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Betreten verboten!



Der Sand kitzelt.
Klitzekleine Körnchen und etliche größer Krümel quellen zwischen meinen Zehen
hervor, wenn ich den Fuß bewege.
Dieser Strand ist überfüllt.
Immer mehr Menschen, bepackt mit allerlei Taschen und Beuteln quellen und
quirlen aus den Wegen, die zwischen den Dünen angelegt wurden, um endlich
am Strand ihre Heim statt für den heutigen Tag zu finden.
Erwachsene, Kinder und Hunde.
Alle sind sie wieder da. Einige Gesichter kenne ich.
Von gestern. Die waren schon hier.
Die Sonne hat ihre Haut in allen Schattierungen der Farbe Rot und auch Braun
gefärbt.
Seltsamer Gedanke: Am Ende des Sommerurlaubs sind alle Urlauber bunt. Am Ende des Sommers werden ja auch die Blätter der meisten Bäume bunt ...
Quirliges Gedönse, Rufen von hellen Kinderstimmen, hin und wieder bellt ein Hund.
Da, einige Urlaubsfamilien der vergangenen Tage haben wieder ihre “eigene” Burg entdeckt und mit Beschlag belegt. Und während die Eltern ein großes
Burgreinigen beginnen, flitzen die Kinder in das Wasser.
Aha, da ist ja wieder der Dicke. Krebsrot ist sein Gesicht. Es hat sich vor Anstrengung gerötet. Er schleppt das Strandgut, das sind die Dinge, die der
nächtliche Wind und vielleicht sogar die Wellen bis an seine Burg getragen haben, wieder weg.
Die Burg muss sauber sein. Der Nachbar könnte sonst die Nase rümpfen! Und außerdem ... ? Na ja, man möchte es eben sauber haben.
Deswegen schleppt er nun allerlei Unrat in Richtung Dünen.
Dünen?
Die sanften Sandberge, mit niedrigen Kiefern, deren Wachstum von den Stürmen geprägt ist. Oder der Strandhafer, dessen kräuselnde Spitzen Wellenbewegungen imitieren, immer in die Richtung die der Wind bestimmt. Da oben lugt aus dem
Sand grellfarbener Kunststoff. Eine Trinkflasche? Der Rest eines grellroten Buddel- Eimers?
Ich ziehe mich zurück. Fort vom inzwischen überfüllten Strand.
Hinauf auf die Düne.
Ich betrete verbotene Wege. Ganz deutlich ist es auf dem Schild zu lesen, das hier an der Grenze zwischen Strand und Strandhafer steht.
“Betreten verboten!”
Ich muss aber hier hinauf! Weg von den dicken Geruchsschwaden teuerer oder billiger Sonnenschutzöle und Sonnenschutzcreme, die nun wahrscheinlich tonnenweise von den Vätern und Müttern über Dutzende von Kindern verteilt
werden. Endlich stehe ich oben. Direkt in den Dünen.
Der Wind hat gedreht und treibt den Ölgeruch hinaus auf das Meer. Der Strand verschwindet aus meinem Blickfeld, Sandhügel mit Strandhafer schieben sich
zwischen mir und dem Strand. Nur das Meer. Ich kann es nicht mehr sehen, aber gut hören. Wellenschlag, er klingt weit hinauf hier.
Da war doch dieses rote Plaststück?
Der Rest eines grellroten Buddel- Eimers? An meiner feuchten Haut klebt eine dünne Sandschicht, als ich mich auf den Boden knie, um das rote Stück auszugraben. Mit beiden Händen und mit den
Armen teile ich die sandige Flut. Hier, an der Stelle wo kein Strandhafer wächst schiebe ich Sandwelle für Sandwelle fort. Das rote Stück Kunststoff ist ein Streifen.
Es ist der untere Rand von einem roten Stoffmantel, den ich da aus dem Sand grabe. Nach und nach befreie ich ihn vollständig. Am oberen Kragen ist eine Kapuze angenäht. Sie sollte den Träger wohl vor
Regen, Schnee und Sturm schützen. Ratlos hocke ich im heißen Sand und halte nun den sandigen, roten Mantel mit Kapuze in meinen Händen.
Fragen drängen sich mir auf.
Wie kommt dieser Mantel in die Dünen?
Wer wohl hat ihn getragen und benötigt ihn nicht mehr? Hat er einen neuen Mantel bekommen?
Geschenkt oder musste er ihn kaufen?
Ich schaue mir den Mantel genauer an. Da an den Armen, genauer an den Unterarmen wirkt er abgeschürft, der Stoff scheint dünner vom häufigen Reiben an härteren Material. Nachdenklich betrachte ich meinen Fund.
Heiß brennt die Sonne von oben herab, hier wo ich diesen Mantel ausgegraben habe, weht kein Wind und kühlt meine Haut.
Das Meer höre ich noch immer gut. Es rauscht laut mit seinen Wellen. Will, kann es mir antworten?

“Es ist alles verladen! Die Reise kann beginnen.“,
salutierend steht der kleine Fuchs vor dem alten Herrn, dessen weißer Rauschebart auf dem roten Mantel sehr gut zur Geltung kommt. Auf seine
Hinterbeine gestellt und vom buschigen Schwanz gestützt ragt der kleine Fuchs bis fast an den Gürtel der den Mantel über einem dicken Bauch zusammen hält. “In dem großen Sack sind die Geschenke für die Mecklenburger und Brandenburger Kinder. Wenn die verteilt sind, dann einfach auf der Düne XX landen und den leeren Sack austauschen.
Gegen den vollen für die Kinder in Schleswig- Holstein, Hamburg und Niedersachsen. Den haben wir nämlich auch schon fertig gepackt. Für die Kinder aus Hessen, dem Saarland und Westfalen sowie Baden-
Württemberg und Bayern haben wir in der Uferrandzone des mittleren Rheins Verstecke ausfindig gemacht, wo der Wechsel der Geschenksäcke durchgeführt werden kann. Und die sächsischen Kinder sowie die Thüringer Austauschstellen für leere und volle Geschenksäcke haben wir mit Leuchtfeuer für Rentiere ausgestattet. Sie werden dich an die richtige Stelle führen, wenn es soweit ist.”, noch immer salutiert der kleine Fuchs vor dem alten Herrn. Der lächelt ihn gütig an und sagt dann: "Halt, halt! Du brauchst mir doch nicht die ganze Reiseroute zu erklären. Ich habe ja den Geschenke- Verteiler- Atlas dabei und außerdem noch den Laptop, also habe ich alle wichtigen Informationen. Danke, mein Freund! Außerdem
mache ich das ja nicht das erste Mal.”
und lächelnd streicht er über die spitzen Ohren von dem kleinen Fuchs, der sich nun - wegen der bequemeren Haltung- wieder auf alle vier Pfoten nieder gelassen hat. “Aber meine Frau hat gesagt ich soll nichts vergessen und dir alles noch einmal
erklären.”, begehrt das Füchslein auf. Der alte Herr hat gerade dem ersten Rentier ganz vorne noch etwas ins Ohr geflüstert und antwortet nun dem Fuchs:
“Ja, ja! Sag deiner Frau auch einen schönen Gruß und ich weiß nun ja genau Bescheid. Bleib nun ein bisschen zurück, damit du keine Kufe an den Kopf
bekommst. Machs gut!”. Dann steigt er auf den Schlitten, nimmt die Zügel in seine Hände und pfeift
durchdringend und laut.
Vor dem Schlittengespann erhebt sich ein dienstbeflissener Schneesturm,
eigentlich mehr ein Schneestürmchen den die Rentiere sofort wie eine Treppe benutzen und so zieht der alte Herr und sein Schlitten mit dem dicken Geschenke- Sack hoch hinauf. Über die Wolken und etwas unterhalb des Himmels findet er den Weg vom Nordpol nach Mecklenburg- Vorpommern und von daher dann nach überall hin.
Einige Zeit später, die Geschenke für die Kinder der ersten Region sind alle verteilt und der erste große Sack ist leer geworden, landet der alte Herr an einer Stelle, die die Leser dieser Geschichte im sommerlichen Ambiente schon kennen gelernt haben.
Im Winter sieht diese Stelle natürlich ganz anders aus. Das Meeresrauschen ist aber noch immer vorhanden. Es ist lauter, stärker als im Sommer. Die rauen Nordwinde habe die Wellen etwas höher aufgetürmt. Viel kräftiger als im Sommer rauschen sie den Strand hinauf. Die Urlauber- Burgen des Sommers, die hat das Meer in geduldigem Rauschen
wieder geglättet. Sie sind nicht mehr zu erkennen, kein Urlauber würde sie finden, wenn er im Winter am Strand in seiner Burg liegen wollte. Aber zu dieser Zeit finden Urlauber nur noch selten an den Strand. Es riecht auch nicht mehr nach Öl.
Stattdessen herrschen hier die Möwen. Eisige Winde haben Schnee zwischen den Dünen verteilt, der eigentlich als Mütze für Dünenköpfe gedacht war. Die Winterwinde sind eben noch immer etwas
undiszipliniert und die Schneeschauer müssen noch kräftiger werden, damit die Dünen vollständig unter einer gemütlichen Schneedecke schlafen können.
Nun, für den alten Herrn ist es ganz gut, dass noch nicht allzu viel Schnee liegt. So kann er sofort die Stelle finden, an der die fleißigen Füchse den vollen Geschenke- Sack zum Austausch gegen den leeren deponiert haben. Gerade sind die Rentiere mit dem Schlitten gelandet. Eine Schneewolke haben sie aufgewirbelt, so dass es keiner beobachten kann.
Selbst wenn da einer wäre, er würde nur einen Schneewirbel sehen und bei sich denken:
“Aha, da ist ja wohl ein Schneewirbel aufgewirbelt worden, wahrscheinlich von einem kleinen Wirbelwind.” Der alte Herr ist schon vom Schlitten herunter geklettert und hat den Rentieren
schon frische rote Mohrrüben als Futter für die Rast vor die Nasen gelegt. Nun sucht er den gefüllten Geschenke- Sack. “Ja, wo liegt er denn nur?”, brubbelt er vor sich hin, schaut noch einmal auf den Geschenke- Verteiler- Atlas und nimmt dann den Laptop unter dem Sitz hervor. Nun stapft er durch den Schnee, der sich zwischen den Dünen angesammelt hat. Dabei schaut er aufmerksam auf den Monitor. Auf dem Bildschirm leuchtet ein roter Punkt auf, die Stelle markierend, die der alte Herr sucht. Der aber schüttelt mit dem weißen Bart.
“Da auf dem Bildschirm sehe ich schon die Stelle, aber nicht hier im realen Sand!”, ruft er nun empört aus. “Verflixte Technik, die moderne!”,
grollt er weiter. Etwas erschöpft wohl, von der bereits getanen Arbeit, verliert er allmählich die
Geduld. Und trotz des kalten Nordwindes wird ihm langsam warm in seinem roten Mantel, den er schon viele Jahre für die Aufgabe nutzt, im Winter Geschenke für Kinder in der ganzen Welt zu verteilen.
Frau Füchsin hatte ihm schon vor Jahren eine rote Kunststoff- Borte an den unteren Rand vom Mantel genäht, damit der nasse Schnee nicht gleich in den
Mantelstoff eindringen kann. Seitdem diese Borte da sitzt, wird der Mantel auch dann nicht schwerer, wenn er einmal in eine Pfütze taucht. Denn nicht immer ist das Wetter im Winter so, wie es sich der alte Herr und viele Kinder wünschen. Kirschblüten am 24. Dezember mag der alte Herr auch nicht. Aber bequemer ist der Mantel mit der Kunststoffborte auf jeden Fall. Doch im Moment fällt es dem alten Herrn nicht ein, sich darüber zu freuen. Schließlich will er noch einige Geschenke an diesem Tag verteilen, nur dazu müsste er den vollen Sack finden, der trotz eifrigem Blinken auf dem Monitor in
der realen Düne nicht auffindbar ist.
Langsam ändert sich die Sprache des alten Herrn.
Nicht laut für jedermann hörbar, aber in seinen Gedanken immer stärker zu vernehmen. “Hol sich doch die Schwindsucht, der vermaledeite Heini.
Dieser Mikrosofti mit seinen windigen Fenstern!
Den kann der Teufel holen. Früher haben wir mit Fackeln gearbeitet. Die konnte ich schon auf zehn Kilometer erkennen.”, so klingt es in seinen Gedanken. Vom ständigen Suchen und Herumstampfen wird ihm richtig warm, ja fast schon muss er schwitzen. In seiner Erregung löst er den roten Gürtel und zieht den roten Mantel aus. Ohne darüber nach zu denken, lässt er ihn einfach hinter sich fallen.Und wieder schimpfen seine Gedanken los:
“Ja gibt es denn so etwas. Ich habe doch nicht ewig Zeit, diesen Sack zu suchen!”. Entschlossen kehrt der alte Herr zum Schlitten zurück, wo die Rentiere
noch an ihren Möhren schnurpsen. Den Laptop wirft er ungehalten unter den Sitz und greift sich das kleine Telefon, ein Handy.
“Hallo Fuchs!”,
ruft er noch immer wütend in den winzigen Sprachschlitz. “Hier Frau Fuchs!”, antwortet eine ferne Frauenstimme. “Na Gott sei Dank!”, ruft der alte Herr und sagt weiter: “Dieser gefüllte Sack in der Dünen XX, ich kann ihn nicht finden. Schon ewig
suche ich hier. Wo habt ihr ihn denn nur versteckt!?” “Hast du wieder vergessen die Batterien vom Laptop zu laden?”, entgegnet ihm die Füchsin energisch, denn Schuldzuweisungen dieser Art hasst sie furchtbar. Und ohne jeden Zweifel wollte der alte Herr die Schuld der Familie
Fuchs zuweisen. „Na kommen sie Frau Füchsin, ich mag jetzt nicht um die Schuld streiten, nur den
vollen Sack, den will ich jetzt sofort und gleich auf der Stelle, ohne jede Verzögerung finden!”
„Ist schon in Ordnung.” klingt es aus dem kleinen Telefon: „Der kleine Fuchs ist schon unterwegs.”,
dann klickt es kurz und die Verbindung ist abgebrochen. Suchend schaut der alte Herr hinauf zum Himmel. Der ist inzwischen dunkelblau geworden und viele Sterne blitzen auf die Erde hinab.
Da! Weit aus Richtung Norden rauscht eine Sternschnuppe mit langem Streifen heran. “Hat er ja sogar den Rennschlitten genommen.”, denkt sich der alte Herr erfreut, dann landet wieder mit starkem Schneewirbeln der kleine Fuchs. Direkt neben dem Schlitten des alten Herrn. „Hab ihn gleich!”,
ruft er noch, dann ist er schon wieder hinter den wirbelnden Schneeflocken verschwunden. Suchend schaut der Alte ihm nach. Seine Augen leuchten dabei
wie zwei Taschenlampen. In diesem Lichtschein schält sich nur kurze Zeit später eine kleine Gestalt heraus, die an einem riesigen Sack zieht und zerrt. „Wart nur, ich helfe ja!”, ruft der alte Herr und springt hurtig hinzu. Gemeinsam packen sie den großen Sack auf den Schlitten. Der alte Herr dankt dem Füchslein noch schnell, springt auf den Schlitten und flitzt davon. Schließlich wollte er heute ja noch sooo viel schaffen. Der kleine Fuchs springt wieder auf seinen Rennschlitten und kurze Zeit darauf zeigt eine Sternschnuppe mit ihre erleuchten Himmelbahn, dieses Mal von Süden nach Norden, dass er erfolgreich auf dem Heimweg zu
seiner Füchsin ist.
An diesem Abend noch werden die Kinder von ganz Mecklenburg- Vorpommern und Brandenburg mit Geschenken unter dem Weihnachtsbaum beliefert, denn
der 24. Dezember war schon nahe.

“Was machen sie denn hier!?”
Ein energischer älterer Mann mit weißem Rauschebart steht vor mir.
Wegen der Sommerhitze hat er nur eine Badehose an.
Sein dicker runder Bauch quillt darüber hinweg.
Aber ich kenne ihn.
Es ist der Strandvogt,
der auch die Strandkörbe vermietet und immer ein
bisschen mit den Kindern herum meckert.
Nun hat er mich erwischt.
“Können sie nicht lesen?
Da steht extra ein Schild:
“Betreten verboten!”

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Tag der Veröffentlichung: 25.08.2009

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