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„ Guten Morgen!“,
Mutti ist gekommen um mich zu wecken. Ich mag es, wenn sie das tut. Da lasse ich meine Augen fest zu und stelle mich, als ob ich noch schlafen würde. Dann beugt sie sich meistens über meinen Kopf und küßt mich auf meine Stirn. Dann zieht sie mir ganz schnell das Kopfkissen unter dem Kopf weg und ruft :
„Aufstehen du kleines Murmeltier! Der Tag hat schon angefangen!“.
Ich knurre dann meist noch ein mal:
„Ach nein, laß mich doch noch ein bißchen schlafen. Ich bin noch so müde.“ Aber das zieht bei ihr nicht. Lachend ruft sie:
„Nichts da. Der Tisch ist schon gedeckt. Es gibt Frühstück mit Honig und Marmelade !“
Na ja und dann, dann bin ich wach. Ich stehe auf und Mutti verschwindet wieder in der Küche. Im Bad schaue ich in den Spiegel. Och, ganz wuschelig sind meine rotblonden Haare und sogar im Gesicht habe ich noch eine Knitterfalte. Das ist die große Frage! Bügeln oder nicht? Na besser nicht bügeln, so ein Bügeleisen kann ganz schön heiß werden und weh tun. Nee, dann mal lieber waschen. Frisches, kaltes Wasser zuerst in die Hände und dann ins Gesicht.
„Huuaa!“ Jetzt bin ich richtig wach. Mein Gesicht ist ganz rot. Die Knitterfalte verschwindet langsam. Kaltes Wasser. Das ist richtig gut.

Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht. Rufen wieder die Fenster vom Gutshaus? Nein, die sind es dieses Mal nicht. Hinter der Straße, vom Wohnzimmer kann ich es ganz genau sehen, ist ein kleiner Teich. Die Weiden an seinem Ufer haben ihre Äste fast ineinander geflochten, so daß ein richtiger Zaun aus Weidenbaum dieses Wasser von der Wiese und den Besuchern absperrt. Von daher ruft mich eine leise Stimme.
„Dave, komm doch mal zu uns. Besuche uns doch mal..“ Neugierig bin ich aufgestanden und habe nachgesehen.
Seltsames Licht geistert über die Wiese vor dem Wasser. Wie bei einem Flugplatz blinkt es mir zu und zeigt zugleich den Weg, den ich gehen soll. Da, sogar die Weiden mit ihren Ästen haben ein Loch für mich gelassen, damit ich dem Wasser näher kommen kann. Still und dunkel liegt das Wasser vor mir. Nur die Sterne spiegeln sich da, dort den Abendstern kann ich sogar gut erkennen. Und was ist das daneben für ein Stern ? Der leuchtende Punkt wird heller und heller. Dann erkenne ich, daß es kein Spiegelbild von einem Stern sein kann. Oben am Nachthimmel ist nur der Abendstern zu sehen, sonst nichts. Ich schaue mir den Lichtpunkt, der aus dem Wasser steigen will, genauer an. Es ist, ja es ist eine Elfe?
„Hallo Dave“, raunt eine dunkle Stimme. „Ja, du hast recht, ich bin eine Elfe. Die Elfe vom Weidenweiher. Und ich habe dich gerufen.“
Ach, ich bin ganz weg. Das gibt es doch nicht. Hier, mitten in Radekow eine Elfe !? Na gut, Moore und Wasser gibt es hier genug, deswegen kann Paule, der Storch ja jedes Jahr wieder her kommen, es gibt genug Frösche für ihn und seine Familie. Aber daß hier Elfen leben sollen, das habe ich nicht gewußt.
„Du staunst jetzt, nicht wahr ?“, raunt mir die dunkle Stimme zu und die Elfe lächelt mir ins Gesicht.
„Na klar!“, sag ich, und weiter: „Das erlebt man doch nicht jeden Tag und schon gar nicht in der Stadt. Da muß man wohl erst auf dem Dorf wohnen.“ Die Elfe nickt mir zu.
„In der Stadt sind wir Elfen auch, aber da ist selbst in der Nacht noch viel zu viel Verkehr, die Autos jagen hin und her, die Menschen sind voller Hast und Eile und viele haben sogar unfreundliche Gedanken in ihren Köpfen. Auch in der Nacht. Ihre Träume sind oft schrecklich und nennen sich Alp- Träume. Ihr Denken dreht sich um böse Dinge. Sie wollen etwas gegen den Nachbarn, den Kollegen oder den Chef unternehmen. Sie sind unfreundlich zueinander und kennen sich nicht mehr so wie früher. Das schnürt uns Elfen die Kehlen zu, nimmt uns die Luft und die Lust zu leben. Die wenigen Ausnahmen reichen nicht, vielen Elfen in der Stadt das Leben erträglich zu machen. Deswegen findest du Elfen meistens nur noch in den Dörfern. Da wo die Leute noch aufeinander achten, sich gegenseitig helfen und nicht immer neidisch zum Nachbarn schielen, nur weil der ein größeres Auto hat.“
„Aber, mein Freund Jecki, der wohnt doch auch in der Stadt und der schielt nicht nach dem Nachbarn, weil der ein neues Auto hat.“, entgegne ich der Elfe.
„Ja“, sagt die und weiter: „Kinder, Kinder sind ja auch etwas ganz anderes ! Unsere Stadtelfen können vielleicht der Kinder wegen noch immer in der Stadt aushalten. Ja Kinder, die können ja noch richtig träumen.“
Ganz versonnen guckt die Elfe in den Mondschein. Ich habe eine Idee:
„Gib doch deinen Stadtelfen mal einen Tip. Sie könnten z.B. in der Nähe von Schulen wohnen, da wo viele Kinder sind. Oder bei den Kindergärten.“
„Ja“, sagt die Elfe „Doch die Kindergärten und Schulen werden in der Stadt ja auch immer weniger. Andauernd schließen sie einen Kindergarten oder sogar die eine oder andere Schule. Aus der einen Schule haben sie sogar eine doofe Stadtverwaltung gemacht. Wie findest du denn das? Und außerdem werden immer weniger Kinder geboren. Ich habe mir schon die Zeitung von deinen Nachbarn ausgeborgt, um zu lesen, wieviel Kinder überhaupt noch kommen. Jeden Freitag stehen da welche drin, da bin ich richtig froh. Früher aber waren es viel mehr.“
Ich überlege. „Kann es sein, daß die Eltern heute immer mehr Streß haben, als früher?“
„Ja, so wird es sein.“, denkt auch die Elfe mit. „Und weil es auch im Dorf immer weniger Kinder gibt, da habe ich dich gerufen. Du bist ja schließlich neu hier und ich wollte dich näher kennen lernen. Willst du mal sehen wie ich wohne?“
Na klar wollte ich das wissen, also sind wir los gegangen. Gleich in das kalte Wasser hinein? Im Schlafanzug?
Das gibt aber Mecker, wenn Mutti das sieht. Nein, es war ganz und gar nicht kalt, nicht mal naß und der Schlafanzug blieb also trocken, als die Elfe und ich in die Elfenwohnung eintraten. Von draußen ein Weidenweiher und von innen eine gemütliche Elfenwohnung. Da stand ein Sofa, weich vom dicken Algenpolster, Auch die beiden Sessel rechts und links vom Sofa hatten dieses grünen Algenpolster. Auf dem Tisch stand ein Krug mit grüner Brause.
„Willst du trinken? Wenn du Durst hast, hier ist Limonade.“, stolz zeigte die Elfe auf den Krug und auf die beiden Gläser daneben. „Den Krug und die Gläser habe ich von meinem schwedischen Freund bekommen. Der ist auch ein Elf und kommt zweimal im Jahr mit der Fähre von Trelleborg hierher. In Schweden ist es meistens noch kälter als hier in Radekow, sagt er immer. Und die Limonade ist aus Entengrütze, schmeckt aber süß, weil ich beim Krämer in Tantow ein bißchen Zucker stibitzt habe.“ Das stimmt, die Limonade schmeckt mir gut. Und beim Krämer in Tantow hat die Elfe geklaut?
Ich schaue sie an. Ein bißchen länger noch. Sieht lustig aus, wenn eine grüne Wasserelfe vom Weidenweiher plötzlich auch noch rot wird.
„Es ist schon 200 Jahre her, also verjährt.“ sagt sie jetzt trotzig. Dabei habe ich gar nichts gesagt.
Ein bißchen geklaut habe ich auch schon. Musste ich gleich dran denken. Es war wegen der Mutprobe. Eine Tafel Schokolade. In der Stadt war das und meine Freunde von der Schule haben alle an der Schaufensterscheibe zugesehen, wie ich durch die Kasse beim Supermarkt gekommen bin, ohne sie zu bezahlen. Das sollte meine Mutprobe sein, damit ich mit den Schulfreunden auf dem Pausenhof quatschen kann. Ich wollte eben dabei sein. Als ich Mutti davon erzählt habe, am Abend, war sie sauer mit mir. Am nächsten Nachmittag ist sie mit mir in den Supermarkt gegangen, hat mir die 65 Cent gegeben und ich mußte mich an die Kassenschlange stellen. Als ich dran kam, habe ich gesagt:
„Guten Tag, gestern hatte ich eine Mutprobe. Das war, ähem, Schokolade klauen. Ich habe sie mit genommen ohne zu bezahlen. Heute gebe ich ihnen das Geld.“
Die Verkäuferin hat mich komisch angesehen und dann gesagt:
„Na mein Freundchen, da hast du heute aber eine größere Mutprobe bestanden.“
Dann hat sie mich durch geschickt und ich brauchte nicht zu bezahlen. Sie hat mir schnell zugeflüstert, daß es viel zu lange dauern würde, ehe sie die richtige Scannernummer für die Kasse finden würde, also sollte ich verduften. Bin ich vielleicht geflitzt. Aber die Elfe braucht sich gar nicht aufzuregen. Ha, vor 200 Jahren dem Krämer ein bißchen Zucker geklaut und das als Elfe vom Weiden- Weiher. Sie kann doch eigentlich fliegen. Und wie sind ihre Beziehungen zu den Bienen. Bestimmt gut, schon wegen der Weidenkätzchen. Die können doch dann auch Honig abgeben. Der ist bestimmt noch besser zum Süßen. „Die Bienen fliegen nur in der Wärme, also Frühjahr, Sommer und Herbst. Die Limonade habe ich im Winter gemacht und Honig war eben alle.“, die Elfe weiß genau, was ich gedacht habe. Und hat auch gleich eine Antwort. Es macht mir nichts aus. Die Limonade schmeckt und es sitzt sich gut in dem grünen Algenpolster. Richtig warm und gemütlich. „Kennst du eigentlich Laura?“, frage ich die Elfe. „Natürlich!“, antwortet – etwas geziert – die Elfe. Warum ist die eigentlich so blau?, stelle ich in Gedanken meine Frage. „Sie ist nur eine geisterhafte Erscheinung auf dem Gutshof!“, jetzt belehrt mich die Elfe sogar. Ich sage: „Nee, da irrst du dich aber gewaltig. Sie ist mit Paule in Afrika ! Gestern sind sie abgeflogen.“ Hmmh, jetzt ist die Elfe nachdenklich geworden. Sie fragt mich:
„Und du hast es genau gesehen?“ „Aber genau!“, rufe ich aufgeregt. „Sie sind da drüben über den Hügel geflogen, ich habe ihnen noch lange hinterher gewunken.“ Nachdenklich zeigt mir die Elfe ihre Badestube.
„Da am kleinen Badeofen hat Laura öfter gesessen und sich im Winter die kalten Finger gewärmt. Die Gnädigste hat sie ja so oft bestraft, auch im Winter draußen nasse Wäsche aufhängen, war so eine Strafe. Kaltes Wasser ?
Das ist richtig gut.
Morgens zum Gesicht waschen und richtig aufwachen. Aber nichts für kleine Mädchen im Dienst der Gnädigsten.“
„Was hast du da eben gesagt ? Welches kleine Mädchen meinst du denn?“
Mutti steht mit einem großen Fragezeichen im Gesicht in der Badezimmertür und schaut mich an. Da habe ich wohl eben mit offenen Augen geträumt und Mutti holt mich zum Frühstück ab. Suchend schaue ich mich um, da war doch eben noch dieses schöne Algenpolster und die grüne Limonade?
Ich schaue noch einmal in den Spiegel. Neben meinen ungläubigen Augen und der fast schon gänzlich verschwundenen Knitterfalte im Gesicht, gleich da links neben meinen Ohr winkt mir eine kleine grüne Figur zu.
Sie wird immer kleiner.
Eine Elfe, mitten im Spiegel.

Impressum

Texte: Alexander Pick, men Neffe, ist Profizeichner und hat schon bei einigen Trickfilmen mitgearbeitet, z.B. beim Kleinen Eisbär. Dave stammt aus der Zeit als "Kinder wohnen mit Menschen" als Buch und Internetseite entstand.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2009

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