seien. Das war vierzig Kilometer entfernt!
Glücklicherweise hatten wir Großeltern gar keine Gelegenheit, uns etwa aufzuregen und mit zu bangen, denn wir hatten die aufregende Phase glatt verschlafen. Um 7.49 Uhr war der kleine Weihnachtsenkel schon da und wenige Stunden später auf dem Heimweg zu seinem großen Bruder. Und da erfuhren wir erst von seiner rasanten Geburt.
Eltern und Kind mussten nun erst mal ausruhen und den unterbrochenen Nachtschlaf nachholen. Das heißt, Mutter und Kind schliefen selig. Aber der Papa war so aufgeregt, dass er statt zu schlafen, rundum telefonieren und die gute Nachricht verkünden musste. Er berichtete uns ausführlich, wie spannend und aufregend das alles war und schwärmte nur so von seinem süßen zweiten Sohn, der ihn noch immer sehr begeistert.
Ja und heute am 26. Dezember wird unser kleiner Gabriel schon drei Jahre alt und hat – als er sich neulich auf eine Waage gestellt hatte – festgestellt: „Boah Mama, ich bin ZWEI METER!“
Die Lichter am Weihnachtsbaum waren erloschen und der letzte hatte die Wohnzimmertüre zugezogen. Nicht ohne vorher die Heizung herunter zu schalten. Eine unheimliche Stille herrschte im Zimmer, nach dem ganzen Trubel rund um die Weihnachtstage.
Da kam aus einer Ecke ein leises Rascheln und Wispern. Genau von dort wo die Weihnachtskrippe stand. Auf ihrem strohgedeckten Dach breitete einer der Engel vorsichtig seine Flügel aus. „Oh, tut das gut“ seufzte er wohlig. Sein Kumpel, der mit ihm das Transparent mit der Aufschrift <Friede auf Erden> halten musste, sah ihn erschrocken an. „Mach jetzt bloß keine Flugübungen“ meinte er. „Denk dran was mit dem Rauschgoldengel auf der Baumspitze letztes Jahr passiert ist. Totaler Absturz und ab in die Tonne.“ „Ach der“ meinte Engel Nr. 1 „der war doch schon uralt und angestaubt.“
Unten im Stall streckte sich gerade Josef erleichtert ein wenig. „Warum“, so fragte er die neben ihm stehende Maria „warum musste man mir alten Mann das noch antun.“ Maria sah ihn fast zärtlich an: „Weil man sich auf dich verlassen kann. Du stehst wie ein Fels in der Brandung.“ Der alte Josef fühlte sich geschmeichelt und vergaß fast seine Kreuzschmerzen vom langen stehen.
In der Krippe war indessen das Jesuskind unruhig geworden. Maria schaute besorgt auf das im Stroh liegende Kind. Sie war besorgt, dass es Schaden genommen hatte. Hatte doch dieses blondbezopfte Mädchen versucht, es in ihr Barbie Haus umzuquartieren. Ihr saß noch immer der Schock in den Gliedern.
„Ia Ia“ schrie der kleine Esel aus der hintersten Ecke. Und er Ochse scharte mit den Hufen. Maria mahnte beide zur Ruhe. „Seht ihr nicht, dass das Kindlein schlafen will?“
Einer der Hirten seufzte vernehmlich. Auch ihm hatte man eines seiner Schafe entführt. Auf einem Playmobil Bauernhof sollte es integriert werden. Gottseidank hatte die resolute Großmutter noch rechtzeitig eingegriffen und den Kindern die Bedeutung der Krippe erklärt. Und das sie alle kein Spielzeug wären.
Achja, so langsam taten auch ihm die Knie weh vom langen knien. Sein Kollege hatte es da besser. Der konnte die ganze Zeit auf seinem Hirtenstab gestützt vor sich hin dösen. Und der kleine Hirtenjunge war inzwischen auch müde von seinem Flötenspiel. Die drei Könige standen mürrisch in einiger Entfernung. „Ich frage mich was wir jetzt schon hier sollen“ meinte Melchior, der Älteste. Während der junge Caspar das alles höchst interessant fand.
Nachher, am 6.Januar, da war doch die ganze Action vorbei. Kein Streit mehr um die Geschenke, kein Hund der das Geschenkpapier verspielt zerriss, und auch kein verlockender Plätzchenduft von den wohlgefüllten Tellern. Die waren dann längst geleert. Balthasar schwenkte ärgerlich das Weihrauchfass. Oder war es Melchior? Jedenfalls bekamen sie alle einen kräftigen Hustenanfall.
Und Maria beklagte sich zum ersten Mal, dass ihr Stall keine Türe hatte. Was sich aber gleich ändern sollte. Denn aufgeschreckt von dem ungewohnten Lärm erhob sich er Ochse nochmals aus seinem Strohhaufen. Dabei entfuhr ihm ein gewaltiger Pups, dessen Gestank selbst der Weihrauch nicht vertreiben konnte.
Und dann rief in dem ganzen Durcheinander noch ein Hirte lautstark nach einem seiner Schafe. Er hatte sie vorsichtshalber nochmals durchgezählt und das Fehlen eines Lammes bemerkt. Der Hirtenjunge erhielt erst mal eine kräftige Ohrfeige für seine Unachtsamkeit. Worauf sein Geschrei sich mit dem Weinen des Jesuskindes vermischte. Maria schaute fassungslos zu Josef. Der aber schnarchte seelenruhig vor sich hin. Und irgendwann beruhigte sich auch alles wieder. Man würde morgen weitersehen. Stille legte sich über den Raum.
Am nächsten Morgen kam der kleine Maxi ziemlich verschlafen in die Küche. Eine seiner Hände hielt vorsichtig das vermisste Lamm. „Die ganze Nacht hat es geblökt“ jammerte er. Seine Mutter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und wandte sich schnell wieder der Kaffeemaschine zu. Als sie sich wieder etwas gefasst hatte, sah sie ihn mahnend an. „Weißt du nicht mehr was Oma dir erst gestern erzählt hat? Das ist kein Spielzeug.“ Maxi senkte den Kopf und trottete, begleitet von dem Familienhund, Richtung Wohnzimmer. Seine Schwester kam gerade aus dem Bad als er die Türe öffnete. Erschrocken wich sie zurück, um dann laut schreiend in die Küche zu stürmen. „Da stinkt es ganz fürchterlich“ behauptete sie. „Habe ich euch nicht gesagt, der Hund muss morgens gleich raus!“ meinte der Vater nur mürrisch brummend hinter seiner Sonntagslektüre.
Die Figuren in der Krippe waren längst wieder in ihrer zugedachten Haltung erstarrt. Das kleine Lamm stand wieder in seiner Herde und das Jesuskind lächelte glücklich im Stroh. Nur der alte Ochse fragte sich noch im Stillen, ob jetzt er oder der Hund der Übeltäter war. Aber das konnte ja keiner sehen.
Texte: Autoren der Gruppe "Biografisches"
Bildmaterialien: Cover: von Manuela Schauten (schnief)
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Und wieder konnte "Unser Adventskalender" mit wunderbaren Geschichten bestückt werden.
Ich danke allen Mitgliedern der Gruppe "Biografisches", die mitgemacht haben und alle Leser, die unsere Geschichten verfolgt und gelesen haben ...
Eure Gittarina