Cover

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Brille. Hakennase. Milchig-graue Augen. Kräftiger Körperbau. Leichte X-Beine. Messer im Rücken.

Diese Kurzbeschreibung hatte Amy Zeppelin, angehende Cyberpolizistin gerade eben von einer Kollegin erhalten. Gerade eben, das bedeutete um 5 Uhr morgens, was für ihre Verhältnisse eindeutig zu früh war, um aus ihrem wohlverdienten Schlaf geklingelt zu werden. Leider hatte sie hierbei wenig mitzureden, da sie sich noch in der Probezeit befand. Notgedrungen stand sie also missmutig auf und kochte sich erst einmal Kaffee. „Na super und draußen regnet es auch noch.“, stöhnte sie genervt auf, als sie einen Blick aus dem Fenster warf und nur einen trüben, grauen Schleier wahrnahm, welcher sich über die Stadt gelegt hatte. Normalerweise hatte sie gar nichts gegen ein bisschen Regen, aber an einem Tag wie diesem, wo sie einen Tatort zu besichtigen hatte, war er doch alles andere als erwünscht. Tief in Gedanken versunken, schrak sie plötzlich zusammen, als am Fenster ein Kratzen zu hören war und drehte sich in Habacht-Stellung herum. Doch schon im nächsten Moment lachte Amy erleichtert auf, als sie ihren Kater Nepumuk davor sitzen sah. Sein Fell war vollständig schwarz, nur am Hals hatte er einen klitzekleinen weißen Fleck. Eins seiner Ohren war halb abgebissen, es war jetzt ziemlich ausgefranst und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Viele hatten ihn schon als hässlich bezeichnet oder von einer Unglückskatze gesprochen, doch Amy konnte darüber nur lachen. Sie liebte ihren Piraten-Kater. Eben dieser war es allerdings, der gerade mit einem gewagten Sprung an ihr vorbei auf dem Küchenboden landete und sie dabei nass spritzte, weil er es besonders eilig hatte, von der kalten Nässe hinein ins Warme zu kommen. „Na Süßer“, meinte sie schon etwas besser gelaunt. „Wieder erfolgreich beim Mäusefangen?“. Nepumuk sah sie nur abwartend an und strich auffordernd um ihre Beine. Das bedeutete wohl, seine nächtliche Mausration hatte ihm bei Weitem nicht gereicht. Schnell gab Amy ihm sein Futter und zog sich anschließend an, um sich auf den Weg zu machen. Vor der Wohnungstür holte sie noch einmal tief Luft, bevor sie durch das triefende Nass zum Bahnhof sprintete. Etwas außer Atem kam sie gerade noch rechtzeitig an und zwängte sich in eine S-Bahn. Zum Glück war der Zug zu dieser frühen Stunde noch fast leer, nur ein paar Jugendliche lungerten am anderen Ende des Wagons. Müde ließ Amy sich auf einen Sitzplatz fallen, schloss die Augen und blendete die Welt aus.

„Hey Süße“, erklang es plötzlich unmittelbar vor ihr. „Komm doch mal her. Haste nicht Lust auf ein bisschen Spaß mit uns?“ O nein. Amy schreckte hoch. Sie war doch nicht tatsächlich eingenickt. Wie hatte sie nur so unachtsam sein können? Ihr Herz begann wie wild zu rasen. Taumelnd versuchte sie auf die Beine zu kommen. Wurde aber sofort von riesigen, schwitzigen Pranken gepackt und gegen die Wagonwand gepresst. Ein Körper drängte sich an sie. Unerträglich nahe. Der Geruch von Schweiß, fettigen Haaren. Direkt vor ihr. Um ihr. In ihr. Sie würgte. Versuchte sich zu befreien, kickte und boxte um sich, strampelte im unerbittlichen Griff ihres Gegners, doch stattdessen wurden ihre Arme nur noch fester zusammengedrückt. „Na komm, lass uns ein bisschen Spaß haben. Du willst es doch auch.“ Worte die von irgendwo weit weg wie durch eine dicke Schicht aus Schaumstoff zu ihr drangen. Und doch so unerträglich nahe, dass sie wie gelähmt vor Angst war. Gelächter. Grölende Männerstimmen. Überall. Sie wollte sich rühren. Sich wehren. Wenigstens nach Hilfe rufen. Irgendwas. Doch sie konnte nicht. Verlor immer mehr die Kontrolle. Über die Männer, aber auch über sich selbst, ihren eigenen Körper. Eine kalte Wand hinter ihr. Glatt, fast weich. Amy versuchte sich auf diese zu konzentrieren. Bloß nicht das Bewusstsein verlieren. Sie musste wach bleiben. Ohnmächtig konnten die Kerle mit ihr machen was sie wollten. Grau, die Wand war grau. Ganz sicher. Mit silbernen Metallverstrebungen dazwischen. Ja Amy spürte sie sogar. Ihre Hand wanderte weiter nach oben. Ganz langsam. Stück für Stück. So oft schon war sie mit der S-Bahn gefahren. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit. Sie wusste genau, was sich in den Wagons befand. Und sie wusste mit Sicherheit, dass sich nur noch ein kleines Stück zwischen ihren Fingern und dem Notfall-Hammer zum Scheibe einschlagen befand. Jetzt, sie musste ihn gleich haben, gleich…

Sie wurde auf den Boden gerissen. Ein schwerer Körper auf ihrem. Keine Luft. Flimmern vor ihren Augen. Immer schwärzer. „Nein!“ versuchte Amy zu schreien. „Nein, hört auf!“ aber heraus kam nur ein undefinierbares Röcheln. Ein Knie drängte sich zwischen ihre Beine. Im hintersten Winkel ihres Gehirns explodierte etwas. Es war wie das Öffnen einer Tür, hinter der sie längst vergangene Ereignisse verdrängt hatte, die nun mit ungeheurer Macht ihr ganzes Wesen überfluteten. Sie begruben ihren Geist unter einer dicken schwarzen Schicht, die nichts mehr zuließ als unerträglichen Schmerz. Von irgendwoher glaubte sie, den Geruch von Zuckerwatte wahrzunehmen, bevor sie das Bewusstsein verlor.

 

„Ja, genau. Gerade noch rechtzeitig.“… „Dachte sie hätten ihr schon irgendwas angetan.“ … „Nein, zum Glück.“ … „Natürlich, mache ich. Bis später.“

Weich. Sie lag auf etwas Weichem. Ein Bett? Nein, keine Kissen. Vielleicht ein Sofa.

Ein Schwarm Hornissen. Direkt über ihr. Sie stöhnte auf. Versuchte die Augen zu öffnen. „Amy? Amy, bleiben Sie liegen. Sie sind in Sicherheit, keine Angst.“ In Sicherheit? Was war das bitte für ein blöder Ausdruck. Über ihr surrten tausende Hornissen. Sie musste hier weg. „Ganz ruhig, Ihnen passiert nichts mehr.“, tönte wieder diese viel zu laute Stimme direkt neben ihrem Ohr. Endlich schaffte sie es ein Auge zu öffnen. Aber sie kniff es sofort wieder zusammen. Gleißendes Licht blendete sie. Langsam versuchte sie es noch einmal. Zuerst nur einen Spalt, dann immer weiter. Wo waren die Hornissen. Sie konnte sie doch hören. Ängstlich scannte sie den Raum. Ein schlichtes Zimmer. Schreibtisch, Computer, Aktenberge. Sah aus wie ein ganz normales Büro. Sie lag tatsächlich auf einem Sofa an der Wand.

Erleichtert stieß sie auf einmal die angehaltene Luft wieder aus. Das wütende Surren erklang zwar immer noch, doch dieses Mal konnte Amy es lokalisieren. Direkt über ihr hing eine grellweiß strahlende Leuchtstoffröhre an der Zimmerdecke.

„Bin ich froh, dass Sie wieder unter den Lebenden sind. Ich habe schon gedacht Sie wachen gar nicht mehr auf.“ Bei dem Klang der tiefen Stimme neben ihr zuckte sie zusammen. „Entschuldige, ich wollte Sie nicht erschrecken. Wie geht es Ihnen?“ Kakaobraune Augen schwebten direkt vor ihren. Jetzt erst erkannte Amy die Person neben ihr. Es handelte sich um einen ihrer Kollegen auf dem Polizeirevier. Markus Singer. Aber wie kam sie hier her, zu ihm? „Es ist mir schon mal besser gegangen“ entgegnete sie bloß. „Wie bin ich hier hergekommen? Ich war im Zug. Die Männer, sie wollten…“ Bei den letzten Worten versagte der jungen Frau die Stimme.

„Hey, alles ist gut. Ich habe Sie gerade noch rechtzeitig gefunden. Ich bin eine S-Bahn früher losgefahren, hab mir aber beim Bäcker noch etwas zu essen gekauft und als ich gerade gehen wollte, bin ich auf die laut grölenden Männer aufmerksam geworden. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als ich gemerkt habe, dass Sie es sind, die von denen in die Mangel genommen wurde.“ Angewidert verzog er das Gesicht. Als Amy Markus jedoch nur stumm ansah, sprudelte dieser weiter. „Naja, ich bin Ihnen dann auf jeden Fall zu Hilfe geeilt und habe die Kerle vertrieben. Die haben vielleicht Augen gemacht als ich gekommen bin. Sie haben sich fast in die Hosen gemacht.“ Er sah sie Beifall heischend an. Doch die junge Frau war viel zu aufgelöst, um darauf einzugehen. „Danke. Danke, dass Sie mir geholfen haben.“, stammelte sie nach einer Weile.

Amy war sich dessen bewusst, dass sie ihm wirklich zu Dank verpflichtet war, doch sie konnte trotzdem nicht umhin, ein fahles Gefühl in der Magengegend zu verspüren, wenn sie daran dachte, dass sie Markus nun in gewisser Weise etwas schuldig war. Natürlich war sie froh, gerettet worden zu sein, allein bei dem Gedanken an die gewalttätigen Männer merkte sie schon, wie ihr Herz zu rasen begann und sie feuchte Handflächen bekam. Doch sie legte stets viel Wert darauf, ihre Probleme alleine zu lösen und nicht von jemand anderem abhängig zu sein. Und gerade, dass sie sich als Polizistin nicht selbst hatte schützen können, machte ihr schwer zu schaffen. Amy versuchte, diese Gewissensbisse zu verdrängen, doch tief in ihrem Inneren fragte sie sich, ob sie überhaupt für den Beruf als Polizistin geeignet war. Wenn ich mich nicht einmal selbst verteidigen kann, wie soll ich dann andere schützen? Natürlich sprach sie solche Gedanken nie laut aus, doch trotzdem brannten sie sich in ihr Bewusstsein und ließen sie einfach nicht los.

Markus räusperte sich: „Das war doch selbstverständlich, ich hätte Sie nie im Stich gelassen.“ Er lächelte sie an. Irgendetwas in seinen Augen beunruhigte Amy. Sie konnte nicht genau sagen was, es war mehr eine vage Ahnung. Doch gerade jetzt sah er sie wieder so seltsam an. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Kater Nepumuk, wenn er mal wieder eine Maus gefangen hatte und sie ihr präsentierte. Er machte kein großes Gehabe daraus, doch sie konnte trotzdem immer deutlich seinen Stolz und seine Genugtuung verspüren. Amy hatte dann immer das Gefühl, dass er irgendetwas von ihr erwarte, nicht nur ein Lob, sondern eine Gegenleistung. Dasselbe Gefühl umwehte sie merkwürdigerweise auch jetzt bei Markus. Es löste eine tiefe Beklommenheit in ihr aus. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte, wie reagieren, sich verhalten? Nervös knetete sie ihre Hände.

„Mhm, ja. Also ich werde dann jetzt mal gehen. Vielen Dank nochmal.“ „Wie gesagt, keine Ursache. Bis später.“, rief ihr Markus noch hinterher. Schnell verließ sie sein Büro und trat hinaus in den kühlen, dämmrigen Gang. Es roch ziemlich unangenehm nach Putzmitteln, doch schon mit dem Überschreiten der Türschwelle fiel ihr eine Last von den Schultern. In Markus Büro hatte sie sich beengt gefühlt, sie konnte nicht richtig Atmen und ein Unwohlsein hatte von ihr Besitz ergriffen, was nicht nur von den furchtbaren Kerlen hergerührt hatte, die versucht hatten, Dinge mit ihr anzustellen, über die sie gar nicht genauer nachdenken wollte. Aber hier, auf dem dunklen, nach Chemikalien riechenden Gang fühlte sie sich plötzlich wieder leichter, freier. Erfolgreich verdrängte Amy den beunruhigenden Gedanken an das Geschehnis heute Morgen und ging neuen Mutes zielstrebig nach oben in ihr eigenes Büro.

Zum Glück hatte niemand etwas von ihrer Unfähigkeit mitbekommen oder gesehen, wie sie bewusstlos gewesen war. Das hätte nur unschönes Gerede in Gang gebracht und zahlreiche besorgte Anrufe und Gesprächspartner auf den Plan gerufen. „Guten Morgen“ begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln die Polizistin am Empfang und öffnete schwungvoll die Tür zu ihrem Büro. Dieses teilte sie sich mit ihrer Kollegin, Sandy Meyer.

Sie waren schon lange befreundet, bevor beide beschlossen, Polizistin zu werden. Ihre Wege trennten sich allerdings während der Ausbildung, da Sandy eine normale Polizistin werden wollte, Amy jedoch unbedingt ein sogenannter Cybercop. Das bedeutete, dass sie vor allem für den Bereich der Kriminalität im Internet zuständig war und eine spezielle informationstechnologische Ausbildung absolviert hatte. Nun war sie eine Spezialistin in Sachen Computer. Ihr Beruf machte ihr auch wirklich Spaß, sie hatte schon einige interessante Fälle zu lösen gehabt. Amy liebte es, einzutauchen in die Welt des Internet und Täter aufzuspüren, die sich mehr oder weniger geschickt hinter falschen Fährten und anonymisierten Internetdiensten versteckten. Bis jetzt hatte sie es geschafft, jeden Fall zu lösen, doch sie arbeitete auch noch nicht lange in dieser Domäne. Sandy war hingegen schon deutlich erfahrener, ihre Ausbildung hatte bei weitem nicht so lange gedauert und durch ihre praktische Erfahrung hatte sie Amy bereits viele hilfreiche Tipps geben können.

„Hallo Amy“, ertönte es von Sandy auch schon fröhlich, als sie ins Büro kam. Aber als diese von ihrem PC aufsah holte sie bestürzt Luft. „Hey, was ist dir denn passiert, du siehst ja furchtbar aus!“ Schnell kam ihre Kollegin auf die Beine und eilte auf Amy zu. „Du bist ja leichenblass.“ Fast musste Amy trotz der Situation schmunzeln. Ihre Freundin hatte schließlich schon mehrere Leichen gesehen, wodurch die Aussage für sie nicht nur ein leerer Vergleich war. Sie kannte sich aus, was Amy allerdings wirklich Anlass gab, sich in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken zu betrachten.

Tatsächlich, sie sah aus wie ein Geist. Unnatürlich blass. Riesige Augen starrten ihr entgegen. Die Stirn sorgenvoll gerunzelt. Der Angriff hatte mehr Eindruck auf sie hinterlassen, als sie versuchte, sich einzureden. Langsam drehte Amy sich wieder zu ihrer Kollegin um. Blickte ihr verzweifelt in die besorgt aufblitzenden Augen.

„Die Kerle, ich glaube, sie wollten mich vergewaltigen, ich…“ begann sie, brach aber nach wenigen Worten ab und sank in sich zusammen. „Bitte, ich will jetzt nicht darüber reden.“, meinte Amy kläglich. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, die Schultern verkrampft und die Augen fest zusammen gepresst.

„Oh Gott Amy. Das tut mir so leid!“ Erst zögerte Sandy, doch nach kurzem Hadern spürte Amy, wie sich Arme um sie schlossen und tröstende Hände über ihren Rücken strichen. Nach und nach entspannte sie sich und holte tief Luft. „So schlimm war es nicht. Markus hat mir geholfen.“ Amy straffte die Schultern. „Auf gar keinen Fall werde ich mich davon unterkriegen lassen.“, bekräftigte sie sich selbst. Ich habe schon weitaus Schlimmeres überstanden, dachte sie bei sich

„Da hast du vollkommen Recht.“, bestätigte sie auch Sandy. „Aber wenn du reden willst, kannst du immer zu mir kommen, hast du gehört?“ Ermutigend schaut sie Amy an. Für sie war sie fast schon wie eine große Schwester, an der sie sich anlehnen konnte, die ihr immer half, egal um was es ging. Gerade in solchen Momenten war Amy enorm froh, jemanden wie Sandy zu haben. „Danke, dass bedeutet mir wirklich viel“ entgegnete Amy mit einem Seufzen.

„Hast du eigentlich schon mehr über den Toten gehört, der gestern Nacht gefunden wurde?“ Na gut, das war vielleicht kein eleganter Themenwechsel, aber Amy musste jetzt unbedingt über etwas anderes nachdenken. Was kam da gelegener als ein neuer Fall, in den sie sich stürzen konnte. Doch daraus wurde dieses Mal leider nichts. „Oh“, entgegnete Sandy, „ich muss dich leider enttäuschen, der Fall ist bereits abgeschlossen.“ „Was, so schnell? Der Mord liegt doch noch nicht einmal einen Tag zurück. Wie ist das denn möglich?“, fragte Amy bestürzt und tatsächlich fühlte sie sich irgendwie betrogen. Um einen Fall gebracht, den sie hätte lösen können. Womit sollte sie denn jetzt ihre undankbar kreisenden Gedanken beschäftigen. „Heute Morgen, bevor du zur Arbeit kamst, ist eine aufgelöste Frau ins Revier gestürzt. Sie meinte, sie hätte eine furchtbare Sache gemacht. Dann erzählte sie uns haarklein, wie sie sich mit ihrem Mann gestritten hatte. Es ging um das Erbe, welches er von seinem Vater erhalten hatte. Er verheimlichte es vor seiner Frau und als diese es herausfand, beharrte er darauf, ihr den Zugang zu dem Geld zu verweigern. Als wir genauer nachhakten gestand sie uns schließlich auch, dass sie einen ziemlich luxuriösen Lebensstil pflege. Anscheinend gab sie das Geld ihres Mannes alles beim Shoppen aus.“

„Oh nein. So eine blöde Kuh. Sag nicht, dass der Streit eskaliert ist und sie ihm dann ein Küchenmesser in den Rücken gerammt hat!“, rief Amy aus. „Oh doch. Genauso ist es gekommen. Noch klischeehafter geht’s nicht, oder?“, meinte ihre Kollegin, woraufhin sie antwortete: „Wohl kaum. Das bedeutet für uns, dass wir uns wohl oder übel wieder dem langweiligen Bürokram widmen müssen. So ein verdammter Mist!“ Amy war zum Heulen zu Mute. „Ach komm, wir finden sicher noch irgendeine interessantere Arbeit“, ermutigte Sandy sie amüsiert.

 

Doch dazu kam es gar nicht. Nach nicht allzu langer Zeit klopfte es nämlich an der Tür und ein Kollege kam herein. Tobias, Tobias… Nein, ein passender Nachnahme wollte Amy partout nicht einfallen. Auf seinem Gesicht lag ein selbstzufriedener, arroganter Ausdruck. Sie mochte ihn nicht sonderlich. Er gab immer damit an, was er schon alles geschafft hatte und dass er ja ein ach so toller Mann war. Echt nervig. Bereits als er ins Zimmer trat, ahnte Amy, dass er keine guten Nachrichten überbringen würde. Dafür sah er viel zu schadenfroh aus. Er ergötzte sich immer daran, wenn andere Kollegen Fehler begangen und dafür zurechtgewiesen wurden, nur weil er sich dann in einem noch besseren Licht fühlte. In seinen Augen konnte Amy einen Funken Genugtuung aufblitzen sehen, als er seinen Blick auf sie richtete. Er schaute sie durchdringend mit seinen strahlend blauen Augen an. Jede Frau wäre vor ihm auf die Knie gegangen und sie musste zugeben, dass er mit seinem durchtrainierten Körper und den goldblonden Haaren echtes Sunnyboy-Potential hatte, doch wenn Amy ihn auch nur ansah überkam sie ein Gefühl, als müsste sie sich unbedingt sofort die Hände waschen oder sie übergab sich. Wenn sie so darüber nachdachte, sahen seine Augen auch eher metallischblau aus, wirkten irgendwie fast schon zu strahlend, ungesund.

Gerade bog er seinen Rücken durch und streckte, sich eines Sieges gewiss, die Brust weit heraus. In dieser Pose setzte er an zu sprechen, als Sandy ihm ins Wort fiel: „Spar dir dein Getue, sag einfach was du willst und lass uns dann in Frieden. Wir fallen auf deine Masche nicht herein.“ Amy warf ihr einen dankbaren Blick zu. Sandy kannte den Mann schon länger und konnte sich durchaus erlauben, so mit ihm umzuspringen. Tobias wirkte hingegen mehr als erbost. Seine Stirn legte sich in verärgerte Falten. Seine Lippen verbissen zusammengekniffen. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn aus dem Konzept brachte und noch dazu von seinem hohen Ross herunter holte. Gekränkt sah er uns an und begann auch schon, sich in Rage zu reden. „Mein Getue? Was erlauben Sie sich! Ich bin im Auftrag des Chefs gekommen, um Ihnen etwas Wichtiges mit zu teilen.“ Mit diesen Worten wandte er sich, sehr zu ihrem Unbehagen, an Amy. „Sie sollen zum Chef kommen. Er will wegen einer wichtigen Angelegenheit mit Ihnen reden.“, schnauzte er sie an. Amy lief es kalt den Rücken hinunter. Er hatte doch wohl hoffentlich nicht von der Sache heute Morgen Wind bekommen. Das wäre… Sie fand gar keine Worte dafür. Angespannt rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her.

Fragend sah sie Tobias an. „Hat er gesagt wieso?“ Amy glaubte, so etwas wie Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen zu sehen. „Nein.“, meinte dieser zerknirscht, „er wollte es mir nicht verraten.“ Deutlich konnte sie seinen Ärger darüber wahrnehmen. Er warf sich nun nicht mehr so rechthaberisch in Pose, sondern stand eher verspannt und missmutig neben der Tür. „Jetzt kommen sie schon, ich begleite sie nach oben.“, wandte er sich wieder an Amy. Ganz sicher will er nur vor der Tür lauschen, ob ich vom Chef zurechtgewiesen werde, dachte sich die junge Frau. „Das schaffe ich schon alleine, vielen Dank.“, gab sie ihm reserviert zu verstehen, dass sie sein Angebot nicht schätzte. Nach außen hin versuchte sie, souverän und zielstrebig zu wirken, doch innerlich wurde sie immer unruhiger. Was wollte ihr Chef nur von ihr?

 

Laut und unheimlich hallten Amys schwarze Sneaker auf dem Boden, als sie eilig den Gang entlang ging. Mit jedem Meter auf dem Weg zum Büro ihres Chefs sank ihr Mut weiter nach unten. Die Gedanken an den nicht weit zurückliegenden Angriff waren ihr noch zu präsent vor Augen. Sie versuchte, ihren Kopf zu leeren und an Unverfänglichkeiten zu denken.

Am Wochenende hatte sie sich mit ihrer Cousine und ein paar Freunden zum Feiern im Club verabredet. Sie wusste immer noch nicht, was sie dazu anziehen sollte. Ihren eher seltenen Partygängen war es zu verdanken, dass ihr Schrank kaum genug Inhalt bot, um sich passend zu kleiden. Der Großteil ihrer Klamotten war schwarz. Eine unglaublich praktische Farbe. Leicht kombinierbar mit anderen Kleidungsstücken und nicht zu vergessen, gestaltete sich das Waschen mit nur einer Farbe mehr als einfach. Also genau richtig für Amy, die es zwar liebte an Computern und jeder Menge anderer technologischer Spielereien herumzubasteln, allerdings eher weniger Kenntnisse über das richtige Befüllen einer Waschmaschine parat hatte. Naja, man musste eben Prioritäten setzen.

Eine milchig-weiße Tür mit eingelassenen Glasscheiben ragte direkt vor Amy aus dem Boden. „Das Tor zur Hölle“, wie unter Kollegen gerne gemunkelt wurde. Amy hatte immer darüber gelächelt, doch in diesem Moment verstand sie nur zu gut, wie es zu diesem Namen gekommen war. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch hob sie die Hand, bewegte sie nach vorne, konnte schon das raue Holz unter ihren Fingern spüren, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde. „Umpf!“. Ein Mann war schwungvoll aus dem Zimmer geschossen und direkt in sie hinein gestolpert. Überrumpelt konnte sie nicht mehr rechtzeitig zurück weichen. Beide gingen in einem Gewirr aus Armen und Beinen zu Boden. Ein schwerer Körper auf ihrem. „Keine Luft“, presste sie hervor. Ihre Brust wurde unter der Masse des auf ihr lastenden Körpers zusammengedrückt. Hände auf ihren Oberarmen verhinderten, dass sie sich unter ihm hätte herauswinden können. Schön langsam wurde ihr wirklich der Atem knapp. Amy stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn. Wieso musste immer ihr so etwas passieren? Wenn er nicht bald aufstand…

Plötzlich war sein Gewicht verschwunden. Luft strömte zurück in ihre malträtierten Lungen. „Entschuldige“, erklang es nun über ihr. Eine Hand streckte sich in ihr Blickfeld. Griff die ihre und zog sie schwungvoll auf die Füße. „Ich wollte Sie nicht umrennen. Es tut mir echt leid.“ Ein schiefes Grinsen lächelte Amy entgegen. Honigbraune Augen funkelten sie verschmitzt an. Verblüfft zog sie eine Augenbraue nach oben. Sie hatte den Mann noch nie gesehen. Unterzog ihn einer genaueren Musterung. Mittellange, schokobraune, leicht gelockte Haare. Kantiges Gesicht. Schlanke Statur. Er hatte ein graues Hemd an, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sich darunter ein Sixpack verbarg. Lange Beine rundeten sein Erscheinungsbild ab.

Ein Räuspern. Ihre Augen fuhren ertappt nach oben. Er sah sie mit einem wissenden Lächeln an. Hitze schoss in ihre Wangen. Amy konnte es zwar nicht sehen, aber sie wusste, dass ihr Kopf so rot wie die knallige Brotzeitdose ihrer Kollegin Sandy sein musste, welche diese immer demonstrativ ganz vorne auf ihrem Schreibtisch platzierte.

„Ähm ja, sie sind neu hier, oder?“, krächzte Amy befangen. Sein Grinsen wollte einfach nicht verschwinden. Das Gefühl ließ sie nicht los, dass er sich über sie lustig machte. Jetzt nur nicht wegschauen, rief sie sich im Geiste selbst zu. Standhaft erwiderte sie seinen Blick. „Ja, gut beobachtet. Ich heiße Oskar Lorentzini. Bin als neuer Forensiker hier angestellt. Und sie?“, wollte er wissen. „Ich bin auch noch nicht lange hier. Amy Zeppelin, Cybercop in Probezeit.“

Nun grinste sie ihn an, als er verblüfft die Augenbrauen nach oben zog. „Das hätten sie wohl nicht von einer Frau erwartet?“, stichelte sie. „Nun ja, zumindest nicht von einer Frau wie ihnen.“

Langsam ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern. Amy konnte spüren, wie sie schon wieder gefährlich rot wurde. Hastig wandte sie sich ab. „Ich muss jetzt leider los. Ich habe einen Termin. War schön, sie kennen zu lernen.“ „Ja fand ich auch.“, rief er ihr hinterher. „Vielleicht arbeiten wir ja mal zusammen.“

Kopfschüttelnd schritt Amy über die Schwelle ihrer persönlichen Hölle.

 

„Guten Morgen“. Der Versuch, ihre Stimme fest klingen zu lassen, hatte gar nicht so schlecht funktioniert. Stahlgraue Augen hoben sich von den Aktenbergen auf dem Schreibtisch und bohrten sich in Amy’s. Sie schluckte schwer. „Setzen Sie sich doch bitte“, wurde sie von ihrem Chef aufgefordert. Stockend ließ sich Amy auf ihren Stuhl gleiten. Unbarmherziges Schweigen. Schließlich: „Nun Seien Sie nicht so still. Sie tun ja so, als ob ich Ihnen gleich mit Freuden den Kopf abreisen würde.“ Amy zuckte schuldbewusst zusammen. Okay, vielleicht hatte sie sich da wirklich zu sehr in etwas hineingesteigert. Wollte er sie vielleicht gar nicht für ihr unachtsames Verhalten fertig machen?

Misstrauisch hob die junge Frau den Kopf. „Was wollen Sie denn dann von mir?“ Abschätzend musterte sie ihr Gegenüber. Strich sich über seinen kurzen Stoppelbart. Er öffnete den Mund und erstaunte Amy mit seinen nächsten Worten:

„Zuerst einmal wollte ich Sie loben, dass Sie Ihre Fälle so gewissenhaft lösen. Ich habe wenig Mitarbeiter, die sich so engagiert dafür einsetzen, alle Ungereimtheiten aufzudecken.“ Hmm, vielleicht war ihr Boss doch kein Unmensch. Das Gespräch steuerte gerade die entgegengesetzte Richtung an, welche Amy erwartet hatte. Aber wieso ließ er sie extra in sein Büro beordern, um ihr so etwas mitzuteilen? Irgendetwas war an der ganzen Sache faul. Die gnadenlose Ermittlerin in ihr traute dem Frieden nicht so ganz. Es musste doch noch ein Hintergedanke in den Absichten ihres Vorgesetzten verborgen sein. „Danke, das ist sehr nett von Ihnen“, rang sie sich schließlich ein Lächeln ab.

„Ich sehe schon, Sie glauben mir nicht. Aber ich meine das wirklich ernst.“. Bekräftigend nickte ihr Chef. Was sollte sie jetzt darauf entgegnen. Erwartete er überhaupt eine Antwort? Etwas ratlos schwieg Amy. Musterte den ausladenden Schreibtisch, die durchhängenden Aktenschränke, das riesige Panoramafenster, welches offensichtlich direkt aus einer Hochglanzzeitschrift für Chefbüros entsprungen sein musste. Die Blumentapete, welche alle Wände des Büros bedeckte.

Moment, eine Blumentapete? Was hatte die hier zu suchen. Sie war Amy noch nie aufgefallen. Wobei sie sich bei näherem Nachdenken gar nicht sicher war, ob sie sich überhaupt schon einmal hier aufgehalten hatte. Hellblau geblümt, zog sie sich durch Amy’s Blickfeld. Ziemlich altmodisch.

Ein Räuspern. Etwas aus der Fassung gebracht, huschten ihre Augen schnell wieder zu dem Mann vor ihr. Doch durch das Bemerken der auffälligen Tapete, konnte sie diese nicht mehr aus ihrem Blickfeld, ihren Gedanken verbannen. Angestrengt versuchte Amy, sich wieder auf ihr Gegenüber zu konzentrieren. Fragend sah sie ihren Chef an.

„Wie Sie sich vermutlich schon gedacht haben, wollte ich Sie aber auch wegen etwas Anderem sprechen.“ Mit diesen Worten kam ihre ganze Aufregung und Nervosität mit einem Schlag wieder zurück. Ihre Schulten verkrampften sich. Stille. Nur das unregelmäßige Tropfen des Wasserhahns hinter ihrem Rücken war zu hören. Plop. Plop. Plopplop. Plo-

„Herr Singer berichtete mir von einem Vorfall heute Morgen, in welchem sie involviert waren.“, begann der Teufel gegenüber. „Sie wären fast Opfer einer Vergewaltigung geworden!“

Schwielige Hände auf ihren Armen, ihrem Hals, ihrem Bauch. Feuchter, fischiger Atem in ihrem Nacken, an ihrem Ohr. Kälte ergriff von ihr Besitz, fraß sich unbarmherzig durch ihre Adern. Immer tiefer. Schneller. Fe - Nein. Stopp. Sie musste aufhören. Aufhören weiter daran zu denken.

Glücklicherweise wurden ihre Erinnerungsströme in diesem Moment harsch unterbrochen. „Ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen um Sie. Ich weiß, Sie wollen das vermutlich nicht hören, aber eine Polizistin sollte sich auch in bedrängtem Zustand zu wehren wissen.“, sprach er ihre schlimmsten Befürchtungen aus. Woher kam der dicke Kloß in ihrer Kehle so plötzlich? Verstohlen wischte Amy ihre verschwitzten Hände an der Jeans ab. Zupfte ein imaginäres Fussel vom T-Shirt. Ihr Blick starr nach unten gerichtet. „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich zweifle nicht an Ihren Fähigkeiten als Ermittlerin. Ich möchte Sie in meinem Team nicht mehr missen. Aber ich habe Angst um Sie.“, versuchte er sie zu beruhigen, was jedoch eher den gegensätzlichen Effekt bei Amy erzielte. „Was wollen Sie dann von mir?“, presste die junge Frau heraus.

„Nächste Woche beginnt ein neuer Selbstverteidigungskurs für Polizisten. Er wird von einem neuen Polizeibeamten geleitet, der erst heute zu uns gestoßen ist. Oskar Lorentzini.“ Amy verschluckte sich. Bekam einen Hustenanfall. In ihrem Kopf drehte sich alles. Zum wiederholten Mal an diesem Tag nahm sie die unschöne Farbe von Sandys Brotzeitbox an. Als sie sich wieder gefangen hatte, räusperte sie sich noch ein paar Mal und schaute ihr verdutztes Gegenüber kläglich an. „Herr Lorentzini also. Na so ein Zufall…“.

„Haben Sie ihn etwa bereits kennen gelernt?“. Ihr Chef klang erfreut. „Ein sehr netter junger Mann, wie ich persönlich finde. Sicherlich haben Sie nichts gegen einen solchen Kurs einzuwenden. Schließlich ist er nur zu Ihrem Besten.“

Entweder tat er nur so als hätte er Amys heftige Reaktion nicht bemerkt, oder er weigerte sich einfach, darauf einzugehen. Aber was hatte sie schon dazu zu sagen? Er hatte ja Recht. Sie musste wirklich lernen, in gefährlichen Situationen nicht die Ruhe zu verlieren und stattdessen sofort zu handeln. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Markus nicht rechtzeitig auf sie aufmerksam geworden wäre. Ein Albtraum. Innerlich schüttelte es sie.

Amy holte tief Luft und traf eine Entscheidung. Seltsamerweise versiegten dadurch auch die unterschwellig immer noch vorhandene Angst und ihre Sorgen. Mit dem Fällen des Beschlusses fiel eine Last von ihren Schultern. Sie entspannte sich etwas. Legte ihre Hände flach vor sich auf den kühlen Schreibtisch. Hielt sich an ihm fest.

„In Ordnung. Ich werde hingehen. Das ist sicherlich eine gute Idee.“, versuchte Amy sich selbst zu überzeugen. Zaghaft lächelte sie ihren Vorgesetzten an. Dessen Mundwinkel hoben sich nach oben und ein erleichterter Ausdruck zierte sein Gesicht. Vermutlich war ihm auch nicht ganz wohl bei dem Gedanken gewesen, womöglich mit ihr darüber diskutieren zu müssen. Männer. „Eine gute Entscheidung. Ich bin mir sicher, es wird Ihnen helfen.“ Sichtlich zufrieden blickten seine mattgrauen Augen in ihre. „Der Kurs beginnt wie gesagt nächsten Dienstag um 20 Uhr in der Polizeiturnhalle. Meines Wissens machen noch acht andere Kollegen und Kolleginnen mit.“ Amy nickte. „Gut. Dienstagabend ist in Ordnung.“ Ihr Boss erhob sich. „Auf Wiedersehen. Lassen Sie sich nicht unterkriegen!“, riet er ihr noch, bevor sie hastig aus dem Zimmer verschwand.

 

Ein Selbstverteidigungskurs war doch gar nicht so verkehrt, versuchte Amy sich auf dem Weg zurück in ihr Büro einzureden. Sie würde am Dienstag einfach hingehen und schauen was passierte. Zur Not konnte sie es sich ja immer noch anders überlegen. Neuen Mutes öffnete sie schwungvoll die Tür zu ihrem eigenen Arbeitszimmer und lächelte ihrer Freundin entgegen. „Hui, so gut gelaunt?“ Erstaunt sah diese von ihren Unterlagen auf. „Hat er dich doch nicht in Einzelteile zerrissen und aus dem Fenster geworfen?“ „Haha“ Amy tat als wäre sie beleidigt über Sandy’s Einschätzung.

Dabei lag diese gar nicht so falsch, schließlich hatte sie sich wirklich in ein Horrorszenario hineingesteigert. Das war aber vermutlich auch ihrem etwas voreingenommenem Verhältnis hinsichtlich Mordfällen verschuldet. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass sie tagtäglich mit den brutalsten Gewalttaten zu tun hatte.

Aufseufzend zuckte sie schließlich die Schultern. „Er hat tatsächlich von dem Vorfall heute Morgen Wind bekommen. Allerdings hat er mich nicht zu sich beordert, um mich für meine Unfähigkeit zur Verantwortung zu ziehen, sondern mir nahe gelegt, an einem Selbstverteidigungskurs teilzunehmen.“

Fragend sah Amy ihre Kollegin an. „Was hältst du davon? Glaubst du das ist eine gute Idee?“ „Wieso nicht?“, Sandy hob die Hände. „Dann lernst du endlich mal, unangenehmen Männern richtig in den Hintern zu treten. Denk nur wie praktisch solche Fertigkeiten bei Tobias sein könnten!“ Ein amüsiertes Grinsen huschte über ihr Gesicht. „Ich stelle mir gerade vor, wie du ihm in Superman-Manier sein arrogantes Gehabe ein für alle Mal austreibst.“ Beide sahen sich belustigt in die Augen und brachen in schallendes Gelächter aus.

„Versuchen kann ich es ja mal.“ Mit diesen Worten und deutlich leichter ums Herz ließ Amy sich wieder auf ihren Schreibtischstuhl fallen und machte sich vergnügt an ihre Arbeit.

 

Nach zwei Online-Banking-Diebstählen, einer Cybererpressung und etlichen Anrufen hysterischer Menschen, die sich ausgerechnet alle diesen Tag aussuchen mussten, um Opfer einer neuen Kreditkartendaten-Missbrauchsserie zu werden, hielt Amy erschöpft aber sichtlich zufrieden über ihr Vorankommen inne und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

Wie manche es schafften, sich von pseudogefährlichen Kleinkriminellen überlisten zu lassen, die nicht einmal eine gute Tarnung verwendeten, wenn sie versuchten, Daten oder Geld zu stehlen, war ihr immer noch ein Rätsel. Na gut, es gab auch wirklich kreative Methoden. Vor nicht einmal zwei Wochen, hatte sie ein ominöser Fall ganz schön auf Trab gehalten, als plötzlich ein Cyberkrimineller behauptete, sich in die drahtlosen Schnittstellen von Autos einhacken zu können. Alleine bei dem Gedanken lief es der jungen Ermittlerin kalt über den Rücken. Hätte er es wirklich darauf angelegt, wären tausende Menschen in Gefahr gewesen, da ein mutwillig herbeigeführter Fehler in einem fahrenden Geschoss zum sicheren Tod führen würde. Glücklicherweise hatte Amy nach langem Suchen ein Schlupfloch in der Tarnung des Hackers gefunden. Sie schaffe es, ihn zu lokalisieren.

Danach war alles sehr schnell gelaufen. Eine gut ausgerüstete Polizeieinheit stürmte die Wohnung des Nichtsahnenden. Es kam zu keinerlei Komplikationen. Als der Täter sich der Übermacht bewusst wurde, ergab er sich und konnte ohne Schwierigkeiten festgenommen werden.

Ausgiebig streckte Amy sich, konnte dabei ein tiefes Gähnen nicht unterdrücken. „Schon müde?“ frage ihre Kollegin gegenüber. „Wer hat mich heute um fünf Uhr früh aus dem Schlaf geklingelt, um mich zu einem Tatort zu bestellen, welcher dann gar nicht untersucht werden musste?“ Schuldbewusst blinzelte Sandy sie an, sichtlich bemüht, ernst zu bleiben. „Ach komm, du Morgenmuffel. Dafür kannst du heute Abend früher gehen. Sieh es positiv!“ „Na gut, da hast du Recht.“, seufzte Amy.

„Ich muss mir sowieso noch dringend überlegen, was ich zu der Party am Wochenende anziehen soll. Du kommst auch mit, oder?“ Fragend sah sie ihre Kollegin an. „Ja klar. Hab ich dir doch versprochen. Ich fürchte nur, ich muss dir etwas beichten. Markus will uns begleiten.“, betreten blickte Sandy zu Boden. „Nein! Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Der wird mir den ganzen Abend vermiesen, wenn er immer an uns dran klebt wie ein Blutegel!“. Traurig aber wahr, dieser Vergleich traf vollkommen zu, wie Amy schon bei mehreren Gelegenheiten hatte erfahren müssen.

Sein seltsames Verhalten am Morgen, hatte nur ihre Vermutung bestätigt, dass er etwas von ihr wollte. Dass sie seine Hilfe hatte in Anspruch nehmen müssen, verschlimmerte die ganze Sache auch noch. Amy wurde das Gefühl nicht los, dass Markus nun eine Gegenleistung erwartete. Sie stöhnte theatralisch auf und schlug die Hände vors Gesicht.

„Ach komm, wir lassen uns einfach etwas einfallen, wie wir ihn abwimmeln können. Aber ich konnte nichts gegen ihn machen. Er hat sich praktisch selbst eingeladen, als er erfuhr, dass wir auf eine Party gehen würden.“, versuchte sich Sandy zu rechtfertigen.

„Schon gut. Nehmen wir einfach KO-Tropfen mit und mischen sie in sein Getränk“, witzelte Amy. Sie schüttelte den Kopf. Wie hatte ihre Kollegin nur so unachtsam sein können und in seiner Nähe von der Party erzählt. Sie hätte sich doch denken können, worauf das Ganze hinauslaufen würde.

Aber wenigstens war es nur Markus, welcher unbedingt mitkommen wollte. Mit ihm verband die junge Frau wenigstens noch so etwas wie Sympathie. Er war nett und wollte im Grunde nichts Schlimmes. Nur dass er sich gerade sie hatte heraussuchen müssen, passte ihr nicht.

Tobias zum Beispiel war hingegen eine ganz andere Nummer. Würde er auch in den Club gehen, hätte Amy sich vermutlich eher entschieden, zu Hause zu bleiben, als die Gefahr zu begehen, ihn dort anzutreffen. Seine schleimige, überhebliche Art löste in ihr das kalte Grauen aus. Er war einer dieser Personen, die sie bis aufs Blut nicht ausstehen konnte. Amy betrachtete es also wenigstens als kleinen Trost, dass nicht er sondern Markus es war, der sich ihnen aufgedrängt hatte.

 

Nach weiteren zwei Stunden Arbeit war die Ermittlerin schließlich fertig, erhob sich von ihrem Stuhl und zupfte ihr T-Shirt zurecht. Sie packte ihre Sachen ein, verabschiedete sich von Sandy und ging, nach einem kurzen Abstecher zum Kaffeeautomaten, nach Hause.

Dort begrüßte sie schon an der Haustür ein miesepetriger Kater, welcher unbedingt gefüttert werden wollte. Sie musste lächeln. Nepumuk war ihr in Manchem so ähnlich. Schnell stellte sie ihre Tasche ab, hängte die Schlüssel ans Schlüsselbrett, ihre Jacke an die Garderobe, entsicherte ihre Waffe und zog sich ihre Lieblingshausschuhe an. Dunkelblau, super bequem, flauschig weich. Nachdem sie die Schale ihres Katers reichlich gefüllt hatte, begab sie sich selbst in die Küche. Die Bestandsaufnahme von essbaren Lebensmitteln war allerdings mehr als ernüchternd. Nicht einmal in ihrem Notfallreservoir war noch etwas zu finden. Auch im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Amy nahm sich vor, dringend einkaufen zu gehen.

Nach langem, erfolglosem Suchen trieb sie allerdings doch noch eine Packung Nudeln auf und war erstaunt, als sie sogar noch ein genießbar aussehendes Glas Tomatensoße fand. Erfreut über ihren Fund bereitete Amy ihre Ausbeute zu und fläzte sich anschließend mit einem guten Thriller in der Hand und ihrem laut schnurrendem Kater auf dem Bauch aufs Sofa.

 

„Au!“. Mit schmerzendem Rücken erwachte sie am nächsten Morgen in einer ungemütlichen Position und fand sich immer noch auf dem Sofa vor. Ihr Körper war in Schieflage geraten, der Kopf hing von der Sofakante und ihr rechter Arm war unter ihr eingezwängt. „Verdammt, wieso bin ich hier eingeschlafen.“, murmelte sie verärgert vor sich hin. Stöhnend richtete sie sich auf und streckte sich. Ein protestierendes Miauen erklang, als ihr Kater auf einmal unsanft auf dem Boden landete. Unglücklicherweise fuhr er im Fallen seine Krallen aus und schrammte damit an Amy’s Wange entlang. Ein scharfes Brennen durchzuckte sie. „Mist!“, fluchend hielt die junge Frau ihre Hand auf den Kratzer. „Das hat mir ja gerade noch gefehlt.“

Mit riesengroßen Augen blickte Nepumuk sie zerknirscht vom Boden herauf an. Oh ja, er wusste genau, wie er sie um die Pfote wickeln konnte. Ihre Wut verflog sekundenschnell. „Ach komm schon her.“ Sie kniete sich hin und hob ihn hoch. Schnurrend schmiegte er sofort seinen Kopf an ihren Hals.

Als sie fand, Nepumuk hätte seine feuchte Nase lange genug in ihre Haare gerieben, stellte sie ihn schließlich wieder auf den Boden und Ging ins Bad, Spuren beseitigen.

Verschlafen blickte sie ihr Spiegelbild an und musterte sich kritisch. Schulterlange, kraus gelockte Haare, die dringend gekämmt werden mussten. Blau-graue Augen, die zur Pupille hin immer dunkler wurden. Sturmaugen, genau so sahen sie aus. Eine kleine Nase mit winzigen Sommersprossen darauf. Sandy meinte immer, sie würden total süß aussehen und gut mit ihren kupferbraunen Haaren harmonieren. Süß, bah! Sie wollte doch nicht süß aussehen. Wenigstens verliehen ihr ihre wild gelockten Haare einen Pluspunkt, wie Amy fand. Sie mochte ihre Haare, auch wenn sie sie manchmal zur Verzweiflung trieben, wenn sie sich einfach nicht kämmen lassen wollten. Seufzend strich sie sich über den nicht übersehbaren roten Kratzer, welcher nun mitten auf ihrer Wange prangte. Das würde wieder Gerede geben. Sie konnte sich die neugierigen Blicke schon vorstellen, welche sie heute verfolgen würden. Aber daran ließ sich jetzt auch nichts mehr ändern. Sollten ihre Kollegen doch reden.

Um wacher zu werden, drehte Amy den Wasserhahn auf und spritzte sich das kalte Nass ins Gesicht. Das tat gut. Eigentlich könnte sie auch gleich noch eine Dusche nehmen. Gesagt getan.

Naja, vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen, mit der Dusche. Amy war zwar jetzt wach, dafür aber auch spät dran. Außer Atem kam sie schließlich gerade noch rechtzeitig in ihrer Dienststelle an und ließ sich auf ihren Stuhl im Versammlungsraum fallen. Heute war ausgerechnet auch noch ein Teammeeting angesagt. „Morgen“, wurde sie von ihren Kollegen begrüßt. Sie lächelte freundlich zurück. Ignorierte gerunzelte Stirnen und fragend hoch gezogene Augenbrauen. Tat einfach so, als würde in ihrem Gesicht nicht ein riesiger Kratzer aufleuchten. Sie hatte es ja gewusst. Der morbiden Kreativität von Polizisten waren wirklich keine Grenzen gesetzt. Wahrscheinlich malte sich die eine Hälfte gerade gruselige Horrorszenarien aus, während die andere schon versuchte, Täterprofile und mögliche Motive zu erstellen. Nein, es schienen doch nicht alle so berechenbar zu sein. Ihr Blick fiel auf den Neuen, Oskar. Er musterte sie zwar auch, zwinkerte ihr dann aber lediglich zu und hob leicht einen Mundwinkel. Das war doch wenigstens mal eine erfrischende Abwechslung.

„Du siehst ja aus, als hättest du eine wunderschöne, erholsame Nacht hinter dir.“, ertönte plötzlich Sandy`s Stimme, welche sich gerade auf den Platz neben ihr setzte. Amy verzog das Gesicht. „Ja, kann man so sagen.“

„Ruhe bitte.“ Ergeben lehnte sie sich zurück und konzentrierte sich auf ihren Chef, welcher um Aufmerksamkeit bat. Nach gefühlt zehn Stunden endlosen Vorträgen ihres Chefs und komischen Einwürfen von Tobias, welcher anscheinend versuchte, lustig zu sein, war das Meeting endlich beendet. Jetzt begann der spannendere Teil des Tages. Amy begab sich auf die Suche nach dem Kreditkarten-Hacker, welcher immer noch für Unruhe sorgte.

 

Ein seltsamer Code, was hatte der hier zu suchen. Und dieser Algorithmus, der müsste doch eigentlich... Wieso waren eigentlich alle Kreditkarten hier aus diesem kleinen Gebiet? Da war doch was fa-

„AMY!“ Unsanft hatten sich zwei Hände auf ihre Schultern gelegt und schüttelten sie unbarmherzig. „Ich hab schon fünf Mal deinen Namen gerufen, wieso reagierst du denn nicht?“, wurde sie genervt von einem Kollegen in die Realität zurückgeholt. Sauer über die abrupte Unterbrechung funkelte Amy ihn an. „Tut mir leid, ich hab es nicht mitgekriegt. Was ist denn passiert.“ Schon etwas versöhnlicher antwortete dieser: „Ein Fehler auf sämtlichen PCs hier ist aufgetreten.“ Sie hob eine Augenbraue. „Na ja, außer deinem. Auf jeden Fall haben wir haben schon alles versucht, aber wir bringen sie nicht mehr zum Laufen. Muss irgendein hartnäckiger Virus sein.“ Ratlos und schon etwas verzweifelt schaute er sie an. „Kannst du nicht mal schauen. Markus meinte, du kennst dich da vielleicht besser aus.“

„Was, noch besser als ihr technikbegeisterten Männer hier?“, stichelte Amy, lenkte aber ein, als ihr Kollege gekränkt die Arme kreuzte. „Na hör mal“, fing er an, aber sie unterbrach ihn. „Schon gut, kein Problem. Ich schau es mir natürlich gerne an.“ Schnell stand sie auf und ging mit ihm den Gang hinunter, zu dem winzigen Zimmer ganz am Ende. Darin befand sich der Großrechner. Und jede Menge anderer Leute.

 

 

Fortsetzung folgt in Kürze!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wow, ich hätte es niemals gedacht, dass mein Buch tatsächlich einmal bis hierher gelesen wird.

Aber du hast es offenbar gemacht.

Ich bin dir dafür unglaublich dankbar und würde mich nochmehr freuen, wenn du mir Anregungen oder konstruktive Kritik hinterlassen könntest.

 

 

 

 

 

Alle Rechte liegen selbstverständlich bei mir.

Ich hoffe man ließt sich!

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.05.2016

Alle Rechte vorbehalten

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