Kapitel 1:
Ich stand vor einem Spiegel. Kritisch beäugte ich ihn. Ein seltsamer Traum war dies. Langsam hebe ich meine Hand und berühre das Spiegelglas. Mein Spiegelbild tut es mir gleich und ehe ich mich versehe, werde ich durch den Spiegel gezogen und lande auf einer Wiese. „Warte, ich helf’ dir auf.“, sagte eine sanfte Stimme. Ich streckte meine Hand in die Luft und sie wurde ergriffen und ich auf die Beine gezogen. Ich blickte in die Augen eines Mädchens, das mich sanft anlächelte. „Hallo. Ich bin Lili.“, sagte sie freundlich. „Hallo.“, sagte ich schüchtern. „Wo bin ich hier?“, fragte ich. „Du bist in Mihal.“, sagte sie. „Wo bitte?“, fragte ich verwirrt. „Deiner persönlichen Traumwelt.“, lächelte sie. „Meine?“, fragte ich leise. Noch nie gehörte mir etwas. „Ja, deine.“, lächelte sie. „Soll ich dir alles zeigen?“, fragte sie. Ich nickte. Sie führte mich durch eine Stadt und hielt zuletzt vor einem niedlichen Häuschen. „Also, hier wohnen ich und meine Familie und du wohnst da gegenüber. Wenn was ist, dann klingel’ ruhig.“, meinte sie und warf mir eine Kusshand zu. Dann verschwand sie in dem Häuschen und ich drehte mich um. Das Haus, welches sie als meines bezeichnet hatte, war mittelgroß und niedlich anzusehen. Ich trat vor die Tür und griff in meine Hosentasche. Dort war plötzlich ein Schlüssel drin. Ich schloss die Haustür auf und trat ein. Das Haus war wunderschön eingerichtet und ich lief erstmal durch alle Räume und meine Augen wurden immer größer. Als ich im Schlafzimmer war, klingelte dort das Telefon. Ich nahm ab. „Hey! Hier ist Lili! Ich wollte dir nur noch sagen, dass, wenn du schlafen gehst, du wieder in deiner realen Welt bist.“, sagte sie und legte auf. Also nie wieder schlafen… Ich verließ das Haus und sah auf der anderen Straßenseite aus Lilis Haus einen Jungen treten. Lili kam hinterher. Als sie mich erblickte, winkte sie aufgeregt. „Bill!!! Hey!!“, kreischte sie rüber und hopste über die Straße. Sie blieb vor mir stehen und der Junge kam mit einer Tasche hinterher. „Bihilll!“, kreischte sie, „Willst du mit uns schwimmen gehen?“, fragte sie und hopste vor mir auf und ab. „Jetzt echt?“, fragte ich total überrascht. In der realen Welt hatte ich niemanden. Keiner wollte etwas mit mir zu tun haben und meine Eltern hatten mich in ein Waisenheim abgegeben, weil sie mich nicht haben wollten. „JA!“, kreischte der menschliche Flummi und der Junge rollte mit den Augen. „Ach ja, das ist mein Bruder, Tom.“, stellte sie ihn mir vor. „Hallo.“, sagte ich. Er blieb stumm. Ich ging schnell Sachen holen und dann liefen wir zusammen zum Schwimmbad. Lili plapperte die ganze Zeit munter, aber ich hörte ihr nicht ganz zu. Ich beobachtete Tom, der schweigend neben Lili her lief. Er hatte einen eisigkalten Blick drauf. Wenn das hier meine Traumwelt war, dann müsste hier doch alles schön sein, alle müssten mich mögen und so weiter. Aber er war kalt zu mir und weder sprach er mit mir, noch sah er mich an. Lili bezahlte und wir betraten das Schwimmbad. Lili ging zu den Frauenumkleiden und Tom und ich zu den Männerumkleiden. Tom öffnete eine und ging darein. Ich blieb stehen. „Jetzt komm endlich.“, meinte Tom genervt. Ich sah ihn verwirrt an. „Dann lass es halt.“, sagte er und schloss die Tür. Ich ging eine Kabine weiter und zog mich um. Als ich aus der Kabine trat, kam Tom gerade aus seiner. Er sah kurz zu mir und dann ging er zurück zum Eingang. Ich folgte ihm. Dort trafen wir wieder auf Lili. Sie nahm meine Hand in ihre eine und Toms in ihre andere und rannte dann los. Dann sprang sie ins Wasser und zog uns hinterher. Unter Wasser ließ sie uns los. Ich tauchte schnell auf und sah, dass Lili noch unter Wasser war und Tom schon wieder aus dem Wasser raus war. Lili tauchte auf und sah sich um. Als sie ihren Bruder weggehen sah, rief sie ihm hinterher und stieg auch aus dem Wasser. Sie lief ihm hinterher und brachte ihn zum stehen bleiben. Sie redete angeregt mit ihm und es endete damit, dass sie heulend aus dem Schwimmbad rannte. Ich stieg aus dem Wasser und wollte ihr hinterher, aber Tom stieß mich zurück ins Wasser. Ich tauchte prustend wieder auf. Ich sah Tom hinterher, der auch aus dem Schwimmbad rannte. Diese Traumwelt wandelte sich zu einem Albtraum. Ich verließ den Pool und zog mich wieder um. Dann lief ich nach Hause. Als ich vor der Haustür stand, hörte ich Lili laut von drüben schreien. „Er ist keine Schwuchtel Tom! Du sollst nicht immer nur nach dem Äußeren gehen!“, kreischte sie. Ich zuckte zusammen. Nicht doch! Ich schloss die Haustür auf und rannte die Treppe hoch. Ich warf mich heulend aufs Bett. Bitte, das musste ich doch schon in der realen Welt durchleben… Nach einiger Zeit schlief ich total erschöpft ein.
Kapitel 2:
Ich wachte schweißgebadet auf. Mit meinen Händen fuhr ich mir über mein Gesicht. Langsam richtete ich mich auf. Meine Zimmergenossen schliefen noch. Gott sei dank! Ich stand auf und ging ins Bad. Dort stellte ich mich unter die Dusche.
Nach einiger Zeit ging die Badtür auf und Marco betrat das Bad. Der Schlimmste von allen, warum nur?! Er machte die Duschkabine auf und schlug mir in den Magen. Ich sackte zu Boden. Marco beugte sich zu mir runter. „Na, du kleines Würstchen. Weißt du, was jetzt kommt?“, fragte er und grinste fies. Ich nickte leicht. Er grinste noch breiter. Dann kamen Mirko, Timo und Matthias ebenfalls ins Bad und Timo hatte eine Kamera in der Hand.
Ich lag weinend in meinem Bett und hatte mir die Decke über den Kopf gezogen. Die anderen waren ins Internetcafé gegangen, um ihr Meisterwerk auf ihrer Homepage reinzustellen. Das wievielte war das jetzt? Bei 20 hatte ich aufgehört, zu zählen. Meine Arme taten weh und meine Beine. Bestimmt hatte er wieder einen meiner Arme angebrochen. Ich schluchzte und wollte am liebsten wieder schlafen, aber ich war kein bisschen müde. Außerdem müsste ich mich in meiner Traumwelt mit Tom auseinandersetzen und das wäre genauso schlimm, wie in real. Ich seufzte leise und drehte mich auf die Seite zur Wand und kramte mein kleines rotes Buch zwischen Bettkasten und Wand hervor und schlug es auf.
Darein schrieb ich Gedichte, aber ich behielt es für mich, weil die anderen es dann bestimmt kaputt machen würden. Ich hörte Marco lachen und dann ging die Zimmertür auf. „Billilein.“, flötete er und kam zu mir. Er stellte etwas auf meinen Beinen ab. Dann verschwand er wieder. Ich schlug vorsichtig die Decke weg um zu sehen, was das war. Es war ein Laptop. Mein Blick glitt über die Schrift... Das konnte doch nicht deren Ernst sein! Mir schossen Tränen in die Augen. Ich wollte das nicht sehen, war jedoch wie gelähmt und konnte mich nicht dazu bewegen, den Laptop zu zumachen.
Langsam bahnten die tränen sich ihren Weg meine Wangen hinunter und ich schluchzte auf. Ich senkte meinen Blick und schmiss den Laptop auf den Boden. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und weinte… Das durfte doch nicht wahr sein! Diese… Ich schluchzte. Plötzlich ging die Türe auf und der Leiter des Waisenheims kam in den Raum gestürmt. Er sah erst zu mir, dann auf den Laptop, der offen auf dem Boden stand. Meine Tränen liefen weiter. Geschockt sah sich der Leiter die Homepage an. Dann sah er zu mir. „Oh mein Gott!“, stieß er aus. Ich schluchzte. Der Heimleiter verschwand und kam kurz darauf mit Marco, Mirko, Timo und Matthias wieder. Ich hatte mich in meiner Bettdecke vergraben und weinte weiterhin. „Was ist das?!“, schrie Herr Müller die 4 an. „Ne’ Homepage.“, meinte Timo ganz cool. „Ah ja?! Und wessen?!“, fragte Herr Müller weiter. „Na, unsere.“, meinte Mirko. Ich wusst’s doch schon immer. Idioten- alle samt, Idioten. „Ihr könnt was erleben! Schämt ihr euch den nicht einen Mitmenschen so leiden zu lassen und zu entblößen?!“, keifte Herr Müller. „Ja, entblößt haben wir ihn auf jeden Fall.“, sage Marco und leckte sich über die Lippen. „Das wird ein Nachspiel haben! Das versprech’ ich euch und ab Morgen wird Bill in ein anderes Zimmer kommen!“, schnauzte Herr Müller und die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss.
„Uh, uh, Billilein. Das ist nicht gut, nicht?“, machte Timo. „Genau, du machst unser Geschäft kaputt.“, meinte Mirko. „Da müssen wir die Nacht doch auskosten… Nicht wahr, mein Schatz?“, hauchte Marco mir ins Ohr und zog die Decke weg. Ich rollte mich zu einer Kugel und versteifte meinen gesamten Körper. Was auch immer die jetzt vor hatten, ich würde es nicht zulassen. „Hm, das eine oder das andere?“, fragte Marco und leckte sich erneut über die Lippen. „Wie wär’s mit was ganz neuem?“, schlug Matthias vor. „Und woran dachtest du?“, fragte Marco. „Warte… Komm mal her…“, sagte Matthias und flüsterte es Marco ins Ohr. Dieser begann, zu grinsen. „Super Idee!“, meinte er. Er kam auf mich zu und die anderen hielten meine Beine auseinander und meine Arme über meinen Kopf. Ich sträubte mich. Einmal in meinem verdammten Leben wollte ich mich zur Wehr setzten, aber ich scheiterte kläglich.
Ein stechender Schmerz durchzog meinen gesamten Körper und ich wollte aufschreien, was das Klebeband auf meinem Mund jedoch verhinderte.
Kapitel 3:
Schreiend wachte ich auf und holte tief Luft. Mein Gesicht war Tränen überseht und ich schluchzte immer wieder. Nur langsam beruhigte ich mich und wischte mir mit meinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Ich stand langsam auf und lief ins Bad. Dort machte ich mich fertig und wusste nun nichts mehr mit dem Tag anzufangen.
Ich saß grade auf dem Sofa, als es an der Tür klingelte. Ich stand auf und öffnete sie. Vor mir stand Lili. Sie lächelte gequält. „Hilfe…“, flüsterte sie und fiel mir weinend in die Arme. „Was ist passiert?“, fragte ich sie. „Ich hatte einen schlimmen Streit mit Tom und jetzt ist er weg. Er hat niemandem gesagt, wo hin, nur, dass er nachdenken muss…“, meinte sie leise. „Aber das hat er schon mal gemacht und ist dabei fast umgekommen… Geh ihn bitte suchen… Bitte…“, schluchzte sie. Ich nickte leicht und sie lächelte wieder gequält. Sie löste sich von mir und rannte die Straße nach rechts hinunter. Ich schlug den Weg nach links ein.
Ich gelangte an eine große weite Wiese. Das Gras war leicht von der Sonne ausgeblichen und es wehte sacht im Wind. Oben auf einem Hügel stand ein großer alter Baum. Eine Eiche war es. Ihre Blätter waren in ein sommerliches Farbenmischmasch gefärbt und auch sie wehten leicht im Wind. Dieser war weder kalt, noch heiß. Er war angenehm warm und wehte durch meine langen Haare. Oben auf dem Hügel lehnte jemand an dem Baum und sah in den Himmel. Ich erkannte Tom und stieg den Hügel hinauf.
Als ich neben ihm ankam, seufzte er und sah dann zu mir rüber. „Hat sie dich geschickt?“, fragte er leise und sah wieder in den Himmel. Ich nickte leicht und ließ mich neben ihn sinken. „Schön, nicht?“, fragte er und deutete auf die weißen Schäfchenwolken. Ich nickte wiederum und lehnte mich an den Baum. Wir schwiegen nun eine Zeit lang und lauschten dem Wind und sahen den Wolken zu, wie sie langsam vorüber zogen. Plötzlich drehte Tom den Kopf zu mir und lächelte. „Du bist schon ok…“, meinte er leise und lächelte mich warm an. Ich lächelte scheu zurück. „Ich glaube kaum, dass dir jemand was böses tut…“, meinte er. „Warum brauchst du dann eine Traumwelt?“, fragte er. „Das stimmt nicht… Erst heute wurde ich…“, ich brach ab und legte meinen Kopf in meine Hände. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Tom erschreckte sich und legte schnell seine Arme um mich. „Ist schon gut… Du musst nichts sagen…“, meinte er leise und drückte mich an sich, um mich zu trösten. „Das war so… so abartig und abstoßend… Ich fühle mich so schmutzig…“, schniefte ich und schmiegte mich enger an Tom. Er strich mir beruhigend über die Haare. „Du musst das wirklich nicht erzählen, wenn du nicht willst.“, sagte er sanft. Ich schniefte. „Will ich aber…“, flüsterte ich und sah zu Tom. Er stand langsam auf und zog mich mit hoch. „Wo gehen wir hin?“, fragte ich. „Tja, sag ich dir nicht.“, meinte Tom. Ich schmunzelte leicht, folgte ihm aber.
Ich klammerte mich ängstlich an dem Ast fest. Tom stand oben am Abgrund. Er lachte. Ich versteifte mich, als der Ast knirschte. Es knackste und der Ast brach, aber ich fiel nicht lange. Eine Hand hatte meine ergriffen. Ich wurde hoch gezogen und zitterte am ganzen Körper. Die Augen hatte ich fest zu gekniffen. Während ich versuchte, mich zu beruhigen, wetterte meine Rettung schon los. „Sag mal Tom, spinnst du denn jetzt vollkommen?!“, keifte Lili. „Wieso?“, fragte Tom lässig. „Du kannst Bill doch nicht die Klippe runterschupsen! Bist du noch ganz klar im Kopf?! Nur, weil du nicht bekommst, was du haben willst, musst du doch nicht brutal werden!“, keifte sie weiter. „Du hast doch gar keine Ahnung! Halt dich daraus!“, schrie Tom sie jetzt an und rannte davon. Lili sah ihm fassungslos hinterher und ich öffnete die Augen. Tom war gerade am Horizont verschwunden, da drehte sich Lili zu mir um. „Tut mir Leid… Er ist etwas durcheinander…“, meinte sie. „Schon ok…“, meinte ich und stand auf. Schweigend liefen wir nach Hause, wo ich mich direkt ins Bett schmiss und einschlief.
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2009
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