Die drückend heisse Nachmittagsonne schimmerte auf dem Meer und funkelte scheinbar wie tausende Sternchen. Das Meer war ruhig, flach wie ein Spiegel, nur hin und wieder störte eine Möwe, die sich ins kühle Wasser setze, dieses perfekte Erscheinungsbild. Eine salzige Brise lag in der Luft. Auch am Strand war es beinahe unnatürlich ruhig, man hörte nur das plätschern der Wellen und das leise rieseln des Sandes im Wind. Doch auch diese Ruhe wurde gestört. Auf einem kleinen Felsen mitten im Wasser, sass ein Mann. Er mochte kaum zwanzig Jahre alt sein. Seine Kleidung war fleckig und hatte bestimmt schon bessere Tage gesehen. Seine halblangen Haare waren völlig durchnässt, so dass sich in ihrem schwarz die Sonne zu spiegeln schien. Der Mann blickte sehnsüchtig zum weiten, scheinbar grenzenlosen Horizont und warf ununterbrochen kleine Steine in den Ozean sodass sie ein, zwei, drei, vier, fünfmal aufsprangen bevor sie mit einem platschen auf den Meeresgrund sanken. Nach schier einer Ewigkeit stand der junge Mann auf und lief in Richtung Stadt. Vorbei an Felsen, verdorrten Büschen und Sandhügeln kam er der Hafenstadt Memphys immer näher. Nach einigen Minuten erreichte er den Stadtrand, der mit einer hünenhaften Mauer, die die Stadt umzäunte, gekennzeichnet wurde. Am riesigen Stadttor standen zwei Wachen. Sie waren mit Musketen und langen, scharfen Degen bewaffnet und ihre Minen verrieten, dass sie keine Scheu hätten, diese auch zu benützen. Als der Mann zu ihnen trat musterten ihn die Wächter so durch dringlich, als würden sie ihm direkt in die Seele blicken. Dem Mann lief ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken daran. Nach einigen Augenblicken, die dem Mann wie Stunden schienen, liessen sie ihn ohne weiteres passieren. Wie jedes mal wenn er in die Stadt trat wunderte sich der Mann ab den Fähigkeiten der Wächter die hinter ihrem Rücken auch Seelenblicker genannt wurden. Diese Gabe war äusserst selten in den Regionen um Memphys, der Hauptstadt von Taerean. Doch man hörte von vielen Reisenden dass in Bifdrun diese Gabe öfters vorkam. Mit dem Schritt eines Mannes, der seine Heimat wie seine Westentasche kannte, schritt er voran. Eine schwüle Hitze lag in der Luft und kein Windhauch regte sich. Dies verstärkte den sonst schon unangenehmen Gestank des Armenviertels von Memphys. Die Hauptstadt von Taerean lag direkt am Meer und war deswegen eine bedeutende Handelsmetropole. Sie war in drei Viertel unterteilt: Das Armenviertel, das Hafenviertel und der Turing Hang an dem sich die wohlstehenden Leute Memphys‘ niedergelassen hatten. Der Mann ging zielstrebig und im Eiltempo durch das Armenviertel, dass nicht als der sicherste Ort in Memphys bekannt war. Das Viertel war berüchtigt für die hohe Zahl von Diebstählen, Missbräuchen und sogar Morden. Erleichterung breitete sich in dem Mann aus als er die Brücke, die über den Saar führte, erblickte. Der Saar markierte die Grenze zwischen dem Armenviertel und dem Hafenviertel. Als der Mann über die Brücke lief und die reissenden Strömungen des Flusses betrachtete mässigte er sein Schritttempo und ging nun gemütlich durch die Strassen des Hafenviertels. Er lief diese Strecke nicht oft doch am heutigen Tag hatte er das Verlangen, den Strand des Armenviertels aufzusuchen, nicht unterdrücken können. Völlig in seine Gedanken vertieft merkte der Mann erst spät dass der Hafen nicht mehr weit entfernt war. Einige Schritte später erreichte er ihn, den weitläufigen, berüchtigten Hafen von Memphys. Viele Schiffe ankerten hier. Von kleinen Fischerbötchen zu den zweimastigen Handelsschiffen bis hin zu den Dreimästern die zur königlichen Marine von Memphys gehörten. Sein Blick wanderte zu dem kleinen zweistöckigen Haus mit ziegelrotem Anstrich. Sein Heim. Wie jeder anständige Seemann hatte er sein Haus direkt am Hafen. Abwesend schlenderte er am Hafenbecken entlang und krachte beinahe gegen seine Haustür, die so plötzlich aufzutauchen schien. Er wollte sie gerade aufstossen als er hinter sich eine Frauenstimme schreien hörte: „Eramos!“ Er fuhr herum und blickte in die hellgrünen Augen der Wirtin des Seesturms, Yala. „Wo hast du denn gesteckt?“ fragte sie misstrauisch. Eramos wollte gerade antworten doch Yala fiel ihm ins Wort: „Kommst du nich‘ noch was trinkn‘, hab gerade Frei.“ Ihr Akzent verriet jedem sofort dass sie nicht in Memphys geboren wurde sondern auf der Insel Karatos, einige Seemeilen entfernt von Memphys. Eramos kannte diese Insel gut, da er immer wieder Einsätze in diesem Gebiet hatte. Er konnte ihr Angebot nicht ausschlagen da sich in ihm ein tiefes verlangen nach einem Brandy ausbreitete. Also nickte er und folgte Yala in das Wirtshaus Seesturm. Es war das beliebteste Lokal unter den Seeleuten da es direkt am Hafenbecken lag. Als Eramos eintrat trat ihm der vertraute Duft von Feuchtigkeit, Schweiss und Alkohol in die Nase. Das Lokal war hoffnungslos überfüllt und an die kleinen Tische quetschten sich mehr Leute als vorgesehen. Doch Yala beachtete dies kaum sondern ging geradewegs Richtung Küche. Eramos mochte dieses Lokal nicht. Er hasste diesen Gestank, die Unordnung und vor allem die dreckige, zerlumpte Kundschaft die auf ewiger Suche nach Streit zu sein schien. Kaum verging eine Stunde ohne dass jemand einem anderen eine Flasche über den Kopf zog. Yala stiess die Tür zur Küche auf sass an den runden Tisch in der Mitte. „Wart‘ hier“, sagte sie und verschwand durch die gleiche Tür wie sie gekommen waren. Das was Yala eine Küche nannte war in Wahrheit ein fader Raum mit einem Tisch und wenigen Regalen die Esswaren beinhalteten. Die Getränke waren allesamt hinter dem Tresen verstaut und deswegen wurde die Küche kaum genutzt. Plötzlich flog eine Flasche auf Eramos zu, die er geschickt auffing. Er schaute Yala, die erneut wieder in der Tür stand, verdutzt an. Diese lachte und nahm einen Schluck aus ihrer Flasche. Eramos öffnete die seine und trank einen Schluck. Es war Rum. Er bevorzugte zwar einen kühlen Brandy doch aus Höflichkeit sagte er nichts und trank weiter. „Ich dachte du wärst auf See“, sagte Yala verständnislos. „Morgen geht’s auf nach Jeratia, Piraten oder bifdrunische Freibeuter haben unsere Blockade durchbrochen und nun ist die Stadt ihnen hilflos ausgesetzt!“ erzählte Eramos eifrig. Verdutzt schaute Yala ihn an: „Wieso wartet ihr denn s‘ lange mit dr‘ Abreise?“ „Keine Ahnung;“ gestand Eramos. Er hatte sich diese Frage auch häufig gestellt doch er konnte sich keine Antwort darauf reimen. „Gut, danke für den Rum Yala“, sagte Eramos, doch ich muss nach Hause um meine Sachen zu packen.“ „Tschau, “ murmelte Yala, viel Glück.“ Eramos nickte und verliess den Seesturm. Mit zügigem Schritt näherte er sich seinem Haus. Eramos hatte nicht vor seine Sachen zu packen, dies hatte er schon Gestern erledigt, doch er brauchte seine Ruhe und im Seesturm war dies unmöglich. Eramos stiess die Tür auf und stieg die knarrende Holztreppe hinauf und warf sich auf das Bett. Auf dem Rücken liegend betrachtete er mit abwesendem Blick die Deckenbalken. Das Zimmer war nur spärlich eingerichtet ausser dem Bett standen nur noch ein Schrank und ein Stuhl im Zimmer. Eramos‘ Haus bestand aus einem Wohnraum mit einer Couch, dem Badezimmer und, im Oberen Stock, sein Schlafzimmer. Er hatte sich nie die Zeit genommen das Haus gemütlich einzurichten, da er die meiste Zeit auf dem Meer verbrachte. Dieses Haus war mehr wie eine Bleibe, wenn mal wieder Zeit für den Landurlaub war. Sein richtiges Heim war die Südwind, eine kleine Fregatte im Dienste der königlichen Marine von Memphys auf der Eramos seit zwei Jahren als Matrose segelte. Er liebte den salzigen Geruch in seiner Nase, der Wind in seinen Haaren und vor allem, die Freiheit. Ein Schiff ist mehr als ein Stück Holz mit Rahen und Segeln, ein Schiff bedeutet Freiheit, sagte der Kapitän der Südwind, Eramos‘ Vorgesetzter, und dafür wurde er von seien Matrosen geliebt. Vollkommen in seine Gedanken vertieft, merkte Eramos kaum, dass die Sonne über dem Meer unterging und sein Platz einem leuchtenden Vollmond überliess.
Dunkle Wolken lagen am Himmel und hüllten die Hafenstadt Memphys in völlige Finsternis. Keine Menschenseele war auf den Strassen zu sehen, nur hin und wieder streifte eine Katze auf den Dächern herum. Ausser dem rauschen des Windes herrschte absolute Stille. Nichts regte sich. Es hatte den ganzen Tag keinen tropfen geregnet doch trotzdem machten die Strassen den Eindruck sie seien feucht. Plötzlich wurde der Marktplatz des Armenviertels in ein Zwielicht getaucht, als der Mond hinter einer Wolke zum Vorschein kahm. Ein Klirren durchschnitt die Stille. Fluchend sprang ein mittelgrosser, schlanker Mann aus dem Fenster eines, dem Marktplatz nahestehenden, Hauses. Blitzschnell und doch leichtfüssig eilte er in die nächste dunkle Gasse während hinter ihm schon einige Wachen auftauchten. Es war keine gute Idee gewesen ins Hauptquartier der Königsgarde einzubrechen. Er rannte weiter durch die Stadt die er wie seine eigene Westentasche kannte. Doch die Wachen blieben ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich bog er in eine Seitengasse doch die Wachen liessen sich dadurch nicht beirren. Dem Mann war die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Langsam begann sein Mund auszutrocknen und zu brennen. Ohne weiter nachzudenken warf er die Abdeckung zur Seite und sprang in Loch, das zur Entsorgung von Regen und Abwässern diente und überall in der Stadt zu finden war. Er kannte das Abwasser-system der Stadt da er es immer wieder als sei-nen Fluchtweg nutzte. Die Geschäfte aller Bürger der Stadt Memphys und die Niederschläge befanden sich hier unten in den sogenannten Kloaken. Das Abwasser wurde dann zur Ent-sorgung ins Meer umgeleitet. Der schwarz ge-kleidete Mann nahm genau diesen Weg. Etliche Minuten lief er gezielt an den Rändern der Ka-näle entlang bis er zum Ausguss kahm. Der Ge-stank hier war beinahe unerträglich. Das Ar-menviertel roch immer streng doch dies konnte auch einen Mann, der sein ganzes Leben dort verbracht hatte, umhauen. Er atmete tief ein, machte einen Kopfsprung ins Wasser und schwamm bis zum Kai. Die Wassermassen zogen an seinen Kleider und drohten ihn in die Tiefe zu zerren doch er hielt dem Druck stand. Endlich kam der Kai in Reichwiete. Mühsam zog sich der Mann hoch. Er befand sich nun im ärmsten Teil der Stadt, sein Zuhause. Zügig lief er durch die menschenleeren Strassen. Niemand begegnete ihm auf seinem Weg doch er war trotzdem angespannt, in der Nacht trieben sich oft Geschöpfe wie Geister oder betrunkenes Gesindel im Armenviertel rum. Obwohl er sich oft nachts rumtrieb hatte er immer noch Angst vor diesen körperlosen Wesen. Er wurde aus Geistern einfach nicht schlau. Also beschleunigte er seinen Schritt. Er war schon fast da als ihn plötzlich eine Hand von hinten packte und in eine Seitengasse riss. Grosse, rot umrandete Augen starrten ihn an. „Gesho du Idiot hast du mich erschreckt, “sagte der pitschnasse Mann. „Sedin, gut das ich dich noch finde“, sagte Ges-ho, „ich brauche deine Hilfe Mann“. „Vergiss es ich hab echt schon genug Ärger am Hals. Ich werde von der Königsgarde gesucht, die Geister wollen mich umbringen und jetzt kommst du und sagt du brauchst Hilfe. Nein danke, “ sagte Sedin. Gesho zog ein Messer aus seinem Gürtel, es war mit einer zwei Handflächen breiten Klinge bestückt. „Ich möchte das echt nicht tun Sedin, doch du lässt mir keine Wahl. Entweder du hilfst mir oder du stirbst, “ sagte Gesho mit zorniger Miene. Bedrohlich näherte er sich Sedin. Dieser war vollkommen verdutzt. Was war mit Gesho los! Normalerweise war der pummlige Wirt friedliebend und hatte ein gutes Verhältnis mit Sedin, doch die Umstände mussten ihm diese Eigenschaften ausgetrieben haben. Drohend hob er das Messer zum Schlag an. Ein letztes Mal fragte Gesho: „Hilf mir!“ Dann stach er zu. Eine tiefe Wunde in breitete sich in Sedins Bauch aus. Sie blutete stark. Keuchend drückte sich Sedin eine Hand gegen den Bauch um den Blutausguss zu mildern. Er hätte nie gedacht dass sein jahrelanger Gefährte Gesho ihm etwas hätte tun können, doch so war es in diesem schmutzigen Geschäft, man konnte niemandem Vertrauen. Blutrünstig starrte ihn Gesho an. Seine Augen funkelten in einem hellen Rot. „Hilfst du mir jetzt“, sagte Gesho. Er war Irre geworden! Plötzlich spürte Gesho einen Tritt in der Magengegend und sackte zusammen. Sedin nutzte den Augenblick und rannte durch die verdreckten Gassen der Unterstadt von Memphys um dem völlig durch geknallten Gesho zu entrinnen. „Heute wird echt viel Gerannt“, dachte Sedin während er spürte wie seine Beine nachgaben und er Kopfüber in einer Pfütze strauchelte. Diese stank Gewaltig. Sedin rappelte sich mit Mühe hoch. Er hatte Gesho abgehängt. Ein Gefühl der Erleichterung überkam ihn, doch es Verschwand sofort wieder als er ein grün flackerndes Licht erspähte. Geister! Sie waren nur zu dritt doch schon einer von ihnen Genügte um Sedin in den Wahnsinn zu treiben! „Heute ist nicht mein Tag“, fluchte Sedin leise. Langsam und lautlos näherten sich ihm die Geister. Er versuchte sich in eine Seitengasse zu retten doch es war zu spät! „Bleib stehen du Mistkerl“, sagte einer der Geister. Er hatte langes, fettiges Haar und eine sehr ungepflegte Gesichtsbehaarung. Seine lange, zerrissene Tunika hing ihm schlaff von den Schultern. „ Was willst du Galdor“, sagte Sedin zerbissen. „Du hast deine Schuld noch nicht beglichen. Du dachtest du könntest uns entrinnen indem du dich in Gebäuden aufhältst da wir dort keinen zutritt haben. Doch irgendwann musstest du an die Luft oder?“, sagte Galdor zornig. Sedin blickte flüchtig um sich. Es war schwierig den Geistern zu entrinnen doch er war sich Gewohnt unangenehmen Situationen zu entkommen. Mit den Augen eines Meisterdiebes musterte er die Umgebung. Er suchte nach einem Ausweg während Galdor weiter redete. Doch Sedin hörte seine Worte kaum denn in etwa zehn Schritt Entfernung sah er ein Fenster. Unschlüssig ob er den Sprung wagen sollte blickte Sedin umher. Und dann rannte er! „Nein“, schrie Galdor voller Zorn als Sedin durch das Fensterglas krachte. Mit einer geschickten Hechtrolle richtete er sich auf und rannte durch die völlig verlassene Wohnung stiess die Tür, die zurück auf die Strasse führte, mit einem tritt auf. Doch nach einigen Schritten auf der Strasse sackte Sedin zusammen. Der gescheiterte Einbruch, Geshos Angriff und der Zorn der Geister waren einfach zu viel gewesen. Mühsam rappelte er sich auf und schleifte sich in die nächste, stockfinstere Gasse. Dort lehnte Sedin sich an die Hauswand und zückte sein Messer. Er schnitt ein Stück seines Mantels ab und versorgte seine Bauchwunde so gut es ging. Sedin war zwar nur einige Strassen von seiner Bleibe entfernt doch er konnte sich nicht mehr bewegen, die Wunde blutete zu stark. Sein Leben in Memphys war zum Albtraum geworden. „Was soll ich nur tun“, fragte sich Sedin verzweifelt. Doch er fand darauf keine Antwort. Er war hoffungslos verloren und dies bestätigte sich als er einen grünen Schimmer an der Hauswand entdeckte!
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2012
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