Social Hacking
„Legt euch niemals mit nem Hacker an!“
Alles was den Raum erhellte war das bläuliche Schimmern zweier Monitore. In ihrem Licht flogen Finger über die Tasten, über das „Z“ etwas vehementer, weil ein Krümel darunter festklemmte. Die restliche Ausstattung des Zimmers war nur zu erahnen. Einige auseinander gebaute Tower, Festplatten, Kabel über Kabel und leere Tüten von Süßkram, die aus dem Mülleimer überquollen. Regale an den Wänden voller ungelesener Bücher, Fachzeitschriften und Filme. Die Kellerfenster waren vorsorglich mit Steelbook-Special-Editions zugestellt, damit keiner auf die Idee kam zu lüften. Auf dem Schreibtisch standen dicht an dicht die Monitore, ein Trackball, Lautsprecherboxen und ein USB-Tassenwärmer mit einer Tasse kalten Kaffees darauf. Irgendwo weiter unten, nach hinten gedrängt von lässig ausgestreckten Füßen, glomm der rote Schalter einer Verteilersteckdose.
Ein Doppelklick mit der Maus und schon öffneten sich vier Programme, bereit loszulegen, womit auch immer. Drehen und klicken an den Boxen und kurz darauf scholl Daft Punk aus den Lautsprechern. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen öffnete Charlie die Webseite der GBS und startete den Spider Scan. Die Konsole spuckte Zeile um Zeile aus, während das große, rote Logo inmitten des Desktops prangte. Am liebsten hätte Charlie in der Zwischenzeit Spam-E-Mails aussortiert, aber der Scan fraß zu viel Arbeitsspeicher, sodass selbst das Minimieren des Browserfensters seine Zeit brauchte.
Zu „Get Lucky“ klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten wurde geöffnet. Flurlicht drang herein, gemeinsam mit Charlies bestem Kumpel. Die Folien-Verpackungen des letzten Einkaufes wurden neben dem Mülleimer sichtbar, was gegen ihre Flugeigenschaften sprach. Gebrauchte Taschentücher landeten nicht so häufig daneben. Der Neuankömmling kümmerte sich nicht groß darum. Das tat er nie und Charlie rechnete ihm das hoch an. Vor allem weil ihm ohnehin ständig die mahnenden Worte seiner Mutter in den Ohren klangen.
„Wenn du schon nicht lüftest solltest du wenigstens täglich deine Socken wechseln.“
Konrads Hand schlug ein paar Mal flach gegen die Wand, ehe er den Lichtschalter traf. Ein giftiges Zischen kam aus Richtung der Monitore.
„Zssssh. Es brennt uns. Es tötet uns.“
„Stell dich nicht so an.“
Konrad machte einen großen Schritt über den im Weg liegenden Rucksack und fluchte, als er auf ein Stück Draht trat. Er schob fast schon geübt einige Kisten mit Feinmechaniker-Werkzeug und MCs beiseite und räumte eines der Fenster frei.
„Frische Luft! Stirb, du Freak.“
Die folgende Beleidigung kümmerte ihn nicht. Konrad sog die von draußen eindringende Luft ein und wedelte mit den Händen in Richtung des sperrangelweit geöffneten Fensters, um den Muff hinaus zu treiben.
„Wer bist du, Konni? Meine Mutter?“
„Deine Mudda!“
Beide lachten auf, aber nur kurz.
„Sie hat Kekse gebacken. Schmecken gut.“
Charlie ließ den Bürostuhl zu seinem Freund herum wirbeln. Er grinste und fegte Krümel von seinem Zelda-Shirt mit dem Triforce darauf.
„Klar. Alles was sie backt schmeckt gut. Bis auf den Rosenkohl-Kuchen. Bah.“
Unter Schütteln wandte er sich wieder seinem Rechner zu. Die Winterluft ließ Gänsehaut über seine Arme ziehen. Vor allem seine Hände wurden nun kalt und das störte beim Tippen.
Gnädig schloss Konrad das Fenster und stakste zurück zur Tür, um seinen Laptop aus der Umhängetasche zu holen. Eine uralte Case wurde vorsorglich von dem zweiten Stuhl am Tisch genommen. Zwei Batterien wurden noch achtlos vom Polster gefegt, ehe Konrad sich gefahrlos setzen konnte.
„Oh, ich hab auf dem Weg hierher was Interessantes gelesen.“
Charlie widmete der Zeitschrift in der Hand seines Kumpels nur einen kurzen, erbarmungslosen Blick. Ein Wissenschaftsmagazin, dessen in Blau gehaltene Abbildung eines menschlichen Gehirns auf dem Titelblatt recht schnell auf das Hauptthema schließen ließ.
„Wieder so ein Psychologie-Scheiß?“
Mit geübten Handgriffen versenkte Konrad das Netzteil in der Verteilerdose und klappte den Laptop auf. Die Zeitschrift landete wie immer wieder in der Umhängetasche.
„Geht um die menschliche Abhängigkeit von Technik. Echt interessant.“
„Hm ja, voll interessant. Energy-Drink?“
„Nein, ich find das Zeug auch beim hundertsten Mal noch eklig.“
Charlie setzte eine Dose an und nahm einen großen Schluck.
„Hey, deine Kiste bootet viel schneller. Festplatte defragmentiert?“
Ein Nicken. Finger huschten über die Tasten und schon offenbarte sich der Linux-Desktop mit einer blauen Telefonzelle im Weltall als Hintergrundbild. Mit den Fingern wischte Konrad Staub vom Bildschirm, ignorierte das blinkende Post-Symbol und drehte Daft Punk leiser.
„So, bereit, Konni?“
Der Angesprochene öffnete die Kommandozeile, tippte ein paar Befehle ein, die einen Browser und ein Textdokument öffneten.
„Alles klar, dann reißen wir ihnen mal den Arsch auf.“
Blogeintrag – The Big C
Was los ist? Der ganz normale Wahnsinn. Die Bösartigkeit der Welt. Ein paar Computer-Cracks haben ein feines Progrämmchen geschrieben. Eine Kanban-Board-App, cross-plattform, mit angebundenem Cloud-Service, verteilte Anwendung. Von Unterwegs die Aufgaben zuordnen und sehen was erledigt ist und wer bummelt. Keine Weltneuheit, aber eben echt nett umgesetzt. Sehr benutzerfreundlich mit bunter Oberfläche und so. Auswahl zwischen verschiedenen Farblayouts, versteht sich von selbst.
Da sitzen wir zwei also mit unserem coolen Baby und kriegen die Tür nicht mehr zu, als die GBS anfragt, ob sie uns das Prachtstück abkaufen können. Wir haben es sofort aus den Shops genommen. Bloß nichts kostenlos anbieten, wofür andere echt viel Geld auf den Tisch legen wollen. Noch ne kleine Zusatzfunktion, kein Problem und dann waren wir echt baff bei dem ganzen Geld auf unseren Konten. Und dann?
Lasst die Finger davon, Jungs! Jetzt ist es unser Baby. Wir haben jetzt die kompletten Rechte an dem Source-Code und ändern, was uns gefällt. Dann verscherbeln wird das Ganze an ein paar echt große Kunden für echt viel Geld. Danke für das Schnäppchen.
FU, ihr Ärsche!
„Wir ziehen das ganz groß auf, Konni. Hacken uns in deren System und zeigen ihnen, was es heißt, uns so zu verarschen.“
„Seit wann bist du Hacker?“
Charlie warf die Arme in die Luft. Deutete auf sich, auf sein Zimmer und wieder auf sich. „Schon immer?“
Konrad nickte ergeben. Letztendlich hatte er selbst mit Charlie Woche um Woche bei der Erkundung des Phänomens Internet verbracht. Mit den Schwachstellen unterschiedlicher Browser, unsicheren Verschlüsselungen von WLANs und welche Anwendungen abstürzten, wenn die Protokolle für die Datenübertragung versagten.
„Ich lass grad nen Scan über deren Webseite laufen und dann schauen wir mal, was für nette Sicherheitslücken diese … was passt zu GBS… Gierigen Büro Säcke in ihrem System haben. Bisschen Autorisierung aushebeln, Firmengeheimnisse abgreifen, Kundendaten, hach wird das aufregend.“
Konrad zog die Brille aus seiner Tasche und setzte sie auf. Wenn sie wirklich so lange davor sitzen würden bekam er sonst wieder Kopfschmerzen. Er brachte seine braunen Haare mit einem nachdenklichen Kratzen am Kopf durcheinander und sah seinen Kumpel über die Brillengläser hinweg an. Der hatte nur Augen für die Fortschrittsanzeige. Das Blau der Bildschirme ließ sein Gesicht blasser wirken, als es eigentlich war, die dunklen, kurz geschorenen Haare verstärkten den Eindruck.
Bis auf das Ausnutzen von Hintertürchen, um in Online-Games nette Vorteile zu bekommen, hatten sie ihre Kenntnisse bisher noch nicht für derart große Aktionen eingesetzt. Aber hey, irgendwann war immer das erste Mal.
„Ah, fertig ist der Scan. Klasse. Mal gucken, womit wir euch drankriegen. Wie wär’s mit der netten Code-Injection? Ich würde gerne ein bisschen in deren Datenbank herum wühlen.“
Er lachte heiser und Konrad startete mit rollenden Augen PacMan.
IRC-Chat „Konni & Charlie gegen den Rest der Welt“
Konni: und? schon erfolgreich gewesen?
Charl: meh…
Charl: paar todos in den quellcode kommentaren. ungeschützte urls, aber auf denen steht nix interessantes.
Charl: alte projekte oder so. geburtstagsfeiern…
Konni: mitarbeiter-schnittstelle?
Charl: ja, gibt nen login, ich sitz da schon dran…
Charl: hab nen google-link präpariert, aber den nutzt irgendwie keiner.
Konni: du sitzt da jetzt schon ne woche dran.
Charl: WIR, mann. wir ziehen das beide durch.
Konni: :P
Charl: ey, ich werd nicht mehr. Die nutzen unsere kanban-app über die seite! FU, ich brauch anmeldedaten!
Konni: dann mal los, du großer hacker ;)
„Ich weiß nicht mehr, was ich noch ausprobieren soll.“
Charlie hatte die Hand in der Wange vergraben und starrte lustlos auf den Bildschirm.
„Hey, dank des Portscans wissen wir immerhin, dass sie Skype, NoteMe und nen SQL-Server benutzen.“
„Jipee jah jay, Schweinebacke.“
Konrad war bei Google Maps dabei, sich das Gebäude der GBS, der Global Business Solutions GmbH, anzusehen. Standard-Kastenbau mitten in der Innenstadt. Und eine Pizzeria direkt daneben, sehr praktisch.
„Da kommt man von hier aus in einer halben Stunde mit dem Zug hin.“
Der Stoppelschnitt mit dem Gesicht auf der Tischplatte gab nur ein Grunzen von sich.
„Blöde Firewall.“
„Wollen wir ne Pizza bestellen?“
„Ja!“, schon war Charlies Hand wieder in Action und rief die Webseite des Lieferdienstes auf. „Out of service!? Ey, was soll das denn? Unsere Seite wird gerade gewartet, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“
Konrad rief ebenfalls die ernüchternde „Out of Service“-Seite auf.
„Wir können auch telefonisch bestellen. Wir nehmen doch eh immer das gleiche, oder?“
Charlie rieb sich die Augen, sah seinen Kumpel etwas entgeistert an, nickte dann aber. Er stand auf, streckte sich, dass die Gelenke knackten und stellte das Fenster auf kipp.
„Schon dunkel draußen?“
„Jo.“
„Hast du hier ein Telefon?“
Der Zimmereigentümer zeigte auf, grübelte kurz und ging zu einem Blu-Ray-Regal hinüber. Als er nicht fündig wurde sah er nach der Telefonbuchse und folgte dem Kabel zu einem niedrigen Tisch, auf dem ein paar Game-Controller und Batterien lagen. Unter der Gebrauchsanweisung für eine Mini-Drohne fischte er das gesuchte Objekt hervor.
Ungeschickt fing Konrad das schief geworfene Telefon auf und wählte. Sein Kumpel sah ihm regelrecht fasziniert zu, wie er Pizzabrötchen, Knobidipp, Pizza Hawaii und Pizza Diavoli orderte. Es war wirklich schon eine ganze Weile her, dass sie ihr Essen über die Telefonleitung bezogen hatten. Das Internet machte so vieles einfacher.
„Legst du aus?“ Konrad hatte den drahtlosen Hörer noch in der Hand und schaute ihn nachdenklich an.
„Letztes Mal hast du, richtig? Kein Problem. Ich sag eben oben Bescheid, dass wir bestellt haben. Ah, Mist, wir haben vergessen zu fragen, ob die auch was wollen.“
Charlie stieg über seinen Rucksack, zog das Totoro-Shirt über den Hosenboden und das Flurlicht flammte auf, als er das Zimmer verließ.
Das Telefon in der Hand saß Konrad noch immer da und ganz langsam stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.
„Was könnte eine Ada Lieblich als Passwort benutzen?“
„Passwort“
„Hab ich schon versucht.“
Konrad lachte. In seinem Browsertool war der Quelltext einer Seite geöffnet. Die Seite selbst zeigte Mitarbeiter an, die Telefonnummern eigentlich nicht. Eine ziemlich unnötige Sicherheitslücke.
„Der Passwortknacker bringt auch nichts, wenn ich den Usernamen nicht habe.“
Seine Finger trommelten auf der Psychologie-Zeitschrift, in der anderen Hand hielt er das Telefon. Entschlossen wählte Konrad und hielt sich das Festnetz-Gerät ans Ohr. „Sei mal eben leise.“
„Wen rufst denn an? Deine Ex?“
Konrad verzog seine Mine und winkte ab. Es tutete einige Male in der Leitung, dann meldete sich ein Sonnenschein von einer Stimme.
„GBS – Sie sprechen mit Frau Mayer, was kann ich für Sie tun?“
„Hallo Frau Mayer, hier spricht der Leiter der Haus-internen IT, mein Name ist Petrow. Wir haben gerade eine gravierende Sicherheitslücke in unserem Mitarbeiter-Bereich entdeckt.“ Er sprach freundlich. Informierend. Jemand, der die Sache im Griff hatte.
„Ist das was Ernstes?“
„Es könnte sein, dass ein interner Angreifer die Datenintegrität verletzt hat. Um sicher zu gehen, dass ihr Profil nicht kompromittiert wurde bräuchten wir ihre Zugangsdaten.“
Charlie beobachtete ihn. Man sah ihm an, dass er noch nicht sicher war, was er von der ganzen Aktion halten sollte. Bei Konrads nächsten Worten wanderten seine Augenbrauen unaufhaltsam in die Höhe.
„Ja, wir brauchen dringend Ihre Hilfe. Die Sache soll nicht an die große Glocke gehängt werden. Schließlich soll sich keiner unnötig Sorgen machen. Es handelt sich hierbei um eine reine Vorsichtsmaßnahme… Ja. … Ja, genau, Frau Mayer … Alles klein geschrieben?“
Konrad wedelte hektisch mit der freien Hand und Charlie hätte beinahe den einen Monitor vom Tisch gefegt, als er aufgescheucht in seinen Stapeln nach Zetteln suchte. Mit einem Knall landete auch ein Kugelschreiber vor Konrad, der eilig etwas in seiner unleserlichen Handschrift kritzelte.
„Vielen Dank, Frau Mayer. Sie haben uns sehr geholfen. Wir gehen davon aus, dass alles in Ordnung ist. Andernfalls werden wir noch einmal auf Sie zukommen. … Ja, auch Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.“
Mit einem Piep beendete die Taste mit dem roten Hörer das Gespräch. Konrad stellte das Telefon langsam wieder in die Station und schob seinem Kumpel mit zwei Fingern das Schriftstück hinüber.
Charlie sah mehrere Male zwischen dem Zettel und dem zufriedenen Grinsen auf Konrads Gesicht hin und her.
„Ich kann deine Schrift doch nicht lesen“, hieß es zerknirscht.
„Gruß von deiner Mutter, um halb sieben sollst du zum Abendessen kommen.“
Charlie konnte sich nur mühsam von seinem Bildschirm abwenden. Die am Anfang so viel versprechende Hacking-Aktion lief nun schon seit drei Wochen. Und immer noch durchsuchte er die von außen zugänglichen Server nach Informationen, die Webseiten nach Sicherheitslücken und sein Hirn nach Geistesblitzen.
„Was ist das?“, er deutete auf den Brief, den Konrad unauffällig in der linken Hand hielt.
„Post für dich. Beziehungsweise für uns. Ist von der GBS.“
Charlies Augen weiteten sich, „Ich hab doch die IP verschlüsselt und für die Scans Botnetze benutzt, wie haben die…“
„Warte erstmal ab.“ Konrad ließ sich schwungvoll auf den Stuhl fallen, sodass einige Schrauben darin altersschwach quietschten. Er angelte eine Miniatur-Nachbildung von Gandalfs Schwert Glamdring aus dem Regal und öffnete das Couvert.
„Uh, hab ich schon erzählt, dass ich durch die gute Eva Mayer Zugang zu unserer Anwendung bekommen habe?“
„Schon mindestens fünfmal.“ Konrad zog den Briefbogen aus dem Umschlag und entfaltete ihn.
„Ich hab die Rechte erweitern können und den Idioten neue Aufgaben gesetzt. Erwin Weber soll sich heute um das Refactoring der Kundendatenbank-Anbindung kümmern.“ Charlie lachte heiser, hatte aber nicht wie erwartet die Aufmerksamkeit seines Kumpels. Dessen Augen flogen über die maschinellen Zeilen und sein Gesicht wirkte nicht sonderlich amüsiert.
„Was los?“
Konrad schüttelte den Kopf, las noch einmal und atmete schwer durch.
„Die GBS will Geld von uns.“
„WAS!?“
„Angeblich als Entschädigung, weil wir die App kostenlos in Umlauf gebracht und ihnen ins Geschäft gepfuscht haben.“
„Die können mich Mal!“
Demonstrativ flog eine leere Dose Energy-Drink gegen die Wand und landete neben dem Mülleimer.
Konrad nickte langsam. „Du weißt, dass wir das ernst nehmen müssen? Das könnte richtig Ärger bedeuten. Mit gerichtlichen Verhandlungen und so.“
„Scheiße“, Charlie vergrub das Gesicht in den Händen, während auf seinem Desktop im Hintergrund ein Katzenvideo lief. Er stöhnte und flucht erneut.
„Hätten wir das Ding doch bloß nie verkauft.“
„Zumindest nicht an die GBS“, Konrad legte den Brief auf der Tastatur ab und holte seine Brille aus der Tasche.
„Verdammt, wir sollten es denen zeigen! Ihr Bürofuzzies hättet euch besser nicht mit einem Hacker angelegt!“
Unwirsch fegte Charlie den Briefbogen beiseite, schloss das Katzenvideo und malträtierte mit seinem Proxy und der Kommandozeile die Mitarbeiteranwendung, die er einst selbst programmiert hatte.
Konrad schwieg. All die Stunden, die sie mit Code schreiben, testen und strittigen Designentscheidungen zugebracht hatten und jetzt sowas?
Er ließ den Blick schweifen. Über die Sammlerfiguren aus Video-Spielen, den Ordnern mit den Ausgaben von Computer-Zeitschriften, den halboffenen Schrank voller Technik-Kram und der Sessel, den man unter einer Steppdecke und der Europalette Dosen eigentlich nicht mehr sehen konnte.
„Benjamin Rode hat eine Hypothek auf sein Haus und fährt im Sommer mit seiner Familie nach Santiago di Compostella. Er mag keine Hunde und ist lactoseintolerant. Hilft das was?“
Kopfschütteln. Konrad verschränkte die Arme vor der Brust und hielt seine Gedanken dazu an, langsam und sorgfältig das Szenario durchzuspielen, das seine kriminellen Energien soeben erschufen.
Schließlich stand er auf, schulterte seine Tasche und steuerte auf die Zimmertür zu mit einer Entschlossenheit, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte.
„Hey, wo willst du hin? Ich denke, du bleibst noch zum Abendessen.“
Es war mitten in der Stadt, aber die Straßen waren nicht belebt. Die Leute saßen in ihren Büros und arbeiteten. Verschickten Mahnungen, machten Steuererklärungen und zogen in der Geschäftswelt unerfahrene Programmierer über den Tisch.
Der Schriftzug GBS prangte rot an der Fassade des Gebäudes. Grauer Nieselregen ließ es wenigstens etwas trist wirken. Im Erdgeschoss ermöglichten Fensterfronten den Einblick in ein gefliestes Foyer mit Kunstpflanzen, die unter gelben LED-Leuchten die Wand verschönerten. Ein Tresen mit einer Empfangsdame, dahinter Fahrstühle mit davor wartenden Leuten und eine kleine Sitzecke mit bequem aussehenden, niedrigen Ledersesseln, auf denen aber niemand saß.
Konrad atmete tief durch, setzte ein schüchternes Lächeln auf und die Schiebetür ließ ihn ein in eine polierte Welt, die nur ein klein wenig nach Desinfektionsmitteln roch. Dafür hüllte die Empfangsdame eine Parfümwolke ein. Er verkniff sich das angewiderte Husten und beugte sich vor.
„Firma Lausen. Bei uns ist angerufen worden, weil sie hier ein kleines Problem im Serverraum festgestellt haben?“
Die hübsche Brünette mit dem weinfarbenen Lippenstift und den dunklen Augen sah ihn etwas irritiert an. Sie legte ihren Füller aus der Hand und presste die Fingerspitzen an einander.
„Bitte, wer waren Sie noch gleich?“
„Mein Name ist Carsten. Also als Nachname. Herr Carsten. Ich bin auch eigentlich zu spät dran, das ist mir furchtbar unangenehm. Es ist mein erster Tag heute und mein Chef meinte, mit einem Routine-Problem werde ich auch allein fertig.“
Die Dame legte die Stirn leicht in Falten und griff nach einem Telefon, ohne Konrad dabei aus den Augen zu lassen.
„Ist gut, ich hole den Hausmeister, damit er Sie begleiten kann.“
„Oh, das ist nicht nötig, ich weiß, wo ich hin muss. Raum 42, zweite Reihe, die panisch rot blinkende Serverplatte.“
„Eh, also…“
Konrad wartete ihre Widerworte nicht ab, sondern hielt selbstsicher auf die Fahrstühle zu. „Oh, welches Stockwerk nochmal?“
„3, aber soll ich nicht doch lieber den Hausmeister…“
„Machen Sie sich keine Umstände, ich bin in zehn Minuten fertig und schon wieder weg.“
Sie setzte sich wieder, schaute ihm und seinem Werkzeugköfferchen noch etwas unsicher nach, zuckte dann die Schultern und widmete sich ihrem Pappbecher Kaffee.
Konrad schlug das Herz heftig in der Brust. Im Fahrstuhl, den Gang entlang und in den verschlossenen Serverraum. Die Angestellten hatten alle an ihren Bildschirmen gehangen und ihn nicht weiter beachtet. Wenn sie ihn denn überhaupt bemerkt hatten.
Der Raum war laut, die Lüftung dröhnte und eisige Luft umspielte die ratternden und blinkenden Serverplatten. Kabel, Lämpchen, Steckplätze, blinkende LEDs, Beschriftungen und surrende Festplatten. Konrad öffnete seinen Werkzeugkoffer und ließ ein böses Grinsen sein Gesicht erobern.
Global Business Panne
Technikpanne bei der GBS. Die in aller Welt verbreiteten Anwendungen und Services waren für ganze drei Tage nicht erreichbar. Grund war ein Defekt im Serverraum des Unternehmens. Der geschätzte Schaden geht in die Millionen. Die Versicherung prüft, ob Fahrlässigkeit Grund für die Panne war.
Charlie hockte wieder einmal im Dunkeln, im Schein seiner Monitore und klickte lustlos mit der Maus. Diese Hacking-Aktion war einfach nicht annähernd so ergiebig, wie er es sich vorgestellt hatte. Und seit zwei Stunden war das System nicht mehr erreichbar, sodass er es nicht einmal versuchen konnte.
Er hörte leichte Schritte die Kellertreppe hinunter kommen. Konrad war da. Dann hatte er zumindest wieder jemanden, dem er sein Leid klagen konnte.
Die Tür ging nach sparsamem Klopfen auf und Flurlicht drängte herein. Diesmal malträtierte sein Kumpel ihn auch nicht, indem er die Deckenlampe anschaltete. Ohne Beschwerden stieg er über den Rucksack und ließ sich, die Hände in den Hosentaschen, auf dem freien Stuhl nieder.
„Done!“
Verwirrt blickte Charlie in ein rundum zufriedenes Lächeln. Langsam stellte er die Dose, die eben noch an seinen Lippen gehangen hatte, auf der Tastatur ab. Knapp hielt er sie noch vom Umkippen ab und platzierte sie auf einem Kork-Untersetzer neben der Maus.
„Was meinst du?“
„Die GBS.“
Verärgert drehte er den Bildschirm so, dass Konrad die Fehlermeldung im Browser sehen konnte.
„Nix ist mit GBS. Ich bekomme seit Stunden keinen Zugang.“
Konrads Grinsen wurde immer breiter, „Eben.“
Ganz langsam begann Charlie zu begreifen. Seine Augen weiteten sich und Begeisterung machte sich breit. Er deutete auf den Bildschirm.
„Das warst du?“
Sein Kumpel nickte und ein Freudenschrei war seine Belohnung.
„Wie geil. Ok, Konni, wie um alles in der Welt hast du das angestellt?“
Konrad holte seine Brille aus der Tasche und setzte sie ganz langsam auf, um Charlie auf die Folter zu spannen.
„Social Hacking.“
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
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