Cover

Dorfgeschichten
aus der
Uckermark
Am nördlichen Rand der Uckermark liegt
RADEKOW.
Es ist nur wenigen Kilometern von Stettin entfernt, eine schöne polnische Stadt, mit Hafen. Den Hafen und einen Teil der schönen Stadt kann man ganz vorne sehen, auf dem Cover.
Außerdem weiß man jetzt, dass eine Schifffahrt nach Stettin möglich ist. Selbst eine Eisenbahn fährt. Radekow ist also ein Grenzdorf. Es grenzt nicht nur an Polen, sondern auch an Mecklenburg- Vorpommern.



Vielleicht sollte ich mich erstmal vorstellen? Nee, nicht so, daß du nichts mehr sehen kannst. Nicht davor stellen.
Nein, damit du mich besser kennen lernst, obwohl ich hier schon in den Spukgeschichten herum spuke.
Ich heiße Dave.
Ich heiße schon rund 12 Jahre so.
Weil ich eben noch nicht älter bin.

Wir wohnten bis 2008 in der Uckermark.
Das ist meine Heimat, meine Gegend, meine Stadt und mein Dorf. Hier gibt es keine Alpen und auch keinen Ural, obwohl viele Leute aus dem fernen südwestdeutschen Raum, die denken manchmal schon, daß der Ural gleich hinter der Oder kommt. Kommt er aber nicht. Lass dir da mal nichts vormachen. Auch die Uckermark ist in Deutschland und die Leute, die hier leben, das sind auch richtige Menschen.
Na ja, manchmal sind es ganz besondere. Aber hat nicht jeder Landstrich, jede Gegend ihre besonderen Menschen?
Also die Uckermärker sind so ähnlich wie die Mecklenburger und die Hamburger. Sie sprechen sogar eine ähnliche Sprache, nämlich das Plattdeutsche.
Aber, ihr sollt mich ja verstehen und darum spreche ich mehr das Hochdeutsche. Nur mit ein kleines bisschen Dialekt und manchmal ziemlich umgangssprachlich.
Wir haben lange in Schwedt gelebt. Das ist eine kleine Stadt, die schon früher in der DDR ziemlich wichtig war, wegen dem PCK. Da wurden aus Erdöl allerhand interessante Sachen hergestellt. Besonders Diesel und Benzin. Das ist der Saft, den es auf der Tankstelle gibt und den die Autos, große wie kleine brauchen um überall hin zu fahren. Noch heute versuchen die Stadtväter und Stadtmütter den anderen in der Uckermark und der ganzen Welt klar zu machen, dass Schwedter die allergrößten und wichtigsten Menschen hier sind.
Ich denke mal, ja wichtig sind die auch, aber genauso wichtig ist die Oma Meier aus der Nachbarschaft, denn die bringt immer diesen tollen Kuchen zu uns und der schmeckt soooo gut. Und ihr Mann der Opa Meier, der ist auch wichtig, denn mein Buchpapi kann sich bei ihm immer die Schubkarre ausborgen und ganz viel Holz in unseren Stall hinein bringen.
Das brauchen wir zum Heizen. Ja, da staunst du aber, nicht wahr!?
Wir heizen richtige Kachelöfen mit Holz und Kohle. Aber davon bekommst du später noch mehr zu lesen. Schließlich sind wir umgezogen und wohnen nun in Radekow.




Das alte Gutshaus ist fast schon verfallen.
Aber erst vor wenigen Tagen hat sich ein Käufer gefunden.
Gleich neben diesem Gutshaus wohnen wir.
Dieses Foto hier ist sehr alt!



Also kann man heute von der Strasse kein Gutshaus mehr erkennen. Ein Wald ist rundherum gewachsen.

Unser Dorf hat nur 142 Einwohnern, also ohne uns gerechnet. Was da aber alles so los ist, darüber kann ich nur staunen. Du wirst wahrscheinlich manchmal denken, dass ich eine Menge zusammen spinne. Nee, neee, das ist aber nicht so. Das meiste stimmt. Na lies mal weiter, du wirst schon merken, wann meine Erzählung nicht mehr ganz so richtig wahr ist.

„Siehste, nun sind wir auf dem Dorf.“



Rainer hat seine Christel in den Arm genommen und schaut ganz wichtig, dabei hat er auch keine Ahnung vom Dorfleben, aber das sage ich ihm lieber etwas später. Wir sind erst wenige Tage hier in Radekow. Umgezogen, weg aus der Stadt, hinaus aufs Dorf. Es ist ein kleines Dorf. Ein paar Kinder habe ich auch schon gesehen und zwei Jugendliche. Aber die waren weiter weg und als wir da waren, waren sie verschwunden. Das Dorf liegt ganz oben im Norden der Uckermark und grenzt richtig doll.
Einmal an Polen, die Grenze ist nur 3 Kilometer entfernt und dann noch an dem nächsten Landkreis. Der heißt Ucker- Randow. Das kommt von dem Fluss der hier lang schwimmt. Außerdem grenzen wir hier noch an Mecklenburg- Vorpommern. Radekow ist lang auseinander gezogen und auf beiden Seiten der Straße stehen alte und neue Häuser, graue, braune, gelbe und rote.
Zwischendurch liegt auch ein Feld an der Straße. Da steht dann kein Haus drauf. Auch eine Wiese liegt an der Straße, da wächst Gras und man kann abkürzen. Die Straße trennt sich in der Mitte und man kann nach Damitzow gehen oder fahren. Gehen ist leiser. Die Straße ist nur eine kurze Strecke glatt, dann fängt das Holperpflaster an. Das sind große runde Steine in vielen Farben. Da poltert und klappert fast jedes Auto, das da entlang fährt, besonders die LKW mit Anhänger. Oder der Traktor mit den gelben und roten Geräten hinten drauf. Und wenn man auf der Straße nach Damitzow wandern will, dann kann man schon vorher über die Wiese gehen und abkürzen.
Und wenn es wärmer wird, dann schaue ich mir mal die kleinen Teiche und den Wassergraben an. Da gibt es bestimmt interessante Tiere zu sehen.
Zu sehen ist von Weitem der Turm.
Von der Straße aus und auch von der Eisenbahn, die hier in der Nähe nach Stettin fährt, kann man ihn sehen.


Eine große und ziemlich alte Kirche steht an der Straße, ihren Turm meine ich und obwohl es so wenig Menschen sind, die hier wohnen, gleich bei einem der ersten Spaziergänge ist es uns aufgefallen, Radekow hat zwei Friedhöfe. Einer ist direkt an der Kirche und der andere ein Stückchen weiter aus dem Dorf. Das kriegen wir bestimmt noch heraus, warum das hier so ist.
Rundum das Dorf ist Gegend.



Eine schöne Gegend, lang gezogene Hügel und Täler, auch Baumstreifen und sogar Wald. Nur der liegt ein kleines Stück weiter weg. Gleich an unserem Haus ist ein kleiner Wald. Der heißt Park und stammt vom Gutshaus. Das ist ein tolles, großes Haus. Leider steht es leer und wenn nicht bald einer kommt, der das bezahlen kann, dann wird es wohl kaputt gehen. Jetzt jedenfalls sieht es aus, als ob ich da mal ein richtiges Abenteuer erleben kann. Ich habe nämlich gesehen, daß unten ein Kellerfenster kaputt ist und wenn Rainer nicht aufpaßt, dann flitze ich da schnell mal rein.
Da sollen ja richtige reiche Leute drinnen gewohnt haben. Unsere Nachbarn sagen: „Da war auch der Konsum drin.“ Na ja, den Konsum kenne ich schon, so ein Lebensmittelgeschäft, wo es auch Waschmittel gibt. Aber nun gibt es hier in Radekow keinen Konsum mehr. Nach der Wende ist sogar die Kneipe weg gezogen. Und einkaufen kann man jetzt nicht mehr in einem Geschäft, sondern in vielen Einkaufsautos. Die kommen jeden Tag angefahren, tuten oder klingeln und hupen bis auch der letzte Hund im Dorf Bescheid weiß. Fleischer, Bäcker, ein Fischauto und ein ganzer Einkaufsladen auf Räder kommt hier her. Drinnen öffnen Frauen oder auch Männer die Türen wie ein kleines Dach, damit die Kundschaft nicht naß wird, wenn es regnet. Hier trifft man dann das halbe Dorf, viele Frauen und Männer stehen vor dem Verkaufsauto und sprechen miteinander.
Auch die Bürgermeisterin kann man treffen.
Ja, Radekow hat eine Frau als Orts- Chef. Die Leute kennen sich alle gut. Jeder sagt zum anderen „Du“ und außerdem weiß jeder den Vornamen von den anderen. Bloß uns kennen sie noch nicht. Aber wir sind ja erst kurze Zeit in Radekow. Eines aber wissen die Leute hier dann doch ganz genau: wir sind die Neuen!
Wir stören nicht. Uns stört das auch nicht. Mit einigen Leuten haben wir schon gesprochen. Man kann sich unterschiedlich kennen lernen. Einmal beim Spaziergang kann man am Zaun stehen bleiben und „Morgen!“ sagen. Dann kommt ein Einheimischer und freut sich, daß man mit ihm redet.
Oder man macht es wie Rainer. Rainer hat ein Stück Holz im Stall gehackt, damit es besser in den Kachelofen paßt. Da kommt der Nachbar von der anderen Hausseite. „Hol dir mal die Schubkarre, der Frank macht im Wald Holz, das kannst du dir holen.“, spricht es und verschwindet in Richtung Wald. In der Hand hat er einen Stock zum Laufen. Jetzt sehe ich es nicht nur, nein ich höre es ganz deutlich. Da hinten klingt ein Benzinmotor. Wie beim Rasenmäher. „Da liegst du gar nicht so falsch!“, sagt unser neuer alter Nachbar. Na ja, er ist schon ziemlich alt, aber super freundlich, genau wie seine Frau. Das ist eine ganz liebe ältere Dame. Sie hat weiße Haare, die ihr Gesicht einrahmen. So habe ich mir schon immer eine Oma vorgestellt.
Und ihr Mann sagt mir nun:
„Da schau mal, der Frank hat einen trockenen Baum gefällt. Mit der Motorsäge.“
Aha, das war das Geräusch. Mir geht ein Licht auf. Die Säge hat keinen elektrischen Motor und kein Kabel, dafür einen Benzinmotor und einen Tank.
Wie beim Auto nur alles kleiner und ohne Vorder- und Hinterräder. Jetzt sind wir in den Wald gegangen und haben Frank besucht. Klar, daß Rainer erst gewartet hat, bis der Frank die Motorsäge aus gemacht hat. Mann weiß ja nicht, was er sonst noch alles so zersägen will und auch wenn man laut ruft, kann er nichts hören. Die Säge ist viel zu laut und schreit richtig los, vorne herum hat sie eine Kette mit Zähnen. Damit frisst sie sich gierig durch das trockene Holz. Frank ist ein Maurer, der im Winter nicht arbeitet, erst wenn es wärmer wird, dann kann er wieder arbeiten. Auf dem Bau. Er ist noch nicht so alt, wie unser Nachbar auf der anderen Seite. Er hat sein Haus weiter vorne im Dorf und wohnt da mit seinen Eltern. Genau wie ich, ist er noch Single.
Ja, ich habe auch noch keine Frau. Dafür hat Frank aber einen Onkel. Der wohnt hier auch in Radekow. Aha, das habe ich mir schon so gedacht. Der Onkel wohnt schon 69 Jahre hier und ist, zusammen mit seiner Frau Hühnerbesitzer.
Wenn jetzt einer nicht weiß was Hühner sind, kann ich es ihm erzählen. Kennt ihr die runden weißen oder braunen Dinger, die hart oder weich gekocht manchmal zum Frühstück gegessen werden?
Oder mit denen wir Ostern kullern können und die angeblich der Hase versteckt?
Ja, ich meine die Eier. Eier gibt es im Supermarkt. Eier gibt es auf dem Dorf. Der Onkel von Frank sagt, seine Hühner sind glücklich, weil sie so frei herumlaufen können und alles Mögliche auf der Wiese und in den Büschen aufpicken können und deswegen schmecken die Eier von den Hühnern so gut und sind so groß und so toll. Die Eier im Supermarkt dagegen werden von Hühnern gelegt, die in engen Ställen fast übereinander gestapelt leben und die sind darum nicht so glücklich und darum schmecken ihre Eier auch nicht so gut.
Seitdem wir den Onkel von Frank kennen gelernt haben, kommen die Eier an unsere Haustür. Das ist für Rainer sehr bequem, denn nun braucht er Eier nicht mehr im Nachbardorf zu kaufen.
Da fährt er zweimal in der Woche mit dem Fahrrad hin. Rainer, der schon seit vielen Jahren nur noch Auto fahren kennt. Na der pustet vielleicht, wenn er wieder zu Hause gelandet ist.
Der Frank kann nicht nur mit der Motorsäge sägen. Er kann z.B. schnell erklären. Gerade erklärt er Rainer, daß er eine Schwester hat, die wohnt auch im Dorf, aber wieder auf der anderen Seite, das übernächste Haus. Sie lebt mit Henry zusammen. Und dessen Cousin wohnt auch im Dorf, noch ein Haus weiter.
„Da darfst du dich ja mit keinem streiten, denn sie sind hier alle miteinander
verwandt !“,
ja Christel hat das gleich richtig erkannt. Aber warum sollte sich Rainer hier mit den Leuten streiten? Die meisten Leute grüßen laut und fröhlich, wenn wir durch das Dorf gehen und viel öfter als in der Stadt stellen sich Christel und Rainer an einen Gartenzaun und schwatzen mit den Leuten.
Das geht ganz einfach und die Menschen sind sehr nett. Meistens wissen sie schon, dass wir die Neuen im Dorf sind.
Der Frank hat die Motorsäge jetzt aus gemacht und erzählt auch, was hier alles so los ist. Ostern gibt es ein großes Feuer, ein Osterfeuer, da kommt das ganze Dorf zusammen. Ich glaube darauf kann ich mich freuen.
So Frank muss weiter sägen und wir gehen zurück in unsere neue alte Wohnung. Es ist die Hälfte von einem alten Haus. Genau wie Rainer es wollte, mit einer Kachelofenheizung. Das ist vielleicht ein langes Wort. Rainer kann noch mit Holz und Kohle heizen. Mit Papier steckt er das Holz an und das Holz die Kohle.
Er heizt aber auch mit Erinnerungen an seine Kindheit. Immer wenn er das Feuer anzündet, dann erinnert er sich daran und daß er immer nach der Schule die Öfen in der Wohnung seiner Eltern heizen mußte. Erst den großen im Kinderzimmer, dann den im Wohnzimmer und den im Schlafzimmer der Eltern zuletzt. Vorher die Asche in einen Eiseneimer vorsichtig einfüllen. Vorsichtig, weil Asche überall hin schweben kann und die Mutti dann immer gleich Staub wischen musste, was sie aber nicht wollte.
Dann Papier und dünnes Holz in den Ofen legen und das Papier anzünden. Vorsicht, da kann auch der Finger Feuer fangen. Na, dann gibt es eine Brandblase und der Finger tut mächtig weh. Wenn dann auch das Holz richtig brennt muß die Kohle aufgelegt werden. Die soll vom Holz das Feuer übernehmen und auch brennen. Wenn sie nur noch Glut ist, dann macht Rainer die Türen vom Ofen zu. Eine halbe Stunde später kann man sich schon an den Ofen setzen und spürt die wohlige Wärme an seinem Rücken. Und weißte eigentlich worauf ich mich richtig freue ? Der Kachelofen im Wohnzimmer hat in der Mitte ein Loch aus Eisen. Davor ist eine Klappe und Rainer sagt, das Loch im Ofen heißt „Röhre“. Da kommt auch heiße Luft heraus, wenn der Ofen warm ist.
Und weil es heute schon wieder geschneit hat, obwohl es eigentlich schon fast bald Frühling ist, gibt es heute Abend Bratäpfel.
Die schmecken am besten, wenn sie in der Röhre vom Wohnzimmerofen gebrutzelt werden.

Impressum

Texte: erpi erzählt nun etwas vom Dorf, vom Dorfleben, von der Landschaft und den Menschen. Die Fotos, die in dieser Erzählung zu sehen sind, haben die fleißigen Fotografen vom Dorf- und Feuerwehrverein Radekow e.V. gemacht.
Tag der Veröffentlichung: 26.08.2009

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