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Die Drei weißen Rosen

Es war einmal vor langer Zeit, da lag tief verborgen im Zauberwald ein Dorf. In diesem Dorf lebte ein wunderschönes, junges Mädchen, mit langem goldenem Haar und schneeweißer Haut. Zusammen mit ihrem kleinen Bruder hauste sie am Rande des Dorfes, in einem kleinen, ärmlichen Häuschen. Und auch wenn die beiden nicht viel besaßen und ihre Eltern verloren hatten, verbrachten sie ihre Tage glücklich. Und immer für sie da, war ein kleiner weißer Hase der ihnen bei schwierigen Entscheidungen mit Rat und tat zur Seite stand.
Eines stürmischen Nachts lagen die beiden Geschwister wach und das Mädchen sang ein Schlaflied für ihren Bruder, als es an der Haustür klopfte. Da sie niemanden erwartet hatten, schlich sie sich an das Fenster neben der Tür und spähte hinaus, doch noch ehe sie mehr als einen dunklen Haarschopf sah, machte ihr Bruder dem Fremden die Türe auf.
Erschrocken riss sie ihren Bruder zurück und trat an seiner Stelle vor die Tür:“Der Hase sagte doch, wir dürfen Fremden nicht öffnen!“, sagte sie zu ihm, ehe sie beim Anblick des Fremden ins Schweigen verfiel.
Vor ihr stand ein Junge, kaum älter als sie, mit nicht mehr als Lumpen am Leib. Er war ganz durchnässt und halb erfroren. Bibbernd bat er sie:“Bitte lasst mich ein, draußen ist es kalt, doch hier ist es warm in eurem Heim.“ Eine Antwort aber konnte er nicht mehr abwarten, als er schwankend über die Schwelle der Tür fiel und sie ihn auffing.
Erschrocken legte sie den Fremden auf den Boden, beugte sich über ihn, drehte ihn auf den Rücken und lauschte seinem schwachen Herzschlag. Der Hase, der sich zu ihnen gesellt hatte, befahl:“Gebt ihm Frisches zum Anziehen aus dem Schrank eures Vaters und legt ihn ins Bett eurer Eltern!“
Die beiden Kinder gehorchten dem Hasen widerspruchslos, so holte das Mädchen Kleidung aus dem Schrank ihres Vaters und gab sie ihrem Bruder, der den Bettler neu einkleidete, während sie diesem das Bett bezog. Dann hoben sie ihn gemeinsam auf das Bett und ließen ihn schlafen, während sie auf ihn achtgaben.
Nach einiger Zeit wurde der Bruder des Mädchens sehr müde, so sehr das er mit seiner Schwester nicht mehr über den Jungen wachen konnte und schlafen ging. Sie aber blieb an der Seite des Fremden und musterte einen kleinen Koffer, den er bei sich getragen hatte und den der weiße Hase neben das Bett geschoben hatte. Sie wollte ihn öffnen, doch der Hase hatte es ihr verboten, da Neugierde nicht gut war.
Da sie ein gehorsames Mädchen war, setzte sie sich an die Kommode ihrer Mutter und flocht ihr Haar vor dem darauf stehenden Spiegel. Nach der ersten Stunde wurde es ihr zu langweilig und sie überlegte ein weiteres Mal in den Koffer zu schauen, doch die Worte des Hasen hallten in ihren Gedanken wieder und so setzte sie sich ans Fenster und zählte die Sterne. Nach der zweiten vergangenen Stunde verging ihr auch daran die Lust und wieder stach ihr der Koffer ins Auge.
„Nur ein Blick“, dachte sie sich und wollte ihn öffnen, als abermals die Verbote des weißen Hasen in ihrem Kopf erklangen. „Nein ich darf dies nicht tun, es wäre nicht gut!“
Sie lenkte ihre unersättliche Neugierde damit ab, dass sie mit sich selbst Schach spielte, bis ihr die Lust schließlich auch daran verging. Und als sie dann abermals den Drang verspürte in den Koffer zu schauen, erwachte der Junge aus seinem Schlaf und fragte nach Wasser. Überrascht von seinem Erwachen, eilte sie los und brachte ihm wie gewünscht das Wasser, und da er so hungrig wirkte, brachte sie ihm zu Essen aus ihren erschöpften Vorräten.
Gesättigt von ihrer milden und großzügigen Gabe, bedankte er sich und stellte sich vor:“Ich bin ein wandernder Musiker und schon weit umhergereist, doch noch keiner war so gütig wie ihr und ließ mich ein.“ Er verbeugte sich dankend vor ihr, bevor er sich seinen Koffer griff und zur Tür ging. „Leider muss ich nun gehen, der Morgen bricht an und die Arbeit ruft. Doch ich werde wiederkommen und Euch entschädigen.“
Das Mädchen war enttäuscht, denn eigentlich wollte sie ihn nach dem Inhalt seines Koffers fragen. Vielleicht war es ja ein Instrument, doch wollte sie nicht aufdringlich sein, weshalb sie ihn zur Haustür geleitete und ihm nachsah. Als er dann die Straße, die zu ihrem Haus führte, beschritt und verschwand, gab sie sich dem Haushalt hin und hoffte dabei, dass er schon bald wieder zurückkehren würde.
Am selben Tage zur Mittagsstunde machten die beiden Geschwister sich auf den Weg zum Markt, um dort Essen für die nächsten Tage zu kaufen. Kaum am Markt angekommen, lief ihr Bruder zu einem Stand mit Zaubertränken, den eine alte, gebrechliche Frau betrieb und sprach mit dieser. Währenddessen suchte das Mädchen sich ein Laib Trockenbrot vom Bäcker aus, doch ehe sie sich dem Fischhändler zu wenden konnte, lockte ein wunderschönes Geigenspiel ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Der Musiker war kein anderer als der Junge, dem sie geholfen hatte und der bei ihrem Anblick verstummte. Er wollte sie auf sie zu treten, doch sie hielt ihn auf.
„Bitte! Spiel weiter!“, bat sie ihn, als ein schweigsamer Moment verstrichen war. „Es klang so schön.“
Der Junge ging ihrer Bitte nach und spielte für sie ein Lied, das von Herzen kam. Während sie ihm versunken zu hörte, konnte jeder auf dem Marktplatz erkennen, was die beiden füreinander empfanden. Und so auch die Hexe, zu der sich der Bruder des Mädchens gesellt hatte.
Sie bot ihm einen roten, unheimlich dampfenden Trank an und versprach ihm damit ewiges Glück und Reichtum. Der leichtgläubige Junge sah sich unsicher nach seinem Hasen um, da er diesen um Rat bitten wollte. Doch als er ihn nicht fand, nahm er den Trank und gleich darauf auch einen Schluck von diesem.
Als er ausgetrunken hatte, lachte die Hexe bösartig auf und sah zu, wie er sich auf den Boden krümmte und sein Körper zu Stein wurde. Der Himmel verdüsterte sich und das laute Donnergrollen ließ die beiden Verliebten aus ihrer Versunkenheit zueinander und zu der Musik aufhorchen.
Beide sahen sie zu der Hexe und zu dem, zu steingewordenen Bruder des Mädchens um. Sie rannte zu ihm, während der Junge zornig zur Hexe sah:“Du?“, fragte er sie.
Wieder lachte sie auf und ließ sich von Nebel umhüllen, durch den sie zu einer schönen Frau mittleren Alters wurde. Ein Rabe, der sich auf ihre Schulter gesetzt hatte, verwandelte sich ebenfalls, nur dieses Mal in eine Frau im Alter des jungen Mädchens. Doch war sie nicht annähernd so hübsch wie das Mädchen, das um ihren Bruder trauerte.
„Du ziehst sie mir vor?“, fragte die jüngere der beiden und wandte sich an die Zweite. „Mutter, tu doch etwas! Ich will doch Königin werden!“
Der Bitte ihrer Tochter nachgehend, schnappte sie sich den kleinen Bruder, ehe sie sich gemeinsam in Rauch auflösten und verschwunden waren. Das Einzige das von ihnen blieb waren einige wenige Worte:“Bring uns den Prinzen und Dein Bruder wird wieder zu Fleisch und Blut!“
Das Mädchen starrte verzweifelt den Platz an, an dem sich ihr steinerner Bruder befunden hatte und begann zu weinen. Sie schluchzte, während sie nach dem Hasen suchte, der leider zu spät am Marktplatz ankam. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an den Jungen, der sich zu ihr gebeugt hatte, und versuchte sie zu trösten.
„Wen meinte sie nur?“, wisperte sie, ohne zu weinen aufzuhören.
Der Junge war niedergeschlagen und gestand ihr schuldbewusst:“Sie meinte mich. Ich bin der Prinz Eures Reiches und bin geflohen, aus Angst vor meiner Verlobung mit der jungen Tochter der Hexe.“
Er erzählte ihr, dass die beiden Hexen es ausnutzen wollten, dass sein Vater krank geworden war. Sie hatten sich in sein Schloss eingeladen und als normale Bürger ausgegeben. Die Tochter der alten Hexe sollte seine Gemahlin werden, doch da er sie nicht liebte, konnte er dies nicht tun und war geflohen. Seitdem versuchten sie, ihn mit unzähligen Fallen zu fangen.
Das Mädchen und der Hase lauschten seinen Worten bis zum Schluss und konnten verstehen, wieso er so gehandelt hatte. Doch nun war ihr Bruder fort und sie mussten einen Weg finden, um ihn zurückzubringen, ohne den Prinzen zu opfern. Von Schuldgefühlen geplagt, bot dieser ihr an sie zu begleiten.
So machten sich das Mädchen, der Prinz und der Hase zusammen auf den Weg um den Bruder zu retten. Ihr Weg führte sie in den Wald, da der weiße Hase wusste, dass die Hexen in diesem weit abgelegen vom Dorf lebten. Um zu den Hexen zu kommen, mussten sie nur einem schmalen Weg folgen, was sie Hoffnung fassen ließ.
Doch schon zu Anfang ihres Weges versperrten ihnen sieben Zwerge den Weg. Sie warnten sie vor den Hexen und gaben dem Mädchen drei weiße Rosen, die mit drei Aufgaben verbunden waren, mit denen sie zum Hexenhaus gelangen würde, wenn sie diese lösten.
Sie steckte sich die Rosen ins Haar und bedankte sich bei den Zwergen dann gingen sie ihrer Wege. Aber schon bald kamen sie an einer Reihe unheimlicher Bäume vorbei, die ihnen mit ihren Grimassen Angst machten.
Drei dieser Bäume hängten ihnen ihre Äste in den Weg:“Keinen Schritt weiter! Zu den Hexen kommt ihr nicht!“
Das Mädchen trat ihnen furchtlos entgegen und erwiderte:“Bitte ihr Bäume, lasst uns durch! Die Hexen, sie haben meinen Bruder. Wenn ihr uns hindurch lasst, dann werdet ihr belohnt.“
Die Bäume tuschelten untereinander, bevor sie einen Vorschlag machten:“Hier im Wald ist es immer so düster und langweilig. Wenn ihr es schafft, uns fröhlich zu stimmen, dann könnt ihr weiter gehen!“
Gemeinsam überlegten sich das Mädchen, der Prinz und der Hase eine Lösung. Zuerst war das Mädchen dran, sie wollte den Bäumen eine Geschichte erzählen, doch sie fanden sie viel zu traurig. Als Nächstes war der Hase dran, er erzählte einen Witz, doch die ollen Bäume fanden ihn gar nicht lustig. Zum Schluss dann kam der Prinz und spielte auf seiner Geige ein fröhliches Lied. Hocherfreut über diese schöne Melodie, hoben die Bäume ihre Äste und ließen sie hindurch.
Der Hase blickte auf das Haar des Mädchens und rief:“Eine der weißen Rosen ist rot geworden, das war die erste Aufgabe und wir haben sie gelöst!“
Diese Erkenntnis machte alle sehr froh. Doch sie hatten keine Zeit zu feiern und passierten den Weg, bevor die Bäume es sich anderen überlegen konnten. Und schon bald kamen sie an eine Weggabelung. Der linke Weg führte in den schönen Teil des Waldes und der Rechte in den finsteren.
Zwischen den beiden Wegen, war ein Schild aufgestellt worden auf dem Stand “Lasst euch nicht trügen, denn schön und hässlich liegt nah beieinander. Und so auch ist es bei den Hexen.“
Sie waren sich alle drei sicher, dass es sich hierbei um die zweite Aufgabe handelte, doch wussten sie nicht, welcher der beiden Wege nun der Richtige war.
Immer und immer wieder ließen sie sich den Text auf dem Schild durch den Kopf gehen, bis der Hase sich zu Wort meldete:“Der schöne Weg, den müssen wir nehmen!“
Überrascht sahen das Mädchen und der Prinz zum Hasen und wollte wissen, wie dieser darauf kam.
„Ganz einfach!“, sagte dieser. „Am Markt gaben sie sich als alte, hässliche Frau mit einem ebenso unschönen Raben aus, obwohl sie doch sehr hübsch sind und alle haben sich von dieser Erscheinung trügen lassen. Und da ihre Erscheinung als Hexen uns darauf schließen lässt, dass sie im finsteren Teil des Waldes leben, müssen wir in den schönen!“
Überzeugt von dieser Antwort gingen sie den vorgeschlagenen Weg entlang und kaum, dass sie ihn passiert hatten, wurde schon die nächste Rose rot. Gespannt darauf, was die letzte Aufgabe mit sich bringen würde, rannten sie los, bis der Weg plötzlich endete und sie umschlossen von Bäumen waren.
Verzweifelt sahen sie sich nach einem Weg um, doch als sie keinen fanden, setzten sie sich zu Boden und waren drauf dran aufzugeben. Doch dann kam eine Taube herbei, sie wirkte sehr hungrig und pickte suchend den Boden ab. Das Mädchen wünschte sich, der Taube etwas Futter geben zu können, denn auch wenn ihre eigene Suche womöglich aussichtslos war, sollte wenigstens noch die Taube glücklich werden. Als wüsste die Taube was sie dachte, gurrte sie den Korb des Mädchens an und erinnerte sie an das Laib Brot, welches sie gekauft hatte. Sie entschied sich dem Vogel etwas davon abzugeben, weshalb das Mädchen Brotkrumen zur Taube warf. Und als diese gesättigt war, flog sie hoch in die Luft und verschwand, als die letzte Rose sich rot färbte.
Vor dem Mädchen und ihrer Begleitung öffnete sich der Weg, bis sie endlich das Häuschen der Hexen erblickten. Sie stürmten hinein, doch die Hexen waren nicht zu sehen. Nur der Bruder des Mädchens, der noch immer aus Stein war, stand vor einem brodelnden Kessel. Da die Hexen nicht zuhause waren, wollten die Drei in den Schränken dieser nach einem Trank suchen, um ihren Bruder zu erlösen. Doch plötzlich erschienen die Hexen neben der Statue.
„Ihr habt ihn also endlich hergebracht!“, riefen sie erfreut aus und die Mutterhexe meldete sich zu Wort. „Ihr habt euren Teil der Abmachung eingelöst, also werden wir es auch!“
Die jüngere Hexe schnappte sich den Prinzen, der sich zu wehren versuchte, doch es war vergebens. Währenddessen holte die andere Hexe einen Trank aus einem ihrer Schränke, übergoss die Statue damit und der Bruder des Mädchens war wieder lebendig und nicht mehr aus Stein.
„Ihr könnt gehen!“, sagten sie zu dem Mädchen und wandten sich mit dem Prinzen dem Kessel zu, in dem eine ähnliche Flüssigkeit brodelte, die ihr Bruder auf dem Marktplatz getrunken hatte.
Als die ältere Hexe nun weiter zum Kessel lief, warf sich der Hase vor ihre Füße und der Bruder des Mädchens schubste diese noch, sodass sie in den Kessel stürzte. Und wie erwartet wurde sie darin zu Stein. Als die andere der beiden, ganz außer sich vor Wut, den Prinzen nun ebenfalls in den Kessel stoßen wollte, wand er sich aus ihrem Griff und warf sie stattdessen hinein.
Glücklich über das Ende dieser Hexen, gingen das Mädchen, der Prinz, ihr Bruder und der weiße Hase zusammen ins Schloss des Prinzen. Dort erfuhren sie, dass es dem König schon viel besser ging, und ahnten auch wieso. Die Hexen waren besiegt und konnten keinem Schaden mehr zufügen.
Und vor Freude darüber feierten sie ein großes Fest, das ebenso die Verlobung des Prinzen und des schönen Mädchens verkündete, das ihn in größter Not gepflegt und für ihn so viel auf sich genommen hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2016

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