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LAN YING,DIE ENGLISCHE ORCHIDEE




Es war einmal im fernen China, ein wunderschönes Mädchen mit Namen Lan Ying.
Ihren Namen hatte sie dem Umstand zu verdanken, dass ihre Eltern bei ihrer Geburt gerade auf einer Reise in England waren,
und dass das Kind in seiner Schönheit einer Orchidee glich.
Deshalb nannten sie das Kind eben Lan Ying, also englische Orchidee.

Da die Eltern bald nach der Geburt des Kindes wieder in ihre Heimat zurückkehrten, hatte das Kind das Land der weißen Menschen, nie kennen gelernt.
Als sie erwachsen war, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als einmal dieses Land, in dem sie geboren wurde, zu sehen.
Doch dazu bot sich ihr keine Möglichkeit.

So hatte Lan Ying immer eine unbestimmte Sehnsucht nach dem fernen Lande in sich,
und niemand konnte ihr helfen.
Oft sprach sie zu ihrem Vater, dem alten Sen Ling: “Oh,verehrungswürdiger Vater, warum lasst ihr mich nicht einmal nach diesem Land meiner Sehnsucht reisen, einmal nur möchte ich sehen, wo ich geboren wurde!“

Doch der kluge Vater der jungen Chinesin wusste dass sein Kind in der Fremde nicht glücklich würde, und so lenkte er sie immer wieder davon ab.
So auch jetzt.
Er befahl der alten Amah Shu-Chang (das war die alte, langjährige Kinderfrau seiner Tochter) mit dem Kind im Park spazieren zu gehen, und sie zu unterhalten.

Das alles vermochte Lan Ying wohl etwas abzulenken, aber kaum war sie allein, dachte sie schon wieder an das Land ihrer Träume.
Einmal ging sie allein spazieren.
Und wie sie so vor sich hin träumte, sah sie plötzlich zwei bunte, allerliebste Schmetterlinge daher fliegen.
Rasch wollte sie einen, der in allen Farben flimmernden Falter fangen, und unbekümmert um ihren langen Kimono lief sie geschwind über Stock und Stein,
kreuz und quer dem Schmetterling nach.
Fast hatte sie ihn schon erreicht, da stolperte sie über einen Stein, und mit einem Schmerzenslaut brach sie zusammen.
Sie hatte sich weh getan, und weit und breit war kein Mensch der ihr helfen konnte.

Nach langem Rufen endlich näherte sich Hilfe. Ein fremder, weißer Mann fand das verletzte Mädchen, nahm es auf seine starken Arme und trug es zurück zu seinem Elternhaus.
Und weil sein Herz so voll Mitleid war, und er das wunderschöne Gesicht immer vor Augen hatte und nicht vergessen konnte, so besuchte er die Kranke alle Tage und brachte ihr die schönsten Geschenke mit.

So konnte es gar nicht verwundern, dass sie sich in einander verliebten, und nicht mehr voneinander lassen konnten.
Gegen den Willen der Eltern heirateten sie bald. Nach der Heirat folgte sie ihrem Mann in sein Heimatland, in dem auch sie geboren war.

Vielleicht wäre sie dort bis an ihr Lebensende glücklich geworden, aber schon nach kurzer Zeit packte sie das Heimweh.
Sie konnte sich nicht an die kalte und nüchterne Sprache dieser Menschen gewöhnen, und nicht an den Winter.
Bei ihr zu Hause, redeten sie eine Blumenreiche Sprache mit unendlicher Liebenswürdigkeit.
Die Sonne schien ihr in ihrer Heimat viel mehr Glanz auszustrahlen,
und auch alle Farben waren dort tausendmal bunter und schöner.

Das merkwürdige daran war aber, dass es ihrem Mann nicht besser ging.
Er schien an einer schweren Last zu tragen, und wurde immer stiller, so dass es Lan Ying nicht fertig brachte mit ihm über ihr eigenes Leid zu sprechen.
So wurden beide immer trauriger.

Da, eines Nachts, sprach die schöne junge Frau im Traum ihren ganzen Kummer laut vor sich hin.
Der Mann wurde davon wach, und als er hörte, was seine Frau bekümmert, wurde er auf einmal wieder einer der glücklichen Menschen.
Denn auch seine ganze Krankheit war nur die Sehnsucht nach dem fernen China.

Seine Frau wunderte sich am nächsten Tag, dass ihr Mann wieder völlig gesund erschien, fröhlich und guter Dinge.
Sie konnte nicht ahnen, dass er heimlich die Rückreise in die Heimat seiner Frau vorbereitete, und sie damit überraschen wollte.

Mit jedem Tag wurde sie hinfälliger. Als es wieder einmal ganz schlimm um sie stand, sagte ihr Mann:
„Mein liebes Kind, ich muss dir eine traurige Mitteilung machen.
Ich werde versetzt von hier und muss zurück in dein Heimatland, um dort zu arbeiten.
Da ich aber weiß, dass du lieber in deinem Geburtsland leben möchtest, so muss ich schweren Herzens alleine fahren und dich für ein paar Jahre hier zurück lassen.

Bei seinen ersten Worten hatte Lan Ying einen fürchterlichen Schrecken bekommen.
Als sie dann aber hörte dass ihr Mann in ihr Heimatland zurück müsse, konnte sie sich vor Freude nicht mehr halten.
Sie flog ihm überglücklich an den Hals. Unter Tränen gestand sie ihm nun ihren ganzen Kummer und ihr Heimweh,dass sie es ihm nur nicht sagen wollte, weil sie es doch war die darauf bestanden hatte in einem fremden Land zu leben.

Nun waren die beiden Menschen wieder glücklich. Es dauerte nicht mehr lange ,da fuhren sie mit einem Schiff über das große Meer, bis sie nach einiger Zeit in China an Land gehen konnten.

Dort wurden sie schon erwartet von dem alten Sen Ling, ihrem Vater,der die beiden mit einer tiefen Verbeugung begrüßte.
Er führte die beiden in sein Haus, als seien sie nur ein paar Stunden von ihm fort gewesen.
Der alte, kluge Mann hatte gewusst, dass sein Kind sich nur verirrt hatte wie ein bunter Schmetterling, der nun für immer zu ihm zurück geflogen war!




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Tag der Veröffentlichung: 24.01.2012

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