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„Gurr, gurr“, der Ringeltäuberich ruft seine Ringeltaube.
Wenn ich am Morgen aus dem Fenster sehe, dann sitzen die beiden auf dem Ast der alten Linde, die hinter dem Waschküchenhäuschen steht. Ich glaube, die gucken zu uns rein, um zu sehen wie lange wir schlafen. Heute morgen sitzen sie wieder beide nebeneinander, manchmal stecken sie ihre Schnäbel zusammen, es sieht so aus als ob sie miteinander tuscheln.
„Kuck mal, was die für eine bunte Bettwäsche haben.“
Oder
„Schau dir das ruhig mal an, der Mann gibt der Frau auch am Morgen ein Küßchen zum Aufstehen, da könntest du dir ruhig mal ein Beispiel nehmen.“.
Ein bisschen kuschele ich mich noch in meine warme Decke und denke über die Geschichte nach, die ich heute Nacht geträumt habe.
Mitten im Park aus Linden und Kastanien, da wo ein kleiner Teich mit Schilfgürtel herum tümpelt, steht das alte große Gutshaus. In den späten Abendstunden hockt es dunkel und groß im Park. Gleich nebenan wohnen wir. Aber mehr so am Rande von dem Park. Das Gutshaus steht schon lange leer. Nur oben, ganz in der Nähe von der kleinen Glaskuppel, da wohnt ein altes Krähenpaar. Der Baum, auf dem ihr zerzaustes Nest deutlich zu sehen ist, der ist so hoch, daß seine Äste das Dach des Gutshauses erreichen. Manchmal hört man den alten Kräherich ein dumpfes „Krrrk, Krrrk !“ rufen. Weil ich noch nicht so lange hier wohne, weiß ich nicht genau, was das heißt. Es klingt wie:
„Na warte, bald komme ich euch holen. Wartet nur, bald ist es soweit.“
Aber da kann ich mich natürlich auch irren. Die Krähe, seine Frau ist netter. Die fliegt im Park umher und manchmal hört man die Spatzen über sie schimpfen. Wahrscheinlich will sie denen etwas wegnehmen, man weiß das ja, manche Krähen klauen.
In meinem Traum bin ich heute Nacht unterwegs gewesen. Von dem alten Krähenpaar war nichts zu hören und zu sehen. Auch im Park nicht. Nur die hohen Fenster des Gutshauses blicken auf meinen Weg und luden mich ein, doch einmal einzutreten. Hinter Holunderbüschen, die bis dicht an die Mauern gewachsen sind, versteckt sich die breite Steintreppe. Ächzend, die Büsche halten mich fest und kratzen in meinem Gesicht, bin ich durch die Büsche hindurch geschlüpft und komme nun auf die hohe Eingangstür zu. Kein Mensch ist zu sehen. Nur die Fenster rufen:
„Tritt ein, komm ruhig herein.“
Und während draußen der hell silberne Mond seinen Strahl durch die Äste der Bäume auf den kalten Boden schickt, öffnen sich knarrend beide Flügel und ich trete in das alte Gutshaus ein. Auch innen ist eine breite Treppe aus Holz, die nach oben führt, hinunter mag ich die Treppe nicht gehen, da sind ja meistens die Küchen - Räume und Speisekammer und weiter oben wohnen die Menschen. Langsam steige ich die breite Holztreppe hinauf. Da ! Plötzlich höre ich ein leises Wimmern. Erst dachte ich, es sind die Holzstufen die knarren, wenn ich drauf trete, aber das war es nicht. Es wimmerte auch wenn ich einfach stehen blieb.
„Aach Jemine“ und
"Aach“
tönt es nun wieder. Gespannt und vorsichtig bin ich auf dem Treppenabsatz angekommen und will gerade die nächste Stufe nehmen, da sehe ich sie. Eine bläuliche durchsichtige Gestalt, ein Mädchen ? Ein Mädchen ! Aber durchsichtig und unwahrscheinlich traurig.
„Hallo“ und
„Tach!“,
sage ich einfach mal so und beobachte die Gestalt gespannt. Was wird sie jetzt machen? Wird sie sich auf mich stürzen, wird sie fliehen und wer ist sie
überhaupt? Noch immer sitzt sie still auf der mittleren Treppenstufe. Ihr Gesicht wird von ihren Händen verdeckt. Von daher kommt das Wimmern. Hat sie vielleicht Schmerzen?
„He du da, kann ich dir vielleicht helfen? Wir wohnen da drüben.“,
mit der einen Hand zeige ich ihr die Richtung in der unser Häuschen steht. Sie guckt garnicht. Sie wimmert noch immer. „Hallo!“,
ich traue mich lauter zu werden und werde sie jetzt mal an der Schulter anfassen. Vorsichtig hebe ich meine rechte Hand an ihre Schulter. Huch, was ist denn das? Meine Finger treffe ihre Schulter nicht, sie kommen zwar an der Schulter an, aber dann gehen sie weiter hindurch, ohne sie zu berühren. Sie ist nicht nur etwas durchsichtig, sie ist auch noch durchfaßbar.
„He, was ist denn mit dir los? Bist du ein Gespenst?“.
Schließlich habe ich noch nie ein Gespenst gesehen, nur im Kino. Noch nie in echt! Das Mädchen ist jetzt aufmerksamer geworden. Es hat den Kopf gehoben, ihre Zöpfe zu den Seiten geschoben und wimmert nicht mehr. Aber die Tränen auf ihrem Gesicht kann ich erkennen. Da, eine läuft langsam über ihre Wange. Vorsichtig berühre ich die Träne an ihrer Wange. Ganz still hält das Mädchen, sie schaut mich nur an. Sie hat - logisch – blaue Augen. Komisch, die Träne läßt sich wegwischen. Noch einmal nehme ich Anlauf in meinem Kopf und stelle mich vor: „Ich bin Dave und wohne in der Nachbarschaft. Wer bist denn du?“ Sie schaut mich noch immer an und sagt dann, ohne die Lippen zu bewegen:
„Ich heiße Laura und bin das Zimmermädchen von der Gnädigsten. Ich habe vergessen das Bad zu richten und nun hat sie mich geschlagen, mitten ins Gesicht. Da schau mal, alles blau.“
„Ja! Aber nicht nur im Gesicht bist du blau, sondern überall. Sogar deine Kleider und die Haare sind blau. Aber gemein ist trotzdem, daß dich die Gnädigste gehauen hat. Wer ist die denn eigentlich?“ Verwundert hebt das blaue Mädchen seine Augenbrauen:
„Du kennst die Gnädigste nicht?“
Ich sag:
„ Nee! Die einzige Gnädigste, die ich kenne, ist Frau Kluge. Meine Lehrerin. Aber die haut keinen, auch keine kleinen blauen Mädchen. Und wenn ich manchmal die Hausaufgaben vergessen habe, dann ist sie schon mal so gnädig und läßt sie mich nachholen. Aber, vielleicht zeigst du mir einfach mal deine Gnädigste!?“ Langsam erhebt sich das blaue Mädchen und nickt mir zu.
„Ja, komm ich zeige sie dir.“,
greift mich bei der Hand und dann schweben wir beide durch die nächste Wand in ein Zimmer. Wir kommen von oben und bleiben an der Decke, damit uns keiner bemerkt. Das blaue Mädchen zeigt mit dem Finger hinunter.
Da, ach das ist die Gnädigste!? Das Mädchen nickt mir traurig zu. Ja, da hat sie aber Pech gehabt. Die ältere Frau da unten sieht aus wie eine Hexe. Auf der Nase hat sie eine dicke Warze und die Nase selber ist lang und hängt hinunter bis fast auf das Kinn. Fettige Haare hängen in Strähnen vom Kopf herunter und sind so dünn, daß ich genau ihre pickelige Kopfhaut sehen kann. So, aber genau so, habe ich mir immer die Hexe bei Hänsel und Gretel vorgestellt. Aber diese Gnädige, diese Hexe scheint nichts machen zu können. Weder zaubern noch sonst etwas Nützliches. Gerade wirft sie wütend mit einer Bürste nach einem der Mädchen, die da unten herum wuseln. Nichts und keiner kann es ihr wohl recht machen?
„Wo ist Laura, holt Laura sofort her!“, laut kreischt sie. Ich muß lachen. Laura schaut mich erschrocken an. Aber sie braucht keine Angst zu haben , erstens kriegt diese Gnädigste uns hier oben nicht mit und zweitens kann ich auch leise lachen. Ach, jetzt versteht es auch Laura und lächelt ein wenig.
„Na siehste“, sag ich zu ihr
„Kannst ja schon wieder ein bißchen lachen. Hast du eigentlich auch Freunde hier?“
Lauras Gesicht strahlt jetzt. Sieht in Blau auch ganz gut aus.
„Klar, ich habe auch Freunde ! Komm ich zeige sie dir.“ und schon schweben wir durch die Wand des Hauses hinaus auf den Hof.
Ganz dicht neben dem großen Misthaufen, der riecht aber super, steht auch ein kleines Häuschen. Es ist eine Hundehütte und da sitzt ein großer Hund und beobachtet aufmerksam, was alles so auf dem Hof passiert. Da sind die Leiterwagen mit den dicken Pferden. Die ziehen diese Leiterwagen, auf denen riesige Ladungen an Heu und Stroh in die Scheunen an der einen Hofseite gebracht werden.
„Das sind die Vorräte für die Tiere in den Ställen.“, sagt mir Laura.
„Und hier ist einer meiner Freunde. Er heißt Hassan.“ sie hockt sich zu dem Hund. Der hat sie längst entdeckt, aber auch mich. Aufmerksam schaut er mich an. Groß und noch größer werden seine Augen. Fast so groß wie ein Teller. Zuerst waren sie nur braun, die Augen von Hassan, nun aber werden sie immer heller und fangen an zu strahlen. Feuer scheint heraus zu kommen. Ich bekomme Angst. Will wenigstens ein Stückchen zurück weichen. Geht aber nicht. Irgend etwas hält mich fest. Irgendwie komme ich hier nicht mehr weg. Hassan hat ganz große Zähne. Ich kann schon seinen Atem riechen. Ich muß hier unbedingt weg! Was hält mich denn bloß fest hier?
„Dave!“, wer ruft mich denn jetzt?
„Dave ?!“ Ach Laura ruft mich. Sie hält mich auch fest am Arm. Puhh, bin ich froh und erleichtert. Laura beruhigt mich:
„Du mußt keine Angst haben. Es ist doch nur Hassan, mein Freund!“
Laura beruhigt Hassan:
„Laß mal Hassan, das ist Dave, ein netter Besucher, ich zeige ihm den Hof.“ Beruhigt setzt sich Hassan wieder auf seine Hinterbeine. Sein Interesse an mir scheint geschwunden und er wendet sich Laura zu.
„Ich soll dich wohl streicheln?“, fragt sie ihn fast zärtlich und fährt ihn mit der Hand über den Rücken. Hassan reckt seinen Kopf näher an Laura.
„Ja, hier und dann noch da, bloß nicht aufhören mit dem Streicheln, ooh tut das gut!“, so scheint er ihr zu zurufen.
Da klappert es plötzlich laut. Und noch ein mal. Was ist denn das nun wieder? Laura ist es die jetzt laut lacht.
„Das ist ein weiterer Freund von mir. Komm mit.“ Und schon greift sie mich mit der Hand und schwebt über die Dorfstraße hinweg. Hier, in der Nähe der feuchten Wiesen mit den Wasserlöchern und ist, direkt auf einer alten Weide, ein struppiges Nest und da drinnen steht ein Vogel. Schwarz und weiß sind seine Federn, nur Schnabel und Beine sind rot.
„Der Klapperstorch heißt Paule und kommt jedes Jahr hierher. Im Winter, wenn es bei uns so kalt ist, dann fliegt Paule nach Afrika. Für sein Nest gibt es noch keinen Ofen, weißt du. Deswegen muß er im Winter dahin fliegen, wo es wärmer ist.“
Sehnsüchtig schaut Laura dem Paule zu. „Du würdest wohl auch gerne mal weg fliegen?“,
frage ich sie. „Ja“,
sagt sie und weiter:
„Weit über das Land, über die Bäume hinweg bis an den Rand der Welt. Da wo Afrika beginnt. Und kein kalter Winter mit Sturm und Gebrause, mit Hunger und Schlägen von der Gnädigsten.“
Und da ist es dann passiert. Ich habe mir Lauras Wunsch nicht nur angehört, ich habe auch gespürt, wie gerne sie los fliegen würde.
Ich habe ihr noch geholfen, damit sie auf den Rücken von Paule kommt. Dann hat sie mir zugewunken und auch zu Hassan rüber und dann ist Paule mit ihr gestartet. Bis sie wie ein klitzekleiner Punkt am Himmel waren, habe ich hinter her geschaut und noch lange gewunken. Die Flügel von Paul habe ich auch noch lange gehört. Das Auf und Ab wirbelte die Luft herum und machte so ein komisches Geräusch.
Es klang wie: „Gurr, gurr.“
Als ich die Augen aufmachte,
saß drüben auf dem Zweig der Linde
der Ringeltäuberich
mit seiner Ringeltaube.

Impressum

Texte: Dave wurde von Alexander Pick gezeichnet und wer es will, der findet ihn im Buch "Kinder wohnen mit Menschen" oder auf der gleichnamigen Internetseite wieder.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2009

Alle Rechte vorbehalten

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