Hieroglyphen am Morgen...
Satire
von
Ulrich Scheifele
Der Wecker klingelt. Raus aus den Federn, unter die Dusche, eine schnelle Tasse Kaffee, denn Fifi wartet schon aufs Gassigehen. Also schnell noch den Hund in die Botanik schicken... und dann? Was war da noch? Ach ja, meine LAP hat mir doch, wie jeden Tag, die eine oder andere Aufgabe hinterlassen.
Für alle, die jetzt unter Erklärungsnotstand leiden: L A P heißt sowohl Lehr – Abschluss – Prüfung, als auch Lebens – Abschnitts – Partner. Nachdem ich mit weit über fünfzig Jahren die eine LAP schon lange, lange hinter mir habe, kann nur meine Partnerin gemeint sein.
Wo hab ich nur den Aufgabenzettel hingelegt? Ich laufe alle kritischen Punkte in der Wohnung ab:
Küchentisch? Nein!
Buchregal? Nein!
Mein Schreibtisch? Totales Chaos! Ihrer ist immer so rein, sauber und adrett, wie eine frisch eingeschulte Klosterschülerin! Und meiner? Türme von Zeitschriften und Schmierzetteln, Ordner, Stifte, Pinsel, Farben, Druckertinte, Büroklammern, volle Aschenbecher, vergessene Schokoriegel (Nervennahrung!), Excel Tabellen, die meisten davon sowieso sinnlos, Taschentücher ... und da ist ja auch die CD, die ich schon seit 4 Wochen verzweifelt suche. Irgendwie kommt mir der Begriff Müllhalde in den Sinn, jedoch kann ich mir nicht erklären warum. Ich suche vor mir und dem Rest der Welt eine Rechtfertigung für das jämmerliche Bild, das meinen Schreibtisch darstellt. Also, wie war das doch gleich?: Nur Stümper halten Ordnung, Könner beherrschen das Chaos. Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum suchen! Das ist es! Nachdem nun auch mein schlechtes Gewissen auf Kosten der ordnungsliebenden Menschheit beruhigt ist, kann ich ja weitersuchen, wobei ich einen großen Bogen um besagten Schreibtisch machen werde.
Wo ist nur dieser verhexte Käsezettel? Jetzt tanze ich schon seit einer halben Stunde durch unser Eigenheim, in dem es wahrscheinlich mehr als 100 Millionen Möglichkeiten gibt, einen Zettel zu verlieren.
Langsam packt mich der Gedanke totaler Panik und Hysterie.
Natürlich kenne ich mich aus mit Panikattacken, 5 gescheiterte Ehen und einige LAPs sorgen da für die nötige Routine.
Also: tief durchatmen, bis zehn zählen, die Augen schließen, an etwas Schönes denken und runter von der Palme. Apropos was Schönes! Eine gurkengarnierte reich belegte Wurstsemmel wäre jetzt schön. Also, ran an den Speck!
Die Semmeln sind gleich gefunden, wenn auch schon leicht antiquarisch, aber Wasser und ein heißer Ofen wirken da Wunder. Selbst die Semmeln von Tut – ench – Ammuns Grabbeigabe würden so wieder resch und frisch! Nach dem Wasserbad nehmen die Semmeln jetzt also einen Saunagang im Backofen.
In der Zwischenzeit kann ich saure Gurken aus der Vorratskammer holen. Kann?
Falsch! Könnte wäre die richtige Aussage. Keine mehr da. Somit wäre schon mal Punkt 1 der noch verschollenen Aufgabenliste klar: EINKAUFEN!
Aber dafür gibt’s normalerweise auch eine Liste, einen Zettel, oder eine Haftnotiz. Egal, kommt Zeit, kommt Zettel.
Da ich ein ausgesprochen guter Logistiker bin, außerdem jede Lage rasch erfasse, auch ohne große Analyse und mich dann blitzartig auf die gegebenen Verhältnisse einstellen kann, führt mich mein logisch denkender Verstand, den Gurkenschritt elegant überspringend, zum Ziel meiner logistischen Meisterleistung:
dem Kühlschrank, denn nun muss Wurst her!
Also, Kühlschranktüre auf und versuchen die Wurst aufzuspüren. Ich wühle mich durch Salat und anderes Grünzeug, Radieschen, Karotten und Bergen von pro biotischem Joghurt. Die Beste aller LAPs ist nicht nur leidenschaftliche Vegetarierin, sondern auch eine begnadete Joghurt Forscherin. Linksdrehende Lactobazillen oder rechtsdrehende, rotierende, steppende oder Walzertanzende, für alle gibt’s eine Sorte Joghurt. Und von jeder Sorte steht mindestens ein Becher in unserem Kühlschrank.
Im Eierfach werde ich schließlich fündig. Ein paar letzte Reste kümmerlicher Wurst, die sie nicht an Fifi verfüttert hat um mich zur „gesunden“ Ernährung zu überreden. Was heißt schon gesund? Nur wo Bio drauf steht ist auch Bio drin? Das ich nicht lache. Genmanipulierte Radieschen in Apfelgröße, aus Silikon Valley, die sich 9 Monate lang frisch halten, sind mir allemal lieber, als die verrunzelten Biotomaten aus dem Reformhaus. Und Schwein bleibt Schwein und Rindviech bleibt Rindviech. Vergammelt oder nicht. Fleisch bringt´s! Und wie konstatierte Ottfried Fischer im „Bullen von Tölz“?: „Fleisch is imma no´s beste Gmias!“ Ich nehme die kümmerlichen Reste in Augenschein. Ach da ist ja auch die Liste. Direkt unter den spärlichen Resten von Rind und Schwein. „HAB ICH DOCH GEWUSST, DASS DU FIFI SCHON WIEDER SEIN ESSEN KLAUST!“ kann ich als ersten Satz lesen. Erwischt! Egal. Ich nehme die Zettelsammlung, diesmal sind es nur 23 und die kümmerlichen Wurstreste, argwöhnisch von Fifi beobachtet, an mich und schreite selbstbewusst in die Küche. Die Semmeln sind fertig, kommen knusprig und heiß aus dem Ofen. Zu heiß zum Essen oder Belegen. Zeit ist Geld! Von beidem habe ich in der Regel nichts. Also nehmen die Semmeln zum Abkühlen jetzt einen Winterurlaub in der Gefriertruhe. Nach kurzem Aufenthalt in der Arktis verteile ich die Wurstreste gleichmäßig auf die vorhandenen zwei Semmeln. Nach dem ersten Bissen geht’s mir schon viel besser. Gelassen sehe ich die Zettelsammlung durch. Nichts ungewöhnliches dabei. Wieder mal die Küche anstreichen, mit genauen Farbangaben. Die Farben wechseln jede Woche. Diesmal sind es gelb und blau abwechselnd für die Wände und grün für die Decke.
Ist in einer Stunde erledigt. Hochdeckende Farben auf Basis der Tarnlacke für die amerikanischen Tarnkappenbomber der Air Force werden mittels einer ultrahochfrequenten, ionisierenden Statikbreitspritzpistole, ebenfalls Air Force Technologie und einem Hochleistungskompressor – Rucksack aufgetragen. Habe ich schon erwähnt, dass ich im Organisieren und in der Logistik Weltmeister bin?
Ansonsten das Übliche: mit Fifi Gassi gehen, kochen (erledigt sich durch Essen auf Rädern praktisch von selbst), waschen (erledigt die Nachbarin für einen schmachtenden Blick), im Garten Unkraut jäten (erledigen die Nachbarskinder für eine Tüte Gummibären) und die Haustour (erledigt der Hausmeister für ein Packerl Zigaretten). Habe ich schon erwähnt, dass ich ein Meister der Organisation bin?
Bleibt mir also nur noch das Einkaufen übrig. Also was soll´s denn heute sein? Zahnpasta, Tomaten, Mohnflesserl, Butter und natürlich Fidus Joghurt kann ich auf Anhieb erkennen. Aber was ist denn das?
PNGOL - SD ? PNGAH - SD ?
Mein Interesse ist geweckt. Vielleicht hat sie ja den Einen oder Anderen Buchstaben im Eifer des Gefechtes vergessen? Es könnte PINACOLADA heißen und SD? Vielleicht SUPER DRY? Könnte aber auch PINAGOLD sein, die Schuhcreme, die sie irgendwann einmal aus dem Ausland angeschleppt hat.
Ich entscheide mich also für die Schuhcreme, wobei ich SD als SPAR DOSE interpretiere. Also kaufe ich eine große Dose farblose Schuhcreme beim Einkauf.
Als sie am Abend von der Arbeit heimkommt, ist sie zufrieden. Vegetarisches Essen (von mir schön angerichtet, denn die Alu-Packungen von Essen auf Rädern machen keinen guten Eindruck), frischer Rock en Roll Joghurt, strahlend farbige Küche, zufriedener Fifi und auch der Garten schaut wieder gepflegt aus, denn der Brennnesselwald ist verschwunden und die Wäsche frisch gewaschen und sauber im Kasten sortiert (dank Nachbarins Trockner und meinem Verführerblick).
„Hast du alles eingekauft?“, fragt sie.
„Natürlich!“, sage ich, „der Kassenzettel liegt auf deinem Schreibtisch.“
„Nicht alles“, meint sie beim Überfliegen des Zettels. „Du solltest dich genau nach der Einkaufsliste halten. Also besorge bitte was noch fehlt.“
„Na ja“, sage ich, „ich hab doch alles! Sogar die Super Spar – Dose Schuhcreme hab ich gekauft. Natürlich ist es kein PINAGOLD, die gibt’s bei uns nicht!“
„Wir brauchen keine Schuhcreme!“
„Also doch PINACOLADA“, denke ich bei mir. Also morgen besorgen.
Am nächsten Tag besorge ich also zu den neuen aufgeschriebenen Sachen PNA-COLADA SUPER DRY vom Vortag. Am Abend dann das gleiche Spiel. Sie sagt: „Du hast noch immer nicht alles besorgt!“
Mein männlicher Forscherstolz lässt es natürlich nicht zu, sie einfach zu fragen, was denn noch fehlt. Ich werde es schon herausbekommen. Wäre doch gelacht! Ich rette mich mit: „Sie hatten das nicht mehr, müssen es erst nachbestellen. Ich bekomme es morgen!“
Sie schaut mich mit einem Lächeln an und meint: „So? Das ist aber ungewöhnlich, dass so was ausgehen kann! Seltsam! Aber gut.“
Am nächsten Morgen bin ich, kaum ist sie aus dem Haus, am Computer und im Internet. Ich wälze Seiten über Graphologie, rechtsgeneigte, linksgeneigte und gerade Schrift. Aber noch immer kann ich nicht entziffern, was sie da aufgeschrieben hat, denn Hieroglyphen nach Art des Hauses sind nicht dabei. Ich wechsle zu Seiten mit altsyrischer Keilschrift, babylonischer Zeichenschrift, vertiefe mich in Hieroglyphen und griechische und kyrillische Buchstaben und Texte.
Tag um Tag vergeht, doch noch immer höre ich jeden Abend: „Hast du es noch nicht bekommen?“
„Nein“, sage ich und fühle mich von Tag zu Tag schlechter. Mittlerweile habe ich Bohnerwachs, Möbelpolitur, Laminatreiniger, tibetanischen handgepflückten Hochlandkaffee, Weingläser, Unterwäsche, afrikanisches Hammelhodengewürz, japanische Meeresalgen, isländisches Geysirpulver, Alligatoren – Schwanz – Suppe, norwegisches Senfpulver und Fischköder von den Galapagos Inseln besorgt. Aber jeden Abend höre ich: „Es fehlt was Schatz!“
Dem geneigten Leser sei hier besagter Zettel offenbart, den ich ihm per Scanner zugänglich mache. Der mysteriöse Artikel befindet sich an Position zwei der Liste und ist rot eingerahmt!
Mittlerweile habe ich mich zu einem internationalen Spezialisten für Keilschrift, altsemitische Texte und ägyptische Hieroglyphen entwickelt, der von den Museen aus aller Welt um Rat gefragt wird. Auch verschiedene Gastvorlesungen an Universitäten habe ich bereits in Berlin, Paris, New York und Rom gehalten.
Gerade komme ich von einer Reise aus Australien zurück, wo ich verschiedene Fragmente eines Aborigines – Textes entziffert habe.
„Na wie war´s denn ?“, fragt mich meine geliebte LAP. „Hattest du Erfolg?“
„Natürlich!“, sage ich „es gibt nichts, was ich nicht entziffern kann!“
„Schön für dich. Ich gönne dir deinen Erfolg. Wie bist du eigentlich auf Keilschrift und Hieroglyphen gekommen?“
Ein kalter Schauer durchläuft mich. Da war doch noch was!
“Nur so“, sage ich „bin im Internet darüber gestolpert.“
“Toll, dass du in so kurzer Zeit soweit gekommen bist.“, meint sie.
„Ach ja“, lächelt sie „das
DUSCH – GEL
habe ich mir inzwischen selbst besorgt! Du warst ja dazu nicht in der Lage !!!“
Texte: All rights reserved by ab&uw design großreifling
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner Frau, die mich unterstützt und täglich inspiriert.