Ich schaue runter auf das Dorf und werde vom Wind überrascht, der mit stiller Kraft über das Tal weht und meine Haare durcheinander wirft. Schwungvoll schüttle ich meinen Kopf, schwinge die sturen Strähnen aus meinem Gesicht und klemme sie mit den Fingern hinter meine Ohren. Wie sehnlichst ich mir in Momenten wie diesem ein Haargummi wünsche, ist nicht zu beschreiben, doch wie auch sonst habe ich auch jetzt keines zur Hand.
Leider habe ich auf meiner spontanen Flucht meinen Rucksack, in dem meine Papiere und mein Handy stecken, zurückgelassen. Aus diesem Grund kann ich nicht weiter fliehen, als hier hin. Der Sternenblickberg, ein Ort, an dem ich die Einsamkeit genießen kann, die mir schon so lange vorenthalten wurde.
Es ist so wunderbar still, genau das was ich gebraucht habe. Niemand der mich mit seinem Gerede in den Wahnsinn treibt und ruhig genug, um endlich meine Gedanken hören zu können. Obwohl, bei den Dingen die mir durch den Kopf schwirren, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob ich sie auch wirklich hören möchte.
Anstatt das ich dem Dorf, dem ich einst den Rücken kehrte, aufs neue Hallo zu sagen, beobachte ich es lieber aus der Ferne. Die Menschen streifen seelenruhig durch seine Straßen, sie sehen von hier oben so winzig aus. Ich wäre auch gerne so entspannt wie sie, nur lassen mich die Stimmen in meinem Kopf nicht. Dabei habe ich so sehr darauf gehofft, auch wenn es ewig her war, dass ich zuletzt hier gesessen bin, mich der vertraute Anblick wieder in das unbeschwerte, kleine Mädchen von damals verwandeln würde.
Hier habe ich mich frei gefühlt, unzählige Geheimnisse aufgedeckt und viel zu Lachen gehabt. Doch nach meinem sechsten Geburtstag war all das dann vorbei. Wir sind aus Lockwood weggezogen, als meine Eltern von jetzt auf gleich beschlossen in eine Großstadt ziehen zu müssen, um dort von vorne zu beginnen, ein erfolgreiches Leben, mit neuen öden Jobs und einer kleinen Mietwohnung. Ihrer Entscheidung folgten finanzielle Probleme, ihre Beinahscheidung und mehr. Zum Schluss fanden sie den Tod. Es war ein Unfall.
Ich würde verschwinden, wäre, da nicht die Sache das ich noch minderjährig bin. Mit 16 habe ich nach ihrem Dahinscheiden keine große Wahl, entweder komme ich in ein Heim, oder bin dazu gezwungen wieder nach Lookwood, zu meiner entfremdeten Familie zurückzukehren. Natürlich ist Ersteres von beiden keine Option, die ich je in Erwägung ziehen würde, doch auch Plan B steht nicht wirklich auf Platz eins bei mir. Lieber will ich nach L. A zurück, als in diesem weltfremden Kaff vor mich hinzuvegetieren.
Die Sehnsucht nach L. A, die nervenaufreibende Fahrt hierher, beides Auslöser für meine Flucht vom Bahnsteig. Es war noch keiner meiner Verwandten da gewesen, um mich abzuholen und es war so leicht meinen Aufpasser loszuwerden.
Doch so schlau war mein Einfall doch nicht, das ist mir klar, seit ich es getan habe. Jedoch werde ich jede Strafe, die sie mir aufhalsen werden, in kauf nehmen, wenn sie mich früher oder später hier auffinden würden, solange ich jetzt etwas Zeit für mich haben kann.
"Ha ... Haa ... Haaatttschiiii!"
Überrumpelt von dem Nieser schüttle ich meinen Körper, der in einer Vibration abklingt. Das Gefühl das entsteht, ist genaus nervig, wie alles andere was mir heute wiederfahren ist.
Seufzend wische ich meine Handflächen an der Wiese ab. Ein paar mal fahre ich gelangweilt durch das weiche Gras, schabe mit den Nägeln über die feuchte Erde und genieße die Natur. Es ist so anders als in der Stadt, wo man, nur um etwas Grün zusehen, in einen Stadtpark muss, dessen Wiese man nicht einmal betreten darf. ich habe schon ganz vergessen wie schön es hier sein kann.
„Au ...“, verziehe ich das Gesicht, als ich mir mit dem rauen Ärmel meines Mantels über die triefende Nase gehe. Es fühlt sich ganz kratzig an meiner Haut an und kommt dem Versuch gleich in Schmirgelpapier zu schniefen, eine Erfahrung die ich in der Grundschule gemacht habe und auf die ich nicht sehr stolz bin.
Ein Schaudern überkommt mich und läuft mir eiskalt den Nacken runter. Nur einen Moment habe ich nicht darauf geachtet, was um mich herum geschieht und schon fühle ich mich, als würde mich etwas beobachten. Dabei war ich eben noch ganz allein.
Vorsichtig und bereit, mich im Notfall mit meinen wenigen Kenntnissen zu währen dich ich in L.A auf der Straße gesammelt habe, schaue ich mich um. Beim Anblick der dunklen Gestalt, die auf dem kleinen Felsen neben mir hockt, stoße ich erschrocken einen Schrei aus. Schnell wird mir aber klar, das es sich um einen dunklen, großen Vogel handelt. Vielleicht auch eine Krähe, nur scheint mir dieser für beide Arten einen Ticken zu groß.
Seine Federn schimmern in der Dämmerung fast blau, der Vogel ist wunderschön. Sein Schnabel ist grade und perfekt, seine Augen sind Schwarz und wenn ich in sie hinein sehe, fühle ich mich ungewohnt sicher.
Von ersten Schreck erholt, lache ich nervös auf:„Paranoid ... Du bist paranoid Violette! Es ist nur ein Vogel, wenn auch ein verdammt großer ...“, raune ich mir zu und schüttle den Kopf. „Na klar! Es ist die Angst. Sie … Sie werden mich bald finden ... aber das wusstest ich schon vorher und ich habe mich darauf eingelassen ...“
Laut krächtzt der Vogel neben mir auf, er lässt mich mein Selbstgespräch beenden und zwingt mich dazu ihn anzuschauen. Er sitzt einfach nur da, legt den Kopf schief und erwidert regungslos meinen verwirrten Blick, so als würde er mich Analysieren und das würde mich gar nicht so sehr überraschen. Sicher halten mich selbst Tiere für übergeschnappt. Ich habe auch eindeutig nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn ich daran glaube, das ein Vogel mich versteht. Aber da ist etwas in seinem Blick, was mich verunsichert, ich mir aber nicht erklären kann wieso.
Ich krabble auf ihn zu, gehe in die Hocke und strecke langsam und ohne mich unnötig zu Bewegen meine Hand nach ihm aus. Bereitwillig reckt er ihr den Kopf entgegen, sodass ich seine weichen Feder noch mit den Fingern streifen kann, bevor er plötzlich seine riesigen Flügel ausbreitet. Erschrocken falle ich nach hinten und sehe ihm dabei zu, wie er sich von einer Windböe mitreißen lässt, die ich gar nicht kommen sehen habe. Überwältigt sehe ich ihm dabei zu, wie er in kreisenden Bewegungen über mich hinwegfliegt.
>>Wie fliegen wohl so ist ...?<< Frage ich mich, als er schon längst in Richtung Dorf verschwunden ist.
Ich setze mich wieder auf, ziehe mir den Mantel enger um den Körper und atme den daran haftenden Duft ein, ohne an die Folgen zu denken. Die Erinnerungen an ihren vorherigen Besitzer und wieso er nun mir gehört, brechen über mich ein. Der Kummer hält aber nicht lange an, es ist zu Kalt um daran festzuhalten.
Erleichtert atme ich aus, ich habe mal keinen Nervenzusammenbruch erlitten, wenn ich zurückdenke, was heute am 21 November vor einem Jahr geschehen war. Denn es ist nämlich ihr Todestag, der Tag an dem ich meine Eltern verlor. Es war ein Unfall, der sie mir nahm und mich alleine zurückließ.
So als wäre es zu einem Ritual geworden, fängt es an zu schneien. Es macht mich nervös, wie er Flöckchenweise vom grauen Himmel nieder rieselt, während die Sonne langsam verschwindet, der Wind sich in eine leichte Brise verwandelt und die Kälte immer unerträglicher wird. Es kann doch nicht sein, dass das Wetter gleich ist und der erste Schnee des Jahres sich den selben Tag aussucht um vom Himmel zufallen. Vielleicht macht es ihm Spaß mich zu quälen.
Ich kämpfe wieder gegen den Kummer an, den ich viel zu früh abgeschrieben habe. In meiner Brust schmerzt mein gebrochenes Herz wieder, als ich sehe wie das kleine Dorf nach und nach in ein frisches, schönes weiß gehüllt wird. Still leide ich vor mich hin und kann nirgendwo Schutz suchen, da ich, wenn ich zurück zum Bahnhof gehen würde, um mich dem Anblick zu entziehen, in großen Schwierigkeiten stecken würde.
Die Flocken setzen sich müde auf meine Wimpern nieder und verschleiern mir die Sicht, doch zu meinem eigenen Erstaunen, bin ich viel stärker als ich zu Beginn geglaubt habe. Ich bin in der Lage den Schnee fort zu zwinkern, ohne in Tränen auszubrechen. Im Vergleich zu damals ist das ein enormer Schritt aufwärts für mich, wenn ich daran denke, wie ich vorher war, nicht in der Lage zu lächeln und völlig weggetreten.
Dabei zuzusehen wie ein nicht sehr freundlicher Gerichtsmediziner eine blutige Decke von zwei toten Körpern zog und mich dann auch noch bat, sie als meine Eltern zu identifizieren, veränderte mich. Doch diese Veränderung bewirkte nichts Gutes. Ich erlebte einen Schock und landete in einer psychiatrischen Anstalt.
Der Gedanke an diesen grauenvollen Ort lässt den Wunsch in mir aufkommen, das der Vogel wieder zurück kommt. Die Stelle an der er zuvor saß, kommt mir so leer vor. Insgeheim habe ich mich nach jemanden gesehnt, der bei mir ist und gerade deshalb kam er mir so recht. Nun ist aber ist er weg.
Wieder strecke ich meine Hand aus, streiche mit ihr über den glatten Stein, der noch so warm ist. Selbst der Schnee darauf schmilzt vor sich hin. >>Komisch dabei hat er ihn nur mit seine Füßen berührt ...<<
Verwundert wische ich meine Finger an meinem Rock ab, um den geschmolzenen Schnee nicht länger als nötig zu fühlen, aber es nützt mir nicht. Alt bekannte Gefühle steigen in mir hoch und meine Kehle ist zugeschnürt. Mit zitternder Hand streiche ich über mein Gesicht, wieder spüre ich etwas Feuchtes, aber dieses mal ist es nicht der Schnee.
>>Tränen …?<<
Diesem Tief bin ich zuletzt vor einer weile unterlegen, danach schwor ich mir, dass ich nie mehr so trauern würde wie bisher. Er hat sich nicht sehr lange gehalten. Ich sauge die eisige Luft ein und gebe ein kummervolles Schluchzen von mir. Dabei wische ich mir über das feuchtes Gesicht, ich zittere, doch nicht der Kälte wegen, sondern weil meine stoische Maske neue Risse dazubekommen hat. Wenn es nur ein paar mehr werden würden, wäre ich nicht mehr zu gebrauchen.
„Reis Dich zusammen Mädchen ...“, weise ich mich zurecht und rupfe etwas Gras aus dem Boden um es dann vor mich zu werfen und zu beobachten, wie der Wind es über das Dorf hinweg trägt. Meine Stimme ist kaum mehr als ein ersticktes Flüstern, meine Kehle ist wie ausgetrocknet. „Sei nicht immer so ein Weichei! Zeig Willensstärke verdammt!“
Nach Ablenkung suchen betrachte ich die altmodischen Häuser und Läden, den leeren Dorfplatz und die vielen, vielen großen Felder drum herum. Wie gerne ich früher meinem Vater und Onkel half diese zu pflügen, heute würde ich einen Anfall bekommen, wenn ich das tun müsste.
Ein kleines Stück hinter dem Bahnhof bleibt mein Blick schließlich haften. Auf dem Parkplatz steht ein zerbeulter Polizeiwagen, der gerade erst dort angehalten hat. In der nähe hat sich ein kleiner Suchtrupp gebildet, schon zuvor bemerke ich wie diese kleine Gruppe entstand, doch nun scheint sie mir gewachsen zu sein. Geleitet werden sie von dem Gorilla, der mir eigentlich für die Fahrt hierher als Betreuer zu geteilt worden war.
Frank Groonie dieser widerliche Mistkerl, mit seinen breiten Schultern, den dunklen, fettigen Haaren und der käsigen Haut, sieht er viel schrecklicher aus, als das Monster das einst in meinem Schrank gelebt hatte. Nur hatte ich mich mit diesem wenigsten irgendwann geeinigt, während ich meinen Betreuer verabscheue. Seine Stimme ist schrill, er lispelt ziemlich stark, weshalb man ihn nie ganz versteht und während der Zugfahrt hat er mich praktisch bedrängt. Am liebsten hätte ich ihn aus dem Abteil geworfen.
Ich erkenne ihn gleich an seinem weißen Kittel, den ihn seine Großmutter zum Zwanzigsten geschenkt hat, das erzählte er jedenfalls ganz stolz. Er trägt ihn nur, da er ein Nerd ist und dazu noch ein Perversling.
Er spricht mit den eher zivil gekleideten Polizisten, die auf ihn zugetreten sind, fuchtelt wild mit den Händen herum und ist stinksauer, was ich ihm nicht übel nehmen kann. Er sollte auf mich aufpassen und ich bin abgehauen, doch es war ja auch seine Schuld. Einer der Polizisten versucht ihn zu beruhigen, als er rot anläuft und ihnen vermutlich die schrecklichsten Lügen über mich erzählt, die ihm gerade in den Sinn kommen.
Es kommt mir mehr als unfair vor, das ich bestraft werden würde, weil er zu unfähig war, auf mich aufzupassen, er hatte mich immerhin aus eigener Dummheit entwischen lassen. Bloß fünf Minuten musste ich ihm schöne Augen machen, schon hatte er sich im Glauben, ich würde mit ihm für einen Quickie auf die Toilette am Bahnhof verschwinden, umgedreht. Das war der Moment, in dem ich die Beine in die Hand genommen und mein Unterbewusstsein mich hier her gebracht hatte. Nur würde man mir wohl nicht Glauben, ich bin bloß die irre, die aus der Nervenklinik entlassen wurde.
„Show time!“, flüstere ich als die Meute sich aufteilt. Kein Einziger von ihnen wagt sich auch nur in die Nähe des Berges, was mich darauf schließen lässt, dass sie entweder glauben ich sei zu feige um mich hier zu verstecken, oder aber sie selbst haben viel zu viel Angst.
Gelangweilt richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Weide. Sie grenzt an einen kleinen Wald, der sie und das Dorf voneinander abschirmt. Gleich auf der Weide liegt der Mondsee, der mir in Kindertagen fast jeden Tag, ob nun im Sommer als auch im Winter, als ein Ort zum Spielen und toben diente. Meine ersten aufgeschrammten Knie und einen äußerst schmerzhaften Bruch habe ich mir dort geholt, doch keine dieser Verletzungen konnte mich davon abhalten wieder hin zugehen. Und es gab ja auch wirklich viele witzige und schöne Momente.
In dem Augenblick, als ich dem Dorf endgültig den Rücken zukehre, fühle ich mich ausgelassener. Es ist die Atmosphäre im Tal, sie ist beruhigend, doch beim Anblick des Sees werde ich stutzig. Normalerweise kann man dort zu dieser Jahreszeit eislaufen gehen, doch er ist noch immer nicht gefroren. Dabei ist es so kalt ist, aber mit dem Klimawandel lässt sich heutzutage ja alles erklären, was wiederum irgendwie auch traurig ist, so kaputt, wie unsere Welt bereits ist.
Im Abendlich spiegelt er meine wirren Gefühle wieder um die ich kein Geheimnis mache. Überhaupt etwas zu fühlen ist eine Abwechslung, da es mich daran erinnert das ich noch lebe. Eine lange Zeit hatte ich das Gefühl nicht ich zu sein, was in der Anstalt durch die viele Beruhigungsmittel umso schlimmer wurde. Die Hölle, die ich durchlebt habe, als ich das erste Mal in meinem Leben echte Leichen zu sehen bekam, ihre toten Augen, die blasse Haut und ihre starren Körper, es war als wäre ich eine von ihnen geworden.
Mich wundert immer noch, dass ich überlebt habe. Ich hatte auf der Rückbank des Wagens geschlafen und hätte mit dem Auto zusammen verbrennen müssen, doch sowohl ich als auch die Leichen meiner Eltern hatten keinerlei Brandspuren aufgewiesen. Doch dafür waren da unzählige andere Verletzungen, die man nicht erklären konnte.
Ich weiß noch, wie ich wach wurde als ein Notarzt, mir mit einer Taschenlampe in die Augen geleuchtet hat. Ich bin ausgeflippt, dann unter starken Schmerzen zusammengesackt. Erst dann habe ich langsam, wie in Zeitlupe, meine Umgebung wahrgenommen. Laute Sirenen dröhnten mir in den Ohren, überall liefen Polizisten und Notärzte herum, während sich eine Menge Menschen um ein Absperrband versammelt hatten. Ich verstand nicht, was los war, bis ich die abgebrannten Überreste unseres einst mal roten Toyota Yaris sah.
Ich war eine Waise geworden und der Arzt mein auch noch, mein überleben wäre Glück gewesen. Was war daran Glück, wenn mir eine verdammte Narbe für immer am Rücken zurückbleiben würde und mich auf ewig daran erinnert, dass ich als Einziges überlebt habe und das meine Eltern nie mehr zurückkämen. Jedes Mal aufs Neue brennt diese Narbe wie verrückt wenn ich daran denke, auch jetzt spüre ich dieses Zwicken das von meiner rechten Schulter, bis runter zu meiner linken Hüfte verläuft.
Ich streiche mir leicht über die brennende Haut und ertaste die dünne, sehr feine Narbe. Obwohl ich sie kaum spüre, weiß ich das sie nicht zu übersehen ist. Das ist es wohl gewesen mit meinen rückenfreien Shirts und Kleidern, geschweige denn den Besuchen in öffentlichen Schwimmbädern.
„Denk nicht so negativ!“, zische ich mich an und verfalle wieder in ein Selbstgespräch. Das gehört längst schon zu meinem Alltag. „Warum lasse ich die Vergangenheit nicht einfach sein, was sie ist, vergangen …“
Seufzend betrachte ich den See wieder, überlege darin schwimmen zugehen, doch das Schämen das ich aus den Augenwinkeln beobachte, lässt mich inne halten. Ich beobachte ihn heimlich, es ist ein Junge, was ich daran erkenne, dass er einen kräftigen Körperbau hat und stampfend durch den feinen Schnee den Berg hinaufrennt.
Hechelnd vor Erschöpfung bleibt er neben mir stehen und stemmt sich auf seinen Knien ab. Während er geräuschvoll nach Luft ringt, verspüre ich den Drang aufzustehen und wieder zu flüchten. In seinem Zustand, habe ich eine gute Chance ihn abzuhängen, ich müsste nur in den Wald. Genügend Übung im Davonlaufen hatte ich jedenfalls, man muss schnell sein, wenn man unter gewissen Umständen in der Großstadt überleben will. Aber anstatt zu verschwinden, bleibe ich sitzen und schaue auf meine Knie, die mein langer, schwarzer Rock bedeckt.
"MAM! DAD! ICH HAB SIE GEFUNDEN! SIE IST HIER!", ruft er noch immer ganz außer Atem und das so laut, dass jeder im Dorf es mitbekommt. „ER HATTE RECHT! Violette?“
Als er meinen Namen sagt, beiße ich die Zähne zusammen. Ich schaue zuerst auf seine großen in braune Schuhe gehüllten Füße, ehe ich den Kopf hochreiße und ihn schweigend anstarre. Ich bin nicht in der Lage etwas zu sagen, daher schlucke ich die Worte herunter und bleibe stumm.
Mein Cousin schaut von oben auf mich herab. Auch wenn es lange her ist, erkenne ich ihn gleich trotz der äußerlichen Veränderungen der vergangenen Jahre. Wenn ich mich richtig daran erinnere, ist er 18 also kaum älter als ich. Andy sieht meiner verschwommenen Erinnerung an seinem Vater sehr ähnlich, die braunen Haare sind kurz, doch sehr dicht, und die blauen, großen Augen blicken mir besorgt entgegen. Sein markantes Kinn und seine leicht gebräunte Haut unterscheiden ihn allerdings von Onkel Lennert, vom Alter mal abgesehen.
„Andy ...“, murmle ich. „Du bist so … anders …“
Damals war er dürr wie Spargel, wir hatten eine Menge Spaß, wenn wir uns gerauft hatten, wobei er dank seinem Fliegengewicht immer verlor. Doch nun ist er groß gewachsen und stämmig wie ein Bär, ich hätte nicht die geringste Chance gegen ihn, jedenfalls nicht in einem Fairen eins zu eins Kampf. Die harte Arbeit auf den Feldern hat aus ihm einen muskelbepackten Schönling gemacht und sicher hält er sich nun auch für etwas ganz tolles.
Mir fällt es jetzt schon schwer ihn nicht abschätzig entgegen zu treten, den Typen, die ich sonst in seinen Ausmaßen kennenlernen musste, waren entweder strohdumm, oder totale Arschlöcher. Meistens wollte sie mir wehtun, was besonders daran lag, was ich zu meinem Hauptberuf gemacht hatte.
Ein Stück hinter ihm, steigen Onkel und Tante den Berg hinauf, als sei der Aufstieg ein Katzensprung, dabei bin ich auf meinem Weg hier hoch schon halb krepiert. Ich halte Ausschau nach Milli, meine kleine Cousine, die ich bis jetzt noch nie gesehen habe, doch sie ist nicht hier, wahrscheinlich schläft sie bereits.
Cora stürmt auf mich als sie mich erblickt, schlingt ihre Arme um meinen Hals und erwürgt mich halb. Als sie etwas locker lässt, atme ich tief durch die Nase ein um den fehlenden Sauerstoff nachzuholen, doch dafür bleibt kaum Zeit, ehe sie wieder zu drückt. Dafür, dass sie eine klein gewachsene Frau ist, die ein gelbes Pünktchen Kleid bestückt mit einer weißen Schürze und dazu hellbraune Puppenschuhe trägt, ist sie unglaublich stark. Ihr welliges Haar trägt sie offen, es riecht nach Äpfeln.
So sehr mich etwas auch dazu drängt, bringe ich es nicht über mich sie von mir zustoßen, obwohl ihre Umarmung mich zur Weißglut treibt. Doch ich habe zu viel Angst davor, ich könnte solch ein zierliches Wesen wie sie zerbrechen. Schwer zu glauben, dass sie bereits Mitte dreißig ist und auch mein Onkel, der neben Andy zum Stehen kommt und sein etwas älterer Zwilling sein könnte, sieht in seinen schmutzigen Bauernklamotten um einiges Jünger als 50 aus.
"Du meine Güte, Violette mein armes Mädchen, Du bist ja halb erfroren!", flötet Cora besorgt in mein Ohr und schlingt mir eine mollig warme Wolldecke um die Schultern.
Dankbar schweige ich, als sie mich wieder umarmt. Hinter dem Duft ihrer Haare verbirgt sich das Aroma, nach dem Gebäck, das sie früher immer für Andy und mich gebacken hatte. Der Hauch an Zimt lässt mich sehnsüchtig an ein frisches Blech mit Zimtplätzchen und eine Tasse heißen Kakao denken, doch sogleich wird mir auch schlecht davon.
Ächzen schaue ich zu Lennert, er wirkt weniger begeistert darüber mich zu sehen, auch wenn ich ein wenig Erleichterung in seinen leicht zusammengekniffenen Augen erkenne. Das es sauer auf mich ist, kann ich zu gut verstehen, doch ehe mich die Schuldgefühle erreichen, wende ich mich zu Andy.
"Aaah!", schreie ich und schaue direkt in seine blaue Iris. Er hat sich zu uns auf Augenhöhe gekniet, so nah an mich heran, dass unsere Nasen spitzen sich schon fast berühren.
Verwirrt darüber halte ich den Atem an und starre weiter hin in die zwei hellen Pupillen. Eine Person, die mich umarmt, reicht mir völlig aus, doch das er mir auch noch auf die Pelle rückt, geht zu weit.
"Geht es Dir gut Violette? Warum bist Du abgehauen, ist etwas passiert?", erkundigt er sich bei mir und geht dabei ein kleines Stück nach hinten, dabei watschelt er so lustig in seiner gebückten Haltung, dass ich kichern muss. Das kurze Lächeln, das ich ihm ungewollt damit entlocke, verwandelt sich kaum das es da ist wieder in Besorgnis. „Sag mir, hat Dich dieser widerliche Kerl etwas angerührt? Gro … Grie ... Grenny … oder so.“
Ich schüttle den Kopf, möchte ihm sagen, dass es ihn nichts angeht, doch ihn interessiert etwas ganz anderes. Sanft fährt er mir mit zwei Fingern über die Stirn und klemmt mir eine störrische Strähne hinters Ohr. Wie vom Blitz getroffen, zucke ich zurück, schlage seine Hand weg.
Auch wenn es doch ganz normal ist, wie er sich mir gegenüber verhält, nach so einer langen Zeit ist er nun Mal nicht der Einzige, der sich weiter entwickelt hat, kann ich seine Berührung einfach nicht ertragen. Natürlich ist er neugierig, ich bin ja auch nicht mehr die kleine Sechsjährige mit Sommersprossen und Zöpfen, die sich mit ihm und den anderen Jungs zum Spaß im Dreck suhlt. Denn jetzt bin ich eine Jugendliche mit schlanker, weiblicher Figur, habe dazu ein B-Körbchen, und wenn ich den Typen glauben schenken kann, bin ich nicht gerade hässlich. Auch wenn ich in letzter Zeit ziemlich stark abgenommen habe und womöglich eher, wie ein Wrack aussehen mag.
Doch seine Berührung galt nicht dazu meine Haarsträhne zu berühren, sondern die Platzwunde an meiner Stirn freizulegen, die ich ihm nicht erklären möchte. Sonst müsste ich bestimmt auch noch einige andere Verletzungen rechtfertigen, die als Andenken an die Anstalt geblieben sind und wer würde mir das schon glauben?
"Mir geht es fantastisch!", knurre ich, dabei trieft meine Stimme nur so vor Sarkasmus. "Mir ging es nie besser und jetzt hör auf mich anzustarren!"
Andys Lippen bilden eine schmale Linie und er sieht weg. Für einen Moment sieht aus wie ein gequältes Hündchen, als hätte ich ihn getreten.
Seufzend richtet er sich schließlich wieder auf, macht einen Schritt von mir und seiner Mutter weg und nuschelt unverständlich vor sich hin:“Ehm okay … dann … Mhm ...“ Als würde er sich plötzlich schämen, dreht er uns den Rücken zu und starrt auf den See runter.
Meine Anspannung, die seine Nähe ausgelöst hatte, verfliegt bereits, doch noch immer habe ich meine Tante am Hals. Sie lässt einfach nicht locker, daher folge ich seinem Blick und sehe wie der Mond anstelle der Sonne, der Weide und dem See sein Licht leiht. Dieser prächtige Anblick ist der Grund dafür, das man ihn Mondsee nennt. Denn das Licht strahlt nicht nur auf das Wasser hinab und die Weide hinab, sondern lässt beides auch eins werden.
Inmitten des Sees wächst aus einer kleinen Insel empor, ein großer, alter Baum, dessen Krone dabei weit nach oben ragt, als wenn sie nach den Sternen greifen möchte. Als kleines Mädchen fand ich den Baum mystisch, ich habe mir vorgestellt wie es wäre bis nach ganz oben zu klettern und was ich dort so finden würde. Und auch heute noch verströmt er eine eigenartige Kraft.
Lennert, der bis eben geschwiegen hat, setzt nun an um etwas zu sagen:"Wir sollten ge ..."
"Fein!", unterbreche ich ihn, dem was er sagen will längst bewusst.
Weniger sanft als geplant, entziehe mich der nie enden wollender Umarmung meiner Tante und stehe schwankend auf. Meine Beine sind eingeschlafen und Andy möchte mich stützen, doch auf meinen feindseligen Blick hin, lässt er es sein. Ich klopfe mir die Müdigkeit aus den Beinen und achte nicht darauf, dass sie mir dabei zusehen.
Cora, die nun auch aufsteht, schaut mich entschuldigend an, ihr ist nicht entgangen, wie ich wirklich auf die Umarmung reagiert habe. Schuldbewusst wende ich ihr den Rücken zu, um mich davor zu bewahren mich bei ihr zu entschuldigen. Bei ihr würde ich nur schwer meinen Willen durch bekommen, ohne eher nach ihrer eigenen Pfeife zu tanzen.
Ich werfe die Decke von meinem Schultern ab und Andy schnappt sie sich, ehe ich mich nach ihr bücken kann. Kommentarlos geht er voraus, Cora und Lennert folgen ihm Arm in Arm und ich lasse mir einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen den Dreien, bevor auch ich mitgehe.
Ab heute würde ich wieder hier Leben. Doch auch wenn sie mich dazu zwingen, kann keiner Entscheiden, dass es mir auch gefallen muss.
>> Maaaaaa!!! Halt dein verdammtes Maul Groonie!!!!<< Genervt von seinem bloßen Anblick, verdrehe ich die Augen und lasse mich mit vor der Brust verschränkten Armen, seufzend in den rotbraunen Sessel, in dem kleinen viel zu süß eingerichteten Wohnzimmer, plumpsen.
Neben mir auf dem gleichfarbigen Sofa haben Lennert und Cora es sich bereits gemütlich gemacht, seit er vor knapp einer Viertelstunde zu reden begonnen hatte. Noch immer hören sie ihm zu, wie er mir irgendwelche Anschuldigungen an den Kopf wirft, doch ich habe aus Gewohnheit schon längst abgeschaltet. Aus seinem Mund kam nur Müll raus, egal ob er sauer ist oder nicht.
Mein Blick schweift durch den fremden Raum und bleibt an der Wohnzimmertür hängen, die einen kleinen Spalt geöffnet steht. Dort kann ich Andy und seine Schwester erkennen, die uns heimlich belauschen. Als sie mich bemerken, legt Milli flehend einen Finger an ihre Lippen um mich zu bitten, sie nicht zu verraten. Da es mich sowieso nicht wirklich interessiert, schaue ich einfach zum Fenster heraus, das offen steht.
Der nachtschwarze Himmel wird vom Mond und den um ihn herum leuchtenden Sternen erhellt. Dieser fast schon magische Anblick entlockt mir ein weiteres, nur in diesem Fall sehnsüchtiges Seufzen und ich muss an die Krähe zurückdenken, deren Federn denselben Farbton hatten, wie der Nachthimmel. Ich sehe sie wieder vor mir, wie sie ihre langen, prächtigen Flügel ausbreitet und der Wunsch so zu fliegen wie sie, keimt abermals in mir auf. So könnte ich einfach in die Nacht davonfliegen und dieser nervigen Predigt entfliehen, die ich nicht gerechtfertigt finde.
„Das geht so nicht! Das werde ich nicht akzeptieren!“, schimpft die dreckige Ratte, noch immer mit den Händen um sich schlagend als sei er ein irrer, herum. „Das gibt Konsequenzen!“
Nachdem wir hier eingetroffen waren, informierte ihn Onkel Lennert gleich, dass ich aufgetaucht bin und kaum zehn Minuten später stand er auch schon in der Tür und begann mir Vorwürfe zu machen. Ich bin mir ganz sicher, dass er gar nicht so weit vom Haus weg gewesen war und nur darauf gewartet hatte, dass ich wieder auftauchte. Vermutlich gefiel es ihm so gar nicht, dass ich ihm nicht nur den Laufpass gegeben hatte, sondern ihn auch noch als den Versager bloßgestellt habe, der er ist.
Cora die bis jetzt alles mit einem Stirnrunzeln mit verfolgt hat, schaut mich eine ganze Weile stumm an. Noch immer macht er mich schlecht, erzählt ihnen das ich ihm schöne Augen gemacht habe und dann im Klo eingesperrt hätte. Als ob ich es nötig hätte ihn einzusperren. Doch egal was er erzählt, sie scheint ihm nicht zu glauben.
„Mr Gro ...“, setzt sie an.
„Dieses Verhalten ist inakzeptabel! Ja inakzeptabel! Sie sollte wieder zurück in unsere Anstalt und lernen, wie man sich richtig benimmt!“, unterbricht er sie einfach. So in Rage, wie er ist, hat er wohl nicht einmal geschnallt, dass sie etwas sagen wollte. „Ich kann sie heute noch wieder mit zurücknehmen, wenn sie das wollen! Aber natürlich wollen sie das!"
>>Nein, ich will nicht zurück ...<< Geschockt setze ich mich Kerzengerade auf und schaue zwischen ihm und meinen Verwandten hin und her. Eine klitzekleine Panikattacke überkommt mich, die mir einen kräftigen Schlag in die Magengrube versetzt und mir die Galle hochkommen lässt, als ich daran denke, was mich erwartet, wenn ich dorthin zurück müsste.
Ächzend greife ich mir an die Stirn, als mich derselbe Schwindel packt, wie am Tag meiner Abreise aus der Anstalt. Vor mir flimmert wieder das grelle Licht meines Zimmers - oder eher meiner Zelle dort -, und ich kann wieder spüren, wie mich der Pfleger schüttelt wie einen alten Sack Kartoffeln, bevor er mich von sich schubst und in meinen Ohren der dumpfe Klang ertönt, als ich mit dem Kopf gegen die Bettkante stieß. Die Wunde an meiner Stirn fühlt sich auf einmal wieder ganz frisch und tut höllisch weg.
>>Eins ... zwei .. drei, vier, Fünf ...<< Ich zähle im Gedanken vor mich hin, um wieder zur Ruhe zukommen, wobei ich immer schneller werde. Dabei schließe ich meine Augen um und tippe mit den Fingern auf meine Knie.
Unerwartet schwingt die Zimmertür auf und Andy stürmt zornig in den Raum. Er bäumt sich wie ein wild gewordener Bär vor Groonie auf und schnauzt ihn an :“VERGESSEN SIE DAS GLEICH WIEDER! WIR HABEN SIE NICHT STUNDENLANG GESUCHT, NUR UM SIE WIEDER DAHINGEHEN ZU LASSEN, WO SIE UNGLÜCKLICH IST! MAN SIEHT IHR AN, DASS SIE NICHT MEHR ZURÜCK WILL, UND WENN DER GRUND DAFÜR IST, DAS SIE IRGENDWELCHE KRANKEN SACHEN MIT IHR VER ...“
"VORSICHT!", schreie ich auf und packe Andy reflexartig am Arm, um ihn aus dem Weg zu zerren. Dort wo er eben noch sein Kopf war, hängt nun die Faust meines jetzt wohl ehemaligen Betreuers in der Luft. Mein Cousin selbst liegt halb in meinen Armen, als er realisiert das ich ihn gerettet habe.
Vor Schock wird Cora ganz blass um die Nase, während sich mein Onkel vom Sofa erhebt. Seine Augen funkeln vor Zorn und seine Nasenflügel beben, als er auf Groonie zuschreitet und die Hände zu Fäusten ballt. So habe ich ihn noch nie gesehen, vermutlich sieht so ein Bär aus, der seinen Nachwuchs beschützt.
„Raus!“, zischt er mit einer unheimlich ruhigen Stimme, als er Groonie, der plötzlich keine großen Töne mehr spuckt, in Richtung Tür drängt. Dort steht Milli wie versteinert einfach nur da und sieht all dem zu. Ich mache mir ein wenig sorgen um sie, nicht das sie noch in Ohnmacht fällt.
Weinerlich wie ein kleines Kind, entschuldigt sich Groonie bei meinem Onkel und jammert herum. Er beschuldigt mich für das alles, obwohl ich bis jetzt nur geschwiegen hatte, doch Lennert führt ihn ohne Gnade aus dem Raum. Man hört nur noch, wie er ihn anbrüllt sich nie mehr Blicken zu lassen, bevor die Tür ins Schloss fällt. Durch das Fenster kann ich sehen, wie Groonie, mit zusammengesackten Schultern davonläuft.
„Hausarrest!“, knurrt Lennert hinter mir, das sind seine letzten Worte an mich, ehe er die Treppe hinauf in sein Zimmer stampft und Cora sich auf Andy stürmt, um ihn nach Wunden zu untersuchen, die ich ihm ersparen konnte.
„Danke ...“, nuschelt er, während sie gerade seinen Kopf zwischen ihre Hände nimmt und runter drückt, um seinen Hinterkopf zu untersuchen. „De ...“
„Ich geh in mein Zimmer ...“, unterbreche ich ihn lustlos. „Mir ist nicht nach reden!“
Als ich an Milli vorbeilaufe, taut sie gerade wieder aus ihrer starre auf, schaut mich kurz an, ehe auch sie ihren Bruder besorgt begutachtet. Da sie mich nicht mehr beachtet, gehe ich rauf und lege mich hin.
„Nein … Warte ...“, wispere ich und greife im Halbschlaf in die Luft. Ich versuche meinen Traum wieder einzufangen, doch er entgleitet meinen Fingern wie Wasser.
* RIIING RIIING RIIIING! RIIING RIIING RIIIING! *
Aufgeschreckt durch das schrille Klingeln schaue ich mich irritiert um und entdecke einen Wecker, an den ich mich nicht erinnern kann ihn vergangene Nacht auf den Nachttisch gestellt zu haben. Er ist so verdammt laut, das meine Ohren mit klingeln und mein Kopf fast explodiert. Und wenn ich mich nicht täusche, ist es gerade erst halb sechs am Morgen.
"Arrrgh! Drecks Wecker!", wütend lasse ich meine Hand auf ihn zu schnellen und versetze ihm einen heftigen schlag um ihn abzuschalten, dabei fällt er vom Tisch und zerschellt klirrend am Boden. Seine Überreste verteilen sich im Raum, liegen jetzt überall herum und haben sich sogar auf dem beschen Teppich unter dem Bett verteilt.
Normalerweise müsste ich wegen dieses Missgeschicks ausflippen, stattdessen lasse ich mich gähnend zurück in mein Kissen fallen und warte darauf, irgendetwas zu bereuen. Aber es bleibt mir erspart, denn es ist nicht meine Schuld, dass der Wecker plötzlich da war. Ganz im Gegenteil, das er nicht mehr laut klingelt erleichtert mich ungemein.
Schläfrig ziehe ich mir die Decke bis unters Kinn und kauere mich zu einem kleinen Knäuel zusammen. Ich möchte nichts sehnlicheres, als noch ein wenig zu schlafen, obwohl ich mich doch eigentlich für Schule zurecht machen müsste. Doch der bloße Gedanke daran, dass wenn ich das Haus verlasse, jeder der an mir vorbeikäme mich mit dummen Fragen bombardieren würde, lässt mich jegliche Lust an der Außenwelt verlieren. Meine Geschichte ist ein gefundenes Fressen für die gelangweilten Bewohner Lockwoods, hier passiert ja auch nie irgendwas spannendes. Aber ich werde nicht die Dumme sein, die ihnen Belustigung verschaffen wird, dafür habe ich viel zu viel Stolz.
„Maaaah!!!“, grummle ich aufgebracht vor mich hin, als ich, so müde ich auch bin, nicht mehr einschlafen kann. „Ich will doch wissen wie er aussieht ...“
In diesem Traum war ich auf einem Schiff gewesen, jedoch auf keinem der unserer heutigen Technik entsprach, sondern auf einem Piratenschiff aus alter Zeit. Man nannte mich Elly und ich war auf der Suche nach jemandem. Sehnsucht trieb mich voran und gerade als ich ihn sehen konnte, den Mann den ich solange gesucht habe, wurde ich geweckt.
Gezielte Schritte nähern sich meinem Zimmer und ich horche auf. Ich weiß gleich wer es ist, Tante Cora. Es ihre Art wie sie geht, sie trippelnd viel mehr und außerdem ist sie die einzige, die die Tür so vorsichtig öffnet, als erwarte sie ein Raubtier dahinter. Und mein momentanes Verhalten lässt darauf schließen, dass ich dieses gefährliche Tier bin. Immerhin bin ich zickig, undankbar und immer nur mies gelaunt.
Ein verzweifeltes seufzen entfährt ihr, ehe sie mal wieder mit ihrem Vortrag beginnt:"Vio Liebes... Was soll ich nur mit Dir tun? Versteh doch das wir dir nichts Böses wollen …"
Meine Antwort ist nur ein genervtes Grunzen, dass zum ersten Mal mit schweigen, statt mit einer weiteren predigt, quittiert wird. Anstatt etwas zu sagen, geht sie weiter in den Raum hinein und schreitet langsam bis zu meinem Bett. Als sie davor zum stehen kommt und immer noch keinen Laut von sich gibt, packe ich mir mein Kissen und presse es auf meinen Hinterkopf, dabei drücke ich mein Gesicht auf das Bett und versuche mich von allem um mich herum zu isolieren.
Die plötzliche Ruhe hat mich noch nervöser gemacht als ich es bisher gewesen war, doch ich will mich der aufkeimenden Panik nicht hingeben die mich dazu drängt zu Cora zu sehen. Würde ich es tun, würde sie mich mit ihren klimpernden Hundeaugen ansehen und dann würde ich alles tun was sie von mir verlangt. Sie hat leider so eine Wirkung auf mich, dabei wäre es mir lieber wenn sie verschwindet und mich endlich einmal in Frieden lässt.
Die letzten zwei Tage mit ihr, haben mich fast dazu gebracht aus dem Fenster zu springen und nicht nur weil ich mir dank meiner Aktion zuvor, eine dicke fette Erkältung eingefangen hatte. Sie hatte doch Tatsächlich versucht mit mir eine Art Mutter Tochter Verhältnis aufzubauen, in dem sie mir Anbot immer zu ihr zu können, wenn es mir nicht gut ging. Das einzige gute an ihrer Fürsorge war, dass ich bis jetzt noch kein einziges mal mit der Familie essen musste, so konnte ich unbemerkt das essen im Müll verschwinden lassen ohne erwischt zu werden. Nur musste ich dafür brav Medizin schlucken, die wirklich widerlich war.
Was alles nur noch verschlimmert hat, ist das es hier im Haus keine Computer gibt und dann hat Onkel Lennert auch noch mein Handy in seine Obhut genommen, nur weil ich am Freitag abgehauen war. Wie sehr er mich an jenem Abend bevormundet hatte, grenzte an einen schlechten Witz. Er hat mir Hausarrest erteilt, dabei weiß ich nicht einmal wohin ich sollte, wenn ich hier raus könnte.
Zwei kräftige Hände packen mich unsanft an meinen Handgelenken und zerren mich vom Bett. Ich bin wieder eingedämmert bin. Ich falle, ehe ich mich wehren kann, auf meinen Hintern. Erst als ich auf dem Rücken am Boden liege, lassen die Hände von meinen Gelenken ab und ich schaue zu Andy auf.
"Hör auf so dämlich zu sein und zick nicht herum!", schnauzt er mich wütend an und sieht von oben auf mich nieder. Es wirkt schon fast verspottend auf mich. "Was nun? Willst Du hier die Arme kleine Violette spielen? Bleibst Du weiter im Bett und schmollst? Oder bewegst Du Deinen verwöhnten Arsch und kommst mit in die Schule?"
Er tut gerade so, als würde er mir die Wahl lassen, doch so ist es nicht. Immerhin liege ich bereits außerhalb des Bettes und bin nun hell wach. Aber ich hoffe für ihn, das er nicht daran glaubt, dass er mich aus der Fassung bringen könnte, auch wenn er dies geschafft hat, in dem er mich verwöhnt genannt hat.
Andy kann sich vermutlich nicht im geringsten vorstellen, unter welchen Umständen man in der Craimer Anstalt leben muss. Wie die Pflege dort ist, wenn keine Außenstehenden dabei waren, würde selbst den stärksten Menschen innerlich brechen. Wüsste er wie es war, würde er mich nie wieder verwöhnt nennen. Doch ich werde es ihm sicher nicht erzählen, er glaubt mir das sicher eh nicht.
Seufzend setze ich mich auf und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ohne ihn anzusehen, frage ich:"Habt ihr einen Fön? Am besten einen, dessen Hitze man einstellen kann!"
Als ich aufstehe, grinst er irgendwie Blöd und ich schaue an mir herab um zu prüfen warum. Mein Pyjama mit den Rentieren darauf, ist schon sehr peinlich, aber bestimmt nicht der Grund weshalb er plötzlich in Gelächter ausbricht. Er besitzt immerhin auch so einen.
"Ja klar Fön, den brauchst Du nicht Prinzessin, rubbel Dir das Haar einfach trocken, den Rest erledigt die Luft. Oh man, du bist echt ein Mädchen. Erst zickst du rum und dann sind dir deine Haare eh wichtiger."
„Hast du mich Prinzessin genannt?“, fauche ich zornig, als ich aufstehe und mich genau vor ihn stelle. Doch die Tatsache, das er um einiges größer als meine 1.69m ist, lässt mich nicht gerade bedrohlich wirken, eher wie ein kleines Nagetier vor einer riesigen Raubkatze.
Andy wuschelt mir belustigt durchs Haar und zieht seine Hand weg, noch bevor ich zuschnappen kann. Dann streckt er mir frech die Zunge aus und verlässt fluchtartig mein Zimmer. Das er dabei auch noch mit Absicht, die Tür offen lässt, nervt mich mehr als sein Überfall vorhin.
Das mit dem Föhn war mein voller ernst gewesen, er selbst hat es leicht, seine Haare sind kurz, während meine zehnmal so lang sind und mir bis zu den Hüften reichen. Ohne einen Föhn bin ich im Winter aufgeschmissen, da renne ich der nächsten Erkältung mit offenen Armen entgegen. Außerdem habe ich mir so sehr erhofft, mir die Haare einmal wieder richtig pflegen zu können, nachdem ich endlich aus dieser dreckigen Anstalt raus bin. Dort durfte man nur einmal in der Woche duschen und das dann auch nur kalt. Und dank seiner Worte, war es das dann auch mit der Hoffnung hier.
Suchend blicke ich mich nach den Scherben des Weckers um, die ich eigentlich aufräumen möchte. Doch sie sind bereits verschwunden, kein Krümel ist mehr zu sehen. Neben meiner Mülltone entdecke ich ein Kehrblech und in dem Eimer selbst, glänzen mir Plastikteile und etwas Glas entgegen.
>>Verdammt, warum hat sie das getan? Jetzt muss ich mich auch noch bei ihr bedanken … Bestimmt ist sie der Meinung, ich würde mich beim aufräumen absichtlich schneiden und verbluten. Vielen Dank auch ...<< Mit einem melancholischen Seufzer, setze ich mich auf mein Bett. Mein Gesicht vergrabe ich in meinen Hände und stützte dabei die Arme auf meinen Beinen ab. Langsam wird es mir zu viel. >>Wo bin ich hier bloß gelandet? In der Hölle..?<<
In ein Handtuch gewickelt steige ich aus der Dusche und sauge den Duft von meinem Lavendel Duschgel ein, der sich im Raum mit dem Dampf verschmolzen hat. Ich liebe Lavendel schon ewig, auch wenn ich keine meiner Erinnerungen damit verknüpfen kann. Vermutlich ist es eine der, die ich mit meinem Sechsjährigen ich, einst verbannt hatte.
Nachdem ich genug geschnuppert habe, überprüfe ich die Badezimmertür noch einmal daraufhin, ob ich sie auch wirklich abgeschlossen hatte. Da sie nicht nachgibt, als ich kräftig am Griff rüttle, lasse ich das Handtuch von meinem Körper gleiten um mich anzuziehen. Vorher sehe ich aber noch in den Gebrochenen Spiegel über dem Waschbecken.
Ich bin dünn, nicht mehr nur schlank sondern fast schon abgemagert. Ich sehe meine Rippen und schäme mich etwas dafür über dieser Mager Models gelacht zuhaben. Das einzige schöne in meinen Augen ist nur noch meine helle, weiche Haut, die wenigen Wunden fallen kaum auf. Doch als ich meinen Rücken etwas drehe, verziehe ich das Gesicht. Die Narbe ist fiel zu auffällig.
„Vergiss es … die Narbe macht dich einzigartig!“, pflichte ich mir durch den Spiegel bei und mache mich ans anziehen.
Der BH den ich in aller eile aus meinem Koffer gefischt hatte, fällt unerwartet klein aus. Sie hatte mir im ernst einen meiner Mutter aus unserer alten Wohnung geholt. Ich lasse ihn an, obwohl ich ihn lieber wegwerfen würde, wie alles andere das mich an meine Eltern erinnert. Doch so erspare ich mir halbnackt zu meinem Schrank zu schleichen. Das würde mir noch fehlen, mein Zimmer liegt im zweiten Stock, es wäre mir mehr als unangenehm, jemanden auf den Weg nach oben zu treffen ohne richtig bekleidet zu sein. Und ich glaube ja, Andy würde das nicht verkraften mich so zu erblicken, er ist ja auch nur ein Kerl.
Um meine gequätschte Brust zu kaschieren, streife ich mir ein weites, schwarzes T-Shirt mit bunten Bedruck über und schlüpfe in meine verwaschene Lieblings Jeans. Sie ist löchrig, vorher waren die Löcher noch nicht in der Hose, es waren also keine dieser Hipster Hosen. Sie entstanden während eines Moshpits auf einem Konzert, in dem ich hingefallen war, als jemand etwas zu wild gegen mich gesprungen ist. Der Tag war einfach nur schön gewesen, obwohl die Hälfte durch den Alkohol eher in meinem Gedächtnis fehlte. Doch dafür hatte ich mich unter all den Leuten, dass erste mal seit Ewigkeiten nicht mehr alleine gefühlt.
Vor dem Ganzkörperspiegel neben der Tür – ein wahres Prachtexemplar aus dunklem Ebenholz gefertigt und mit einem eigenartig schönen Ranken Muster verziert – rubble ich meine Haare einigermaßen trocken. Dann bürste ich sie durch und beiße vor Schmerzen die Zähne zusammen um nicht zu jammern. Es zieht an meiner Kopfhaut, wenn ich mit der Bürste durch mein langes Haar fahre, da ich mir mit dem verdammten Handtuch nur noch mehr Knoten rein gehauen hatte. Ich müsste mir schleunigst einen Föhn beschaffen, sonst würde ich in kürzester Zeit all meine Haare verlieren.
Schlussendlich binde ich mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, der weit oben auf meinem Kopf sitzt und mir trotzdem noch bis zum Hintern reicht.
~ „Willst du dir denn deine Haare nicht mal wieder schneiden? Sie sind doch so lang und die Pflege ist so umständlich Häschen.“ ~ Mamas Worte hallen plötzlich in meinem Kopf wieder. Nachdenklich fahre ich über meinen Hüftlangen Zopf und es zuckt ein wenig um meine Mundwinkel, nur das sie stattdessen nach unten fallen.
Ich erinnere mich zurück, an einen Tag an dem Papa in die Küche kam und der erste richtige Streit zwischen meinen Eltern entfachte.
~ „Lass sie doch!“, kicherte Papa, als er sich zu mir an den Küchentisch setzte und mir einen Kuss auf die Wange drückte. „Ich finde das Haar unserer Kleinen toll! Sie sieht wirklich hübsch aus!“ Ich fühlte mich geschmeichelt und spielte verlegen mit meinen Zwei Zöpfen, die Mama mit viel Mühe geflochten hatte. Zum dank für das Kompliment wollte ich ihm ein Marmelade Brot schmieren, doch ich wusste nicht genau ob er auch eins wollte und musste mich daher erst einmal erkundigen. Als ich ihn genauer ansah, erstarb die Frage auf meiner Zunge und mir wurde unwohl zumute. Denn in einer Hand hielt er die Morgenzeitung und in der anderen eine Zigarettenschachtel. Mit dem Rauchen hatte er angefangen, da war ich glaub ich Zehn und schon da mochte ich es nicht. „Kannst du die nicht weg tun wenn Violette mit am Tisch sitzt?“, fragte Mama ihn von der Spüle aus und klang dabei nur noch erschöpft. Vermutlich war sie es ja einfach leid, es ihm immer und immer wieder sagen zu müssen. „Mensch! Es nervt langsam, lass mich doch! Ich schufte jeden beschissenen Tag in der Firma!“, platzte meinen Vater unerwartet der Kragen. Erschrocken davon, das er die Zeitung auf den Tisch geschlagen und „beschissen“ gesagt hatte, sprang ich auf und eilte neben meine Mama. Verängstigt klammerte ich mich an sie, hörte noch den Teekessel hinter uns pfeifen, wie der Anpfiff zu einem Kampf und wusste dann, dass es ein Fehler war zu ihr zu kommen. Kaum bemerkte sie nämlich meine Furcht, war es um sie beide geschehen. Es flogen auf einmal massenhaft Schimpfwörter zwischen ihnen umher, die ich zuvor nicht gekannt hatte. Als sie dann auch mit Sachen nacheinander warfen, reichte es mir und ich flüchtete aus der Wohnung. Sie waren einfach viel zu in Rage, um zu bemerken das ich gar nicht mehr da war … ~
Mühselig halte ich mich davon ab, mit der Faust gegen den Spiegel zuschlagen. Die Erinnerung hat mich aufgewühlt und in eine Phase versetzt, die mich unfähig dazu macht mich zu rühren. Mein Herz wird mir schwer in der Brust, als sei es aus Blei und auch das Atmen bereitete mir einige Probleme, die ich jedoch noch ganz gut in den Griff bekomme. Es ist nichts neues, das mich eine Panikattacke unerwartet überkommt, wenn ich mich an früher zurück erinnere, nur ist es wahnsinnig unangenehm, wenn man für unbestimmte Zeiten, wie gelähmt ist.
„Hey! Kann ich auch mal ins Bad?“, ruft Andy durch die Tür. Falls er geklopft hatte, war ich wohl etwas zu vertieft gewesen, um es überhaupt zuhören.
„Ja warte man!“, stöhne ich genervt und verfalle wieder in meine Abwehrhaltung. Eilig sammle ich noch meine Sachen zusammen und stecke sie, ohne groß darüber nachzudenken, was noch sauber war, in den Wäschekorb.
„Du kannst rein kommen!“ Ich schließe die Tür auf und versuche mich an ihm vorbei zu drängen.
Er lässt mich nicht durch und stellt sich genau vor mich. „Alles gut?“, höre ich Andy fragen. „Du bist bleich, etwa noch nicht gesund?“
„Ach sei doch still!“, fauche ich mies gelaunt und schubse ihn mit meiner ganzen stärke zur Seite, ehe ich in die Küche flitze.
Auf halbem Weg gehe ich langsamer und summe eines meiner Lieblingslieder vor mich hin. Es ist eines, das meine Mutter mir immer vorsang als ich mit Wunde nachhause kam, die ich mir auf der Weide zuzog und mich nicht beruhigen konnte. Aber als mich der köstliche Geruch überkommt, verstumme ich.
Schon ganz von allein verdreht sich mir der Magen und ich überlege mir eine Ausrede, um nicht mitessen zu müssen, dieses mal kann ich nicht zum Mülleimer laufen und es entsorgen. Doch mir fällt nichts gutes ein, außer ihr die Wahrheit zu erzählen. Und diese ist, das ich eine Essstörung habe, ausgelöst durch den Schock wie es hieß, aber eigentlich ist mir der Appetit vergangen, nachdem ich den Fraß in der Anstalt probiert hatte.
Als ich in die Küche komme, steht Cora in einem beschen Kleid am Herd und brät - so fröhlich wie sie nervigerweise immer ist - Eier mit Speck für die ganze Familie. Es riecht wirklich fantastisch, dass muss ich zugeben und bestimmt ist es auch hundertmal besser, als in der Anstalt. Noch immer steckt der angekokelte Geruch, der jede Mahlzeit dort begleitet hatte, in meiner Nase, doch jetzt vertreibt ihn langsam der viel köstlichere Duft.
Stillschweigend setze ich mich an den Tisch, auf dem Stuhl neben dem meine gepackte Schultasche steht. Schon wieder ist meine Tante mir zuvor gekommen, doch ich bin zu Stolz um ihr meinen Dank auszurichten und gieße mir stattdessen etwas Orangensaft aus einer weißen Karaffe ein. Der Saft ist heller als der aus den Flaschen, die mein Vater sonst im Supermarkt besorgt hat und riecht auch anders. Da es mir befremdlich vorkommt, schnuppere ich erst einmal daran, ehe ich mich in der Küche noch einmal umsehe.
Auf einmal höre ich jemanden von oben rufen:"MUM, WO IST MEIN TRIKOT?"
"Oben dritte Schublade links Liebling!", ruft Cora, Andy um einiges ruhiger zu als er es war.
Als sie beginnt vor sich hinzusummen, lausche ich dem besänftigenden Lied und genehmige mir einen kleinen Schluck vom Orangensaft. Kaum fließt der süß säuerliche Saft meine Kehle herab, ändert sich meine Haltung diesem Getränk gegenüber. Ich mochte Orangensaft nicht so sehr, doch dieser schmeckt ganz anders und daher besser als erwartet.
"Mhm … Wow der schmeckt ziemlich gut, wo hast Du den denn her Cora?"
"Wo ich den Orangensaft herhabe? Na selbst gepresst! Du stellst aber fragen Liebes.", lächelnd stellt sie mir einen Teller hin und der Rest der Familie trudelt in der Küche ein.
Das Essen ist auf ovalen mit Ranken verzierten Tellern serviert, die so edel aussehen, wie die besonderen Teller meiner Mutter, die sie nur zu besonderen Anlässen rausgeholt hatte. Leider hatte sie diese aber auch zerstört, nach einem Streit mit Dad. Sie hatte sie einfach gegen die Wand geschleudert und als er dann zur Arbeit abdüste, weinte meine Mutter.
Ich sehe vom Teller auf, als mein Onkel gerade aus dem Flur in die Küche geschlichen kommt. Grinsend zeigt er mir, dass ich still sein soll, in dem er den Finger an seine leicht gespitzten Lippen hält, er hatte mir wohl verziehen. Still legt er Cora die Arme von hinten um den Baucg und küsst ihr zärtlich aufs Haar. Als sie sich kichernd zu ihm dreht und ihn küsst, stell ich sie mir nur ganz kurz in Gestalt meiner Eltern vor. Ein Fehler, wie ich schnell merke.
Erst als Andy ebenfalls durch die Tür trottet und sich mir gegenüber setzt, wende ich meine Aufmerksamkeit ihm zu. Er macht sich über seinen Teller her wie ein wilder, schmatzend und grunzend, schmückt er sein Verhalten mit einem widerwärtigen Rülpsen ab.
"Der war doch gar nichts Bruderherz!", taucht Milli plötzlich neben mir auf und klettert auf den Stuhl zu meiner rechten.
Ihr blondes Haar hat denselben Goldstich, wie das von Cora und ihre Augen sind grünblau, eine Mischung beider Augenfarben ihrer Eltern. Sie sind groß und strahlen eine ungewöhnlich große Menge Freude aus. Und ihre süße Stupsnase, lässt sie in Kombination zu ihren etwas vorstehenden Vorderzähnen wie ein süßes kleines Kaninchen wirken.
Wir sind uns etwas ähnlich, besonders von der Nase her, wobei ich meine eigene hasse. Sie ist klein und ihre Spitze ein wenig nach oben gebogen, sodass ich manchmal leider putziger herüberkomme, als mir lieb ist.
Milli mit ihren 13 Jahren, gibt einen um das Zweifach lauteres Rülpsen von sich, als das ihres Bruders, weshalb es umso unpassender für ein kleines Mädchen ist. Sie ist wie ein kleiner Junge und sieht dabei aus wie ein Engel in ihrer Latzhose mit schönem Haar, das zu zwei süßen Zöpfen geflochten ist.
"Mein Engelchen, der war grandios!", lacht Onkel Lennert, worauf hin ich verstört eine Braue anhebe.
War ich als Kind etwa auch so? Ich hoffe nicht, doch was wusste ich schon. Meine Kindheit war wie ausradiert aus meinem Gedächtnis. Ich wusste kaum noch was von der damaligen Zeit hier, denn neue Erinnerungen verdrängten sie.
Mit einer vollen Kanne Milch, setzt sich meine Tante endlich zu uns an den Tisch und sie alle essen gemeinsam. Nur ich lasse meinen Teller unberührt und betrachte stattdessen lieber den Riss in meinem Hosenbein. Er entstand als einziger bei dem Versuch über einen Zaun zu klettern, ich hab es zwar geschafft, bin aber in einen Haufen Müll gefallen und habe mir das Bein aufgeschnitten.
"Keinen Hunger?", fragt Milli mich neugierig und mit vollem Mund.
Ein paar Krümel landen aus ihrem Mund auf meinem Arm. Angeekelt nehme ich mir eine Serviette und wiche die Krümel mit gerümpfter Nase weg. Sie schaut mich entschuldigend an und wartet auf meine Antwort. Also schiebe ich den Teller weg, um ihr die Antwort schonender beizubringen, als meine Schroffe Art es zulässt. Ich will ihr nicht sagen müssen, das sie mir meinen schon zuvor geringen Appetit, nun ganz genommen hatte, weil ich dieses ländliche Unterschichtverhalten nicht mehr gewohnt bin.
Andy reißt ihn sich gleich unter den Nagel. "Tja Dein Pech Prinzessin! Ich ess ... Au Mom! Das hat wehgetan ..."
Er zieht seine Hand schneller weg als ich gucken kann und schmollt vor sich hin. Seine Mutter hat ihm mit der Zeitung auf die Finger geschlagen und auch wenn es nicht wirklich stark gewesen ist, war es dafür ein Zeichen. Kurz darauf schiebt sie mir den Teller wieder hin und ihr sanftes Lächeln ruht dabei auf mir. Mein Herz, wird von wohliger Wärme umschlossen und macht es mir umso schwerer zu verbergen, das ich sie doch unheimlich gern habe.
"Iss wenigstens ein Ei!", bittet sie mich, als ich zum Teller sehe. "Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, die anderen kannst Du ruhig auslassen, wenn willst."
Ihre besorgte Miene und ihr harmonischer Tonfall machen mir klar, dass man sie schon längst von meiner Essstörung in Kenntnis gesetzt haben musste und mir das erspart bleiben würde. Doch jetzt kann ihren Wunsch umso weniger Cora abschlagen, besonders wenn sie dauernd so gut zu mir ist. Schon das mit dem Wecker hatte sie mir nicht einmal übel genommen und auch noch die Scherben hatte sie weggeräumt.
"Von mir aus ... Na gut! Okay!"
Aus dem Korb neben dem Brot, nehme ich eine Gabel heraus und musterte sie. Silbern und mit Ranken verziert wie die Teller und der Spiegel im Bad, wie mergwürdig. Es ist schon fast zu schade, sie zum Essen zu benutzen.
Ich ringe mich dazu ab, mit der Pracht Gabel das Spiegelei zu zerteilen und eine Hälfte aufzupicken. Das Ei mustere ich gründlicher als zuvor das Besteck, die Konsistenz ist geradezu perfekt und das Öl trieft keinesfalls in so heftigen Schüben herunter, wie bei dem widerlichen Fraß der Psychiatrie.
Als ich die Gabel in den Mund stecke, habe ich einen regelrechte Geschmacksorgasmus, verursacht durch das Aroma und die Würze, die perfekt aufeinander abgestimmt sind. Alles zusammen zergeht mir ganz langsam auf der Zunge und tanzt auf meinen Geschmacksnerven herum. Einen Moment später beuge ich mich über den Teller und verzerre hungrig wie noch nie, den Rest. Verwundert über mich selbst, nehme ich danach meine Serviette und wische mir über den Mund, bevor ich den Geschmack mit etwas Orangensaft runter spüle.
"D-Danke für das Frühstück Tante ... es war vorzüglich!"
"Nenn mich doch Cora kleines!", sie und Lennert werfen sich einen Blick zu und fangen an zu grinsen. Ich scheine sie sehr zu amüsieren.
"Verdammt! Wir müssen los!", ruft Andy und springt plötzlich auf. Er packt seine Tasche von seiner Stuhllehne und wischt die Hände dabei an seiner Hose ab und mit dem Ärmel seiner Jacke, die er über seinem blau weißen Trikot trägt, geht er sich über die Lippen. "Die Gordon wird noch richtig am Rad drehen, wenn Du an Deinem ersten Tag schon zu spät bist! Bis dann Milli. Bye Mum. Bye Dad."
Ohne die leiseste Vorwarnung reißt er mich vom Stuhl, gerade noch so bekomme ich meinen Rucksack gegriffen, ehe wir, meine Hand fest in seiner Gewalt, aus dem Haus stürmen. Andy achtet gar nicht darauf, ob ich mitkomme, oder das ich beinahe aufs Gesicht falle, als wir über den verschneiten weg stürmen.
"VIEL SPASS IN DER SCHULE!", höre ich die anderen uns noch nachrufen, komme aber selbst nicht mehr dazu etwas zu erwidern.
Die kühle Morgenluft peitscht mir gleichzeitig angenehm frisch und wiederum schmerzlich ins Gesicht. Zu meiner großen Verwunderung, stinkt es hier nicht ein kleines bisschen nach Benzin und Abgasen, sondern duftet nach frischer Natur und Blumen, wobei jene Blumen längst durch den Millimeter dicken Schnee verdeckt sind. Ich habe bis jetzt auch noch kein Auto durch die Stadt fahren sehen, wie es in L.A gang und gebe war.
Noch immer stolpere ich Andy hinter her, er zieht kräftig an meinem Handgelenk und schreitet viel zu schnell voran. Ich habe nicht von ihm erwartet das er so flink ist, obwohl es mir klar sein musste. Er ist eine Sportskanone und spielt sogar im Football Team der Schule mit, natürlich ist er dann auch schnell.
"Mach doch mal eine Pause ...", keuche ich ganz außer Puste und versuche mich seinem Griff zu entreißen. Ich selbst sehe zwar so aus, aber Sport und Ausdauer liegen mir gar nicht.
Als er mich endlich loslässt, stolperte ich ungewollt weiter nach vorne und stoße gegen etwas, oder eher jemanden und schwanke nach hinten. Dieser jemand umfasst reflexartig meine Hüften mit seinen kräftigen, aber weichen Händen und bewahrt mich so vor dem sicheren Fall auf den Hintern. Während er mich an sich presst, fühle ich mich auf einmal so unendlich sicher und geborgen.
"D ... Danke!", wispere ich, als er mich ein kleines Stück von sich drückt ohne mich los zu lassen.
Irritiert schaue ich in seine dunklen, fast schon schwarzen Augen, dann mustere ich ihn weiter, betrachte sein mittellanges, schwarzes, oder doch eher blaues Haar. Seine gerade Nase, die dunklen Wimpern und die etwas hervorstehenden Wangenknochen bringen sein Makelloses Gesicht besonders zur Geltung. Er ist um einiges größer als ich, womöglich an die 1.80m und schlank.
"Kein Ding ...", murmelt er fast schon tonlos und erwidert meinen Blick für einige Sekunden, als ich wieder in seine Augen schaue.
Es ist der längste Blickkontakt zu einem Menschen seit langem, ohne das mir dabei unangenehm zumute ist. Meine Brust drückt gegen sein, ich kann sein Herz schlagen hören, oder vielleicht ist es ja auch nur meines. Er lächelt nicht, doch scheint mir auch nicht wütend, eigentlich kann ich nicht die geringste Emotion an ihm deuten.
Meine Hand hebt sich wie von selbst, um die Konturen seiner Lippen nach zu ziehen. Sie sehen so weich aus und ich frage mich insgeheim, wie sie sich an meinen anfühlen würden. Doch es kommt nicht einmal soweit, das ich sie mit der Fingerspitze berühre, als jemand neben uns sich räuspert.
„Ehem … Wir müssen zur Schule! Die Gordon ...“, reißt Andy uns zurück in die Realität, so das ich vor Schreck über meine beinah unüberlegte Handlung aufkeuche.
Schnellst möglich entziehe ich mich dem Fremden Schönling, der mich auch gleich freigibt und sehe Andy an, der uns fragend mustert. Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie der Junge mich noch immer ansieht und sich mit der Hand durchs Haar fährt. Ich muss zugeben, er ist hübsch.
"Sorry fürs Anrempeln und tschau!", gebe ich perplex von mir, ehe ich davon schreite und mich nicht mehr zu ihm umwende. Ich muss schnellst möglich Kontakt zu Darren aufnehmen.
Andy folgt mir eilig, was ich an seinen schlürfenden Schritten erkenne. Nur er schleift seine Füße so schwerfällig über den Boden, das man praktisch hören kann, wie sich sein Sohlen auflösen und wirbelt dabei noch eine Menge Staub auf.
"Was war das denn eben?", er klingt nicht gerade belustigt, wie ich es erwartet habe. Er ist sogar eher wirklich verwirrt. "Krass! Dass sich Jasper nicht so verhalten hat wie sonst. Eigentlich hätte er Dich sofort abweisen müssen, so wie alle anderen. Oder wenigsten gemein müsste er zu dir gewesen sein. Aber der war ja fromm wie ein Lamm! Vielleicht sieht er in dir keine Tusse ..."
"Was redest Du da für einen Mist Andy?" >>Jasper also ... Interessant.<<
"Naja, er ist halt ein echt komischer Vogel. Halt Dich einfach von ihm fern, wäre wohl sicherer für dich! Außerdem genießt er keinen besonders guten Ruf. Der ist der unfreundlichste Typ an der Schule, gibt immer genervte Kommen … Hey! ihr würdet doch ganz gut zu einander passen!", lacht er auf.
Ich boxe ihm spielerisch in die Seite und schüttle den Kopf:"Glaub mir, wie sehr mich Deine Besorgnis auch schmeichelt. Ich werde mich ihm schon nicht an den Hals werfen ... Er ist nicht mein Typ. Außerdem, ich habe einen Freund …" >>Oder eher so etwas in der Art.<<
Andy legt mir einen Arm um die Schulter, bevor er wieder spricht:"Na dann, stell ihn mir mal vor! Immerhin muss ich jetzt auf Dich aufpassen Cousinchen!"
Den frechen Unterton kann ich nicht überhören und verdrehe amüsiert die Augen. Es überrascht mich selbst etwas, das ich nicht genervt oder schroff reagiere.
Mit einem Mal, verwuschelt er meine Haare und rennt los. Und obwohl mir nicht danach ist zurennen, tue ich es einfach. Immerhin hat er meine Zopf ganz durcheinander gebracht und das heißt Rache.
Immer wieder starre ich auf meine Armband Uhr, doch der Zeiger will sich einfach nicht vom Fleck Bewegen. Ich bete schon darum, das die Pause ein Ende nimmt, doch ich werde einfach nicht erhört.
"Wow! Wie untypisch du aber für ein Stadtkind aussiehst Violette. Warum bist Du so blass? Ich dachte, Du hast in Los Angeles gelebt? Sind die Leute da nicht eher braun gebrannt von der Sonne? Und tragen so total cooles Zeug von berühmten Modedesigner?"
"Ja genau! Und dann hast du noch diese irgendwie kindliche Art an Dir!", kichert Lotta schwärmend und stimmt ihrer Schwester dabei zu.
"Deine Kleidung ist so depri. Bist Du vielleicht so eine Art Emo, oder wie man diese Leute nennt? Also ich meine die, die sich immer so dunkel einkleiden und selbst hassen?", will Amy noch wissen.
Die beiden Blondschöpfe sehen sich nicht nur verdammt ähnlich, sie sind sogar Eineiige Zwillinge. und als ich noch ganz klein war, waren sie mal meine aller besten Freundinnen. Doch heute sind sie einfach nur ein paar Hühner, die mir auf die nerven gehen.
Besonders auf die nerven, gehen mir ihre lästigen Fragen und ihre Vorurteile. >>Also echt, ich ein Emo? Die haben sie nicht mehr alle!<<
Mürrisch schweift mein Blick über den Hof, keiner ist da, alle sitzen unten in der Mensa. Es regnet, der Boden ist ganz feucht und matschig, kein wunder dass mich die beiden hier hergeschleppt haben, so kann uns immerhin keiner stören.
Ich bin verloren, denn sie würden mich nie in ruhe lassen, wenn ich sie mich weiterhin nerven lasse. Daher muss ich mir auch schleunig etwas einfallen lassen, um sie zu verscheuchen.
"Erstens, Emo ist eine Musik Richtung, die Deprikacke ist dazu erfunden worden. Zweitens ich trage nichts Depressives, das ist doch lächerlich, so was wie ich anhabe, tragen halt Leute aus der Rockszene! Und drittens weiß ich es nicht, eigentlich saß ich dauernd am Strand herum und hab die Sonne nicht einmal gemieden. Vielleicht bin ich ein Vampir oder so. Wobei, dann wäre ich vermutlich in der Sonne zu Staub zerbröselt."
Ich bereue den letzten Kommentar, denn schon kichern die Beiden wieder los. Ich hätte nicht gedacht, dass der Unterricht weniger quälend sein konnte als diese 30-minütige Pause. Aber leider ist es so, das sie mich von meiner wohlverdienten Ruhezeit abhalten.
Überglücklich sehe ich zum Schulgebäude, als es der Gong zum Unterrichtsbeginn ertönt. Die beiden hatten mich gleich nach der Stunde mit sich geschleift, nach draußen auf den leeren Pausenhof und mir darüber Bericht zu erstatten, wie sehr sie mich vermisst hätten, seit ich damals verschwunden bin. Und dann mussten sie mir unbedingt mitteilen, was sich alles in Lockwood verändert hatte.
Sie erzählten mir, dass irgendso eine Tiffany nun mit einem Ben zusammen ist, ich weiß eigentlich nicht einmal wer die beiden sind. Und dass eine Lehrerin vor kurzem in Rente gegangen ist. Außerdem haben sie es mir nicht erspart, mir die süßesten Jungs der Schule, oder eher des gesamten Dorfes zu nennen. Ein Junge interessiert mich davon lediglich als einziger, Jasper Wales. Von diesem haben sie gleich geschwärmt und fast wegen ihm gesabbert, doch haben sie mir auch das selbe erzählt wie Andy.
Jasper Wales ist neunzehn Jahre alt, eher ruhig und distanziert. Er hängt nur mit Jungs rum und ist im selben Team wie mein Cousin. Die Beiden sind wohl befreundet, daher frage ich mich, ob Andy mich nur von Jasper fernhalten will, aus Angst ich könnte ihm diesen wegschnappen. Doch diese Angst ist unbedeutend, denn ich habe kein Interesse.
Ich weiß nun auch, das Jasper der Sohn einer Lehrerin ist und ich stelle mir daher schon bildlich vor, was ein Streber er in Wirklichkeit sein muss. Und bestimmt ist diese Miss Wales irgend so eine Stocksteife Tante, die mir gleich in Lyrik noch auf die Nerven gehen würde. Und nach der Mathestunde eben, ist mir nicht mehr danach überhaupt in einen Unterricht zugehen, denn Miss Gordon hatte mich heute einfach nur erzürnt.
Amy und Lotta waren wirklich begeistert davon gewesen, wie ich mit Mannsweib Gordon gesprochen hatte, nachdem diese mir einen fünfminütigen Vortrag über moderne Technik gehalten hatte. Ihre genauen Worte waren, dass Technik uns alle verdummen würde und wir daher auch keine Taschenrechner benutzen sollten. Daraufhin habe ich ihr eine richtige Szene gemacht. Die hätte mich so gerne aus dem Unterricht geworfen, aber da ich ja eine schwere Zeit durchmachte, ließ sie mich noch mal davon kommen.
Ich bin den Zwillingen schon ein klitzekleines bisschen Dankbar dafür, dass sie es erwähnt hatten. Eigentlich kann ich mir nicht leisten aus dem Unterricht geworfen zu werden, die kleinsten Probleme würden bedeuten, das ich einen Therapeuten bekommen sollte. Es war lieb von ihnen mir zu helfen, doch irgendwie nervte es auch etwas, den nun bin ich ihnen auch noch was schuldig.
Ebenso nervig ist es, das keiner daran denkt was ich möchte. Denn ich will nicht hier rumsitzen und dem Gelaber irgendwelcher Hohlbirnen zuhören, sondern zurück nach L.A. Und daraus mache ich auch kein Geheimnis. Für mich ist es schrecklich hier und daher bleibt meine Laune weiterhin im Keller.
Ich zupfe am Ärmel meines Mantels und folge ihnen wieder ins Schulgebäude. Dabei erklimme ich die rutschige Treppe und öffne die schwere Eingangstür, gehe jedoch noch nicht rein, da ich mich irgendwie beobachtet fühle. So als würde mich jemand anstarren, obwohl hinter mir niemand ist. Jedenfalls kein Mensch, doch dafür ein Vogel, er sieht aus wie der, den ich am Berg gesehen hatte, doch es kann doch nicht der selbe sein.
„Kusch!“, zische ich das Tier an ehe ich durch die Tür verschwinde.
Dank Mathe, stelle ich mich auf Lyrik erst gar nicht ein. Ich bin mir sicher, das sich hier alle Lehrer wie heilige aufführen und wenn sich mir noch irgendjemand als Technikhasser outet drehe ich durch. Denn noch eine Rede halte ich ganz sicher nicht aus.
Die Lehrerin, die vorne am Pult steht, als Lotta und ich wenige Minuten zu spät im Klassenraum eintreffen, überrascht mich etwas. Sie trägt eine graue Anzugs Jacke und einen dazu passenden knielangen Rock. Das schwarze Haar ist zu einem Dutt gebunden und eine gräuliche Strähne darin, ist deutlich zuerkennen. Auf der geraden, kleinen Nase sitzt eine große Brille mit ovalen Gläsern. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben eine Bankangestellte oder Anwältin vor mir zuhaben, als irgendeine Lehrerin.
Die Frau wirkt sehr intelligent und sieht uns in ruhe an. Mit einem Buch in der rechten Hand und einem Stück Kreide in der anderen, stellt sie sich dann zur Tafel und kritzelt Aufgaben zu dem Buch, dass hier wohl zurzeit gelesen wird drauf.
Dabei beachtet sie uns nicht weiter und wir setzen uns nebeneinander an einen Tisch in der ersten Reihe, da die hinteren Reihen alle besetzt sind.
"Ist sie das?", flüstere ich Lotta zu und beuge mich ein wenig zu ihr hin.
Ich kenne kaum noch einen der Lehrer hier, meine ehemaligen aus der ersten Klasse, sind wohl schon alle in Rente. Was eigentlich eher mit Glück in Verbindung gebracht ist, sonst würden sie mich vermutlich alle über die letzten Jahre in Los Angeles ausquetschen. Oder sie würden Einzelheiten über den Unfall hören wollen, was noch schlimmer wäre.
"Ja genau, das ist Miss Wales! Ahja übrigens, sie kam etwa ein halbes Jahr nachdem ihr weggezogen seid her!", berichtete Lotta mir kurz und knapp. "Und ihr Sohn ist nicht nur im selben Team wie Andy, sondern auch in der selben Klasse. Ich glaube im Gegensatz zu Amy weniger daran, dass sie befreundet sind. Man muss sich nicht mögen, um ein Super Football Team zu bilden."
"Kann es sein ..., das dieser Jasper hier so eine Art, begehrter Außenseiter ist?", seufze ich genervt, da es irgendwie nur noch im den Kerl geht.
Es kann doch nicht wirklich sein, dass mich dieser Typ nun in jeder Form und Art verfolgt. Aber irgendwie, lässt es mich Momentan der Gedanke nicht los, das er mir noch öfter unterkommen würde.
Ihr kurzes Nicken beantwortet meine Frage von zuvor und ich habe nichts anderes erwartet. Ich verdrehe die Augen und sehe dann zur Tafel um die Aufgaben durchzulesen.
Doch Miss Wales steht nun genau vor uns:"Miss .. Wie war ihr Name gleich noch?"
"Violette Silver! Sie können mich Duzen wenn Sie wollen!", grinse ich sie dreist an. "Oder ist das zu ... ach vergessen Sies ..."
Etwas hält mich davon ab sie zu beleidigen, denn diese Frau hat was an sich, dass mir Respekt einflößte. Vielleicht sind es ihre grünen Katzen Augen, oder auch nur ihre etwas zu grade, sehr ernste Haltung. Doch was es sein mag, ich wage nicht mich dagegen zu stellen.
"Nun gut Violette, ich habe mir das Recht heraus genommen, Dir das Buch zu besorgen.", nimmt sie mein Angebot an und reicht mir mit diesen Worten ein kleines Taschenbuch.
Irritiert greife ich danach und sehe ihr kurz hinterher, als sie zurück zum Pult geht. Die Blicke der anderen Schüler ignorierend, wende ich mich dem Buch zu. Dabei sehe ich mir Gründlich das Cover an.
Der Titel ist "Die Nacht der Nebelkrähen" und der Untertitel "Im Auge des Rabens". Es passt vom Namen her, gut zu dem Thema, dass wir zur Zeit bearbeiteten. Von Lotta weiß ich, das dieses Fabeln und Fantasy ist und das Buch gehört der Beschreibung nach, zu letzterem.
"Oh ... Ehm danke?"
Ich schlage es erstaunt auf und glaube nun weniger daran, das dieser Kurs unterbelichtet sein würde. Zuvor habe ich gedacht, hier bloß dünne Bücher mit wenigen Seiten zum lesen zu bekommen. Doch dieses ist nicht nur schwer, sondern besitzt auch noch an die 1000 Seiten.
"Nicht der Rede wert, das Buch ist interessant und gehört zu einer ganzen Reihe mit etwas Zehn Büchern. Wir haben erst letzte Woche damit begonnen, also hast Du nicht viel verpasst. Der Autor war ein sehr interessanter Mann mit einem anschaulichen Schreibstil. Es kommt einen so vor, als sei er selbst dabei gewesen", grinst sie, als wäre ein Geheimnis damit verbunden.
Misstrauisch nicke ich nur, denn es ist einfach komisch, mit einer Lehrerin so vertraut zu reden. Sie benimmt sich mir gegenüber eher als wären wir Freunde und nicht wie meine Lehrerin. Und das ist eigentlich nicht in meinem Sinne gewesen, als ich den Raum betrat.
Auf dem Cover, sehe ich ein Kind mit sehr blasser Haut und violettem Haar. Sie liegt schlummernd auf einer Wiese. Neben ihr sitzt ein Tier, wie dieser Krähenrabe von vorhin. Er sieht dem Vogel, der mich heute auf dem Hof angesehen hatte, wirklich sehr ähnlich, auch wenn seine Federn dunkler und fast schon Blau waren. Das Tier auf dem Cover starrt einen direkt an, und unheimlicherweise, kommt es mir so real vor.
Die Umgebung ist in dem bläulich-schwarzen Ton gefärbt, wie die der Federn des Vogels. Und ein strahlend schöner Mond ragt über den Köpfen der beiden, gleich hinter einem mir merkwürdig bekannt vorkommenden Baum. Auch das Cover kommt mir sehr bekannt vor.
"Ihr könntet Zwillinge sein!", flüsterte mir Lotta ironischerweise zu.
Doch sie hat recht, das Mädchen hat starke Ähnlichkeiten mit meinem damaligen vielleicht neunjährigen ich. Ja auch mein Haar ist so violette wie ihres. Und wenn man mal bedenkt wie ich heiße, ist es eigentlich sehr lustig. Besonders, da meine Haare nie gefärbt wurden. Es handelte sich um einen seltenen Gendefekt, der die Farbe meiner Haare beeinflusst. Es wäre eigentlich rot, doch die Farbe war anders geraten und das liegt an diesem unbekannten Defekt, das keiner bestimmen konnte.
Die nächste halbe Stunde lang, lese ich mir das Buch durch und blendete alle anderen um mich herum aus. Ich tauche sofort ein in die Welt, von der ich nur Worte zusehen bekomme. Dabei kann ich die Gerüche wahrnehmen und sogar in bestimmten Situationen mitfühlen.
Als es zum Stundenende schellt, bin ich schon bei der Hälfte des Buches angelangt. Die halbe Klasse hat den Raum schon verlassen und ist sicher auf dem Weg zum Bioraum. Nur Lotta ist noch hier und wartet auf mich.
Mich fasziniert die Geschichte sehr. Das Mädchen heißt Elisabeth Moor und ist neun Jahre alt. Sie kam unter der Herrschaft eines Tyrannen auf die Welt und trifft im laufe der Geschichte auf einen Jungen, der ihr seinen Schutz anbietet. Dies tut er unter der Bedingung, dass sie sich um die Dämonen des Tyrannen kümmern würde, da sie wohl eine auserkorene Kriegerin des Himmels sei, auch wenn sie zuvor selbst nichts davon gewusst hatte.
Ich will es gar nicht mehr aus der Hand legen, das Buch ist einfach viel zu interessant, doch leider muss auch ich nun zu Biologie. So packe ich meine Tasche und stehe etwas enttäuscht von meinem Sitzplatz auf.
Lotta sieht mich von der Tür aus ungeduldig an, also schenke ich ihr ein entschuldigendes lächeln und gehe zwischen den Tischen entlang zur ihr hin.
Als Miss Wales mir plötzlich die Hand auf die Schulter legt und mich zurückhält, mache ich mich bereit auf eine Standpauke. Ich bin mir sicher, dass sie etwas zu meiner Leserei in der Stunde sagen will und warte ab.
"Lotta, geh doch bitte schon mal vor!", sagte sie zu ihr und schaut mich durchdringend an. "Ich möchte gerne noch mit Violette sprechen, wenn das in Ordnung geht!"
Zweifelnd sieht Lotta zu mir hin, aber ich bilde mit den Lippen die Worte „geh schon mal vor, ich komme schon klar“ damit sie sich nicht unnötig sorgt. Als sie verschwindet, sehe ich zur Lehrerin.
"Wollen Sie mich jetzt bestrafen, weil ich im Unterricht nicht zugehört habe. Sondern gelesen?"
Abwarten sehe ich ihr zu, wie sie um ihren Schreibtisch herum geht und eine Stofftasche hervorholt. Meine linke Augenbraue schnellt fragend nach oben und ich bleibe, wo ich bin.
Sie kommt wieder zurück zu mir und reicht mir die Tasche. Dabei sehe ich eine Kante von einem Buch hervor stechen und ich weiß gleich, das noch mehr darin sind.
"Dir scheint das Buch gut zu gefallen", stellt sie wissend fest. "Wenn Du möchtest, schenke ich Dir die anderen Bände auch noch. Ich habe sie durch und brauche sie nicht mehr."
Ich öffne die Tasche und sehe hinein. Sie ist wirklich bloß mit Büchern gefüllt und daher also auch so schwer. Misstrauisch mustere ich ihr Gesicht, sie schaut ganz normal, zieht keine Grimasse und wartete auf eine Reaktion von mir.
"Was bringt es mir? Also wenn ich diese Bücher annehme!", will ich wissen und werde misstrauischer.
Es fällt mir schwer, sie nicht sofort anzunehmen, doch warte weiter ab.
"Nichts! Oder vielleicht auch eine Menge? Entscheide bitte selbst!", grinst sie nun und packt ihre Sachen zusammen. "Doch beeil Dich, Du hast noch Bio!"
Seufzend reiße ich mir die Tasche unter den Nagel und stopfe sie in meinen Rucksack:"Danke.."
Dann flüchtete ich aus dem Raum. Ich muss nun wirklich los um nicht auch zum nächsten Fach zu spät zukommen. Sie folgte mir raus und schließt die Klassenzimmertür ab.
Ein letztes Mal wendet sie sich mir zu und sagte:"Viel Spaß beim Lesen Violette. Nun lauf!"
Den eigenartigen Unterton in ihre Stimme kann ich dabei einfach nicht überhören. Es ist etwas Geheimnisvoll, als wüsste sie mehr als ich. Doch sie zu fragen würde Zeit kosten, die ich nicht hatte.
Unsere Wege trennen sich und sie geht in die eine Richtung, während ich in die andere Richtung des Flurs renne. Nun habe ich so überhaupt keine Lust mehr auf Biologie, doch da es die letzte Stunde ist, kann ich sie womöglich noch etwas ertragen.
“Hey Vio?!“, flüstert Andy vom Sofa aus, über die Lehne des Sessels gebeugt, auf dem ich seid einer knappen Stunde meinen Hintern Wundsitze. „Ich hab da heute zufällig etwas mitbekommen. Also es heißt, dass die Wales Dich nach dem Unterricht sprechen wollte. Sie soll wohl richtig ernst ausgesehen haben. Hast du irgendwie Mist gebaut? Die ist eigentlich richtig in Ordnung und hat noch nie jemanden bestraft, verscherze es dir lieber nicht mit ihr!“
Ich starre ihn irritiert an, kann es einfach nicht fassen das ausgerechnet so eine Hohlbirne wie er, mich belehren möchte. Eigentlich habe ich gedacht, schon genug gestraft worden zu sein als man mich dazu zwang einen Film mit der Familie zugucken. Es heißt bei ihnen Familienabend und ist genau das, was ich auf tiefste verabscheue und weshalb ich, statt es ihnen nachzumachen und zur Glotze zu gucken, lieber vor mich her gedöst habe.
Ein weiterer Grund weshalb ich mich weigere mit zu gucken ist, dass ich die alte Flimmerkiste schrecklich finde, die Qualität der Bilder macht schon beim hinsehen meine Augen Kaputt. Doch auch wenn er Schrott ist, wundert es mich das sie überhaupt einen Fernseher besitzen, da sie anscheinend eher in der Vergangenheit zu leben scheinen. Nicht einen Computer habe ich in diesem Kaff bis jetzt entdeckt, nicht einmal in der Schule. Und zu stören scheint es hier wohl auch keinen, die wichtigsten Informationen der heutigen Zeit finden sie in den Nachrichten oder in der Zeitung.
Genervt suche ich nach einem Ausweg aus dem Gespräch mit ihm. Doch er scheint es zu bemerken, was mit seinem Erbsenhirn bewundernswert ist, und versperrt mir den Weg mit seinen Beinen.
"Ja! Sie hat sich mit mir unterhalten und jetzt? Miss Wales wollte bloß über das Buch mit mir sprechen, dass wir zurzeit lesen!", zische ich feindselig, dabei halte ich es für nicht nötig ihn einzuweihen, dass sie mir auch die restlichen Bände geschenkt hatte. "Von wem hast Du das denn überhaupt gehört, wenn ich fragen darf?"
Ich mustere ihn nun intensiver, er scheint mir beliebt genug für alle möglichen Quellen und bestimmt sind darunter auch ein paar sogenannte Freundinnen. Und so sicher ich mir bin, das ich zur Zeit das Hauptgespräch an der Schule sein muss, weiß ich das er es von Lotta und Amy erfahren hat. Und schon deshalb schätze ich ihre Bemühungen um meine Freundschaft noch niedriger als zuvor ein, denn sonst hätten sie mich nicht gleich verpfiffen.
"Du weißt es doch genau, die Zwillinge haben sich um Dich gesorgt und mit mir darüber gesprochen. In Mathe hattest du doch auch schon Stress mit der blöden Gordon und in Bio hast du dann vollkommen zu gemacht, als sie sich mit Dir unterhalten wollten", sagt er leise, doch sehr ernst. "Und verdammt nochmal, sprich doch nicht so laut Vio, dass stört die anderen! Guck doch!"
Die besagten anderen schauen uns schweigend an, weshalb ich auch still werde, bis sie wieder zurück zum Fernseher gucken und dabei tun, als sei nichts gewesen. Erst als ich mir Gewiss bin, dass sie wieder in den Film vertieft sind, wende ich mich an Andy zurück.
"Ja gut, Sorry ... hab vergessen, dass wir einen langweiligen Film schauen ...", seufze ich einen Ton leiser, als zuvor. „Doch hör auf mich dauernd aus zu fragen, ich kann auf mich aufpassen und brauche dazu keine Babysitter!“
Ohne meine Worte im geringsten zu bereuen, stehe ich auf und strecke meine tauben Glieder, dabei schiebe ich seine Beine mit dem Fuß aus dem Weg und gehe an Sessel und Sofa hintenrum vorbei, raus aus dem Wohnzimmer und ab in die Küche. Mein starker Durst führt mich an den Kühlschrank, doch darin finde ich nichts brauchbares außer einer Kanne Milch, auf die ich überhaupt keine Lust verspüre. Auch die Suche in den Schränken und der Vorratskammer lassen mich nicht fündig werden, daher gehe ich zurück ins Wohnzimmer und bleibe in der Tür stehen.
Seelenruhig sitzen sie alle zusammen auf dem Sofa, wie eine perfekte Familie, doch ich weiß es genau, es müsste nur etwas schwerwiegendes passieren und ihre Fassade würde sich um Hundertachzig Grad wenden, bei meinen Eltern war es nicht anders. Sie schauen zusammen zum Fernseher, in dem ein altmodischer Film, passend zur bevorstehenden Weihnachtszeit, läuft.
"Ehem ... Habt ihr noch irgendetwas zu Trinken da?", frage ich in die Runde und musterte geistesabwesend das Feuer. "Vielleicht noch etwas Orangensaft oder so ..."
Ich bin gerade zu süchtig nach dem Saft, von dem ich heute sicher schon weit mehr als eine ganze Karaffe getrunken habe. Doch trotz meines hohen Konsums, finden die anderen es eher lustig, als meine Sorge zu teilen das ich ihren Vorrat leeren könnte.
"Ja natürlich, unten im Keller steht noch eine ganze Kühlbox voll", meint Cora und macht Anstalten aufstehen, um mir etwas davon zu holen.
Anstatt sie gehen zu lassen, hebe ich eine Hand um ihr zu signalisieren, dass sie sitzen bleiben soll. Ich brauche sie nicht, um in den Keller zugehen, da ich selbst zwei Beine besitze, also laufe ich abermals aus dem Raum, ohne dabei besonders auf meine Umgebung zu achten.
"Scheiße!!", fluchend beiße ich die Zähne zusammen, da mein Fuß gegen eine von vielen im Haus verteilten Holzkommoden gestoßen ist.
Die Hände zu Fäusten geballt, stütze ich mich einen Moment gegen diese Kommode und höre Lennert rufen:"Alles in Ordnung Kleines?"
"Ja ... alles gut!", presse ich durch zusammen gebissen Zähne, mühevoll heraus und es klingt einigermaßen glaubwürdig.
Als der Schmerz aus meinem kleinen Zeh weicht, humple ich zur Treppe hin. Sie führt in zwei Richtungen, einmal rauf zu den Zimmern bis in den Zweiten Stock und dann auch noch runter in den Keller. Von hier oben aus wirkt dieser nicht gerade einladend und der Lichtschalter befindet sich dann auch noch dort unten in der Dunkelheit.
Nach einer knappen Minute tut mein Zeh kaum noch weh und ich genügend Mut gefasst, um die Treppe eilig hinunter zu steigen. Vorsichtig taste ich die kahlen rauen Wände entlang, auf der suche nach dem Lichtschalter. Alles ist ganz still, nur den Fernseher im Wohnzimmer kann ich hören.
Eisig läuft es mir den Rücken hinunter, als ein Windhauch mir durchs Haar fegt und es umher wirft. Fragend schaue ich mich um. Erstarre als etwas über meine Hand gleitet, es viel zu kalt um ein Tier zu sein, hat eher die Form schlanker Finger.
Plötzlich ist es so, als würde mir jemand genau gegenüberstehen, ob nun ein Mensch, oder vielleicht ein Geist . Doch das ist lächerlich, Geister gibt es nicht, oder?
Kalter Atem streicht über mein Gesicht und diese eigenartigen Finger, fahren die Konturen meiner Wangenknochen nach. Die Hitze, die von meinem Körper in mein Gesicht strömt, wird von der Kälte dieser gedämpft. Neben mir spüre ich noch eine weitere Gestalt, die mir sanft aufs Haar küsst und mir ist so, als umarmen die Gestalten mich. Es sind so vertraute Berührungen und ich kämpfte mit Mühe gegen ansteigende Tränen an, die ich nicht erklären kann.
Bald schon, bist du auf dem richtigen Weg Liebes. Du wirst genau wissen, was du zu tun hast. Wir sind wirklich stolz auf Dich Engel.
So plötzlich, wie sie aufgetaucht sind, verstummen die Stimmen wieder und ich sehe mich hektisch um. Da wo sie zuvor waren, umgibt mich nur noch eine dunkle schwarze Leere. Schon früher kam es vor, das ich Dinge hörte, Stimmen die ich niemandem zuordnen konnte. Und ich sehe auch hin und wieder Sachen, die mich als Kleinkind meist zum Weinen brachten.
Die Erinnerung an den Tag nach meinem Dreizehnten Geburtstag, überkommt mich so unerwartet das ich mich nur schwer am Treppengeländer halten kann.
„Violette komm her!“, seufzte Mama, als ich gebannt die ältere Dame gleich neben dem Kühlregal anstarrte. Sie sah so gebrechlich aus und tat sich schwer mit den zwei prall gefüllten Einkaufstüten, die sie vor sich auf den Boden abgestellt hatte. Und da sie mir so leid Tat, lief ich statt meiner Mutter zu gehorchen zu dieser hin um ihr meine Hilfe anzubieten. „Miss? Ka … Aaaaaaah!!!!“, mein eigener Schrei war markerschütternd, doch eine eigentlich verständliche Reaktion die ich zeigte. Denn die Frau, die zuvor mit dem Rücken zu mir stand, hatte sich mir zu gewandt und dabei Ihr Gesicht entblößt. Es war voller Brandwunden, aus ihren leeren Augenhöhlen sickerte Blut und dann war da noch ihr Lächeln, als sein nichts schlimmes mit ihr. Erst als Mama all ihre Sachen liegen ließ und mich zum Auto trug, war die Frau verschwunden, doch mit dem weinen hatte ich noch eine Stunde später nicht aufgehört.
Meine Mutter hat mir an jenem Tag erzählt, dass außer mir wohl keiner diese Frau gesehen hatte. In den Augen der anderen, war ich grundlos durchgedreht. Und nach so Dingen wie eben muss ich ein weiteres Mal an meinem Verstand zweifeln. Doch auch wenn die Möglichkeit besteht verrückt zu werden, habe ich diese Stimmen als die meiner Eltern erkannt.
Mühevoll lasse ich die Tränen versiegen und wische mir übers Gesicht. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich auf die Treppe gesetzt hatte, als die Erinnerung mich überkam. Ermattet lehne ich noch immer an dem Geländer, als mir wieder klar wird, weshalb ich hier überhaupt runter gekommen bin.
Zwei tiefe Atemzüge später, richte ich mich wieder auf und setze meinen Weg nach unten fort. Nach einer endlosen Weile, die ich mit dem abtasten der Wand zubringe, finde ich endlich den Lichtschalter und drücke ihn. Das grelle Licht brennt mir in den Augen, doch ich die grauen Tür vor mir trotz dessen erkennen.
Als ich die Hand auf die Klinke lege und sie runter drücke, geschieht rein gar nichts. In der Hoffnung, dass sie nur klemmt, rüttele ich heftig an der Tür, doch immer noch gibt sie nicht nach. Sie muss verschlossen sein, was mich zunehmend nervt.
Wo ist bloß der doofe Schlüssel? Wehe ich muss da nochmal hoch und wieder zurück!
Mein Blick huscht durch den engen, kleinen Vorraum, eine Vase steht ziemlich schief auf einem alten Ton Sockel, und da es vermutlich Absicht ist, hebe ich den Sockel etwas an und da liegt auch schon der Schlüssel. Die Vase klebte auf dem Sockel und so habe ich Glück, das ich nicht noch einen Haufen an Scherben weg kehren muss.
Eilig stelle ich den Sockel wieder so hin, wie er war und gehe mit dem Schlüssel zur Tür. Er ist lang, etwas gebogen am hinteren Ende und aus Kupfer. Mit einem leisen Klicken sperre ich die Keller Tür auf und schalte das Licht an.
Überall stehen aufgetürmte Kisten und vollgestopfte Regale, an einigen Ecken hängen sogar Spinnennetze und überall ist Staub. Ich finde es ziemlich Toll, auch wenn andere eher auf so einen düsteren Ort verzichten könnten.
Neben einem großen blauen Tuch, das irgendetwas Großes verdeckt hält, sehe ich die Box mit den Getränken stehen. Ich stecke einen Holzpflock zwischen Tür und Rahmen, den ich an der Wand hängen sehe und gehe zu der Kiste hin. Während ich mir eine Flasche heraus fische, starre ich gebannt zum Tuch. Ich bin schon etwas neugierig, was wohl darunter steckt, doch ich vermute nachzusehen wäre nicht gerade in Ordnung, da es bestimmt aus einem guten Grund verdeckt ist.
Meine zweifel verscheuche ich schnell wieder, stelle die Flasche neben der Kiste ab und fasse an den untersten Saum der Decke. Vorsichtig hebe ich diese an und verspüre den plötzlichen Drang sie runter zu reißen, doch das laute Getrappel, das von der Treppe her kommt, lässt mich alarmiert aufhorchen.
Ich erhasche noch kurz einen Blick auf die Attrappe eines Messers, das auf dem staubigen Boden liegt. Es könnte auch ein Schwert sein, doch leider fehlt mir die Zeit um es genauer unter die Lupe zu nehmen.
In Sekunden schnelle schnappe ich mir wieder die Flasche, im selben Moment drückt jemand die Tür auf. Es ist Andy der mich ansieht, als wäre ich gerade von den Toten erwacht.
"Hast Du einen Geist gesehen? Du bist ja noch blasser als zuvor! Hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich wäre!", grinst er frech.
Hat der etwa nie schlechte Laune?
Dieses Dauer Grinsen geht mir langsam auf die Nerven, oder vielleicht eher die Tatsache, das ich mich von ihm zuvor gefürchtet habe. Doch so oder so, es erschöpft mich langsam, weshalb ich mich an ihm vorbei dränge um nach oben zu gehen.
"Sag Cora doch bitte, das Ich mir einen O-Saft stibitzt habe und jetzt schlafen gehe!"
Die Treppe steige ich in schnellen Schritten hoch, bis rauf ins Erdgeschoss. Durch ein offenes Fenster in der Küche, das ich von meinem Standpunkt aus sehen kann, erkenne ich einen Vogel der mich stark an den von heute Morgen auf dem Schulhof erinnert. Als er mich sieht, legt er irgendwie besorgt den Kopf zur Seite ohne mich aus den Augen zulassen.
Sein Anblick lässt mich panisch die Flucht auf mein Zimmer ergreifen, wo ich kurz darauf abschließe. Die Flasche lege ich auf den Nachttisch und lasse mich mit dem Gesicht voran aufs Bett fallen. Das Schwert oder Messer - was es auch war - will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und dann auch noch dieser eigenartige Vogel, wieso er mich wohl verfolgt?
Der Versuch zu schlafen scheitert, obwohl ich müde genug bin um einen Winterschlaf zuhalten. Um mich abzulenken, nehme ich mir vor etwas zu lesen. Ich springe auf hole die Bücher aus meinem Rucksack, der neben meinem Kleiderschrank aus dunklem Eichenholz steht und setze mich mit dem Stapel wieder aufs Bett. Dabei richte ich die Nachttischlampe auf mich und beginne dort weiter zu lesen, wo ich aufgehört hatte.
Ich bin an der Stelle, an der Elisabeth das Kämpfen erlernen soll, um auf einige Schlachten vorbereitet zu sein. Dabei stellt sie sich keinesfalls dumm an. Die Krähe die ihr immer folgt, ist ein mächtiger Gastaltwandler, der immer zur Verfügung für einen Trainingskampf steht wenn ihr richtiger Trainer keine Zeit hat. Er ist kaum zwei Jahre älter als sie, ein Kind knapp um die Elf. Man hat ihn seit seiner Geburt vorbereitet, sein Leben für sie zu geben, wenn es sein musste. Das ist traurig, wenn man bedenkt, dass seine eigenen Eltern ihn auf den Tod vorbereitet haben, ihm Kämpfen vor dem Laufen beibrachten, nur damit er eine Fremde beschützen konnte.
Nach den ersten Seiten, zieht mich das Buch wie erhofft wieder in seinen Bann.
Es klopft an der Tür und eine Stimme ruft:"Violette!? Darf ich bitte rein kommen?"Es ist meine Tante die draußen vor verschlossener Tür steht und darauf wartet, dass ich ihr irgendetwas antworte.
Ich zögere, denn ich bin noch viel zu vertieft in das Buch. Endlich bin ich beim letzten Teil der Reihe, die Miss Wales mir gegeben hatte angelangt und ich muss zugeben, unter allen Büchern die ich je zuvor gelesen habe, hat mich keines je so zu Tränen gerührt wie diese hier.
Es ist eine Geschichte die trotz der Magie und der Fabeln darin, so real wirkt, so als entspringt alles einer wahren Geschichte, die Jahrhunderte zurücklag. Elisabeth ist in jedem Band etwas älter als im vorherigen und so auch der Krähen Junge Lucian. Es hat sich soviel entwickelt in der Geschichte, nicht nur Dämonen wurden vernichtet, sondern aus Freundschaft wurde auch eine komplizierte Liebe. Und dann gibt es noch einen anderen Mann, Georg, er ist Mensch und ein Rebell der gegen den selben Typen kämpft wie Elisabeth. Sie und Lucian retten ihn und er half dabei, einen Weg in Schloss zu finden.
Auch zwischen George und Elisabeth hatte es vom ersten Moment an geknistert, doch ich bin sehr unentschlossen, wer von ihnen besser zu ihr passt. Durch Lucian fand sie zwar heraus, dass sie die Tochter des Typen ist, den sie vernichten soll und das ihre Mutter dem obersten Himmelsreich entstammt, also eine Engelskriegerin war. Doch durch George fasst sie am Ende neuen Mut und glaubt an sich.
Mit ihrem Schwert "Kuraiko" oder auch „Kind der Dunkelheit“, kämpft sie sich durch die Geschichte. Ihre Gegner sind Yokos, menschenfressende Dämonen ohne richtigen Körper, die aussehen wie schleimige Schatten, die mit der Dunkelheit verschmelzen und die Gestalt der Menschen annehmen können, die sie zuvor gegessen haben.
Erst als Cora zum zehnten Mal klopft, schlage ich das Buch zu und lege es beiseite. Dann stapfe ich wütend zur Tür und öffne diese mit genervten stöhnen.
"Ja? Was ist?", zischte ich sie unfreundlich an.
Doch statt verunsichert oder wütend zu sein, trägt sie ein breites Lächeln auf ihre rosa Lippen, als sie mich ansieht:"Ich habe da etwas ganz besonderes für Dich, du wirst dich ganz bestimmt darüber freuen! Glaub mir!"
Sie klingt mir ein wenig zu überzeugt, denn bis jetzt hat mir keine ihrer Überraschungen gefallen. Das letzte mal wollte sie mir etwas gutes tun, in dem sie mich dazu zwangen auf dem Feld mit zuarbeiten, dass ist nicht gut gegangen. Schon beim ersten Schritt auf der frisch gedüngten Erde, habe ich mehr Chaos angerichtet als ihnen Lieb gewesen war. Dann sollte ich noch mit ihr zusammen kochen, was auch wieder schrecklich schief gegangen ist.
Sie bemerkt gleich, dass sich meine Hand hinter die Tür schiebt um sie zu schließen und hält mir ruckartig etwas vor mein Gesicht. Es erschreckt mich dabei so sehr, das ich nach hinten stolpere und auf dem harten Holzfußboden nur wenige Zentimeter vom Teppich entfernt lande. Wofür der mir nützt, verstehe ich noch immer nicht, da ich immer daneben lande.
Sie reagiert etwas zu panisch, kniet vor mich und fragt dauernd ob es mir gut geht. Da es mir unangenehm wird schaue ich schnell auf ihre Hand, in der sie zu meiner großen Freude mein Handy hält. Dieses habe ich seit dem Tag nicht mehr gesehen, an dem ich meine Tasche am Bahnhof liegen gelassen hatte und mein Onkel es in Beschlag nahm um mich zu bestrafen.
Cora hält es mir hin, als sie endlich kapiert das mir nichts fehlt und lächelt wieder. Etwas zu schnell greife ich es mir und drücke es gegen meine Wange. Das Handy zu umarmen ist dumm von mir, weshalb ich es auch auch schnell sein lasse.
Seit meiner Ankunft, sind bereits drei Wochen vergangen und durch die Bücher und die Schule habe ich überhaupt nicht mehr an mein Handy gedacht, brauchte es nicht. Doch nun fallen mir tausend Dinge ein, die ich unbedingt erledigen muss. Besonders eine Sache ist nun wieder Möglich und zwar hier zu verschwinden, wenn ich nur jemand bestimmten erreichen würde.
"Mein Akku ist sicher leer … oder?"'
"Keine Sorge, ich hab es noch extra für dich aufgeladen und hier ist der Empfang zwar mies, aber unten im Café gibt es sogar W-lan!", Cora grinst schon wieder, als ich sie ungläubig anstarre. "Ja so unterbelichtet sind wir in Lockwood wohl doch nicht!"
Beschämt darüber, dass sie mitbekommen hat was ich über dieses Dorf denke, senke ich den Blick. Dann denke ich an ihre anderen Worte. Sie haben Internet, sogar W-lan, ich würde schon bald hier weg kommen.
Es ist kein Wunder, dass ich zuvor nichts wusste. Ich habe mich nicht dazu durch gerungen, mich ein wenig im Dorf umzusehen, da mir einfach die Lust gefehlt hat. Besagtes Café, hätte ich wahrscheinlich gleich gefunden, wenn man mir vorher über das Internet Bericht erstattet hätte. Und dann wäre ich hier nicht noch länger versauert.
Mir wird eigentlich erst jetzt klar, dass ich neben der Schulzeit nur hier im Haus gewesen bin. Den ganzen Tag saß ich daheim und bemitleidete mich selbst. Außer lesen, Amy und Lotta zu zuhören wenn sie mal wieder was neues erfahren haben, mich vor dem Familienabend drücken, oder vor einer Krähe zu flüchten die ständig um mich herum auftaucht, habe ich nichts besonderes gemacht.
Die Info über das W-lan hier, weckt jedoch alle meine zuvor fehlenden Lebensgeister und mein Interesse. Automatisch schalte ich mein Handy an und warte darauf, dass mein vertrautes Anime Hintergrundbild erscheint. Dann stöbere ich durch meine Nachrichten und erkenne, das Cora Recht hat, hier gibt es keinen Empfang.
"Du … Tante? Hättest du was dagegen wenn ich ... Naja ...", ich zögere einen Moment, ehe ich mich wage die Frage zu stellen. „Darf ich runter in das Café? Bitte ...“
"Kein Problem, dein Onkel ist nicht daheim und daher habe ich die Entscheidung zu treffen. Also los mach schon, doch zieh Dich vorher um!"
Sie gibt mir mein Ladekabel und stupst dann das Rentier an, das auf meinen Pyjama gestickt worden ist. Auch sonst ist der ganze Schlafanzug rosa und voll mit bunten Weihnachtsfiguren, die mir ganz besonders peinlich sind. Doch da wir Wochenende haben, ist es eigentlich nichts ungewöhnliches, wenn ich um 13 Uhr noch meinen Pyjama trage, außerdem ist er flauschig, nur leuchtet er leider auch wenn es dunkel wird. Ich glaube, würde mich jemand so sehen, würde ich vor Scham im Erdboden versinken und nie wieder zum Vorschein kommen.
Obwohl, ich lebe nicht mehr in der Großstadt, hier kann es mir egal sein was andere über mich denken. Denn hier lebt keiner von meinen Freunden, die mich wirklich niemals so sehen dürften.
„Sag Bescheid wenn du raus gehst! Ich muss auch noch in die Stadt und bringe dich dann ins Café!“, meint sie noch, ehe sie die Treppen wieder runter steigt und mich alleine lässt.
Schnell krame ich mir ein paar x-beliebige Klamotten aus dem Schrank und mache mich auf ins Bad wo ich mich wie eine wilde benehme, nur um schnell fertig zu werden.
Darren: Super! Ich freu mich so auf Dich meine Süße. Es ist schon so verdammt lange her, das ich Dich in meinen Armen gehalten und geküsst habe. Diese Idioten haben Dich grundlos weggesperrt und mussten Dich dann auch noch wegschicken. Kommst Du da wirklich weg?
Violette: Ja klar, irgendwie mach ich das schon! Mir ist so egal, ob die mich lassen oder nicht!!! Ich komme hier weg, denn ich muss Dich einfach sehen ..., ich brauche Dich doch!! Ich habe Dich so vermisst und Du weißt nicht, was die mir alles angetan haben ... Miss you :* T_T
Darren: Sag mir alles, wenn wir uns sehen :* Und super das wir und schon bald wieder sehen ;) Ich warte auf dich <3
Immer wieder und wieder las ich mir die Nachrichten durch, kaum fünf Minuten war es her, dass er offline gegangen ist. Und trotzdem vermisste ich ihn schon so sehr, als seien wieder Monate vergangen. Mein Herz klopfte wie Wild, doch nur vor Aufregung ihn bald wieder sehen zu können.
Darren ist mein Freund, - mein Erster - wenn ich es so nennen konnte. Wir schliefen nicht miteinander, falls es so rüber kam, ich bin noch Jungfrau. Wir gaben uns früher mal ab und zu einen Kuss oder zwei. Doch sonst musste ich meist nur Sachen für ihn besorgen. Oder verhandeln.
Die Sachen erledigte ich früher sehr gerne für ihn. Er hat mir geholfen zu überleben in der Großstadt unter all den Fieslingen. Er war bekannt wie ein bunter Hund.
Natürlich war mir klar, dass ich abhängig von ihm war und er nicht gut für mich ist, doch meine Eltern waren nicht mehr hier, um mir vorzuschreiben, mich von ihm fernzuhalten. Er zog mich ja runter, wie sie gefunden haben. Doch sie hatten nie bemerkten, dass sie unter anderem die Schuld an meinem Absturz hatten. Ihre täglichen Streitereien machten mich immerzu fertig. Und er konnte mir da eine zeitweilige Erlösung verschaffen.
"Hier Dein Milchkaffee!", Maggie die etwas pummlige jedoch sonst sehr süße Kellnerin, setzte mir die Tasse vor die Nase und lächelte mich offenherzig an. "Darf es noch etwas sein? Ein Kuchen vielleicht? Oder Pfannkuchen?"
Kopfschüttelnd nahm ich einen Schluck aus der Tasse:"Nein danke! Das reicht mir ..."
"Wenn etwas ist, ruf mich einfach, kannst ja öfter herkommen. Stammgäste wären immer gut, vor allem für unsere Tanzpartys am Wochenende", kicherte sie und ging wieder.
Ich sah ihr nur kurz nach und schaltete mein Handy wieder ab, ich war nicht gerade höflich zu den Leuten hier. Doch wozu denn auch? Ich würde hier noch heute verschwinden, dann bräuchte ich keinen, der mich hier freiwillig ertrug.
Das war nie mein Wunsch gewesen. Immerhin wollte ich nie hier her. Ich verstand nicht, wie ich es als Kind hier schön finden konnte. Zu viel Natur und alles nur Landeier. Alle kannten alle und Gerüchte verbreiteten sich schnell.
"Du musst netter sein! Du machst Dir sonst noch Feinde.", Amy setzte sich mir gegenüber hin.
Wo kam sie denn auf einmal her? Ich war so abgelenkt gewesen, dass ich sie anfangs nicht bemerkt hatte.
"Mmh ..., ich geb mir Mühe", log ich und tat auf interessiert. " Was bringt Dich denn her?"
Eigenartig grinste sie mich an:"Wie wäre es mit einem Ausflug in die Stadt? In Solerin gibts so geniale Klamotten Läden!"
Überrascht musterte ich sie, es war gerade zu perfekt. Sodass ich ihrem komischen Grinsen keine Beachtung schenken musste. Wenn es dann auch noch heute wäre, dann würde ich Luftspringe vor Freude machen.
"Und an wann hast Du so gedacht?", versuchte ich unbeeindruckt zu klingen, doch es fiel mir gerade recht schwer.
"In einer Stunde etwa?", fragte sie mich das wirklich noch? Idiotisch ...
"K-klar ..., ich geh schnell mal eben nach Hause meine Tasche holen!", schon sprang ich auf und sprintete los. Auf halben Weg stürmte sie mir nach. Ich verließ gerade das Café und lief Richtung Marktplatz.
"Das hätte ich übrigens fast vergessen, wir werden von der Wales und ihrem Sohn mitgenommen!", sie gab mir einen Klaps auf den Rücken und rannte dann los wie von einer Tarantel gestochen.
"WIR HOLEN DICH BEI DIR ZUHAUSE AB!"
Fassungslos sah ich ihr nach. Die Wales? Es musste doch immer einen Haken geben ... Das war doch nicht ihr ernst oder? Und dann noch dieser Junge, Jasper Wales. Ich habe ihn in letzter Zeit öfters mal gesehen. Zuletzt erst gestern in Lyrik, als er in die Klasse kam und die Weiber fast vom Stuhl gefallen wären. Nur weil er kein Hemd trug, da seines voller Tomatensoße war.
Es gab in der Mittagspause eine Essensschlacht, die ich zum Glück verpasst hatte, da ich im Klassenraum gesessen und gelesen hatte. Dass er aber deshalb zu seiner Mum rannte, fand ich schon ein wenig dämlich. Doch der Blick, den er durch die Klasse nach ganz hinten in die Reihe, zu mir warf. War etwas mehr als nur eigenartig gewesen. Denn er war ebenso intensiv.
So wie er da gestanden hatte, konnte ich erkennen, dass seine Augen, die mir anfangs tiefschwarz vorkamen, in Wirklichkeit blau waren. Derselbe Farbton, den der Sternenhimmel bei Nacht trug.
Er hatte sich mit seiner Mutter unterhalten, ohne mich nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich hatte dem Blick sogar eine ganze Weile standgehalten, doch irgendwann biss ich mir dann doch recht verlegen auf die Unterlippe und hatte weiter in "Die Nacht der Nebelkrähen" gelesen.
Einen Augenblick später war er auch schon weg und die Zwillinge löcherten mich die ganze Pause, nur wegen ihn mit dummen Fragen. Besonders wert legten sie darauf, dass irgendwas zwischen ihm und mir lief. Doch ich beteuerte darauf, dass es nicht so war. Ich sprach nicht einmal mit ihm.
In letzter Sekunde fiel mir etwas ein. Ich tippte in Rekordzeit einen kurzen Text und schickte ihn an Darren. Dann lief ich heim. Bald war ich weg von hier!
Violette: In drei bis vier Stunden an der Tankstelle. Hab ein paar Idioten gefunden ;) Die bringen mich über die Grenze und ich verpiss mich dann heimlich. *Kuss* Bis nachher! <3
Ungeduldig tippte ich mir mit den Fingern aufs Bein. Was dauerte es denn so lange? Mürrisch, wie ich war, sah ich mich nach ihnen um.
Sie standen alle noch auf der Terrasse des Hauses und unterhielten sich. Miss Wales und ihr Sohn, zogen sich für eine weile mit meinem Onkel zurück ins Haus, es schien sehr wichtig zu sein. Doch mir war das egal, sie sollten sich beeilen.
Während dessen schwirrten die Zwillinge wie verliebte Hühner um meinen Cousin Andy herum, flirteten richtig mit ihm. Und dieser Dummkopf verstand nur Bahnhof und hantierte mit seinem Football rum. Meine Tante sah es belustigt mit an und Milli war erst gar nicht zu Hause, sie schlief heute bei einer Freundin.
Sie hatte ich besonders ins Herz geschlossen, denn auch wenn sie ein wenig jungenhaft war, konnte ich der kleinen nichts abschlagen. Sie war ein kleiner Schatz und malte mir dauernd Bilder.
Ich musste mir sogar eingestehen, dass ich alle vermissen würde. Die Vier waren mir ins Herz gewachsen, ich hatte sie lieb und das war schon ein Grund, warum ich weg musste.
Ich selbst saß schon im Wagen und beobachtete alles gelangweilt. Eigentlich wollte ich die Zeit, die ich im Wagen wartete, ja nutzen, um die letzten beiden Kapitel zu lesen. Doch ich hatte es erstens zuhause gelassen, außerdem war ich viel zu aufgedreht. Immerhin würde ich Darren in weniger als zwei Stunden wieder sehen.
Wir würden miteinander abhauen, weg aus dieser Einöde und dann bräuchte ich diese Bücher nicht mehr. Ich bräuchte auch sonst nix mehr, denn ich hatte ihn.
Das letzte Mal sah ich ihn noch kurz vor dem Autounfall. Meine Eltern hatten sich mal wieder gezofft und ich war einfach abgehauen, da ich es einfach nicht mehr aushielt. Natürlich ging ich zu ihm, das war leider auch meinen Eltern klar. Womöglich hatte ich ein paar Pillen bei ihm geschluckt, doch nur um etwas abzuschalten. Das tat ich damals öfters mal, eigentlich sogar jeden Tag. Doch jetzt war ich aber auch wirklich clean und ich hoffte für ihn, er war es auch endlich.
Ich lehnte den Kopf an die Fensterscheibe und schloss die Augen etwas. In den letzten Nächten hatte ich kaum geschlafen, weshalb ich auch keine Musik über meine Kopfhörer hörte. Sonst schlief ich wirklich noch ein während der Fahrt. Die Bücher hatten mich einfach nicht schlafen lassen, es war, als würden sie mich rufen. Als würden sie immer wieder rufen. Ließ uns Violette! Bitte ließ uns!
Erschrocken zuckte ich zusammen, als direkt neben meinem Ohr ein Klopfen ertönte. Verstört sah ich in das Paar dunkler Augen, doch mein Blick wandert runter über das makellose Gesicht zu den geschwungenen Lippen, die sich zu einem schiefen Lächeln verzogen.
Die makellosen Lippen formten die Worte:"Lass mich rein!"
Es war Jasper und er wedelte mit der Hand, ich sollte wohl rutschen. Ich ging auf Nummer sicher und rutschte auf der Rückbank zur anderen Tür hin und sah ihn dann fragend an. Seine Antwort war das Klicken, dass Endstand als er die Tür aufschloss und sich dann neben mich setzte.
Warum ausgerechnet neben mich, wenn er vorne bei seiner Mutter hätte sitzen können. Dieser Kerl machte mich echt wuschig. Und die Mädels warfen uns schon vielsagende Blicke zu.
"Ich habe Dich doch nicht geweckt oder?", lächelte er schief.
Wie konnte ein Lächeln bloß so sexy sein?
Aufrecht setzte ich mich hin, schüttelte den Kopf und blickte nach vorne. Nur nicht zeigen, dass ich müde bin. Und schon gar nicht, dass ich ihn umwerfend fand. Das ging nicht, er war nicht Darren. Er durfte mir nicht gefallen.
Wir blieben eine Zeit lang still, doch durch den Rückspiegel erkannte ich, dass er mich anstarrte, sein Blick ruhte auf mir, so wie gestern im Unterricht. Natürlich versuchte ich es zu ignorieren, doch es war mir echt unangenehm.
Als sein Blick dann noch zu meinem Dekolleté glitt, war ich wütend. Und dann platzte mir der Kragen endgültig.
"Hab ich irgendwie Dreck an mir, oder was starrst Du mich immerzu an?", seufzend wandte ich mich ihm zu. "Außerdem ist es unhöflich, Frauen auf die Titten zu glotzen!"
Ganz recht ich sagte Titten. Ich erhoffte mir, ihn zu verunsichern. Damit er mich nicht mehr ansah und vielleicht auch nach vorne setzte. Doch er enttäuschte mich.
"Ja! Um ehrlich zu sein!", er zeigte auf meine Nase und grinste mich hämisch an. "Und Du hast halt was zu bieten sorry, selbst schuld!"
Verwundert wischte ich mir mit dem Ärmel meines Dunklen Rollkragen Pullis über die Nase. Ein Reiskorn vom Mittagessen hing daran, ups ...
"O ... Oh ... ahm ...", etwas Besseres fiel mir in dieser Situation nicht ein.
Dann fiel mir noch etwas ein. Schnell verschränkte ich die Arme vor der Brust. Er fand, ich hätte was zu bieten und das sagte er frei heraus ... Und irgendwie sah ich es als Kompliment, nur sollte ich das doch nicht.
"Nicht sehr redegewandt ... mmh?"
"Das geht Dich wohl nichts an!", brummte ich seinem frechen Argument entgegen. Ich schürzte die Lippen und unterdrückte ein leises Knurren.
Amy - ich erkannte sie an dem Leberfleck, den sie am Hals hatte - stieg nun auch in den Wagen.
"Lotta musste leider nach Hause!"
Auch Miss Wales stieg ein und musterte mich kurz durch den Rückspiegel. Was sollte das? Ich fühlte mich nicht gerade besser als in der Klinik, da stand ich auch ewig unter Beobachtung.
"Bin ich vielleicht eine Statue oder weshalb starren mich immerzu alle an?", entfuhr es mir laut und ich hielt mir den Mund zu.
Ich hatte meinen Gedanken laut ausgesprochen, doch es wirkte. Denn alle wurden plötzlich ganz still und sahen nach vorne. Selbst Amy, die nicht einmal gemeint war, hielt den Mund. Und zu meiner Erleichterung sah auch Jasper mal weg.
Wir fuhren los und ich betrachtete die Umgebung aus dem Fenster, die erst langsam und dann immer schneller an uns vorbei zog. Das Dorf war noch immer so wie in meiner Erinnerung. Doch damals war ich vernaht in dieses Dorf gewesen, heute hasste ich es. Oder wollte es wenigstens hassen.
Es dauerte nicht lang und wir waren aus dem Dorf raus. Wir fuhren an den Feldern vorbei und ich sah, wie das Vieh auf der Wiese graste. Und ich sah ebenfalls die großen Weizenfelder, die ich zuletzt erblickt habe, als ich mit dem Zug hier einfuhr.
Einst gab es mal eine Zeit, in der ich meinem Vater half, diese zu ernten. Die Küche selbst melken konnte und Dreck mir nichts ausmachte. Selbst die Stelle mistete ich gerne aus und gab den Tieren Futter.
Doch das war noch in der Zeit, als ich mit Fröschen spielte und mich an die Kinder meines Alters hielt. Nun war ich eine Irre mit guten Musik Geschmack. Und hatte vermutlich den falschen Umgang, doch das war meine Entscheidung.
Felder und Vieh verschwanden recht schnell aus meinem Blickfeld und die Fahrt zog sich noch eine geraume Zeit in die Länge.
"Hey Kleine! Hast Du Feuer für mich?", fragte die zwielichte Gestalt an der Straßenecke und musterte mich mit einem vielsagenden Blick.
Kopfschüttelnd schritt ich an der Gestalt vorbei und beschleunigte meine Schritte. Schnell weg, bevor ich noch vergewaltigt wurde, oder man er mir vielleicht Drogen anbot.
Ich hatte es geschafft. Heimlich war ich davon geschlichen, als Lotta und Miss Wales in den Umkleidekabinen waren. Und Jasper gerade auf die Toilette verschwunden ist. Ich hatte ihm absichtlich den Rest meiner Cola angedreht, um dies zu bewirken.
Kaum war er weg, habe ich mich versichert, dass die beiden Frauen nicht zu schnell aus der Kabine kämen. Erzählte ihnen, ich würde ein paar Klamotten aussuchen gehen und war dann gerannt so schnell mich meine Beine trugen.
Jetzt irrte ich durch die verdammte Gassen Solerins - ich kannte mich hier nicht im geringsten aus, denn ich war erst zum zweiten Mal in meinem Leben hier - und suchte diese kleine blöde Tankstelle.
Ich wagte mich erst gar nicht irgendjemanden nach dem Weg zu fragen, da alle so unheimlich und düster wirkten. Nicht das es meine Art war mich vor anderen zu fürchten, doch heute war ich ziemlich neben der Spur. Selbst das Knarren von Türren erschrak mich.
Und die Gestalt von eben war etwas, dass mein Misstrauen nur verstärkte. Was ein Glück, das die Tankstelle nur noch wenige Minuten entfernt lag.
Ich drückte meine Tasche eng an mich, darin befanden sich dicke Bündel an 500 Euro Scheinen. Das alles wog eine ganze Menge. Es war all dass Geld, dass meine Eltern mir vererbt hatten und schon eine riesige Menge.
Das Geld war nur in meinem Besitz, da meine Tante es mir gegeben hatte, damit ich mich nicht hintergangen und unzurechnungsfähig fühlte. Sie dachte wohl ernsthaft, dass ich vertrauenswürdig genug sei, das Geld nicht zu verprassen. Und um ehrlich zu sein, plagten mich leichte Zweifel und Schuldgefühle, da ich mich mit dem Geld und ohne Abschied aus dem Staub machen wollte.
Doch ich hatte keine Wahl. Ich war keine mehr von ihnen, diese Entscheidung hatten meine Eltern mir damals genommen. Mein Platz war in der Großstadt, ich wollte zurück nach L. A.
Endlich erblickte ich die Tankstelle und rannte darauf zu. Durch die Fenster konnte man in den Bereich schauen, in dem sich ein kleines Café befand. Drinnen saßen nicht sehr viele Menschen, doch einer stach mir besonders ins Auge.
Der blonde Junge saß mit dem Rücken zum Fenster in der Sitznische, ich erkannte ihn sofort. Einerseits an seiner schlanken Statur.
Darren!
Mein Herz machte einen Sprung und ich wollte nur noch zu ihm. In seine kräftigen Arme fallen, mich an seinen ebenso kräftigen Oberkörper schmiegen. Doch etwas anderes fiel mir noch auf. Seine Statur glich stark der von Jasper. Warum denke ich bloß immer an diesen Kerl? Er war eine Nervensäge.
Schnell schüttelte ich mich und warf diesen Gedanken von mir. Ich sah wieder zu Darren. Er schlürfte einen Kaffee und aß einen Schokokuchen. Ich fragte mich wieso er die Schuluniform meiner ehemaligen Schule trug. Vermutlich fand er es cool, denn er trug sie meistens sehr lässig. Die Haare waren zerwühlt und die Hose sah aus, als wäre das Bügeleisen nie erfunden worden.
Als ich durch die Tür marschierte, blickte er zwar in meine Richtung, doch sichtlich an mir vorbei. Es war zwar ein Jahr her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten und ich hatte mich ein klein wenig verändert. Doch durch die Fotos, die ich ihm immer schickte, musste er eigentlich ziemlich gut wissen, dass ich es war.
Jedoch sehr schnell wurde mir klar, was er da tat und ich folgte seinem Blick. Er prüfte, ob mir jemand gefolgt war. Doch die Luft schien rein zu sein, ich hatte das Café alleine betreten und warf ihm wieder einen Blick zu.
Dieses Mal grinste er mich verführerisch an, machte jedoch keine Anstalten aufzustehen. Wie er da saß, so lässig zurück gelehnt. Er stellte seinen Kaffee ab und wirkte so ruhig, als hätten wir alle Zeit der Welt. Wenn es doch nur so wäre ...
Seine grünen großen Augen, zogen mich irgendwie nicht mehr so in ihren Bann, wie damals. Das kribbeln in meinem Bauch, das immer dann auftauchte, wenn ich ihn sah, war noch nicht aufgetaucht. Und mein Hals war ganz trocken, ich schaffte es nicht den Klos in meinem Hals zuschlucken.
Es war merkwürdig, denn damals war er mein einziger Halt gewesen. Alles, was ich haben wollte, war er, wie oft musste ich meinen Stand bei ihm unter beweis stellen, in dem ich mich mit anderen Tussen um ihn schlug. Ihn zu sehen half mir doch immer durch den Tag. Aber jetzt war er mich nicht Besonderer als all die anderen Menschen.
Als ich an seinem Tisch ankam, bot er mir nicht einmal den Platz an, stattdessen fragte er gleichgültig:"Hast Du es dabei? Und bist Du sicher alleine hier? Kein Bock das alles den Bach runter läuft Kleine."
Er war zwanzig, also vier Jahre älter als ich. Mit vierzehn lernte ich ihn kennen und lieben. Das war der Tag, an dem meine Mutter die Akten meines Vaters versteckt hat. Nach dem Streit war ich raus und lief einem Junkie vor die Füße.
Darren bewahrte mich vor dem Schlimmsten, doch jetzt kamen mir bedenken. Der Junkie hatte die Drogen von ihm, doch hey ich musste mir jetzt nichts einreden.
Zu der Sache, ob ich alleine war, wusste ich nichts, war mir nicht einmal im geringsten sicher, doch was sollte ich denn tun, außer zu lügen?
"Ich bin alleine hier und ja ... ich habe es!"
Im Anschluss auf meine zaghafte Antwort legte er den Arm auf die Rückenlehne und betrachtete er mich gespielt liebevoll:"Setz Dich Liebes! Du siehst wunderschön aus, hast Du abgenommen? Bin froh das Du kein Moppel mehr bist."
Seufzend setzte ich mich neben ihn. Er hatte recht, ich hatte zehn Kilo verloren, wog bloß noch 53Kilo und das auf 1.75m. Und ich fühlte mich doch noch immer zu Fett.
Kaum saß ich, riss er sich mit seiner freien Hand, meine Tasche unter den Nagel und wog sie mit der Hand gleichzeitig noch ab:"Mmmh schon sehr schwer! Wie viel ist darin?"
"20.000 Euro!", wisperte ich ihm zu und öffne die Tasche für einen kurzen Augenblick.
Er spähte für den Moment hinein, seine ganze Haltung veränderte sich und strahlte Jackpot aus.
Ich zog den Reißverschluss der Tasche wieder zu und schaute ihn an. Auch er erwiderte den Blick und fuhr mir mit den Fingerspitzen zärtlich über die Wange. Als er sich zu mir beugt, fühle ich noch immer nichts. Woran lag es? Selbst dieser fade Kuss - als er seine sanften nach Kaffee schmeckenden Lippen, auf die meinen legte - war es nichts Besonderes mehr.
Ich schmolz nicht dahin, wie ich es sonst tat und das war schon ein Zeichen für mich. Doch ich versuchte es weiter, vertiefte den Kuss etwas. Er sah es gleich als Einladung an und fuhr mit der Zunge zwischen meine Lippen und triezte meine.
Es war ein Mittelding zwischen angenehm und angewidert, den ich empfand. Und dann fuhr er auf einmal mit seiner Hand linken Hand, die zwischen meinem Körper und der Bank versteckt blieb unter meinen Pulli.
Mit zittrigen Händen schob ich ihn weg von mir:"Das ist nicht richtig Darren ..., ich empfinde nichts mehr für Dich! Wenn ich es mir richtig überlege, war ich selbst damals nur blind gewesen. Blind vor Problemen und ..." Drogen.
Ein Lachen entfuhr ihm:"Wie bitte? Süße, Du machst schlechte Witze. Du brauchst nur ein paar Tage um Dich neu zu legen. Du hast mir oft genug geschrieben, dass sie Dich in der Psychiatrie ganz durcheinandergebracht haben. Es liegt nur daran!"
Wieder hatte er vor mich zu küssen, doch ich wisch ihm aus, ehe er sich nah genug zu mir runter beugte. Ein Fehler. Denn ich sah nun an seinen roten Augen, dass er unter Drogen stand. Und unter solchen Umständen verkraftete er keine Abweisung, das hatte ich mehr als einmal bemerkt.
Shit!
Unsanft packte er meinen Arm, ein leises schmerzhaftes Keuchen entfuhr mir. Doch ihn interessierten meine Schmerzen nicht, er griff bloß die Tasche und stand auf.
Als er mich hinter sich hochzog, zischte er bedrohlich in mein Ohr:"Komm schon Du nichtsnutziges Ding! Ich zeig Dir Schlampe noch, wie Du mit mir reden solltest!"
Dann riss er mich mit sich, doch er vertuschte meisterhaft, dass er mich zwang vor den anderen im Café, indem er mir den Arm um die Hüfte legte und mir einen Kuss aufs Haar hauchte. Er hatte mich so nun ebenfalls fest im Griff, als wir, dass Café verließen.
Draußen war es kühl, ich bereute, dass ich, das Angebot meiner Tante abgelehnt hatte, mir ihre Jacke zu leihen. Doch ich hatte geglaubt, dass ich mir schnell eine Neue zulegen würde und es in seinen Armen warm haben würde. Doch ich hatte so falsch gelegen ...
Der Schnee war einige Centimeter hoch, und ein Schneesturm war für heute Nacht angesagt. Einerseits hatte ich es über das Radio in Miss Wales wagen gehört, andererseits bemerkte ich es schon an dem starken Windböen und dem immer stärker werdenden Schneefall.
Die Flocken legten sich über meine Wimpern, ich zwinkerte sie weg. Immer wieder versank ich im Schnee. Die Anspannung wandelte sich langsam in Angst um. Was er tun könnte, wollte ich nicht wissen.
Wir liefen über den Parkplatz, an dem Schild der Tankstelle vorbei. Darauf stand dick und fett:
Tanken für einen kleinen Preis und ein günstiges Mahl.
Nicht sehr ansprechend, wie ich fand. Und der fast leere Parkplatz war meiner Meinung. Wieso hatte ich mir nur solch einen verlassenen Ort gewählt?
Vor einem schwarzen Sportwagen blieben wir stehen, er wollte den Rucksack rein schmeißen. Doch ich entwand ihm diesen und ließ es nicht zu. Was bitte fand ich je gut an diesem Drogenjunkie? Ah ja genau die Drogen.
"LASS DEN SCHEISS UND STEIG EIN DU MISTSTÜCK!", knurrte er und Sekunden darauf verspürte ich einen Schmerz, der meine rechte Gesichtshälfte durchfuhr und betäubte.
Der rostige Geschmack - als wenn ich auf einem Fünf Centstück rumknabbern würde - breitete sich in meinem Mund inneren aus. Ich hatte mir die Wange innerhalb meines Mundes aufgebissen und biss mir nun die Unterlippe ebenfalls blutig, um den Schrei zurück zuhalten.
Es war nicht das erste Mal, das er zu schlug. Damals tat er dies oft, wenn mal eine Verhandlung nicht so lief, wie sie sollte. Oder ich nicht bekam, was ich für ihn besorgen musste. Damals musste ich blaue Flecken oft mit Make-up überdecken. Doch Mum entging es nicht und ich log ihr oft was vor.
Diesmal lief alles anders ab, denn ich tat nicht, was er wollte, und stieg nicht in den Wagen ein. Nein! Ich entriss ihm den Rucksack, sah ihm in sein vor Zorn verzerrtes Gesicht um etwas zu sagen und erstarrte dann. Mein plötzlicher Mut war verflogen, hatte sich in Schockierung gewandelt.
Eine Faust kam wie aus dem nichts und traf Darren in den Magen. Er schleuderte nach hinten in den Wagen. Dabei hielt er sich die Hände vor die Stelle, in die man ihn getroffen hatte. Keuchend vor Schmerz sah er zu der Person, die neben mir stand.
Auch ich sah hin, entsetzt stellte ich fest, dass es Jasper war. Doch wie hatte er mich gefunden?
"Was machst Du hier?", fuhr ich ihn an und klang unfreundlicher als gewollt.
"Du kennst ihn?", knurrte Darren, man merkte jedoch, wie eingeschüchtert er war.
Niemals zuvor hatte sich jemand gegen ihn gestellt, das war neu für ihn. Sonst fürchteten ihn alle und das fand er auch gut so.
"Ihr seid doch irre, sag Deinem Bodyguard er soll sich Hilfe suchen statt auf mich los zugehen!"
Er setzte sich richtig in den Wagen und machte den Motor an. Dann, ohne auf uns zu achten, legte er den rückwärts Gang ein und fuhr mit laut quietschenden Reifen los.
Jasper riss mich mit sich zur Seite, wir fielen in den Schnee und Darren gab nun richtig Gas. Und dann war er verschwunden.
"WAS WAR DAS FÜR EIN IRRER?", schrie Jasper mich an, als er sich wieder aufrichtet. "UND WAS VERZIEHST DU DICH EINFACH, DU BIST SO EINE IDIOTIN!"
Eigentlich hatte ich tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, mich bei ihm zu bedanken. Doch so wie er mich nun anfuhr, verletzte es mich. Und ich hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die viel mehr mit Trauer zutun hatten, als mit Wut.
"DIESER IRRE WAR ..., WAR MEIN FREUND! UND DU BLÖDMANN MUSSTEST IHN VERSCHEUCHEN!", zischte ich ihn giftig an.
Ich stand auf und wurde von dem Schmerz in meiner Wange abgelenkt. Meine Wange brannte höllisch, ich hatte sie innerlich so stark aufgebissen, dass ich die Hautfetzen schon spüren konnte, ohne mit der Zunge drüber zu gehen. Vorsichtig spuckte ich das Blut, das meinem Mund ausfüllte in den Schnee.
In weniger als einer Minute wechselte er vom Vollidioten zum einfühlsamen lieben Jungen. Seufzend nahm er etwas Schnee in die bloße Hand, wandte sich zu mir um und drückte mir diesen sanft an die etwas geschwollene Wange.
Dabei sah er mir in die Augen und murmelte:"Zwar kein Eisbeutel, doch ich hoffe, es hilft Dir trotzdem etwas gegen die Schmerzen ..."
Der Schnee half wirklich gegen den Schmerz, doch es musste doch schlimm für ihn sein den Schnee in der blanken Hand fest zuhalten. Nur schien genau dies nicht der Fall zu sein, denn er blieb echt locker.
"Wie hast Du ihn eigentlich so weit wegschleudern können?", entfuhr mir die Frage, die ich seit dem Vorfall eben zurückhielt.
"Ich verstehe nicht ganz, was Du meinst!", er wandte den Blick ab und ich atmete aus, als ich nicht mehr in seine Augen sehen musste.
"Tu nicht so, ich meine, wie konntest Du ihn in den Wagen schleudern? Er ist ja regelrecht geflogen!"
Ich übertrieb nun wirklich nicht. Darren war einen Moment in der Luft gewesen, bevor er in den Wagen hinein gekracht war.
Das Eis schmolz und er machte langsam einen Schritt zurück:"Lass uns gehen, meine Mum ist vorgefahren und wir haben einen langen Fußmarsch vor uns!"
"Du meinst das doch nicht ernst?", verzweifelt sah ich ihn an. "Du willst doch nicht laufen?"
Er meinte es so was von ernst, ihn schien nicht einmal der Schneesturm zu interessieren, der in wenigen Stunden hier sein musste. Stattdessen lief er einfach los.
Ich schnappte mir meinen Rucksack vom Boden und folgte ihm, denn ich wollte nicht alleine hier bleiben. Und ihm noch Ärger einzuhandeln wäre eine schlechte Idee, immerhin hatte er mir geholfen. Eigentlich echt süß von ihm.
Wie konntest Du nur? Wir haben uns um Dich gesorgt, Du hast Hausarrest junge Dame!
Deine Eltern wollten das wir uns um Dich kümmern ..., doch Du machst es uns nicht leicht Violette!
Du hast unserer Vertrauen verloren! Verschwinde nach oben!!
Ihre wütenden Worte schwirrten mir noch einen Tag danach im Kopf herum. Ich kannte die beiden nicht so aufgebracht und meine Tante schien sogar geweint zu haben. Und ich fühlte mich verdammt Mies.
Die restliche Nacht hatte ich in meinem Zimmer verbracht. War wach gelegen und hab nachgedacht. Heute war Sonntag und ich wagte mich nicht aus dem Zimmer heraus. Vermutlich saßen sie alle schon beisammen und frühstückten in Ruhe.
Mein Erscheinen würde ihnen nur die Laune vermiesen. Milli wusste vermutlich nichts, geschweige denn war sie vielleicht noch nicht da. Doch Andy war wütend. Er hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt, als ich an ihm vorbei in mein Zimmer gelaufen war.
Auf dem Rücken liegend verschränke ich die Arme hinter dem Kopf und starrte an die weiße leere Decke. Jasper hatte mich hergebracht, sogar bis zur Tür. Und bewahrte meinen Onkel vor einer richtigen Wutattacke, in dem er ihn durch irgendetwas ruhigstellte, nur bekam ich nicht mit womit.
Zu meiner Verwunderung hatte er Darren mit keinem Wort erwähnt, auch nicht wieso ich mir die Wange aufgebissen hatte. Wofür ich ihm verdammt dankbar war. Doch die dankbare Umarmung hatte ich stecken lassen müssen, denn er war verschwunden nach dem Gespräch mit meinem Onkel.
Da ich mit dem Buch durch war, konnte ich nicht mehr lesen. Die letzten Kapitel waren so emotional gewesen.
Elisabeth hatte den Kampf mit Hilfe von Lucian und Georg endlich gewonnen. Ihr Vater war zwar nicht Tod, aber weggesperrt in der Hölle.
Zum Schluss hatte sie sich für Georg entschieden. Lucian, der seine Aufgabe vollendet hatte, ging fort. Doch zuvor schwor er ihr noch, falls der Tyrann je zurückkäme, würden seine Nachfahren die ihren so schützen, wie er sie einst.
Es hatte mir das Herz gebrochen, denn Lucian war so traurig gewesen. Er hatte sie geliebt und sie ihn. Doch ihre Gefühle waren nicht so stark, wie die George gegenüber.
Die Welt, in der sie gelebt hatten, hatte sich in zwei gespalten. In die Welt, die wir hier nun kennen und in die Welt aus der sie abstammen, in der all die Wesen die wir für Fabeln und Geschichten halten, real sind. Sie blieb in der realen Welt gemeinsam mit Georg, wo sie eine Familie gründeten. Und es gab einen geheimen Weg, der in die andere führte. Nur wurde leider nicht beschrieben, wie man dort hinkam.
Die Vorstellung war schon ziemlich cool, eine andere Welt, in der man neu beginnen konnte. Doch leider war dies nur eine Geschichte. Auch wenn der Ort, an dem sich Elisabeth und George niederließen, mich sehr stark an Lockwood erinnerte.
Ich brachte mich noch um den Verstand, hier rumzuliegen und Trübsal zu blasen war nichts, was ich gerne tat. Daher stand ich auf und nahm das Buch vom Nachttisch, um es ins Regal zustellen.
Ich wollte eigentlich nach unten, doch dann fiel dieses Kärtchen aus dem Buch. Zuvor hatte ich es nicht bemerkt, es war wie durch Zauberei aufgetaucht. Doch an so einen Mist glaubte ich nicht.
Vorsichtig bückte ich mich danach und entfaltete es beim Aufrichten. In krakeliger Schrift stand dort:
Wenn der Mond die Farbe des Blutes annimmt, so wird der Baum der Nachtschatten sein Geheimnis für die Erbin der Vernunft Preis geben.
Was sollte das den jetzt bedeuten? Und was meinte man mit wenn de ... warte mal der Blutmond. Miss Wales hatte mit uns über den Mond gesprochen, als sie wissen wollte, ob jemand wusste, wann er wieder zu sehen war. Daher wusste ich nun auch ganz genau, dass es Morgen zu sehen sein würde.
Welch merkwürdiger Zufall ..., vermutlich gehörte es noch zu dem Buch. Oder sollte eine Anregung auf ein anderes sein, das derselbe Autor geschrieben hatte. Doch was es auch war, ich verspürte eine gewisse Neugierde darauf und musste mehr erfahren.
Ich ging daher nach unten, angezogen und gewaschen war ich ja bereits. Ich trug meinen Lieblingspulli, ein Bandpulli von Bring Me The Horizon. Als Ergänzung meine fingerfreien Bullet For My Valentine Handschuhe, eine dunkle Jeans und schwarze Stiefel. Meine langen violetten Haare fielen glatt bis zu meinen Hüften und eine schwarze Eskimo Callboy Mütze trug ich ganz oben auf dem Kopf.
Meistens starrten mich alle an, wenn ich so rumlief, kein Wunder, wenn die Frauen bunte Kleidchen und Latzhosen trugen und die Typen ihre Farmklamotten. Wie zum Beispiel ein altes Hemd, graue Hosen und Gummistiefel. Mir wollten sie ja auch schon oft genug solche Fetzen andrehen, das letzte Mal kam meine Tante tatsächlich mit einem Pinken-Kleid an, ich bitte Euch PINK! Ich hasste diese Farbe, würde sie niemals freiwillig anziehen und dann so etwas ...
Als ich die Treppe runter lief, hörte ich die anderen. Sie unterhielten sich hektisch und ich hörte meinen Onkel sagen:"Andy hol deine Cousine!"
"Bin schon da!", antwortete ich und musterte verstört die anderen.
Meine Tante und Milli trugen gelbe, süße Kleidchen. Und mein Cousin trug so wie mein Onkel einen Anzug. Es viel mir schwer nicht laut los zu lachen bei dem Anblick der Vier, doch irgendwie konnte ich stillhalten. Vermutlich lag es an Andys warnenden Blick.
"Was wird das denn hier?", erkundigte ich mich verunsichert.
"Wir müssen zur Kirche! Was trägst Du da, das ist doch nichts, was man in der Kirche trägt!", mein Onkel richtete seine Krawatte, als er mit mir sprach.
Verstört stotterte ich:"K-Kirche? I-ist das e-ein Scherz? Da war ich echt schon lange nicht mehr ..."
Das letzte Mal war ich mit zehn in der Kirche, zwei Tage vor dem Umzug in die Stadt. Ich hatte die ganzen Gebete verlernt und eigentlich hatte ich auch keinen Grund hin zugehen.
Ich würde mich einfach weigern. Doch, was wäre, wenn ich mitkäme, dann könnte ich doch recherchieren. Vielleicht wusste ja irgendwer was vom Nachtschatten Baum, selbst wenn es nur eine Legende wäre, würde ich mich nicht mehr mit dem Gedanken darüber abquälen.
"Scheint das ich eh keine Zeit mehr habe, um mich umzuziehen!", merkte ich an, da alle so in eile waren, und lächelte.
Doch mein Onkel grinste nun amüsiert:"Die Kirche kann warten, Dein Kleid müsste im Schrank hängen oder Cora?"
"Ja da hängen mehrere wähl Dir ein aus!", stimmte sie.
Ich hatte mich leider zu früh gefreut. Wo war seine Wut denn auf einmal hin ...?
"Oh man.. endlich vorbei!", stöhnte ich erleichtert, als wir aus der Kirche raus auf den Kirschplatz traten.
Die Luft sog ich genüsslich ein, küsste fast schon den Boden natürlich übertrieb ich ein wenig, doch das war mir egal, solange die anderen nichts mitbekamen. Denn sie waren genau wie der Rest noch da drinnen und sprachen mit Pastor Martins. Ihn kannte ich sogar noch, als ich klein war, hatte er mich getauft.
Doch in den letzten sechs Jahren haben sich seine blonden Haare in ein silbernes Grau gewandelt. Auch seine stattliche Statur hatte sich verändert, er war geschrumpft oder lag es nur an seiner gebeugten Haltung? Außerdem war er mager und an die 65 Jahre alt.
Zu beginn als wir, also ich und der Rest meiner Familie, die Kirche betraten, sah er mich so mitleidig an. Sie wussten alle von meinen Eltern. Dann diese dauernden Anspielungen auf sie während seiner Predigt. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass es vorbei war. Nun konnte ich mich auf meine Fragen fixieren.
"Hey!", jemand tippte mir auf die Schulter.
"Ja?", seufzend wandte ich mich um und sah doch wirklich in Niklas strahlendes Gesicht.
Er war nun zwar sechs Jahre älter und muskulöser als damals. Doch ich erkannte ihn an seiner Stupsnase und seinen großen blauen Augen. Er sah zwar leicht aus wie ein Milchbubi, war aber trotzdem schön anzusehen.
"Nick?", fragte ich noch sicherheitshalber.
"Sie erkennt mich wieder!", strahlte er und sagte es ein wenig laut, ehe er mich ohne Vorwarnung in die Arme schloss.
Erstarrt ließ ich es über mich ergehen, das war zu viel Nähe. Oh Gott viel zu viel.
Sekunden später ließ er mich los und musterte mich fröhlich:"Du bist ja noch hübscher geworden Violette! Erstaunlich! Warst Du schon immer ein Mädchen?"
Ich musste ein wenig kichern. Das konnte er immer gut, mir ein Lachen entlocken, wenn ich traurig war. Tatsächlich hatte ich es vermisst.
Hätte er mich früher nur so angesehen, dann wäre ich wohl dahin geschmolzen. Es gab einmal eine gewisse Zeit, als wir zusammenspielten, da war ich in ihn verknallt. Doch für ihn war ich wie ein Kumpel gewesen, oder eher wie ein Junge.
Ein verlegenes Kratzen am Hinterkopf, verriet mir das Er mehr als nur "Hallo" sagen wollte. Und ich behielt recht.
"Bei uns im Wirtshaus ..., naja im Wirtshaus meiner Eltern veranstalten wir jedes Wochenende die Tanzfeste! Würdest Du heute vielleicht kommen? Als mein Gast natürlich!"
So verlegen, kam er noch süßer rüber. Wie ein kleiner Hundewelpe. Doch mein Typ war er gar nicht mehr. Schon eigenartig, wie Gefühle vergingen.
Ich hatte überhaupt keine Lust. Partys waren vor all dem Mist des letzten Jahres, total mein Ding. Doch nun grauste es mich schon vor dem Wort Feier. Es waren immer zu viele Menschen anwesend. Und das war das Letzte, was ich wollte, in einem Raum sitzen unter einer Ansammlung an vielen saufenden Menschen.
"N ...Nein ich habe leider ausgangs Ver ...."
"Du siehst übrigens wunderschön in diesem Kleid aus!", unterbrach er mich.
Sein Blick haftete sehr direkt auf meiner Brust, doch nur kurz. Denn er glitt zu meinen langen Beinen, meine Springer Stiefel hatte ich mir nicht nehmen lassen. Er zog die Augenbrauen Kraus.
"Ich finde es scheußlich!", seufzend strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte.
Ich hatte nur unter der Bedingung ein Kleid an, das ich hier etwas über den Nachtschatten Baum herausfinden wollte. Und um wenigstens einigermaßen menschlich darin zu wirken, habe ich mir ein Dunkelgrünes ausgesucht. Es war bodenlang und eine dunkelgrüne Schleife zierte den Rücken und schnürte mir den Bauch so eng zu, dass ich kaum Luft bekam.
Ärmel hatte es keine, daher trug ich drüber meine Lederjacke, wenigstens eine gute Sache, neben meinen Stiefeln, die durch den etwas Durchsichtigen unter teil des Kleides hervorstachen.
"I-ich ahm ... naja ich finde es hübsch ...", stotterte er, vermutlich dachte er, ich teste ihn nur mit der Aussage.
So machten es zwar viele Mädchen, um zu prüfen, ob der Junge sein Kompliment ernst meinte. Doch ich war mir zu schade, für so ein Tussen gehabe. Wie so sollte mich interessieren, was andere über mich dachten.
Ehe er noch in Schweiß ausbrach, wechselte ich das Thema:"Also noch mal zum Tanzfest. Ich kann nicht, ich habe Ausgangsverbot ..."
Hinter ihm erblickte ich Jasper, er lief neben seiner Mutter her aus der Kirche raus. Sein Haar war heute noch verwuschelter als normalerweise. Als wäre er immer wieder mit den Händen durchgefahren. Und seine Gesichtszüge wirkten so müde, so leer.
Und dabei sah er so verdammt gut aus. Zu gut.
"Vio? Hey Vio!", drang Nicks stimme zu mir durch und riss mich aus dem Gedanken.
Wie lange hatte ich nicht reagiert? Und wie konnte es nur sein, das mich Jaspers Anblick alles um mich herum vergessen, ließ?
"Oh sorry, was hast Du gesagt?", schüttelte ich den Kopf und sah ihn verwirrt an.
"Ich hab Deinen Onkel schon gefragt, um ehrlich zu sein! Ach komm schon, das ganze Dorf ist heute anwesend!", er setzte einen Dackelblick ein. Wie erbärmlich, doch irgendwie auch ganz niedlich.
"Mmmh ... Ich weiß nicht. Okay! Wo und wann?"
Eigentlich war die Idee gar nicht so übel, wenn das ganze Dorf anwesend war, konnte ich doch schneller an Informationen kommen als anders rum. Falls es überhaupt Informationen, über das Buch gab.
"Im Wirtshaus. Dein Onkel weiß bescheid also bis dann", grinste er mich an.
Er beugte sich vor und küsste meinen Handrücken, dann ging er davon. Ich warf einen suchenden Blick über den Platz. Jasper war verschwunden. Insgeheim hatte ich gehofft, ihn fragen zu können, ob er auch auf der Feier anzutreffen sei. Ich wollte mich noch bedanken ...
In quälender Lautstärke dröhnte die Volksmusik mir in die Ohren und ich hielt den Würgreiz, mit viel Mühe nur schwer zurück. Diese Katzenmusik war noch nie etwas für mich gewesen. Auf Partys dufte so was nie laufen, sonst war ich gleich weg.
Selbst unter Drogen Einfluss war es das Schlimmste für mich. Doch ich konnte sie jetzt schlecht abschalten. Alle anderen standen wohl darauf.
"Und dann brachte er ihr einen Strauch Blumen in den Unterricht und nahm sogar die Prügel des Lehrers in Kauf!", erzählte Miss Hendriks, eine sehr alte Dame. "Das war so romantisch. Aber der Lehrer fand das nicht so toll!"
Seid ich vor Stunden in Begleitung meiner Familie hier eingetroffen bin, stolperte ich von einem Gespräch in das nächste. Doch niemand schien etwas über diesen Baum zu wissen. Einige unterhielten sich nur über meine Eltern mit mir. Doch kein wunder dieser Baum, er existierte ganz bestimmt nicht, ich steigerte mich umsonst dahinein.
Und doch war ich ein wenig froh darüber, hier zu sein. Ich erfuhr mehr über meine Eltern, als je zuvor. Nur deprämierte diese Sache mich wieder einmal aufs Neue. Denn alle kannte sie besser, als ich.
Miss Hendriks wartete auf eine Reaktion von mir, ein kurzes Nicken reichte ihr, ehe sie weiter von der Liebeserklärung meines Vaters an meine Mutter sprach. Sie hatte recht, es war so schön gewesen. Sie hatten sich wirklich so geliebt ... damals!
"Deine Mutter hat daraufhin seine Wunden Finger und anderen Stellen liebevoll versorgt, sie haben sich sehr geliebt!"
Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, mein Blick glitt abwesend durch das Wirtshaus. Es war altmodisch gestaltet und erinnerte mich an dasselbe Wirtshaus wie aus dem Buch. In dem Buch gründeten die Fleurs, ein Pärchen das mit George sehr gut befreundet war dieses Haus. Und in diesem verbrachten George und Elisabeth eine Zeit, ehe sie ihr Haus erbaut hatten und in dieses zogen.
Doch das hier war doch nur ein Zufall, es konnte nicht dasselbe sein. Obwohl ... Es war schon merkwürdig. Das Wirtshaus hieß Lefleur und Nicks Nachname war ebenfalls Lefleur. Verdammt ich litt unter Wahnvorstellungen schlimmster Sorte.
Es wurde plötzlich echt warm, ich hatte etwas Sekt getrunken natürlich mit der Erlaubnis meiner Tante. Unter der Aufsicht meines Cousins.
Ich sah Andy mit meiner Cousine. Milli tanzte fröhlich mit ihm. Er war gut darin ein großer Bruder zu sein. Mir fiel wieder auf, wie sehr ich mir ein Geschwisterchen gewünscht hatte. Als Einzelkind war ich immer unglücklich gewesen.
Die Nächte allein zu Hause, wenn meine Eltern zu arbeiten hatten, waren immer so unheimlich und traurig gewesen. Mit neun war ich noch zu meiner Nachbarin rüber, doch als ihr 19 jähriger Sohn mich begrapschen wollte, war ich nie mehr hingegangen.
Danach waren die Jahre bis zu meinem vierzehnten Geburtstag immer sehr einsam. Bis Darren kam. Bis alles losging. Der Stress und danach war der Wunsch nach einem Geschwisterchen gestorben.
"Verzeihen sie mir bitte, ich muss etwas an die Frische Luft!", sage ich zu der Dame und bahnte mir einen Weg zu einem von vier Fenstertischen.
Es war voll hier. Ich spürte, wie sich mir die Kehle zu schnürte, und schnappte mir ein Glas Sekt. Ich stürzte es nicht gleich runter, so wie es mir mein Instinkt vorschrieb. Sondern nippte nur etwas daran.
Dabei beobachtete ich die Leute. Es waren alle da, von der Bürgermeisterin Madison Wilson, bis zum Friedhofswächter Ernie. Jugendliche und Kinder. Die Erwachsenen Männer tranken, die Frauen tratschten. Die Kinder spielten. Einige Jugendliche tanzten.
Alle schienen großen Spaß zu haben. Naja fast alle, denn ich hatte keinen. Ich konnte bloß so tun.
Mein Onkel trank gemeinsam mit meinem Cousin, ein paar Bier. Es war ein Wettbewerb gegen ein paar andere Kerle. Und es sah aus, als würden mein Onkel und Andy gewinnen.
Neben ihm machte meine Tante Cora, Milli gerade die Haare, da sich ihre süßen Zöpfe beim Tanzen gelöst hatten.
Als mein Schatten über die Blumenvase fiel, - eine Schlichte Dekoration übrigens - blickt Lennert von seinem Bier zu mir auf und schaut mich besorgt an:"Alles Okay mit Dir, Du blutest!"
Verdutzt wische ich mir über die Lippen, mir klebte etwas Blut am Mundwinkel und meine Wange tat etwas weh, die Wunde war aufgegangen. Vermutlich hatte ich unterbewusst wieder an ihr herumgekaut. Wenn ich nervös, oder gereizt war, geschah es oft, dass ich an Wange und Lippen rumkaute.
Und tatsächlich folgte der stechende Schmerz meiner Wange auf die Bemerkung. Und ich schluckte das angesammelte Blut in meinem Mund. Sie sollten sich nicht sorgen, geschweige denn erfahren, was letztens geschehen war.
Mit einer lässigen Handbewegung tat ich dies als Lappalie ab und sah ihn dann unglaublich lieb an. Verstört über diesen Blick, verschluckte sich Andy am Bier und zog die Aufmerksamkeit des halben Saals einen Moment auf sich.
Mein Onkel gab ihm daraufhin einen heftigen Klaps auf den Rücken, durch den er wieder ruhiger wurde. Doch er starrte mich weiter an und alle anderen folgten seinem Blick.
Verdammt ich will nicht im Mittelpunkt stehen ... Schaut weg! Bitte!
Lennert war selbst ganz erstaunt über mein eigenartig fremdes Verhalten.
"Was möchtest Du?", war seine erste Frage und ich unterdrückte ein Lächeln.
Es war wohl sehr typisch für ihn, dass wenn ein Kind - was ich in seinen Augen noch war - lieb lächelte, gleich etwas haben wollte. Nur wollte ich nichts, jedenfalls nichts Materielles.
"Wäre es Okay, wenn ich an die Frische Luft gehe, Onkel? Mir ganz schwindelig und hier sind so viele ..." Menschen.
Misstrauisch funkelten mich seine hellen blauen Augen an:"Wieso?"
Er dachte womöglich, ich wolle wieder abhauen, doch ich sagte beruhigend:"Keine sorge, ich brauche nur etwas Auszeit von der Musik!" Und den ganzen Menschen!"
Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen, als Cora eine vorsichtige Geste machte. Sie zeigte dabei schwach auf die Leute, die sich wieder von uns umgewandt hatten und nun ihrem Spaß freien Lauf ließen. Das, indem sie wieder nur miteinander sprachen. Langweilig.
"Es wäre mir aber viel lieber, wenn Du jemanden mitnimmst!", seufzte er und sah zu Andy. "Begleite sie doch bitte!"
Entgeistert sah er seinen Vater an, dann sah Andy zu mir. Er hatte sichtbar wenig Lust den Babysitter für mich zu spielen, besonders da sie grade dabei waren den Saufwettbewerb zu gewinnen. Und mir ging es genau so, denn soviel wie er gesoffen hatte, musste ich wohl er seinen Babysitter spielen.
Am ende würde er noch in den Teich neben dem Wirtshaus liegen und ich sei daran schuld. Ich sollte lieber hier drinnen bleiben.
Statt zu widersprechen, stand er auf und nahm seine Jacke. Er lief zum Ausgang und zog diese dabei an. Verwirrt sah ich ihm nach.
"Komm jetzt!", grummelte er angespannt.
Schnell trank ich den Sekt noch aus und stellte das Glas weg. Dann folgte ich ihm verunsichert nach draußen und schwieg.
Er schwankte nicht einmal, doch dafür wirkte er um so gereizter. Er musste die Nase voll von mir haben. Und ich konnte es ihm leider nicht einmal verübeln.
Draußen war es dunkel. Wir hatten erst sieben und schon glänzten die Sterne in all ihrer Pracht um den Mond herum. Er war eigenartig rötlich vom Schein her und doch echt schön.
Etwas von dem Wirtshaus entfernt blieb er stehen, plötzlich sah er mich wütend an:"WIESO? DU KANNST ES NICHT LASSEN ODER? VERMIEST UNS DAS LEBEN IN EINER TOUR! SEID DU HIER BIST, GEHT ALLES DRUNTER UND DRÜBER!", meckerte er mich völlig in rage aus.
Dieses Funkeln sah ich das erste Mal in seinen Augen, es war eine unentschlossene Mischung, aus Hass, Zorn und zweifel. Und das, obwohl er doch eigentlich ein herzensguter Mensch war. Doch eins musste ich mir eingestehen, er hatte mich und meine Launen lange ausgehalten.
"Reg Dich ab!", entgegnete ich ihn besänftigend.
Doch er wurde gleich noch Wütender. Wollte schon mit einer neuen Ladung an Wut, auf mich losgehen.
Doch ich ließ ihm keine Chance und sagte gereizt:"Du brauchst gar nicht so eine Dicke Lipper zu riskieren, Du bist so hohl! Ihr alle seid es, ich hasse er hier. Für Euch ist schon die Anwendung eines Taschenrechner zu kompliziert! Und Du checkst nicht einmal, dass Amy und Lotta auf Dich stehen!"
Lass es sein, hör endlich auf Vio! Verscherz es dir nicht, sie lieben dich doch!
Die Stimme warnte mich zu spät, denn schon brüllte er aufs Neue los:"DU BIST SO EIN VERWÖHNTEST MISTSTÜCK GEWORDEN! ES ST LÄCHERLICH, DAS DU DIR ZU FEIN BIST ETWAS AN ARBEIT ZU LEISTEN! DU MACHST DEINEN ELTERN EINE SCHANDE, SO HABEN SIE DICH SICHER NICHT ERZOGEN!"
Es war wie ein Stich in mein Herz, als er die letzten Worte aussprach. Benommen taumelte ich zurück, als hätte er mich geschlagen. Die Tränen stiegen in mir auf und ich machte eine halbe Drehung.
"DU KANNST MICH MAL!"
Als ich losstürmte, hörte ich ihn nach mir rufen, in seiner Stimme erklang reue. Doch ich konnte ihm nicht verzeihen, er hatte meine Eltern ins Spiel gebracht und verdammt, es tat weh. Denn er hatte recht.
Doch eines fehlte, denn sie hatten mich schon so erzogen. Denn ihre Streitigkeiten hatten mich in dieses selbstschützende Verhalten getrieben ...
Er folgte mir noch eine ganze Weile. Doch als ich um den Hügel herum gelaufen war, der zum Mondsee führte, schüttelte ich ihn an der Waldgrenze ab.
Doch noch rannte ich weiter, nur um sicher zugehen, dass er mich nicht doch noch einfing.
Andy war doch gar nicht schuld, ich wollte einfach alleine sein. Der Sekt hatte auch etwas dazugesteuert, denn wenn ich trank, wurde ich Emotionaler als mir lieb war. Ich hatte also auch keine Lust in Tränen vor ihm zusammen zubrechen.
Der Wald war still, so still, dass es unheimlich wurde.
Als ich langsamer wurde, bemerke ich, wie dunkel es auf einmal war. Es war finsterer als beim Wirtshaus. Die dunklen Bäume waren so dicht beieinander, dass sie das Licht des Mondes abschirmten.
Ich hätte vermutlich Angst verspüren sollen und wegrennen müssen, doch jetzt war ich schon einmal hier. Und vom rennen brauchte ich eh eine Pause. Daher setzte ich mich hin und lehnte mich an einen der Bäume zurück.
Leise lauschte ich meiner Umgebung, doch es blieb ruhig. Andy hatte mich vermutlich noch vor dem Wald verloren und glaubte nicht, dass ich so dumm wäre, um ihn zu betreten. Doch ich bin so dumm.
Warum sollte ich auch Angst vor Wäldern haben. Und nachts war es hier ebenso schön und okay ein wenig unheimlich.
Doch wenigstens hatte ich nun meinen Frieden. Keine Minute zu spät den die Tränen bahnte sich einen Weg ins Freie. Sie rannen mir warm und feucht die Wangen entlang und ein Schluchzen entglitt meiner Kehle. Es hallte im stillen Wald wieder.
Nun musste ich nicht so tun als wäre ich stark. Ich ließ es passieren und zog die Beine nah an meinen Körper. Das Gesicht vergrub ich den Knien und kauerte mich weinend zusammen. So verharrte ich eine lange Zeit.
Wie lange es war, wusste ich nicht, doch als die Tränen versiegt waren, fühlte ich mich besser. Mein Herz war nicht mehr so schwer und ich hatte nachgedacht.
Über alles und jeden hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Natürlich war mir nun klar, was für Mist ich gebaut hatte. Nicht das grade mit Andy, als ich mich von meinen Gefühlen leiten ließ und ihn sicher eine Menge an Ärger eingehandelt hatte. Sondern auch über mein Verhalten der letzten Wochen.
Ich hatte sie alle von mir weggestoßen, dabei wollte ich doch nicht so sein, wie all diese anderen depri Menschen von denen man im Internet las und in den Nachrichten hörte. Doch genauso war ich geworden.
Und dann hatte ich auch noch Miss Wales enttäuscht. Die Lehrerin, die an mich geglaubt hatte, die einzige bei der ich keine extra Wurst bekam, aber auch nie Nachsitzen musste. Bei, der ich mich wirklich angestrengt hatte und sogar auf einer Eins hockte. Ich war einfach unter ihrer Obhut abgehauen. Sie hatte mich auf der Feier heute keines Blickes gewürdigt.
Jasper war gar nicht erst aufgetaucht. Seit dem Vorfall ging er mir aus dem Weg. In der Kirche saß er eine Reihe hinter mir. Doch hatte nicht reagiert, als ich angesprochen hatte.
Die Einzige, die von all dem nichts wusste, war Milli und so sollte es bleiben. Denn wüsste sie, dass ich noch gestern vorhatte zu verschwinden, würde es ihr kleines Herz in stücke reißen.
Es war noch kaum eine Woche her, als sie zu mir ins Bett gekrochen war, nach dem sie einen Albtraum hatte. Sie war aufgelöst gewesen und ich wusste gleich, was ich tun musste.
Ich hatte selbst jeden Tag einen Albtraum und konnte sie leicht beruhigen. Sie hatte mir gesagt, wie lieb sie mich hatte, ehe sie in meinem Arm eingeschlafen war und ich sie in ihr Zimmer getragen hatte. Ich habe sie auch lieb.
Alle hatte ich gerne. Und nun war mir auch klar, dass sie mir wichtiger waren als Darren. Ich wollte nicht wissen, welche SMS mich erwarteten, wenn ich mein Handy von Lennert zurück bekam, dass er wieder an sich genommen hatte.
Das Rauschen des Wasserfalls am Mondsee lockte mich plötzlich. Es war eigentlich noch ein Stück zu laufen, doch ich konnte alles gut hören. Auch dass plätschern, dass weniger natürlich klang. Irgendwer oder was war dort.
Und so neugierig, wie ich war, machte ich mich gleich auf den Weg zum See.
Betört von dem Anblick, der sich mir bot, versteckte ich mich hinter einem der Büsche am Wasser. Es war mir peinlich und ich kam mir vor wie ein Spanner.
Sein nasser Oberkörper schimmerte im rötlichen Schein des Mondes, seine feuchten Haare strich er nach hinten und setzte sich ans Ufer. Er hatte seine Kleider abgelegt, alle bis auf seine dunklen Boxershorts, in denen er eine super Figur abgab.
Schon seit einer Weile Beobachtete ich ihn nun. Ich wollte dem plätschernden Geräusch nachgehen, das ich gehört hatte, nach dem ich mich ausgeweint hatte. Meine Hoffnungen waren gewesen, es sei nur ein Tier.
Doch stattdessen, kaum war ich unten angekommen, schoss jemand aus dem Wasser und ich war mich in einen Haufen Büsche. Es war Jasper.
Das Wasser schlug sanfte Wellen und reflektierte den Mond darin, zu meiner Verwunderung war er noch rötlicher geworden. Ob er wohl mit der Zeit ging? Es war schon sehr spät.
Doch wie konnte es sein? Der Blutmond war doch erst morgen Abend zu erkennen, oder hatte ich mich verhört? Hatte Miss Wales vielleicht auch eher von heute gesprochen?
Ich überlegte weiter vor mich hin. Es war eigenartig, ich hatte mich vermutlich wirklich verhört.
Wasser tropfen fielen auf die Rückseite meines blauen T-Shirts, dass ich noch kurz vor der Party mit dem ich das Kleid ausgetauscht hatte.
Mein Atem stockte vor Entsetzen, als ich aufsprang und mit jemandem abermals zusammenstieß. Ich hatte mich von dem Mond so ablenken lassen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Jasper von seinem Sitzplatz aus zu mir gewandert war.
Seine Arme legten sich um mich, wie bei unserem Ersten aufeinandertreffen. Nur diesmal stand er hinter mir. Auch jetzt bewahrte er mich vor dem Sturz auf den Boden, nur wurde ich dadurch klitschnass, so wie er es war.
Seine kräftige Brust presste gegen meinen Rücken. Sein Atem strich mir durchs Haar über den Nacken und ich bekam dadurch Gänsehaut.
Heftig atmend stieß ich ihn weg und machte einige Schritte vor. Dann wandte ich mich um. Mein Herz raste, vor schreck und Scham.
"Spionierst Du öfters mal halb nackte Leute aus?", wollte er von mir wissen.
Sein Blick ruhte auf mir und wanderte meinen Körper entlang, schon das reichte aus, um ein Kribbeln auf meiner Haut zu verursachen. Als bemerkte er dies, grinste er verschmitzt.
Sein plötzlicher Stimmungswandel war ätzend. Erst sprach er kein Wort mit mir und jetzt nutze er die Situation aus, um sich über mich lustig zu machen.
"Ich habe ... eigentlich wollte ich nur schwimmen", log ich. "Doch dann warst Du da. Ich wollte nur warten, dass Du gehst ..."
Ich wollte ganz und gar nicht, dass er ging. Und das, obwohl er ein sich benahm wie ein Vollidiot.
"Am Abend des Blutmondes, sollte ein kleines hübsches Mädchen wie Du, nicht alleine herumlaufen", sagte er nur lässig und ließ mich los.
Ich hatte vergessen mich richtig aufzurichten und fiel auf meinen Po. Sogleich warf ich ihm einen wütenden Blick zu und rieb mir das Steißbein.
Seiner Miene nach zu urteilen fand er es mehr als nur witzig, er prustete laut drauf los.
"Hahaha ..., sehr witzig Du Idiot!", knurrte ich und stand auf.
Er war ein Blödmann und trotzdem bekam ich meinen Blick nicht los von seinem Körper. Die Wasserperlen an seinem Hals glitten runter über seine makellose glatte Haut. Sein Anblick war atemberaubend, so perfekt.
Selbst mein Ex war nicht so gut trainiert wie er, wobei so kräftig würde ich ihn auch nicht schätzen. Jasper sah eher gewöhnlich schlank aus, doch hatte etwas an sich, das ich nicht genau benennen konnte. Außerdem war er unheimlich stark
"Wenn Du schwimmen möchtest, warum hast Du Dich dann versteckt?", grinste er höhnisch.
"Das sagte ich doch bereits! Du warst da und ich wollte, dass Du gehst!", sagte ich nun viel selbstsicherer.
"Du siehst gar nicht so aus, als würde es Dich stören, wenn andere Typen in Deiner Nähe sind. Mache ich Dich etwa so nervös?", sein Grinsen wurde intensivier und er trat näher an mich heran.
Ich wehrte mich, gegen den inneren Drang zurückzuweichen. Er sollte nicht merken, wie sehr er mich aufwühlte. Die Panik vor der Nähe zu anderen, machte sich wieder bemerkbar, tränen schnürten mir die Kehle zu.
Nein ich wollte nicht weinen. Ich hatte doch schon genug geheult. Und vor ihm wollte ich schon gar nicht weinen ...
"Tja.., d-der Schein trügt nun mal..", flüsterte ich und rang mit mir selbst, um nicht verheult zu klingen.
Plötzlich stand er ganz dicht vor mir, ich konnte eine Mischung verschiedener Düfte riechen, die von ihm ausgingen. Er roch nach frischer Waldluft und süßen Blumen, vermischt mit seinem Schweiß. Wieso kam dieser Duft mir so vertraut vor? Warum war er so betörend?
Jasper hob seine Hand und strich mir, mit seinen sanften Fingerspitzen eine Haarsträhne hinters Ohr. Dabei fing er meinen Blick mit seinen Augen ein, die mir plötzlich grün vorkamen anstelle des eigentlichen tief dunklen Blau Tons.
Die kurze Berührung seiner Finger an meiner Haut ließ mich erschaudern. Es war, als würden viele kleine Stromstöße durch meine Wange in meinen Körper schießen. Und er schien ihn auch zu bemerken, denn seine Hand zuckte kurz zurück, ehe er sie an meiner Wange ließ.
"Deine Haare sind sehr schön!", murmelte er plötzlich und sein Blick wurde sanft.
War er etwas ein Haar Fetischist, oder warum lobte er, meine zerstörten locken? Nein wohl eher nicht, denn sein Blick glitt über meinen Körper.
Als sich unsere Blicke wieder trafen, beugte ich mich automatisch etwas vor zu ihm. Der Drang ihn zu Küssen war unbändig stark.
"Du bist wirklich s ...", er brach seinen Satz ab, als das Wasser plötzlich begann, Wellen zu schlagen.
Wir sahen beiden zum Wasser. Irgendetwas stimmte nicht. Ich verspürte etwas Dunkles um uns herum. Es war, als sei etwas Böse bei uns.
Die Spiegelung des Mondes, begann sich vor meinen Augen zu verändern. Dem unförmigen Kreis wuchsen Klauen bewachsene Arme und Beine mit sichelförmigen Nägeln. Eine potthässliche Fratze, auf der sich ein blutiges Grinsen spiegelte, sah mich an.
Wieder eine Einbildung? Ja! Das musste es sein. Doch warum blickte dann Jasper zu der Kreatur und erbleichte?
Im nächsten Moment stieß das Monster einen ohrenbetäubenden Schrei aus und sprang aus dem Wasser heraus, tapste dann an Land.
Aus dem runden Körper wurde eine längliche breite Schattenform wie die eines rundlichen Mannes mit krummen Rücken. Und um das Wesen herum bildete sich eine schleimige schwarze Pfütze.
"VERSCHWINDE!", Jasper schubste mich in Richtung des Hügels.
"NEIN! ICH KANN NICHT! WAS IST DAS?", schrie ich panisch. Ich konnte ihn doch nicht mit diesem grotesken Ding zurücklassen.
Plötzlich sackte er keuchend vor Schmerzen in sich zusammen und ich wandte mich schockiert zu ihm um. Dabei kniete ich mich zu ihm nieder und betrachtete entsetzt die blutigen, tiefen Wunden an seinem Rücken.
"Jasper ...", schluchzte ich. "Nein ... Du darfst nicht sterben ..."
Die Kreatur leckte sich die blutverschmierte Klaue und kicherte:"Mmmh, lecker Gestaltwandler! Doch zuerst die Vorspeise, Prinzessin Viola am Spieß."
Es sprang mich unerwartet an und ich wisch reflexartig aus, noch ehe es mir seine messerscharfen Klauen in den Bauch jagen konnte. Dabei riss ich Jasper mit mir zur Seite. Dieser stöhnte ächzend und versuchte sich wieder aufzurichten.
"Bitte geh ...", flehte er mich an. "Hau endlich ab!"
Hin und hergerissen sah ich zwischen Jasper, der Kreatur und dem Hügel umher. So gern ich auch fliehen wollte, ich konnte Jasper nicht zurück lassen er würde sterben. Doch was konnte ich gegen das Biest anrichten, es war ein Monster und die Krallen Spuren an Jaspers Rücken machten es nicht gerade harmloser.
RUFE ES! Schrien die Stimmen in meinem Kopf, nun wurde es mir klar, ich wurde langsam irre. Oder vielleicht war es ja ein Traum, der ganze Tag war nicht Real.
RUFE DAS SCHWERT MEIN KIND!! Die Stimmen wurden drängender und lenkten mich ab.
Der stechende Schmerz, der meinen Oberschenkel durchfuhr, lenkte mich in die Realität zurück. Dieser Schmerz machte mir klar, dass es nun wirklich kein Traum war.
Ich versuchte nach hinten zu taumeln, doch die Bestie biss sich an meinem Bein fest und schwärze breitete sich vor meinem inneren Auge aus. Was sollte ich nun tun?
Ich war in Panik, neben mir lag Jasper zusammengekauert im Gras, konnte kaum stehen und verblutete vielleicht. Ein hässliches Wesen versuchte mir das Bein abzubeißen und die Stimmen drängten mich immer weiter und weiter.
RUF DAS SCHWERT, DU KENNST SEINEN NAMEN!
Etwas in mir lenkte die Gedanken aus dieser Situation zu den Büchern. Plötzlich wurde mir etwas klar, ob es nun aus blanker Angst geschah, oder aus Verzweiflung. Doch mir kam Elisabeths Schwert in den Sinn. Es konnte als einzige Waffe Dämonen Töten, und wenn ich mich nun nicht irrte, war dieses Ding einer.
"KURAIKO KIND DER DUNKELHEIT, ERSCHEINE IN DER NOT UND GEBE MIR DIE KRAFT DIESE FINSTERNIS ZU BEENDEN!", schrie ich die Worte, die Elisabeth immer sagte um ihre Waffe zurufen.
Im ersten Moment geschah nichts, nur der Schmerz in meinem Bein ließ nach, als der Dämon zurückwich und Jasper sich keuchend an mich zuwenden.
Er hielt sich die Seite und murmelte etwas in der Art von:"Das ist unmöglich ..."
Dann kam ein böenartiger Wind auf, Schnee rieselte plötzlich über uns herab und bildete gemischt mit dem Wind einen Sturm. Der Schneesturm umfasste nur mich und schlang sich um meinen Körper. Meine Arme wurden umhüllt von Ärmeln aus dunklen Stoff. Mein T-Shirt wurde ersetzt durch den engen Teil eines eisblauen Kleides mit V-Ausschnitt. Meine zerrissene Hose wurde durch den Rock des Kleides ersetzt, der mir schräg vom linken Oberschenkel bis runter zum rechten Knie fiel.
Auch meine schwarzen Springerstiefel verschwanden und ich war Baarfuß. Und mein Haar war plötzlich geflochten.
Noch im selben Moment, als der Dämon sich von seinem Schock erholte, griff er wieder an und alles wurde in ein grelles Licht gehüllt.
"KURAIKO!", schrie ich noch ein letztes Mal, als sich das Schwert verstörenderweise aus einer meiner Rippen formte. Ich zog es raus, ohne dass es wehtat.
Sekunden später stand ich hinter dem außer Gefecht Gesetzen Dämon. War außer Atem und hatte die schwere Waffe in den Boden gerammt, um mich daran abzustützen.
"Wir müssen es wegschaffen!", keuchte Jasper, ihn hatte ich ganz vergessen und musterte ihn.
"Was ist hier los?", wollte ich wissen.
"Später!", sagte er und schloss die Augen.
An seiner Hüfte prangte eine weitere große Fleischwunde, doch im nächsten Moment war sie nicht mehr zu erkennen. Und dann veränderte er sich plötzlich.
Er sah auf einmal aus, wie ein riesiger Menschenrabe. Seine Füße wurden zu Rabenfüßen mit großen Klauen. Aus seiner Haut sprossen federn, in der Farbe seiner Haare die ebenfalls zu Federn wurden. Nur noch sein Gesicht war zu erkennen und seine Statur blieb bis auf die Größe. Er wuchs um einiges.
Er breitete die Arme aus, die nun Rabenflügel waren, und hob vom Boden ab. Er flog rüber zu dem dämonischen Haufen und hob ihn mit seinen Füßen, die er in dessen Haut bohrte, auf.
Jasper warf den Haufen in den See:"Das ist das Tor zwischen beiden Welten, Du musst das Schwert in den Baum rammen! MACH SCHON!"
Ohne Widerworte lief ich zum Wasser, ich sprang hinein und versuchte zum Baum zu schwimmen, als mir etwas am Bein riss. Ich stieß mit dem Schwert in das Wasser und bekam Panik. Der Rabenjunge riss mich heraus und ich konnte eine wasserleichenartige Gestalt wieder zurück ins kühle Nass werfen.
Er setzte mich auf der kleinen Insel ab, auf der dieser Baum wuchs. Dieser war riesig und wirklich sehr alt.
Das ist er, der Baum aus dem Buch ... Der Baum der Schatten ...
"MACH SCHON!", krächzte der Raben - und, oder Krähenjunge.
Dabei hielt mir den Rücken frei, als einige Gestalten versuchten aus dem Wasser zu kriechen. Mit einem heftigen Hieb schlug ich das Schwert in den Baum. Ein Pulsieren ging durch den Griff in meinen Körper und strömte in die umliegende Gegend heraus.
All die Wesen, die aus dem Wasser stiegen, wurden zurückgezogen und verschwanden. Und mich überkam, ein eigenartiges Schwindelgefühl, als ich plötzlich in Jaspers Arme kippte und er wieder aussah, wie zuvor.
"Hey ist alle in Ordnung?", war das Erste, was mich jemand fragte, als ich langsam wieder zur Besinnung kam.
Das helle Sonnenlicht, der aufgehenden Sonne, blendete mich. Es brannte nur einen Moment in meinen Augen, die sich anfühlten, als seien sie zusammengeschweißt.
Als ich wieder etwas sehen und erkennen konnte, bemerkte ich, dass ich zusammengekauert auf einem Fleck Wiese lag. Eine Jacke bedeckte mich wie eine warme Decke und es war nicht meine eigene. Denn diese war mir um einiges zu groß. Und wurde sonst eigentlich immer von Jasper getragen.
Verwirrt setzte ich mich auf, eigentlich hatte ich gehofft, dass alles nur ein Traum gewesen war und ich jeden Moment in meinem Bett zu mir kommen würde. Doch beim seichten Klang des rauschenden Sees wurde mir klar, dass es wirklich geschehen sein musste. Eine andere Möglichkeit, wäre noch, ich war, nachdem Jasper mich beim Spannen erwischt hat, doch zurückgefallen.
Vielleicht hatte er mich doch nicht von dem kleinen Sturz bewahren können. Und vielleicht hatte ich mir den Kopf am Boden angehauen. Natürlich hoffte ich auf Letzteres, so hätte ich das geschehene einfach als Traum abstempeln können. Einen etwas verrückten Traum.
Ich musste mich ja leider irren. Denn Blick, den ich vom Wasser aus umherschwirren ließ, haftete gleich an etwas das mich eines Besseren belehrte und meine Hoffnungen nieder machte.
Neben mir stand Jasper angelehnt an den Baum, genau neben dem Schwert und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick war nach oben in den Himmel gerichtet und er sah aus wie in einem Traum. Ein Gott oder vielleicht ein Engel ...
Der Stoff seines Hemdes war an seiner Hüfte zerfleddert, doch ich konnte keine Wunde darunter erkennen. Sein bloßer Anblick reichte aus, um mein Herz wieder zum Flattern zu bringen. Und dann sah er mich an.
Er fing mich mit seinem Blick ein, ich konnte ihn nicht deuten. Er war leer und es schien ein Kampf in Jaspers inneren zu toben.
"Was ist?", murmelte ich nicht gerade fröhlich.
Sein Blick schreckte mich ab. Ich hatte mehr darauf gehofft, dass wir uns besser verstünden nach dieser Sache. Außerdem ging es mir nur noch beschissener deswegen. Reichte es nicht aus das wir fast gestorben wären?
"Du scheinst unglücklich mit dieser Situation!", schlussfolgerte er. Wie er wohl darauf kam ...
"Sag mir bitte nicht das, dass alles wahr gewesen ist? Das kann doch nicht sein ... Das ist unmöglich ...", entgegnete ich verzweifelt. "Solche Gestalten gibt es nicht! Nicht in der Realität, nur in Büchern ..."
"Du siehst es doch selbst!", meinte er und zeigte von dem Schwert im Baum, auf mein Bein.
Ich trug noch immer das Kleid und an meinem Bein klebte etwas Blut. Die dazugehörige Wunde war tief, doch der Schmerz war nicht mehr zu spüren.
Während ich diese entstellende Wunde hatte, waren all seine Wunden verheilt. Und irgendwie kam mir das echt unfair vor.
"Aber ..., wie ist es möglich? Kannst Du es mir bitte erklären?"
"Wie es aussieht, bist Du wirklich ihre Reinkarnation!", sagte er matt, statt mir zu antworten. "Ich dachte, meine Mutter spinnt, doch das Schicksal irrt, sich wohl nicht. Ein Jahrhundert zu früh, schrecklich ..."
Er fuhr sich, durch dass zause Haar. Augeringe unter seinen immer noch grünen Augen, zeigten das Er wach gelegen war, als ich geschlafen hatte. Oder bewusstlos war.
"Okay ... jetzt bin ich mir sicher, ich bin irre! Ihr seid irre, dass alles! Die Bücher, Deine schräge Mum, die mich im Unterricht dauernd ausfragt, die Geschehnisse und Du ... Gott ich dreh durch ...", sagte ich.
Ich sah nur noch eine Möglichkeit, mein Blick fiel auf das Wasser. Ich wollte das alles nicht mehr. Und obwohl ich mir geschworen hatte, nie an so etwas zu denken, musste es sein.
"Ich setzte dem Scheiß endlich ein Ende, das ist es doch, was alle von mir erwarten. Nun gut, dann tu ich es halt!", sagte ich und wollte ins Wasser springen.
Er schien erst einmal nicht zu realisieren, was ich sagte, und sah mich fragend an. Doch dann nahm ich Anlauf.
Jasper handelte blitzschnell, ehe ich einen Kopfsprung in das Wasser machte. Zu meiner großen Enttäuschung berührte ich das Wasser nicht einmal mit einer einzigen Haarsträhne. Den er riss mich noch vorzeitig nach hinten.
Jasper hatte seine starken samtweichen Arme um mich geschlungen und zog mich eng an sich. Sein kräftiger Oberkörper schmiegte sich wieder einmal an meinem Rücken und er vergrub diesmal sein Gesicht in meinem Haar.
"Mmmh, Du riechst nach Lavendel..", murmelte er plötzlich.
Es war nichts Neues für mich das zu hören, ich liebte diesen Duft und wirklich alles, was ich auftrug, an Deos oder Parfüms roch nach Lavendel.
Ich wartete darauf, nein! Ich hoffte es eher, dass mir diese Umarmung nicht gefiel. Dass ich mich in mein Schneckenhaus zurückziehen würde, doch stattdessen legte ich meine Hände an seine Arme und zog sie enger um meine Taille. Dabei lehnte ich mich an ihn und schloss die Augen.
Es war so lange her, dass ich mich freiwillig umarmen ließ, und hätte ich geahnt, wie gut es doch tat, hätte ich es eher zugelassen. Dann hätte ich meine Tante vielleicht nie zurückgewiesen ...
"Du hattest nicht vor Dich umzubringen?", flüsterte er und legte den Kopf an meine rechte Schulter, sodass unsere Wangen sich berührten. "ich würde wirklich Probleme bekommen, wenn sich die Auserwählte umbringen würde."
Sein heißer Atem streifte an meinen Hals entlang, sein Daumen strich sanft über meine Rippen, ohne dass er die Arme von mir ließ. Dabei lehnte er sich mit mir an den Baum zurück und zog mich enger an sich.
Ich erschauderte und versuchte noch klar denken zu können:"Das wäre mir do ... doch egal, immerhin weiß ich nicht einmal, was Du meinst ..."
Wir verharrten so eine Weile, es schien, als überlegte er sich eine Antwort, doch ihm fiel keine ein.
Währenddessen hatte ich meine Finger mit denen seiner linken Hand verschränkt und betrachtete, dass nun fiel ruhigere Meer. Das Herz schlug mir dabei schneller und doch rhythmisch.
"Du wirst es schon noch erfahren, ich verspreche es Dir!", murmelte er irgendwann und seine Lippen waren nur noch einige wenige millimeter von meinem Hals entfernt.
Zu meiner Enttäuschung ließ er mich auf einmal los und sprang selbst ins Wasser. Meine Knie gaben nach und ich fühlte meine Wangen. Sie glühten regelrecht und ich war ganz hibbelig. Ich konnte nicht anders als ihm hinterher zustarren.
Er tauchte auf der anderen Seite des kleinen Sees wieder auf und lachte leise:"Willst Du dort noch Wurzeln schlagen oder kommst Du mit? Dein Onkel wird noch Durchdrehen, komm lieber! Ich will nicht, dass er mir den Hals umdreht!"
Als er Lennert erwähnte, sprang ich ebenfalls in das Wasser und schwamm rüber. Er zog mich in nur einem Ruck aus dem Wasser und riss mich an der Hand mit sich.
Als wir an der Veranda ankamen, sah ich Milli. Sie machte die Haustür auf und rief etwas hinein, ehe sie uns entgegen lief und mich stürmisch umarmte.
Jasper ließ gleich meine Hand los und stellte sich dabei etwas abseits von uns. Er beobachtete uns jedoch weiterhin, das konnte ich deutlich spüren. Doch davon ließ ich mich nicht beirren, als ich Milli fest an mich presste.
Die anderen Vier und darunter sogar Jaspers Mutter - was sie wohl hier tat? - kamen raus gerannt. Sie kamen alle sofort zu uns und Milli ließ mich los. Erst dann bemerkte sie die klaffende Wunde an meinem Schenkel.
Schockiert wollte sie gleich einen Notarzt rufen. Doch nicht nur sie bemerkte die Wunde, sondern auch die Erwachsenen. Und die bemerkten nicht nur diese, sondern auch mein Kleid.
Ich trug es noch immer. Denn obwohl es wie durch Magie erschienen war, hatte es sich noch nicht wieder in meine eigenen Sachen materialisiert. Das war echt eigenartig.
Mein Onkel schien genauso gegen den Arzt, wie die anderen. Sein Ausdruck war eher panisch, als Milli diesen erwähnte.
"Milli, geh bitte rein mit Andy!", sagte Onkel Lennert ruhiger als er aussah.
Er hatte eine stoische Maske aufgesetzt und ebenso auch meine Tante und Miss Wales. Sie wirkten zu ernst, was eines bewies, sie wussten bescheid. Alle Drei.
"Geht es Dir gut?", ertönte Andy plötzlich neben mir, der eigentlich mit Milli rein sollte.
Ich blickte ihn an, er hatte sichtbar die Nacht nicht schlafen können. Er hatte eben so starke Augenringe wie Jasper unter den Augen. Mir viel gleich wieder ein, welchen Streit wir in der letzten Nacht hatten und das Herz wurde mir schwer.
"Hör mal Andy ...", setzte ich zur Entschuldigung an, doch er riss mich in eine kräftige Luft abschneidende Umarmung.
"Tut mir leid! Das war meine Schuld gestern!", sagte er dabei. "Ich habe Dich angeschrien, dabei muss ich doch daran denken, wie schwer Du es hast! Verzeih mir Cousinchen ... bitte!"
Ich konnte nicht anders und erwiderte die Umarmung:"Das habe ich doch schon! Jetzt flenn nicht rum, Du bist doch ein Kerl!"
Es wirkte, er lachte leise und Milli machte gleich eine Gruppenumarmung aus der Versöhnung.
Cora räusperte sich und wir ließen es wieder sein. Sie schrieb ihnen vor nun endlich reinzugehen, sie würde gleich nachkommen.
Schon waren die beiden im Haus verschwunden und alle Augen waren auf mich gerichtet.
Meine Tante sah mich unentschlossen an, sie wusste, nicht ob sie mich gefahrlos umarmen konnte, oder nicht. Normalerweise wies ich sie ja auch immer ab, doch dieses Mal umarmte ich sie ganz von selbst. Nur bei ihr hatte es die Wirkung, das sie weinen musste.
Nur waren es sogar Freuden Tränen, wie ich bemerkte und sie umarmte mich so, wie Mama früher. Zum ersten Mal fühlte ich mich wohl und geborgen. Naja zum zweiten Mal, wenn ich das mit Jasper am See mit zählte. Doch das hier wahr eher familiär und freundschaftlich, das am See ... das war anders gewesen.
Als sie von mir ließ, nahm mich auch mein Onkel in den Arm. Diese Umarmung war kurz und flüchtig, genauso wie die von Miss Wales. Dann sahen alle auf meine Wunde und auf das Kleid.
"Wie?", fragte Miss Wales sehr ruhig.
"Was ist passiert? Du bist gestern abgehauen, nachdem Du Streit mit Andy hattest, was ist danach alles geschehen?", wollte Lennert von mir wissen.
Die Einzigen, die nichts fragten, waren meine Tante und Jasper, der natürlich dabei gewesen war.
"Ich bin ... in den Wald gerannt ...", das Weinen ließ ich lieber aus. "Ich habe von Weitem jemanden im See gehört, dann fand ich Jasper vor ... Er war schwimmen. Also er dachte, ich hätte gespannt, woraufhin ich log, u ..."
"Auf diese Spannsache kommen wir noch später zurück ...", unterbrach Jasper mich sanft. "Ich erzähl weiter, Du bist zu aufgelöst. Geh doch rein okay?"
Er hatte recht, die Erinnerung an das, was war, war so furchtbar. Ich zitterte am ganzen Leib, nicht weil mir kalt war, sondern weil die Wunde auf einmal brannte. Und ich nahe einer dieser Panikattacken war, die ich früher in der Klinik immer bekam, wenn mir alles zu viel wurde.
Cora entging dies nicht und schon stand sie neben mir. Behutsam legte sie ihre Hand sanft auf meine Schulter und stützte mich etwas. Keine Sekunde zu spät, denn alles drehte sich auf einmal und meine Atmung ging in ein Keuchen über.
"Geht es Dir gut? Du bist so blass!", fragte Miss Wales mich von der anderen Seite. "Ohje Deine Wunde ... sie blutet!"
Es fühlte sich an, als schnürte mir jemand meine Kehle zu. Das war keine meiner typischen Panikattacken. Normalerweise wurde mir nicht schwindelig, und ich schaffte es sonst recht unproblematisch, mich zu beruhigen.
"Eins ..., zwei ..., d - drei ...", versuchte ich es mit meinem üblichen gezähle, doch dies verbrauchte mehr Sauerstoff, als mir lieb war und ich kippte Cora in die Arme.
Erschrocken sank sie vorsichtig mit mir zu Boden. Meinen Kopf legte sie in ihren Schoß und ich sah in den Himmel. Mein Körper wurde eigenartig taub, von der Stelle an wo mich dieses Dämonenvieh gebissen hatte. Das wars! Der Biss!
Als hätte er meine Gedanken gelesen, rief Jasper plötzlich:"Der Yoko! Er hat sie gebissen! Sein Gift ..."
Mehr bekam ich nicht mehr mit, als mich der Traum herbeirief und mich in ein tiefes schwarzes Loch sog.
Es war wieder derselbe Traum, der mich jede Nacht seit dem Unfall heimsuchte.
Ich folgte derselben sich immer wiederholenden Melodie. Die Musik, die ich in der ferne wahrnahm, war eigenartig. Es war rockig und doch eigenartig mit anzuhören, vielleicht eher in Richtung Kiffer Musik. Oder auch Reggae.
Ich folgte dem Klang entspannt, ohne Angst davor zu haben, was mich erwartete. Immerhin kannte ich es schon, daher lief ich durch den finsteren Gang, bis ich an der vertrauten bloß angelehnten Tür stehen blieb.
Der Duft von Grass stieg mir in die Nase. Mit Grass war nicht einfach das grüne Zeug, das draußen überall herum wuchs, gemeint. Es handelte sich hier wirklich um die Droge.
Rauch strömte zwischen dem Türspalt hindurch und lockte mich wieder einmal zu sich. Es war verführerisch. Wie lange war es her, dass ich es zum letzten Mal geraucht hatte? Ein Jahr oder vielleicht auch ein wenig länger.
"Komm her!", befahl mir die vertraute Stimme und ich war versucht, ihr zu folgen. "Komm! Du willst es! Komm zurück zu mir!"
Ich riss die Tür auf und wurde überwältigt von der Droge, die sich im ganzen Raum verteilt hatte. Dort saß sie, die maskierte Frau, erwartete mich und klopfte auf den Platz neben sich. Wie sonst auch immer.
Beim ersten Mal, als ich mir das alles hier erträumt hatte, war ich zurück geschreckt von ihrer Maske. Grelle orangefarbene Augen blitzten mich durch zwei Schlitze an. Und das nur aufgemalte psychotische Grinsen machte alles noch unheimlicher.
Sie trug einen langen schwarzen Umhang und streckte abwartend die behandschuhten Hände nach mir aus. Ich nahm ihre Einladung an. Ihre Hand schloss sich um meine und sie zog mich fordernd neben sich. Ihr Griff kam mir zum ersten Mal zu fest vor und tat etwas weh.
"Was hast Du denn? Du bist verspannt", sagte sie und streichelte meine Wange. "Hast Du wieder an Deine Eltern gedacht?"
"Nein", gestand ich mir eher selbst ein.
Es war so viel passiert und dann die Sache am See. Ich hatte sie fast schon vergessen und das wollte ich doch nicht. Sie zu vergessen war falsch ...
"Du weißt, dass Du schuld bist! Wenn Du sie vergisst, wirst Du bestraft. Sie sind gestorben, weil Du dich rausgeschlichen hattest. Wärst Du geblieben, würden sie noch leben", säuselte sie mir zu.
Ihre Stimme war so sanft und sie roch gut. Ich ließ mich deprämiert in ihre Arme sinken, sie hatte recht. Ich war schuld. Warum hatte ich nicht auf sie gehört? Warum?
"Du weißt, was zutun ist!", sie strich mit der flachen, stumpfen Klinge eines Messers über meinen Hals und dies fühlte sich richtig an.
Meine Haut kribbelte so schön. Und meine Hand schloss sich um die Klinge, es war oft so gewesen, dass ich an dieser Stelle bereits aufwachte, doch ich war noch immer hier. Und das Messer fühlte sich so gut an, in meiner Hand.
Ich setzte es an meinen Hals und ritzte mir die Haut etwas an. Das warme Blut, das heraussickerte, ließ mich erstarren.
Plötzlich fielen mir die Menschen ein, die ich nun hatte. Mein Onkel und meine Tante. Andy und Milli ..., sogar Amy, Lotta und Miss Wales. Doch da war noch jemand, Jasper. Sie waren meine Freunde und meine Familie. Etwas das ich schon lange nicht mehr haben wollte. Doch nun gehörten sie zu mir.
Und ich hatte Jasper retten können. Zwar war es für meine Eltern nun schon zu spät, doch vielleicht nicht für die anderen Menschen in meinem Leben.
"Tu es!", forderte sie mich nun gereizter an. "Du hast genug gezögert!"
Sie hatte recht. Ich hatte genug gezögert, den etwas wurde mir klar. Nicht ich war die Böse, sondern sie!
Als ich sie mit dem Messer durchbohrte, sagte sie mit nun tiefer, verzerrter Stimme:"Du hast Dich falsch entschieden! Du wirst mich nie besiegen, Du Göre! Hättest du jetzt doch nur aufgegeben!"
"MAMA! MAMA!", Millis Stimme ist viel zu laut für meinen dröhnenden Kopf.
Ich setze mich auf, als sie das Zimmer verlässt und die Treppe herunter polterte. Dabei bemerkte ich, wie jemand neben mir hochfährt. Jasper. Er sitzt auf einem Stuhl neben meinem Bett und sieht aus, als sei er im Sitzen eingeschlafen.
"Du ... Du bist wach ...", haucht er ungläubig. "Es schien so schlecht um Dich ..."
Mit zitternder Hand fährt er sich durch die schweißnassen Haare, dessen Strähnen im fransig in der Stirn hängen. Er hat sich gar nicht umgezogen, noch immer trägt er die zerfetzten Klamotten und sieht sogar noch erschöpfter aus, als nach dem Kampf gegen dieses Monster.
"Wie lange habe ich geschlafen ...?"
"Ein paar Stunden. Das Gift konnten wir noch raus ziehen, was ein Glück", antwortete er distanziert, doch seine Gesichtszüge verheißen ganz deutlich die Erleichterung, die er mir gegenüber verspürt.
Ich versuche witzig zu sein:"Du hast mich wohl vermisst. Hattest Du Angst mich nie mehr beim Spannen zu erwischen?"
Er blickt mich gereizt an, fast so als würde er mich gleich anschnauzen. Doch stattdessen überfällt er mich mit einer Umarmung, die mir fast die Rippen bricht.
"K -Kriege ... k -kei -ne L -Luft ...", ächze ich und erwidere die Umarmung, als er seinen Griff etwas lockert. //Hatte er etwa soviel Angst …?//
Seine Hände liegen auf meinem Rücken, streichen über dem weichen Stoff meines Plüsch Pyjamas und fahren dann langsam runter zum unteren Teil meines Rückens. //Verdammt! Plüsch Pyjama!!!//
Ich erstarrte, als es mir bewusst wird. Jemand, vermutlich meine Tante hat mir den Rentier Pyjama angezogen und das, obwohl er mir so peinlich ist. Und ausgerechnet Jasper muss mich darin sehen, weshalb ich auf der Stelle im Erdboden versinken möchte.
Ihn scheint es nicht einmal zu stören, denn seine Hände halten inne, ehe er sie unter mein Oberteil schlüpfen lassen kann. Mit dem Schaudern das mich durchströmt schiebt er sich ein Stück von mir zurück.
Keinen Augenblick zu früh, denn schon stürmt Cora das Zimmer. Reflexartig stoße ich Jasper von mir und er landet mit dem Stuhl rücklings am Boden. Es kracht laut und ich beuge mich schockiert vom Bett aus zum ihm.
"Alles in Ordnung?", quietsche ich erschrocken und schuldbewusst. „Tut mir so leid!!“
"Wenn es Dir wieder besser geht, nehme ich selbst diesen kleinen Mord versuch in Kauf!", lacht er plötzlich und steckt mich an mit dem Gelächter.
Ich greife mir ein Kissen und schleudere es ihm ins Gesicht. Doch kaum habe ich das getan, drückt mir Cora eine Hand auf die Stirn. //Sie ist ja auch noch da …//
Erleichtert notiert sie etwas in ein kleines Notizheft und zwitschert:"Kein Fieber mehr! Supi!!"
Ich hatte also Fieber gehabt. Jasper hat erwähnt, dass ich in keinem guten Zustand gewesen bin und wenn ich auch noch Fieber gehabt habe, muss es ernst sein.
"Wie schlimm war mein Zustand ...?", erkundige ich mich interessiert und werde von der Stille überrascht auf die ich nicht vorbereitet bin. "Echt so übel? Lag ich im st ... Oh ..."
Cora fällt mir gleich um den Hals:"Zum Glück, ist aber alles wieder gut Liebes!"
Ich erwidere ihre Umarmung sanft und sehe über ihre Schulter hinweg zu Jasper. Er mustert mich entschuldigend, da er nichts von meinem vorigen Zustand erwähnt hat, dabei steht er nun da, der Stuhl durch den Sturz in die Brüche gegangen.
Eine Weile noch lasse ich mich umarmen, jeder Moment fühlt sich plötzlich realer an als alles andere im vergangenen Jahr. Es tut gut zu wissen, das sich jemand um mich sorgt. Und doch kann ich das Gefühl noch immer nicht am richtigen Ort zu sein, nicht loslassen. Außerdem ist der Traum noch immer nicht aus meinen Gedanken verschoben, etwas sagt mir, es spielt eine wichtige Rolle bei all dem was hier geschieht.
Bevor ich alles ansprechen würde, will ich erst einmal duschen gehen und Jasper soll erst einmal nach Hause um sich umzuziehen. Denn obwohl er selbst in den zerfetzten Sachen umwerfend aussieht, sollen Milli und Andy nicht noch Fragen zu diesen stellen. Etwas sagt mir, das sie ebenso wenig eingeweiht in alles sind wie ich selbst.
"HEY! Vielleicht sollte Violette auch Mal selbst entscheiden dürfen!", fährt er die anderen an, die mit einem Male bemerken, das wir auch noch da sind.
Es ist das erste Mal in der letzten Stunde, das Jasper sich für mich eingesetzt hat oder sich überhaupt gewagt hat zu sprechen. Vorher sind wir bloß blöd herum gesessen und haben den Erwachsenen beim Streiten zu gesehen.
Wir haben nicht einmal wirklich etwas sagen müssen, sie haben über uns hinweg weit aus mehr Informationen in den Raum geworfen, als ich eigentlich wissen wollte. Aus all den Wortfetzen die ich ihrem Gebrülle entnehmen kann, habe ich mir auch schon einen eigenen Reim gebildet und komme so der Wahrheit immer näher.
Ich weiß endlich das dieser Dämon der uns angriffen hatte, ein Yoko war. Ein Wesen wie die in den Büchern, die ich von Miss Wales bekommen hatte und die Elisabeth darin bekämpft hatte. Sie war also gar keine fiktive Person, denn sie lebte tatsächlich einst auf dieser Erde. Und dem Anschein nach war diese Frau auch noch meine Ururgroßmutter, was zwar merkwürdig war, aber ebenso einleuchtend, wenn man an die Tatsache zurück denkt, dass ich Kuraiko erscheinen lassen kann. Und endlich weiß ich auch, wieso ich diese Violetten haare habe, ich bin einfach nicht menschlich, die Angst das ich vielleicht unheilbar Krank bin ist von nun gezählt.
Kuraiko wurde zum Schutz in mir verborgen, durch einen magischen Pakt den meine Eltern mit einem mächtigen Geist geschlossen hatten, als ich noch ein kleines Baby war. Ebenso waren sie nur zu meinem Schutz nach L. A gezogen, ein Eingeständnis das ich wirklich an allem Schuld gewesen bin. Sie hatten gehofft, dass ich so meinem Schicksal entgehen könnte, dem Floras Tor in der Blutmondnacht zu öffnen. Doch ihr Tot und meine Rückkehr haben dafür gesorgt, das ich zur falschen Zeit, am falschen Ort, am Mondsee gewesen bin.
Ihr Streit den Jasper so abrupt beendet hat, ging darum ob ich nach Flora gehen sollte, die Heimatwelt meiner Urahnen und obwohl meine Großmutter Elisabeth sie vor Jahren doch bereinigt hatte, scheinen dort neue Gefahr zu lauern. Das Problem dabei ist nur, mein Onkel ist dagegen und Miss Wales will es dafür umso mehr. Sie hat sogar gute Kommentare eingeworfen, ich müsste lernen wie man diese Wesen besiegt und ich bin wohl auch die einzige, die sie töten könnte, jedenfalls in dieser Welt.
Es ist ganz still und alle Blicke sind auf Jasper gerichtet, auch mein eigener, den er ist der Einzige der sich darum schert, ob ich mit ihm und seiner Mutter gehen will oder nicht. Sie selbst ist der Meinung, das ich es tun soll, da ihr Urgroßvater es Elisabeth geschworen hatte, jener Mann der die Bücher über sie geschrieben hat, damit ich einst verstehen würde.
"Jasper! Misch Dich nicht ein!", fährt ihn Lennert an. "Du ha ..."
Nun endgültig gereizt unterbreche ihn mitten im Satz:"HÖRT AUF ZU STREITEN! BENEHMT EUCH NICHT ALLE, WIE DIR GRÖSSTEN DEPPEN, DAS IST MEINE WAHL UND ICH WERDE NICHT TUN WAS IHR MIR ALLE VERSUCHT ZU BEFEHLEN!"
Es ist eigenartig, diese Art von Gefühlsausbrüchen ist ganz neu für mich. Wenn ich wütend, oder traurig bin, schlucke ich es meist runter, doch es tut verdammt gut auch mal zu schreien. Und nützlich ist es auch.
Perplex starren sie mich an. Jasper unterdrückt nicht gerade unoffensichtlich den Drang loszuprusten und seiner Mutter fallen fast die Augen aus dem Kopf, so angestrengt beäugt sie mich. Irgendwie wirken sie alle als wäre ich ihnen auf einmal eine Fremde.
"Du hast recht ...", entschuldigen sich die Erwachsenen im Chor bei mir.
Doch die Ruhe die ich daraufhin erwartet habe wird von Jasper Mutter je unterbrochen:"Hast du denn schon eine Entscheidung gefällt?"
In der Tat habe ich mich entschieden. Ich würde nach Flora gehen, denn die Aussichten stehen gut, das wenn ich dorthin verschwinde auch niemand von dort in diese Welt einkehren könnte. Und das ist das Wichtigste, ich brauchte kein Massaker auf der Erde, nur weil ich die falsche Wahl treffe. Doch es gibt noch einen Grund, ich fühle mich hier nicht heimisch, ob nun in L. A. oder in Lockwood, immer war ich eine Außenseiterin, weil ich mich selbst zu einer gemacht habe. Und vielleicht liegt das auch nur daran, weil ich gar nicht dazugehören will, da meine wahre Heimat Flora ist. Immerhin kommen meine Urahnen alle von dort.
Ich muss zugeben keine Elektronik klingt abschreckend, ebenso die Tatsache das es keine Duschen oder heißes Wasser auf Knopfdruck gibt, doch dafür würde ich das Kämpfen erlernen und das überleben unter schwierigen Umständen, worin ich bereits geübt bin. Dadurch würde ich irgendwann in der Lage sein, niemanden mehr kampflos sterben lassen zu müssen. Apropos kampflos, eine Frage geistert mir schon länger im Kopf herum, wäre ich in der Lage gewesen mich zu währen, wäre meine Eltern dann noch am Leben? Aber eigentlich haben mir all die Drogen doch schon längst die Zukunft verbaut, als ich an jenem Abend zugedröhnt war.
"Ich muss Euch etwas Frage!"
Gespannt halten sie die Luft an, doch das ich sie noch weiter mit Fragen bombadieren will, stimmt ihre Mienen eher Finster. Sie hatten wohl erwartet, das ich ihnen sofort meine Entscheidung mitteilen würde.
"Meine Eltern sind nicht durch einen Unfall gestorben oder? Es war Mord ... stimmts?", schlussfolgere ich aus allem, was in letzter Zeit vorgefallen ist. "Mich sollte es treffen. Sie waren nur leider am falschen Ort. Wäre ich in der Nacht nicht zu Darren abgehauen, dann würden sie noch leben ... Richtig!?"
Mein Onkel hebt seine Hand um sie mir zum Trost auf die Schulter zu legen, doch wütend schüttle ich sie ab. Mein Blick muss vor Wut sicher schon funken regnen lassen
"Nein! Ich will kein Mitleid mehr Onkel! Ich will nur wissen, ob ich richtig liege!", zische ich wütend.
Er erblasst auf der Stelle und ich fast werde ich wieder schwach. Doch noch rechtzeitig reiße ich mich zusammen, für die Antworten die ich unbedingt hören will, muss ich Opfer bringen. Kein lass sie doch reden, nie mehr nicken obwohl ich nicht einverstanden bin und keine Ablenkungen würde ich dulden, die mich von meinem Ziel abbringen.
Doch ihnen ist es wohl egal, das sie schweigen. Und so egal ist es auch mir, als ich die mit Bedacht gewählten Worte sage:"Ich werde Euch auch keine Antworten mehr geben. Und wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich bin Müde und in weniger als fünf Stunden muss ich aufstehen. Es ist Montag!"
Ich wende ihnen den Rücken zu und gehe ohne Umschweife rauf in mein Zimmer. Jasper folgt mir, seit der Sache gestern ist er wie mein Schatten, doch zum ersten Mal versucht er nicht mich zu bequatschen. Er bleibt ganz still und im Flur vor meinem Schlafzimmer stehen, als ich mich einschließe und mich noch vollständig bekleidet aufs Bett werfe.
Brutal schubst der große Pavian Milli auf den Boden und reißt sich ihren Rucksack unter den Nagel. Als er hinein sieht, reagiert er wütend, ich sehe wie er sie anschreit und ihr die Tasche vor die Füße schmeißt.
Mike Peters ist einfach nur ein übelriechender Vollidiot und leider auch noch im selben Jahrgang wie ich. Als wir kleiner waren, hatten wir uns fast täglich die Köpfe eingeschlagen. Es war kein Geheimnis, das wir uns hassten und selbst jetzt, Jahre danach, als ich den von Mitessern geplagten Klops wiedersehen muss, will ich ihm alles zurückzahlen.
Seine Streiche damals, wie das Juckpulver in meinen Sporthosen. Dass er mir die Schuld in die Schuhe geschoben hatte, den Hamster - das ehemalige Maskottchen der Erstklässler - freigelassen zu haben. Und das er sich nun an der armen wehrlosen Milli vergreift, sind alles Gründe wieso ich ihn büßen lassen möchte.
Mit unterdrückter Wut gehe ich ganz gelassen auf die beiden zu, bis eben hatte ich an den Tischtennisplatten rumgehangen. Amy und Lotta sind dabei gewesen mir von den letzten Footballspielen meines Cousins zu berichten. Ich verbringe seit einiger Zeit wieder mehr mit den Zwillingen und habe mich sogar an ihr weibisches Gefasel gewöhnt. Sie sind wieder zu den Mädchen geworden, die Mal meine besten Freundinnen waren, doch dummerweise erinnere ich mich an die frühere Zeit mit ihnen nur wegen der Erzählungen.
Nur durch Zufall habe ich überhaupt von diesem Szenario mitbekommen, das sich auf der anderen Seite des Schulhofes abspielt. Nachdem jemand herumposaunt hat, dass sich diese 17 Jährige Pickelfresse gerade an Milli Silver vergreift, habe ich mich sofort in Bewegung gesetzt, während ich meine Sachen bei den Zwillingen gelassen habe.
Er hält ein Buch in der Tasche, das einzige was er heraus genommen hatte. Es ist klein, Rosa gebunden und mit einem Schloss versehen. Mich überkommt das Ungute Gefühl, das es sich dabei um ihr Tagebuch handelt.
"Gib her!", befiehlt Milli dem 1.84m großen Klotz und versucht ihm das Buch zu entreißen, doch er zögert nicht und schubst sie unsanft mit dem Fuß.
Mike fährt sich durch sein schmantiges blondes Haar, das ihm auf der schwitzigen Stirn klebt und lacht sie aus. Er will sich sogar auf sie stürzen, nicht darauf achtend, das sie sich am Ellenbogen verletzt hat und weint.
Bei dem Blut das von ihrem aufgeschürften Arm läuft, sehe ich rot. Plötzlich finde ich mich wieder, wie meine Faust in seinem Magen landet und er sich am Boden zusammen kauert. So viel Kraft habe ich mir gar nicht zugemutet gehabt, doch nun bin ich froh sie zuhaben, er hat es nicht anders verdient.
Ich hebe ihr Tagebuch das er fallen lassen hat vom Boden auf, ehe ich den schlimmsten Drachen höre, den es auf unserer Erde gibt:"Das wird eine schöne Strafarbeit für sie geben Miss Silver!"
Seufzend reiche ich meiner nun verstört dreinblickenden Cousine ihr Tagebuch und ignoriere die Strafpredigt:"Alles in Ordnung kleine?"
Sie nickte und blickt zum Rektor, doch ich sehe mir ihre Wunde erst einmal genauer an. Es ist zum Glück nur ein Kratzer, Ich hätte den Pavian geköpft, wenn es schlimmer gewesen wäre.
Von ihr aus sehe ich noch einmal zu Mike, der sich den Magen hält und sich noch immer krümmt.
//Wie fest habe ich zu geschlagen? Sonst bekomme ich nicht einmal ein Glas Gurken auf …//
"Sie hat mich einfach angegriffen!", heult er dem Direktor seine Lüge vor.
Dieser mustert mich nur mit einem missbilligenden Blick, er hat mich von da an nicht mehr gemocht, als wir umgezogen sind. Der Kerl ist ein sehr altmodischer Freak und wer sich einmal von der Gemeinde abwendet, hat in seinen Augen kein Recht zur Rückkehr.
Als ich Mike wütend an funkle, springt er auf und läuft wie von einer Tarantel gestochen davon. Angewidert sehe ich mit an, wie sein fetter Arsch immer wieder aus der Hose rutscht und er sich diese deshalb stramm zieht und beim rennen fest hält.
"Willst Du was zu Deiner Verteidigung sagen?", fragte mich der Rektor nun direkt.
//Ich bin doch schon schuld, also sag mir schon meine Strafe// Ich zucke nur mit den Schultern und lasse meine Gedanken in meinem Kopf verweilen.
Noch rechtzeitig drücke ich Milli die Hand vor den Mund, als sie mich in Schutz nehmen will. An ihrer stelle knurre ich genervt:"Das würde eh nix bringen. Was soll diese Straffarbeit sein?"
Das finstere Grinsen, das seine Lippen umspielt, beunruhigt mich ebenso, wie die Tatsache das er einfach geht ohne mir zu antworten. Doch statt ihm nachzulaufen wie ein reue geplagter Köter, machte ich mich auf den Weg zurück zu den Tischtennisplatten. Milli folgt mir unsicher.
"Das war so stark von Dir! Aber jetzt bekommst Du ärger ... Tut mir leid!", sie steht wieder kurz davor los zu weinen, woraufhin ich ihr eine Hand aufs Haar lege und es zerwühle.
Meine Lippen bilden ein warmherziges Lächeln, ehe ich sage:"Du bist meine Cousine! Da macht es mir nichts aus, besonders wenn es dieser Idiot ist. Aber von nun an bleib in der Nähe von mir, den Zwillingen oder ..."
"Mir!", erklang die melodische Stimme meines Schattens.
"Andy!", erwidere ich abfällig.
Sicher hebt Jasper gerade fragend eine seiner perfekten Augenbrauen und blickt mich an, doch ich wende ihm desinteressiert den Rücken zu und ziehe Milli weiter.
Sie macht jedoch gleich einen großen Schritt zurück, als er mich zu sich herum reißt, und fiepst etwas, das sich nach Ehestreit anhört. Dann ist sie auch schon weg.
Der Schulhof ist menschenleer, es hat wohl schon längst gegongt, doch ich habe es in all der Aufregung total überhört. Amy und Lotta sind nirgendwo zusehen, dafür hat nun Jasper meinen Rucksack in der Hand.
Wir stehen uns direkt gegenüber und der Junge, dessen wahres Wesen ich noch immer nicht erkannt habe, knurrt mich wütend an. Er mag es nicht, wenn ich ihm meine Meinung sage, vermutlich weil ich ihm gegenüber meist falsch liege. Wobei, ich habe das recht dazu sauer zu sein.
Ich bin der festen Überzeugung, dass er alles Mitbekommen hat, was gerade geschehen ist. Seit gestern ist er mir keinen Schritt von der Seite gewichen, weiß immer was ich tue, noch bevor ich es selber weiß. Doch trotzdem hat er es zu gelassen, dass ich Mike schlage und hat sich dann nicht einmal für mich, oder Milli eingesetzt.
"Hast Du gerade Deine Sorgenwoche, oder warum bist Du so blöd drauf?", mault er mich zornig an.
"Ach halt die Klappe und geh mir aus den Augen, jetzt brauch ich Deine Hilfe nicht mehr!", zicke ich zurück. „Außerdem geht dich das nichts an!“
Er setzt sich immer nur dann für mich ein, wenn ich es nicht für nötig halte, doch wenn es anders herum ist, wie bei der Sache mit der Strafarbeit, bleibt er der stumme Zuschauer.
//Vielen Dank auch für nichts ...//
Sein Gesicht Ausdruck wird von ratlos, zu zornig von jetzt auf gleich. Vermutlich hat es endlich bei ihm gedämmert, weshalb ich so sauer bin. Seine Entschuldigung könnte er sich getreu sparen.
Doch anstelle der Entschuldigung, bleibt der Zorn in seinen Gesichtszügen bestehen und er ballt seine Hände zu Fäusten. Jaspers Haltung ist angespannt und ich warte auf eine typische Reaktion, einen Streit den keiner uns gewinne kann, doch anstatt etwas zu sagen, wie ich es von ihm erwarte - er kann sonst ja auch nie den Mund halten – gibt er einen eigenartigen Laut von sich. Es klingt fast so wie Krächzen und dazu auch noch ein wütendes. Jasper krächzt mich doch tatsächlich gerade an und es klingt fast so wie eine Beleidigung.
Irritiert sehe ich mich um, wir sind noch immer allein. Das hat er wohl bedacht, keiner soll wissen, dass er kein Mensch ist. Und dabei fällt mir wieder ein, ich weiß ja selbst nicht was er ist.
Er kann sich in einen Raben verwandeln und das ist echt cool, aber was ist er nur für ein Wesen? Ehe ich ihn fragen kann zerrt er mich mit sich. Doch nicht in Richtung des Schulgebäudes, sondern vom Schulhof runter. Dabei ist sein Griff um mein Handgelenk so fest, das ich mich ihm nicht entwenden kann, weshalb ich gar nicht versuche abzuhauen.
Eine geschlagene halbe Stunde nach dem wir von der Schule aus durch die Stadt geeilt sind und er mich bei der kleinsten Pause wieder zum weiter machen angespornt hatte, bleiben wir endlich stehen. Erschöpft stütze ich mich auf meinen Knien ab und sammle mich erst einmal etwas. Mir ist schwindelig und ich wünsche mir so sehr ein kühles Glas Orangensaft, oder wenigstens ein Wasser.
„Geht es dir gut?“, fragt er mich verwundert und ich stelle fest, das er nicht einen Schweißtropfen vergossen hat. „Hast du irgendwas?“
„Bist du irgendwie immun gegen sportliche Anstrengung ...“, ächze ich und lasse mich erschöpft auf den Boden plumpsen um meine Stirn an meine Knie zu lehnen. „Du bist mir unheimlich … ich krepiere hier fast weil ich von rennen ganz kaputt bin und du stehst da, als wärst du spazieren gewesen.“
„Das kommt davon weil du so unsportlich bist!“, sagt er mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht und weicht gekonnt dem Kieselstein aus, den ich mit gespielter Empörung nach ihm werfe.
„Idiot!“, kichere ich und schaue mich etwas um, als ich wieder zu Atem gekommen bin.
Wir sind vor einem kleinen, einfachen Häuschen zum stehen gekommen, dessen Hintergarten von einem riesigen, weißen Zaun umschlossen ist, sodass man nicht darüber sehen kann. Und ebenso wenig könnte man darüber klettern - drei Meter hoch schätze ich ihn – sind etwas zu hoch, und womöglich genaustens beabsichtigt.
„Steh auf!“, sagt er auf einmal ohne sein Grinsen und reicht mir seine Hand.
Ich ergreife sie zögerlich und lasse ihn mir aufhelfen, während ich ihn frage:"Wo sind wir, ich kenne diese Gegend gar nicht? Oder jedenfalls das Haus nicht ..."
Er lässt mich nicht los, als ich wieder auf meinen Füßen stehe, sondern zieht mich mit sich auf die Tür zu. Schweigend kramt er einen Schlüssel aus der Tasche seiner Lederjacke und steckt ihn ins Schloss. Mir ist gleich klar wo wir sind, immerhin hat Amy mir mal erzählt, dass er und seine Mutter sehr abgelegen von den anderen Dorfbewohnern lebe. Zwar noch in der Stadt, doch auch nahe an der Grenze zum Wald, der zum Mondsee führt.
Ich muss mir gestehen, ich hatte mir sein Haus viel prächtiger vorgestellt. Miss Wales ist sonst ja auch immer so vornehm gekleidet, mit einem altertümlichen ticken. Sie scheint mir nicht besonders viel übrig für die Moderne zu haben, jeden Morgen sehe ich wie sie zu Fuß zur Schule geht, da sie nicht einmal ein Auto, oder Fahrrad besitzt.
"Diese neumodischen Erfindungen machen einen doch nur Faul", hatte sie gemeint. "Ich möchte nicht noch Träge in meinen alten Jahren werden, sonst kann ich irgendwann nicht einmal mehr eine Meile laufen!"
Seit ich weiß das sie gar nicht von der Erde kommt, sondern aus Flora, verstehe ich ihre Abneigung sogar. Denn in ihrer Heimatwelt gibt es so etwas wie Elektrizität nicht. Und wenn sie sich wirklich schnell fortbewegen wollen, nehmen sie ein Pferd oder eine Kutsche. Obwohl, wenn man ein Vampir oder ein Werwolf ist, braucht man nicht einmal das. Sie können sich selbst blitzschnell fortbewegen und sind bestimmt auch nie außer Atem.
Doch ich glaube wohl kaum daran, das Jasper eins von den beiden Wesen ist. Ich konnte gleich ausschließen, dass er Vampir oder Werwolf ist, als ich sah das er zu dieser riesigen Krähe geworden ist. Obwohl, er ist nicht gerade langsam.
Ruckartig reißt er mich ins Haus hinein, als ich noch immer abgelenkt von meinen umher schwirrenden Gedanken, nicht schnell genug hinterher gekommen bin.
Ich stolperte über den altmodischen, dunkelroten Teppich im Hausflur und strebe ungewollt an auf die Nase zu fallen, doch wieder einmal bewahrt mich Jasper davor. Das er mich auffängt, kommt eindeutig viel zu oft vor.
"Hey! Wenn du mich gleich im K ...", ich unterbreche mich selbst mitten im Satz und sehe mich erstaunt um.
Von innen sieht es hier viermal so groß aus als von außen. Doch so etwas ist doch eigentlich gar nicht möglich, oder etwa doch? Wie kann ein Haus innen riesig sein, fast wie eine Villa und von außen klein wie eine Hütte für zwei.
Als er meinen erstaunten Blick bemerkt, verschwindet die unerklärliche Wut aus seinem Blick und er lächelt schief vor sich hin. Doch ich lasse mich nicht von diesem Lächeln in seinen Bann ziehen, diesmal nicht. Das Haus hat es mir zu sehr angetan und ich möchte es umso lieber erkunden.
Ich steuerte über den Teppich bezogenen Boden, auf eine Karte zu. Sie hängt an einer breiten Wand im Flur, ist ganz alt und noch von Hand gezeichnet. Nicht bunt und gedruckt wie all die Welt – und Landkarten heutzutage. In der Mitte dieser steht ganz groß geschrieben Flora.
Diese Welt, die ich nun vor mir auf der Karte sehe, ist ganz anders als unsere Erde. Die Ozeane und Meere haben keine Namen. Es gibt nur weniger Städte und die Welt ist in einander verwachsen. Keine Schiffsfahrt trennt die Länder von einander und sie heißen alle ganz anders als die in dieser Welt. Ein Name ist jedoch gleich, Lockwood.
Meine Hand schnellt zur Karte, ich legte den Finger auf die geschwungenen Linien, die das Stück Land umkreisen, und fahre sie nach. Es ist eine viel größere Version unserer eigenen Stadt, doch trotz dessen hat es genau dieselbe Form.
"Du hast es also entdeckt!", ertönt Jasper Stimme gleich hinter mir.
Er beugt sich über meine Schulter, die er mit seiner kräftigen Brust berührte, ohne auf Abstand zu gehen. Wieder überkommt mich die Hitze, die ich seit längerem in seiner Gegenwart verspüre und ich hoffe sehr, dass ich nicht so rot wie eine Tomate werde.
Seinen Finger legt er gleich neben meinen an und zeigt auf einen Hügel, oder eher auf die Hügel, denn es sind mehrere die dicht an einer Stadt namens Kreta liegen. Ebenso dicht dran, gibt es einen riesigen Wald, dreimal so groß wie der unsrige.
Verlegen realisiere ich, das seine Hand halb über meiner liegt und zucke nur ganz kurz zurück, ziehe sie aber nicht weg, um ihm nicht auch noch zu zeigen welche Wirkung er auf mich hat. Er scheint genauso stur zu sein wie ich, den er lässt seine dort wo ist.
//Der kann lange warten, ich gebe nicht als erste nach …//
Ich sammle meine Konzentration zusammen um sie auf etwas ganz offensichtliches zu lenken.
"Das ist Elisabeths Heimat!", stelle ich fest und erinnere mich an die Beschreibung im Buch. „Also stimmt das alles wirklich ...“
Sie ist dort in Kreta geboren worden, als Prinzessin. Ihr Vater war ein Mensch gewesen, so hieß es und ihre Mutter eine himmlische Prinzessin. Als diese mit ihr schwanger geworden war, wurde sie auf die Erde verstoßen. Sie lebten nur ein, zwei Jahre zusammen, weshalb Elisabeth sich nicht an ihre Mutter erinnerte. Einsam wuchs sie in Kreta auf, hatte keine Aussichten zu überleben, bis zu jenem Tag, als der König Lockwoods sie vor einem Mord bewahrte.
"Mein Großvater ... er wollte sie und den König töten lassen oder?", frage ich Jasper und drehe den Kopf zu ihm.
Unsere Nasenspitzen berühren sich schon fast, so nah ist er an mich herangerückt um die Karte zu lesen.
Sein heißer Atem, der nach Minze riecht, streicht mir über das Gesicht. //Was habe ich ihn noch einmal gefragt?// Seine Augen starren in meine und er beugt sich vor. Ich will es. Ich will das er mich küsst, doch das ist nicht richtig ... Nicht so kurz nach einer Trennung mit dem größten Idioten der Welt.
Etwas an mir an mir hält ihn auf, vielleicht mein Blick oder meine Haltung, die sich plötzlich versteift, doch was es auch ist, noch wenige Millimeter bevor sich unsere Lippen trafen, ist er zurück gewichen. Verlegen hüstelt er in seine Armbeuge und dreht mir eilig den Rücken zu.
Ein erleichtertes Seufzen entfährt mir, ich versuche es so leise wie möglich klingen zu lassen. Jasper läuft weiter durch das Haus und ich folge ihm rasch.
"Ist dass Magie?", wechsle ich das Thema, als die Stille zwischen uns, für mich einfach nur noch unerträglich wird.
Dabei sehe ich mir die vielen Gemälde an den lang gezogenen Rotbraunen Wänden an. Auf einem ist Miss Wales abgebildet, doch sie trägt nicht ihre übliche Kleidung, sondern ein altmodisches, elegantes Kleid in Rot und schwarz. Das Haar fällt in Locken über ihre schmalen Schultern und sie sieht darauf um zehn Jahre jünger aus. Und dazu noch, ist sie darauf viel hübscher als gewöhnlich.
"Was?", fragte er verwirrt und bleibt abrupt stehen.
Vermutlich hat er es als Anspielung auf den beinah Kuss von gerade verstanden, weshalb ich ihn schnell aufkläre:"Das Haus ist von innen so groß und von außen so mickrig ... Kein Wunder, dass ihr nie jemanden reinlasst!"
"Ahso! Ja …, das ist Magie. Meine Mutter ist Magierin!", erwiderte er distanziert.
"Dann bist du ja auch einer oder?", frage ich hoffnungsvoll, im Glauben endlich zu wissen, was er ist. Und dann fällt mir der dümmste Fehler auf, denn ich je hätte machen können. "Du bist ein Gastaltwandler!"
"Bingo!", sagt er herablassend. "Du hast es endlich mal gecheckt, dass Lucian mein Großvater ist. Und ja zur Hälfte bin ich Magier, doch sonst bin ich ein Gastaltwandler."
Er geht wieder weiter und läuft zu der Hintertür am anderen ende des Flures, gleich hinter der Treppe, die in den ersten Stock führt und der Haustür gleich gegenüber liegt.
"Ich wusste es schon ..., aber warum bist Du jetzt wieder so gemein?", nuschle ich verwirrt über seine ständigen Stimmungsschwankungen. „Ich verstehe dich einfach nicht ...“
Schweigend macht er die Hintertür zum Garten auf und präsentiert mir einen unglaublichen Anblick. Ich weiß nicht so genau, was ich erwartet habe, vielleicht ein Portal nach Flora, oder einen perfekten Garten voller eigenartiger Kräuter und Pflanzen. Doch ich hätte nie an das gedacht, was ich nur erblicke.
"Aaah!", jaule ich auf, als mir der kleine Wolf entgegen springt und mich auf den Boden schmeißt.
Er will mir mir mit seiner rauen, langen Zunge über mein Gesicht schlecken, während er sich an mich schmiegt. Noch rechtzeitig drehe ich es von ihm weg, sodass nur meine rechte Wange und mein Ohr, die feuchte, warme Sabber zu spüren bekommen.
Er war ist groß wie ein ausgewachsener Schäfer Hund und schwer. Und er drückt mir - vermutlich nicht mit Absicht - den Brustkorb zu, woraufhin ich einerseits angewidert von seinem lecken und andererseits wegen des Luftmangels, vor mich hin röchle.
"Schon wieder ausgebrochen, verdammt!", flucht Jasper und reißt das Tier zu meiner Erleichterung von mir runter.
Keuchte sauge ich die frische Luft ein und trockne die Sabber mit dem Saum meines Pullis. Ganz langsam nehme ich den Rest meiner Umgebung wahr und bemerke, dass der Wolf nicht dass einzige hier ist, dass mich von den Beinen reißt.
Obwohl wir erst Mittag haben scheint über uns der dunkle Sternen Himmel und ein bläulich schimmernder Mond, der umgeben von lauter kleinen und großen Sternen ist. Statt einer Wiese, oder Blumen, finde ich hier einen kleinen Miniatur Wald vor.
Kleine leuchtende Wesen fliegen herum und spielen eine schöne Melodie, wie ein leises Schlaflied. Ich kann es nicht glauben, ich sehe tatsächlich kleine Feen und sie tragen schön Kleider, passend zu ihren bunten, aufwendig gestalteten Haaren.
Es gibt einen kleinen plätschernden Bach, ein paar Meter von der Hintertür entfernt. Und im Mondschein leuchtete selbst die Quelle, deren Steine ein ebenso bläuliches Licht in die Dunkelheit abwerfen, wie der Mond.
"Wie?", frage ich nur und sehe mich fasziniert um.
Jasper sieht auf mich herab, ich liege noch immer auf dem Boden. An seiner Seite steht der Wolf und mir fällt auf wie jung er ist. Es ist ein sehr schönes Tier und sein Fell schimmert silbern. Und ich muss gestehen, ich fand Wölfe schon immer toll und jetzt so einen auch noch in Zahm zu sehen, lässt mich vor Freunde innerlich hüpfen.
Er hechelte mich an und ich setzte mich auf, so das wir einander auf Augenhöhe begegnen. Zögerlich strecke ich die Hand nach ihm aus aus, warte darauf dass er sie erst beschnuppert, doch stattdessen lehnt er fordernd seinen Kopf an meine Handfläche. Ich gehe seiner Forderungen nach und streichle ihn über sein samtweiches Fell.
"Jasper ...? Ist das ein Traum?"
"Kommt drauf an, ist es ein schöner, oder doch eher ein Albtraum?"
"Du hast sie also nicht nur zum Schwänzen animiert, sondern außerdem hast Du ihr den Garten und die Drillinge gezeigt! Was hast Du Dir dabei gedacht Jasper James Wales?", fragt Miss Wales tadelnd, ihr Blick eiskalt.
Sie schimpft erst seit gerade eben mit uns oder viel eher mit Jasper, doch trotzdem ist es schlimmer als jede Strafpredigt, die ich je bekommen hatte. Miss Wales hat sich wegen der vergangenen Vorfälle wohl sehr um meine Sicherheit gesorgt, als ich nicht in ihrer Lyrikstunde erschienen bin, die ich sonst nie ausließ. Meinen Onkel hat sie auch verständigt gehabt und sie hatten mich zusammen überall gesucht. Nun hat sie mich gefunden und ist nicht sehr erfreut. Besonders nicht, darüber, dass Jasper mich her geschleift hat.
Eigentlich war es bis jetzt echt schön gewesen, Jasper und ich haben uns an den Bach, auf die schöne rote Picknickdecke gesetzt, die er extra noch für uns geholt hat. Dann hat er mir die Feendrillinge Louise, Marielle und Emilia vorgestellt.
Es sind süße kleine Orakelfeen, die mir meine Zukunft deuten sollten, wenn ich bereit dazu wäre. Außerdem pflegen sie noch den Garten der Wales und kümmern sich um den Wolf, der mich an der Tür angefallen hat. Snow, so heißt der Racker und er ist Jasper bester Freund.
Sie alle sind mit den zusammen Wales, aus Flora hierher gereist und ich hätte sie, wie Jasper es mir schon erzählt hat, erst kennenlernen dürfen, wenn ich überhaupt einverstanden bin mit ihnen zukommen. Doch ihm ist wohl klar gewesen, man könnte mich nicht überzeugen, wenn weiterhin nur diese Bilder, dieser schrecklichen Kreaturen aus dem See in meinen Erinnerungen brennen.
Und hat recht damit, denn es ist ein großer Bestandteil der Sache, weshalb ich mich noch immer nicht entschieden habe mit nach Flora zugehen. Diese Dinger haben mir einfach keine Ruhe mehr gelassen seit dem Vorfall mir die Entscheidung nur erschwert. Obwohl ich diese mit Leichtigkeit hätte fällen müssen, immerhin liegt es mir im Blut. Das Schwert hörte von nun an, nur auf mich und meine Ururgroßmutter hatte alles gegeben für die Rettung ihrer Heimat. Will ich das alles verkommen lassen, weil ich Angst habe? Und das, obwohl ich von ihrer Heldengeschichte gelesen habe.
"Du willst doch auch, dass sie mitkommt!", erwidert er und macht sich nicht einmal Mühe zu lügen. "Doch das geht nicht, wenn sie nichts von unserer Welt sieht und hört, außer der Kreaturen wie die im Wasser letztes Mal. Ich habe auf Dich gewartet, damit Du es ihr erzählen kannst. Also?"
Verwirrt blicke ich zwischen den Beiden umher. Ihre Lippen ziehen sich zu einer schmalen Linie zusammen und er funkelte sie ernst an. Ich kann ganz deutlich die Spannung in der Luft spüren und doch übersteigt meine Neugierde das Verlagen nachhause zu gehen.
"Was denn erzählen?", entfährt es mir, bevor ich die Worte richtig überdacht habe.
Miss Wales Gesichtszüge werden weicher beim Klang meiner, die Kälte verschwindet aus ihnen und ein Seufzend entgleitet ihr. Sie nickt langsam und bedacht, bevor sie mich anschaut. Ihr Blick ist prüfend, weshalb ich besonders viel Mühe gebe ihm standhaft entgegen zu wirken.
"Du hast die Bücher gelesen, Du weißt von der Legende richtig?", möchte sie von mir wissen und winkt mich mit sich ins Haus.
Wir laufen ihr nach und ich erwiderte ihr, kaum bin ich durch die Hintertür geschlüpft:"Ja! Der Tyrann ... er kehrt zurück, sobald der Blutmond erstrahlt. In der Nacht, in der die Auserwählte, das wäre ja wohl ich, erscheint. Er ist wieder da oder?"
Sie geht den Flur neben der Treppe entlang, zurück zur Eingangstür, biegt jedoch dann nach links und öffnete eine große Tür, aus dunklem Hartholz, die verziert mit verschiedenen Figuren ist. Es sind dort Elfen, Wölfe und andere Kreaturen, von denen mir einige nicht einmal etwas sagen, abgebildet.
"Gut! Das weißt du schon mal, doch weißt Du auch, dass Du ein Training durchmachen musst, wenn Du beschließt, mit und zugehen? Es wird ein schweres Training in einer Stadt abseits Lockwoods."
Ich stelle fest, das sie meine Frage, ob er zurück gekehrt ist, vollständig ignoriert. Vermutlich will sie nicht von ihm sprechen, ob sie wohl angst vor ihm hat? Vermutlich ja, selbst ich, die nur von ihm gelesen hatte, erschaudere vor Angst, wenn ich daran denke auf ihn zu treffen.
Sie stößt die schwer aussehende Tür ganz leicht mit einer Hand auf und führt uns in einen riesigen Speisesaal. Mir sticht der lange Tisch, der sich durch den ebenso langgezogenen Raum zieht als aller erstes ins Auge. Er besteht aus demselben dunklen Holz wie die Tür und ebenso die etwa 50 Stühle drum herum. Je mehr ich von diesem Haus sehen, umso weniger kann ich glauben das es das selbe ist, wie das welches ich heute zusammen mit Jasper betreten habe.
Als wir uns setzen, lasse ich mir ihre Worte wieder durch den Kopf gehen. Ein Training wäre eine gute Sache, doch wie lange würde es gehen? Innerhalb von wenigen Tagen konnte ich nichts lernen, was mich auf den Kampf vorbereiten würde, oder hatte sie vielleicht eine Art spezial super Training für mich? //Ich schaffe das doch niemals …//
Jasper sitzt auf dem Stuhl gleich neben und seine Mutter auf dem uns gleich gegenüber, als wäre sie die Direktorin und wir die Schüler die bestraft werden würden.
//Ein vorgeschmack auf Morgen vielleicht …?“ Denke ich mir und versuche meine Anspannung etwas zu lockern, was nicht so besonders gut klappen will.
Zögerlich schaue ich mich nun etwas genauer um, der Saal ist prächtig gestaltet, über uns prangt ein riesiger Kronleuchter, der vermutlich mit echten Kristallen besetzt ist. Ein altmodischer Teppich zieht sich nur unter dem Tisch entlang und es gibt noch einen Kamin zwischen den riesigen Fenstern, die mir eine fantastische Sicht, auf eine befremdliche Umgebung preisgeben. So wunderschön, das ich fast schon glaube nicht mehr in unserer Welt zu sein.
Ich weiß dank der Feennatürlich schon, dass alles hier nur Illusion ist. Der Garten und ebenso der Rest. Die Wales hatten Heimweh gehabt, daher gibt es auch all diese realen Erinnerungen, die Jasper Mutter in diesem Haus erschaffen hatte.
"Was ist der Haken daran, wenn ich mit euch komme?"
Jasper antwortet anstelle seiner Mutter:"Du wirst eine lange Zeit nicht hier her zurückkehren können. Musst Deine Familie aufgeben, um sie zu beschützen und ebenso deine Freunde. Das Training wird hart und vielleicht ein oder zwei Jahre brauchen. Außerdem,bald wird das Schwert sie nicht mehr aufhalten können, die Yokos sind noch schwach, aber wie lange wissen wir nicht. Alle werden in größter Gefahr schweben, wenn du bleibst, doch wenn du diese Welt verlässt ist der Weg solange versperrt, bis du zurück gehst."
"Ich brauche, etwas Zeit!", wispere ich gedankenverloren. "Außerdem … ich habe da eine Bedingung. Ich möchte, falls ich mich dazu entscheide, von allen Abschied nehmen können!"
Miss Wales nickt und lächelt mir zu, es ist ungewohnt, doch ich glaube ich habe sie mit meiner plötzlichen Entschlossenheit beeindruckt. Doch als ich zu Jasper sehe, klopft er unruhig mit dem Finger auf den Tisch. Ihm ist deutlich anzusehen, das es ihm bei der Sache nicht sehr wohl ist. Er würde am liebsten jetzt schon los ziehen. Und genau deswegen bin ich ihm auch so dankbar, das er mich selbst entscheiden lässt, immerhin ist er es wohl nicht gewohnt, das man ihm Bedingungen stellt.
„In Ordnung ...“, grummelt er und ist dann wie erstarrt, als ich ihm, um ihn meinen Dank zu zeigen, einen Kuss auf die Wange drücke.
"Ich habe sie. Ich habe die liebe, kleine Milli.", kichert die Stimme der irren maskierten Frau. "Meine Yokos werden sie töten. Töten werden sie sie. Außer Du opferst Dich. Komm zu mir! Rette sie!"
"Wo bist!?", rufe ich rauf zum Ast, auf dem diese komische Frau in meinem Traum sitzt. Es kommt mir eigenartig vor, das ich sie nicht wieder in dem komischen Zimmer treffe, der voll mit diesem Rauch ist und ich nicht dem Duft von Gras gefolgt bin. Und es spielt dieses Mal auch gar keine Musik.
Wir sind draußen in einem Wald in meinem. Ich höre das Wasser vom Mondsee ganz deutlich fließen und fühle mich wie auch sonst zuhause.
"Ich bin doch vor dir!", lacht sie.
Sie trägt noch immer diese grauenvolle Maske, nur scheint das Grinsen darauf umso blutrünstiger und noch viel Geisteskranker als sonst. Der Blutgetränkte, vermutlich vorher mal grau gewesene Umhang, machte ihren Anblick nicht gerade erfreulicher.
"NEIN!"
„MILLI!?“
Ich erkenne ihren Schrei gleich, sie hat Angst. Aber das ist doch nur ein Traum oder? Das kann nichts anderes sein, doch warum ist es mir dann dieses Mal völlig unmöglich ihn zu steuern?
"Wo bist du in Wirklichkeit?"
"Komm zu mir, wenn Du willst, das sie lebt Prinzessin! Du weißt, wo Du mich findest!"
Das sanfte Rütteln an meinen Schultern wird von Jaspers ruhiger Stimme unterbrochen:"Du hast geschrien. Ist alles in Ordnung Vio?"
Die Sorge in seiner Stimme ist nicht zu überhören, doch sie hat eine andere Wirkung auf mich als er sich wohl erhofft hat, denn die Bilder des Traumes kehren augenblicklich zurück.
Ich öffnete meine Augen und sehe ihm so gleich in die seinen. Es ist dunkel, doch mein Fenster, dessen Vorhänge zur Seite geschoben sind, lassen den Mond in den Raum hinein scheinen und hellen sein Gesicht auf. Doch dieses Mal lässt mich sein sonst so atemberaubender Anblick, mehr als nur kalt.
Ich springe auf, reiße mich von ihm los, dann stolpere über seine langen Beine. Er kniete neben mir vor dem Bett und beugt sich verwundert über mich.
"Violette was ist los?", er hebt mich auf, dieses Mal hat er mich nicht davor bewahrt auf mein Gesicht zufallen. "Oh Shit, Deine Nase blutet!"
Ich fahre mir mit der Hand über die Nase, im Mondlicht schimmert die dunkle Flüssigkeit an meinen Finger. Bei dem Anblick wird mir schlecht. So schlecht, dass ich nichts dagegen tue, als er mich ans sich zieht. Meinen Kopf an seine Brust lehnte und umarmte.
"Was ist los?", fragte er wieder aufs Neue und reicht mir ein Taschentuch, vom Nachttisch.
"Ich hatte einen Traum ..."
Seine Hände fahren mir übers Haar und verfangen sich darin. Sanft zieht er seine Finger heraus und setzt erneut an, diesmal stellt er sich geschickter an. Mit dem Kinn stützt er seinen Kopf auf meinem ab und wiegt mich sanft.
"Einen Albtraum also ...", überlegte er mit dunkler Stimme. "Willst Du darüber reden?"
Ich will nicht reden, ich will es überprüfen, doch in diesem Zustand würde ich noch am Treppenabsatz fallen und mir womöglich das Genick brechen. Nein, ich bin noch nie ein Fan von Optimismus gewesen und seitdem hier alles so schräg ist, wird meine Einstellung immer schlechter.
Widerwillig wähle ich meine Worte und presste das Tuch an meine Nase:"Es ... Es war nicht gerade ein Albtraum. Es war zu echt ... Da war diese Frau, mit dieser grauenvollen Mas ..."
" ... ke!", beendete er meinen Satz abrupt.
Er drückte mich unsanft weg, packt mich an den Schultern und dreht mich so rum, das ich ihn ansehen muss. Seine verstörte Miene verheißt nichts Gutes und die Angst um Milli, wird zur blanken Panik.
"Milli ..."
Dieses eine Wort aus meinem Mund reicht ihm völlig aus, um mich auf seine Arme zu hieven und mit mir aus meinem Zimmer zurennen. Und obwohl er nirgends das Licht anschaltet, bewegte er sich schnell und geschmeidig zur Treppe und rauf in den zweiten Stock. Und dabei strauchelte er kein einziges Mal, oder lässt mich irgendwo gegen stoßen.
Als er an Millis Zimmertür ankommt, steht sie offen. Ihr Bett steht ganz hinten im Raum. Im Dunkeln kann ich aus dieser Entfernung nichts erkennen, doch Jasper wohl schon, denn seine Haltung verspannt sich. Seine Muskeln spannt er dabei so stark an, dass ich sie durch sein dünnes Shirt spüre wie nie zuvor.
Er presst mich fester an sich, als erwarte er, dass ich mich losreißen und zum Bett laufen würde, um selbst festzustellen, dass Milli fort ist. Doch ich brauchte keinen Beweis, ich traue ihm voll und ganz. Stattdessen vergrabe ich mein Gesicht in seinem Shirt und weint.
"LASS MICH!", brüllt Lennert, doch er kann nichts gegen die starke Hand in seinem Nacken ausrichten, die ihn gepackt hält.
Tante Cora weint - so wie ich kurz zuvor - und Andy hält sie dabei verwirrt im Arm. Er versteht zurecht nicht, was hier vor sich geht. Man hat es ihm ja auch noch immer nicht erklärt.
"Was ist hier los? Verdammt, warum sagt mir keiner, was hier abgeht?", er durchbohrt mich mit seinem fragenden Blick. „Viollette sag mir Bitte was los ist!“
Mir klar, das es nicht mehr so weiter gehen darf. Meine Cousine ist bereits in Gefahr und dabei versteht sie sicherlich nicht einmal, was los ist. Nicht noch jemand soll unwissend in Gefahr geraten. Nicht wegen mir. Nicht Andy.
"Andy ...", setze ich an, doch Jasper unterbricht mich.
"Nein! Er soll nichts wissen! Lass es!", schnauzte er gereizt. "Du machst es kompliziert Du Dumme Nuss!"
Ich funkle ihn zornig an, er geht zu weit:"Halt die Klappe Du Idiot! Milli wusste nicht einmal Bescheid und jetzt hat sie bestimmt noch viel mehr Angst! Ich will das er es weiß! Und ich werde meine Bestimmung nicht annehmen, solange er unwissend ist und sie nicht gerettet! Kapiert!?"
Er sucht nach den passenden Worten, doch ihm fallen glücklicherweise keine ein. Welch Glück, den mein Mut verlässt mich gleich wieder und ich fühle mich schuldig, da ich ihn einen Idioten nannte, obwohl er sicher um einiges Klüger ist als ich.
Ebenso, ratlos über meinen plötzlichen Sinneswandel, sehen mich die anderen nun an. Miss Wales hält meinen Onkel noch immer hinten am Kragen seines Hemdes fest und auch sie mustert mich. Ich wartete darauf, dass sie ihn loslässt und mir eine Standpauke zu dem Thema halten wird. Sie ist immerhin ebenso strikt gegen alles wie ihr Sohn, wenn nicht sogar noch weniger von dem begeistert was ich normalerweise denke. Doch stattdessen nickt sie mir ermutigend zu.
Ich gehe zu Andy und meiner Tante und frage diese:"Darf ich Andy eben entführen? Bitte Cora, ich werde mich um alles Kümmern. Du musst mir bloß vertrauen! Und Du natürlich auch Andy ..."
Meine Tante hat längst zu weinen aufgehört, doch ihr Gesicht ist noch rot befleckt, so wie bei mir, wenn ich weine. Sie versuch mir ein Lächeln zu schenken, doch es ist gebrochen, so wie ihr Herz. Ohne weitere Worte geht sie zu Lennert, den Miss Wales darauf hin los lässt.
Ich schnappe mir Andy, ohne auf Jaspers flehenden Blick zu reagieren. Ich würde es sagen, komme, was wolle, ob nun mit oder ihn. Meine Familie muss schließlich die Wahrheit kennen.
Andy selbst ist wie gelähmt. Als ich ihn hinter mich herziehe, folgt mir zwar, doch ist nicht bei der Sache. Seine Schritte sind mechanisch, als sei er ein Roboter. Erst als ich mit ihm die Treppe ansteuere, bleibt er ruckartig stehen. Entreißt mir dabei seine Hand und stampft laut auf dem Boden auf.
"WAS IST HIER LOS? SEIT DU HIER BIST, GEHT ALLES DRUNTER UND DRÜBER! WIESO TUST DU DAS? HAST DU WIEDER VERSUCHT ABZUHAUEN? HAST DU SPASS DARAN UNS ALLES KAPUTT ZUMACHEN?"
Mein altes, früher so zickiges und emotional Instabiles ich, hätte mit fiesen gegen Kommentaren reagiert, doch ich weiß nun, dass er so etwas nur aus Sorge sagt. Ich weiß das er mich nicht hasst und das ihm alles ebenso viel Angst bereitet, wie mir. Wenn nicht sogar mehr, denn ich habe wenigstens eine davon, was hier vor sich geht.
Ich umarmte ihn, so fest, dass er sich nicht entziehen kann, warte so lange, bis er die Umarmung fest, fast schon Luft abschnürend erwidert.
"Es tut mir alles Leid. Sie wollten Euch nicht mit reinziehen", flüstere ich, ehe ich die Stimme etwas hebe. "Weißt Du ..., ich bin kein gewöhnlicher Mensch! Meine Mutter, deine Tante ... Ich ... Wir stammen von einer Prinzessin vom Mond ab! Sie war nur die Halbschwester Deines Vaters, daher bin auch nur ich halb Mensch und halb Mond irgendwas ... Das ist alles so verwirrend und kompliziert ... ich ... ich weiß ..."
Ich breche nur kurz ab, um zu überprüfen, ob er auch etwas dazu sagen will, doch er bleibt stumm, erwiderte die Umarmung nun noch zitternder, als bräuchte er halt.
Er atmete hörbar, laut auf. Als ich nun doch zulange, schweige, räusperte er sich ungeduldig. Er scheint es mir abzukaufen, obwohl es doch unglaubwürdiger nicht sein könnte.
"Ich habe es selbst erst vor wenigen Tagen, nach dem ich nach unserem Streit auf der Party, in den Wald abgehauen bin, erfahren. Und dann hörte ich Jasper, er schwamm dort im See herum, wir unterhielten uns etwas ... Doch plötzlich, im Schein des Blutmondes, erschien im Wasser diese Kreatur. Man nennt solche Wesen wie sie Yoko, oder auch Menschenfresser. Ich hatte Angst und dann ... Ich habe mich irgendwie verwandelt. Auf einmal trug ich dieses komische Kleid und zog eine Klinge aus meinen Rippen. Ich habe dieses Wesen irgendwie abgewimmelt und das Schwert in den Baum gerammt, da es anscheinend den Weg von einem Reich außerhalb dieser Welt, hierher versperrt. Doch anscheinend hat etwas es noch da raus geschafft ... und es hat Milli! Ich muss sie retten!"
Er lässt mich los und wir treten einige Schritte voneinander weg. Er muss es alles erst einmal verdauen und tritt auf einmal gegen die Kommode neben der Wohnzimmertür. Die Vase kracht runter und zersplittert und Wasser zusammen mit den Blumen verteilt sich auf dem Teppich.
"Was machen wir denn jetzt? Das Schwert! Wie kommst du da dran ohne noch mehr frei zulassen?", spricht er verzweifelt auf mich ein.
Ich habe auch schon daran gedacht es zu holen, ohne Kuraiko, wie sollte ich sie besiegen, oder gar töten? Würde ich das Schwert aber aus dem Baum ziehen, so würde der Weg für die Monster frei sein. Doch würde ich es dort lassen, so würde ich spätesten Morgen für den tot meiner Cousine verantwortlich sein. Vielleicht sogar für die Tode aller anderen im ganzen Dorf.
Und dieses Biest hat es bestimmt auch noch bedacht, das ich nicht gegen sie ankomme ohne Waffe. Doch wo würde ich ein Schwert herbekommen und dann noch eines wie Kuraiko. Oder überhaupt ein Schwert. Es ist nicht so, das in diesem Haus, oder im Dorf Schwerter herumfliegen. //Außer dem im Keller!//
„Genau! Du bist auf der richtigen Spur!“
Als ich Mutters Stimmer höre, friert mir das Blut in den andern zu Eis. Es ist mir, als sähe ich ihre Umrisse dort an der Kellertreppe wie nach meinem ersten Schultag hier. Als ich gedacht hatte zu spüren wie sie und Vater mich den Arm genommen hatten. Doch kann es sein? Sehe ich etwa Geister?
Ich schüttle die Gedanken mitsamt Illusion ab, ich kann dem immer noch später nachgehen, doch zuerst muss ich ein Schwert suchen und im Keller würde ich es ganz sicher finden.
"Wonach suchst Du!?", hackt Andy barsch nach, als ich ihm noch immer nicht antworte. „VIOLETTE VERDAMMT NOCHMAL SIE IST MEINE SCHWESTER! WEISST DU WO SIE IST!?“
Ich schleudere entnervt die Babywanne weg, nur knapp an ihm vorbei, hinter der sich noch mehr Gerümpel befand. Je mehr ich beiseite schaffe, umso so mehr scheint es gleichzeitig zu werden. Doch das Schwert und selbst diese Rüstung kann ich nirgends finden.
Langsam kommen mir doch Zweifel und zwar darüber, dass diese Dinge je existiert hatten. Vermutlich habe ich sie mir eingebildet in der Hoffnung, doch irgendwei eine Lösung zu finden.
Immer wieder schmeiße ich irgendwas nach hinten, wie altes Glockenspiele und Spielzeuge, werde schneller und schneller, bis mich jemand packt.
Darauf gefasst, dass es Andy ist, stemme ich meine Hände mit ganzer Kraft gegen ihn. Doch als ich das Paar Brüste unter meinen Handflächen spürte, reiße ich sie wieder weg. Errötet starre ich Miss Wales an, die dass sichtlich kalt lässt.
"Suchst du etwas Mädchen?", kommen ihr die Worte ruhig über die Lippen, die sie dann zu einer schmalen Linie verzieht.
Jasper und die anderen wühlen ebenfalls im Gerümpel, mir ist gar nicht aufgefallen, dass die anderen dazu gekommen sind. Ebenso wenig habe mitbekommen, wie sie sich auf die Suche begeben hatten.
"Das Schwert ... hier ein Schwert und ... und eine Rüstung!"
Sie hebt verdutzt eine Braune an, dann sieht sie zu Jasper. Als sie ihm zu nickte, schnupperte er in Luft, dabei werden seine Augen grün und schimmern grell. Sein Mund wird zu der Schnauze eines Wolfes. Vielleicht aber auch nur zu der eines Hundes. Was es schlussendlich auch ist, das knurren bleibt gleich, das seiner Kehle entringt, ehe er sich zurück verwandelt.
"Etwas war hier ..., oder sollte ich sagen die Schamanin mit dem Todesgrinsen!"
Kaum hat er die Worte ausgesprochen, flackern die Lichter im Raum auf. Blitze in allen möglichen Farben schießen von der Decke auf den Boden, dann zu rechten Wand hin zur Linken, kreuz und quer durch den Raum.
Die anderen weichen den Blitzen aus, doch ich bleibe, wo ich bin. Nicht weil ich nicht kann, sondern weil ich aus irgendeinem Grund keine Angst davor habe getroffen zu werden.
Als mich einer der Blitze berührt, fühlt es sich an als würde er mir ein Loch in de Bauch bohren. Jasper schreit nach mir, fast nach meiner Hand und ihm folgten die Schreie der anderen. Die weiteren Blitze schießen mir in die Augen, die Schmerzen sind eine Qual, doch halten nur für einen Moment. Dann rieche ich ihn, den Wald, das feuchte Moos und die Fichtennadeln. Ich hörte das Rauchen des Sees und ein Lachen.
Die Maske ist das Erste, was ich sehe, bevor ich Millis blutüberströmten Körper vor mir liegen auffinde.
Das Blut um sie herum, ist nicht das einzige, das mich dazu bringt mich zurückzuerinnern, an jenen Tag im letzten Winter. Diese eine Erinnerung, die mir entfallen gewesen ist und wegen der ich immer geglaubt habe, ich hätte geschlafen doch so war es nicht gewesen.
Als ich auf Milli zusteuerte und sie in meine Arme nehme, sickerte das dickflüssige Blut über meine Hände. Runter zu meinen Armen. Auch auf meine Kleidung, als ich sie anhebe und ihren Kopf auf meinen Schoß bette.
Ihre Atmung ist schwach. Ihre Blonden Haare sind offen und fallen überall hin, verteilten sich über meine Knie und schlingen sich um meine Handgelenke.
"Mama ...", flüstert sie und dieses Wort verfrachten mich an jenen Tag zurück. Stunden bevor man uns - mich und meine Eltern – fand. Es war all dem so ähnlich ...
"Sie hat schon wieder nicht auf uns gehört ...", schluchzte Mama. "Wir hätten sie nicht wegbringen dürfen, sie wird so oder so ihrem Schicksal nicht entfliehen können Hendrik! Wir haben ihre Kindheit zerstört, sie ist unglücklich hier ..."
"Das sagst Du! Aber noch ein Jahr und dann ... Dann ist es vorbei!", erwiderte ihr Papa schroff. "Ein Jahr noch, und sie muss den Bann nicht mehr lösen. Sie wird ein normaler Mensch! Dann können wir zurück nachhause!"
Ich öffnete die Augen, es war Dunkel gewesen. Zusammengekauert lag ich auf der Rückbank, versucht mich möglichst wenig zu bewegen. Es war das erste und letzte Mal, das sie in meiner Gegenwart über mich gesprochen hatten. Ich wollte alles hören.
"Außerdem ist nur dieser Idiot Darren schuld! Ich werde strenger, sie wird nicht länger mit ihm ausgehen!"
"Aber Schatz, sie ist doch nur so, weil sie deprämiert ist. Sie ist und bleibt ein Kind des Mondes und wir sterben noch irgendwann, wenn wir nicht zurück in eine natur- umgebene Umgebung kehren. Hier stinkt es nach Abgasen, die Menschen sind unglücklicher. Im Dorf lebten wir unter besonders guten Umtänden!"
Kind des Mondes, war etwas das ich nicht verstanden hatte. Doch wie sie es aussprach, klang es traurig und verträumt zu gleich. Als wäre sie mit dem Wort in eine andere Zeit eingekehrt.
"Ein Jahr haltet ihr es doch noch aus ...", er versuchte überzeugt zu klingen, doch sowohl ich als auch Mama kauften es ihm nicht ab. "Ich liebe Euch doch! A ..."
Seine Worte lösten mehr als nur Kummer in mir aus, mir ging das Herz auf und ich wollte etwas sagen. Doch damals in jener Nacht, unterbrach nicht ich meinen Vater, sondern das was uns rammte.
Es dauerte etwas, bis eine Schwärze, die mich minutenlang überkommen hatte, von mir wich. Doch als ich wieder zu mir gekommen war, hatte ich Papa gesehen. Er lag da, bewegte sich nicht. Lag in seinem eigenen Blut.
Ich selber lag mit dem Kopf auf Mamas Schoß gebettet, sie weinte und eine Träne fiel auf meine Wange. Dann küsste sie mir auf die Stirn und hauchte:"Du bist unser ein und alles. Du wirst Dich an nichts mehr erinnern, doch wenn Du zurück in Lockwood bist, dann wirst Du Dein Schicksal meistern. Du bist stark und wir sind stolz auf Dich! Wir lieben Dich!"
"Mama ...", flüsterte ich, um mehr zusagen fehlte mir die Kraft.
Doch ich erinnerte mich an andere Details. Einerseits daran, dass sie ein ähnliches Kleid trug, wie ich nach dem ich mit dem Yoko gekämpft hatte und ein Schwert bei sich trug. Und an noch etwas. Die Frau mit der Maske und dass riesige Monster, dass in zwei Stücke geteilt neben ihr lag.
Sie selber sah ramponiert aus. Ihre Maske war auf einer Seite zersplittert, sodass ich ein Gesicht darunter sah, das entstellt wirkte. Eine Brandnarbe, die sich vermutlich über das ganze Gesicht verteilte, war hinter der Maske verborgen. Und doch lag ein blutiges Grinsen darauf.
Noch ehe ich eingeschlafen war, hatte ich sehen können, wie sie sich die Beiden einen Kampf lieferten. Mama hielt Kuraiko. Sie war stark und doch Tod ...
Sie kichert wieder, ihr Typisches Gegacker aus meinen Träumen. Aus meiner Erinnerung.
Ohne von Milli aufzusehen, schreie ich ihr zu:"DU HAST SIE GETÖTET! BEIDE! WARUM DURFTE ICH WEITER LEBEN? HATTEST DU KEINE ANGST?"
"Sollte ich? Thihi! So süß und zart wie eine Blume. Du bist wie Honig weißt Du? Süß aber nicht gut für mich!"
"HALT DIE KLAPPE! ICH KÖNNTE DICH TÖTEN!"
Amüsiert spricht sie weiter, ihre Schritte verraten mir wie nah sie uns schon ist:"Du hast gutes Blut. Köstlich dieser Duft!"
Etwas schneidet mich am Hals, ein dünner Draht, der wie aus dem nichts in der Luft hängt. Doch statt mir den Kopf abzutrennen, trennt sie mein Haar von der Schulter abwärts ab.
"Ups! Mein Fehler, Dein schönes wundervolles Haar ist ab.", zwitschert sie mit der unverkennbaren, fröhlichen Stimme, eines jungen Mädchens.
Sie scheint zu glauben, dass dieser Verlust schlimm sein würde, doch ich habe dazu gelernt. Seid ich hier bin, gehöre ich nicht mehr zu der Sorte Mädchen, die ihr äußeres mehr schätzen als andere Menschen. Ich bin nicht mehr egoistisch. Und eigentlich hat sie mir damit auch einen Gefallen getan.
"Alles wird gut!", hauche ich Milli ins Ohr, als ich sie sanft ins Gras ablege. „Ich werde mich nur kurz um sie kümmern ...“
Vorsichtig, sodass ich dem Draht nicht zu Nahe komme, richte ich mich auf und schaue sie so eisig wie ich kann an. Doch ein weiterer draht, der mir in die Wange schneidet lässt mich das Gesicht verziehen.
„Wie lustig! Wolltest du als Heldin auftreten?“, lacht sie mich aus. „Sorry!“
"Du wirst doch nicht so unfair mit mir kämpfen oder? Warum hast Du mich leben lassen? Ich wäre kein Problem mehr für dich gewesen, doch jetzt schon!", zische ich und gehe ganz langsam auf sie zu. "Du hast mich nur leben gelassen, weil Du mich zerstören wolltest. Aber natürlich wolltest du auch, das ich sie wieder erwecke. Ohne mich wäre die Quelle nie erwacht oder!? Ich weiß, dass ich recht habe!"
Noch mehr drahte erscheinen aus dem nichts. Ich folgte einem dieser mit den Augen, er ist silbern und reflektiert daher das Schwache Licht der aufgehenden Sonne. So erkenne ich, dass sie die Fäden mit den Händen bewegte und stramm zieht.
"Jawohl!", zwitscherte sie erneut drauf los. "Und natürlich werde ich Dich nicht mit diesen Drähten töten! Thihi! Aber mmh lecker! Dein Blut duftet so gut, Du bist so saftig. Aber recht hast Du trotzdem. Ich habe dafür gesorgt, dass Du in die beste Anstalt der Welt kommst. Die Leute dort haben so einen kleinen Knall wie ich, aber nur weil ich ein bisschen Voodoo betrieben hatte. Daher hast Du diese Schreie gehört, darum schlugen sie Dich und die anderen Leute! Vermutlich hab ich auch ein paar gegessen, aber dass spielt keine Rolle! Ein Schwert, wenn Du es berührst, hat es ähnliche Fähigkeiten wie Kuraiko oder? Du kannst eins haben, wenn Du den Drähten entkommst, ich bewege sie auch nicht mehr, versprochen!"
Die Tatsachen, das sie die Anstalt damals im Griff hatte, wundert mich nicht im geringsten. Ich hatte diese Irrenanstalt gehasst, dort machten die Pfleger grausame Dinge, einer verätzte jemanden den rechten Arm, nur weil dieser angefangen hatte zu heulen, da eine andere Pflegerin grob zu ihm gewesen ist. Auch ich wurde geprügelt und ab und an mal, da fanden sie es lustig, mich mit einem Messer an den Armen zu schneiden. Und jetzt wo ich sehe wie die Frau aus meinen Träumen wirklich ist, erscheint es mir ganz normal.
"Komm schon! Du genießt es! Diese Gedanken, sie existieren doch! Du willst sterben! Nimm das Messer und töte Dich!", hatten sie immer wieder zu mir gesagt.
Doch das alles hatte nur einen Stein aus gemacht, nur deshalb hatte ich mich nach innen zurückgekehrt und wollte niemanden an mich heranlassen. Und vermutlich war auch das ihr Plan um mich genau jetzt am besten Kontrollieren zu können, mit den Menschen die ich nun umso mehr ins Herz geschlossen habe.
Ich habe nie erwähnt, was dort vorgegangen ist. Man hat mir so oft gesagt, niemand würde mir glauben, doch jetzt weiß ich, dass ich es Miss Wales hätte sagen sollen. Oder Jasper.
Mit dem Zeigefinger zeigt sie auf das Schwert aus dem Keller, das gar nicht soweit von uns entfernt liegt. Daneben liegt die Rüstung, doch ich würde sie nicht anziehen, darauf würde sie nur warten um mich währenddessen doch hinterrücks zu töten.
Ich versuche die Drähte zu zählen, es scheinen nicht mehr als zehn. Jedes wird von einem ihrer Finger gesteuert, und obwohl sie sagte, sie würde keines bewegen, hat sie gelogen. Schnitt für schnitt, realisiere ich, wie schnell diese hin und her schwanken.
//Jetzt aber schnell ... Wie mach ich das nur? Mama bitte hilf mir!//
So verzweifelt wie ich bin, hoffe ich auf meine Wahnvorstellungen, die auf einmal so unnatürlich echt wirken, als etwas die Kontrolle über meinen Körper übernimmt. Es fühlt sich so komisch an. Mein Körper wird ganz taub, ich kann meine Arme und Beine nicht bewegen, obwohl sie doch anfangen, sich von selbst zu regen.
„Ich helfe dir, doch dann muss ich gehen mein Liebling!“
Ihre Stimme ist so klar zuhören, als stünde sie neben mir. Dabei ist sie in mir drin und bewegt mich Stück für Stück aus dem Draht Geschwirr heraus, ohne mir noch weitere Schnitte einzufangen.
Es gibt so viel, was ich sie fragen will, was ich ihr sagen muss. Doch ich kann nur eines denken. Etwas das schon solange überfällig ist.
//Ich liebe euch. Und ich vermisse euch Beide. Wir sehen uns irgendwann wieder!//
„Ja liebes irgendwann! Wir lieben dich auch, Papa ist schon drüben. Viel Glück mein Schatz!“
Kaum bin ich aus dem Drahtgeflecht entflohen, verlässt sie meinen Körper. Einen Moment lang, kauere ich am Boden, direkt neben mir die Klinge.
Diese Maskentusse flucht. Ich höre die Drähte rascheln und erahne, das sie Milli etwas antun will, doch ich komme ihr zuvor und zerschneide alle Zehn. Sie starrt mich daraufhin an, die Augen hinter der Maske weit aufgerissen und mustert mich, wie ich dastehe mit dem Schwert, das leicht in meinen Händen liegt.
Ihre Drahtseile hängen ihr von den Händen runter wie kleiner Haufen dünner Haare. Wütend schmeißt sie diese auf den Boden und ein Ball aus Feuer erscheint in ihrer rechten Hand, den sie wütend auf mich und Milli schleuderte.
Wie durch eine Eingebung zerschneide ich den Ball und lecke mir über die Lippen um das Blut wegzuwischen, das von meiner Wange gelaufen war und mich schon die ganze Zeit stört. Jetzt bin ich es, die sie angrinst und Es tut wahnsinnig gut, doch irgendwie brodelte etwas in meinem Inneren.
Mir wird ganz heiß, mein Herz schlägt immer schneller. Ich bewege mich auf sie zu, meine Kleidung immer noch dieselbe. Eine dunkle Jeans und ein Spaghettiträger Top. Meine ungewohnt schulterlangen Haare wehen im Wind und mein Kopf ist um einiges leichter, als wäre eine Last von mir gefallen. Die alte Alyssa existiert nicht mehr und die neue ist auf Rache aus.
"Du hast mir alles genommen! Meine Eltern und meinen Lebenswillen. Aber damit hast du nur eins erreicht. Und zwar meinen unstillbaren Durst nach Rache!"
Die maskierte Fremde kichert wieder los, doch es klingt nun gar nicht mehr amüsiert. Sie wirkt nervös, Musik in meinen mit Schnitten übersäten Ohren.
Sie tut etwas, das unerwartet ist. Das erste Mal, nimmt sie ihre Maske ab und darunter zum Vorschein kommt ein mit Brandnarben übersätes, runzliges Gesicht. Lippen, die zu einem Grinsen verzogen sind, während die Zähne, übersät mit Blut sind und die Augen ... Sie hat gar keine.
"Wie? Durch die Maske hab ich doch Deine Augen gesehen!", würge ich hervor, als ich die Maden darin erblicke..
"Illusion mein Schatz! Alles Illusion!", gackert sie und geht auf mich zu.
Ich weiß nicht ob ich lieber kotzen, fliehen oder Kämpfen soll. Aber die ersten beiden, besonders Nummer Zwei haben es mir besonders angetan.
Als sie die Finger an den Mund hebt und ohrenbetäubend laut pfeift, weiche ich noch gerade so dem Blitz aus der an der Stelle einschlug, wo ich eben noch gestanden habe und schaffe auch Milli mit mir zu ziehen. Der kleine Krater dort, machte mir klar das es ernster gemeint ist, als erwartet.
Meine Hand schließt sich feste um die Klinge und ich weiche abermals einem Blitz aus und rolle verzweifelt meine Cousine von mir weg. Währenddessen kommt diese Gestalt immer näher. Der faulige Geruch, der von ihr ausgeht ist neu und fast so ekelerregend wir ihr Gesicht, das von Augenblick zu Augenblick immer weiter in sich zusammen zufallen scheint.
"Was bist Du ...?"
Mit dem Rücken stoße ich an einen Baum. Ich komme nicht mehr weiter. Schritt für Schritt verringerte sie die Distanz zwischen uns. Die Maden in ihren schwarzen Augenhöhlen kriechen heraus, wandern über ihr Gesicht. Sie schnalzte mit der Zunge, erst jetzt sah ich die Spaltung auf dieser. Sie hatte die Zunge eine Schlange.
Sie streckte die Hände nach mir aus und ich hallte den Atem an. Nicht aus Angst, sondern weil ihr Gestank mich fast zur Bewusstlosigkeit treibt. Als sich ihre - im Gegensatz zu ihrem Gesicht - glatten, weichen Hände auf meine Wangen legen, stoße ich ihr die Klinge in den Bauch. Doch sie lacht, zeigt nicht die Reaktion, die ich erwartet hätte.
"Ich wussssste essss, Du bist nicht in der Lage, Kuraikosssss macht auf andere Ssssschwerter zu übertragen! Du bist zu sssschwach. Ich werde Dich wohl fresssssen müsssssen!", spricht sie die Worte, wie man es sich bei einer Schlange vorstellen würde.
Mit der Schlangen Zunge fährt sie mir über die Wange. Lässt einen langen Strich feuchter Sabber an ihr haften, dann presst sie die Hände auf meinen Kopf.
Der Schreck, als sie die blauen Flammen aus ihren Händen treten und um meinen Kopf herum Funken sprühen, lässt schnell nach. An seiner Stelle fühle ich die Ruhe in mich einkehren.
"Du willst wissen, was ich bin! Du wirst sehen, wer ich war und wozu ich wegen Dir wurde!"
Auf einmal ist es ganz dunkel, der anbrechende Morgen hat sich wieder zur Nacht gewandelt und der volle Mond scheint mir prachtvoll entgegen. Unter mir fühle ich das sanfte Gras, durch das ich mit den Fingern fahre. Rieche verschieden duftende Blumen, die ich dabei berühre und sehe etwas unglaublich Schönes über mir.
Ein riesiger Schwarm Glühwürmchen. Sie schwirren Überall um uns herum und erleuchteten, die schwüle Nacht.
Leuchten hell und so schön wie eh und je schwirren sie davon. Ich folge ihrer anmutigen Pracht mit den Augen und setze mich neugierig auf. //Bin ich Tod …?//
Vor mir, einige Meter entfernt sitzt ein Paar, das obwohl es in meine Richtung zu schauen scheint, mich gar nicht sehen kann. Ich schaue runter und sehe das meine Hände genau wie der Rest an mir, mit meiner Umgebung verschmelzen, als sei ich ein Chamäleon.
Erschrocken springe ich auf:“Nein … Oh Gott was ist das!?“
Taumelnd stolpere ich auf die beiden zu und versuche den Mann an der Schulter zu fassen, doch ich greife einfach durch ihn durch. Er fühlt sich an wie Luft, auch wenn er und seine Begleitung doch real aussehen.
Die Frau ist ungefähr 20 Jahre alt und er nicht viel älter. Beide sind blond, doch der Teint ihrer Haut ist ein klein wenig dunkler als seiner, sie hat etwas animalisches und Schönes an sich. Selbst in der Dunkelheit kann ich den hellen Schimmer ihrer strahlend blauen Augen im Schein des Mondes erkennen. Ihre schlanke Figur wird von dem weißen Sommerkleid, mit den Rüschen am Dekolletee zur Geltung gebracht.
Sie schmiegt sich in die Arme des Mannes, ganz verliebt wie ein Schulmädchen. Er ist gekleidet in einen edlen, jedoch altmodischen Anzug. Liebevoll zieht er sie in seine schlaksigen Arme. Er sieht generell nicht sehr kräftig aus und wirkt mir doch eher wie ein Gelehrter.
"Das war ich ...", raunte die vertraute, kindliche Stimme traurig in mein Ohr.
Ich weigere mich aus Prinzip den Kopf zu der demaskierten Hexe zu wenden und krächzte heißer:"Wie bitte? Aber sie ..."
"Ist wunderschön und ich bin ein ... Monster! Meinst Du das!?"
Ich schüttle heftig den Kopf um sie nicht noch weiter zu verärgern. Langsam fehlt mir ihr irres Lachen irgenndwie. Diese ungewöhnliche Trauer und all der Schmerz passen ebenso wenig zu ihr, wie diese wutverzerrten Stimme.
"Was ist passiert? Und ... was kann ich dafür?"
Ihr Arm schießt neben mir in die Höhe und sie streckt den Zeigefinger in die Richtung des Paares aus. Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie es ist.
Es wäre zwar möglich, die Haarfarbe stimmt und auch die grazile Figur einer Ballerina passte haargenau ins Bild, doch ihre Augen und das makellose Gesicht. Wie kann sie überhaupt zweimal existieren?
Das Pärchen turtelt verliebt und als der Mann der Frau ein Kompliment macht, kichert sie. Dasselbe Kichern, wie das der von Hass geplagten Schamanin, die hinter mir steht und mich mit Angst erfüllt.
Er starrte sie von ihrem kichern angetan ganz verträumt an und er zieht sie zu einem langen Kuss an sich. Hinter mir kann ich ein unterdrücktes Schluchzen erahnen und bekomme Mitleid mit ihr. Etwas sehr Schlimmes musste geschehen sein. Nur weiß ich noch immer nicht, was ich damit zu tun habe.
"Ich war eine berühmte Schamanin in Kreta. Ich war verlobt und daher wahnsinnig verliebt. Meine beste Freundin hatte es geschafft, sie hatte ihren Vater besiegt und Flora gerettet. Dann war sie verschwunden ... Alles, das danach so perfekt schien, änderte sich, kaum verging eine Woche. Mein Verlobter wollte mich ausführen, wir machten ein Picknick und ich war so glücklich. Doch dann ..."
Ein ungewöhnlich heftiger Wind stieß den Korb neben den beiden um. Selbst ich hätte fortgeweht werden können, wäre all dies nicht einfach nur eine Illusion. Doch das ist es nun mal, egal wie echt alles aussieht und es sich auch anfühlen mag.
Wie aus dem nicht schießt ein Pfeil an mir und der Schamanin in meinem Rücken vorbei, sie greift danach doch geht einfach durch ihre Hand hindurch und bohrt sich in die Brust des Mannes. Das viele Blut sickerte über die Decke, auf der beide es sich gemütlich gemacht hatten, als er zusammensackt.
Die Frau bemerkt es erst, als er schon da liegt und schreit laut auf:"JONATHAN!?"
Zittrig, wie sie ist, beugt sie sich über ihr. Sie zieht den Pfeil aus seiner Brust und fängt an bitterlich zu weinen, als sie feststelle muss, dass er Tod ist. Doch sie macht sich trotzdem noch die Mühe ihn zurückzuholen, indem sie seine Blutung versucht zu stoppen. Doch am Ende brachte es ihr nur, das sie voll mit seinem Blut war.
"Nein ... Bitte ...", sie küsste seine Lippen einige Male.
Da aus seinem Mund das Blut gesickert ist, das er aufgestoßen hatte, ist nun auch ihr eigener ganz rot. Das erklärt also schon mal die blutüberströmten Zähne, die sie mir mit irrem Grinsen entblößt hatte, als sie ihre Maske abgelegt hat.
Aus dem Boden wachsen Ranken in die Luft, werden fast zwei Meter hoch und circa anderthalb Meter breit, bevor sie ein knicken und einen Thron bilden, dessen Sitzfläche noch von einer Kuppel bedeckt wird. Als diese sich auflöst, steht dort ein Junge, kaum älter als ich und setzt sich elegant hin.
Sein Haar hat einen violetten Schimmer im Mondschein, noch jemand der die selbe Haarfarbe hat wie ich? Er trägt einen dunklen Anzug, der wie angegossen passt. Sein Körper so wie meiner, schlank und nicht gerade kräftig. Auch er ist wie eine Puppe, nur das er ein Junge ist.
"Wer bist Du ...?", wendet sie sich, so blutverschmiert wie sie ist an den Jungen.
Ehe sie ihr Frage beenden kann, erleuchtet ihr Gesicht in einem unheimlichen Grünton. Ich sehe wie er seine Hand gehoben hat amüsiert etwas vor sich hin flüstert woraufhin ihre Augen einfach herausfallen und vor seine Füße rollen. Erst dann wir das Licht Orange und ihr Gesicht fängt Feuer.
"Ich werde Deine Qualen beenden, doch dafür musst Du etwas tun! Ich hole ihn dir zurück Schamanin und stelle Dich wieder her. Doch dafür wirst Du mir helfen die Legende nicht wahr werden zu lassen! In einem Jahrhundert wirst Du alles dafür tun, dass die Wiedergeburt Elizabeths stirbt, nach dem sie, das Tor zu ihrer Welt geöffnet hat!"
Ihre Antwort sind nur die Schreie, die ihren Mund verlassen. Der Anblick ist viel zu grauenvoll und durch das Licht der Flammen kann ich ins Innere ihrer Augenhöhlen sehen. Es ist so ekelerregend, das ich gar nicht anders kann, als mir von über zu beugen und zu brechen.
Während ich den wenigen Inhalt meines Magens, der zum größten Teil nur aus Magensäure besteht, vor mir, auf dass Gras entleerte, spricht er amüsiert weiter.
"Tust Du es nicht, wirst Du ewige Qualen in dieser Gestalt erleiden! Doch tust Du es, werden Dein Verlobter hochrangig zusammenleben können. Du wirst wieder schön, was sagst Du?"
Die Flammen erlöschen so plötzlich, wie sie erschienen sind und sie fällt in die selbe Pose wie ich. Während sie vor ihm kniet, weint sie stumm, doch es gibt keine tränen die sie ergießen konnte, stattdessen fließt Blut aus ihren Augenhöhlen, während sie sich über die Brandnarben streicht.
Er hällt ihr eine Maske hin, dieselbe die sie sonst immer trägt:"Damit kannst Du alles sehen. Enttäusche mich nicht!"
Als sie danach greift, verschwindet er. Sie ist allein und setzt sie auf. Ihr Blick richtet sich auf den Toten Körper ihre Liebsten und nun verstehe ich ihren Hass. Es war doch meine Schuld, denn sie sollt mich vernichten, um alles Verlorene wieder zu erlangen. Er hat sie gewählt, da Elizabeth ihre beste Freundin war.
"Du bist Mia ..."
Von einem Moment auf den nächsten, brennt mir die helle Sonne in den Augen und die Illusion ist vorbei. Wie vor beginn dieser, stehen wir uns wieder gegenüber, sie ganz dicht vor mir. Meine Hände umschließen fest den Griff des Schwertes, der in ihren Bauch steckt, doch ihr nichts auszumachen scheint.
Sie zuckt nicht ein kleines bisschen, als würde sie die Klinge nicht einmal spüren. Doch dafür fühle ich ganz genau, wie diese sich in ihrem fleischigen Körper bewegt und rausflutscht, als ich zurückfalle.
Vor Schmerz aufkeuchend landet ich auf dem Hintern, das Schwert fällt mir vor die Füße, es ist voller Blut. Der Anblick lässt mich auf allen Vieren zum See krabbeln, einfach nur weg davon. Weg von ihr und meinen Schuldgefühlen. Doch es funktioniert bei beides nicht.
Mir wird schlecht, als müsste ich gleich wieder brechen, auch wenn mir jetzt klar ist, das dass mal zuvor nie in Wirklichkeit geschehen ist. Doch wenn ich nicht gleich von ihrem Fauligen Leichengeruch fort käme, würde aus der Illusion schnell Realität.
Ich hörte ihre langsamen Schritte, die mir über die Wiese folgen. Sie kicherte vor sich hin, während ich versuchte zu fliehen. Ihr ebenso bewusst wie mir, das meine Chancen gleich Null sind.
Ich finde keinen Ausweg, bis ich Kuraiko am anderen Ende des Sees erblicke. Es steckte noch immer Im Stamm des Jahrhunderte Alten Baumes, keiner hatte es entfernt nachdem Jasper und ich gegangen waren. Ganz plötzlich fällt mir wieder ein, welche Macht es hat. Mit ihm könnte ich alles und jeden bezwingen, denn es ist ein Teil von mir, der stärkste.
Mit den Händen drücke ich mich vom Boden hoch - was gar nicht so leicht ist, wenn man wie bei ganz normalen Liegestützen versagt - und schaffe es gerade so mich auf zu richten. Da sie, je länger ich dafür brauche, immer näher an mich ran kommt gebe ich nun richtig Gas und renne los. Ehe sie genau realisiert was ich tun möchte, springe ich in voller Bekleidung in den eiskalten See und schwimme los.
"NEIN! WAGE DICH JA NICHT!", brüllte sie mir mit bebender nach und rennt mir nach. „ICH BRING DICH UM!“
Die Angst, die in mir aufkeimt versucht die Oberhand zu übernehmen, doch ich bin viel zu nah dran um aufzugeben. Ich habe das Ufer fast erreicht und das Schwert ist zum Greifen nahe. Doch all meine Hoffnungen verpuffen in der Luft, als mich etwas ins Wasser zieht.
//Nein! Ich will nicht sterben!// Wie wild trete ich um mich, versuche mein Bein aus der Hand zuziehen, die mich hält, doch ich bin zu schwach. //Hat sie mich? Ist es … ist es eins dieser Wesen, wie das, das wir bekämpft haben …?//
Ich bin mir fast schon Hundertprozentig sicher, ich würde nun sterben, mit gezerrt von irgendeiner Bestie. Doch anstelle eines Monsters, wie dem letzten gegen den Jasper und ich gekämpft hatten, sehe ich ein Gesicht, das ich noch vor kurzem gesehen habe. Es ist das Gesicht von Mias verstorbenen verlobten.
"Tu ihr nichts, ich werde ihr helfen!", die Stimme klingt ganz hohl und so al käme sie aus weiter Ferne.
Da ich unter Wasser nicht Atmen kann, bleibt mir nur noch die möglich zu nicken. Daraufhin lässt er mich los und wendet sich Mia zu, die mir nach gehechtet kommt. Wie bisher immer, wird mir bei ihrem grotesken Anblick schlecht, zu sehen wie das Blut aus ihrem Gesicht sickert, ist nicht sehr Appetit anregend. Doch er sieht sie so sanft und liebevoll an, als sehe er darüber hinweg.
Bei seinem Anblick, verzieht sich das verunstaltete Gesicht schmerzerfüllt zu einer schockierten Grimasse. Sie erstarrt, als er im Wasser auf sie zu schwebt und nach ihr fast.
Ich bemerke langsam aber sicher, wie mir die Luft immer knapper wird, langsam müsste ich zurück an die Oberfläche, doch ich kann nicht. Zu sehr fasziniert es mich, was bei den Beiden vorgeht.
Er streicht mit seiner leuchtenden, jedoch durchsichtigen Hand über ihre verbrannten Wangen. Fährt mit den Fingerspitzen vorsichtig über ihre Augen und küsste sie dann ganz sanft und ohne zu zögern auf den Mund. Das muss wohl die wahre Liebe sein, über dich schon unzählige Male gelesen habe. Ob ich es auch könnte, über das Aussehen eines geliebten so hinweg zusehen?
So plötzlich wie sie in einem helleren Licht erstrahlt als er, schwimme ich nach oben. Der Sauerstoffmangel lässt mich so schnell wie möglich nach oben paddeln und keuchend den Kopf aus dem Wasser stecken. Ich lasse mich ans Ufer treiben und atme einige Male ein und aus, bis ich die Fehlende Luft wieder eingeholt habe.
Währenddessen schaue ich wieder ins Wasser, sehe sie da unten und erkenne das Mia wieder so wunderschön ist, wie ich sie in der Illusion gesehen habe. Und ich hoffe so sehr für sie, dass er sie endlich von ihren Qualen erlösen konnte.
Als sie sich auflösen und einfach so verschwinden, lasse ich mich erleichter auf den Rücken fallen und schließe die Augen.
//Es ist vorbei oder?//
"Da! Dort ist sie!", höre ich Andy auf der anderen Seite des Sees rufen.
Was ich zu Beginn auf mich beziehe, gilt eigentlich Mili, die noch immer leblos auf der anderen Uferseite liegt. Ich setze mich gleich wieder auf und starre zu ihnen hin, wie konnte ich sie vergessen? Mir ist gar nicht bewusst wie es ihr geht und die Angst um sie, schnürt sich um mein Herz.
"LEBT SIE?", schreie ich quer über den See hinweg, ohne mich zu wagen, zu ihnen zu schwimmen. Wenn sie tot ist, ist alles nur wegen mir.
Sie schauen alle fast zeitgleich zu mir auf. Erleichterung spiegelt sich in ihren Augen und Gesichtern wieder. Und dann sehe ich wie Milli die zuvor ganz schlaff in den Armen ihres Vaters gehangen hat, zu husten beginnt. Ihre japsenden versuche nach Luft zu ringen, lassen das Seil das mein Herz zusammenzieht abfallen.
"Gott sei dank ...", murmle ich vor mich hin. Ich lasse die Tränen einfach fließen, die mir übers Gesicht rinnen und dann lache ich. Ich lachte aus ganzem Herzen, denn es scheint endlich vorbei zu sein.
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2014
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