Ich stand draußen vor der Haustür und wartete auf meine Mutter. Es war warm. Schon die ganze Woche über schien die Sonne und eine Hitzewelle hatte sich über Berlin breit gemacht. Für gewöhnlich blieb ich bei einer Hitze wie dieser zuhause, da ich schnell zum Sonnenbrand neigte. Doch meine Mutter hatte frei, was nur selten vorkam, darum wollten wir im benachbarten Park picknicken.
Sorgsam trug ich die Sonnencreme auf, während ich dabei zusah wie meine Mutter mit dem Picknickkorb in der einen und einer grünen Fleecedecke in der anderen Hand das Haus verließ. In den Korb legte ich die Cremtube und wollte ihn gerade an mich nehmen, als ich plötzlich dieses Brennen verspürte. Meine Arme, mein Gesicht und auch der Rest meiner Haut der nicht bedeckt war, tat plötzlich fürchterlich weh.
Wimmernd starrte ich auf meine Hand, auf der sich merkwürdige Bläschen bildeten und dann aufplatzten. Blut quoll aus den Wunden und tropfte auf den Gehweg. Bei dem Anblick wurde mir Speiübel, Blut konnte ich noch nie wirklich sehen.
Meine Mutter, die noch nicht bemerkt hatte was mit mir vorging, drehte sich um und sagte mit einem Lächeln:"Ahja, alles Liebe zum G ..., Scarlett, was hast du?"
Ihr Lächeln erstarb und Panik machte sich in ihrem Gesicht breit. Doch sie zögerte keinen Augenblick, sondern ließ den Korb fallen und warf die Decke über mich. Dann spürte ich nur noch wie sie mich hoch hob und irgendwohin trug. Der Schmerz ließ mich nicht klar Denken und ihr Griff verschlimmerte ihn nur noch, so dass anfing wie am Spieß zu schreien. Dies tat ich solange, bis sie mich wieder absetzte und die Decke von meinem Körper herunter riss.
Zitternd blickte ich mich um und sah noch, wie sie die Rollos in der Wohnung herunter ließ, ehe jeder Raum stockfinster war. Es dauerte gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis meine Mutter die Zimmerlampe in der Ecke des Wohnzimmers an machte. In dem schwachen Licht konnte ich die Decke auf dem Fußboden sehen, die in Blut getränkt war. Meine Mutter kickte sie außer Reichweite und kniete sich vor mich. Ihre Gesichtsfarbe hatte einen grünlichen Farbton angenommen und sie wirkte, als müsse sie sich jeden Moment übergeben. Doch auch wenn sie um ihre Fassung rang, blieb sie ruhig.
"M-mach dir keine .. keine Sorgen ...", würgte sie die einzelnen Wörter hervor und wischte mir mit einem Lappen über das Gesicht, das bei ihrer Berührung wieder brannte. Reflexartig währte ich mich dagegen und drehte mich um. Doch das war ein Fehler, denn ich blickte direkt in den gebrochenen Spiegel, der im Flur an der Wand hing. Beim Anblick der Wunden auf meinem Körper begann ich erneut zu kreischen.
Mein eigener Schrei riss mich aus dem Schlaf und ich setzte mich auf. Ich sah die Wunden aus denen das Blut herausquoll noch deutlich vor mir. Spürte wie die Angst sich in mir breit machte und mein Herz so wild pochte, als wollte es mir aus der Brust springen.
Besorgt betrachtete ich meine Arme. Es war zwar stockfinster, doch ich konnte alles sehen, denn meine Augen gewöhnten sich recht schnell an die Dunkelheit. Meine Haut war glatt und unversehrt. Auch als ich mein Gesicht vorsichtshalber abtastete, fand ich keine Wunden. Es war nur ein Traum. Der selbe Traum, der mich seit meinem sechsten Geburtstag immer wieder heimsuchte. Und auch dieses Mal war er wieder so real gewesen, dass ich es nicht fassen konnte. Immerhin hatte ich diesen brennenden Schmerz doch deutlich gefühlt.
Ich versuchte die Erinnerungen an jenen Tag zu verdrängen, an dem sich mein Leben ins negative wandte. Doch das war leider leichter gesagt, als getan. Es kostete mich viel Energie und die Bilder wollten einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden.
"Eins ...", begann ich in tiefen Atemzügen zu zählen. Es war eine Art Ritual geworden. Jedes Mal wenn ich diesen Traum hatte, zählte ich solange rauf, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. "... zwei ..., d-drei ..."
Erst bei zwanzig wurde mein Atem endlich etwas ruhiger und mein Herzschlag wieder so langsam wie ich ihn gewohnt war. Um mich noch ein letztes Mal zu vergewissern, glitt ich ein weiteres Mal vorsichtig mit den Fingerspitzen über meinen Körper. Die Erleichterung durchfuhr mich. Ich entspannte und ließ mich zurück ins Kissen sinken.
In der Dunkelheit starrte ich an die kahle Decke über mir. Mein recht winziges Zimmer, war nur sperrlich eingerichtet. Es gab einen hölzernen Schreibtisch neben Tür, auf dem ordentlich aufgestappelt meine Schulbücher lagen. Außerdem besaß ich noch ein Bücherregal neben dem Fenster und gleich daneben stand ein schmaler Kleiderschrank. Sonst war der Raum genauso kahl wie die Decke. Auf Poster stand ich nicht und meine weißen Wände blieben daher eher unberührt. Manchmal scherzte meine Mutter, dass mein Raum aussah wie ein Krankenzimmer. Viel zu ordentlich und sterril für ein sechzehnjähriges Mädchen.
Trotz des Albtraums der mich aufgewühlt hatte, packte mich die Müdigkeit. Scheinbar war es Tag geworden, denn sobald draußen die Sonne schien, hatte ich das verlangen bis tief in die Nacht zu schlafen. Warum wusste ich nicht, es war schon immer so gewesen. In der Nacht hingegen fiel es mir schwer einzuschlafen, es vergingen meist Stunden bis ich überhaupt müde wurde.
Nun aber wurden meine Augenlider schwerer und fielen langsam zu. Der Schlaf streckte seine Finger nach mir aus, rief mich zu sich und wollte mich nicht mehr loslassen. Ich war schlapp und kraftlos. Es wäre ein Kinderspiel gewesen wieder einzuschlafen. Doch dann meldete sich mein Instinkt zu Wort.
Ein ungutes Gefühl überkam mich und drängte mich dazu einen Blick auf die Uhr über der Tür zu werfen. Deren schwach leuchtender Display gab nicht nur die Zeit, sondern auch das Datum wieder. Abermals ruckartig setze ich mich auf und strampelte die Decke auf den Boden. Es war Montag und in knapp einer viertel Stunde kam der Schulbus. Mein Problem dabei war, ich war nicht vorbereitet um das Haus zu verlassen.
"Scheiße!", fluchte ich und sprang aus dem Bett. "Nicht schon wieder zu spät! Die Marton brummt mir sicher eine Strafe auf ..."
Unerwartet, kaum das ich ein Bein auf den Boden gesetzt hatte, verhedderte ich mich in der Decke die ich zuvor runter warf. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Rücken. Der Laminatboden war so hart, dass ich kurzzeitig nach Luft rang. Doch nur einen Augenblick. Denn kaum eine Sekunde später, füllten meine Lungenflügel sich wieder mit Luft und ich setzte mich mühelos auf. Verletzt hatte ich mich nicht.
Freak! Wie auf Kommando setzen sie die Stimmen ein. Sie erklangen immer dann, wenn ich sie am wenigsten ertragen konnte. Du bist nicht normal! Psychotante! Dich könnte man abschießen und du würdest es nicht einmal merken.
Die Stimmen wurden immer lauter und zischender. Sie lösten einen Druck in meinem Kopf aus, weshalb ich leicht benebelt die Arme um meine Brust schlang, um mir selbst halt zu geben. Mir traten die Tränen in die Augen, während ich darauf wartete, dass sie schließlich verstummten.
So auf dem Fußboden kauernt, überkam mich das Gefühl der Einsamkeit. Ich versuchte diese Leere zu vertreiben, in dem ich mir selbst einredete, dass sie im Unrecht waren. Aber sie hatten leider Recht. Mir war klar, dass ein normaler Mensch nach einem Sturz wie meinem etwas länger Schmerzen empfand. Doch ich spürte so etwas nie mehr als einen Wimpernschlag. Nur einmal erfuhr ich, was wahrer Schmerz war, doch nicht wegen eines Unfalls. Nicht einmal als Denny Wiesbaden, ein Junge den ich aus Berlin kannte, mich von einer Rutsche schubste verletzte ich mich. Er war der Erste, der mich Freak nannte, danach hörte es mit den Beschimpfungen nicht mehr auf.
Kopfschüttelnd schob ich die Gedanken beiseite und konzentrierte mich auf die wichtigeren Dinge. Zum Beispiel auf den Grund, wieso ich überhaupt aus dem Bett gesprungen war. Die Schule kam mir wieder in den Sinn und der bloße Gedanke löste mich aus meiner Starre. Fast fünf Minuten hatte ich durch diese lächerliche Panikattacke verloren. Zeit die ich dringend brauchte.
Hektisch rannte ich zu meinem Kleiderschrank, riss die Tür auf und suchte nach meinen Bandagen. Ich packte eine neue Rolle aus und betrachtete dabei meine Kleidung. Viel Auswahl gab es nicht. Wozu auch? Vermummt sah ich aus wie eine Mumie, da konnten nicht einmal hübsche Kleider etwas retten. Die paar Sachen die ich besaß reichten mir.
Ohne groß zu überlegen, schnappte ich mir ein langes, schwarzes Oberteil und irgendeine Hose. Wie gewohnt wickelte ich mich in die Bandagen ein, erst den Hals, dann die Arme, dann meinen Kopf, gerade so das nur noch meine Augen hervorlugten. Die Kleidung streifte ich mir sorglos über und dasselbe machte ich mit meiner Jacke.
Ich war darin bereits so routiniert, das ich maximal fünf weitere Minuten meiner Zeit opferte. Wenn man so etwas jeden Tag, zehn Jahrelang machen musste, fand man schnell Tricks die einem die Arbeit erleichterten. Doch diese Tricks schützten nicht immer vor Fehlern. Wenn ich eine Stelle vergas, würde ich wortwörtlich verbrennen, an der Stelle an der mich das Sonnenlicht berührte. Sonnenallergie, so nannte meine Mutter meine Krankheit. Ebenso der Arzt, den ich nur einmal im Leben zu Gesicht bekam. Meine morgendliche Routine war eine Gegenmaßnahme, die dafür sorgte, dass ich nicht Zuhause eingesperrt war und mein Leben beschützte.
Um der Gefahr auch weiterhin entgegen zu wirken, warf ich einen letzten Blick in den Spiegel, der sich auf der innenseiten der Schranktür befand. Jede freie Stelle meiner Haut war bedeckt und ich war fertig. Laut der Uhr, hatte ich noch etwas Zeit. Da die Bushaltestelle direkt vor unserer Wohnung lag, war ich sogar guter Dinge. Im Flur zog ich mir eilig die Schuhe an, setze mir meine Mütze auf und schnappte mir sowohl die Haustürschlüssel als auch den Sonnenschirm, ehe ich gehetzt die Wohnung verließ.
In dem schmalen Treppenhaus, des Mehrfamilienhauses in dem meine Mutter und ich wohnten, kam mir meine direkte Nachbarin entgegen und fragte:"Oh, Scarlette? Bist du das mein Mädchen?"
Die Siebzigjährige blieb sogar stehen und schien sich mit mir unterhalten zu wollen. Ihre Augen waren nicht mehr so gut und deshalb fiel ihr mein gewohnter Aufzug auch nicht auf. Einen netten Plausch mit ihr hätte ich unter anderen Umständen sogar bevorzugt, da sie mir nie mit Angst oder Ekel engegnete. Ganz im Gegenteil zu den anderen Nachbarn. Doch leider musste ich sie mit einem kurzen Gruß abwimmeln, nur um einen Augenblick später vor der gläsernen Eingangstür des Mehrfamilien Hauses innezuhalten und meine brennenden Augen mit dem Arm abzuschirmen.
Aufeinmal wusste ich, wie die alte Dame sich fühlen musste. Meine Sicht war so schlecht, dass ich nicht einmal mehr meine Hand vor Augen richtig deuten konnte. Entsetzt stellte ich fest, dass ich meine Sonnenbrille vergessen hatte und ein Blick durch die Glastür hatte ausgereicht, um mich kurzzeitig erblinden zu lassen. Da es im Flur keinerlei Fenster gab, war mir dies zuvor Mal wieder nicht aufgefallen.
Mit geschlossenen Augen und genervt über meine Vergesslichkeit, tastete ich mich an der rauen Wand entlang zum Treppengeländer. Das war schon das zweite Mal in diesem Monat. Meine Augen waren glücklicherweise noch nie so empfindlich gewesen wie meine Haut, auf diese Schmerzen konnte ich gut verzichten. Es würde auch nur ein paar Minuten dauern, bis ich wieder in der Lage war irgendetwas zu sehen. Doch mir war auch klar, das ich den Bus vergessen konnte. Ich war also nicht nur zu spät dran, sondern musste auch noch den gesamten Weg zur Schule laufen. Schlimmer konnte der Tag einfach nicht mehr werden.
"Fast da!", freute ich mich laut und erstarrte, als mich die Blicke der Menschen durchbohrten, an denen vorbei ich gerade das Tor zum Friedhof passierte. Bei meinem Anblick und meiner Reaktion, handelten sie so, wie alle anderen Menschen die meinem Weg kreuzten. Trotz meiner noch geschwächten Augen, sah ich deutlich ihre eisigen Blicke und die ängstlichen Gesichtsausdrücke, aber auch die Abwehrhaltung die sie unterbewusst annahmen. Sicherlich stellten sie sich vor, wie ich Gräber aushob, oder bizarre Rituale ausübte.
Meine Freude erstarb und ich zog die Mütze tiefer, um mein bandagiertes Gesicht zu verstecken, während ich nun den Kieselweg entlang joggte. Dabei passte ich auf, dass mein Sonnenschirm sich nicht wieder umstülpte. Das war mir bereits zweimal passiert, da der Herbstwind heute wieder sehr stark war. Und auch wenn die Wolken zu dieser Jahreszeit den Himmel immer recht dunkel hielten, waren die wenigen Sonnenstrahlen die durchbrachen trotzdem noch in der Lage, meine Haut unter den dicken Bandagen unangenehm zum prikeln zu bringen.
Schon nach ein paar Minuten, in denen ich an den vielen Gräbern und Gruften vorbei eilte, fiel mir auf, dass der kleine Friedhof abseits der Düsseldorfer Innenstadt, merkwürdig belebt war. Sonst hatte ich meine Ruhe, wenn ich morgens verschlafen hatte und daher laufen musste. Doch jetzt kamen mir immer wieder Leute entgegen. Zuerest stand eine ältere Dame mitten auf dem Weg, die mich anstarrte als sei ich ein fieser Dämon und anfing vor sich hin zu beten. Kurz darauf lief mir ein Pärchen entgegen, dass blitzschnell die Richtung wechselte und mir verstohlen Blicke zu warf. Und dann war da diese Frau mit ihrem Kind.
Eine junge Mutter, mit makkellosem Erscheinungsbild und viel Schminke in ihrem hübschen Gesicht, kam mir mit einem kleinen blonden Mädchen entgegen und funkelte mich argwöhnisch an. Ich schluckte und gab etwas Gas, um rasch an den Beiden vorbeizukommen. Schöne Menschen kamen am wenigsten mit mir aus. Sie kannten keine Abweisung und wussten auch nicht, wie es war den eigenen Körper verstecken zu müssen. Darum konnten solche Leute auch nicht ahnen, wie verletztend ihre Abscheu und Ablehnung waren. Sie hatte soviel Glück, ohne es wirklich verdient zu haben.
Das kleine Mädchen musterte mich, als ich an ihr vorbei preschte, doch ihr Augenausdruck war anders. Darin steckte pure Neugier und kindliche Naivität. Ich konnte nicht anders, als still in mich hinein zu Lächeln, wenigstens die Kleine schien mich nicht zu verurteilen. Noch war sie nicht von der Welt verpfuscht, aber es würde wohl nicht lange dauern bis sie so dachte wie ihre Mutter.
Kaum dass ich sie hinter mir gelassen hatte, geschah etwas eigenartiges. Zwischen uns lag einiges an Entfernung, als ich erschrocken inne hielt und stehen blieb. Eine recht hohe Frauen Stimme drang an mein Ohr, sie schien dieser Frau zu gehören. Während ich zuhörte, was für verletzten Dinge sie ihrer Tochter über mich erzählte, versuchte ich mir eine Antwort dafür zurecht zu legen. Ich war soweit von ihnen entfernt, dass ich sie gar nicht hätte hören dürfen. Schon gar nicht bei dem lauten Wind, der mir um die Ohren peitschte. Und doch nahm ich ihre Stimme wahr, die ich zuvor noch nie zu Ohren bekam. Es war wie mit einem Radio, dass ganz leise gestellt war und man sich konzentrieren musste, um etwas zu verstehen. Außerdem brach ihre Stimme in meinem Kopf auch immer wieder ab, bis ich sie ganz verstummte.
War das wirklich passiert? Ich schüttelte den Kopf. Nein, das hatte ich mir wahrscheinlich nur eingebildet. Immerhin hatte ich mir insgeheim sogar gewünscht, zu wissen was sie dem Mädchen über mich erzählen würde. Womit sie dieses unschuldige Kind verderben würde. Daraufhin hatte mein Gehirn mir einen Streich gespielt. So musste es sein. Und auch diese Stimme war nur ein Produkt meiner Fantasie.
Mit dieser Antwort, setzte ich mich wieder in Bewegung. Der restliche Weg verlief sogar recht ruhig, da mir Niemand mehr entgegen kam. Ich war allein an einem Ort der Ruhe, doch der Gedanke an den Vorfall eben, wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Ich legte meine Hand an den Türgriff, wollte diesen eigentlich herunter drücken und ließ es bleiben, als ich Miss Marton brüllen hörte. Sie klang wütend. Mehrmals wiederhollte sie ein Wort. Setzen. Wenn sie damit wohl meinte? Eigentlich konnte ich es mir denken. Es gab nur einen Idioten, der es immer wieder schaffte die Lehrer zur Weißglut zu bringen und trotzdem nie bestraft wurde. Noah. Seine Eltern waren die, die am meißten an diesem Gymnasium zu sagen hatten, da sie auch am wohlhabensten waren. Und das wusste er ganz genau. kein Lehrer traute sich ihn zum Nachsitzen zu verdonnern, wenn er etwas anstellte, da sonst das wichtige Schulgeld gestrichen wurde.
Zögerlich senkte ich meine Hand und sah mich im Schulflur um. Der schlichte Gang mit den aschgrauen Wänden, war leer. Die Türen der restlichen Klassenräume im zweiten Stock des Gerber Gymnasiums, waren ebenfalls verschlossen und so hatte mich bisher niemand bemerkt. Noch hatte ich die Chance umzudrehen und Nachhause zugehen. Meine Mutter konnte mir eine Entschuldigung schreiben und meine Lehrer und Mitschüler würden sich sogar über mein fehlen freuen. Nur wollte ich nicht um deren Willen flüchten, sondern weil Miss Marton ihre Wut an mir auslassen würde sobald ich den Raum betratt. Ich konnte die Strafe nur erahnen. Den restlichen Nachmittag, würde ich dem Hausmeister helfen müssen den Schulgarten zu pflegen und das nur, weil ich eine halbe Schulstunde verpasst habe.
Für mich war es nicht einmal eine Strafe. Meistens war ich den ganzen Tag allein Zuhause, entweder schlief ich dann oder half freiwillig bis zu den Abendstunden, im Garten hinter dem Schulgebäude. Neben meiner fast blinden Nachbarin, war unser Schulhausmeister der einzige Außenstehende, mit dem ich so etwas wie eine Freundschaft pflegte. George war nicht mehr der Jüngste und nachdem Tod seiner Frau, wusste er lange nichts mit sich anzufangen. Erst als er ehrenamtlich anfing an unserer Schule zu arbeiten, hatte er wieder ein Sinn in seinem Leben entdeckt. Und die Tatsache, das wir Beide nicht viel von den Schülern und Lehrern hier hielten und sie auch nicht von uns, machte uns irgendwie zu Leidengenossen.
Vielleicht verstanden wir und deshalb so gut. Vielleicht aber auch, weil ich die Einzige war die sich außer ihm, ebenfalls fürsorglich um die verschiedenen Nutpflanzen kümmerte, die später als Zutaten für die Hauswitrschaftskurse dienten. Doch was es auch war, ich freute mich jedesmal darauf, Zeit mit ihm zu verbringen. Er war so etwas, wie ein Großvater für mich. Und ich war scheinbar auch die Einzige, die mit seiner grimmigen Art keine Probleme hatte.
Sein stetig grimmiger Blick, das er jeden zurechtwieß der den Schulhof verunreinigte und die Tatsache, dass er sich im Gegenzug zu den Lehrern nicht von wohlhabenden Eltern bestechen ließ, machte ihn zu einer Art Schreckgespenst unserer Schule. Selbst Noah hatte in gewisser Weise Respekt vor ihm. Der Noah, den ich lauthals im Klassenzimmer lachen hören konnte. Ich wollte gar nicht wissen, was er jetzt wieder anstellte. Doch langsam musste ich mich entscheiden. Die Zeit blieb für mich nicht stehen, sondern tickte immer noch weiter.
Schließlich klopfte ich an der Tür. und bereute es auch gleich wieder.
"Herein!", ertönte kaum eine Sekunde später die schrille Stimme meiner Klassenlehrerin.
Ich folgte kleinlaut ihrer Aufforderung und mein Magen zog sich spürbar zusammen. Leise murmelte ich eine leise Entschuldigung und gab zu wieder verschlafen zu haben. Sie blickte mich daraufhin nur abwerten an und sagte ziemlich monoton: "Fräulein Pepper. Schon wieder zu spät. Und das aus so banalenen Gründen. Das gibt einen Eintrag und ich hoffe sie haben heute nach der Schule noch nichts vor! Setzen!"
Die restlichen Blicke, die bisher noch nicht auf mir ruhten, richteten sich ebenfalls auf mich, als ich ganz nach hinten in meine Ecke huschte. Auch Noah und sein bester Freund Mick betrachteten mich und grinsten zynisch. Jetzt wusste ich, warum Miss Marton so wütend war. Diese Vollidioten standen auf den Tischen und hielten mit den Besen, die sonst in meiner Ecke standen, einen Schwertkampf ab. Doch nach meinem Eintritt in die Klasse, waren sie herunter gestiegen und warfen mir nun die Besen vor die Füße.
"Räum die doch Mal für uns Weg Mumie!", rief Noah und klatschte sich wegen seinem ach so tollen Spruch mit Mick ab. Ein paar andere lachten und wiederum andere ignorierten es.
In Augenblicken wie diesen, war ich froh das mein Gesicht nicht zu sehen war. Bestimmt war ich knall Rot. Obwohl ich bei meiner sonst so kreidebleichen Haut nicht sicher war, ob dies wirklich möglich sei.
Schweigend tat ich genau das, was Noah von mir verlangte, ehe unsere Klassenlehrerin sich einschaltete. Dann setzte ich mich an meinen Tisch, auf dem wieder etwas neues mit Edding draufgekritzelt stand. Neben Sachen wie ,,Stirb" und ..Monster" stand nun auch noch ,,Drecksmumie" drauf.
ich atmete tief ein und wieder aus, ehe ich meine Sachen aus der Tasche nahm und das Gekritzel mit meinen Schulsachen überdeckte. Wenigstens war ich allein in der Ecke neben dem Waschbecken. Doch in der Pause würde ich dann wieder zur Zielscheibe werden. Da war ich mir sicher.
Der Tag verging langsam und stockend. Nach den ersten zwei Stunden mit Miss Marton, die mich nur dann dran nahm, wenn ich die Antwort mal nicht wusste, hatten wir Bio und dann Sport. Wie immer machte ich in keinem dieser Fächer wirklich mit, da meine Biolehrerin mich unheimlich fand und mich so gut wie nie dran nahm. Sie distanzierte sich von mir, wie das restlich Lehrpersonal. Und in Sport durfte ich wegen meiner Bandagen nicht teilnehmen. Die Gefahr, dass sie dabei verrutschten könnten war zu groß. Schade eigentlich, denn sportlich war ich schon immer ziemlich gewesen. Abends, wenn die Sonne untergegangen war, schlich ich mich manchmal von Zuhause raus und turnte auf dem benachbarten Spielplatz herum. Einfach nur, um wenigstens etwas Bewegung in meinen tristen Alltag zu bringen. Es wäre ein schönes Gefühl Noah in seinem LIeblingsfach fertig zu machen, doch leider war es mir nicht vergönnt.
In der ersten Pause hatte ich mich so gut es ging vor Noah und seiner Clique versteckt. Schon im Unterricht merkte ich, dass sie es wieder einmal auf mich abgesehen hatten. Neben Papierkugel, die mich immer wieder am Kopf trafen, folgten auch fieße Sprüche und Beschimpfungen. Während sie, wie die meisten in der Mensa ihr Pausenbrot aßen, verzerrte ich meinen Toast auf der Schultoillette. In der Mensa würden sie mich sonst nur noch mehr triezen und lächerlich machen.
zwar roch es auf der Toillette nicht besonders angenehm, doch ich hatte meine Ruhe und blieb meistens allein. Außerdem war es interessant die ganzen Kritzeleien an den Kabinenwänden zu lesen, da diese nicht an mich gerichtet waren. Es waren Gerüchte, Handynummern und vieles mehr auf den Wänden zu finden. Ebenso gekaute Kaugummis oder kleine Bildchen. Ein Bild hatte es mir besonders angetan. Jemand hatte in bunten Farben einen Menschen auf die Wand der letzten Klokabine gemalt. Doch es war kein normaler Mensch, eher eine comichafte Darstellung eines Werwolfjungen. Ein Werwolf war auch anders alle anderen, doch im Gegensatz zu mir, wurde er dafür bewundert. Manchmal wünschte ich mir auch so zu sein. Kein Mensch, sondern ein Wesen. Dann würden meine ganzen körperlichen Beschwerden endlich einmal Sinn ergeben.
Die zweite Pause hingegen verbrachte ich nicht auf der Toillette, sondern half George die Müllcontainer auf dem Schulhof zu leeren. Auch wenn er sich immer wieder darüber beschwerte, dass er das alleine konnte, merkte ich ihm seine unausgesprochene Dankbarkeit an. Gemeinsam brauchten wir nur einen Bruchteil der Pause und verbrachten den Rest in seiner Hausmeisterkammer, wo er ein Stück Apfelkuchen mit mir teilte.
Das war eine Pause nach meinem Geschmack. Niemand traute sich etwas gegen mich zu sagen, oder zu uns herüber zukommen. Sie alle hatten zu viel Angst davor, das George sie zurechtweisen würde und so konnte ich zum ersten Mal an diesem Tag etwas ausspannen. Wir unterhielten uns und ich erzählte ihm von meinen Begegnungen auf dem Friedhof. Als ich die Dame erwähnte, die wie wild zu beten anfing, musste er lachen und schüttelte den Kopf. Doch bei der Frau mit dem Kind, wurde er sauer. Er meckerte über die Gesellschaft und deren Vorurteile. Darüber was für ein schlechtes Vorbild die Frau für ihre Tochter war. Und insgeheim war ich ihm dankbar, denn mit seinem Wutausbruch nahm er mich irgendwo auch in Schutz. Doch noch dankbarer war ich dafür, dass er mich nicht als verrückt betitelte, als ich ihm davon erzählte, dass ich die Frau aus einer unmöglichen Entfernung hatte hören können. Schlussendlich rissen wir sogar Witze darüber.
Leider hielt der Zustand, in dem mich niemand nevte, nicht lange an. Sobald die Pause endete, begann die Folter wieder. Denn auch wenn sie mich in seiner Gegenwart alle in Ruhe ließen, musste ich mir im Sportunterricht immer wieder dumme Sprüche anhören. Sprüche wie ,,Jetzt machst du schon keinen Sport und stinkst trotzdem" oder ,, Warum bist du nicht gleich in den Container geklettert und drin geblieben?".
Als schließlich die heißersehnte Schulglocke erklang, war ich mehr als erleichtert. Ich beobachtete die anderen noch dabei, wie sie aus den Umkleiden der Sporthalle stürmten, ehe ich mich auf den Weg zu George machte. Meine Strafarbeit stand an. Doch irgendwie konnte ich ihn nirgendwo finden. George war weder in seiner Kammer, noch im Schulgarten. Vielleicht war ihm eine andere Aufgabe zugeteilt worden, doch irgendwie spürte, dass etwas nicht stimmte und ich sollte recht behalten.
Nachdem ich eine ganze Weile nach ihm Ausschau gehalten hatte, benachrichtigte ich die Sekretärin, die nur sehr ungern mit mir sprach. Laut ihr sollte ich mich freuen und den freien Nachmittag genießen. So leicht käme ich vielleicht nicht noch einmal von einer Strafarbeit davon. Doch ihre Aussage machte mich wütend. Sie wollte mich einfach nur loswerden. Das es nicht einfach Georges Art war zu verschwinden, interessierte sie gar nicht.
Ich stand kurz davor ihr meine Meinung zu geigen, als ich ein merkwürdiges, dumpfes Geräusch wahrnahm. Es war leise und schien weit erntfernt. Dann, aus der selben Entfernung, hörte ich ein Wimmern. Ich kannte die dazu gehörige Stimme gut. Ohne ein weiteres Wort ließ ich die Sekretärin stehen und rannte so schnell mich meine Beine trugen durch die Gänge. An einer der Treppen wurde das Wimmern lauter und ich eilte nach unten.
Plötzlich fand ich mich im Keller wieder. Hier gab es mehrer in einander verzweigte Gänge, wie in einem Labyrinth und überall hingen Spinneweben an der Decke. Das Licht war schwach, doch es verriet mir, das jemand sich hier aufhalten musste. Immernoch folgte ich dem Wimmern, das mich durch die Gänge leitete. Und am Ende meines Weges, fand ich George auf dem Boden liegend und dessen Bein war merkwürdig verdreht. Seine Hände drückte er auf seine Brust und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Neben ihm lag ein umgekippter Hocker unter dem Lüftungschacht.
"Scarlette?", keuchte er unter großer Mühe.
Ich kniete mich zu ihm und kämpfte gegen die Tränen die in mir aufstiegen. Mit brüchiger Stimme sagte ich:"Ja ..., ich bins. Halt durch ich ruf dir einen Krankenwagen ..., das wird schon wieder ..."
Aufeinmal lächelte er und murmelte wirr vor sich hin:"Keine ... Sorge! Meine Frau ... wartet." Kurz machte er eine Atem Pause, in der er schrecklich zu husten begann und etwas Blut an seinem Mundwinkel herunterlief. Dann fügte er hinzu"Sie dankt dir. Danke das du einen alten Narr ... wie mich ... ertragen hast. Du bist besser ... als alle diese normalen Menschen. Du bist kein Monster ..."
Mein Blick legte sich starr auf das Blut. Mein Magen drehte sich um, als ich diesen metallischen Geruch wahrnahm, doch die Farbe war hypnotisierend. Was stimmte nicht? Vor mir lag mein bester Freund und ich erstarrte wegen etwas Blut. Wütend zwang ich mich dazu, mich zusammen zu reißen und krammte nach meinem Handy.
Während ich den Notruf wählte, flüsterte George noch etwas, dass mich beunruhigte. Es waren scheinbar leere Worte. Doch wieso nahmen sie mich so mit?
Eine halbe Stunde später transportierten ihn zwei Sanitäter auf einer Liege aus dem Keller. Die Sekreterin unterhielt sich mit dem Fahrer des Krankenwagens, der auf dem Schulhof stand und ich vernahm ein Wort, das diesen Tag zum schlimmsten Allerzeiten machte. Herzinfarkt.
---In Bearbeitung, nicht weiter lesen. Danke :)---
Die nächsten Tage verbrachte ich Zuhause in meinem Bett. Die Sekreterin hatte dem Direktor davon erzählt, dass ich George aufgefunden hatte. Aus diesem Grund wurde ich für zwei Wochen vom Unterricht befreit, um mit dem geschehenen klar zu kommen. Doch eigentlich wollten sie mich nicht da haben. Jetzt war auch noch jemand in meiner Gegenwart gestorben. Keiner von ihnen wollte mich in seiner Nähe und irgendwie konnte ich dies nachvollziehen.
George war noch am selben Abend verstorben, der Herzinfarkt hatte sein Herz so sehr geschwächt, dass er nicht mehr die Kraft zum weiter Leben hatte. So war der ärztliche Befund. Ich aber wusste es besser. Er hatte nicht die Kraft verloren, sondern den Willen. Er wollte seine Frau sehen, die er so schrecklich vermisste. Und auch wenn ich traurig war, hoffte ich für ihn, dass er sie endlich wiedersehen würde.
Doch eine Sache wurmte mich trotzdem. Er hatte mich einen Mischling genannt und ich konnte ihn nicht mehr fragen, was er damit meinte. Es war nur ein leeres Wort, doch wieso sollte mir etwas an den Kopf werfen, wenn es keinen wichtigen Sinn hatte?
Zermürbt und ausgelaugt vom vielen Nachdenken, presste ich mir ein Kissen aufs Gesicht und schrie lauthals hinein. In diesem einen Schrei, lag all der angestaute Schmerz, den ich anders einfach nicht loswerden konnte. Nicht nur Georges tot, sondern auch alles andere, dass mich von innen heraus auffraß gehörte dazu. Der Hass meiner Mitmenschen, meine Krankheit und auch, dass ich niemanden zum reden hatte.
Schwer atmend ließ ich das Kissen von meinem Gesicht gleiten und setzte mich auf. Laut der Uhr war es 22Uhr und ich konnte ein leises Klicken vernehmen. Die Haustür schwang leise auf und jemand schlurfte in die Wohnung. Obwohl sich all dies am Ende der Wohnung abspielte, nahm ich es so deutlich war, dass ich es wieder mit der Angst zu tun bekam. Seit Montag stimmte etwas mit meinen Ohren nicht. Mein Hörsinn war stärker geworden. So stark, dass ich manchmal sogar die Nachbarn mit einander reden hörte, dabei sprachen sie leise und trotzdem vertand ich jedes Wort.
Meine größte Angst war es krank zu sein. War ich vielleicht Shizophren und bildetet mir alles nur ein? Oder gebe es eine einfache Erklärung für meine Veränderung? Wieso hatte ich die Frau am Friedhof verstanden und warum hatte ich Georges sturz auf den Boden wahrgenommen? Doch so sehr ich mir eine Antwort ersehnte, umso mehr traute ich mich nicht meine Mutter damit zu belästigen.
Sie kam immer so spät Heim und war fertig mit der Welt. Ich konnte sie deutlich seufzen hören, während sie in die Küche ging und sich auf einen der Küchenstühle plumsen ließ. Ihr Gähnen machte ihre Erschöpfung deutlich. Neben ihrer Arbeit in einer Fabrik die Dosenmahlzeiten herstellte, jobbte sie abends meist noch als Kellnerin und das nur um die Miete zahlen zu können. Es war meine Schuld, wir waren aus Berlin weggezogen, da meine Mutter mich vor dem Mobbing an meiner alten Grundschule beschützen wollte. Sie hatte ihren gut bezahlten Bürojob aufgegeben und musste nun schwer schuften. Doch nichts war besser geworden. Das Einzige das sich geändert hatte war, dass ich ihr nicht mehr erzählte wie schlecht es mir ging. Wenn sie mich nach der Schule fragte, zählte ich nur die gute Sachen auf wie George und die Gartenabeit. Wäre mein Direktor nicht so frei gewesen meiner Mutter von meiner Freistellung zu erzählen, hätte sie wahrscheinlich nicht einmal von seinem Tot erfahren.
Da es selten vorkam, dass ich meine Mutter wach zu Gesicht bekam, stand ich auf und ging zu ihr in die Küche. Sie lächelte mir Müde zu und legte den Kopf schief, als sie fragte:"Hallo Scar, wie gehts dir?"
"Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen!", erwiederte ich und setzte mich auf die gegenüberliegende Tischseite. Es fiel mich recht leicht sie zu meinen Gefühlen anzulügen, immerhin machte ich es schon eine Weile und sie musste nicht alles wissen.
Ich konnte nicht anders, als meine Mutter anzustarren. Wie schön sie doch war. Das goldblonde Haar viel ihr in Locken bis zur Taille und sie wirkte nicht wie vierzig, sondern fast zwanzig Jahre jünger. Zwar hatte sie Augenringe, die man trotz des Make-ups noch sehen konnte, doch das war auch schon der einzige Makel, der sie umso menschlicher machte. Das mein Vater sie wirklich verlassen hatte, konnte ich nicht nachvollziehen. Mit ihrer Wespentailie und dem auch sonst so wohlproportionierten Körper. Dem dazu so hübschen Gesicht, mit den Rehaugen, umrahmt von langen dichten Wimpern, der Stupsnase und den vollen Lippen, zog sie die Blicke vieler Männer auf sich. Doch seit ich denken konnte, hatte sie nicht ein einziges Date.
"Bist du dir sicher?", bohrte sie noch einmal nach und ich nickte nur, woraufhin sie seufzend das Thema wechselte. "Warum trägst du die Verbände? Du bist doch ZUhause?"
Überrascht sah ich an mir runter. Sie hatte recht, ich trug die volle Montur. Nachdem ich heute Mittag in den Supermarkt gehuscht war, da wir nichts essbares mehr im Haus hatten, war ich wieder Zuhause gleich eingeschlafen. Erst bei Sonnenuntergang war ich zu mir gekommen und hatte die Verbände komplett verdrängt.
"Oh. Ich bin wohl dran gewöhnt sie zu tragen.", lachte ich und begann die erste Schicht an meiner Schulter zu lösen.
Zu meiner Überraschung stand meine Mutter auf und stellte sich hinter mich. Sie löste die Schicht auf meinem Kopf. Nach einer Weile spürte ich, wie sich mein Haar auf meine Schultern legte und meine Mutter mit den Finger durch dieses hindurch bürstete. Irgendwie war mir das unangenehm. Ich hatte es wieder zwei Wochen nicht gewaschen. Es bekam eh nie jemand zu Gesicht und es war auch nicht so schön wie dass meiner Mutter, daher sah ich nicht priorität darin. Doch jetzt, wo sie es genau zu studieren schien, schämte ich mich.
"Es wieder sehr lang ..."murmelte sie gedankenverloren und verglich es mit der Länge ihres eigenen Haares. Bis jetzt war mir nie aufgefallen, dass mein rot blondes Haar sogar länger als ihres war. Es reichte mir bis unter den Hintern und soweit ich mich erinnerte, wurde es zuletzt vor sechs Jahren geschnitten.
"Ich weiß ... du magst die Fragen nicht, aber hatte Papa die selbe Haarfarbe wie ich?"
Sie fuhr zusammen und ließ mein Haar los. Um meiner Frage auszuweichen, rannte sie schon fast zum Küchenschrank und riss die Tür auf. Ich vernahm das Knartschen der Schaniere und sprang auf. Ich war in nicht einmal einer Sekunde bei ihr und riss sie noch rechtzeitig auf den Boden. Weg von den auf den Boden zerschellenden Schrank und den Tassen. Erst dann nahm ich war, dass ich etwas unmöglich getan hatte. Ich war so schnell gewesen, als hätte ich mich von einer Seite des Raumes zur anderen teleportiert.
"Ich habe einen Anruf bekommen. Beim Postamt wurde ein Brief abgegeben. An unsere alte Adresse in Berlin.", beim sprechen verhaspelt sie sich einige Male vor Aufregung. "Und ... und in diesem Brief wurde mir eine Stelle angeboten und dir ein Stipendium für die École de la nuit!"
Verständnisslos hebe ich eine Braue und frage:"Die was?"
Der Name sagt mir gar nichts. Was soll mir die Schule der Nacht bitte sagen? Ich runzle die Stirn und verschrenke die Arme vor der Brust. Es kommt mir alles wirlich komisch vor. Wir haben noch nie so derartiges Glück gehabt, geschweige denn, das mir jemand ein Stipendium anbieten wollte oder meiner Mutter einen tollen Job. In Berlin mussten wir sogar unsere alte Wohnung räumen und nach Düsseldorf ziehen, nur weil meine Mutter die Miete nicht mehr zahlen konnte und sie keiner einstellen wollte. Jetzt arbeitet sie in irgendeiner Fabrik, während ich Tag ein, Tag aus von meinen Mitschülern tyrannisiert werde. Daran muss etwas faul sein.
"Die École de la nuit!", wiederholt sie mit glänzenden Augen und geht an mir vorbei durch die Badezimmertür. Ihr Bademantel wippt beim laufen auf und ab und ich kann deutlich das Vanilleduschgel riechen, das sie verwendet hat. "Ich habe mich schlau gemacht! Es ist eine Schule im Schwarzwald. Naja ... ein Internat. Aber, dort findet der Unterricht in der Nacht statt und sie ist spezialisiert auf Kinder und Jugendliche wie dich!"
"Wie mich ...?", wiederhole ich verwundert und folge ihr ins Schlafzimmer, wo sie sich an den Computer auf ihrem Schreibtisch setzt. Der beige Röhrenmonitor, stammt warscheinlich noch aus den Neunzigern, so wie der Rest dieser Schrottkiste.
Sie öffnet einen Browser und im nächsten Moment springt mir eine Internetseite ins Gesicht, die zu meiner Verwunderung super modern wirkt und auf der steht:
Willkommen auf unserer Website. Willkommen auf der École de la nuit!
Meine Mutter scrollt runter und einige Bilder von Schülern tauchen auf. Sie tragen Schuluniformen, deren Farbe auf dem Schwarzweiß bild nicht zu deuten ist und gehören den verschiedensten Alterstufen an. Kinder zwischen sechs und zehn stehen Abends vor einem Klettergerüst und lächeln um die Wette. Auf einem anderen, sind etwa Elf bis ich würde sagen 15 Jährigen zu sehen, die in einem großen, abgedunkelten Saal stehen und unterschiedlicher nicht sein können Einige wirken genervt, andere zupfen an ihren Haaren, oder den Uniformen herum. Wiederum andere strahlen regelrecht vor Freude.
"Halt!", stoße ich hervor, als meine Mutter das letzte Bild überspringen möchte und reiße ihr die Maus aus der Hand. Auf diesem schlecht geschossenen Bild, sieht man vielleicht ein oder zwei dutzend Schüler. Alle samt sind circa in meinem Alter. Sechzehnjährige, so wie ich es bald sein würde und ein paar ältere. Die Ältestesten, sind ein paar Jungen und vielleicht zwei oder drei Mädchen, die ich auf etwa 18 oder 19 Jahre schätze. Komischerweise, sind sie die einzigen, deren Gesichter man nur verschwommen sieht. Doch obwohl ich ihn nicht richtig erkennen kann, ist dort ein Junge, der mein Interesse weckt.
"Scar? Alles okay?", meine Mutter nimmt mir vorsichtig wieder die Maus aus der Hand und scrollt gegen alle meine einwende einfach weiter. Nur wiederwillig lasse ich das zu und blicke auf das nun angezeigte Regelwerk. Es ist eine ordentliche Sammlung, die mich für einige Stunden beschäftigen würde.
Endlich! Die Woche war so qualvoll langsam voran geschritten, das es mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Der Abschied von George, die Abmeldung und alles andere. Und obwohl ich erst noch sehr skeptisch gewesen bin, denn alles ist einfach nur so unreal und plötzlich, habe ich mich jetzt sogar recht gut mit dem Schulwechsel abgefunden. Insgeheim freue ich mich sogar. Ein Anruf in der Schule und schon waren meine ganzen Einwende wie wegblasen.
Die Schulleiterin selbts, war unglaublich begeistert gewesen, als wir gleich am selben Tag anriefen, als wir den Brief geöffnet hatten. Besonders begeistert war sie von mir zuhören. Mein Name war kaum gefallen, da war die Frau auf der anderen Leitung ganz Feuer und Flamme. Sie beschwichtigte meine Mutter auch, als diese sich tausendfach entschuldigte, sich nicht schon eher gemeldet zu haben und erkundigte sich gleichzeitig über mich und über meinen Erzeuger. Klar, es ist scheinbar eine angesehene Schule und vielleicht kommen alleinerziehende Mütter da nicht so besonders gut an. Doch als sie erfuhr, dass er uns verlassen hatte, schien er nicht weiter wichtig zu sein.
Nach diesem Gespräch, meldeten meine Mutter und ich uns bei der Arbeit und der Schule krank. Machten wichtige Erledigungen wie Schulsachen und Stickzeug, mit dem ich meinen Namen in meine Kleidung sticken sollte, zu kaufen. Und zum ersten mal seit langem bekam ich neue Kleider. Sachen, die ich sonst nie tragen würde. Doch von nun an, würde sich etwas ändern. Ich würde am Tag schlafen und im dunkeln zur Schule gehen und meine Freizeit verbringen. Nie mehr müsste ich mich vermummen und vielleicht würde ich endlich Freunde finden.
"Bist du nervös?", fragt Mama in die bedrückende Stille hinein und drückte sanft meine Hand.
Wir sitzen immer noch im Auto, das Radio seit zehn Minuten ausgeschaltet und alles still. Es ist mitten in der Nacht und vor uns ragt, hinter einem schweren Eisentor, ein altes, riesiges Gebäude empor. Aus einigen Fenstern scheint etwas gedämpftes Licht, andere wiederum sind stockfinster. Der Wind draußen ist nur eine leichte Brise, doch er reicht um die Äste der Bäume rings um das Gebäude, irgendwie bedrohlich schwingen zu lassen. Es ist wie ein Schloss, nur noch die Wachen vor dem Tor fehlen.
"Nein ...", lüge ich und schlucke den Klos in meinem Hals runter. "Es kann nicht schlimmer sein, als in Düsseldorf oder Berlin."
Ich versuche meinen eigenen Worten zu Glauben, auch wenn es mir sehr schwer fällt. Jetzt, wo wir direkt vor dem Internat stehen, kommen alle Zweifel wieder auf. Sobald ich dort wohnen würde, wären die Treffen mit meiner Mutter noch seltener. Es gibt zwar Besuchstage einmal die Woche, doch auch diese sind nicht sehr beschwichtigend.
Doch es gibt auch positive Veränderungen, der Schulwechsel fühlt sich zum ersten Mal befreiend an. Von Berliner nach Düsseldorf zu wechseln war eine einzige Horror show gewesen, da ich wusste, dass sie mich dort nicht anders behandeln würden und so war es ja auch. Hier aber gibt es Kinder die so sein sollen wie ich. Kinder die nicht im Tageslicht verweilen können. Außerdem ist es Dunkel, ich bin hell wach und muss diese schrecklichen Bandagen nicht mehr tragen. Stattdessen bin ich gehüllt in ein scharlachrotes Kleid mit einer Schleife im Rücken und trage offene Sandalen. Mein blondes Haar ist frisch gewaschen, mit einem schwarzem Haarreif versehen und durch das sporadisch aufgetragene Make-up, fühlt sich mein Gesicht merkwürdig und ungewohnt an. Mit diesem neuen Aussehen, fühle ich mich wie ein ganz neuer Mensch. Und dieses neue ich, soll mir zuversicht schenken. Diesmal werde ich keine Aussetzige mehr sein, das spüre ich einfach.
Mit einem sanften gegen Druck meiner Hand, erwiedere ich die beruhigende Geste meiner Mutter und schüttel stumm den Kopf. Dann strecke ich den Arm aus dem Wagen und betetige die Klingel gegenüber dem schweren Eisentor, dass uns von der Schule abschirmt. Es dauert nur einen kurzen Moment, ehe eine zarte Stimme durch den Hörer dringt.
"Ja bitte? Madam Perry zu ihren Diensten!"
Ich bin die erste, die ihre Stimme wieder findet und murmelt:"Guten Abend ... o-oder gute Nacht? Ehm ich ... Mein Name ist Scarlett Pepper und ich ..."
Noch ehe ich mich weiter blamiere, bricht die Verbindung der Anlage ab und eine Art Sirene ertötent zweimal. Verwirrt starren meine Mutter und ich uns an. Ob ich wohl etwas falsch gemacht habe? Doch noch ehe eine von uns diese Frage laut stellt, öffnet sich die Eingangstür des Schulgebäudes und zwei Jugendliche, ungefähr in meinem Alter, wobei der Junge doch eher wie 18 wirkt, treten heraus.
Seite an Seite laufen sie über den Schulhof, dabei wirkt das blonde Mädchen mit dem zerzausten Dutt und der zerknitterten Schuluniform ziemlich geistesabwesend. Sie stolpert sogar über ihre eigenen Füße und sieht hilfesuchend den Jungen an, der sie aber vollkommen ignoriert und mich stattdessen wie gebannt anstarrt. In ihren Augen blitzt Enttäuschung auf und während sie sich aufrappelt, zieht mich sein Anblick in seinen Bann.
Unter seinen forschenden Blicken fühle ich mich unwohl und werde nervös, dabei sieht er mich nicht einmal verächtlich an. Er lacht nicht über mich oder versucht etwas Gemeines zutun. Da liegt etwas in seinen Blick, das ich nicht deuten kann und mein Herz unruhig schlagen lässt. Plötzlich fühle ich mich, so ganz ohne meine Tücher und langen Kleider vollkommen nackt. Mir fehlt die Möglichkeit unter den Sachen unterzutauchen, mich vor den Blicken anderer zu verstecken.
"Der ist ja putzig und wie er dich ansieht!", quietscht Mutter leise und ich bin froh, das dass Fenster geschlossen ist. Doch als ein leichtes, selbstgefälliges Grinsen seine vollen Lippen umspielt, bin ich mir nicht mehr so sicher, dass er nichts gehört hat.
Süß ist untertrieben, heiß trifft es wohl eher. Todd Spencer, der größte Idiot des Gerber Gymnasiums war süß gewesen, er aber ist eine regelrechte Kopie von Alex Pettyfyer, nur mit viel hübscheren Augen und helleren Haar. Groß, schlank und sportlich angehaucht. Lägliches, fast weißes Haar und leuchtend Grüne Augen. Seine zerknitterte und unordentlich Uniform vervollständigt seinen Anblick ungemein. Das Hemd nicht richtig zugeknöpft, geschweige denn in die Hose gesteckt und und die Krawatte lose runter hängend. Erst der Lippenstift an seiner Wange lässt mich in der Schwärmerei für ihn stoppen.
"So süß ist der gar nicht! Der hatte gerade etwas mit der und schaut sie jetzt nicht mal mehr mit dem Arsch an!", knurre ich gereizt über meine kurze Schwäche für einen Kerl wie ihn und wände den Blick von ihm ab. Warum ich plötzlich so sauer bin, kann ich selbst nicht sagen, doch irgendwie wurmt es mich, wie er mit ihr umspringt.
In Filmen sind Kerle wie er immer so umschwärmt. In der Realität sind sie aber einfach nur Idioten, die ihr Aussehen nutzen um beliebt zu sein un möglichst viele Weiber ins Bett zu bekommen. Auf dem Mädcheklo, wenn ich wieder mal alleine gegessen hatte, hörte ich oft solche Dramen mit, dass ich jetzt ein Lied darüber singen kann. Mädchen die sich bei ihren Freundinnen ausweinten, das sie ihre Jungfräulichkeit vergeudet hatten und danach nie wieder angerufen wurden. Oder dass sie seit Monaten mit vergebenen Typen schliefen. Furchtbar.
Meine Mutter zieht scharf die Luft ein:"Scarlett! Sowas sagt man nicht ..."
Doch obwohl sie mir gerade gerne eine Standpauke halten würde, schweigt sie. Der Lippenstiftfleck musste ihr gerade wohl genauso aufgefallen sein und ihre Meinung ebenfalls umschlagen lassen. Sie verzieht die Lippen zu einer schmalen Linie und mustert ihn nun um einiges argwöhniger.
Als das Tor endlich offen steht, fährt sie den Wagen auf den Hof und parkt vor der Treppe. Erst als das leise Brummen des Motors verklingt, steige ich aus. Der Wind pustet mir das Haar vors Gesicht und kitzelt mir an der Nase, wodurch ich unerwartet Niesen muss. Der Nieser ist so laut und hoch, wie das Quicken einer Maus der auf den schwarz getreten wurde. Verlegen schaue ich mich um und bemerke, wie er mich wieder anstarrt. Seine Lippen kräuseln sich belustigt und er fährt sich mit der Hand, durch das längliche Haar.
"Guten Abend die Damen!", sagt er dann und der melodische Klang seiner Stimme, ist genauso attraktiv wie er selbst. Er nimmt die Hand meiner Mutter und küsst sie, wodurch ihre Gesichtszüge mit einem Mal wieder weicher werden. Als er das selbe bei mir machen will, entziehe ich sie ihm schnell und mache unsicher einen Schritt zurück. Was bildet er sich ein? Ich werde nicht die nächste sein! Ich muss aufhören ihn so anzustarren ...
Er überragt nicht nur mich, sondern auch meine Mutter, um ein ganzes Stück. Ihn nicht mehr nur durch die Windschutzscheibe zu sehen, war ist einschüchternder, als ursprünglich erwartet. Eigentlich habe ich vorgehabt, ihn zu ignorieren und nur mit dem Mädchen zu sprechen, doch jetzt kann ich kaum die Augen von ihm abwenden. Es juckt mir in den Fingern. Der Drang, meinen Zeichenblock auszupacken und ihn zu malen, ist stark und kaum zu bändigen.
Das leise Kichern meiner Mutter klingt mir in den Ohren und ich schaffe es endlich den Blick von seinem Gesicht zu nehmen. Meine Mutter ist ganz entzückt von ihm. Und das breite Grinsen auf seinen Lippen zeigt, das ihm unsere Reaktionen sehr zu gefallen scheinen.
Wütend schnalzte ich mit der Zunge und zische:"Du hast da was an der Wange. Blut oder Lippenstift?"
Überrascht fährt er sich über die Wange und ich wende den Blick zu dem Mädchen, dass mich anschaut, als wollte sie mir am liebsten eine Kleben. Das überrascht mich. Eigentlich habe ich gehofft, sie würde diese Aktion gut finden. Mir dankbar sein, dass ich auf seinen Flirt nicht eingehe. Stattdessen schenit sie mich dafür sogar noch viel weniger leiden zu können.
"Blut schon mal nicht!", reißt er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und schänkt mir ein obszönes Grinsen. "Naja, die Schulleiterin möchte sie Beide gerne kennenlernen. Folgen sie uns doch bitte!"
Das lasse ich mit nicht zweimal sagen, je eher wir bei der Direktorin sind, umso schneller wäre ich ihn los. Doch etwas an ihm kommt mir so ungemein bekannt vor, als hätte ich ihn irgendwo schon einmal gesehen. Doch wo?
Die Direktorin ist eine quirlige, recht winzige Person. Noch viel kleiner als ich. Beim eintreten ins Büro, haben wir sie kaum wahrgenommen hinter dem riesigen Schreibtisch, in dem noch riesigeren Büro. Ich dachte für einen Moment sogar, sie sei ein Kind, dass sich einen Spaß mit uns erlaubte.
Auch meine Mutter wirkte sehr überrascht, als der Junge, der uns bis zum Büro geleitet hat, diese zierliche Person als Direktorin Perry vorstellte. Bei unserem Anblick springt sie aus dem riesigen Bürostuhl auf und trippelt freudig auf uns zu. Verwundert schütteln wir nacheinander ihre Hand und setzen uns dann.
"Ihr könnt jetzt wieder gehen, ihr habt freigang!", flötet sie und macht eine ausladende Handbewegung zu unseren Begleitern.
Das Mädchen freut sich sichtlich und zieht dem Jungen am ärmel, wobei ihr Blick wiedelich Sehnsüchtig wirkt. Vielleicht hofft sie ja, dort mit ihm weiter machen zu können, wo sie wegen uns hatten aufhören müssen. Er hingegen starrt mich wieder einmal nur an. Unsere Blicke treffen sich und ich muss den Klos herunter schlucken, der sich in meiner Kehle ausbreitet.
"Ich heiße Oliver!", sagt er an mich gewandt, ehe er sich genervt aus ihrem Klammergriff reißt und den Raum verlässt. Ehe sie ihm folgt, wirft sie mir einen so tödlichen Blick zu, dass ich beinahe ihre Hände an meiner Kehle spüren kann.
Oliver also? Ob die beiden ... Quatsch! Er ist nur ein Playboy! Ein Idiot! A...
Das laute Räuspern der Direktorin lässt mich verschreckt im Stuhl herumfahren. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich mit den Gedanken abgedriftet bin und wische über meinen trocknen Mund. Verlegen schenke ich ihr ein entschuldigendes Lächeln und verschränke unsicher meine Arme auf meinem Schoss. Dann warte ich darauf, das jemand etwas sagt, um die unangenhme Stimmung zu beenden.
Zu meiner Überraschung ist es meine Mutter die zuerst etwas sagt. Ihre Stimme klingt um einiges tiefer und ernster, als jemals zuvor:"Ich bin natürlich wirklich dafür, das meine Tochter hier zur Schule geht. Die Ausgangszeiten und der Unterricht sind zu den besten Zeiten, aber in ihren letzten beiden Schulen, ging es ihr nicht besonders gut und ich war auch keine besondere Hilfe. Es ist schwierig, sie nun auch rund um die Uhr in der Schule zu lassen. Ich bitte drum informiert zu werden, wenn etwas nicht stimmt!"
Die Worte meiner Mutter brechen mir das Herz. Ich hatte immer geschwiegen. Meine Schmach, all das Mobbing, alles immer nur belächelt und verschwiegen. Doch ihr ist es trotzdem immer aufgefallen. Egal wie Müde und kaputt sie von der Arbeit war. Egal wie selten ich sie gesehen habe. Am liebsten würde ich ihr um den Hals fallen und ihr versichern, das mich das alles nie besonders belastet hatte. Doch Madam Perry kommt mir zuvor und hebt beschwichtigend die Hand.
Mit einem Augenzwinkern in meine Richtung sagt sie zu ihr: "Vertrauen sie mir. An dieser Schule ist ihre Tochter gut aufgehoben. Natürlich gibt es hier Rivalitäten, die die Schüler untereinander austragen. Aber an ihrer alten Schule, konnten sie mit ihrem wahren Ich einfach nicht umgehen. Wir können das. Und die Schüler sind so wie sie."
Mein wahres Ich? Was ist mein wahres ich? Aus den Augenwinkeln sehe ich wie meine Mutter erleichtert die ganze Anspannung abwirft, die auf ihren Schultern lastete. Ein strahlendes Lächeln umspielte ihre Lippen und man sieht ihr deutlich an, das es nichts mehr zu sagen, oder zu fragen gibt. Doch in mir tummeln sich dafür umso mehr. Nur scheint es mir so, als wäre jetzt noch nicht der richtige Moment, um all diese Fragen zu stellen.
"Da nun alle Fragen beantwortet scheinen, möchte ich ihnen den Mädchenwohntrakt zeigen. Die Koffer können sie nachher mithilfe der Vertrauensschüler raufbringen!", mehr sagt Madam Perry nicht, ehe sie zur Tür geht und uns hinter sich her winkt.
Erst jetzt realisiere ich, mein Leben würde sich von Grund auf ändern. Ob zum guten, oder doch eher zum schlechten kann ich leider noch nicht sagen.
Mein Wecker klingelt und zum ersten Mal in meinem Leben, verspüre ich nicht das Bedürfnis ihn gegen die Wand zu schleudern. Stattdessen schalte ich ihn vorsichtig ab, strecke mich ausgibig und springe aus dem Bett. Ich fühle mich hellwach und laufe freudig zum Fenster rüber. Als ich die Vorhänge aufziehe und das Fenster weit aufreise, schlägt mir die kühle Nachtluft entgegen und der Mond begrüßt mich zusammen mit den vielen kleinen Sternen um ihn herum.
Die letzte Nacht habe ich damit zugetan meine Koffer auszupacken und Poster meiner Lieblingsband an die Wände zu heften. Da ich neu bin und es eine ungerade Zahl an Schülerinnen gibt, bin ich die einzige mit einem Einzelzimmer und kann dieses so wohnlich gestalten wie ich will. Und alles in allem scheint es mir auch gelungen. Meine Bettwäsche mit den Kätzchen und auch meine Bücher sind da wo sie hingehören. Und auf dem Nachttisch neben dem Wecker steht ein Bild von meiner Mutter und mir.
Noch ein letztes Mal drehe ich mich schwungvoll im Kreis, um den Raum genau zu betrachten, ehe ich mir die Schuluniform überziehe. Sie besteht aus einer roten Bluse, einem kurzen rotschwarz karierten Rock, mit dunklen Strümpfen und dem dazu passenden schwarzen Blaser. Ich bin erstaunt wie gut mir die Sachen passen, dabei habe ich nicht einmal meine Maße einschicken können, da alles so kurzfrist passiert ist.
Als ich mich mit dem kleinen Make-up Täschen meiner Mutter vor den Spiegel setze, muss ich zweimal hinsehen. Mir war nie aufgefallen, dass ich die selbe schlanke Figur habe wie meine Mutter. Unter meinen alten Sachen, war das nie wirklich zu sehen gewesen und eigentlich mied ich Spiegel sonst eher. Doch jetzt habe ich sogar mal einen Grund hineinzuschauen. Und nachdem ich auch mit schminken fertig bin, kann ich kaum glauben, dass ich es bin.
"Let's go! Auf in ein neues Leben Scar!", flüstere ich und denke an meine Mutter. Genau die selben Worte hat sie mir ins Ohr gehaucht, ehe sie heute Morgen gefahren ist und ich sie ein letztes Mal in diese juckenden Bandagen zum Auto begleitet habe.
Seufzend räume ich alles weg, schnappe mir den Zimmerschlüssel und meine Umhängetasche und verlasse den Raum.
An den Wänden sind kleine Wandleuchten befestigt, die mit schwachen Schein die Gänge beleuchten. Ich stelle mich unter eine der Lampen und packe meinen Stundenplan aus, bei dem eine kleine Karte des Gebäudes beiliegt. Zuerst muss ich zum Essen der Halbblüter. Komisch, ob das der Begriff für Stipendiaten ist? Schulterzuckend suche ich auf der Karte nach dem Speisesaal und folge dem eingezeichneten Weg.
Die Flure sind noch recht leer. Es ist still, doch nicht unangenehm. Ich kann meine eigenen Gedanken hören und fühle mich wohl in dieser Atmosphäre. Doch als ich vor der großen, gemaserten Holztür stehen bleibe, die in der Speisesaal führt, überkommt mich die Angst. Von drinnen dringen unzählige gedämpfte Stimmen zu mir durch und ich spüre wie mein Körper erstarrt. Was wenn ich dort rein gehe und es abläuft wie die anderen Male zuvor. Wenn sie mich sehen und sogleich etwas an mir auszusetzen haben? Oder wenn ich auf dieses Mädchen von gestern treffe, die mich am aller liebsten erwürgen wollte?
"Willst du das Wurzel schlagen, oder gehst du rein?", die helle Stimme eines Mädchen hinter mir, lässt mich erschrocken zusammenfahren. Ihr Kichern was sogleich darauf folgt, ist ehrlich und laut. "Hey, sorry! Ich wollte dich nicht erschrecken! Du bist die neue, Scarlett oder?"
Als ich mich zu ihr umdrehe, bin ich kurz wie betäubt. Mit ihrem langen roten Haar und den vollen blutroten Lippen, erinnert sie mich an eine 16 Jährige Medalaine Petsch. Doch so fasziniert wie ich von ihr bin, scheint sie auch von mir zu sein, denn ihre Augen fangen an zu leuchten und ein breites Lächeln umspielt ihren großen Mund.
"Wahnsinn, die haben nicht gesagt dass du so hübsch bist! Für ein Halblut nicht schlecht! Ich bin Nina Riddle!"
Verlegen schüttle ich ihre ausgestreckte Hand und murmle etwas kleinlaut:"Danke ... aber du siehst so viel Glamouröser aus ... wie ein ... ein .."
Was rede ich denn da? Gott, bin ich peinlich!
Statt mich wegen meines bescheuerten Versuchs, ihr ein Kompliment zu machen, auszulachen, scheint sich sich geschmeichelt zu fühlen und hackt sich zu meiner Überraschung einfach bei mir unter:"Komm mit Scarlett! Du sitzt bei mir!"
Als sie mich durch die Tür zerrt, erstirbt die Laute und Chaotsiche Stimmung im Speisesaal. Die Blicke aller richten sich auf uns. Nein, auf mich und ich fühle mich unwohl. Doch Nina zieht mich, als wäre das eine ganz normale Situation für sie, einfach an einen Tisch mit drei weiteren Jugendlichen, die alle aussehen, als wären sie die Kinder irgendwelcher Stars. Diese Gruppe erhebt sich auf eine Art und Weise von den anderen Schülern, dass ich nicht genau sagen kann wieso.
"Ist das die neue? Wow ist die heiß!", flirtet ein junger Johnny Depp mir gegenüber und funkelt mich mit seinen perlweißen Zähnen an. "Ich bin Erik und du?"
"Halt die Klappe und mach die kleine nicht noch nervöser!", faucht ihn die winzige, schwarzhaarige, Asiatin an, die zu seiner linken sitzt und lächelt mich entschuldigend an. "Hör nicht auf den, er hat immer nur das eine im Kopf. Ich bin Lola. Und das ist Nico!"
Wiederwillig löse ich den Blick von ihren fast schwarzen Augen und folge ihrer ausgestreckten Hand zu dem Jungen, der verwundert seinen Blick aus einem Geschichtsbuch erhebt und seine Brille in sein schwarzes Haar schiebt. Er ist süß, zwar nicht so heiß wie Oliver, doch interessant. Im Gegensatzt zum Rest der Clique, ist er noch der Durchschnittlichste, doch vielleicht liegt es einfach daran, dass er gar nicht versucht aufzufallen. Er trägt seine Schuluniform genau nach Vorschrift, während Nina ihre zum Beispiel mit einem roten Gürtel und ein paar schleifchen verziert hat. Oder Lola die den Blazer gar nicht trägt und Erik, der die oberen Knöpfe seines Hemdes geöffnet hat, wie Oliver gestern.
"Hey ...", ohne weiter auf mich einzugehen, senkt Nico schüchtern seinen Blick und ließt weiter in seinem Buch, wobei er seine Brille in seinen ordentlich zurück gekämmten Haar vergisst.
"Das ist Scarlett. Unsere heiß ersehnte neue!", lenkt Nina meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Du bist das Gesprächsthema Nummer eins, seit Madam Perry letzte Woche Dienstag von deiner Einschulung verkündet hat. Weißt du, es ist in den letzten 200 Jahren nie vorgekommen, dass eine Schüler oder eine Schülerin erst mitten im ersten Halbjahr beitritt. Sonst wissen sie immer Haargenau, wo die stecken, die her gehören."
Ihre Worte überraschen mich. Mir ist nicht klar gewesen, dass ich ein sonder Fall bin. Madam Perry hatte meine Mutter am Telefon zwar gerade zu dazu mich auf diese Schule zu schicken, doch ich dachte immer, es läge an dem Stipendium und das es sonst ihrem Ruf schaden würde. Doch das ich scheinbar hier her gehören soll, an diesen Ort wundert mich.
"Das musst du mir noch ..."
"Liebe Schüler und liebe Schülerinnen, hört alle mal bitte her!", unterbricht michdie helle Stimme der Direktorin und ich schaue so wie der Rest der Schüler, zu der kleinen Dame die auf Podest am anderen Ende des langgezogenen Raums steht. Erst jetzt realiesiere ich, das der Speisesaal ausschaut wie der aus den Harry Potter filmen. Die Tische stehen in fünf reihen neben einander und sind so lang, das sie am einen Ende des Raumes beginnen und kur vor dem Podest enden.
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2019
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